In dieser Arbeit habe ich mich mit der Situation von Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Nach einer kurzen Definition von den verschiedenen Formen von Analphabetismus soll ein Überblick über die verschiedenen Aspekte der Bildungsarbeit mit Analphabeten gegeben werden. Näher werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen, worin die Ursachen von Analphabetismus liegen und wie man prophylaktisch dagegen vorgehen kann. Außerdem werde ich erörtern, welche didaktischen Methoden man in der Bildungsarbeit anwenden sollte. Abschließend möchte ich den Bundesverband Alphabetisierung e.V. vorstellen, der sich für die Interessen von Analphabeten einsetzt und welche Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sektor der Elementarbildung geleistet wird.
Zur praxisnahen Veranschaulichung stand mir Herr D. (im Weiteren Interviewpartner genannt) zur Verfügung, mit dem ich ein Interview durchführen konnte. Dieses ist im Anhang vollständig zu finden.
Methodisch werde ich so vorgehen, dass ich in den einzelnen Kapiteln Aussagen von unserem Interviewpartner in die theoretischen und allgemeinen Ausführungen einbaue.
Insgesamt soll hier die Situation der Betroffenen dargestellt werden und auch Möglichkeiten einer Verbesserung aufgezeigt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Analphabeten als Zielgruppe in der Erwachsenenbildung
2.1 Kurzer historischer Abriss
2.2 Definitionen von Analphabetismus
2.3 Ursachen von Analphabetismus
2.4 Lebenswelten von Analphabeten
2.5 Didaktische Aspekte in der Erwachsenenbildung
2.6 Rahmenbedingungen für die Zielgruppenarbeit
3. Resümee
4. Literatur & Quellen
5. Anhang: Interview
1. Einleitung
In dieser Arbeit habe ich mich mit der Situation von Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Nach einer kurzen Definition von den verschiedenen Formen von Analphabetismus soll ein Überblick über die verschiedenen Aspekte der Bildungsarbeit mit Analphabeten gegeben werden. Näher werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen, worin die Ursachen von Analphabetismus liegen und wie man prophylaktisch dagegen vorgehen kann. Außerdem werde ich erörtern, welche didaktischen Methoden man in der Bildungsarbeit anwenden sollte. Abschließend möchte ich den Bundesverband Alphabetisierung e.V. vorstellen, der sich für die Interessen von Analphabeten einsetzt und welche Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sektor der Elementarbildung geleistet wird.
Zur praxisnahen Veranschaulichung stand mir Herr D. (im Weiteren Interviewpartner genannt) zur Verfügung, mit dem ich ein Interview durchführen konnte. Dieses ist im Anhang vollständig zu finden.
Methodisch werde ich so vorgehen, dass ich in den einzelnen Kapiteln Aussagen von unserem Interviewpartner in die theoretischen und allgemeinen Ausführungen einbaue.
Insgesamt soll hier die Situation der Betroffenen dargestellt werden und auch Möglichkeiten einer Verbesserung aufgezeigt werden.
2. Analphabeten als Zielgruppe in der Erwachsenenbildung
2.1 Kurzer historischer Abriss
Nachdem in der Bundesrepublik Deutschland etwa Anfang des 18. Jahrhunderts (beispielsweise in Preußen: 1717) die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde, ging man lange Zeit davon aus, dass es Analphabetismus in einem modernen Wirtschaftsstaat wie Deutschland nicht mehr gibt. Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts war auch für Mädchen ein Schulbesuch die Regel (wenn auch damals noch meist das niedere Schulwesen) und bis in die 70er Jahre hinein gab es kaum Bildungsangebote für Erwachsene in diesem Bildungsbereich. Als man dann aber mit der Folge der rasch ansteigenden Arbeitslosigkeit versuchte, bestimmte Arbeitnehmer weiterzubilden und die Erwachsenenbildung auch insgesamt in neue Strukturen gebettet wurde, stellte sich auf einmal heraus, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeiter nicht ausreichend lesen und schreiben konnte um z.B. an einer Umschulungsmaßnahme teilnehmen zu können. Da man dieses Problem bisher kaum beachtet hatte wurden nun mehr Möglichkeiten einer Elementarbildung bzw. Grundbildung für Betroffene angeboten. Bis heute nimmt die Anzahl der TeilnehmerInnen immer noch konstant zu. So wurden 1994 lediglich 8069 TeilnehmerInnen gezählt, 1999 waren es dagegen bereits 20.675[1]. Schätzungen gehen heute von ca. vier Millionen Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland aus.
