Sozialgeschichtliche Hintergründe der Stellung von Frau und Mutter im 18. und 19. Jahrhundert
Sozialgeschichtliche Hintergründe der Stellung von Frau und Mutter im 18. und 19. Jahrhundert
Gesetzliche Bestimmungen: A.L.R. (Allgemeines Preußisches Landrecht, 1794):
"§ 184 Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gemeinschaft und sein Entschluß giebt in gemeinschaftllichen Familienangelegenheiten des Ausschlag."
Mit der Heirat fällt das Vermögen der Frau dem Mann zu (sofern vorher nicht anderweitige Verträge geschlossen werden). Der Zuerwerb der Frau während der Ehe fällt unter das Vermögen des Mannes.
Vor Gericht vertritt der Mann die Frau. In der Regel kann daher die Frau ohne Hinzuziehung des Mannes keine Prozesse führen. Genauso kann die Frau keine Verträge abschließen oder Geschäfte tätigen.
Ehescheidung ist möglich bei:
- böswilligem Verlassen, Ehebruch, fehlender Erfüllung ehelicher Pflichten (durch Unwillen oder Unvermögen), "Raserey und Wahnsinn", Angriffe auf Leben, Gesundheit, Ehre und Freiheit des Gatten, grobe Verbrechen gegen Dritte, "unordentliche Lebensart", Wechsel der Religion
Nach §§ 670-71 steht nur dem unschuldigen Teil ein Klagerecht wegen Ehebruch zu. Haben beide Teile Ehebruch begangen, so kann nur der Mann auf Ehescheidung bestehen, die Frau nicht.
Das BGB, das Frauen erstmals volle Geschäftsfähigkeit einräumte, galt erst ab 1900.
Der Wandel von Familienstrukturen und seine Folgen
[nach: Langendorf, Erich: Zur Entstehung des bürgerlichen Familienglücks. Frankfurt /M. u.a.: Lang 1983]
Die Familie als Kulturträger
Die Familie wird heute als statisches Element angesehen, das sozusagen universal und für die westliche Kultur bestimmend sei. Deswegen führt jeder Wertewandel, der die Familie betrifft, regelmäßig zu Gejammer über die drohende Auflösung der gesamten Kulturordnung.
Wichtig ist aber: die Familie (vor allem in ihrer heutigen Form) ist kein Natur-, sondern ein Kulturprodukt.
Das Wort "Familie" wird in der lateinischen Wortform im 16. Jh. in Deutschland gebräuchlich in der Bedeutung des lat. Wortes "Hausgenossenschaft", zu der auch der 'famulus', der Schüler oder Diener, gehörte. Vor der Einbürgerung des Fremdwortes benutzte man den Begriff "Weib und Kind", oder einfach "Haus" (so bei Luther, der das Wort 'Familie' nicht kannte).
Unsere heutige Kernfamilie war also nur ein kleiner Teil der mit dem Begriff bezeichneten Gemeinschaft.
Zentral ist die absolute Macht des Hausvaters – allerdings bot das Haus auch rechtlichen Schutzraum, den sog. 'Hausfrieden', vgl. Begriffe wie "Hausfriedensbruch", "Hausrecht". Dem Hausrecht unterstanden somit auch Mägde, alte Tanten, im Haus lebende Lehrlinge u.a.
Eine Entwicklung des Selbstverständnisses des Bürgertums fand erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts statt, eingebettet in den Prozeß der Aufklärung.
