Inhaltsverzeichnis
1. Einführung in die Thematik
2. Entwicklung und Akteure der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP)
2.1. Die EU und die NANO-Region
2.2. Die USA und die NANO-Region
2.3. Die Mittelmeerpolitik der EG/EU bis zur EMP
2.4. Die EMP und der Barcelonaprozess
3. Die EMP im Kontext der EU-Aussenpolitik
3.1. Die EMP im Kontext der EG-Aussenwirtschaftsbeziehungen
3.2. Die EMP im Kontext der GASP
4. Entwicklungspolitische und strategische Annahmen der EU
5. Die arabischen EMP-Parnterländer
5.1. Petrolismus und Rentierismus
5.2. Arabischer Etatismus
5.3. Globalisierung und sozio-ökonomische Zustände
6. Die Zukunft der EMP
6.1. Entwicklungs- und Reformchancen im Rahmen der EMP
6.2. Konsequenzen für die EMP und Ausblick
Bibliographie
1. Einführung in die Thematik
Am 1. Mai 2004 hat sich der Rechtsraum der Europäischen Union sowohl nach Nord-, Mittel- und Südosteuropa als auch in den mittleren und östlichen Mittelmeerraum ausgeweitet. Das geopolitische Augenmerk der EU wird sich damit noch stärker als bisher auf die unmittelbare Süd- und Ostperipherie mit ihren nordafrikanischen bzw. eurasiatischen Tiefendimensionen richten: "The accession of new member states will strenghten the Union's interest in enhancing relations with the new neighbours."[1] Gemäss Artikel 49 des Vertrages über die Europäische Union[2] kann jeder europäische Staat die Unionsmitgliedschaft beantragen, wobei die südlichen und östlichen Mittelmeeranrainerstaaten von der Mitgliedschaft ausgeschlossen sind und somit nicht als europäisch gelten.[3] Ergo ist der europäische Raum neben Norwegen und der Schweiz prinzipiell nur noch auf eurasiatische Staaten ausdehnbar.
Bei der beitrittsunfähigen Mittelmeerperipherie handelt es sich um die vorwiegend muslimischen und arabo-berberischen Staaten des nordafrikanischen Maghreb (Marokko mit besetzter Westsahara, Algerien, Tunesien, Libyen) und die eher gemischtkonfessionellen und multiethnischen Staaten des levantinischen Mashreq (Ägypten, Palästina, Israel, Libanon, Syrien). Zwischen diesen ehemaligen spanischen, französischen, italienischen und britischen Kolonial- und Protektoratsgebieten und der Europäischen Gemeinschaft bestehen bereits seit den 60er und 70er Jahren vertragliche Beziehungen.[4] Das nicht-mediterrane Jordanien, mit dem die EG 1978 ein Kooperationsabkommen geschlossen hat, wird aus Unionsperspektive dieser östlichen Mittelmeerperipherie hinzugerechnet. Libyen blieb bis ins Jahr 2004 von bilateraler Kooperation mit der EU ausgeschlossen.
Diese vertraglichen Beziehungen wurden an der Euro-Mediterranen Konferenz vom 27./28. November 1995 in Barcelona auf einer formell neuen Grundlage in der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) zusammengefasst und damit der sogenannte Barcelona-Prozess lanciert.[5] Die EMP bildet den strategischen und vertraglichen Rahmen innerhalb der EU-Aussenbeziehungen für die Politiken der Mitgliedstaaten gegenüber der südlichen und östlichen Mittelmeerperipherie. Der Barcelona-Prozess stösst im Vergleich zur "Osterweiterung", die den europäischen Peripheriediskurs zweifelsohne dominiert, auch in der akademischen Welt auf relativ geringes Interesse. Die meisten Publikationen datieren aus den 1990er Jahren, in der neben der eurasiatischen auch die mediterrane Peripherie an Bedeutung gewann, und insbesondere aus der Zeit nach dem Beginn der EMP.[6] Eher vermochten der sich seit den frühen 90ern intensivierende Friedensprozess im Nahen Osten mit seinen zahlreichen Rückschlägen und seine ambivalente Beziehung zur EMP und zur Entstehung einer Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU die universitären Gemüter zu bewegen.[7] Ob das vergleichsweise geringe akademische Interesse auf das frühe und unterentwickelte Stadium der EMP zurückgeht, auf ihre prinzipielle Zweitrangigkeit im Peripheriendiskurs oder aber auf ihre aussenpolitische Fehlkonzipierung und relative Bedeutungslosigkeit wird die vorliegende Untersuchung implizit beantworten.
Ziel der Untersuchung ist es, die seit Mitte der 90er Jahre bestehende Euro-Mediterrane Partnerschaft im Kontext der EU-Aussenbeziehungen in ihrer geopolitischen und theoretischen Dimension zu verorten und durch eine Analyse der politischen Ökonomie der mediterranen Partnerländer (ausser Israel) die Verhältnismässigkeit und Effizienz der Partnerschaft zu diskutieren. Erst eine eingehende Analyse der politischen Ökonomie der arabischen Partnerländer, die in den meisten Untersuchungen zu kurz kommt[8], gibt darüber Aufschluss, ob die EMP langfristig eine angemessen konzipierte Nachbarschaftspolitik der EU darstellt.
Im deskriptiven Teil werden zuerst die Beziehungen zwischen Europa, den USA und der Region Nordafrika und Naher Osten (NANO) im Kontext der EG-Aussenpolitik und der GASP untersucht. Die Region Nordafrika und Naher Osten ist in der Untersuchung identisch mit den arabischen Partnerländern und dem potenziellen Partnerland Libyen unter Ausschluss von Mauretanien, Irak und den Golfstaaten. Im theoretischen Teil werden zentrale polit-ökonomische Annahmen der EU-Aussenpolitik gegenüber der mediterranen Peripherie aufgezeigt, die der langfristigen Logik der EMP zugrunde liegen. Im analytischen Teil soll die in den meisten Untersuchungen überwiegende Perspektive der EU verlassen werden, um die polit-ökonomischen Voraussetzungen der NANO-Region zu beleuchten und damit auch deren Handlungsfähigkeit in der EMP. Es wird davon ausgegangen, dass die Euro-Mediterrane Partnerschaft und der sie konstituierende Barcelona-Prozess eine kurzfristig unangemessen konzipierte und ineffiziente Nachbarschaftspolitik ist, da sie einerseits die geopolitischen und polit-ökonomischen Gegebenheiten der Partnerschaftsregion nicht gebührend berücksichtigt und andererseits durch die institutionelle Evolution der EU-Aussenbeziehungen stark beeinträchtigt wird.
2. Entwicklung und Akteure der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP)
2.1. Die EU und die NANO-Region: gegenseitige Bedeutung und Wahrnehmung
Die OECD-Länder der EU sind integraler Bestandteil der westlichen Triade (USA, Europa, Japan), die als ehemalige Erste Welt den Erdball ideologisch, politisch, ökonomisch und militärisch dominiert. Die meisten europäischen Länder der ehemaligen Zweiten Welt (COMECON) integrieren sich zusehends in den europäischen Teil der Triade. Trotz dem proklamierten Ende der Zweiten Welt besteht die Dritte Welt in ihrer marginalisierten Lage weiterhin fort, auch an der südlichen und südöstlichen Peripherie des sich integrierenden Europa. Das schmale Mittelmeer teilt den eurasisch-mediterranen Raum in einen zunehmend demokratisierten und prosperierenden Norden und einen weiterhin autoritären und unterentwickelten Süden. Mit Ausnahme der U.S.-mexikanischen Grenze stossen nirgends auf der Welt zwei kulturell unterschiedliche Regionen mit einem ähnlichen Wohlstandsgefälle auf so engem Raum aufeinander. Die Süderweiterung von 2004 hat gleichzeitig den vermeintlichen Gegensatz zwischen einem "christlichen" Norden und einem "muslimischen" Süden akzentuiert und diesen Süden der EU angenähert.[9]
Neben das seit den 70er Jahren kultivierte Feindbild "Islam" fliesst durch die Unmittelbarkeit ("proximity") der mediterranen Südflänke das Feindbild Dritte Welt verstärkt in die europäische Perzeption ein.[10] Dieses Feindbild entspringt einer paranoiden Wahrnehmung des spezifisch mediterranen Südens: als Hort der Bevölkerungsexplosion und Ursprung neuer Völkerwanderungen, als Hort der "orientalischen Despotie" und Ursprung der transmediterranen Kriminalität (Drogen und Terror) und schliesslich als "Chaos-Macht" von implodierenden Staaten, die Europa destabilisieren könnte.[11] Die im Westen weitverbreitete Islamo- und Arabophobie geht zurück auf eine jahrhundertealte Tradition des Orientalismus, der kolonial bedingten Falschwahrnehmung der transmediterranen, europäischen Besitzungen. Die Paranoia interner und externer Destabilisierung geht zurück auf den unendlich wirkenden arabisch-israelischen Konflikt, die Schrecken des algerischen Bürgerkrieges in den 90er Jahren und auf die unbeantwortete und wohl unbeantwortbare Frage nach der kulturellen Identität Europas.[12] Neben diese subjektive Perzeption tritt das objektivierbare sozio-ökonomische Konfliktpotenzial: territoriale Konflikte und extreme Militarisierung, sehr hohe Geburtenraten, ausgeprägter Analphabetismus, hohe Bevölkerungsdichten in den Küstengebieten und ihr ökologischer Niedergang, extreme Arbeitslosigkeit, soziale, ethnische und konfessionelle Spannungen sowie allgemeine wirtschaftliche Rückständigkeit.[13] Bereits das Bruttoinlandprodukt der mediterranen EU-Mitglieder ist elfmal höher als dasjenige der arabischen Partnerländer.[14]