Durch die angespannte finanzielle Situation der Volkshochschulen konnten in den letzten Jahren leider Einsparungen in diesem Bildungsbereich nicht vermieden werden. Dennoch ist auf Grund der gestiegenen Öffentlichkeitsarbeit vor allem durch den Alphabetisierungsverband ein größeres Bewusstsein bezüglich Analphabetismus zu verzeichnen. Trotzdem wird auf Grund der Schulpflicht immer noch davon ausgegangen, dass es in den westlichen Industriestaaten offiziell keinen Analphabetismus mehr gibt. In Deutschland wurde 1912 die letzte Erhebung durchgeführt. Sie ergab einen Anteil von 0,01% bis 0,02% Analphabeten[2] Diese Haltung ist sicherlich ein Beleg dafür, dass man versucht, dieses Problem zu bagatellisieren, denn sonst wäre diese Industrienationen wohl gezwungen zuzugeben, dass in ihrem Schulsystem erhebliche Defizite zu verzeichnen sind.
2.2 Definitionen von Analphabetismus
Wenn man heutzutage über Analphabetismus spricht benutzt man eher den Begriff der „Illiteralität“. Da aber beide Begriffe im Grunde das gleiche beinhalten werde ich sie für den Zweck dieser Arbeit synonym verwenden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen totalem und funktionalem Analphabetismus. Totaler Analphabetismus bedeutet, dass ein Betroffener nie eine Schule besucht hat und ihm sämtliche Schriftzeichen völlig fremd sind. Dies trifft z.B. oft auf ausländische Teilnehmerinnen zu, denen in bestimmten Ländern immer noch ein Schulbesuch verwehrt wird. Aber auch Menschen mit einer geistigen Behinderung gelten oft als totale Analphabeten. Totalen Analphabetismus kann man auch als primären Analphabetismus bezeichnen.
Funktionale Analphabeten dagegen besitzen meist (wenn auch geringe) Lese- und Schreibfertigkeiten. Marion Döbert-Nauert definiert: „Als funktionale Analphabeten werden [...] diejenigen bezeichnet, die aufgrund unzureichender Beherrschung der Schriftsprache und/oder aufgrund der Vermeidung schriftsprachlicher Eigenaktivität nicht in der Lage sind, Schriftsprache für sich im Alltag zu nutzen.“[3] Funktionale Analphabeten haben also einen Schulbesuch hinter sich, der allerdings bei den Betroffenen nicht ausgereicht hat, um im Alltag selbständig ihre Angelegenheiten zu regeln. Hier gibt es verschiedene Stufen von funktionalem Analphabetismus, denn die Anforderungen hängen oft vom Umfeld einer betroffenen Person ab. Dies wird auch in der obigen Definition deutlich. Schriftsprache für sich im Alltag zu nutzen kann sehr unterschiedliche Niveaustufen beinhalten. Wichtig ist hier auch, dass gerade durch die neuen Medien wie z.B. Internet es zu einem verstärkten Auffälligkeit von Analphabetismus kommt, denn auch wenn jemand bei der Arbeitsstelle über genügende Schreibkenntnisse verfügt kann es bei der Nutzung neuartiger Medien zu einer Überforderung kommen. Ebenso kann es passieren, dass sich ein Kenntnisstand im Laufe der Zeit verschlechtert. Dies kann vor allem Arbeiter treffen, die im Arbeitsalltag nicht lesen und schreiben müssen und sich auf einmal neueren und höheren Ansprüchen ausgesetzt sehen. Ein Sonderfall von funktionalem Analphabetismus ist der sekundäre Analphabetismus. Dieser wird dadurch bestimmt, dass ein Prozess des Verlernens eingesetzt hat, obwohl die Schriftsprache irgendwann einmal mehr oder weniger gut beherrscht wurde.
In Europa hat man es zumeist mit funktionalem Analphabetentum zu tun, da auf Grund der Schulpflicht bei den meisten Menschen mindestens leichte Kenntnisse im Lesen und Schreiben vermittelt werden konnten. Deshalb geht man heute auch von einer veränderten Fragestellung aus, wenn man wissen möchte ob jemand eine Lese- und Rechtschreibschwäche hat. Diese lautet: „Wie gut kann jemand lesen und schreiben?“ und nicht mehr, ob jemand überhaupt lesen und schreiben kann. Die UNESCO erwähnt in ihrer Definition auch sogenannte „Kulturtechniken“, die Betroffene nicht oder nur eingeschränkt nutzen können. Auf diese werde ich in den Lebenswelten von Analphabeten noch einmal näher zu sprechen kommen.
