In einer Zeit, in der immer stärker die indirekte Kommunikation in den Fordergrund rückt, Menschen sich über elektronische Medien und unglaublich große Distanzen in Sekundenschnelle austauschen und ihren Gegenüber nicht mehr wirklich gegenüber wissen, scheint das „miteinander reden“ bei vielen Mitmenschen immer weiter in den Hintergrund gerückt zu sein. Man unterhält sich via Chat im Internet, schickt noch schnell eine Email an den Freund und fragt ihn per Kurzmitteilung über das Handy, ob die Email schon bekommen und gelesen wurde. Die Maßstäbe haben sich rapide verändert, Erwartungshaltungen sind größer geworden. Doch so praktisch und flexibel solche Kommunikationsmedien auch sein mögen, so ersetzen sie nicht die oft wesentlich unmissverständlichere face-to-face Verständigung zwischen zwei oder mehr Kommunikationspartnern.
Die Fähigkeit, mit Kommunikations- und Beziehungsstörungen klarzukommen, bei den meisten Menschen nicht besonders ausgebildet zu sein, obwohl wir jeden Tag aufs Neue die Chance haben, unsere Kompetenzen dorthingehend auszubauen. Jeden Tag liegt unausgedrückter Groll in der Luft und bleibt Verletztheit durch Arbeitskollegen oder Lebenspartner verborgen. Aus Missverständnissen entstehen Konflikte, die nicht zufriedenstellend gelöst werden, sofern nicht einer der Konfliktbeteiligten einen Ausweg zu seinem Verhaltensschatz zählen kann.
„Was das heutige Leben auf dem Erdball so gefährlich macht, ist das gigantische Auseinanderklaffen zwischen technologischem Vermögen und zwischenmenschlichem Unvermögen. Es ist dringend geboten (wenn nicht schon zu spät), in der Fähigkeit zur Verständigung aufzuholen.“ (Schulz von Thun, 2004, S. 255)
Mit diesem so schönen Zitat von Professor Schulz von Thun findet diese Hausarbeit ihre Einleitung und beleuchtet die Fähigkeit der Kommunikation in einigen Facetten und setzt sie mit dem Thema Konfliktmanagement in Verbindung. Sowohl die zentralen Thesen aus Schulz von Thuns Klassiker „Miteinander reden“ werden besprochen, als auch die Probleme, die aus Missverständnissen und Unkenntnis entstehen können. Der Nutzen für die Praxis wird behandelt und im Zusammenhang damit abschließend auch die Punkte aufgeführt, die mich persönlich besonders an dieser Reihe beeindruckt oder gestört haben.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Nach welchen Gesichtspunkten habe ich das Buch „Miteinander reden“ ausgewählt?
3 Was sind Konflikte eigentlich?
3.1 Interpersonelle Konflikte
3.2 Phasen des Konfliktprozesses
3.3 Funktion von Konflikten
4 Was sind die zentralen Thesen des Buches?
4.1 Das Vier-Ohren-Modell
4.1.1 das „Sach-Ohr“
4.1.2 das „Selbstoffenbarungs-Ohr“
4.1.3 das „Beziehungs-Ohr“
4.1.4 das „Appell-Ohr“
5 Ausgewählte Probleme – von verschiedenen Seiten betrachtet
5.1 die Selbstoffenbarungsseite
5.2 die Sachseite
5.3 die Beziehungsseite
5.3.1 das Verhaltenskreuz
5.3.2 Einstellungssache
5.3.3 das Selbstkonzept
5.4 die Appellseite
5.4.1 Ausdruck und Wirkung
5.4.2 Reaktanz
6 Nutzen für die Praxis
6.1 Feedback
6.1.1 das Johari-Fenster
6.2 Kongruenz bzw. Authentizität
6.3 Schuld hat nur die Phantasie
6.3.1 die Schuldfrage
6.3.2 Interaktion und Interpunktion
6.4 der Feldherrenhügel – oder was ist Metakommunikation
7 Für welche Frage- und Aufgabenstellung ist das Buch zu empfehlen?
8 Was mich besonders beeindruckt und gestört hat
9 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Was das heutige Leben auf dem Erdball so gefährlich macht, ist das gigantische Auseinanderklaffen zwischen technologischem Vermögen und zwischenmenschlichem Unvermögen. Es ist dringend geboten (wenn nicht schon zu spät), in der Fähigkeit zur Verständigung aufzuholen.“ (Schulz von Thun, 2004, S. 255)
Mit diesem so schönen Zitat von Schulz von Thun möchte ich diese Hausarbeit einleiten, die die von ihm beleuchtete Fähigkeit der Kommunikation in einigen Facetten näher betrachten und mit dem Thema Konfliktmanagement in Verbindung setzen soll. Ich werde darauf eingehen, warum ich Schulz von Thuns Reihe „Miteinander reden“ für eine detailliertere Besprechung ausgesucht habe, werde auf die zentralen Thesen des Buches eingehen, vor allem die Probleme besprechen, die aus Missverständnissen und Unkenntnis entstehen können, den Nutzen für die Praxis andeuten und im Zusammenhang damit abschließend auch die Punkte aufführen, die mich besonders an dieser Reihe beeindruckt oder gestört haben.
2 Nach welchen Gesichtspunkten habe ich das Buch „Miteinander reden“ ausgewählt?
In einer Zeit, in der immer stärker die indirekte Kommunikation in den Fordergrund rückt, Menschen sich über elektronische Medien und unglaublich große Distanzen in Sekundenschnelle austauschen und ihren Gegenüber nicht mehr wirklich gegenüber wissen, scheint das „miteinander reden“ bei vielen Mitmenschen immer weiter in den Hintergrund gerückt zu sein. Man unterhält sich via Chat im Internet, schickt noch schnell eine Email an den Freund und fragt ihn per Kurzmitteilung über das Handy, ob die Email schon bekommen und gelesen wurde. Die Maßstäbe haben sich rapide verändert, Erwartungshaltungen sind größer geworden. Doch so praktisch und flexibel solche Kommunikationsmedien auch sein mögen, so ersetzen sie nicht die oft wesentlich unmissverständlichere face-to-face Verständigung zwischen zwei oder mehr Kommunikationspartnern.
Aber auch hier, bei der direkten Kommunikation, zeigen sich weiterhin viele Menschen als unzureichend vorbereitet, ausgebildet und offen. Egal ob im beruflichen oder auch im privaten Bereich pflastern Missverständnisse die Unterhaltungen und das Miteinander von Kollegen, Familienmitgliedern, Freunden. Was über die elektronischen Medien fast unmöglich scheint, bietet auch über die face-to-face-Kommunikation mitsamt der Hilfe sozialer cues noch viele Problemflächen. In beinahe jeder sozialen Umgebung stößt man auf Problemstellungen, die sich aufgrund misslicher Verständigung ergeben haben und nur durch eine erneute Aussprache, ein erneutes Zusammensetzen behoben werden können.
Die Fähigkeit, mit Kommunikations- und Beziehungsstörungen klarzukommen, bei den meisten Menschen nicht besonders ausgebildet zu sein, obwohl wir jeden Tag aufs Neue die Chance haben, unsere Kompetenzen dorthingehend auszubauen. Jeden Tag liegt unausgedrückter Groll in der Luft, bleibt Verletztheit durch Arbeitskollegen oder Lebenspartner verborgen, ziehen Sticheleien ihre Bahnen, wird genörgelt, gemobbt, hinter dem Rücken des anderen gelästert, unfair gezankt oder auf falscher Ebene argumentiert, aneinander vorbeigeredet, unterdrückt, unangebracht vorgeworfen und nicht verziehen. Ob es nun die Problematik ist, zu sachlich zu agieren oder ob es falsche Interpretationen, Verdrängung, Projektion, fehlende Übung ist: Ich für meinen Teil habe mich für das Werk Schulz von Thuns entschieden, weil ich auch verstärkt bei mir diverse Fähigkeitslücken entdeckt habe, die mich schon das ein oder andere Mal in prekäre Situationen gebracht haben, die nicht notwendig schienen. Speziell in der Konstellation einer Fernbeziehung, wo Telefonate den Großteil der Kommunikation darstellen, sind viele Ansatzpunkte für „falsches“ bzw. ungenügendes Verhalten gegeben und es passiert schneller als man glaubt, dass nicht gemeinte Aussagen für bare Münze gehalten und das Gesagte nicht leicht erklärt und schon gar nicht zurückgenommen werden kann (auch, wenn man sich das sehr oft wünscht). Aus Missverständnissen entstehen Konflikte, die nicht zufriedenstellend gelöst werden sofern nicht einer der Konfliktbeteiligten einen Ausweg, ein Hilfsmittel oder eine Alternativlösung für das entstandene Problem in seinem Verhaltensschatz in petto hat.