Hinzu kommen die koloniale Deformation der Dritten Welt und der die dekolonisierten Länder bestimmende strukturelle Dualismus.[15] Beide Phänomene äussern sich in einer schwach diversifizierten Binnenökonomie und einer andauernden Handelsabhängigkeit von den ehemals kolonialen Mutterländern, die sich in einer sogenannten "hub and spoke"-Konstellation manifestiert.[16] Tatsächlich war 1998 die Export- und Importstruktur besonders der maghrebinischen NANO-Länder einseitig auf den EU-Markt ausgerichtet mit Spitzenwerten von 90,1% bzw. 59,1% für Libyen, 86,3% bzw. 70,6% für Tunesien, 80,5% bzw. 64,5 % für Marokko und 69,3% bzw. 76,7% für Algerien.[17] Es ist folglich kaum verwunderlich, dass die Südbedrohung von einer Nordbedrohung kontrastiert wird, die sich in einer südlichen Furcht vor neokolonialen Praktiken, peripherer Marginalisierung und der neuen Doktrin des humanitären Interventionismus äussert.[18] Die gegenseitige Bedrohungswahrnehmungen sind allerdings asymmetrisch, da die NANO-Region lediglich "weiche" Sicherheitsinteressen der EU tangiert, während "weiche" und "harte" Gefahren für die NANO-Länder vorwiegend in ihren eigenen Reihen zu finden sind. Dazu zählen zweifellos die Atommacht Israel und der islamistische Terrorismus.[19]
Höchste Priorität nimmt unter den weichen Sicherheitsinteressen aus EU-Perspektive die legale und illegale Arbeitsmigration aus dem NANO-Gebiet, insbesondere aus dem Maghreb, in die Staaten des EU-Schengengebietes ein, um die dortigen Sozial- und Arbeitsmärkte zu schützen.[20] Die Migrationproblematik wird durch die schnelle Entwicklung der mediterranen EU-Staaten ("pull-factors"), die demographische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung der NANO-Staaten ("push-factors") sowie durch die schwer kontrollierbare Migrationsstrecke verschärft.[21] In Anlehnung an die oben erwähnte Nord-Süd-Grenze zwischen den USA und Mexiko wurde das Mittelmeer in den 90ern oft als "Río Grande" imaginiert, der aus mindestens drei "mini-Río Grandes" bestehet (Strasse von Gibraltar, Strasse von Sizilien und Strasse von Otranto).[22] Die Migration über die ersten beiden dieser Meerengen stammt grösstenteils aus dem Maghreb, während die Migration aus dem Mashreq aufgrund der grösseren Distanz zur EU und der stärkeren Absorptionsfähigkeit der Arbeitsmärkte in den Golfstaaten relativ marginal bleibt.[23]
Der prozentuale Anteil der NANO-Migranten an den 2000 in die EU eingewanderten Nicht-EU-Bürgern betrug 8,4%, während der Anteil derer aus Russland, Belarus, der Ukraine und Moldawien 5,5% ausmachte.[24] Von einer kulturellen Überflutung der EU durch muslimische Araber kann damit nicht die Rede sein. Obwohl Marokkaner den grössten Teil der legalen Immigranten in Italien und Spanien bilden und Frankreich immer noch das Haupteinwanderungsland für Nordafrikaner ist, haben sich die EU-Zielländer der maghrebinischen Migranten stark diversifiziert.[25]
Nicht nur aus migratorischen, ökonomischen und geographischen Gründen ist der Maghreb als Gebiet innerhalb der NANO-Region für die EU von prioritärer Bedeutung. Im September 2002 haben erstmals in der Geschichte des marokkanischen Königreichs freie und transparente Parlamentswahlen stattgefunden.[26] Marokko ist in der Demokratisierung und in der Konsolidierung des Rechtsstaates von allen Ländern des Maghreb am weitesten fortgeschritten. Dies trifft für Tunesien zwar keinesfalls zu, doch ist es marktwirtschaftlich das fortschrittlichste Land unter allen NANO-Ländern.[27] Beide Länder sind zudem durch den europäischen Tourismus und alte koloniale Bande zu Spanien und Frankreich der EU näher als die levantinischen Staaten (mit der Ausnahme des Libanon). Letzteres gilt ebenfalls für Algerien, das aber durch den Bürgerkrieg in seiner politischen und wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeworfen wurde.[28] Trotzdem entwickeln sich vor allem Algerien und Libyen zu wichtigen Energielieferanten der EU. 1992 kamen 32% der EU-Gasimporte und 27% der EU-Ölimporte überwiegend aus diesen beiden Staaten des Maghreb.[29] Angesichts der politischen Volatilität der unter U.S.-Hegemonie stehenden Mashreq- und Golfregion wird der Energieexport insbesondere des sich konsolidierenden Algerien auch in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dasselbe gilt für das potenzielle Partnerland Libyen, das noch keine vertraglichen Beziehungen mit der EU unterhält, dessen Annäherung an die internationale Gemeinschaft durch Kompensationszahlungen für seine ehemalige Unterstützung des internationalen Terrorismus und durch die Aufgabe seines nicht-konventionellen Waffenprogramms aber bereits mit der Aufhebung der internationalen Sanktionen honoriert wurde.[30]
2.2 Die USA und die NANO-Region
Die USA bilden den grössten Störfaktor der EMP und somit der ordnungspolitischen Ansprüche der EU gegenüber ihrer mediterranen Peripherie. Allerdings ist die U.S.-Präsenz in der mediterranen Zone auf die Mashreq- und die an sie angrenzende Golfregion begrenzt. Evidente Interessen waren in der bipolaren Konstellation die Eindämmung des sowjetischen Einflusses, die Sicherung der strategischen Erdölressourcen für die westlichen Industrie- und Konsumgesellschaften und die Existenzsicherung Israels. Neben die letzten zwei treten seit den 1990er Jahren die Etablierung einer neuen regionalen Ordnung und neuerdings der Globalkampf gegen den internationalen Islamismus.[31] Sowohl in der Mashreq- als auch in der Golfregion setzten die USA strukturelle (mittelbare) und direkte (militärische) Kontrollmassnahmen ein, wobei eine auf die Stabilisierung des Status quo abzielende Strategie präferiert wurde.[32] Seit Mitte der 80er kam es zu einem deutlichen Ausbau der direkten Kontrollmassnahmen, die ihren Höhepunkt im 2. Golfkrieg und der derzeitigen Okkupation Afghanistans und des Irak fanden.
Indirekt werden die U.S.-Interessen durch eine hierarchisierte Regionalklientel wahrgenommen, an deren Spitze Israel gefolgt von Ägypten, Jordanien und den Golfstaaten steht.[33] Die USA waren und sind aufgrund ihrer Patronage gegenüber der Hegemonialmacht Israel seit ihrer Gründung stark in den Verlauf sowohl des israelisch-arabischen Konfliktes als auch in den bislang gescheiterten nahöstlichen Friedensprozess involviert. Seine Belebung durch die Madrider Nahostkonforenz (1991), die Oslo-Verträge (1993) und den israelisch-jordanischen Friedensvertrag gehörten zu den Grundvoraussetzungen für das Entstehen der EMP. Ohne die neue ordnungspolitische Strategie der USA nach dem 2. Golfkrieg wären ergo weder der Friedensprozess nach Madrid noch die Euro-Mediterrane Konferenz von Barcelona möglich gewesen.[34]
Obgleich die EMP strukturell von den Nahost-Initiativen der USA abhängig ist, diesen indirekt sogar ihre Entstehung verdankt, sind die USA an der EMP nicht beteiligt.[35] Nicht nur ist die partikulare und kurzfristige Strategie der USA dem umfassenden und langfristigen Ansatz der EMP entgegengesetzt; der gänzliche Ausschluss der USA von der Partnerschaft macht diese für sie irrelevant.[36] Aufgrund der "special relationship" zwischen den USA und dem EU-Mitglied Grossbritannien ist das Vereinigte Königreich jedweder EU-Politik im Mittelmeerraum abgeneigt, die den Kerninteressen der USA zuwiderlaufen könnte.[37] Die globale Bedeutung der Mashreq-Region impliziert somit eine permanente transatlantische Präsenz im östlichen Aktionsraum der EMP, dies erst recht nach der alliierten Besetzung des Irak.[38] Es lässt sich abschliessend konstatieren, dass die EU in der Mashreq-Region eine sekundäre Rolle spielt und ihre Dominanz als Regionalmacht allein im westlichen Teil ihrer mediterranen Peripherie verwirklichen kann.