2.3 Ursachen von Analphabetismus
Ursachen von Analphabetismus gibt es viele. Wie bereits eingangs erwähnt, beschäftigt man sich in Deutschland mit dem Phänomen Analphabetismus erst seit Ende der 70er Jahre, als es durch die ansteigende Arbeitslosigkeit zu Weiterbildungsmaßnahmen für Erwachsene kam und man feststellten musste, dass viele Arbeiter nicht ausreichend lesen und schreiben konnten. Da man sich also erst relativ spät mit dieser Problematik auseinandersetze fällt es auch heute noch schwer, eindeutige Ursachen für Analphabetismus anzugeben. Viele Betroffene verfügen über keine abgeschlossene Schulbildung und leiden unter Legasthenie (die jedoch oft nicht rechtzeitig erkannt wird). Bei meinem Interviewpartner spielte auch das mangelhafte Interesse der Eltern eine Rolle: „die Schule muss diese Dinge regeln nicht die Eltern das war so ungefähr ja nicht sein (Vater) Standpunkt aber da lief es dann drauf hinaus“[4] und „meine Eltern haben zwar die Situation erkannt in dem Ausmaß nicht aber eh sie haben dann gesehen wo ich meine Arbeitsstelle hatte dass ich dann mein Auskommen hatte das war das Wesentliche und alles andere ergibt sich von selber so ham se gedacht“[5] Gerhild Brüning definiert drei verschiedene Faktoren[6], bei denen es zu nachhaltigen Problemen mit der Rechtschreibung kommen kann:
Zunächst gibt es die kulturellen und sozialen Faktoren, d.h. alles was mit dem persönlichen Umfeld zusammen hängt. Die Eltern der betroffenen Kinder haben oft nur minimale kulturelle Interessen, was sich beispielsweise darin äußern kann, dass keine Tageszeitung oder ähnliches im Haushalt vorhanden ist. Die Lesegewohnheiten der Eltern lassen oft zu wünschen übrig, so dass den Kindern die Wichtigkeit des Lesens und Schreibens oft nicht vermittelt wird. Außerdem gibt es auch Studien, die belegen, dass Kinder in einem Elternhaus mit geringerem Einkommen verstärkt in ein schulisches Defizit abrutschen. So kann z.B. eine beengte Wohnsituation dazu führen, dass den Kindern nicht die Möglichkeit gegeben wird, in Ruhe ihre Hausaufgaben zu erledigen. Dies führt dann wiederum zu einem Lerndefizit und kann im schlimmsten Fall im funktionalen Analphabetismus enden. Kulturelle und soziale Faktoren beinhalten aber neben den kulturellen Interessen der Eltern auch eine psychische Belastung der Kinder. Wenn man davon ausgeht, dass viele Eltern von Analphabeten selber ein eher geringes Bildungsniveau haben und damit einhergehend auch ein geringeres Einkommen, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Kinder durch dieses soziale Umfeld eine qualitativ geringere Aufmerksamkeit der Eltern erhalten und damit auch von Beginn an ein Mangel an emotionaler Intelligenz entwickelt wird. Da also in vielen Fällen eine belastende Situation für die Kinder vorherrscht kann man sagen, dass wirtschaftliche Faktoren auch zu emotionalen Missständen führen können. Dazu kommen dann noch die kulturellen Defizite, die auch einen großen Einfluss auf den Umgang mit Geschriebenem haben.
Als zweite Ursachengruppe ist der schulische Faktor zu nennen. Anders als bei den kulturellen und sozialen Faktoren basiert der Schulische darauf, dass das Schulsystem nicht in der Lage ist, verschiedene Leistungsniveaus so zu kompensieren, dass sie aneinander angeglichen werden können. Durch eine sehr hohe Schülerzahl in den Klassen sind die Lehrer nicht in der Lage, auf einzelne Schüler mit Lernschwierigkeiten einzugehen. Außerdem ist in den meisten Bundesländern ein verbindlicher Lehrplan vorgesehen, der kaum Spielraum für solche Schüler bietet. Kommt es also zu einer Lern- oder Verhaltensauffälligkeit, hat der Lehrer nicht viele Möglichkeiten individuell darauf Rücksicht zu nehmen und der Schüler wird oftmals auf eine Sonderschule überwiesen, was jedoch fatale Konsequenzen hat. Hier hat der Betroffene kaum noch eine Chance auf einen qualifizierten Schulabschluss und somit nur geringe Möglichkeiten auf einen qualifizierten Beruf und wird damit wieder kultureller und sozialer Faktor für seine zukünftigen Kinder, was also in einem wiederkehrenden Kreislauf endet.
