Unsere heutige Zeit ist gekennzeichnet durch zahlreiche gesellschaftliche Umbrüche eng verknüpft mit sozialen Konflikten. Damit verbunden stellen sich immer wieder Fragen zur Analyse und künftigen Entwicklung von Gesellschaften. Auf der Suche nach Lösungsalternativen kann ein Blick zurück vielleicht hilfreich sein, um das Verständnis für heute ablaufende komplexe Prozesse zu erleichtern.
Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert verfasste der Augenzeuge und Unternehmer Friedrich Engels „Die Lage der arbeitenden Klasse in England.“ Damit verbunden waren Gedanken wie: Lassen sich gesellschaftliche Veränderungen in gesetzmäßige unausweichlich ablaufende Prozesse fassbar machen? Kann den ökonomischen Faktoren dabei eine ausschließliche Dominanz zugeordnet werden oder welche Entwicklungsalternativen bieten sich in Krisensituationen an? Fragen, die auch in unserer heutigen Zeit gestellt werden.
Diese Überlegungen stellen den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Lassen sich aus der Schrift von Friedrich Engels Grundsätze für eine gesellschaftspolitische Analyse ableiten, die auch in unserer Zeit verwendet werden können?
An diesem Punkt setzt die nachfolgende Untersuchung ein. Aufbauend auf Sichtweisen aus der Zeit der deutschen Teilung wird dieser Frage exemplarisch nachgegangen.
Um den inhaltlichen Rahmen nicht zu sprengen, wird in der Arbeit aber auf die ausführliche Betrachtung des Zusammenhanges von Ökonomie und Herrschaft in der Theorie des historischen Materialismus verzichtet. Die Grundzüge dieser entwickelten Gesellschaftsanalyse werden dabei nur skizzenhaft dargestellt.
Der von Friedrich Engels und Karl Marx entwickelte dialektisch-materialistische Ansatz ist dabei nur einer unter vielen Möglichkeiten gesellschaftliche Entwicklungen zu hinterfragen. Geeignet dafür erscheint aber die Engels-Schrift allemal, denn auch mehr als hundert Jahre nach dem Erscheinen wird dieses Werk heute immer noch sehr kontrovers bewertet.
Gliederung
1. Einleitung
2. Der gesellschaftsanalytische Ansatz in der Friedrich Engels Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen.“
3. Die Beurteilung des Werkes in der heutigen Gesellschaftswissenschaft.
3.1. Die Einschätzung der Schrift aus der Sicht der DDR-Wissenschaft.
3.2. Die Betrachtung des Werkes in der Forschung der BRD.
4. Ein Fazit zur gegenwärtigen Bedeutung des Engels-Werkes in einer Gesellschaftsanalyse.
5. Literaturangaben
1. Einleitung
Das 19. Jahrhundert, in dem diese Darstellung von Friedrich Engels verfasst wurde, war gekennzeichnet durch zahlreiche gesellschaftliche Umbrüche im Zuge der Industrialisierung, die einerseits Fragen zur Analyse und Entwicklung der Gesellschaft neu aufwarfen. Andererseits wurden aber auch Ursachen und vor allem Antworten auf die wachsenden sozialen Konflikte forciert gesucht.[1] Auch unsere heutige Zeit ist konfliktbeladen und es wird nach Lösungsalternativen geforscht.
Vor mehr als hundert Jahren nahm das Ringen um die Herausbildung einer historisch-materialistischen Gesellschaftsbetrachtung[2] einen bedeutenden Stellenwert ein. Karl Marx und Friedrich Engels verarbeiteten die bis dato vorhandenen Vorstellungen zur Analyse einer Gesellschaft und prägten mit ihren Ansichten nachhaltig die Bildung einer kritisch-dialektischen Theorie.[3] Diese wird häufig in der gegenwärtigen Literatur auch mit den verschiedensten Termini wie Marxismus, Sozialismus oder Kommunismus zum Ausdruck gebracht.
Besonders Friedrich Engels rückt dabei immer wieder in das Blickfeld der wissenschaftlichen Betrachtungen, was mit diesem Thesenpapier aber nur sekundär belegt werden soll. Seine Biographie vom Unternehmersohn zum Arbeiterführer und Gesellschaftskritiker birgt dabei genausoviel Spannungsgehalt wie der Aufstieg eines Rockefeller in den USA. Ein solcher ideologischer Entwicklungsprozeß einer Person ist aber selten durch Kontinuitäten geprägt.[4] Unter diesen Umständen schrieb er die Darstellung über die Arbeiterschaft in England, was besonders in seiner Zeit ein breites gesellschaftliches Echo auslöste.[5]
Auch heute noch wird sein Werk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England.“ in der Literatur sehr kontrovers bewertet.
Dabei stellen sich nicht nur in diesem Werk immer wieder dieselben Fragen: Lassen sich gesellschaftliche Veränderungen in gesetzmäßige unausweichlich ablaufende Prozesse faßbar machen? Kann den ökonomischen Faktoren dabei eine ausschließliche Dominanz zugeordnet werden und bieten sich für Krisensituationen Entwicklungsalternativen an? Fragen, die auch in unserer heutigen Zeit gestellt werden.