2.3. Die Mittelmeerpolitik der EG/EU bis zur EMP
Neben der seit 1989 zunehmend direkter werdenden Konkurrenz zu den USA im östlichen Mittelmeerbecken wird die EU in ihrer Mittelmeerpolitik seit den 90er Jahren auch intern von einem doppelten Konkurrenzverhältnis bestimmt.[39] Einerseits handelt es sich hierbei um eine Nord-Süd und andererseits um eine Süd-Süd-Konkurrenz. Erstere äussert sich in einem strategischen Wettstreit zwischen den nördlichen und südlichen Mitgliedstaaten um die EU-internen Machtverhältnisse durch Beeinflussung der eurasiatischen bzw. mediterranen Peripherie. Letztere wird durch das Streben nach Einfluss auf den Mittelmeerraum durch die mediterranen Mitgliedstaaten der EU (Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland) gekennzeichnet.[40] Da die zukünftige Gestaltung der eurasiatischen Peripherie von Deutschland und den nördlichen Mitgliedstaaten vorangetrieben wird und aufgrund der Osterweiterung EU-intern absolute Priorität besitzt, befinden sich die mediterranen Staaten in einer Minderheitenposition.[41] Diese asymmetrische Konkurrenz wird noch zusätzlich durch die U.S.-Hegemonie über die Mashreq-Region und somit den östlichen Kernraum der EMP zugespitzt.[42] Die Demokratisierung und Integration der Südflanke durch die Süderweiterungen 1981 (Griechenland) und 1986 (Spanien, Portugal) wich in den 90er Jahren einer aussenpolitischen Renationalisierung der mediterranen Mitglieder, die fortan in der Kommission um eine Führungsposition in der Mittelmeerpolitik ringen.[43]
Der Süderweiterung und damit der Ausdehnung des aussenpolitischen Aktionsradius der EG gingen die nahöstlichen Ereignisse der 70er Jahre voraus, insbesondere der israelisch-arabische Oktoberkrieg von 1973, dessen globalökonomische Folgen die Energieversorgung der EG stark beeinträchtigten.[44] Dies und der direkte arabische Ölboykott gegen das EG-Mitglied Niederlande für seine israelfreundliche Haltung in diesem Konflikt führten zu einer Intensivierung des euro-arabischen Dialogs der 70er Jahre. Von 1961 bis 1972, in der Zeit des euro-mediterranen Rapprochement, unterstand die unkoordinierte EG-Aussenpolitik gegenüber dem Mittelmeerraum einem ökonomisch-pragmatischen Primat.[45] Anfang der 70er Jahre wurde ein Globalansatz für eine koordinierte Handels- und Kooperationspolitik entworfen, in dessen Zuge die bereits bestehenden Kooperationsabkommen zu Assoziierungsabkommen ausgebaut wurden, der aber wegen der weiterhin intergouvernemental-bilateralen Aussenpolitiken der Mitgliedländer scheiterte.[46]
Die Tendenz zur Supranationalisierung der mediterranen Beziehungen wurde durch die Anfänge der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) in den 70er Jahren von vornherein verunmöglicht. Diese entstand aus dem Wunsch, die nicht-ökonomische Sphäre der EG-Aussenpolitik koordiniert zu verstärken, jedoch unter Beibehaltung einer nationalstaatlichen Methodik der Aussenbeziehungen.[47] Trotz dem reell intergouvernementalen Charakter des mediterranen Globalansatzes resultierte aus den transmediterranen Kontakten der 70er Jahre eine explosionsartige Verdichtung der informellen Interdependenzen zwischen der EG und den Mittelmeeranrainern.[48] Die seit Anfang der 70er Jahre verfolgte Mittelmeerpolitik erfuhr parallel zum weltpolitischen Paradigmenwechsel Ende der 80er Jahre eine Neuausrichtung. Hatten in den 70er und 80er Jahren die wirtschaftlichen Interdependenzen die euro-mediterrane Agenda bestimmt, so trat durch den Wegfall der bipolaren Protegierung der Mittelmeerregion die sicherheitspolitische Komponente deutlich in den Vordergrund. 1989 entstand die Initiative einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum (KSZM), die von der KSZE inspiriert worden war und die Region in einem graduellen und dialogischen Prozess hätte stabilisieren sollen. Sie blieb genauso wie alle anderen Initiativen um den Dekadenwechsel erfolglos.[49]
Von 1989 bis zum Vorabend der Euro-Mediterranen Konferenz in Barcelona 1995 wurde trotzdem der Kurs einer Neuen Mittelmeerpolitik eingeschlagen, die als Versuch einer regionalen Sicherheitspolitik erstmals eine Strategie der gemeinsamen Nachbarschaft und Partnerschaft verfolgte.[50] Durch die Depolarisierung der regionalen Sicherheitsstrukturen richtete sich der Fokus stärker auf die innenpolitischen Verhältnisse der südlichen Mittelmeeranrainerstaaten und deren Destabilisierungspotenziale.[51] Im Bericht der Kommission an den Europäischen Rat vom Dezember 1994 in Essen über die zukünftige Mittelmeerpolitik avancierte der Mittelmeerraum zu einem "vorrangige[n] Gebiet von strategischer Bedeutung", dessen Stabilität und Frieden in einer "euro-mediterranen Partnerschaft" angestrebt werden sollten.[52]
2.4. Die EMP und der Barcelonaprozess
Nach den Oslo-Verträgen und der Dynamisierung des nahöstlichen Friedensprozesses baute die EU ihre Akteursposition im Mittelmeerraum massiv aus.[53] 1995 herrschte unter den EU-Mitgliedern die einhellige Annahme, dass der Friedensprozess unumkehrbar geworden sei und sich demgemäss der Aktionsraum der EU als mediterraner Akteur noch stärker ausgedehnt habe. Ausserdem würde die freidensbedingte Entmilitarisierung des Nahen Ostens eine "Friedensdividende" abwerfen, die in die zivile Entwicklung der Region investiert werden würde.[54] Diese visionäre Euphorie, die den neuen "spirit of partnership" der Barcelona-Deklaration von 1995 nährte, sollte durch die Amtsübernahme der rechts-nationalistischen Regierung in Israel im Mai 1996 zerschmettert werden.[55]
Die 1995 erfolgte Gründung der Euro-Mediterranen Partnerschaft an der Konferenz von Barcelona markierte allerdings keinen genuinen Neuanfang, sondern war in ihrem Kern die Weiterführung einer post-kolonialen Strategie der Dependenz.[56] Sie sollte darüber hinaus die seit der Reintegration Mittelosteuropas marginalisierten EU-Mittelmeerstaaten mit neuen Aktionsmöglichkeiten kompensieren. Es sollte deshalb kaum überraschen, dass die Barcelona-Intiative in die Präsidentschaft Spaniens und Frankreichs fiel.[57]
Die EMP zeichnet sich durch den Holismus ihrer Strategie aus, der auf drei Gründe zurückgeht: die zunehmende Komplexität und Interdependenz des Mittelmeerraums, die zunehmende Supranationalisierung der EU und eines Teils ihrer Aussenpolitik und schliesslich die Überzeugung, eine kritische Masse sei nötig, um den U.S.-Einfluss zu konterkarrieren.[58] Dies äusserte sich konkret darin, dass der bislang überwiegend verfolgte Bilateralismus durch einen multilateralen Prozess auf regionaler Ebene ergänzt werden sollte. Zusammen mit der Langzeitperspektive wurde auch die Struktur des KSZE-Prozesses übernommen, dessen drei Körbe im mediterranen Kontext neu geflochten wurden.[59] Da diese Körbe im Sinne des Barcelona-Prozesses komplementär zueinander stehen sollten, wird die Bezeichnung "Korb" für unangebracht gehalten, da sie einer opportunisitischen Beliebigkeit des Akteurverhaltens Vorschub leistet.[60] Die Struktur der EMP sieht folgendermassen aus:
1. Korb: eine politische und sicherheitspolitische Partnerschaft zur Verwirklichung eines gemeinsamen Raumes des Friedens und der Stabilität
2. Korb: eine ökonomische und finanzielle Partnerschaft zur Verwirklichung einer Zone der gemeinsamen Wohlfahrt ("area of shared prosperity")
3. Korb: eine soziale, kulturelle und menschliche Partnerschaft zur Förderung von Humankapital, zum gegenseitigen Kulturverständnis und zur transmediterranen Verflechtung der Zivilgesellschaften[61]
Die Verbindung des 1. und 3. Korbes, d.h. die erhoffte Komplementarität von sicherheitspolitischen und zivilgesellschaftlichen Entwicklungen wird als eigentliches Novum der EMP gewertet.[62] Allerdings wird die Diskrepanz zwischen dem erklärten Wunsch nach zivilgesellschaftlicher Interdependenz und den restriktiven Migrationspolitiken vieler EU-Staaten kritisiert.[63] Ebenso diskrepant ist das Nebeneinander eines positiven Teils (Zivilgesellschaft, Dialog etc.) und eines negativen oder repressiven Teils (Bekämpfung der transmediterranen Kriminalität und illegalen Migration).[64] Generell kann von einer augenfälligen Diskrepanz zwischen den hohen Ambitionen und dem tatsächlichen Instrumentarium der EMP gesprochen werden.[65]
Ein anderes Novum ist die in der EMP vorgesehene politische Konditionalität, die vor allem die finanzielle Partnerschaft von Fortschritten der autoritären Partnerländer in Demokratie- und Menschenrechtsfragen abhängig machen sollte. Die Umsetzung dieser Konditionalität reizte allerdings alsbald den anti-kolonialen Reflex der südlichen Mittelmeeranrainer, die der EU "Menschenrechtsimperialismus" vorwarfen.[66] Die Vergabe der finanziellen Unterstützung im Rahmen der sogenannten MEDA-Haushaltslinie ist damit lediglich noch de jure an politische Kriterien gebunden. Die MEDA-Gelder werden neuerdings vielmehr nach dem Windhundprinzip und konkreten Leistungskriterien verteilt.[67]
Die Struktur der EMP steht in einem Spannungsverhältnis zwischen proklamierter Partnerschaft und reeller EU-Dominanz des gesamten Prozesses. Wenn überhaupt von einer Partnerschaft gesprochen werden kann, dann sind ihre multi- und bilateralen Beziehungen von erheblicher Asymmetrie geprägt.[68] Der transmediterrane Partnerschaftsgedanke basiert auf der konzeptionellen Fehlannahme, dass ein pan-mediterraner Raum existiere. Diesen verunmöglichen nicht nur eine fehlende gemeinsame Sicherheitsperspektive, sondern auch die politische, ökonomische und kulturelle Heterogenität der beiden Mittelmeerufer.[69] Nur schon ein Blick auf die geographische Vielfalt der Partnerländer verdeutlicht dies, von denen viele (wie Jordanien) gar nicht als mediterran gelten können.
Die bislang gescheiterten Bemühungen um eine Institutionalisierung der EMP, für die es nicht einmal ein gemeinsames Sekretariat gibt, verdeutlichen weiter die Dehnbarkeit des Partnerschaftsgedankens.[70] Der fehlende politische Wille sowohl auf nationaler wie auch auf subnationaler Ebene, dem Barcelona-Prozess seine ihm gebührende Bedeutung beizumessen, liessen seine anfängliche Dynamik erlahmen. Es existieren keine EU-Unternehmerlobbies, die an einer subregionalen Integration der NANO-Märkte interessiert wären. Gleichzeitig verhindern die nationalen Agrarlobbies der mediterranen EU-Mitglieder die Öffnung des EU-Marktes für die konkurrenzfähigen Agrarexporte aus den NANO-Ländern.[71]
3. Die EMP im Kontext der EU-Aussenpolitik
Die Aussenpolitik der EU wird nicht erst seit der Gründung der stark intergouvernementalen GASP von einem Dualismus durchzogen. Dieser manifestiert sich in politischen Aussenbeziehungen, die weiterhin von den nationalen Regierungen dominiert werden und in ökonomischen Aussenbeziehungen, die im Vergleich dazu stark supranationalisiert sind. Die Dualität gilt weiter für die Aussenrepräsentation, die Entscheidungsprozesse, die Implementierung und die demokratische Kontrolle.[72] Diese sich gegenseitig ergänzenden, überschneidenden und behindernden Dualismen sind oft für Inkohärenzen und Diskontinuitäten in der EU-Aussenpolitik verantwortlich. Für die Partnerländer, die an diesen Prozessen nicht direkt beteiligt sind, erschweren sie die Transparenz und Voraussehbarkeit der sie betreffenden Entscheidungen und Massnahmen. Je progressiver die Komplexität eines externen Politikfeldes ist, desto schwerer wiegt der interne Druck auf das institutionelle System der EU-Aussenpolitik.[73] Aufgrund der enormen Komplexität der EMP und des ihr innewohnenden Holismus muss folglich von einer Überstrapazierung des aussenpolitischen Systems in diesem Politikfeld ausgegangen werden.
3.1. Die EMP im Kontext der EU-Aussenwirtschaftsbeziehungen
Der ökonomische Teil der EU-Aussenpolitik gliedert sich in eine gemeinsame Handelspolitik, eine Kooperations- und Assoziierungspolitik und eine Stabilisierungs- und Erweiterungspolitik.[74] Die Gemeinsame Handelspolitik bildet zusammen mit der Entwicklungspolitik der EU den Kern der europäischen Zivilmacht, deren supranationaler Charakter in ihrer Zivilität begründet liegt. Aufgrund der geringen Supranationalisierungschancen von nationaler "hard power" in sicherheitspolitischen "high politics" bestehen erheblich bessere Chancen zur Kooperation und Integration im zivilen Bereich der "soft power" und "low politics".[75] Die assoziierungspolitische Komponente dieser Zivilmacht (Art. 182-188 EGV) ist für die EMP von besonderer Relevanz, da ihr vorrangiges Ziel der Abschluss von neuen Euro-Mediterranen Assoziierungsabkommen ist, die die bestehenden Assoziierungsabkommen der ersten Generation aus den 70er Jahren und die Kooperationsabkommen aus der gleichen Dekade ersetzen sollen.[76] Zypern, Malta und die Türkei kommen als einzige Partnerländer im Hinblick auf ihren Status als Beitrittskandidaten in den Genuss einer Heranführungsstrategie an die EU.