Außerdem ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass das dreigliedrige Schulsystem, wie es in der BRD aufgebaut ist, diese Problematik noch verstärkt. Denn wenn Lehrer nicht gezwungen sind sich mit den Problemen ihrer Schüler auseinanderzusetzen sondern sie auf eine andere Schule überweisen können besteht die Gefahr, dass dort Schüler landen, die dort eigentlich gar nicht hingehören.
Die letzte Ursachengruppe für Analphabetismus sind individuelle Faktoren. Hierzu zählen beispielsweise Krankheiten wie Legasthenie oder auch mindere geistige Voraussetzungen. Auch körperliche Behinderungen können ein Lernhemmnis darstellen.
Abschließend lässt sich zu den verschiedenen Ursachen festhalten, dass sich nicht nur eine Ursache alleine ein Analphabet entwickelt, sondern dass es ein Zusammenspiel verschiedener Einflüsse geben muss, wenn es zu dauerhaften Lese- und Rechtschreibproblemen kommt. Viele Analphabeten erkennen die Wichtigkeit des Lernens erst zu spät.
Mein Interviewpartner beschreibt die Ursachen für seine Illiteralität so:
„Also ich hab bin eingeschult worden da war das erste Problem das war Grundschule und eh war ich glaub ich fünf und ich sollte reinkommen und ich hab mich total quergestellt. Ich hab rumgebrüllt, ich hab rumgeschrieen es war also absolut nicht mein Ding und da haben diese Lehrer gesagt oder zu diesem Zeitpunkt wir könnten den noch ein Jahr zurückstufen“[7] und später „mein Vater war hat auf der Zeche gearbeitet und ja zu beschäftigt oder so hat er mit uns eigentlich kaum was gemacht das ist eigentlich der Nachteil wie ich eigentlich sehe und zum Schluss er hat zum Beispiel die Schule muss diese Dinge regeln nicht die Eltern das war so ungefähr ja nicht sein Standpunkt aber da lief es dann drauf hinaus“[8]
Hier kann man deutlich sehen, dass zunächst einmal der Lehrer den unbequemen Schüler zurückstuft. Er setzt sich also nicht mit der dahinter stehenden Problematik auseinander. Auch die Familie wird nicht aktiv, obwohl sie die Schwierigkeiten erkennen. Dies ist wohl auf die eigene mangelnde Qualifikation zurück zu führen.
2.4 Lebenswelten von Analphabeten
Aufgrund der verschiedenartigen sozialen Herkunft sind die Lebenswelten von funktionalen Analphabeten sehr unterschiedlich. Eines haben sie jedoch gemeinsam: die Angst, entdeckt zu werden. Diese führt zu einer massiven psychischen Belastung für die Betroffenen, da sie ständig unter dem Druck stehen, ihre Schwäche verheimlichen zu müssen. Auch beim Einstieg in das Berufsleben sind oft einige Barrieren zu überwinden. Mein Interviewpartner schildert: „dat war der erste Dämpfer den ich gekriegt habe das war ich musste er hat mir eine Rechnung oder eine Formel gegeben wo ich ausrechnen sollte wie viel Quadratmeter ich brauche um dieses Teil was am Auto kaputt ist zu bestellen oder zu ordern oder zuzuschneiden oder was da war schon schon Feierabend und eh auf die Rechtschreibung sind wir schon gar nicht mehr gekommen das war mein erster Dämpfer und eh dann sagte er wie er sich ausgedrückt hat ja dann kann ich Sie leider nicht einstellen.“[9] Um ihre alltäglichen Angelegenheiten zu bewältigen haben Illiteraten oft eine sogenannte Vertrauensperson, der sie sich offenbart haben. Diese Vertrauensperson spielt eine sehr große Rolle im Leben eines Analphabeten, da beispielsweise alle Behördengänge oder ähnliches ohne sie nicht möglich wären. Deshalb kommt es oft zu einer Abhängigkeitssituation, da der Betroffene auf diese Person angewiesen ist. Mein Interviewpartner schildert den Konflikt folgendermaßen:
„Wenn du auf diesen Menschen angewiesen bist verlierst du immer mehr Persönlichkeit und dein Charakter geht immer mehr zurück weil du bist auf diesen Menschen angewiesen.“[10] [...] „wenn du überhaupt nicht schreiben und lesen kannst dann versuchst du nirgendwo anzuecken.“[11]
Hier kann man deutlich sehen, in welchem Zwiespalt sich der Betroffene befindet. Er ist fühlt sich unter Druck gesetzt und kann seine Meinung nicht frei äußern aus Angst, seine Vertrauensperson könnte es dann ablehnen, ihm zu helfen. Auch Kritik an dieser Person ist nicht mehr möglich: „wenn jetzt zum Beispiel sagen wir mal jeden Sonntag sich einer besäuft und (…) liegt den ganzen Tag im Bett und eh du bist aber trotzdem noch auf dem angewiesen ja weil der zum Beispiel deine Rechtschreibung löst ja dann ist das Anlass Kritik zu üben und zu sagen hör mal zu das gefällt mir hier absolut nicht eh dass du jetzt säufst oder jedes Wochenende (…) das würdest du dir dann verkneifen also die Persönlichkeit leidet darunter dass du von meinem Empfinden her sagen würdest das lass mal bitte sein mach das mal nicht aber du auf der anderen Seite im Hinterkopf hast du bist auf den angewiesen wenn du so ein Problem hast dann musst du auf den zurück greifen und der kann auch ganz schnell sagen nein das mach ich nicht und dann stehst du ganz da ganz blöd da.“[12] Diese Abhängigkeit und auch die Hilflosigkeit in der sich ein Analphabet befindet führt zu einem starken Verlust an Selbstbewusstsein. Die Erkenntnis, wie elementar die Beherrschung der Schriftsprache für das tägliche Leben ist, kommt leider oft erst spät. Außerdem ist es in vielen Fällen so, dass diese Schwäche von der Gesellschaft zu Ausgrenzungen führt und das negative Selbstbild der Betroffenen dadurch noch verstärkt wird.
Viele Analphabeten haben nur einen gering ausgeprägten Sprachschatz. Dies ist zum einen auf die oft schwierige soziale Situation der Eltern zurück zu führen, zum anderen wohl auch das Ergebnis der nicht vorhandenen Lesefähigkeit. Der in der Kindheit erworbene Sprachstil wird nicht mehr erweitert und bleibt somit oft bis zu einer Bildungsmaßnahme auf dem selben Stand.
Zusammenfassend kann man also festhalten:
- die Betroffenen verfügen über nur unzureichende schulische Kenntnisse (nicht nur im Bezug auf die Rechtschreibung, auch in Mathematik sind die Fähigkeiten oft eingeschränkt)
- die kulturellen Interessen sind oft gar nicht oder kaum ausgeprägt
- Betroffene haben oft eine labile Persönlichkeit und lassen sich leicht von außen beeinflussen
- sie haben kaum gesellschaftliche Kontakte aus Angst vor Entdeckung (Þ Isolation)
- aufgrund der eingeschränkten Fähigkeiten gibt es nur bestimmte Berufsgruppen in denen Analphabeten arbeiten können
- Analphabeten stehen ständig unter dem Druck ihre Schwäche zu verheimlichen
- aufgrund der negativen Erfahrung in der Schule haben sie oft Lernbarrieren entwickelt
Diese Aspekte sind für die Bildungsarbeit mit Analphabeten von entscheidender Bedeutung.[13] Sie müssen bei der didaktischen Aufbereitung unbedingt berücksichtigt werden.