So wurde aus dem persönlichen Interesse, Hintergründe und praktische Methoden zur Verbesserung der (Problem-)Situation in Augenschein zu nehmen das Interesse einer Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Konfliktmanagement“ und damit eine vertiefende Bearbeitung der Themen, die in der Reihe Schulz von Thuns aufgenommen wurden. Ich erhoffe mir dadurch nicht nur persönlich einen besseren Umgang mit den Möglichkeiten des Miteinander-Redens, einen umfangreicheren „Werkzeugkasten“ an Tools für das Kommunizieren, sondern auch ein tieferes Gespür der vielen Interaktionsansätze zu bekommen, die es zu bewältigen, zu verstehen und letztendlich natürlich auch zu nutzen gilt.
3 Was sind Konflikte eigentlich?
Bevor ich auf das eigentliche Hauptwerk dieser Hausarbeit zu sprechen komme, möchte ich gerne einleitend eine kleine Definition des Konfliktes an sich geben, um den sehr engen Zusammenhang zu verdeutlichen, der zwischen der „einfachen“ Kommunikationsfähigkeit und der hohen Kunst des Konfliktmanagements besteht.
Das Wort Konflikt stammt vom lateinischen confligere, was soviel bedeutet wie aufeinanderstoßen (Rocheblave-Spenlé, 1983). Konflikte und auch Konfliktverhalten sind Forschungsgegenstand der verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen und gehen weit über die Psychologie hinaus. Entsprechend gibt es viele unterschiedliche Definitionen und Ansätze Konflikte zu beschreiben.
Häufig verwendet wird der Begriff der “spannungsgeladenen Auseinandersetzung”, wo unterschiedliche Motive, Interessen und Einstellungen aufeinandertreffen (Nicholson, 1984; Glasl, 1998). Dies lässt vermuten, dass Konflikte negativ zu bewerten sind. Sie werden auch oft von vielen von uns im allgemeinen Sprachgebrauch mit Ärger, Streit und Versagen in Verbindung gebracht. Doch die Art, wie mit dem Konflikt umgegangen wird, ist entscheidend, ob er als positiv oder negativ zu bewerten ist (Kanning, 1997). Das wird auch im Laufe der Hausarbeit sehr deutlich. Neben der Anzahl der unterschiedlichen Theorien bestehen ebenso verschiedenartige Arten der Konflikte. Ich werde an dieser Stelle ausschließlich auf den interpersonellen Konflikt eingehen, weil er auch in Schulz von Thuns „Miteinander reden“ den größten Teil der Aufmerksamkeit bekommt.
3.1 Interpersonelle Konflikte
Eine Möglichkeit Konflikte einzuteilen, ist sie nach der Anzahl der am Geschehen beteiligten Personen zu unterscheiden. Es wir häufig getrennt zwischen:
- intrapersonellen (innere oder seelische Konflikte) und
- interpersonellen (äußere oder zwischenmenschliche) Konflikte (Crisand & Reinhard, 1995; Hagedorn, 1994).
Nicht immer lassen sich diese Formen klar voneinander trennen. Ein intrapersoneller Konflikt kann die Ursache für einen interpersonellen Konflikt sein. Die intrapersonellen oder auch innerpsychischen Konflikte liegen in der Unvereinbarkeit mehrerer Verhaltenstendenzen in einer Person und können als Entscheidungsproblem aufgefasst werden (Hagedorn, 1994). An interpersonellen Konflikten sind mindesten zwei Personen beteiligt. Man kann diese Konfliktform an verschiedenen Merkmalen festmachen (Hagedorn, 1994; Neubauer, 1988).
Es besteht eine Interaktion, also ein aufeinander bezogenes Kommunizieren; das heißt nicht zwangsläufig ein grobes Gewalthandeln.
Es treffen unterschiedliche Vorstellungen, Wahrnehmungen oder Denkweisen aufeinander, die mit einem unterschiedlichen Realisierungshandeln verbunden sind.
Zu einem späteren Zeitpunkt kann dies auch das Gefühlsleben oder die Intenti onen der Beteiligten beeinträchtigen.
Wenigstens eine Partei erlebt die Interaktion so, dass sie die Gründe für das Nicht- Verwirklichen der eigenen Gedanken oder Vorstellungen der anderen Partei zuschreibt; wobei es nicht wichtig ist, ob dies der anderen Partei bewusst ist oder nicht (Glasl, 1998, S. 15).
3.2 Phasen des Konfliktprozesses
Im Allgemeinen durchlaufen Konflikte unterschiedliche Phasen, die aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich werden.
Phasen eines Konfliktprozesses, modifiziert nach Knopf, 1996, S. 37
Im Verlauf eines Konfliktes kann dieser die Wahrnehmungsfähigkeit und das Denk- und Vorstellungsleben so sehr beeinträchtigen, dass die Dinge, die um einen herum geschehen, nicht mehr richtig wahrgenommen bzw. ausgeblendet werden. Auch die Gefühle werden stark beeinträchtigt, und die Menschen fühlen sich zwischen verschiedenen Empfindungen hin und her gerissen. Im Laufe der Zeit breiten sich stärkere Gefühle aus, die sich schließlich festsetzen und eine Eigendynamik entwickeln. Ähnlich gravierend sind die Veränderungen im Willensleben der Betroffenen (Stichwort: Wirkung und Manipulation). Die Personen fixieren sich einseitig auf ihre vermeintlichen Interessen, die sie später dazu veranlassen Dinge zu tun, die sie normalerweise ablehnen würden. All diese seelischen Faktoren wirken zusammen und führen dazu, dass die Parteien immer mehr die Kontrolle über sich und den Konflikt verlieren (Glasl, 1998, S. 34f.).
Auch Winter und Hagedorn stimmen mit Schulz von Thun überein, dass häufig Verständigungsstörungen der Grund für Konflikte sind. Diese Störungen können auftreten, weil sich Kommunikation auf verschieden Ebenen abspielt und es passieren kann, dass es dabei zu widersprüchlichen Botschaften an die Gegenseite kommt (Winter, 1997; Hagedorn, 1994).
3.3 Funktion von Konflikten
Nun stellen wir uns wahrscheinlich die Frage: „Wozu sind Konflikte dann eigentlich gut?“. Konflikte sind meistens unerwünscht, und oftmals besteht das Bedürfnis, sie sofort beizulegen oder zu lösen. Die Angst vor Konflikten entsteht dadurch, dass sie die Ordnung und die produktive Leistung unterbrechen, viel Energie kosten und schlimmstenfalls zur Zerstörung des Systems führen, egal ob man nun von einer kleinen Zweierbeziehung spricht oder von einer ganzen Unternehmenskultur (langfristig gesehen). Werden für beide Parteien akzeptable Lösungen gefunden, dann haben Konflikte natürlich auch positive Seiten und sind durchaus auch erwünscht.
Konflikte bringen aber auch neue Erfahrungen mit sich und die Erfahrungen mit Konflikten mit niedrigen Kosten können als Training für Konflikte mit hohen Kosten dienen. Demnach werden Systeme, in denen Konflikte nicht zugelassen werden, wahrscheinlich sehr anfällig sein, ungefähr so wie eine Person, die nie eine ansteckende Krankheit hatte (Galtung, 1972). Auch können Konflikte als wichtige Signale gesehen werden, denn oft macht erst das Ausbrechen eines Konfliktes allen Betroffenen deutlich, dass es unterschiedliche Interessen gibt und dass die Beziehung zwischen den Konfliktparteien anders als bisher geregelt werden muss (Haumersen & Liebe, 1998). Werden sie aufgegriffen und produktiv gelöst, können sie eine Chance zur Entwicklung und Verbesserung der gegenseitigen Beziehung sein. Konflikte verhindern außerdem die Stagnation und regen Interesse und Neugierde an (Deutsch, 1976). Für Gruppen können Konflikte auch eine festigende Funktion haben. So lassen sie Grenzen zwischen einzelnen Gruppen hervortreten und stärken dadurch den inneren Zusammenhalt einer Gruppe (Krysmanski, 1971).
Ob ein Konflikt diese positiven Funktionen hat, liegt nicht an der Art des Konfliktes, sondern an der Art, wie mit ihm umgegangen wird (Faller, 1998).
4 Was sind die zentralen Thesen des Buches?
Friedemann Schulz von Thun hat in seinem Werk „Miteinander Reden“ auf verschiedenen Modellen der Kommunikation aufgebaut, die ich an dieser Stelle zumindest nennen möchte, wenn auch nicht in allem Detailreichtum.
Karl Bühlers (Herkner, 1993) Modell der Kommunikation aus dem Jahre 1934, das die Beziehungen zwischen Zeichen und Benutzer und zwischen Zeichen und Objekt aufzeigt, darüber hinaus aber auch den sozialen Aspekt der Sprache betont, diente als eine der ersten Modellgrundlagen.