Dreh- und Angelpunkt dieser neuen Generation der mediterranen Assoziierungsabkommen ist eine WTO-konforme Handelsliberalisierung mit Übergangsfristen von maximal 12 Jahren und dem Endziel einer Euro-Mediterranen Freihandelszone ab 2010.[77] Einmal mehr unterstehen der Export von Agrarprodukten aus den NANO-Ländern und der freie Personenverkehr Restriktionen, um einerseits die protegierten Agrarsektoren der mediterranen EU-Länder weiter zu schützen und andererseits die Arbeitsmigration in die EU zu unterbinden.[78] Dies bedeutet konkret eine lediglich partielle Integration des NANO-Gebietes in den europäischen Wirtschaftsraum, die ihre komparativen Vorteile gezielt missachtet und ergo entwicklungshemmend sein könnte. 1997 gingen sogar 8,8% der EU-Agrarexporte in die NANO-Länder, während diese gerade einmal 11,1% ihrer Agrarerzeugnisse in die EU exportieren konnten.[79] Die Umsetzung der komparativen Vorteile des NANO-Gebietes wurde bereits bei den Süderweiterungen 1981 und 1986 verunmöglicht, da die neuen Mitglieder eine ähnliche Struktur der komparativen Vorteile aufwiesen wie die heutigen Partnerländer.[80] Die EU erweiterte dadurch ihre Autarkie in der Versorgung mit Agrarprodukten.
Um den auf die koloniale Deformation zurückgehenden Bilateralismus eines Zentrums und seiner Peripherie ("hub-and-spoke") rückgängig zu machen, setzt die Errichtung einer Euro-Mediterranen Freihandelszone die subregionale Wirtschaftsintegration unter den NANO-Ländern voraus.[81] Das sowohl für die EU als auch für die NANO-Region düsterste Szenario wäre eine zukünftige Verhärtung dieser (post-)kolonialen Handelsstruktur und ein daraus resultierender Zustand der "fragmegration" im euro-mediterranen Raum, d.h. eine vertiefte Integration des Nordens und eine noch stärkere Fragmentierung des Südens.[82] Neben anderen Faktoren, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird, spielen für die subregionale Wirtschaftsintegration einheitliche Ursprungsregeln eine wesentliche Rolle. Die Kumulation von Ursprungsregeln ermöglicht den präferenziellen Handel mit Produkten gemischten Ursprungs, deren Produktionsstufen in mehreren Ländern stattfinden. Solche Produkte fallen jedoch nicht unter die neuen Assoziierungsabkommen, womit ein wichtiger Produktions- und Kooperationsanreiz zwischen den NANO-Ländern wegfällt.[83] Dies korreliert wiederum mit der Höhe der Direktinvestitionen, die in die Region fliessen werden. Dabei ist qualifizierend hinzuzufügen, dass die Addition von Ursprungsregeln zwischen den Maghrebländern in den Kooperationsabkommen von 1976 erlaubt wurde.[84]
3.2. Die EMP im Kontext der GASP
Die EU wird oft mit einer ökonomischen Supermacht und einem politischen Zwerg verglichen.[85] Schuld daran ist in erster Linie die stark intergouvernementale GASP, die trotz ihrem Namen keine "gemeinsame" Aussen- und Sicherheitspolitik ist, da sich die nationalstaatliche Souveränität in harten Fragen der Sicherheitspolitik resistent gegen Supranationalisierungsversuche zeigt.[86] Die GASP leidet unter 3 fundamentalen Mängeln, von denen sich keiner einfach beheben lässt: Mangel an sicherheitspolitischer Identität, Mangel an gemeinsamen Sicherheitsinteressen der EU-Staaten und Mangel an genuin aussenpolitischen Institutionen.[87] Daraus resultiert eine Kluft zwischen Erwartungen und Kapazitäten ("capabilites-expectations gap"), die notwendigerweise eine Krise der Glaubwürdigkeit nach sich zieht ("credibility gap").[88]
Die GASP hängt aufgrund ihres weiterhin zwischenstaatlichen Charakters gänzlich von mit der Zeit wechselnden Interessenkonstellationen der nationalstaatlichen Akteure ab, wie bereits im Falle des Zustandekommens der EMP deutlich wurde.[89] In der Regel entspricht die GASP-Politik gegenüber den EU-Peripherien dem kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich die Mitgliedstaaten zu einigen bereit sind.[90] Dies kontrastiert mit der dem Barcelona-Prozess inhärenten Annahme, die Sicherheit des Mittelmeerraumes sei unteilbar und müsse deshalb gemeinsam und umfassend gesichert werden. Die Dreiteilung des mediterranen Raums in drei grosse Sicherheitskomplexe (Maghreb, Mashreq und Golfregion) verdeutlicht, dass diese sicherheitspolitische Annahme die Realität völlig verklärt.[91] Allein der levantinische Sicherheitskomplex, in dem der arabisch-israelische Konflikt überwiegt, hat sich bereits mehrmals lähmend auf die EMP ausgewirkt, die an der 4. Euro-Mediterranen Konferenz von Marseille vom November 2000 aufgrund der Zweiten Intifada ihren vorläufigen Tiefpunkt erreichte.[92]
Wegen der unterschiedlichen Sicherheitsperzeption der NANO-Staaten und dem automatischen Ausschluss der EU von harten Sicherheitsfragen in der Levante ist die EU dazu genötigt, ihren Einfluss namentlich als Zivilmacht im westlichen Mittelmeerraum geltend zu machen. Als sie allerdings in diesem Raum des Mittelmeeres als sicherheitspolitische Macht eine glaubwürdige GASP durchsetzen wollte, war sie zum Scheitern verurteilt. Der Ausbau ihrer Verteidigungskapazität im Rahmen der WEU gemäss den Petersberger Aufgaben führte zu gewaltigen Verstimmungen in der EMP, als Frankreich, Italien, Spanien und Portugal 1996 ohne vorherige Konsultationen mit den südlichen Anrainerstaaten Land- und Seestreitkräfte einsetzten (EUROFOR bzw. EUROMAFOR).[93] Ausserdem scheiterte aufgrund der Zweiten Intifada die Verabschiedung einer "Charta für Frieden und Stabilität" an der Konferenz von Marseille. Auch allen sogenannten "Confidence Building Measures" (CBMs) wurde alsbald ihr harter sicherheitspolitischer Inhalt entnommen, worauf sie abgeschwächt in "Partnership Building Measures" (PBMs) umgewandelt wurden.[94]
4. Entwicklungpolitische und strategische Annahmen der EU
Im Folgenden sollen aus der verwendeten Literatur herausgefilterte Hypothesen vorgestellt werden, auf denen die EMP basiert und aus denen sich das ordnungspolitische Repertoire der EU für die mediterrane Peripherie zusammensetzt. Sie sollen zusammen mit den im deskriptiven Teil geschaffenen Grundlagen im analytischen Teil eingehender diskutiert werden.
Neben der Einbildung eines gemeinsamen und unteilbaren pan-mediterranen Sicherheitsraums bildet das Konstrukt des Mediterranismus die Grundlage für eine Verwirklichung des 3. Korbes der EMP. Der Mediterranismus imaginiert einen transmediterranen, polyglotten und multiethnischen Kommunikationsraum, der den Nord-Süd-Gegensatz zwischen Okzident und Orient überwindet. Er ist einigen ägyptischen, libanesischen und nordafrikanischen Nationalismen inhärent, die versuchen, das dominante panarabisch-muslimische Paradigma zu ergänzen oder ganz zu ersetzen.[95]
Bezogen auf den 1. und 2. Korb der EMP geht der Barcelona-Prozess von den selbstheilenden Kräften der Globalisierung aus, die durch ihre Propagierung von good und global governance automatisch den Autoritarismus in der NANO-Region unterminieren wird.[96] Weiter ist die EMP ein Versuch regionalen Regierens à la européenne der dem globalen Trend zur regionalen Wirtschaftsintegration eine sicherheitspolitische Komponente verleihen soll. Dieses Phänomen der ökonomischen Blockbildung der 90er Jahre wird gemeinhin als Erfolg versprechende Gegentendenz zur Globalisierung betrachtet. Neben der ASEAN und der NAFTA versucht auch die EU ihre Ost- und Südperipherien in einen pan-europäischen Wirtschaftsblock einzugliedern.[97] Der Erfolg einer subregionalen Wirtschaftsverflechtung setzt aus- und inländische Privatinvestitionen voraus, die wiederum politische Stabilität, bürokratische Transparenz, geringe Korruption, ein hohes Bildungsniveau, gute Infrastruktur und intraregionale Kooperation voraussetzen und gleichzeitig auch fördern.[98]
Die eben erwähnten globalen, regionalen und subregionalen Prozesse, die die ab 2010 angestrebte Euro-Mediterrane Freihandelszone konstituieren, sollen durch ihren kumulativen Effekt eine Regeldichte mit eigener Dynamik entwickeln. Diese Interdependenz wird vermehrt sub- und supranationale Akteure mit einbeziehen und in den verschiedenen Politikfeldern horizontale und vertikale Spillover-Effekte auslösen.[99] Der so gedachte Ansatz des Funktionalismus entstammt der dritten grossen Debatte der internationalen Beziehungen aus den 70er Jahren.[100] Auf der Grundlage eines neoliberalen Weltbildes trachten die einzelnen Akteure nach Überwindung von nullsummenspielartiger Konkurrenz durch primär wirtschaftliche Kooperation und Verflechtung, deren inkrementaler Charakter Sachzwänge hervorbringt, die sich funktional auf andere Kooperationsbereiche integrativ auswirken.[101] Sachzwanginduzierte Lösungen unterscheiden sich grundsätzlich von politischen, d.h. gewillkürten Lösungen des Sicherheitsdilemmas, da nur sie in hochkomplexen und politisch ansonsten kaum integrierbaren Gebilden positive Synergieeffekte produzieren. Kleine, überschaubare und politisch zweitrangige Sachbereiche ("low politics"), werden solange mit einander vernetzt, bis die Kooperation in genuine Politikfelder mit hoher Relevanz ("high politics") überschwappt.[102]
Auch in der EMP wurde wegen der holistischen Strategie und der enormen Heterogenität zwischen den Partnerländern ein funktionalistischer Ansatz gewählt. Die theoretische Komplementarität der drei Partnerschaftskörbe lässt gemäss der obigen Annahmen zahlreiche Spillover-Effekte erwarten. Auch die in ihnen vorgesehene Verbindung von multi- und bilateralen Elementen sollte die Schaffung von Synergien begünstigen.[103] Die Gesamtheit dieser positiven Spillover soll natürlich die negativen Spillover übertreffen oder zumindest ausgleichen, die die sozio-ökonomischen Verhältnisse der NANO-Länder in Richtung EU erzeugen könnten.