2.5 Didaktische Aspekte in der Erwachsenenbildung
Hat ein Analphabet sich zu einer Maßnahme entschlossen und sich in eine Bildungsinstitution begeben ist dies bereits ein wichtiger Schritt für ihn. Beim ersten Besuch ist es deshalb sehr wichtig, auf die Ängste und Bedürfnisse des Klienten einzugehen. Ein persönliches Beratungsgespräch ist unerlässlich, damit eine Vertrauensbasis zur Institution geschaffen werden kann. Dazu sollte in jeder Bildungseinrichtung speziell geschultes Personal vorhanden sein. Insgesamt ist die Bildungsberatung, die oft auch eine psycho-soziale Beratung beinhaltet, ein grundlegender Bestandteil der Zielgruppenarbeit. Auch der Kursleiter sollte in vielen Gesprächen versuchen, das Vertrauen seiner TeilnehmerInnen zu gewinnen. Wie bereits im vorigen Abschnitt erwähnt haben die Betroffenen oft ein sehr negatives Selbstbild und sind stark verunsichert. Durch die negative Erfahrung in der Schule sollte auf keinen Fall mit Druck operiert werden, da sonst die Gefahr besteht, dass Lernblockaden noch weiter verstärkt werden. Deshalb versuchen viele Volkshochschulen die Unterrichtsräume so zu gestalten, dass eine angenehme Atmosphäre entsteht. Dies kann z.B. durch gemeinsames Kaffee- oder Teetrinken während des Unterrichts geschehen.[14]
Auch ist es wichtig, dass die Lerngruppen möglichst klein gehalten werden. In einem Kurs sollten nicht mehr als acht TeilnehmerInnen sein. Oft haben die Lernenden einen konkreten Anlass warum sie sich zu einer Bildungsmaßnahme entscheiden. Dieser kann z.B. ein Problem auf der Arbeitsstelle sein oder auch ein privates Ereignis. Bei der didaktischen Aufbereitung sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass praxisnahe Inhalte vermittelt werden, die die TeilnehmerInnen konkret im Alltag anwenden können. Dies ist für die Erhaltung der Lernmotivation von entscheidender Bedeutung: „wir sind ja alles erwachsene Menschen da hätt ich zum Beispiel ne Zeitung die hätt ich rundgehen lassen ja dass die Leute merken dass es auch ne Zeitung gibt oder zum Beispiel ne Straßenkarte haben Susanne und ich mal durchgearbeitet“[15]. Nach Horst Siebert ist ein Erwachsener in einer Bildungsmaßnahme so lange motiviert, wie er seine Erwartungen bestätigt sieht. Dies ist in diesem Fall sehr zu beachten, da durch die negative Schulerfahrung bestimmte Ängste vorhanden sind, die Ekkard Nuissl wie folgt charakterisiert[16]:
- die Angst davor, vor anderen die eigene Schwäche zuzugeben
- die Angst, erneut zu versagen
- die Angst vor der Lernsituation
- die Angst vor den Folgen, die das Beherrschen der Schriftsprache haben könnte
- die Angst vor der Anstrengung
Diese Ängste sollten vom Kursleiter möglichst vollständig abgebaut werden. Gerade die Angst davor, erneut zu versagen ist bei vielen TeilnehmerInnen sehr ausgeprägt, so dass man versuchen sollte, die Stärken der Lernenden zu betonen und ihnen auch Fehler beim Anfertigen eigener schriftlicher Arbeiten zu gestatten. Unser Interviewpartner bestätigt: „sie (die Kursleiterin) macht das mit einem sehr großen Lächeln sie geht über die Fehler mit einem sehr großen Lächeln hinweg.“[17] Auch die Angst vor Veränderungen spielt eine große Rolle. Wie bereits erwähnt existiert zwischen dem Betroffenen und der Vertrauensperson oft ein Abhängigkeitsverhältnis, dass sich bei einer zunehmenden Eigenständigkeit verändern würde. Der Analphabet wird selbständiger und unabhängiger. Trotz der eigentlich positiven Veränderung haben viele Betroffene vor diesen Folgen Angst.
Sind die Teilnehmer so weit, dass sie selbständig Texte verfassen können, sollten diese zunächst einmal innerhalb der Lerngruppe gewürdigt werden und möglichst auch später noch in anderen Zusammenhängen genutzt werden können. So können beispielsweise fortgeschrittene Kursteilnehmer Materialien für einen anderen Kurs aufbereiten, die dann dort als Leseübung dienen können. Zum eigenen Anfertigen von schriftlichen Arbeiten sollte auch die Kreativität der Teilnehmer gefördert werden. Durch das mangelnde Selbstbewusstsein kommt es oft zu einer Überforderung, wenn es darum geht eigene Ideen zu entwickeln und diese auch zu veschriftlichen. Hier kann der Kursleiter helfen, indem er zur Gruppenarbeit auffordert oder auch die Ideen der Teilnehmer in Stichpunkten aufschreibt, damit diese dann wiederum vollständige Sätze bilden. Erfolgserlebnisse sollten für die Teilnehmer im Mittelpunkt stehen. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil jeder Motivierung und mit einem gesteigerten Selbstbewusstsein wird es den Teilnehmern auch leichter fallen, eigene Ideen aufzuschreiben und vorzulesen.[18]
Aufgrund der individuellen Lernmotive ist es von Vorteil, wenn die Teilnehmer ihre Materialien auch individuell zusammen gestellt bekommen. In diesem Fall können sie einen konkreten Lernerfolg sehen und sich in bestimmten Situationen von nun an besser verhalten. Deshalb ist es für den Kursleiter auch von großer Wichtigkeit, das Motiv der Teilnehmer herauszufinden.
