INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung
II. Boehms kunsttheoretische Reflexion des Bildphänomens.
III. Bild, Bilden, Bildung. Etymologie des Bildterminus und sein Übergang in das pädagogische Denken
IV. Zur Pädagogik des Comenius und der systematische Ort des Orbis pictus
V. Orbis sensualium pictus
VI. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Bilder begegnen dem Menschen in den verschiedensten Kulturbereichen, wie etwa in der Medizin, der Religion, der Politik, der Medienkultur, der Kunst und auch in der Pädagogik. Das Bild kommt auch in der Sprache vielfältig zum Ausdruck: Gottebenbildlichkeit, Urbild, Abbild, Spiegelbild, Sinnbild, Symbol, Dichtung, Gemälde, Mannsbild, Weibsbild um nur einige zu nennen. Bilder nehmen den Menschen ein, er bedient sich ihrer in technischer Absicht oder werden von ihm verworfen. Sie sind Gegenstand von gesellschaftlichen Konflikten und Skandalen. Der byzantinische Bilderstreit im 8/9. Jahrhundert, Bilderstürme oder der Ikonoklasmus sind Beispiele für Bildprobleme in theologischen, politischen wie künstlerischen Bereichen. Seit den frühesten Kulturen, angefangen bei der ägyptischen Hochkultur über die Antike und das Christentums bis in unsere weitgehend säkularisierte Moderne hinein, sind negierende und affirmative Beziehungen des Menschen zu Bildern aufzufinden. In unserer Gegenwart zeichnet sich offenbar ein »Iconic turn« oder auch »Pictorial turn« ab. Das »Bild« wird in den Natur- und Kulturwissenschaften zu einer zentralen Kategorie. Die Geschichtswissenschaften, die Neurobiologie, die Kunstwissenschaften, die Pädagogik, die Archäologie, die Philosophie, die Entwickler einer Künstlichen Intelligenz, die Werbeindustrie etc., sie alle sind dem Bild auf der Spur. Dies nimmt kein Wunder, denn gerade unsere Zeit ist vielleicht wie keine andere eine durch Medien und Bilder geprägte. So stellt sich die Frage nach dem Bild in verschiedensten Bereichen wieder neu. Auch die neuen Techniken der Bilderzeugung und die Verbreitung von Bildern durch Massenmedien hat im 20. Jahrhundert ein bislang ungekanntes Ausmaß erreicht. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung (zumindest des Fernsehens) war die nicht nur globale, sondern sogar interglobale Echtzeitübertragung der Mondlandung von 1969 im TV, bei der Milliarden von Menschen zur gleichen Zeit dasselbe Geschehen verfolgen konnten. Eine Kulturgeschichte des Bildes, dies wäre in der Tat eine immense Aufgabe, kann hier nicht geleistet werden. Lediglich einige ausgewählte bildpädagogische und -theoretische Aspekte sollen aus dem Fundus des kulturellen Gedächtnisses hervorgehoben werden, um die Möglichkeit eines theoretischen Beitrages gerade einer pädagogischen Bildlehre aufzuweisen.
Die Frage nach dem Bild stellt traditionellerweise die Kunstgeschichte. Sie birgt deswegen einen immensen Erfahrungsschatz und trägt ihren besonderen Anteil an der Frage nach einem umfassenden Bildbegriff. Die Kunstgeschichte, sofern sie sich mit Malerei auseinandersetzt, beschäftigt sich mitunter mit der Produktion, dem Eigenwert (Werkmoment) und der Rezeption von Bildern. Sie analysiert die Arbeit des Künstlers, Bildprozesse, Erfahrungsweisen des Betrachters, Interpretationsschulen, Reduktionen etc.[1] Einen Beitrag zu einer Theorie des Bildes liefert die Kunstgeschichte bzw. ihre Theorie insofern als sie aufgrund ihres Interesses an Bilder eben auch bildliche Komponenten des menschlichen Denkens mitbedenkt, womit ihre fachhermeneutische Applikation einen Beitrag zur »conditio humana« leistet.[2] Bildphänomene zeigen sich indes nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Sprache. Die literaturwissenschaftliche Poetik ist für die Bilddurchdrungenheit der Dichtung besonders sensibilisiert. Für unsere Fragestellung der Möglichkeit und Valenz einer pädagogischen Bildtheorie soll der Schwerpunkt auf die Comenianische Bildungslehre gelegt werden, insbesondere auf dessen anthropologischen und didaktischen Überlegungen.