Pragmatische Aspekte menschlicher Kommunikation sind von Watzlawick, Beavin & Jackson (Watzlawick et al., 2000) im Bereich der psychisch bedingten Sprachstörungen näher betrachtet und entwickelt worden. Sie versuchten, Regeln menschlichen Kommunikationsverhalten mit Begriffen aus der Mathematik und der Kybernetik und deren Regelhaftigkeit durch fünf verschiedene Axiome zu beschreiben.
Ausgehend von Watzlawicks Axiom(en) und einigen anderen Ansätzen der humanistischen (Kommunikations-)Psychologie von Karl Bühler, Carl Rogers, Alfred Adler, Ruth Cohn und Fritz Perls entwickelte Schulz von Thun sein Kommunikationsmodell: „Das Nachrichtenquadrat“. In Erweiterung der Modelle hat er ein „Vier-Ohren-Modell der Kommunikation“ formuliert. Auf Basis dieser Vier-Ohren-Theorie sind die zentralen Thesen des Buches auf das Verständnis und das Wissen von vier Seiten aufgebaut und legen Probleme bei der Kommunikation als Folge fehlender Kenntnis über die Seiten an sich oder deren Nutzung dar.
4.1 Das Vier-Ohren-Modell
Während einer Unterhaltung kann also ein Aspekt besonders deutlich werden, während andere Aspekte in den Hintergrund rücken und somit zu Verständigungsproblemen und Missverständnissen führen. Hier eine kleine Grafik der vier Seiten einer Nachricht zur Übersicht.
Eine Nachricht – vier Seiten 1
4.1.1 das „Sach-Ohr“
So z.B. der Sachinhalt, der isoliert betrachtet nur die Sache meint, über die jemand informiert (Schulz von Thun, 2004, S. 26). Ein Sachverhaltenskonflikt könnte demnach ein Mangel an Information, Fehlinformation oder eine unterschiedliche Einschätzung darüber sein, was wichtig ist (Faller, 1998).
4.1.2 das „Selbstoffenbarungs-Ohr“
In einer Kommunikation ist aber nicht nur Information über eine Sache enthalten, sondern es ist auch immer eine Auskunft über die Person selbst vorhanden. Schulz von Thun (2004) wählt den Begriff der Selbstoffenbarung, um damit nicht nur die gewollte Darstellung der eigenen Person sondern die oft auch eher unfreiwillige Selbstenthüllung einzuschließen. Wie ich später noch anspreche, laufen viele dieser Selbstoffenbarungen und –enthüllungen nicht nur verbal über die direkte Diskussion ab, sondern kommen auch oft über nonverbale Pfade des Weges.
4.1.3 das „Beziehungs-Ohr“
Ein weiterer Aspekt der Kommunikation ist die Beziehungsebene. Auch diese kann sich auf der nonverbalen Ebene ausdrücken, im Tonfall oder auch auf die Art, wie jemand das Gesagte formuliert. Die Beziehungsebene unterscheidet sich von der Selbstoffenbarungsebene insofern, dass sie keine Ich-Botschaft enthält, sondern eine Du- und eine Wir-Botschaft (mehr dazu in Kapitel 5.3.1 auf Seite 17). Sie sagt also etwas darüber aus, wie eine Person die Beziehung zu einer anderen definiert, und auf der anderen Seite, welche Fähigkeiten oder Unfähigkeiten sie ihrem Gegenüber zuschreibt (Schulz von Thun, 2004). Ist die Beziehung z.B. falsch definiert, können viele Verständigungsversuche auch daran scheitern, dass sie in der Art ihrer Wirkung falsch eingeschätzt werden, weil davon ausgegangen wird, dass man das, was man gerne sagen möchte, nicht sagen dürfe und deshalb auf indirektem Weg erreichen müsse (Dieterich, 1982).
Watzlawick, Beavin & Jackson (2000) stellen in ihrem dritten Axiom den Beziehungsaspekt dem Inhaltsaspekt gegenüber. Wörtlich heißt es: “Wir finden somit in jeder Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.” Gemeint ist damit genau wie bei Schulz von Thun, dass in jeder Kommunikation eine Information über einen Sachinhalt enthalten ist, und gleichzeitig eine Information darüber, wie die Senderin ihre Beziehung zu ihrem Gegenüber sieht. Diese Beziehungsebene wird aber nur selten bewusst und ausdrücklich definiert.
4.1.4 das „Appell-Ohr“
Von der Appellebene wird gesprochen, wenn etwas Gesagtes auf eine bestimmte Wirkung abzielt. Wir möchten z.B. die Empfängerin zu einer bestimmten Handlung veranlassen oder ihr Denken in einer bestimmten Richtung beeinflussen. Extrem geschieht dies, wenn auch alle drei anderen Seiten einer Nachricht darauf ausgerichtet sind, auf den Gegenüber Einfluss zu nehmen. In diesem Fall würde man von Manipulation sprechen (Schulz von Thun, 2004). Auch darauf werde ich noch gesondert an späterer Stelle eingehen, denn auch diese Seite birgt einige wichtige Gefahren und Probleme.
Doch bevor ich weiter ins Detail gehe, hier ein kleines Beispiel:
Herr Meier sagt während einer Teamsitzung zu Herrn Müller: „Es muss noch eine Dokumentation für unser Problem von letzter Woche erstellt werden.“ Herr Müller antwortet: „Ich weiß.“
Die Nachricht des Senders
Sachinhalt: Die Dokumentation muss erstellt werden.
Selbstoffenbarung: Ich bin schlecht gelaunt; die fehlende Dokumentation stört mich!
Beziehung: Herr Müller, ich bin hier der Chef und Sie sollten schleunigst die Do- kumentation nachliefern, sonst...
Appell: Stellen Sie die Dokumentation fertig!
Die Nachricht des Empfängers
Sachinhalt: Ich weiß, dass die Dokumentation noch erstellt werden muss.
Selbstoffenbarung: Ich bin sowieso schon überlastet und habe für so einen Quatsch keine Zeit!
Beziehung: Herr Meyer, Sie sind hier zwar der Chef aber ohne mich kommen Sie nicht aus!
Appell: Suchen Sie sich einen anderen dafür!
Anhand dieser Gesprächsanalyse wird deutlich, dass bei einer Kommunikation stets alle vier Seiten gleichzeitig zur Geltung kommen. Die Betonung einer Seite des Quadrates (beim Senden und Empfang!) birgt die Gefahr, dass die Sendeabsicht nie mit dem Empfangsresultat übereinstimmen wird. Das Modell hilft dabei, die eigene Kommunikationsfähigkeit fortzuentwickeln, möglichen Konflikten vorbeugend entgegenzuwirken und Kommunikation zum miteinander und nicht zum gegeneinander Agieren zu fördern. Ist die Verständigung zwischen den Kommunikationspartnern effektiver und kann dies zur Zufriedenheit der Mitarbeiter, einem besseren Betriebsklima, zu einer höheren Produktivität und zum Projekterfolg führen.
5 Ausgewählte Probleme – von verschiedenen Seiten betrachtet
Alle diese Seiten bergen auch Schwierigkeiten, die oft nicht auf den ersten Blick zu ersehen sind, dennoch und gerade deswegen oft schwer wiegen. Da schon die Seiten einer Nachricht parallel angesprochen werden, eine Nachricht alle vier Seiten zur gleichen Zeit beinhaltet, hängen auch viele dieser Hindernisse und Probleme durch ihre Verflechtung dich miteinander zusammen. Dennoch hat jede Seite ihre eigenen spezifischen Probleme.
5.1 die Selbstoffenbarungsseite
«Die emotionale Belastung des Senders wird am deutlichsten in Situationen, die hauptsächlich um der Selbstoffenbarung willen stattfinden.» (Schulz von Thun, 2004). Der Sender weiß (bewusst oder unbewusst), dass sein Output, seine Nachricht auch unter Aspekten der Selbstoffenbarung geprüft, aufgenommen und verarbeitet wird. Dass deshalb gewisse (Selbstoffenbarungs-)Ängste entstehen, ist nicht verwunderlich. Ein gutes Beispiel ist ein Satz, der uns Psychologen nach Bekanntgabe des eigenen Studienfach so häufig entgegengebracht wird: „Oh, dann muss ich ja jetzt aufpassen, was ich sage, weil du mich ja analysierst!“. Man rechnet damit, dass man als Psychologe quasi auf das Analysieren getrimmt oder zumindest sehr gut darin ausgebildet wird, dann also auf die Selbstoffenbarungsseite der Nachricht des Gegenübers besonders sensibel reagiert und es sofort zu deuten weiß, was auch immer dahinter steckt. Übrigens neige ich in solchen Situationen immer dazu, die direkte Antwort zu geben, dass ich dazu keinen Satz benötige, sondern sich alles bereits über Gestik und Mimik äußert, was die neue Bekanntschaft dann natürlich in Angst und Schrecken versetzt und mir das Lächeln ins Gesicht treibt. Aber dazu mehr auf Seite 23, wenn verborgene Schlüsselreize näher betrachtet werden.