Insgesamt lässt sich also sagen, dass die Beratung im Zentrum jeder Bildungsarbeit mit Analphabeten steht. Die Betroffenen sollten einen Zugang zu der Bildungsinstitution entwickeln und ihre Ängste abbauen. Außerdem sollten möglichst kleine Lerngruppen gebildet werden, damit auf die Bedürfnisse der TeilnehmerInnen individuell eingegangen werden kann. Der Alltagsbezug sollte bei der Auswahl der Materialien immer berücksichtigt werden. Lerndruck und Stress jeglicher Art ist für die Teilnehmer auf jeden Fall zu vermeiden.
2.6 Rahmenbedingungen für die Zielgruppenarbeit
Da aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland die Bundesländer die Richtlinien für die Bildungsarbeit festlegen, gibt es keine bundeseinheitlichen Richtlinien für die Zielgruppenarbeit in der Erwachsenenbildung. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben zwar Illiteralität in ihren Weiterbildungsgesetzen thematisiert, aber es gibt keine verbindlichen Zusagen was die finanzielle Förderung betrifft. Nachdem Ende der 70er das Problem erkannt und angegangen wurde, hat sich im Bereich der Elementarbildung viel verändert. Didaktische Konzepte wurden den modernen Anforderungen angepasst und auch die Teilnehmerstruktur ist sehr heterogen. Gerade ausländische Frauen hatten oft nicht die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen und haben oft nur eine sehr gering ausgeprägte Grundbildung. Hier gibt es heutzutage Möglichkeiten darauf Rücksicht zu nehmen. Leider wurde in den letzten Jahren aufgrund der finanziellen Engpässe im Bund und in den Ländern die Zielgruppenarbeit mit Analphabeten nicht so ausgebaut wie es notwendig gewesen wäre. Viele Volkshochschulen müssen die Teilnehmerzahl erhöhen oder sogar Kurse wegen der geringen Teilnehmerzahl ausfallen lassen. Gerade in ländlichen Gegenden sind die Volkshochschulen oft nicht in der Lage ein angemessenes Angebot anzubieten.
Auch die Struktur des Schulsystems wäre mit Sicherheit verbesserungswürdig. Die ersten beiden Jahre sind oftmals die wichtigste Phase für die weitere Schulentwicklung. Wenn sich hier bereits zu große Misserfolgserlebnisse manifestieren kann dies zu schwerwiegenden Konsequenzen im weiteren Leben der Betroffenen führen. Die Defizite können im Verlaufe der weiteren Schuljahre nicht mehr ausgeglichen werden und bleiben oft ein Leben lang erhalten. Hier ist die flexible Eingangsstufe, die noch stärker ausgebaut werden wird, mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung. Außerdem sollte eine stärkere landes- und bundesweite Vernetzung erfolgen um eine bessere Koordination zu ermöglichen.
Die VHS Duisburg bietet zur Zeit insgesamt sieben Alphabetisierungskurse an. Hier sind auch Angebote für ausländische MitbürgerInnen eingeschlossen, die oft eine andere Art von Unterricht benötigen. Wenn man davon ausgeht, dass es in Deutschland etwa vier Millionen funktionale Analphabeten gibt, aber „nur“ etwa 20.000 zur Zeit an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen ist das ein Zeichen dafür, dass in diesem Bereich noch viel verbessert werden muss. Die Wege zu einer VHS sollten für Betroffene leichter gestaltet werden und auch die Öffentlichkeitsarbeit müsste noch weiter ausgebaut werden. Zwar gibt es den Bundesverband Alphabetisierung, der sich für die Interessen von Analphabeten einsetzt und auch Werbekampagnen durchführt, aber immer noch haben viele Menschen Barrieren, den Schritt zur Bekämpfung ihres Problems zu wagen. Die Einrichtung des Alfa-Telefons hat eine breite Resonanz hervorgerufen. Viele Betroffen oder deren Angehörige lassen sich dort telefonisch beraten.
3. Resümee
Abschließend lässt sich sagen, dass die Bildungsarbeit mit Analphabeten in Deutschland mittlerweile gute Ergebnisse zeigt. Nachdem man das Problem Jahrzehnte lang ignoriert hat gibt es heute einen Interessenverband, staatliche Hilfen und auch ein öffentliches Interesse am Thema. Viele Einrichtungen bieten heute Kurse für diese Zielgruppe der Erwachsenenbildung an.