Weiter wird bei der IWF-konformen Strukturanpassung der Partnerökonomien mit einem sogenannten "trickle down" gerechnet, bei dem makroökonomische Erfolge durch die kolonial deformierten Wirtschaftsstrukturen durchsickern und die präindustrielle Mikroökonomie positiv beeinflussen.[104] Überhaupt verspricht sich die EU-Seite viel von einer möglichst weitgehenden Marktöffnung in der gesamten NANO-Region. Die der EMP de facto zugrundeliegende Kernthese macht die Sicherheit der EU von der marktinduzierten Prosperität der gesamten südlichen Mittelmeerregion abhängig.
Die Entwicklung demokratischer Verhältnisse bei Bewahrung der politischen Stabilität sind die normativen Ziele aller drei Kooperationskörbe.[105] Der Wunsch nach Demokratisierung der NANO-Region leitet sich ab von der Theorie des demokratischen Friedens, die davon ausgeht, dass Demokratien eine hohe Binnenstabilität aufweisen und ihre aussenpolitischen Interessen grösstenteils friedlich verfolgen.[106] Die Normativität einer Demokratisierung ist also doch eher funktional zu interpretieren. Bei einer politischen Öffnung spielen die freien Märkte eine zentrale Rolle, da ihnen innewohnende Demokratisierungskräfte zugerechnet werden. Die Deregulierung von Märkten ermöglicht demgemäss politische Partizipation.[107] Diese soll von oben durch einen politischen Dialog und von unten durch die Entwicklung der Zivilgesellschaft erreicht werden.[108]
5. Das polit-ökonomische System der NANO-Region
Im Folgenden werden die politische Ökonomie und die sozio-ökonomische Lage der NANO-Region im arabischen Gesamtsystem erörtert. Trotz der enormen Heterogenität dieses Systems lassen sich polit-ökonomische und sozio-ökonomische Gemeinsamkeiten unter den NANO-Ländern und ihren meist arabischen Grenzregionen verallgemeinern. Israel bildet als einzige funktionierende Demokratie und Marktwirtschaft eine Ausnahme unter denjenigen assoziierten Partnerländern, die der EU nicht beitreten können. Das theoretische Fundament der EMP wird im nächsten Abschnitt auf diese regionalen Spezifika angewandt, um die Effizienz der EU-Strategie gegenüber ihrer mediterranen Peripherie zu analysieren.
5.1. Petrolismus und Rentierismus
Die NANO-Region, d.h. die arabischen Partnerländer der EU in der EMP, sind alle in unterschiedlichem Ausmasse in das rentierstaatliche System des Petrolismus eingebunden. Der Petrolismus ist ein auf Energieexport (v.a. Erdöl) basierendes Regionalsystem der Umverteilung, das die Nichterdölstaaten durch politische Funktionalisierung an den Exporten beteiligt und in die Weltwirtschaft einbindet.[109] Der Petrolismus hat 1973/74 (Oktoberkrieg) und 1979/80 (Islamische Revolution im Iran) zwei entscheidende Impulse erhalten und durch den exorbitanten Anstieg der Erdöleinnahmen seine gesamte Ordnungskraft entfaltet.[110] Das Zentrum dieses Systems sind die vollständig vom Erdölexport abhängigen Staaten der Golfregion (Kuwait, Saudi-Arabien, Bahrain, Qatar, VAE und vormals Irak), die von allen Staaten der Dritten Welt am stärksten in die Weltwirtschaft integriert sind. Sie können als transnationalisiert gelten, da sowohl die innere und äussere Souveränität als auch die Binnenwirtschaft und der Binnenkonsum aufgrund fremder Protektion (USA), fremden Einnahmen (Erdölrenten), fremder Arbeit (Gastarbeiter) und fremder Produktion vollständig auf das Ausland angewiesen sind.[111] Spätestens ab Mitte der 80er Jahre fand das Petrodollarrecycling der Erdölrevolution ein Ende, worauf der Petrolismus in eine bis heute andauernde Krise eintrat.
Der Rentierismus (Rentierstaatlichkeit) in der gesamten arabischen Welt war und ist eine conditio sine qua non des Petrolismus. Rentierstaaten beziehen ihr Einkommen aus in- oder ausländischen Rentenerträgen, die in der Binnenwirtschaft kaum in produktive Sektoren reinvestiert werden, sondern insbesondere den Import von Konsumgütern finanzieren.[112] Die Golfmonarchien sind eine extreme Form dieses unproduktiven Parasitismus, die darüber hinaus alle nicht-administrativen Arbeitsformen an sozial und politisch diskriminierte Gastarbeiter überträgt. Renten im arabischen Rentierismus können entweder direkte, ökonomische oder indirekte, politische Renten sein. Erstere manifestieren sich in direkter wirtschaftlicher Unterstützung und letztere in einen davon abhängigen Kurs der Aussenpolitik.[113] Die projektungebundene, bilaterale Entwicklungshilfe der Golfstaaten an die "Frontstaaten" Syrien, Jordanien und Ägypten sind hierfür klare Beispiele. Hinzu kommen auf substaatlicher Ebene die Migrantenrenten der massiven intraarabischen Gastarbeitermigration in Form von Remissen an nicht migrierte Gruppierungen im Heimatland.[114]
Die Rentierstaaten und mit ihnen die NANO-Länder können durch eine Operationalisierung des Rentenflusses kategorisiert werden. Die vier Variablen dafür sind der Anteil der Rente an den Staatseinnahmen, die Stabilität und Disponibilität der Rente, die Rentenmenge pro Kopf und die staatliche Verfügungsgewalt über die Renten. Demzufolge zählen sämtliche Golfstaaten, das möglicherweise zukünftige Partnerland Libyen und das heutige Partnerland Algerien zu den klassischen Rentierstaaten; die Partnerländer Syrien, die Palästinensische Autonomiebehörde, Jordanien, Ägypten, Tunesien und Marokko gelten als Semi-Rentiers, da ihre Exportstruktur stärker diversifiziert ist und sie weniger vom Erdölexport abhängen.[115] Es gibt somit eine intraarabische Zweiklassenstruktur mit der reichen Golfregion auf der einen und dem ärmeren Mashreq und Maghreb auf der anderen Seite. Interessanterweise gibt es keine Korrelation zwischen rentierstaatlichem Verhalten und Staatsideologie: sowohl die sozialrevolutionären als auch die traditionellen Regime weisen deutliche Züge des Rentierismus auf.[116]
Beim Eintritt von Rentenkrisen versuchen die Rentierregime, die Rentenflüsse zu optimieren und zu diversifizieren. Interne Reformbereitschaft und nach aussen getragene Konzilianz der Rentiers sind umgekehrt proportional zur Flüssigkeit ihrer Renten.[117] Als mehrere arabische Staaten 1991 die Operation "Desert Storm" kritisierten oder sogar den Irak unterstützten, versiegten die ökonomischen Renten aus dem Golf und zusätzlich die Gastarbeiterüberweisungen der zwangsweise repatriierten Migranten. Jordanien und die PLO z.B., die sich genau in dieser Situation befanden, waren gezwungen, sich Israel anzunähern, um neue Rentenflüsse aus den USA und der EU anzuzapfen. Da die Renten vielmehr politisch als ökonomisch redistribuiert werden und der arabische Rentierstaat seine Binnenlegitimation vor allem ökonomisch sichert, ist die arabische Welt von niedriger Produktivität und politischem Autoritarismus geprägt.[118] Der Grundsatz "no taxation without representation" wird denn auch in der NANO-Region zu "no taxation, thus no representation" pervertiert. Da die Steuersysteme in klassischen Rentierstaaten weitgehend inexistent sind und in Semi-Rentierstaaten kaum funktionieren, verfestigt der Rentierismus autoritäre Strukturen. Selbst sozialpolitische Massnahmen werden dort, wo sie existieren, vielmehr interregional und intertemporal als interpersonal umverteilt.[119]
Verschärft wird die niedrige Wirtschaftsproduktivität des Rentierismus durch eine ihm eigene ökonomische Logik, die der Logik der freien Marktwirtschaft diametral entgegenwirkt. An die Stelle von ökonomischer Performanz tritt die Effizienz von persönlichen Netzwerken, in denen ein Loyalitätswettbewerb stattfindet. Der Tausch von Loyalität gegen Ressourcen beherrscht dieses Wirtschaftssystem, in dem Gewinnmaximierung über Akkumulation von Loyalität einerseits und Patronage andererseits erfolgt.[120] Ergo wird nicht in ökonomische Produktivität, sondern in Klientelnetzwerke investiert, da diese den grössten Gewinn versprechen. Was in einer freien Marktwirtschaft die "unsichtbare Hand" ist, verkörpert im Rentierismus das arabische Konzept der wasta / wisāta (arabisch für Fürsprache, Vermittlung, Empfehlung). Wasta / wisāta ist das Schmieröl der rentierstaatlichen Maschinerie und zugleich in staatlichen und privatwirtschaftlichen Formen des Rentierismus omnipräsent. Dieses klientelistische Prinzip reguliert das ganze rent-seeking im Patronagesystem, sei es auf (inter-) national-makroökonomischer oder auf subnational-mikroökonomischer Ebene.[121]
5.2. Arabischer Etatismus
Eine spezifisch arabische Form des Etatismus hat sich mit der Rentierstaatlichkeit der arabischen Welt und damit der NANO-Länder herausgebildet. Der Staat (Verwaltung, Militär Geheimdienste etc.) erfreut sich als Hauptarbeitgeber weiterhin unangefochtener Dominanz im ökonomischen und damit auch im politischen Bereich. Er ist die Instanz, die über gesellschaftliche Inklusion oder Exklusion entscheidet. Deshalb gibt es in allen NANO-Ländern eine vom Etatismus vereinnahmte Gesellschaft ("governmental society") und zugleich einen riesigen informellen Sektor in Wirtschaft und Politik.[122] Als Integrations- und Repressionsapparat ist der arabische Staat zugleich schwach und stark, da er paranoid danach trachtet, möglichst viel Opposition für sich zu gewinnen und oftmals mit extremer Repression auf internen und externen Dissens reagiert. Die das Regime stabilisierende Kooptation der Bevölkerung erfolgt über grosszügige Subventionierung und Alimentation, um so ihre Loyalität zu erkaufen.[123]