Im 16. Jahrhundert, mit der Ausdifferenzierung der Arbeitsteilung, wird die Rolle der Frau als Arbeitskraft in der Bewirtschaftung des "ganzen Hauses" unwichtiger; die Geldwirtschaft tritt vermehrt an die Stelle der Naturalienwirtschaft. Damit wird die Frau als nunmehr nicht mehr gleichberechtigte Arbeitskraft in den Bereich des Privaten und Häuslichen abgedrängt, weil sie nicht mehr zur materiellen Reproduktion beiträgt. (vgl. Bauernhof: dort ist die Frau auch heute noch als Arbeitskraft unverzichtbar.) Diese Entwicklung setzt zuerst bei den Patriziern ('Geldadel') ein, die sich als erster gesellschaftliche Gruppe im 15. Jahrhundert neben dem Adel 'hocharbeiten' konnten. "Zunächst ist die frühbürgerliche Familie von Widersprüchen durchsetzt. Einzig die Bedingungen für eine Neustrukturierung des familialen Zusammenlebens haben sich gebildet. Die inhaltliche Ausprägung erfolgt erst mit der Entstehung eines bürgerlichen Selbstverständnisses, der Aufklärung, wenn die Familie einen Begriff von sich selbst zu entwickeln beginnt und sich abgrenzt von alten Formen der Familienbildung. Ab diesem Zeitpunkt beginnt der Prozeß der gesamtgesellschaftlichen Durchdringung bürgerlicher Familienformen wirksam zu werden, deren Wurzeln zwar bis ins 16. Jh. hineinreichen, aber keine Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen können. Es entstehen vielmehr innerhalb einer kleinen Bevölkerungsgruppe die Bedingungen für Freiräume, innerhalb derer sich die Kultivierung der Emotionalität entfalten kann. Die Auswirkungen beschränken sich dabei nicht nur auf das Verhältnis der Ehegatten zueinander, sondern greifen auch auf die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern über." [Langendorf 1983, S. 34]
Dieser Wandel der Familienstrukturen verlief keineswegs plötzlich und universal; er war schleichend, regional und sozial unterschiedlich, differenziert nach Stadt/ Land, Proletariat/ Bürgertum/ Adel etc.
Luthers Ehelehre
Laut Luther kann kaum ein Mensch keusch leben, daher ist die Ehe das beste Mittel, um die Sexualität 'christlich zu legitimieren'; Ehe soll sexuelle Lasterhaftigkeit verhindern, soll Sexualität auf den Ehepartner kanalisieren. Daher ist nach Luther auch die Verweigerung der ehelichen Pflichten neben Ehebruch der einzige Grund für Ehescheidung.
Luthers Ehelehre ist im 16. Jh noch keine Realität, sie wird erst später Leitfaden.
In der katholischen Kirche galt die absolute Enthaltsamkeit/ Keuschheit immer noch als das Höchste, nicht die Ehe. Nach Luther dagegen sollte die Ehe angestrebtes Ziel eines jeden sein; Unverheiratete hatten ein schlechteres Ansehen, da man ihnen fehlende Kanalisierung des Trieblebens unterstellte; somit galten sie immer potentiell als gefährdet oder gefährdend.
Für Luther war ein guter Christ vor allem durch seinen inneren Glauben gut; gute Taten waren nur dann gut, wenn sie aus einem frommen Glauben heraus passierten. – das Hauptaugenmerk richtete sich damit auf die Innerlichkeit, seelische Selbstreflexion, das menschliche Seelenleben wird überhaupt erst interessant. Der Einzelne ist selbst für seine Rechtgläubigkeit verantwortlich und kann sie nicht durch äußerliche Akte erringen (gegen Ablaß). Daher findet man die Literatur der Empfindsamkeit vor allem in protestantischen und pietistischen Gebieten.
Die Wirkung dieser Lehre setzt erst im 18. Jahrhundert ein, da erst dann die Gesellschaft vom Protestantismus durchdrungen und bestimmt ist. Erst dann werden innere Mechanismen im Menschen zur unausweichlichen Kontrollinstanz. Es bildet sich sozusagen ein theologisch bestimmtes "Über-Ich", das im Mittelalter noch nicht existiert hatte.
Damit wird auch die Unterwerfung der Frau unter den Mann von einer rein äußerlicher Gewalt (Unterwerfung unter den "Hausherrn") zu einer verinnerlichten Größe. Die Ehe wird von einer Institution der gemeinsamen Reproduktion zu einer moralischen Institution.
Entdeckung der Kindheit
[in der Forschung kontrovers diskutiert...]
Wichtiges und einflußreiches Werk:
Jean Jacques Rousseau: "La Nouvelle Héloise" [1761]: die adlige Julie wird auf ihre repräsentierende Rolle als Gutsbesitzerin vorbereitet, wird in "nützlichen Wissenschaften" ausgebildet, um eine verständige Gattin zu sein; im "Emile" [1762]: Sophie, einfaches bürgerliches Mädchen vom Land, braucht nur einfache haushälterische Fähigkeiten, nur "natürliche" Bildung.