Wir begegnen dem Problem des Konfliktes und Streitens, des Versuches der Konfliktlösung in Familie und Beruf, in Gesprächen zwischen Kindern, Kindern und Eltern und auch zwischen Erwachsenen: Unverständnis und unausgesprochene Konflikte hinterlassen Stress und „dicke Luft“ und dieser Stress ist bei der nächsten Begegnung wieder da. Der günstige Moment, in dem man reinen Tisch machen könnte, kommt nicht von selbst, wird vielleicht sogar aus Angst vermieden, die innere Spannung wird bewusst oder auch unbewusst verdrängt. Angst vor offener Konflikt-Austragung verstärkt die Anspannung und kann der Anfang einer negativen Beziehungsentwicklung sein.
Wenn wir beginnen, unsere Erfahrungen hinter unseren Aussagen ernst zu nehmen, begegnet uns die ganze Palette unserer Gefühle. Nicht nur die heitere und positive, auch die Schattenseite drängt zum Ausdruck: Verlusterfahrungen erzeugen vielleicht Tränen der Trauer oder Wut und Aggression, aus Erfahrung von Niederlagen, Aufregung und Stress entstehen Verzagtheit, die weiter vorne bereits angesprochene Angst und Unsicherheit. Das Offenlegen von Erfahrungen und Gefühlen scheint erst noch ein Umweg zu sein, aber nur wenn wir zu diesem Umweg bereit sind, erreichen wir Beziehungsklärung und mitmenschliches Verstehen.
Wir können uns darin üben, im Fall von Widersprüchen, Konflikten und Problemen nicht primär eine (nämlich größtenteils unsere!) Lösung anzustreben, sondern in einen Prozess des Aushandelns zu treten: Kontakt, Selbstdarstellung, Verstehen und Aushandeln - das ist Konfliktmanagement durch Streiten! Beidseitiges Ansprechen von Erfahrungen, Zielen und Gefühlen (ohne den anderen/die andere zu überfahren oder den eigenen Minderwertigkeitsgefühlen zu verfallen), sowie der Perspektivenwechsel verwandeln den „Streitstress“ in gespannte Erwartung von mehr persönlichem Verständnis und Autonomie.
Ein weiteres Problem der Angst vor Selbstoffenbarung, auf das ich aber erst später eingehen möchte (siehe Seite 19), ist die Gefahr der Projektion und Übertragung auf den oder die Kommunikationspartner.
5.2 die Sachseite
Welchen kommunikationspsychologischen Problemen muss man sich beim Austausch von Sachinformationen stellen? Was kann hier passieren und schiefgehen?
Ziel ist es, seinen Standpunkt in einer Diskussion mit Respekt vor dem Gegenüber und dessen Meinung darzustellen und festzulegen und im besten Fall am Ende eines Gespräches etwas aus dem Prozess des Dialoges herauszubekommen, was reicher ist als das, was an Input von den Gesprächspartnern investiert wurde. Doch ist auch dieser Weg oft steiniger als er scheint: Es besteht
die Gefahr der Unsachlichkeit („Das gehört nicht hierher!“)
die Gefahr von Störungen, wobei hier nicht unbedingt nur die externen Stö rungen gemeint sind, sondern z.B. auch Emotionen, die unausgedrückt im Hintergrund schwelgen und die Kommunikation be- und sogar verhindern können. Auch Zerstreutheit und Müdigkeit, Antipathie und Müdigkeit können solche Störungen hervorrufen, die – werden sie nicht deutlich gemacht – eine starke Blockade bilden können.
die Gefahr von Kühle. Gerade dieser Punkt ist gegenüber der männlichen Gesprächsseite oft Kritikpunkt der weiblichen Seite einer Diskussion. Man kennt die klassische Situation: der Ehemann kommt von der Arbeit nach Hause, seine Ehefrau ist bereits da und will ihm erzählen, was sie heute al les erlebt hat. Er hört zu, gibt gegebenenfalls Problemlösungen, die seine Frau eigentlich gar nicht hören wollte und schaltet ab, weil er seinen Nutzen (als Zuhörer) bei der Diskussion nicht sieht. „Du bist so kühl, so unnahbar. Du interessierst dich nicht für das, was ich erlebe und dir erzählen möchte.“ So oder so ähnlich könnte der Anfang eines Streitgespräches sein, das tat sächlich kreisrund ist und immer wieder auf die selben Punkte zurückfallen kann. Vielleicht fühlt sich der Mann unwohl bei dem Gedanken, jeden Satz seiner Frau mit einer der zahlreichen Gesprächstechniken zu erwidern (Blickkontakt halten, Aufmerksamkeitsreaktionen zeigen, aktiv zuhören und zusammenfassende Verständnisfragen stellen, etc.), die unter Frauen viel häufiger und intensiver ausgetauscht werden.
Oft läuft man Gefahr, seine Gesprächpartner und deren „Mittel“ zur Kommunikation nach den gleichen Kriterien zu beobachten, nach denen man sich auch selber sieht beurteilt. Für einen selbstverständliche Verhaltensweisen werden nicht beim anderen gefunden und vermisst, vielleicht sogar unbewusst eingefordert. Wut entsteht, die Stimmung schlägt um. Die Sachlichkeit ist dabei nicht selten der Leidtragende. Möglicherweise ist in dieser Situation ein Gespräch über die Beziehungsseite der Nachricht vonnöten…
5.3 die Beziehungsseite
Die Beziehungsseite ist meiner Meinung nach die wichtigste der vier Seiten und wird deshalb von mir auch am detailreichsten beschrieben. Sie kommt Watzlawicks Aussage, keine Kommunikation sei nicht möglich, sehr nahe. Die Sachseite, die ich im vorherigen Kapitel genauer betrachtet habe, kann nicht vermittelt werden, ohne den Menschen vor sich in irgendeiner Weise zu behandeln oder zu misshandeln. Alleine dadurch, dass ich überhaupt mit ihm spreche, ein Wort an ihn richte, zeige ich, dass er für mich existiert und nicht nur aus Luft besteht.
Gerade in (Liebes-)Beziehungen haben die Partner oft ein extrem offenes Ohr für die Beziehungsseite der Nachricht und reagieren weniger auf das, was der Partner sagt (Sachseite), sondern vielmehr auf die Art und Weise, wie er es sagt (Mandel u.a. 1971, S. 124, zit. nach: Schulz von Thun, 2004, S. 156). Wichtig hierbei: über die Augenblickswirkung dieser Botschaften hinaus tragen sie langfristig auch noch zum Selbstkonzept des Empfängers bei („So einer bin ich also!“).
In den letzten Jahren ist auf diese Seite vermehrt der Fokus gerichtet worden. Gerade in Bereichen wie den Human Relations wurde die Seite der Beziehung zunehmend funktionalisiert, d.h. missbraucht und zur Manipulation benutzt. So werden in Human-Relations-Trainings Methoden ausgebildet, die den Mitarbeitern das Gefühl von vollwertiger Akzeptanz und Vollwertigkeit vermitteln sollen, so dass Motivation und Arbeitswille hochgehalten werden. So geht also die humane Einstellung flöten und macht Platz für den effektiven Gedanken der Wirtschaft, die menschliche Arbeitskraft so gut und lange wie nur irgend möglich zu schröpfen und auszubeuten. Natürlich gibt es auch hier wiederum zwei Seiten, denn auch die Lust an der Arbeit wird natürlich durch solche Maßnahmen gesteigert und egal aus welchen Anlässen auch immer: die Arbeitskraft wird sich besser fühlen, sofern sie nicht merkt, dass ihr nur „Honig ums Maul“ geschmiert wird.
5.3.1 das Verhaltenskreuz
Genau betrachtet enthält die Beziehungsseite zwei bereits früher angedeutete Aspekte:
1. die Du-Botschaften: „So einer bist du in meinen Augen!“ – Wie sieht der Sender den Empfänger?
2. die Wir-Botschaften: „So stehen wir zueinander (…nicht wahr?)“ – Bezie hungsdefinition des Senders.
Nicht immer sind diese zwei Gesichtspunkte klar voneinander abzugrenzen, dennoch ist ihre Unterscheidung kommunikationspsychologisch zweckmäßig und sinnvoll, denn je nach Wort- und Tonwahl der Nachricht können verschiedene Beziehungsdefinitionen entstehen. Schulz von Thun nennt diese verschiedenartigen Möglichkeiten das Verhaltenskreuz (Schulz von Thun, 2004, S. 162). Dabei gibt es zwei verschiedene Achsen, die sich natürlich jeweils gegenüberstehen:
1. Wertschätzung vs. Geringschätzung
2. Lenkung/Bevormundung vs. Einräumen von Entscheidungsfreiheit
zu 1: Wertschätzung ist „Höflichkeit und Takt, freundliche Ermutigung und Reversibilität im Sprachverhalten“ (Schulz von Thun, 2004). Besonders in hierarchischen Beziehungen (Vorgesetzter – Untergebener, Lehrer – Schüler, Elternteil – Kind) spielt das eine große Rolle, denn wenn jemand in einer Art mit mir redet, wie ich auch mit ihn reden könnte (ohne dabei natürlich die Beziehung zu gefährden), zeugt das von Respekt und Wertschätzung.