Ein solcher Allokationsstaat reguliert die Gesellschaft durch Kooptation und Patronage im Gegensatz zu einem auf Partizipation beruhenden Produktionsstaat. Die Verbindung von Etatismus und Patronage manifestiert sich in einem patrimonialen Staatsverständnis: das Regime verkörpert parallel zu den Nuklearfamilien die nationale Familie mit dem Staatschef als zugleich fürsorglichem und repressivem Patron an der Spitze.[124] Staatliche Macht ist stark personalisiert und entspringt traditionellem Patriarchalismus, der in familialer und tribaler Form in der arabischen Welt weit verbreitet ist.[125] Die NANO-Länder sind bürokratische Entwicklungsgesellschaften, in denen die bürokratische Herrschaft dem traditionellen Patriarchalismus einen modernen Anstrich gibt. So erklärt sich auch der fortwährende Autoritarismus in der ganzen arabischen Welt trotz deutlichen Ideologieunterschieden in der Regimelegitimation.[126]
Der Etatismus geht auf die Epoche unmittelbar nach der Dekolonisierung zurück, als sich eine arabische Spielart des Sozialismus herauskristallisierte, die den Staat zur zentralen Agentur für eine nachholende Entwicklung bestimmte. Die Entwicklungsstrategien der 60er und 70er Jahre diktierten eine autozentrierte Entwicklung durch Nationalisierung der Ressourcen, Importsubstitution und obsessive Industrialisierung.[127] Dabei wurde aber der Agrarsektor vernachlässigt, was die strukturelle Heterogenität der postkolonialen Wirtschaftsstrukturen ausprägte. Aufgrund schwacher ländlicher Kaufkraft und eines dadurch beeinträchtigten ökonomischen Binnenzyklus haben sich diese strukturellen Mängel reproduziert. Die staatlich forcierte Industrialisierung liess grosse Staatsbetriebe entstehen, während die Kleinindustrie staatlicher Förderung entzogen war. Im informellen Sektor eröffneten sich den Entwicklungsdiktaturen naturgemäss geringere Kontrollperspektiven als in Kombinaten, die einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung in den Staatssektor einbanden und sie der Kontrolle des Regimes unterstellten. Die aufgeblasenen Bürokratien des arabischen Etatismus sind wirtschaftlicher Innovation abhold und verhindern diese durch eine erdrückende Regeldichte.[128]
5.3. Globalisierung und sozio-ökonomische Zustände
Die oben genannte Krise des Petrolismus seit Mitte der 80er Jahre stürzte natürlich auch das Rentiersystem und den mit ihm verbundenen Etatismus in eine tiefe Krise. Prinzipiell ging und geht es um eine Neuformulierung des arabischen Gesellschaftsvertrages, der bislang auf Kooptation und Allokation beruhte und neuerdings das neue Paradigma von Partizipation und Besteuerung akkommodieren muss.[129] Die in den 80er Jahren entstandene Doktrin des "Washington Consensus" zwischen der U.S.-Regierung, den ökonomischen Eliten, dem IWF und der Weltbank diskreditierte den bislang verfolgten Keynesianismus der staatlich gesteuerten Entwicklung in der arabischen Welt.[130] Wirtschaftlicher Staatsinterventionismus verlor ebenso wie Importsubstitution seine entwicklungspolitische Attraktivität in der gesamten Dritten Welt. Die astronomischen Leistungen der südöstasiatischen Entwicklungsstrategien zerstörten jede Hoffnung auf einen Erfolg autochthon-arabischer Entwicklung. Die "Tiger" und andere Newly Industrializing Countries (Schwellenländer) sind in der sich liberalisierenden Weltwirtschaft zu ernsthaften Konkurrenten der arabischen Welt geworden. Auch die NANO-Region hat keine Alternative, als sich der Globalisierung zu stellen, um in ihrer peripheren Lage nicht weiter marginalisiert zu werden.[131]
Dies erschweren oder verunmöglichen gar die teils katastrophalen, sozio-ökonomischen Zustände in den NANO-Ländern, die mit der Globalisierung weiter zuzunehmen drohen. Die demographische Entwicklung, die ja Hauptgrund für die Sicherheitsparanoia der EU ist, bildet dabei nur einen Faktor. Aufgrund klimatischer und topographischer Besonderheiten der NANO-Region (Aridität, Wassermangel, Desertifikation) konzentrieren sich die unkontrolliert wachsenden Agglomerationen in unmittelbarer Küstennähe und belasten die dortigen Ökosysteme.[132] Ein desolater Bildungsstand mit Analphabetenraten, die weltweit zu den höchsten gehören, behindert die Entfaltung des Humankapitals, das durch autoritäre Desinformation noch zusätzlich geschwächt wird. Der digital divide zwischen der NANO-Region und dem Westen ist weltweit der grösste, da selbst Subsahara-Afrika besseren Zugang zu globalen Informationsströmen besitzt. Damit korreliert die enorme Rückständigkeit der Wissenschaft, Technologie und Produktivität im 3. Sektor.[133] Die Dominanz von veralteten oder atavistischen Diskursen vermindert die gesellschaftliche Wertschätzung von sowohl geistiger als auch geistlicher Innovation und Kreativität, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Region drastisch reduziert.[134]
Den grösseren Kontext hierfür bildet die wohl stärkste Ideologie- und Identitätskrise in der Geschichte der arabischen Region und damit auch der NANO-Länder. Die bei allen Ländern der Dritten Welt erkennbaren kolonialen Traumata wurden in der dekolonialisierten NANO-Region durch post- bzw. neokoloniale Ereignisse verschlimmert: die Gründung Israels, der arabisch-israelische Krieg von 1967 und der Zweite Golfkrieg.[135] Ob die Besetzung des Irak anlässlich der "Operation Iraqi Freedom" ein viertes Trauma für die arabische Psyche darstellen wird, bleibt abzuwarten. Das Scheitern sämtlicher westlicher Entwicklungsideologien und das Scheitern des panarabistischen nation building haben den arabischen Staat vollständig delegitimiert. Die schizophrene Einstellung zur Moderne, deren materielle Güter angenommen, deren Ideen aber abgelehnt werden, vermischt sich mit einem Gefühl der tiefen Frustration und Niedergeschlagenheit.[136] Eine nie gekannte intellektuelle Stagnation bietet den Nährboden für Verschwörungstheorien und staatlichen Obskurantismus.
Das ideologische Vakuum, das die weitgehende staatliche Delegitimation in den NANO-Ländern zurücklässt, wird seit den 70er Jahren erfolgreich von den einzig verbliebenen Oppositionsbewegungen ausgefüllt, die im Westen unter dem Namen "politischer Islam" firmieren.[137] Diese politischen Bewegungen sind in den Augen vieler ihrer Sympathisanten die letzten legitimen Protestbewegungen, da praktisch alle Alternativen von den arabischen Staaten kooptiert und neutralisiert wurden. Untersuchungen ergeben denn auch keine Korrelation zwischen dem Aufstieg des Islamismus und einer erhöhten Spiritualität seiner Anhänger.[138] Der heterogene Islamismus unterscheidet sich als quasi-politische Opposition grundsätzlich vom Alltagsislam, wie er von Millionen NANO-Bürgern praktiziert wird. In denjenigen Staaten, in denen moderate Islamisten an der Macht beteiligt wurden (Jordanien, Libanon etc.), zeigten diese einen mit parlamentarischen Spielregeln durchaus kompatiblen Pragmatismus und eine daraus resultierende Kompromissbereitschaft.[139] Die grösste Herausforderung für Islamisten jedweder Couleur und die beste Methode radikale Gruppierungen zu moderieren, ist ihr Einbezug in politische Entscheidungsprozesse. Dies wird aber von einigen westlichen Denkströmungen in Zweifel gestellt, da diese den "Islam" als die Antithese zu parlamentarischer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konstruieren.[140]
Eine politische Liberalisierung der NANO-Autokratien würde zweifellos einen kurzfristigen Anstieg der islamistischen Partizipation nach sich ziehen, die sich aber im parlamentarischen System selbst neutralisieren würde. Dies ist aber nicht gleichzusetzen mit der gegenwärtigen Kooptation von islamistischen Gruppierungen und islamistischer Zivilgesellschaft durch die Regime. Zivilgesellschaft ist per definitionem ein autonomes Gesellschaftssegment von Freiwilligen, das zwischen Familie und Staat steht.[141] Solch eine Definition wird aber den zivilgesellschaftlichen Gruppen in den NANO-Ländern nicht gerecht, weil primordiale Bindungen in diesem Gebiet auch integraler Bestandteil der Zivilgesellschaft sind.
6. Die Zukunft der EMP
6.1. Entwicklungs- und Reformchancen im Rahmen der EMP
Äusserst auffällig ist die Widerstandskraft der klientelistischen Strukturen in den NANO-Ländern gegen alle Reformversuche und die Überlebensfähigkeit von neopatrimonialer Autokratie. Die arabische Welt hat als eine der wenigen Regionen dieses Globus keine Dritte Welle der Demokratisierung um 1989 erlebt.[142] Der westliche Diskurs über die Region hat oft das pseudowissenschaftliche Argument bemüht, der Autoritarismus sei dort eine kulturgenetische Veranlagung oder habe sich als "orientalische Despotie" aus der Geopolitik der Region entwickeln müssen.[143] Auch die eurozentrische Behauptung, die Region sei vom okzidentalen Rationalisierungsprozess unangetastet geblieben ist nur bedingt vertretbar.[144] Die NANO-Region ist sehr wohl reformierbar, doch sind einmal begonnene Reformen nicht zwingend unumkehrbar. Dies gilt allerdings nur für den politischen Bereich, da ökonomische Liberalisierung kaum noch rückgängig zu machen ist.[145] Die EMP-These von der automatischen Demokratisierungskraft der deregulierten Märkte ist zumindest in der NANO-Region unhaltbar. Bestes Beispiel dafür ist Tunesien, dessen Ökonomie die grössten marktwirtschaftlichen Fortschritte aufweist, die auch von politischer Liberalisierung begleitet wurden. Diese aber erlitt in den 90er Jahren markante Rückschläge.[146]
Arabische Regime haben im Laufe der Jahre ausgeklügelte Überlebensstrategien entworfen und auch erfolgreich umgesetzt, welche ihnen hohe Resistenz gegen die Demokratisierungskraft von ökonomischen Reformen verleihen[147]:
1. Regime unterminieren politische Opposition, indem sie die negativen Auswirkungen von Reformen nur zugunsten der schwächsten Gesellschaftsschichten gezielt abdämpfen und diesen politische Konzessionen zugestehen.