Daraus leitet sich der Grundgedanke dieser Arbeit ab. Lassen sich anhand der Schrift von Friedrich Engels geeignete Grundsätze für eine gesellschaftspolitische Analyse ableiten, die auch in unserer Zeit verwendet werden können?
An diesem Punkt setzt die Untersuchung ein. Anhand exemplarischer Sichtweisen wird diese Aussage untersucht und erörtert. Dabei vertrete ich die Ansicht, das sich aus diesem Werk besonders Methoden für die Untersuchung gegenwärtiger Prozesse übertragen lassen. Im Fazit soll dann dargestellt werden, ob diese Engels-Schrift den heutigen Ansprüchen an eine umfassende Gesellschaftsanalyse gerecht wird?
Um den inhaltlichen Rahmen nicht zu sprengen, wird in dieser Arbeit aber auf die ausführliche Betrachtung des Zusammenhanges von Ökonomie und Herrschaft in der Theorie des historischen Materialismus verzichtet. Die Grundzüge dieser Gesellschaftsanalyse werden nur skizzenhaft dargestellt. Der Schwerpunkt des Thesenpapieres liegt deshalb in den verschiedenen Bewertungen dieses Werkes.
2. Der gesellschaftsanalytische Ansatz in der Friedrich Engels Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen.“.
In der Zeit der Erarbeitung dieses Werkes befand sich Friedrich Engels in einem geistigen Wandlungsprozeß.[6] In England und besonders in Manchester wurde Friedrich Engels mit den sozialen Veränderungen im Zuge der Industrialisierung augenscheinlich konfrontiert. Ausgehend von seinen philosophischen Vorstellungen suchte er nach Ursachen und Alternativen dieser Entwicklung. Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie waren deshalb für Engels eine logische Konsequenz. Die Erfahrungen des Englandaufenthaltes führten ihn zu einer Aneignung ökonomischer Positionen einer Gesellschaftsbetrachtung. In der Verbindung mit den bereits erworbenen dialektischen Ansichten der Junghegelianer, denen er zugerechnet werden konnte[7], zeichneten sich bereits Formen der historisch-materialistischen Theorie ab.
[...]
[1] Vgl. hierzu u.a.: Mönke, Wolfgang: Das literarische Echo in Deutschland auf Friedrich Engels' Werk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England.“ In: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Vorträge und Schriften. Heft 92, Berlin (DDR) 1965 S. 1 – S. 127, S. 24 bzw.: Schmidtgall, Harry: Friedrich Engels' Manchester-Aufenthalt 1842-1844. Soziale Bewegungen und politische Diskussionen. Mit Auszügen aus Jakob Venedeys England-Buch (1845) und unbekannten Engels-Dokumenten. Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Nr. 25, Trier 1981
[2] Holtmann, Everhard (Hrsg.): Politiklexikon. München/Wien 1991 S. 234 und S. 248
[3] Vgl. hierzu u.a.: v. Alemann, Ulrich / Forndran, Erhard: Methodik der Politikwissenschaft. Eine Einführung in Arbeitstechnik und Forschungspraxis. Stuttgart / Berlin / Köln. 19955 S. 53 ff.; Fritzsche, Klaus: Sozialismus: Geschichte und Perspektiven gesellschaftlicher Egalität. In: Neumann, Franz (Hrsg.): Handbuch. Politische Theorien und Ideologien. Bd. 2, Opladen 1996 S. 1 - S. 74 und Kraiker, Gerhard: Theorie von Karl Marx und Friedrich Engels. Gegen Dogmatisierung und Marginalisierung. In: ebd. S. 75 - S. 109
[4] Vgl. hierzu: Lawatsch, Hans-Helmut: Aspekte der Umbildung weltanschaulicher Überzeugungen, dargestellt am jungen Engels der Jahre 1838 - 1845. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors des Wissenschaftszweiges an der Gesellschafts-wissenschaftlichen Fakultät des Wissenschaftlichen Rates der Friedrich-Schiller-Universität Jena (DDR) 1984
[5] Vgl. Anmerkung 1; Obwohl mehrere Schriften zur Lage in England von Friedrich Engels verfasst wurden, beziehe ich mich hier auf die vom Autor 1845 veröffentlichte Gesamtdarstellung.
[6] Vgl.: Lawatsch, Hans-Helmut: a.a.O. S. 69 [wie Anmerkung 4]
[7] Vgl.: Schmidtgall, Harry: Friedrich Engels' Manchester-Aufenthalt 1842-1844. Soziale Bewegungen und politische Diskussionen. Mit Auszügen aus Jakob Venedeys England-Buch (1845) und unbekannten Engels-Dokumenten. Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Nr. 25. Trier 1981 S. 10 - S. 12. Hierzu lassen sich detaillierte Ausführungen nachlesen und weitere Literatur ist in den Fußnoten aufgeführt. Möglich ist auch die Dissertation von Lawatsch, Hans-Helmut (a.a.O., wie Anmerkung 4) in dieser Frage einbeziehbar.
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- Kurt Fuchs (Autor), 1999, Friedrich Engels: "Die Lage der arbeitenden Klasse in England." Ein herausragendes Werk in der Gesellschaftsanalyse?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1096