Geringschätzung ist das Gegenteil: der Empfänger wird vom Sender als minderwertig behandelt, herabgesetzt, vielleicht sogar gedemütigt.
zu 2: Lenkung/Bevormundung: Anweisungen, Vorschriften, Fragen, Verbote – der eigene Einfluss übernimmt einen Großteil der Entscheidungen des Empfängers, der sich daraufhin natürlich oft Widerstand auslöst (als Ausdruck des Wunsches nach Selbstbestimmung, Eigeninitiative, Verantwortung und der freien Entfaltung). Vermittelt der Sender dem Empfänger durch seine Art des Redens eine große Entscheidungsfreiheit und damit Autonomie, ist die Folge auch geringerer Protest (es sei denn, wir haben es hier mit einem sehr entscheidungsunfreudigen Menschen zu tun, der keine Verantwortung übernehmen möchte).
5.3.2 Einstellungssache
Auf der Beziehungsseite wird also deutlich, was der Sender vom Empfänger hält. Das bedeutet also, dass mein Verhalten gegenüber meinem Gesprächspartner stark davon abhängig ist, wie ich ihn sehe, was ich für eine Einstellung ihm gegenüber habe, welche Vorurteile sich unter Umständen bereits durch Berichte anderer gebildet haben. Alles ist also durch die Brille der Wahrnehmung beeinflusst und oft auch stark selektiv und ergänzend, denn ich sehe, was da ist und bilde mir einen Reim darauf.
Doch nicht alles, was ich mir selber zusammenreime, muss auch der Wahrheit entsprechen. Im Gegenteil: sehr oft ist es sogar so, dass wir Fehlern der Wahrnehmung und unserem Unbewussten unterliegen. So kann es passieren, dass wir Dinge, die wir in uns selber haben, die uns stören und z.B. wütend machen, in jemandem anders sehen, oder besser gesagt vermuten zu sehen. Oft sind es sogar Gefühle, die man sich selber nicht eingestehen will, ja sogar bekämpft, weil sie nicht in das Selbstbild passen und somit auch – wenn sie bei dem Gegenüber „entdeckt“ werden – auf das Äußerste kritisiert und bekämpft werden. Hermann Hesse (in Demian, 1977) hat dazu einen sehr guten Satz geschrieben: „Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“ In der Psychologie wird dieser Vorgang Projektion genannt.
Bei der Übertragung geschieht etwas ähnliches: durch Dritte, an die wir uns (unbewusst) erinnern, werden in den anderen Eigenschaften oder Verhaltensweisen hineingelegt, auf deren Auftreten wir dann besonders achten, sozusagen auf der Lauer liegen. Aber auch als Empfänger selbst ist dieses psychoanalytische Konzept von entscheidender Bedeutung: Oftmals werden vom Sender in einem Gespräch Gefühle übermittelt, die nicht wirklich einem selbst gelten, sondern einem anderen. So kann der Sender seinem Ärger einmal „Luft machen“, ohne das es jedoch mir gilt. Verliert man das aus den Augen, ist man schon einmal schnell eingeschnappt, reagiert und fährt selber die Pranken aus, ohne das die Gegenseite das intendiert hatte und man befindet sich rasch wieder in einer Spirale, die den Ärger nicht ab- sondern aufbaut.
Wie schon angesprochen (siehe Seite 13), gibt es auch einen Zusammenhang zwischen Selbstoffenbarung bzw. der Angst davor und den zwei „seelischen Mechanismen“ Projektion und Übertragung (Schulz von Thun, 2004). Denn je mehr ich für mich behalte, nicht preisgebe und als Vermutung in die Hände anderer gebe, desto größer ist auch die Möglichkeit der Projektion oder Übertragung der anderen auf mich. Ohne echtes Feedback von meiner Seite, ohne dagegengestellte Selbstoffenbarung werden die Phantasien meines Gegenübers ja erst richtig angestachelt. Was fehlende Prüfung dieser Phantasien noch alles anrichten kann, dazu gehe ich in Kapitel 6.3 („Schuld hat nur die Phantasie“ - siehe Seite 26) noch genauer ein.
Zusammengefasst ist also festzuhalten, dass eigentlich jeder Kontakt auch immer ein Ringen um die Definition der Beziehung ist: was darf ich, was darf mein Gegenüber, was sage ich, was behalte ich für mich (weil es etwa zu intim ist), etc. Diese Beziehungsdefinition ist für den Sender genauso unvermeidbar wie es für den Empfänger auch nicht zu vermeiden ist, darauf abweisend oder bejahend zu reagieren.
5.3.3 das Selbstkonzept
Auch das Selbstkonzept eines jeden Kindes und Erwachsenen wird von den Du-Botschaften beeinflusst, wenn nicht sogar in großen Teilen gebildet. Implizite („Du bist so!“) oder explizite Botschaften von den wichtigsten Bezugspersonen, gesellschaftlichen Einrichtungen oder Institutionen kommen, formen schon die Kinder in jungen Jahren. Etikettierungen geben die Richtung vor und oft geben Gruppenzwang, das anders-sein-wollen oder einfach nur die jugendliche Teenager-Rebellion den Ausschlag zu Taten, die dann später kopfschüttelnd betrachtet werden.
Konfliktmanagement ist demnach nur schwer möglich, denn es fehlen der Raum und die Einstellung für ein „richtiges“ Selbstbild, unaufgezwungen von anderen, selbst gebildet durch eigene Erfahrungen und Erlebnisse. Es werden keine Optionen geboten, sondern nur festgefahrene Wege aufgedrängt und aufgestempelt. Anhand einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geschieht es nicht selten, dass die Menschen ihr aufgedrücktes Image auch erfüllen, sich anpassen an das Bild der anderen und es sogar noch gerne tun, weil sie dann wenigstens nicht im Nichts versinken und von keinem mehr beachtet werden.
Dementsprechend kann das Selbstkonzept ebenso als Macher von Erfahrungen fungieren oder diese in der Art verändern, in der wir es für uns akzeptieren können. So gehe ich mir unangenehmen Dingen aus dem Weg (verhindere die vermeintlich schlechte Erfahrung) oder ich nehme sie so verzerrt in mich auf, wie ich es für mein Selbstbild brauche, um es als positives aufrecht zu erhalten. Ein Beispiel: Durch das aufgedrückte Selbstkonzept der Masse, Frauen seien technisch nicht begabt, überbegeben sich viele Frauen diesem Schicksal, machen einen großen Bogen um technische Geräte und nehmen dann sogar diese von anderen aufgezwungene Behauptung als Entschuldigung zur Hilfe („Du weißt doch, wir Frauen sind technische Nieten!“). Am Ende fehlt nicht die Begabung, sondern vielmehr die Übung, die dann die eine oder andere Frau wirklich schlechter aussehen lässt als sie sich vielleicht hätte geben können. Auch ein Fall der self-fulfilling prophecy.
5.4 die Appellseite
Wohingegen die ersten drei Seiten und ihre Probleme zeigten, wie die Welt ist, wie Sender und Empfänger zueinander stehen, was sie selber denken, stellt die Appellseite eine etwas abgelöste Richtung dar: die Manipulation, den Einfluss, die Wirkungen, die erzielt werden sollen, um einen bestimmten Zustand herzustellen. Natürlich gehen auch mit dieser Seite Schwierigkeiten einher: wo eine Richtung ist, in der man Kommunikation nutzt, um etwas mitzuteilen, was andere auf dem Laufenden hält (über uns selber) oder was sie tröstet, da ist die andere Richtung geprägt von dem, was sein soll. Ich will z.B. erreichen, jemandem zu helfen, jemandem Gute Laune zu verschaffen, ihn (nicht) zu verletzen oder ihn zu einer bestimmten Tat zu bewegen. Diese zwei Richtungen nennt Schulz von Thun Ausdruck und Wirkung.
5.4.1 Ausdruck und Wirkung
Der ausdrucksorientierte Sender legt Gewicht auf das, was (in ihm) ist und vernachlässigt dabei die Wirkung (er wartet sie ab und nimmt sie in Kauf, aber er erzwingt sie nicht). Stimmigkeit und Wahrheit sind hier maßgebend.