2. Regime konsolidieren das eigentliche Machtzentrum, während an seinem Rand politische Liberalisierung stattfindet kann.
3. Regime kooptieren einen Grossteil der Liberalisierungsbefürworter mit politischen oder ökonomischen Vorrechten.
4. Regime kontrollieren das Tempo von ökonomischen Reformen, damit ihre Wucht abgeschwächt wird und keine Opposition hervorruft.
5. Regime stellen ihre oberflächliche Legitimation mit "nationalen Pakten" wieder her oder betreiben islamistische Selbstdarstellung
6. Regime treten (sub-)regionalen Bündnissen bei.
7. Regime gehen mit staatlicher Repression gegen Protest vor.
Die augenfälligste Strategie ist die der Kooptation. Mittlerweile entstehen in den arabischen Staaten Schulterschlüsse zwischen der Staatsbürokratie und dem aufstrebenden Unternehmertum.[148] Dies geht so weit, dass die Staatsklasse aus Furcht vor Partizipationsansprüchen des Unternehmertums, dessen Funktionen zu übernehmen beginnt:
"[...] today, families of the heads of states, the upper strata of bureaucracy and governmental institutions, leaders of the ruling parties and the top ranks of the military establishment and security services all run their private enterprises."[149]
Ergo werden nicht nur die Träger des Reformprozesses kooptiert, sondern dieser selbst übernommen. Die junge Generation liberaler Technokraten darf sich an der wirtschaftlichen, technischen und administrativen Modernisierung zwar beteiligen, ohne aber in sicherheitspolitisch relevante Positionen aufzusteigen.[150] Das Unternehmertum kann somit sein Innovationspotenzial aufgrund fehlender Autonomie und bürokratischer Behinderung nicht zur Geltung bringen.[151]
Gemäss der Barcelona-Erklärung hat jedes NANO-Land "the right [...] to choose and freely develop its own political, socio-cultural, economic and judicial system".[152] Dies zusammen mit der erklärten Unantastbarkeit der Souveränität eines jeden Partnerlandes schliesst eine Demokratisierung von oben prinzipiell aus, da ja auch die politische Konditionalität in den neuen Assoziierungsabkommen noch nie ernsthaft angewandt wurde. Im Hinblick auf die Souveränitätsparanoia der Regime ist auch einer Demokratie von unten, wie sie die EMP ja vorrangig anstrebt, nur wenig Erfolg beschieden. Die Joint Ventures zwischen NGOs aus den EU- und NANO-Ländern müssen sich im Rahmen der Legalität bewegen.[153] Die meisten NGOs der südlichen Partnerländer werden allerdings ihrem Namen nicht gerecht, da sie quasi-staatliche Institutionen sind, die entweder vom Staat indirekt geschaffen oder von ihm kooptiert wurden. Obwohl islamistische Kräfte oftmals die einzige legitime Opposition repräsentieren, werden sie kriminalisiert und dadurch von transmediterraner Kooperation ausgeschlossen.
Die Innovationen des EMP im 1. und 3. Korb werden so ihrer Essenz beraubt. Von einer Komplementarität dieser beiden Körbe, die funktionalistische Spillover-Effekte auslösen soll, kann nicht ausgegangen werden. Ob der 2. Korb mit seiner ökonomischen Dynamik auf die anderen beiden Körbe überschwappt, wird die Implementation der Assoziierungsabkommen und die Errichtung einer Euro-Mediterranen Freihandelszone zeigen. Weil aber die Handelsliberalisierung nicht vollständig ist und ausserdem das rentierstaatliche System des Petrolismus ausser Acht lässt, werden funktionalistische Mechanismen nur schwach wirken. Subregionale Wirtschaftintegration im Sinne des "Washington Consensus" wird voraussichtlich den strukturellen Dualismus zum einen noch verstärken und zum anderen die kleinindustriellen Strukturen zerstören.[154] Andererseits wird der informelle Sektor sich tendenziell vergrössern, weil mit dem Abbau der Zölle zwischen den NANO-Ländern die Besteuerung zunimmt und damit auch die Steuerflucht.[155] Damit ist auch die "trickle down"-These stark in Zweifel gezogen.
Die für eine Freihandelszone auf regionaler und subregionaler Ebene notwendigen Strukturanpassungen werden kurz- bis mittelfristig negative Folgen für die gesamte Region mit sich bringen.[156] Ein Anstieg der inneren Instabilität der NANO-Länder wird die Regel, nicht die Ausnahme sein, wobei noch nicht absehbar ist, wie die Regime auf die neue Unsicherheit reagieren werden.[157] Dass die sozio-ökonomischen Zustände sich kurzfristig noch verschlechtern und damit der politische Islam noch mehr an Popularität gewinnt, steht jetzt schon fest. Ein repressives Vorgehen der Regime gegen ihre einzige ernsthafte Opposition könnte von der EU unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung sogar noch begrüsst werden. Bürgerkriegsähnliche Zustände im Sinne Algeriens sind damit durchaus vorstellbar.
Solche Szenarien würden jede Hoffnung auf subregionale Integration zunichte machen. Die meisten interarabischen Integrationsinitiativen politischer oder ökonomischer Art sind in der Vergangenheit sowieso kläglich gescheitert. Auf dem Papier ist die arabische Welt zwar eine der kooperativsten und am stärksten integrierten überhaupt, doch wurden die meisten Abkommen nie ernsthaft umgesetzt.[158] Zu stark sind die nationalstaatlichen Egoismen, die politischen und quasi-militärischen Spannungen zwischen den Staaten und die Protektion der heimischen Wirtschaft.[159]
6.2. Konsequenzen für die EMP und Ausblick
Die EMP ist als europäischer Versuch des regionalen Regierens bislang gescheitert. Sie leidet an dem unüberwindbaren Widerspruch, gleichzeitig Stabilität und Demokratisierung durch ökonomische Integration erreichen zu wollen.[160] Eine endogene und exogene Demokratisierung der NANO-Region wird die Region aber kurz- bis mittelfristig destabilisieren. Deshalb wurden die sozio-politischen Konditionalitäten im 1. und 3. Korb für die Durchsetzung ökonomischer Konditionalität im 2. Korb geopfert. Im Gegensatz zur östlichen Peripherie unterhöhlt die fehlende Möglichkeit eines EU-Beitritts die politische Konditionalität von Anfang an. Eine Demokratisierung von unten ist nur durch eine entsprechende Bewegung von oben erfolgreich.[161] Da aber die NANO-Regime paranoid über ihr Machtmonopol in harten Sicherheitsfragen wachen, werden sich höchsten marktkonforme Scheindemokratien entwickeln.
Auf die Unteilbarkeit von staatlicher Souveränität gehen auch die düsteren Aussichten einer subregionalen Wirtschaftsintegration zurück. Das Fortbestehen von regionalem Rentierismus, die Einbindung in das petrolistische Regionalsystem sowie die Ausrichtung harter Sicherheitsintessen auf die Levante behindern den Aufbau der Euro-Mediterranen Freihandelszone. Die Gefahr von noch ausgeprägteren "hub and spoke"-Beziehungen wäre dann das Resultat der Freihandelsabkommen und würde die EMP auf einen ökonomischen Primat reduzieren, der die Regime konsolidiert. Ohne den gezielten Einsatz sozio-politischer Konditionalität wird rent-seeking auch das privatwirtschaftliche Umfeld korrumpieren und damit in makro- und mikroöknomischer Form weiterbestehen.
Die neofunktionalistischen Annahmen entsprechen durchaus dem Holismus der hochgradig komplexen und weitläufigen EMP, die aber fünf Jahre nach ihrer Gründung selbst von der Kommission für klinisch tot erklärt wurde (siehe das Papier "Reinvigorating the Barcelona Process").[162] Verantwortlich dafür sind einerseits die enorme Diskrepanz zwischen Zielen und eingesetzten Mitteln und andererseits der andauernde israelisch-arabische Konflikt. Darüber hinaus lähmt der Dualismus der EU-Aussenpolitik ein effektives Vorgehen im östlichen Mittelmeerraum. Auch die Kooperationsbereitschaft der NANO-Länder wird durch die Inkohärenz und Intransparenz der europäischen Politik gegenüber der mediterranen Peripherie gestört. Zugleich unterminiert die unbestreitbare Hegemonie der USA über die Mashreq-Region und den nahöstlichen Friedensprozess die Wahrnehmung europäischer Sicherheitsinteressen in dieser Region. Eine Konzentration der EU-Länder auf den westlichen Mittelmeerraum wäre daraus die Konsequenz.
Tatsächlich wäre die Beschränkung der EMP auf den Maghreb sowohl aus sicherheitspolitischer als auch aus neofunktionalistischer Sicht vorzuziehen. Obwohl auch in dieser Region die sicherheitspolitische Situation äusserst delikat ist, besteht keine Konkurrenz zu einer anderen Regionalmacht. Der längst vergessene Konflikt um die von Marokko besetzte Westsahara, der seit Jahrzehnten von der UNO erfolglos verhandelt wird, könnte der EU als Testfeld für ihre sicherheitspolitische Kompetenz dienen. Ein ernstzunehmendes Engagement von Seiten der EU würde den Druck auf Marokko erhöhen, seine durch den Konflikt gestörten Beziehungen zu Algerien zu verbessern. Da der Maghreb auch weiterhin die Hauptquelle regionaler Migration in die EU sein wird, sollte eine erneuerte EMP ihr ganzes Gewicht auf Nordafrika verschieben, um vor allem in weichen Bereichen neofunktionalistische Interdependenz zu realisieren. Auf der Ebene von "low politics" ist eine Form der Supranationalisierung im Maghreb, aber auch in den EU-Aussenbeziehungen am ehesten zu erwarten.
Der Maghreb besitzt neben seinen länderspezifischen Erfolgen in Sachen Demokratisierung und Marktliberalisierung ein ausbaufähiges Potential als Energielieferant der EU. Intensivierter Energiehandel würde auch Libyen dazu zwingen, sich der EMP anzunähern. In allen Ländern droht eine geringere Gefahr islamistischer Destabilisierung, da die Katastrophe des algerischen Bürgerkrieges allen Maghrebinern die negativen Folgen deutlich illustriert hat. Die traditionellen Kontakte zu den mediterranen Mitgliedern der EU (ausser Griechenland) könnten von diesen verstärkt werden und als Gegengewicht zur kommenden Osterweiterung fungieren. Die Zukunft der EMP liegt in Anbetracht der neuen U.S.-Ordnungspolitik im ganzen Nahen- und Mittleren Osten im neofunktionalistischen Integrationspotenzial des Maghreb.