Frauen aus sozial unterschiedlichen Klassen werden von Rousseau ihrer "Natur" gemäß zum Ideal der Ganzheit, des Gesunden, des Nicht-Kulturellen und Nicht-Zivilisatorischen erklärt. Da das Haus ausschließlicher Wirkungsort ist, wird die Frau mit einem idealisierten Stand der Natur verglichen, unverfälscht und unverbildet könne sie so den Zwängen der modernen Zivilisation entgehen.
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts starke Rousseau-Rezeption in Deutschland.
Norbert Elias: mit Beginn der Neuzeit zunehmende Affektkontrolle, Kinder werden nicht mehr wahllos geschlagen, später dann wird die Erziehung 'Kanalisator' der Affekte: "Erziehung ist entwicklungsgeschichtlich eine Ergebnis der Kultivierung von Emotionalität, in dem sie als internalisierter Anspruch die affektiven Triebregungen der Erziehers in das Ritual der Erziehung einbindet." [Langendorf 1983, S. 36]
"Geistige Mütterlichkeit" und Kindergartenbewegung
2. Hälfte des 19. Jhs.: Mit der wachsenden Bedeutung der Kleinfamilie als Ort der gesellschaftlichen Reproduktion stieg auch das Interesse an der Erziehung immens. Sie wurde als zu wichtig angesehen, um noch den Kindermädchen und Ammen überlassen zu werden. Die Wertevermittlung wurde mit der wachsenden Abwesenheit des Vaters (Berufstätigkeit in der 'öffentlichen' Sphäre) mehr und mehr als Aufgabe der Frau angesehen. Damit wurde die Frau als Erzieherin der Kinder enorm wichtig; es erschienen unzählige Bücher über richtige Pflege (medizinisch) und Erziehung der Kinder. Die Medizin schmälerte als neue wissenschaftliche Instanz den Einfluß der alten Autoritäten wie der Kirche, aber auch die Autorität des Vaters und das alte volkstümliche Heilwissen (Gynäkologie!). Kindheit rückte in den Mittelpunkt des Interesses; die Pädagogik entstand und mit ihr die Idee der "Geistigen Mütterlichkeit" der Frau.
Diese Idee der "geistigen Mütterlichkeit" speiste sich zum einen aus Rousseaus Ansichten über die Natur der Frau (s.o.), zum anderen aus den Lehren der Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1778) und Friedrich Fröbel (1782-1852).
Pestalozzi sah Mutterschaft weniger als eine natürliche denn als eine ethische und kulturelle Funktion, da die Bindung zwischen Mutter und Kind die Basis für alle weiteren Bindungen wie etwa zur Gesellschaft, Nation, Religion sei. Somit dehnte er die 'mütterliche Berufung' auch auf Kindermädchen und Lehrerinnen aus, für die er die ersten Ausbildungsstätten einrichtete.
Fröbel betrachtete Mutterliebe als treibende Kraft für erzieherischen und gesellschaftlichen Fortschritt und wollte eine Pädagogik, die auf die individuelle Entwicklungsfähigkeit der Kinder einging, anders als die schon bestehenden kirchlichen 'Kinderverwahranstalten'.
Die auf Fröbel basierende Kindergartenbewegung ermöglichte Frauen eine erste professionelle Berufstätigkeit. Durch den Strukturwandel der Familie (s.o.) ergab sich das Problem der Versorgung lediger oder verwitweter Frauen, die keinen Platz mehr in der Kleinfamilie hatten. Auch als Reaktion auf die Forderungen der Frauenbewegung der 1848er Frauen suchte 'mann' nach einer Möglichkeit der "frauengemäßen" Berufstätigkeit und verfiel auf die schon erwähnten angeblich spezifisch weiblichen Qualitäten der Sorge, des Gefühls, der Häuslichkeit. Der Erzieherinnenberuf schien geeignet, diese postulierten "Geschlechtscharaktere" zu einem für die Gesellschaft nützlichen "Frauenberuf" heranzuziehen. Die Erzieherinnenausbildung war für Frauen auch die erste Möglichkeit, eine professionelle Ausbildung zu erhalten.
