Die Kurzgeschichte "Denk immer an heut Nachmittag" von Gabriele Wohmann (1979) beleuchtet die gestörte Kommunikation zwischen Vater und Kind während einer Bahnfahrt, die das Kind in ein Internat bringt. Der Vater versucht, Erwartungen und Ideale zu vermitteln, während das Kind die Realität als beklemmend empfindet. Diese Arbeit analysiert die symbolische Bedeutung von Objekten wie dem Koffer und dem Ball, die Unvereinbarkeit der beiden Perspektiven sowie die Entwicklung der Beziehung im Verlauf der Geschichte. Die Geschichte verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen äußeren Erwartungen und innerem Widerstand aus der Sicht eines Kindes.
Matze Mehling
Interpretation „Denk immer an heut Nachmittag“ von Gabriele Wohmann
In der Kurzgeschichte „Denk immer an heut Nachmittag“ von Gabriele Wohmann aus dem Jahr 1979 wird eine halbstündige Bahnfahrt von Vater und Kind erzählt. Der Weg führt beide von Gratte nach Laurich. Dort soll das Kind ein Internat besuchen und die Erwartungen des Vaters erfüllen.
Beide Personen verlassen das heimatliche Dorf Gratte um nach Laurich zu fahren.
Schon zu Beginn der Geschichte merkt man das die Kommunikation zwischen Vater und Sohn gestört ist. Der Vater diktiert dem Kind eine Realität. Damit verstärkt er das Unbehagen seines Kindes. Sein Kind erlebt diese Situation ähnlich wie die Wetterverhältnisse. Es ist kalt und winterlich. In dem Gespräch findet es schon keinen Halt, nun rutscht es stetig ab und findet auch mit den Händen keinen Halt (Bezug auf Zeile glatte Wolle seiner Handschuhe…).
Die Zeile 14 bringt einen Koffer ins Spiel. Dieser Koffer ist als Symbol für die Trennung einzuordnen. Er stellt für einen kurzen Augenblick dar, wie belanglos sämtliche Umwelteinflüsse und Gespräche in diesem Moment sind.
In der Zeile 15 wird das Heimatdorf Gratte sehr unsympathisch beschrieben. Sie fahren „durch eine Straße mit eckigen unfrisierten Gärtchen, und Gratte sah nur noch wie ein dicker dunkler Pickel aus“. Durch diese methaporische Beschreibung wird das Dorf unfreundlich und verlassenswert. Im Gegensatz dazu wirkt die neue Heimat.
Der Wald von Laurich wirkt erfrischend und wird vom Vater angepriesen. Er beschreibt den Wald als tolles Spielgebiet und als interessantes Abenteuergebiet an. Unterdessen empfindet das Kind den Vater als Belastung. Seine übertriebene Anpreisung sorgt für Unbehagen. Die kalten Bäume könnten auch in der verlassenen Heimat stehen. Die örtliche Veränderung ist offensichtlich unnötig. Für das Kind ist dieser Wald, diese Gegend sehr kalt, unsympathisch und ähnlich abweisend wie Gratte.
Da das Kind sich sehr zurückhaltend verhält und das Gespräch wenig vorankommt, nutzt der Vater die Möglichkeit sich über einen Rad fahrenden Jungen zu belustigen. Er breitet vor seinem Kind die Möglichkeiten von starken Jungen aus. Er versucht das Kind an Erwartungen zu binden, ein Idealbild als Vorbild zu erschaffen und einen emotionalen Kontakt zu dem fetten Jungen der auf dem Fahrrad sitzt und schwitzend fährt herzustellen. Dies schlägt fehl. Der dicke Junge erzeugt beim Kind nur Ekel und Abneigung. Das zeigen die Worte „fetter Junge, schwitzendes und bläuliches Gesicht, farblose Zunge“ sind der Eindruck den der Junge für das Kind verkörpert. Im Gegensatz dazu steht die Begeisterung des Vaters. Die Kommunikation der beiden ist weiter erheblich gestört.
Als Antwort des Kindes auf die Begeisterung des Vaters folgt erneut eine zurückhaltende Antwort („Ich weiß nicht“). Nach dieser Antwort merkt dass Kind, dass es scheinbar eine geringe Macht über den Vater hat. Dieser bekommt glasige Augen und bestätigt damit die große Distanz. Der Vater erinnert an die vermutlich verstorbene Mutter. Mit dem Ausspruch („…vergiss nicht die Liebe Deiner Mutter“) wird das Kind in eine defensive Haltung gedrängt.
In den nächsten Zeilen vergleicht der Vater sein Kind mit dem dicken Jungen und appelliert an Kameradschaft und Konkurrenz. Die Enttäuschung des Kindes über dieses Verhalten des Vaters ist erkennbar und wird durch eine schlaffe Körperhaltung begleitet.