Wie sich die "Operation Iraqi Freedom" auf das arabische Gesamtsystem auswirken wird, kann erst in den nächsten Dekaden beantwortet werden. Das die nun omnipräsente Gefahr von "humanitärer Intervention" jedem arabischen Regime weiche Knie bereitet, könnte den gesamtregionalen Reformdruck enorm beschleunigen. Etatistische Rentenstaaten in der arabischen Welt sind nur durch massiven Druck reformierbar. Andererseits wird sich die substaatliche Opposition gegen das neue amerikanische Protektorat zwischen Euphrat und Tigris vor allem gegen die eigenen Regime richten, die im Rahmen der arabischen Liga in dieser Frage einmal mehr ihre Handlungsunfähigkeit bewiesen haben. Der Islamismus wird in den nächsten Monaten vom amerikanischen Neokolonialismus enorm profitieren. Nach dem 11. September 2001 ist aber der politische Islam – die letzte legitime Opposition in der arabischen Welt – die Hauptzielscheibe der globalen Terrorismusbekämpfung geworden. Die EU darf folglich in den nächsten Jahren mit einer volatilen Süd- und Ostflanke der Mittelmeerperipherie rechnen.
Das von der EMP zu verfolgende Paradigma für die südliche Peripherie sollte nicht "Sakularismus" heissen, sondern "Islam und Rationalität". Die gezielte Unterstützung von moderaten Islamisten wäre erstaunlicherweise im ureigensten Interesse der EU, da dies eine autochthone Reform mit Zukunftsperspektive garantieren würde. Die neue moderat-islamistische Regierung in der Türkei und ihr vom kemalistischen Militär kontrollierter Respekt der laizistischen Staatsform werden hoffentlich in die gesamte NANO-Region und auch in die EU ausstrahlen.[163] Die Integration solch einer neuen Türkei in die EU würde eine automatische Brücke zur NANO-Region schaffen und auch den Umgang mit Muslimen und Islamisten in der EU positiv beeinflussen.
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[...]
[1] Commission of the European Communities: Communication from the Commission to the Council and European Parliament. Wider Europe-Neighbourhood: A New Framework for Relations with our Eastern and Southern Neighbours. Brussels 2003. p. 3
[2] Khan, Daniel-Erasmus (Hrsg.): EG-Vertrag in den Fassungen von Maastricht und Amsterdam mit Protokollen, Schlussakten und Erklärungen. München 1998. p. 255
[3] Commission of the European Communities (2003), p. 5
[4] Fund, Sven: Grammatik(en) der Macht. Die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union und die Zentralamerika-Politik der USA. Opladen 2001.
[5] Weidenfeld, Werner und Wolfgang Wessels (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Union 1996/7. Berlin 1997.
[6] Maresceau, Marc und Erwan Lannon (Hrsg.): The EU's Enlargement and Mediterranean Strategies. A Comparative Analysis. New York 2001.
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[7] Behrendt, Sven und Christian-Peter Hanelt (Hrsg.): Bound to Cooperate – Europe and the Middle East. Gütersloh 2002.
Hanelt, Christian-Peter, Felix Neugart und Matthias Peitz (Hrsg.): Europe's Emerging Foreign Policy and the Middle Eastern Challenge. Gütersloh 2002.
[8] Ausnahme hierzu: Schlumberger, Oliver: Arab Political Economy and the European Union's Mediterranean Policy: What Prospects for Development? in: New Political Economy 5/2 (2000), p. 247-262
[9] Tanner, Fred (Hrsg.): The European Union as a Security Actor in the Mediterranean. ESDP, Soft Power and Peacemaking in Euro-Mediterranean Relations. Zürich 2001.
[10] Kaiser, Karl und Hans-Peter Schwartz (Hrsg.): Weltpolitik im neuen Jahrhundert. Bonn 2000. p. 133
Guazzone, Laura (Hrsg.): The Middle East in Global Change. The Politics and Economics of Interdependence versus Fragmentation. London 1997. p. 228
[11] Kaiser (2000), p. 133
[12] Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Europa-Handbuch. Bonn 2002. p. 702
Xenakis (2001), p. 39
[13] Pierros (1999), p. 10-39
[14] Xenakis (2001), p. 37
[15] Nohlen, Dieter und Franz Nuscheler (Hrsg.): Handbuch der Dritten Welt Band 1. Grundprobleme, Theorien, Strategien. Bonn 1993. p. 43-44
Nohlen, Dieter und Franz Nuscheler (Hrsg.): Handbuch der Dritten Welt Band 6. Naher Osten undNordafrika. Bonn 1993. p. 34
[16] Pierros (1999), p. 22/24
Scherpenberg, Jens van und Peter Schmidt (Hrsg.): Stabilität und Kooperation: Aufgaben internationaler Ordnungspolitik. Baden-Baden 2000. p. 345
[17] Rivlin, Paul: Economic Policy and Performance in the Arab World. Boulder 2001. p. 186
[18] Tanner ( 2001), p. 52-53
[19] Hanelt (2002), p. 65 und Scherpenberg (2000), p. 347/349
[20] Tanner (2001), p. 80 und Fund (2001), p. 261
[21] King, Russell (Hrsg.): The Mediterranean Passage. Migration and New Cultural Encounters in Southern Europe. Liverpool 2001. p. 4-6
[22] King (2001), p. 8-9
[23] Weidenfeld (2002), p. 712
[24] Commission of the European Communities (2003), p. 23
[25] King (2001), p. 7 und Weidenfeld (2002), p. 545
[26] europa.eu.int/comm/external_relations/morocco/intro/index.htm
europa.eu.int/comm/external_relations/morocco/csp/02_06_fr.pdf
[27] europa.eu.int/comm/external_relations/tunisia/intro/index.htm
[28] europa.eu.int/comm/external_relations/algeria/csp/02_06_fr.pdf
[29] Rivlin (2001), p. 175
[30] Commission of the European Communities (2003), p. 17
[31] Pawelka, Peter und Hans-Georg Wehling (Hrsg.): Der Vordere Orient an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Opladen 1999. p. 14
[32] Pawelka (1999), p. 21/46
[33] Pawelka (1999), p. 20/27
[34] Zippel (1999), p. 174
[35] Tanner (2001), p. 32
[36] Xenakis (2001), p. 86 und Tanner (2001), p. 51
[37] Tanner (2001), p. 21
[38] Guazzone (1997), p. 231
[39] Fund (2001), p. 243
[40] Fund (2001), p. 246
[41] Xenakis (2001), p. 44
[42] ibd. (2001), p. 79
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[46] Xenakis (2001), p. 61/63 und Zippel (1999), p. 40
[47] Fund (2001), p. 226-30
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[49] Zippel (1999), p. 44-6
[50] ibd. (1999), p. 47
[51] Behrendt (2002), p. 361
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[53] Behrendt (2002), p. 23
[54] Hanelt (2002), p. 66
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[56] Tanner (2001), p. 33
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[59] Hanelt (2002), p. 62 und Scherpenberger (2000), p. 342
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[61] Pierros (1999), p. 233-244
[62] Zippel (1999), p. 50 und Xenakis (1999), p. 106
[63] Tanner (2001), p. 25
[64] Zippel (1999), p. 59
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[74] Woyke Wichard (Hrsg.): Handwörterburch Internationale Politik. Opladen 2000. p. 112
[75] Hanelt (2002), p. 64
[76] europa.eu.int/comm/external_relations/euromed/bilateral_relations.htm
[77] Commission of the European Communities: Euromed Information Notes. Euro-Mediterranean Partnership and MEDA Regional Activities. June 2002. Brüssel 2002. p. 4
[78] Tanner (2001), p. 34 und Weidenfeld (2002), p. 703
[79] Rivlin (2001), p. 169/187
[80] Fund (2001), p. 224 un Rivlin (2001), p. 175
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[84] Rivlin (2001), p. 191/193
[85] Ginsberg, Roy H.: The European Union in International Politics. Oxford 2001. p. 1
[86] Behrendt (2002), p. 221
[87] Peterson, John und Helene Sjursen (Hrsg.): A Common Foreign Policy for Europe?. London 1998. p. 3
[88] ibd. (1998), p. 5/36
[89] Behrendt (2002), p. 229-230
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[141] Lang, Franz Peter und Mohammed Reza Asghari (Hrsg.): Islam und sozio-ökonomische Entwicklung. Essen 2000.p. 60-64; Khashan (2000), p. 147
[142] Amin, Samir (1995) p. 96; Youngs, Richard: The European Union and the Promotion of Democracy. Oxford 2001. p. 48
[143] Lang (2000), p. 58 und Nohlen (1993, Bd. 6), p. 22
[144] Nohlen (1993, Bd. 1), p. 258 und Guazzone (1997), p. 14
[145] Handelman (1999), p. 69/78
[146] Nohlen, Dieter (Hrsg.): Lexikon Dritte Welt. Länder, Organisationen, Theorien, Begriffe, Personen. Reinbek bei Hamburg 2002. p. 812
[147] Hanelt (2002), p. 48-49
[148] Behrendt (2002), p. 350
[149] Schlumberger (2000), p. 257-258
[150] Perthes, Volker: Geheime Gärten. Die neue arabische Welt. Berlin 2002. p. 355
[151] Amin (1995), p. 133
[152] Pierros (1999), p. 234
[153] Zippel (1999), p. 58
[154] Amin (1995), p. 131 und Weidenfeld (2002), p. 708
[155] Handelman (1999), p. 74
[156] Owen, Roger and Pamuk Sevket: A History of Middle East Economies in the Twentieth Century. London 1998. p. 241
[157] Al-Ani (1994), p. 615
[158] Neue Züricher Zeitung: Die Araber im Angesicht ihres Rückstandes. Nr. 160 vom 13.07.2002. p. 7
[159] Al-Ani (1994), p. 624 und Owen (1998), p. 238
[160] Hanelt (2002), p. 56
[161] ibd. (2002), p. 73
[162] Commission of the European Communities: "Reinvigorating the Barcelona Process". Brüssel 2000. p. 4
[163] Al-Wasat (Al-Hayat al-Usbū‘īyya): Erdogan wa taghīr wadjh turkiya! Nr. 563 vom 11.11.2002. p.7.
- Citation du texte
- David Jan Slavicek (Auteur), 2005, Die Euro-Mediterrane Partnerschaft: Regionales Regieren an der Mittelmeerperipherie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109086
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