Da die Teilnehmerstruktur sehr unterschiedlich ist, ist es oft schwierig eine einheitliche Didaktik für den Unterricht festzulegen. Deshalb geht man vom Methodenpluralismus aus, der bewirken soll, dass jeder Teilnehmer die didaktische Betreuung erhält, die für ihn speziell angebracht ist. Am Anfang jedes Besuchs in der VHS oder einer anderen Bildungseinrichtung steht ein ausführliches Beratungsgespräch, in dem vorhandene Kenntnisse des Betroffenen erörtert werden und eine erste Vertrauensbasis geschaffen werden soll. Viele Lernbarrieren sind durch die Misserfolge während der Schulzeit entstanden und es ist am Kursleiter, diese in Erfolgserlebnisse umzuwandeln. Außerdem sollte der Betroffene emotional so weit betreut werden, dass er seine Ängste frei äußern kann.
Gerade in den Industriestaaten steht die Frage der Entstehung von Illiteralität im Zentrum der Bekämpfung. Trotz eines gut ausgebauten Schulsystems scheint es so zu sein, dass viele Defizite, die gerade in der Anfangszeit aufgebaut werden, später nicht mehr zu beheben sind. Aber auch das Umfeld, also meist die Eltern, haben unserer Meinung nach eine Verantwortung für ihre Kinder. Wie bei unserem Interviewpartner, dessen Eltern die Situation wohl erkannten aber nichts unternommen haben, ist wohl keinesfalls eine Ausnahme. Hier sollten sich auch die Lehrer fragen, ob solche Verhältnisse durch eine aufmerksamere Betreuung nicht vermieden werden können.
Im Erwachsenenalter fällt es vielen Betroffenen schwer, sich zu ihrem Problem zu bekennen. Die Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung besteht immer noch und so versuchen viele Betroffenen ihre Schwächen zu verheimlichen. Dies führt nicht selten zu einer gesellschaftlichen Isolation, da ein Vermeidungsverhalten eintritt. Auch in solchen Fällen sollte eine Volkshochschule durch Beratungsgespräche Hilfestellungen leisten.
Das Erlangen von neuem Selbstbewusstsein sowie das Erlernen bestimmter Kulturtechniken sind die wesentlichen Aufgaben bei der Elementarbildung. Es sollte versucht werden, das Interesse der TeilnehmerInnen für bestimmte Themengebiete zu wecken um somit eine bessere Allgemeinbildung zu ermöglichen. Trotzdem sollte auch der Praxisbezug nicht außer Acht gelassen werden, denn die Teilnehmer sollten schnell erkennen, wie ihnen der Kurs helfen kann ein eigenständiges Leben zu führen.
Auch wenn sicher noch einige Ideen offen stehen und noch nicht alles optimal läuft kann man sicher festhalten, dass es den Bildungseinrichtungen gelungen ist, vielen Menschen bei diesem Problem zu helfen und ihnen ein unabhängigeres Leben zu ermöglichen.
4. Literatur & Quellen
- Nuissl, Ekkard: Lesen- und Schreibenlernen in der Erwachsenenbildung, in: Handbuch Lesen, Schneider Verlag, Baltmannsweiler, 2001
- Egloff, Birgit: Biographische Muster „funktionaler Analphabeten“ – Analysen für Erwachsenenbildung, DIE, Frankfurt am Main, 1997
- Döbert, Marion & Hubertus, Peter: Ihr Kreuz ist die Schrift – Analphabetismus und Alphabetisierung in Deutschland, Bundesverband Alphabetisierung, Münster, 2000
- Tröster, Monika: Berufsorientierte Grundbildung, Bertelsmann Verlag, Bielefeld, 2002
- Bödeker, Hans Erich & Hinrichs, Ernst: Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der frühen Neuzeit, Niemeyer, Tübingen, 1999
- Internetseite www.alphabetisierung.de
[...]
[1] vgl. Nuissl, 1999
[2] vgl. Eisenberg, 1983
[3] vgl. Döbert-Nauert, 1985
[4] vgl. Interview, Zeile 540-542
[5] vgl. Interview, Zeile 562-564
[6] vgl. Brüning, 2002
[7] vgl. Interview Zeile 10-14
[8] vgl. Interview Zeile 538-542
[9] vgl. Interview Zeile 62-68
[10] vgl. Interview Zeile 737-739
[11] vgl. Interview Zeile 756-757
[12] vgl. Interview Zeile 739-748
[13] vgl. Döbert, 2000
[14] vgl. Nickel in Döbert, 2000
[15] vgl. Interview Zeile 330-333
[16] vgl. Nuissl, 1999
[17] vgl. Interview Zeile 156+157
[18] vgl. Nickel in Döbert, 2000
- Quote paper
- Manon de Heus (Author), 2003, Analphabeten und ihre Möglichkeiten einer Elementarbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109213
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