Der wirkungsorientierte Sender hat den Gedanken als Grundlage, wie er etwas erreichen oder verhindern will und generiert auf dieser Basis seine Nachricht. Er nimmt auch in Kauf, dass seine Nachricht unter Umständen nicht das ausdrückt, was ist und fokussiert auf Takt und Taktik.
Für den Empfänger kann die Information sehr wichtig sein, in welcher Form und mit welchem Hintergrund der Sender sendet, denn der Hintergrund entscheidet letztendlich auch über meine eigene Haltung gegenüber dem Sender – bin ich vorsichtig, muss ich mit versteckten Dingen rechnen oder kann ich mich vertrauensvoll in die Hände des Senders begeben und alles für bare Münze halten, mir trösten oder helfen lassen.
Falsch wäre zu glauben, dass die ausdrucksorientierte Vorgehensweise „die bessere“ und gute wäre, wohingegen manipulieren immer „böse“ und verwerflich ist. Wer (bewusst oder unbewusst) nur auf Wirkung aus ist und den authentischen Ausdruck vernachlässigt, der wirkt nicht nur entfremdend auf sich selber sondern auch auf seine Mitmenschen, die dadurch auf bloße Objekte der Manipulation seinerseits herabgestuft werden. Bin ich nur auf Ausdruck orientiert und nicht daran interessiert, was ich mit meinem Verhalten anrichten kann, handele ich unverantwortlich, werde nie auf meine Bedürfnisse Rücksicht nehmen und zur Geltung bringen können. Ein Kompromiss muss her! Ich möchte z.B. sagen, was mich bewegt (=Ausdruck) und damit niemanden verletzen (=Wirkung).
Beide Kompetenzen können in Trainings gesteigert werden. „Wie steigere ich die Motivation meiner Mitarbeiter?“ wäre z.B. ein Managertraining, das vielleicht die Rhetorikstärken der Führungskraft anhebt. Die Ausdruckskompetenz wird tendenziell in therapeutischen Maßnahmen zur Verschärfung der Selbstwahrnehmung bearbeitet. Man lernt, besser auf die Zeichen des Körpers zu achten und sie zu deuten, so dass danach auch ausgedrückt werden kann, was mit einem los ist. Es geht also wieder einmal um das beliebte Thema Selbstoffenbarung.
5.4.2 Reaktanz
Mit jedem Appell geht man auch ein Stück in die Freiheitsregionen des anderen hinein, wagt sich in zum Teil sehr persönliche und intime Bereiche hinein, die natürlich geschützt und nicht unbeschränkt zugänglich sind und sein sollten. Deshalb ist es verständlich, wenn nach manchen Appellen einfach die Mauer hoch-, der Riegel vor einen fremden Wunsch, eine Bitte oder einen Befehl geschoben wird. Dabei mag es dann unwichtig sein, ob dieses Verhalten dann nachzuvollziehen ist oder nicht. Es geht dabei um Stolz, um Trotz und die Rettung der Ehre des Empfängers auf der Beziehungsseite. Merkt man das selber, kann man dieses Gefühl äußern und sich mitteilen. Gerade im Bereich des Konfliktmanagements ist dies von größter Bedeutung, denn so schwerwiegend Selbstgefühl und Würde auch sein mögen: wenn es zu Disputen und Streitigkeiten kommt, sind sie oft nur im Wege und erschweren die Lösungs- und Kompromissfindung enorm und am Ende ist es meiner Meinung nach schwieriger, sich für seine eigene „Dummheit“, für seinen Stolz zu entschuldigen als von Anfang an klar und deutlich zu sagen, warum es schwer fällt, auf diesen oder jenen Appell einzugehen.
Was Schulz von Thun (S. 216) mit „Appelle als Diebstahl eines Urhebererlebnisses“ bezeichnet, ist ähnlich interessant. Als Kind gab es bei uns in der Familie verteilte Aufgaben für mich und meine Schwester. Mal wusch der eine ab, mal musste der andere den Rasen mähen. Wann immer ich auf den Gedanken kam, meiner Mutter eine Freude zu bereiten und unaufgefordert das Haus durchzusaugen, kam in mir selber eine große Vorfreude auf, denn sie wusste ja nichts von meinem Vorhaben. Ein, zwei Male kam es dann zu bitteren Enttäuschungen. Meine Mutter war bereits fast aus der Tür hinaus auf dem Weg zum Einkaufen und rief mir noch im Hinauslaufen zu, dass ich ihr doch bitte noch eine Freude machen und durchsaugen könnte, während sie in der Stadt sei. Natürlich habe ich ihr den Gefallen getan, aber wieviel mehr Energie mich das im Vergleich zur vorher als Überraschung geplanten Aktion gekostet hat, war nicht mehr im Verhältnis zu sehen. Ich bin so nur meinen „Pflichten“ nachgekommen, wohingegen es vorher freiwillig gewesen wäre und somit wohl nicht nur mir sondern auch meiner Mutter eine viel größere Freude bereitet hätte.
Auch in Beziehungen lässt sich dieses Spiel beobachten: „Wann bringst du mir mal wieder Blumen mit?“ hat so manchen Ehemann schon in die Flucht geschlagen und dazu bewogen, nie wieder blumige Liebesgrüße zu besorgen, weil Liebesbeweise nicht bestellt werden können, sondern von Herzen und vor allem von alleine kommen. Appelle erschweren „spontanes“ Verhalten ungemein, machen es sogar unmöglich. «Dass alle Motive und Gefühle ihrem Wesen nach Spontan-Verhaltensweisen sind, ist eine Tatsache, die von appellierenden Sendern häufig unbeachtet bleibt.» (Schulz von Thun, 2004). Das eben angesprochene „Bring doch mal wieder spontan Blumen mit!“ wird zur Falle, denn bringt der Herr der Schöpfung sie wirklich mit, war es ja aufgrund der Aufforderung und lässt er die Gelegenheit aus, stellt sie die (liebesbeweisfordernde) Frage: „Nun habe ich dir schon gesagt, was ich gerne möchte und du machst es immer noch nicht! Hörst du mir nicht zu!?“. Eine Zwickmühle sondergleichen, die Geschenke nur noch halb so viel wert macht oder in tiefere Ebenen der Beziehungstücken führen kann.
Wären die Appelle einer Ehefrau hingegen verdeckt und indirekt, wäre eine Chance auf volle Freude und Eigeninitiative des Mannes gegeben. Der Vorteil verdeckter Appelle ist, dass sie den Gegenüber in eine emotionale Stimmung versetzen und nicht unbedingt zwingen, etwas zu tun. So kann etwas angesprochen, aber nicht unbedingt auf sich bezogen werden („Schau Schatz, was für ein herrlich duftender Rosengarten da drüben!“), was dem Empfänger die Chance gibt, den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen und die Blumen nach vermeintlich eigener Entscheidung zu kaufen und seiner Frau zu schenken, wenn diese vielleicht gar nicht mehr an diese Situation denkt. Der Vorteil für den Sender: er muss für seinen verdeckten Appell nicht die Verantwortung übernehmen und kann es mit dem oft gehörten „Das habe ich nicht so gemeint!“ abtun, was die Gefahr der Zurückweisung eines offen dargelegten Wunsches und der Verletzung dadurch mindert.
Ob diese Art der Appelle nun die ehrlichste ist, bleibt der eigenen Meinung überlassen. Sie kann in meinen Augen auch eine recht hinterhältige Art der Kommunikation sein, obwohl ja jeder Mann durchaus dankbar sein sollte für die fairen Tipps seiner Frau J.
6 Nutzen für die Praxis
6.1 Feedback
Wie schon auf Seite 13 angesprochen, gibt es verschiedene Wege der Kommunikation. Die direkte, die wir bewusst benutzen und die indirekte, die sogenannte verborgene Schlüsselreize für uns parat hält. So kann ein geschultes Auge Gestik und Mimik in einem ganz normalen Gespräch wahrnehmen und interpretieren und in Zusammenhang mit dem Geäußerten des Gesprächspartners bringen. Ist das eigene Auge nicht geschult, können die unbewussten cues aber dennoch eine Wirkung haben, manchmal sogar eine recht große: «Gestik und Mimik des Bürgers sind Signale, die die Jugendlichen im wahrsten Sinne „explodieren“ lassen. Sie sind der Funke, der den Aggressionskreis schließt.» (Kraußloch u. a., 1990, S. 110 zit. nach: Schulz von Thun, 2004, S. 71). In diesem Beispiel können diese unbewussten Zeichen der Erwachsenen zum Auslöser von Aggression im großen Rahmen sein oder zumindest als dieser interpretiert werden. Dieses Verhalten geht – nicht nur nach Schulz von Thuns Ansicht – auf sehr frühe kindliche Erlebnisse zurück, deren Erläuterungen hier den Rahmen sprengen würden. Zur Gestik und Mimik kommen dazu die Körperhaltung des Gegenübers, seine oder ihre Stimme und auch die Kleidung („Kleider machen Leute“). So kann man sich auch, wenn man nicht kommuniziert, nicht vor dem kommunizieren schützen (Watzlawick, P., und Beavin, J. H., 2000) und gibt bereits unbewusst Feedback.