Die Kindergartenbewegung wurde wichtig für die Frauenbewegung allgemein; natürlich war selbst diese "geschlechtsspezifische" Berufstätigkeit der Frau sehr umstritten. Noch dazu war Fröbels Kindergarten nicht traditionell kirchlich ausgerichtet; nach 1848 kam es zu Schließungen und Verboten von Kindergärten. Frauen aus der Kindergartenbewegung wurden zu Vorkämpferinnen der Frauenfrage, wie z.B. Henriette Goldschmidt.
Dennoch darf man nicht übersehen, daß diese Möglichkeit der Berufstätigkeit zugleich ein Fortschritt und ein Schritt zurück war, denn sie beschränkte die Frau auf ein kleines Gebiet, das zudem auch noch eher der privaten als der öffentlichen Sphäre (des Mannes) zugerechnet wurde. Ebenso beruht die Auffassung der Frau als "idealer Erzieherin" auf den postulierten "natürlichen Eigenschaften" der Frau, die eigentlich immer nur dazu dienten, Frauen in einem Verhältnis der Unterordnung unter den Mann zu halten, da sie ja "von Natur aus" anders und schwächer seien als der Mann.
Frauenbildung
[siehe dazu: Kleinau, Elke und Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Frankfurt/ M., New York: Campus 1996]
Erst 1839 wird in Preußen und danach auch in den meisten anderen deutschen Staaten das Abitur als zwingende Zugangsvoraussetzung zum Universitätsbesuch eingerichtet. Damit war Frauen, die keinen Zugang zu höherer Bildung (nach der Volksschule) hatten, die Möglichkeit zu studieren genommen. Noch im 17. und 18. Jahrhundert hatte es in Einzelfällen durchaus studierte Frauen, Doktorinnen und sogar Professorinnen gegeben. Zugleich wuchs im 19. Jahrhundert der Stellenwert von Bildung ('Bildungsbürgertum'), was die Unmöglichkeit für Frauen, höhere Bildung zu erlangen, umso gravierender machte.
Mitte des 19. Jahrhunderts war zumindest in Preußen eine weitgehend flächendeckende Volksschulbildung verwirklicht (ab 1839 gab es in Preußen allgemeine Schulpflicht); idealerweise sollte der Unterricht nach Geschlechtern getrennt erfolgen, was aber in kleinen (Dorf-)Schulen oft nicht möglich war. Ab 1872 regelte ein Lehrplan die "mädchenspezifischen" Fächer, Mädchen mußten Handarbeiten und Hauswirtschaft lernen. Dadurch sollten vor allem die Mädchen unterer Schichten auf ihre Rolle als Hausfrau, Mutter und Erwerbstätige (ungelernt natürlich) vorbereitet werden. Im Sinne der 'Volksgesundheit' wurden auch Ernährungs- und Hygienewissen vermittelt, aber auch Inhalte wie kaufmännisches Rechnen und sogar Mädchenturnen.
Reformversuche und Versuche zur Einrichtung höherer Bildungsanstalten für Frauen und Mädchen stießen auf großen Widerstand und hatten bis zur Wende zum 20. Jahrhundert keinen wirklichen Erfolg. Zum Beispiel kam es 1850 in Hamburg zur Gründung einer "Hochschule für das weibliche Geschlecht" durch einen Neffen von Fröbel, diese 'Hochschule' sollte allerdings auch nur 'frauenspezifische' Inhalte vermitteln und auf die Erzieherinnenausbildung vorbereiten; die 'Hochschule' scheiterte wenig später. Höhere Mädchenbildung beschränkte sich meist auf Hauswirtschafts- oder Erzieherinnenschulen. Erst um 1900 wurde eine höhere Schulbildung und der Besuch von Universitäten auch für Frauen möglich, und auch dies erst nur in einigen deutschen Staaten.
Verwendete Literatur:
Langendorf, Erich: Zur Entstehung des bürgerlichen Familienglücks. Frankfurt /M. u.a.: Lang 1983
Kleinau, Elke und Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Frankfurt/ M., New York: Campus 1996
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- Luise A. Finke (Author), 1998, Sozialgeschichtliche Hintergründe der Stellung von Frau und Mutter im 18. und 19. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108523
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