Im weiteren Verlauf der Kurzgeschichte wird das Reiseziel sichtbar. Es wird beschrieben, dass das Internat von der Abbildung in einem Prospekt abweicht. Erneut muss das Kind eine Enttäuschung ertragen und merkt, dass seine Vorstellung nicht unbedingt in der Realität vorhanden sein muss..
Das der Vater sich erneut mit Schönfärberei beschäftigt wird in der Zeile „49“ deutlich. In diesen Zeilen wird von den sportlichen Werten gesprochen. Das Kind bekommt zum ersten Mal ein männliches Wesen zugedacht.
Damit wird dem Leser bewusst, dass Gabriele Wohmann ein Kind für die Geschichte ausgewählt hat, dass schmächtig ist. An dieser Stelle wird zum ersten und einzigen mal ersichtlich, ob das Kind eine Junge oder Mädchen ist. Der Junge dürfte sehr zart und unjugendlich sein.
In den nächsten Zeilen wird die Wirkung eines Sportplatzes auf das Kind beschrieben. Der hohe Zaun, eine einheitlich schwarz wirkende Kindermasse und die planlose Bewegung der Kinder erzeugen eine dunkle Gefängnisatmosphäre.
Die Kinder spielen mit einem eiförmigen Ball. Dieser wird in der Phantasie des Kindes zu einem schwerfälligen, schwarzen Vogel. Dieser Vogel kann seine Schwerfälligkeit durch eine Veranlagung oder eine Krankheit erhalten haben. Der Ball erhält in dieser Phase eine besondere Bedeutung.
Es kann mit dem Vogel vor dem flüchten und dem erzieherischem Einfluss des Vaters und der Umgebung entfliehen.
Während das Kind gedanklich weiter mit dem Ball spielt bleibt der Vater in seinem Gesprächsmuster. Seine moralische Wortwahl („ Behalte all das in Erinnerung", sagte der Vater. "All das Schöne und Liebe, das deine Mutter und ich dir zu geben versucht haben. Und wenn′s mal trübe aussehen sollte, denk zum Beispiel an heut Nachmittag. Das war doch ein richtiger lustiger Ausflug. Denk immer an heut Nachmittag, hörst du? An alles, an die Wäffelchen, an Wicklers Schau, die Plattform, an den Jungen auf dem Fahrrad) erinnert an eine erzieherische Maßnahme. Erst als das Kind Begreift, dass es bislang eine sehr beschränkte Sicht auf die Situation des Vaters hatte erkennt es die Schwachpunkte der „Vater-Kind-Beziehung“. Sofern man dem Kind unterstellt, dass es durch das Wort „es“ begriffen hat, das der Vater nur einen positiven Lebensweg für sein Kind möchte und es geprägt hat und weiter prägen möchte kann man ergänzen, das dass Kind seine inferiore Rolle als lernende Rolle wahrnimmt. Ob es sich zu einem Mann im Sinne der Vorstellung von Muskeln und Kraft entwickelt bleibt offen. Sofern es diesen Weg nicht nimmt bleibt es in seiner Unförmigkeit ein egozentrisches „es“. So bald eine Veränderung des Kindes stattfindet wird sich auch die Vater-Kind-Beziehung zu einer Vater-Sohn-Beziehung verändern.
Diese Kurzgeschichte folgt einem kurzen und schnörkellosen Erzählstrang. Dieser lässt zwar verschachtelte Sätze zu, hält diese aber in einem kleinen Rahmen.
Die Rhetorischen Fähigkeiten der Personen werden nicht konkret beschrieben. Es wird lediglich lesbar, dass die Gestik selten vorkommt und manchmal gestenlos gesprochen wird.
Der Text ist in viele kleinere Absätze unterteilt wobei man in den Zeilen 1-8 von einer Zeitraffung sprechen kann. In den folgenden Zeilen wird dann die Fahrt beschrieben bis es dann ab Zeile 64 zu einer Zeitdehnung kommt, die bei Zeile 67 endet. Ab Zeile 76 kommt es zum Abschied zwischen Vater und Sohn. Diesen letzten Absatz kann man als Schluss einordnen
Mit einer Erzählzeit von rund 7 Minuten lässt sich diese Geschichte sehr schnell lesen. Sie ist leicht verständlich. Die Vielen Dialoge tragen dazu bei. Gabriele Wohmann lässt die Geschichte von einen auktorialen Erzähler in der Er-Form erzählen. Dialoge werden direkt wiedergegeben, es ist also eine Figurenrede.
Meiner Meinung nach geht es in dieser Geschichte darum, dass man nicht nur das eigene Leid sehen sollte, sondern auch andere würdigen und beachten sollte. Das Kind beachtet die Leiden des Vaters nicht, erst beim Abschied stellt es fest, „dass es noch nie daran gedacht hatte seinen Vater zu bedauern“
- Citation du texte
- Matze Mehling (Auteur), 2005, Wohmann, Gabriele - Denk immer an heut Nachmittag - Interpretation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109576