6.1.1 das Johari-Fenster
Bei der Selbst- und Fremdwahrnehmung kommt ein weiteres wichtiges Modell zum Tragen: das Johari-Fenster. Bekannt ist: Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung sind zwei verschiedene Sichtweisen. Das vierteilige Johari-Fenster, nach den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham, ist ein einfaches Modell, das einen Vergleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung zulässt und mit Hilfe dessen man Veränderungen hinsichtlich der Wahrnehmung von (interpersonaler) Beziehungen darstellen kann. Es zeigt, dass es Verhaltensweisen gibt, bei denen unbeabsichtigte Mitteilungen zur eigenen Person vorgenommen werden, aber gleichzeitig große Bereiche der eigenen Wahrnehmung verborgen bleiben.
Nur ein Bruchteil des Verhaltens einer Person, das für eine soziale Situation relevant ist, wird wahrgenommen. Wesentliche Aspekte sind oft nicht bekannt, bewusst oder zugänglich, weder von der Person selbst noch von anderen.
Teil A: Bezieht man dieses Feld im Zuge unseres Seminarthemas Konfliktmanagement auf die Zusammenarbeit bspw. in der Gruppe oder im Team heißt dies, dass Motivationen und Verhaltensweisen der selbst und die aller anderen sichtbar sind. So kann eine Lösung durch das Gespräch mit anderen gefunden werden.
Teil B: Hier sind die unbedachten und unbewussten Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Vorurteile oder Zu- und Abneigungen zu finden. Dies kommt meist nonverbal in Form von Gestik und Mimik, aber auch durch Kleidung und Tonfall zum Ausdruck. Habe ich möglicherweise ein übertriebenes Geltungsbedürfnis, das von anderen wahrgenommen wird, mir selbst aber nicht bewusst ist, kann es über lang zur Isolation führen. Auch Gruppenzugehörigkeiten werden deutlich erkennbar. Oft ist auch der Tonfall, mit der z.B. eine Führungskraft zum Mitarbeiter spricht, für die Führungskraft nicht bewusst.
Teil C: Für die (Unternehmens-)Gruppe heißt dies zum Beispiel, dass hier interne Dinge verborgen sind, die auch intern bleiben, also nicht nach außen getragen werden sollen. Hier lässt sich die Gruppenidentität messen. Oder die Führungskraft, die ihr "Nicht-Wissen" vor Mitarbeitern verbergen möchte. Schwierig wird es auch, wenn einzelne Ziele nicht mehr mit der Gruppe konform gehen.
Teil D: Innerhalb von Diskussionen oder Gruppenarbeit können diese verborgenen Fähigkeiten und Kompetenzen entdeckt werden. Zum Beispiel erfährt ein Innendienstmitarbeiter seine Stärken und Begabung im Außendienst und im Vertrieb vor Ort, nachdem er schon lange Zeit unzufrieden im Innendienst seine Arbeit verrichtet hat.
Es gibt also wiederum vier Felder, vier Seiten der Wahrnehmung von sich und anderen, die es zu beachten gilt, bevor voreilige Schlüsse gezogen werden.
6.2 Kongruenz bzw. Authentizität
Wie sollte man sich also verhalten bzw. geben? Sollte man eher auf sein eigenes Image achten, oder den Sachinhalt einer Nachricht mit totaler Kühle hervorheben? Oder etwa nur auf die Beziehung zum Empfänger Wert legen? Ein Wegweiser vieler (Kommunikations-)Psychologen besagt: "Sei du selbst und gib dich nach außen so hin, wie du dich auch innerlich fühlst, aber tue dies nicht, bevor du dir nicht sicher bist, wie es in dir überhaupt aussieht. Dieser Wegweiser wird in der Psychologie oft mit den Begriffen Kongruenz oder Authentizität beschriftet Carl R. Rogers (in Rogers, 2004) bezeichnet damit den Einklang dreier Persönlichkeitsbereiche, nämlich dem inneren Erleben, dem Bewusstsein und der Kommunikation. Hierbei ergeben sich ein paar sehr wichtige Aussagen:
Je kongruenter eine Nachricht für den Empfänger gesendet wird, desto klarer und leichter zu interpretieren ist sie für ihn und desto sicherer weiß er, woran er ist.
Je weniger der Sender auf seine Selbstdarstellung Wert legt und sich verstellt und im Gegensatz dazu offen und ehrlich zu verstehen gibt, wie seine Gefühle und Gedanken aussehen, desto weniger muss der Empfänger auf der Hut sein. Somit kann der Empfänger sich besser auf das Wesentliche der Nachricht konzentrieren und intensiv zuhören.
Je mehr wiederum der Empfänger zuhört, desto mehr fühlt sich der Sender verstanden und desto größer ist seine Wertschätzung gegenüber dem Empfänger.
Und dies wiederum merkt der Empfänger, fühlt sich akzeptiert und bringt auch dem Sender gegenüber mehr Offenheit und Kongruenz entgegen.
So schaukeln sich positive Attribute im Gespräch gegenseitig hoch und verleihen diesem Qualität durch Kongruenz, positive Wertschätzung des Gegenübers und ein sensibles Einfühlungsvermögen. Die Schwierigkeit dabei ist sicherlich, den ersten Schritt zu machen und frei heraus zu kommunizieren, denn heutzutage werden leider immer noch zu viele Dinge nicht vertraulich genug behandelt, so dass man aufpassen muss, wie man sich wem gegenüber äußert. Ehrlichkeit wirkt oft verletzend und wird häufig nicht genug wertgeschätzt als dass sich diese Aufrichtigkeit verstärken und weiterführen ließe. Oft scheint es nicht unbedingt ratsam, den vollkommen ehrlichen Weg zu gehen, obwohl dieser oft einiges einfacher machen könnte.
6.3 Schuld hat nur die Phantasie
Für eine verbesserte Kommunikation kann es nur von Nachteil sein, wenn man seine Vermutungen und Ideen den anderen betreffend für sich behält und nicht äußert (siehe auch Ende Kapitel 5.3.2, Seite 19). Man schürt damit nicht nur Misstrauen und die Vorsicht des Zuhörers, sondern beraubt sich selber der Chance, eine korrekte Antwort vom Gegenüber zu bekommen oder in seiner Annahme bestätigt zu werden. Doch warum sollte man eine durch das ehrliche Mitteilen der eigenen Gedanken bezüglich der Gedanken des Gesprächspartners eine Bestätigung bekommen, eine Realitätsüberprüfung seiner eigenen Phantasien einholen, die möglicherweise sogar noch schmerzen und verletzen könnte? Dafür gibt es eine Handvoll Gründe (Schulz von Thun, 2004, S. 78)
1. Unausgesprochenes belastet die Kommunikation stärker („dicke Luft“)
2. Unausgedrückte Gefühle verwandeln sich in Gifte, die Leib und Seele von innen her angreifen, an einem fressen.
3. Ausgedrückte Gefühle ermöglichen eine Veränderung der emotionalen Realität: Erst wer seinen Hass, seinen aufgestauten Ärger, seine Abneigung gegen etwas ausgedrückt hat, kann auch wieder Liebe fühlen und vermitteln. Der Behälter der Liebe ist oft mit dem Korken der unausgedrückten negativen Gefühle verschlossen – doch solange dieser noch da ist, kann nichts Neues fließen und in Bewegung kommen.
4. Man ist nicht Fachmann für die Innenwelt des Gegenübers, kann nicht wissen, was er wirklich fühlt, wirklich möchte. Jede Art von Botschaft à la „Ich weiß besser als du, was du fühlst und was mit dir los ist!“ schadet der Kommunikation ungemein.
6.3.1 die Schuldfrage
Da nicht nur der Sender die alleinige Verantwortung für seine Botschaft hat, sondern auch der Empfänger gerade beim Feedback-Geben eine wichtige Rolle spielt, sollte dieser für seine Gefühle und Reaktionen ebenfalls Verantwortung übernehmen und auch klar und deutlich mitteilen, wie er die Nachricht aufgenommen hat. Dabei sollte es nicht um Schuldzuweisung gehen und darum, wer denn nun Recht hat und wer nicht. So ist es ein großer Unterschied, ob ich mich durch eine Äußerung verletzt fühle und dies auch genau so sage oder ob ich anstelle dessen meiner Wut und Verletzung Luft mache, in dem ich dem Gegenüber mitteile, dass er mich beleidigt hat, vielleicht gar mit Absicht! Im ersten Fall wird der Sender mit der Verletztheit des Empfängers bekannt gemacht, ihm wird es vereinfacht, da er nichts deuteln muss, sondern mit der Realität (des Empfängers) konfrontiert wird. Das spart oft nicht nur Zeit, sondern macht die Kommunikation auch transparenter und unmissverständlicher.
Also gibt der Empfänger Unterstützung, in dem er sich selbst der Situation bewusst wird, sich im Klaren darüber ist, was er wahrgenommen, was er interpretiert hat und was er daraufhin fühlt. Denn durch Äußerung dieser Gefühle wird er wiederum Feedback auf seine Rücksprache erhalten. Eine Interaktion entsteht…
6.3.2 Interaktion und Interpunktion
Selbst, wenn beide Kommunikationspartner aufgenommen haben, dass sie beide für das Ausgehen des kommunikativen Spiels verantwortlich sind, kommt dennoch sehr oft die Frage auf, wer denn nun eigentlich Schuld und angefangen hat. Der eine zieht sich zurück, weil der andere immer nörgelt und dieser meint nur aus dem Grunde zu nörgeln, weil ersterer sich immer zurückzieht. Watzlawick (1969) spricht hier von unterschiedlicher Interpunktion von Ereignisfolgen. Es wird willkürlich festgelegt, welches Verhalten Ursache und welches die Folge ist, dabei ist die Frage nach dem Anfang wahrscheinlich nicht zu beantworten, weil sich immer mehr „Aber ich habe nur so gehandelt, weil du…!“ auftun, denkt man nur lange genug nach. Die Suche nach dem ersten Huhn oder dem ersten Ei hat begonnen…
Nach dem Kommunikationsmodell Schulz von Thuns verlaufen Kommunikationsprozesse wechselseitig. Kommunikation bleibt nicht auf eine Nachricht von Sender an Empfänger beschränkt. Denn Empfänger reagiert und wird so selbst zum Sender und umgekehrt (Reiz-Reaktion). Eine Reaktion löst wiederum eine Gegenreaktion aus. In diesem Prozess wechseln die Kommunikationsteilnehmer laufend ihre Rollen, d.h. also Sender wird Empfänger und umgekehrt. Auch die Beeinflussung läuft nach diesem Wechselspiel ab.
Systematisch betrachtet ist Kommunikation also immer kreisförmig und ohne Anfang und so sollte vielmehr auf „das Spiel“ selber wert gelegt werden und wie es gut endet als die Frage zu übergewichten, wer der Schandtat zu bezichtigen ist, die den Streite oder die Missverständlichkeit hervorgerufen hat. Denn am Ende können viele Ausgänge gar nicht aus bestimmten Quellen hergeleitet werden, weil es «es in jeder Kommunikation eine Art sur-plus, eine Eigendynamik [gibt], die nicht nur aus der Summe der Anteile der einzelnen Kommunikationspartner zu erklären ist» (Brunner u.a. 1978, S. 52 zit. nach: Schulz von Thun, 2004, S. 87). Das heißt es passieren Dinge, die mit anderen Gesprächspartnern gegebenenfalls nie aufgetreten wären.
6.4 der Feldherrenhügel – oder was ist Metakommunikation
Sollte dennoch einmal die Ursache für Missverständnisse und Streitigkeiten das Ziel der Kommunikation sein, so gibt es wohl kein öfter oder stärker empfohlenes „Heilmittel“ als die Metakommunikation, also die Verständigung über die Kommunikation an sich. So fragt man sich im besten Falle wohl, warum man gerade auf diese oder jene Äußerungen in gerade dieser bestimmten Art reagiert, immer genau dann und dann sauer wird oder „dicht macht“, Mauern aufbaut und keine ungestörte und gute Kommunikation mehr zustande kommen kann. Das Erkennen selbst („Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung“) ist dann zwar getan, doch manche Gewohnheiten wiegen schwer und sind oft nur unter größten Anstrengungen zu beheben.
7 Für welche Frage- und Aufgabenstellung ist das Buch zu empfehlen?
Wie bereits in der Einleitung dieser Hausarbeit angesprochen, bietet „Miteinander reden“ eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten. Egal ob es im privaten Bereich einer Beziehung ist oder es sich um eine größere Unternehmung mit zahlreichen Mitarbeitern handelt – überall wo sich kommunikative Interaktion auftritt, Machtverhältnisse und Hierarchien auftreten, wo es um Verständnis, um Einfühlungsvermögen, Feingefühl, um unterschiedliche Meinungen geht, überall dort sind auch Ecken oder Kanten, unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten vorhanden, die Fehler und Ungereimtheiten, Missverständnisse auftreten lassen. Es ist einerlei, ob man sich selber fragt, wie man die Beziehung, die Verständigung zwischen sich und seinem (Ehe-)Partner, seinen Kindern oder Bekannten verbessern könnte. Oder ob man in der Rolle einer Führungsperson steckt, die sich Gedanken um die Teamfähigkeit insgesamt oder um einzelne Aspekte wie Problemlösefähigkeit, das Klima innerhalb der Etage oder um zu hohen Effizienzverlust macht. Oder ob generell das Bemühen um besseres Verständnis besteht, seine Umwelt besser und bewusster wahrzunehmen. Die Frage „Wie gehe ich mit mir selbst und mit anderen um?“ ist zentral für die eigene Persönlichkeit(sentwicklung), das Reifen und den Lernprozess für das Thema Kommunikation insbesondere. Denn Schulz von Thun bietet hier keine revolutionären Heil- oder Wundertinkturen, die jede verlorene Beziehung oder Fähigkeit wieder auferstehen lässt. Es wird vielmehr die Möglichkeit geboten, sich anhand einiger grundlegenden Tatsachen durch Verhaltenstraining und Selbsterfahrung weiterzuentwickeln.
So bietet bereits der erste von drei Teilen von Friedemann Schulz von Thun einiges an Rüstzeug und Wegweisern für bessere zwischenmenschliche Kommunikation, die kein neues Thema darstellt, wohlweißlich aber eines der wichtigsten ist, mit denen wir umzugehen haben und dies auch täglich tun.
8 Was mich besonders beeindruckt und gestört hat
Ich zähle „Miteinander reden“ nicht zur Sparte Populärpsychologie, obwohl es eine ganz besonders breite Masse von Lesern anspricht und ansprechen sollte. Dennoch kann jeder, der ohne psychologische oder pädagogische Vorkenntnisse an diese Seiten kommt, ohne Probleme nachvollziehen, was Schulz von Thun durch seine langjährige Karriere als Psychologe erarbeitet, zusammengetragen und zu sagen hat. Durch seine sehr unkomplizierte und dennoch klärende Sprache wird es einfach gemacht, sich oft sogar bildlich anhand von Alltagsbeispielen zu verdeutlichen, um welche Problematiken es bei der Kommunikation zwischen einander geht und welche Lösungswege sich dabei auftun. Er nimmt bewusst Abstand von gelehrsamer und wissenschaftlicher Sprache und stellt die Verständlichkeit in den Vordergrund. Ganz nach dem Prinzips des Hamburger Verständlichkeitskonzeptes (für genauere Betrachtung sei auf Langer, Schulz von Thun und Tasch, 1981, verwiesen) hat sich sein eigener Schreibstil auch in die Richtung von Einfachheit in der sprachlichen Formulierung, guter Gliederung im sachten aber dennoch kurzen und prägnanten Aufbau des Textes und der Nutzung zusätzlich anregender Stilmittel (die bereits angesprochenen Alltagsbeispiele, Analogien zu elementaren Grunderfahrungen, graphische Zeichnungen oder auch ab und zu die Personifizierung abstrakter Begriffe) bewegt. Schulz von Thun redet nicht von theoretischen, nicht nachzuvollziehenden Konstrukten, die jedem Nicht-Wissenschaftler gleich einem böhmischen Dorf mit sieben Siegeln sind, sondern zeigt eigene Erfahrungen auf, spricht von sich und seinen Bekanntschaften. Was bleibt, sind sehr einprägsame Teile vom Ganzen, die sich immer mehr verdichten, je mehr man sich damit auseinander setzt. Und das Beste: durch die Anwendung seiner durch Eigenerfahrung aufgezeichneten Ideen und Theorien sind überall im alltäglichen Leben kleine und große Erfolgserlebnisse garantiert! Und was kann Lernen schöner machen als der Erfolg dabei…?!
Somit bleibt mir nichts anderes übrig, als gut 265 Seiten Schulz von Thuns zu loben und jedem ans Herz zu legen, der sich fragt, ob es nicht auch bessere Lösungen zur Verständigung gibt als die, die man sich als non-plus-ultra, als crème de la crème in seinen zwischenmenschlichen Werkzeugkasten gelegt hat.
9 Literaturverzeichnis
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- Citar trabajo
- Michael Lüdeke (Autor), 2004, Konfliktmanagement. Eine Darstellung anhand "Miteinander reden" von Schulz von Thun, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109311
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