In der Geschichte des pädagogischen Denkens bricht das Bildliche auch noch an anderen Stellen hervor. Einige wenige Orte, an denen sich Bildliches oder darauf Verweisendes zeigt oder allgemeiner: wo sich Pädagogisches und Ästhetisches berühren, wollen wir zusätzlich markieren. Spätestens seit Platons Dichterkritik zugunsten der wahren Paideia, Bilder und Dichtungen sind bei ihm defizitäre, seinsferne Abbilder der Ideen, birgt die Frage nach dem praktischen und theoretischen Umgang mit Bildern pädagogische Implikationen. In christologischen Bildungslehren wird „Bild“ zum tragenden Grundwort. Die Imago-dei Lehre fungiert in diesen als theologisches Fundament. Meister Eckhardts Bildtheologie, terminologisch einer der wichtigsten Anfangspunkte des deutschen Bildungsbegriffs oder Comenius` christologische Bildungstheorie und Didaktik, insbesondere die anschaulichen Repräsentationen des „Orbis sensualium pictus“[3], offenbaren Bildliches. Die nachhaltige Konsolidierung der didaktischen Funktionen des Bildes für die schulische Sach- und Sprachunterweisung verdanken wir der Pädagogik des Comenius. Pädagogisch relevante Anschauungs- und Bildaspekte lassen sich auch in Rousseaus Theorie des Zeichnens auffinden. Im 2. Buch des Emile thematisiert Rousseau anhand des kindlichen Zeichnens Phänomene der ästhetischen Erziehung. Das Zeichnen übt die Sinne, die Informationsverarbeitung und die Motorik, wodurch der Mensch als sensuales und zur Vernunft begabtes Wesen mitunter die Ordnunghaftigkeit der (äußeren) Natur nachzuvollziehen vermag. Bei Kant hat die Einbildungskraft für die Erkenntnis der Welt und des Selbst eine konstitutive Funktion. Sie liefert die Anschauungsgrundlage der Begriffe und des intellektuellen Denkens. Schiller hebt die ästhetische und pädagogische Funktion der Kunst und somit die Einbildungskraft, auf der die Kunst aufbaut, hervor und macht sie zum wichtigsten pädagogisch zu entfaltenden Moment, das zwischen den moralischen Ansprüchen der Vernunft und der Vitalität der Natur vermittelt. In Herbarts Pädagogik sind die ästhetische Darstellung der Welt und die Weckung der ästhetischen Auffassung und Beurteilung des jungen Menschen Bedingungen der Moralität. In diesem Konzept einer ästhetisch-moralischen Erziehung und Bildung haben Unterricht und Zucht die Aufgabe dem jungen Menschen ein Weltbild oder Weltgemälde aufzustellen. Im Gefolge der Lebensphilosophie Diltheys hob die Geisteswissenschaftliche Pädagogik den Begriff der »Weltanschauung« in die Reihe pädagogischer Begrifflichkeiten. Die Weltanschauungstheorie dient mitunter der sensiblen Typologisierung von Kulturen und ihrer Binnendifferenzierung. Nohl und Spranger etwa nehmen die begründungstheoretischen und systematischen Inspirationen der Weltanschauungstheorie auf und übersetzen sie in das pädagogische Feld.[4] Schließlich ist Max Schelers Bildungs- und Vorbildtheorie zu nennen, die ihre Spur bis in die pädagogische Theorie der Gegenwart hineinzieht.[5]
Obwohl eine »pädagogische Bildlichkeit« in der Theoriegeschichte der Pädagogik deutlich hervorsticht, scheint ihre theoretische Bewältigung durch eine Pädagogik des Bildes noch nicht umfassend in Angriff genommen worden zu sein. So stellt in den siebziger Jahren Heinrich Rombach im „Lexikon der Pädagogik“ ein bildtheoretisches Defizit der Pädagogik fest.
„Allerdings gibt es für eine solche Bildpädagogik noch keine Theorie, ja noch nicht einmal ein Problembewusstsein - und dies obwohl das Bild mehr und mehr zum Hauptträger menschlicher Kommunikation wird.“[6]
Doch dieser Satz kann nur eingeschränkt Geltung für sich beanspruchen. Pädagogisch relevante Bildphänomene und das theoretische Interesse ihrer Reflexion in einer pädagogischen Hermeneutik des Bildes, etwa in Gestalt der »Pädagogischen Imagologie«[7], wird durchaus gesehen. Für eine Theorie des Bildes wäre es methodisch angemessen die vielen unterschiedlichen, kulturbereichsspezifischen Erscheinungsformen der Bildlichkeit wie eben in der Bildenden Kunst, der Dichtung wie auch der Musik zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die Bildpraxis in Politik, Werbung, Medizin, Didaktik usw. Wir werden eine kunsttheoretische Reflexion, einen knappen Exkurs über den Terminus des Bildes und seinen Eingang in das pädagogische Denken und die Theologische Anthropologie (Gottebenbildlichkeit) anhand von Comenius erläutern und seinen Orbis pictus heranziehen, um einerseits auf die Möglichkeiten eines Beitrags des pädagogischen Denkens zur Bildlehre aufmerksam zu machen und andererseits die Frage nach der Klammer zu stellen, mit der solche unterschiedliche, bildtheoretisch relevante Überlegungen verschiedener Disziplinen systematisch verbunden werden könnten. Denn erst von einer systematisch orientierten Hermeneutik des Bildes her kann sich die wissenschaftliche Pädagogik wiederum eines geschärften Bildbegriffs versichern.
II. Boehms kunsttheoretische Reflexion des Bildphänomens
Der Kunsttheoretiker Gottfried Boehm geht davon aus, dass eine Hermeneutik des Bildes ihren Anfang dort nimmt, wo „die Bilderfahrung des Auges in das Medium der Sprache übergeht.“[8] Über Bilder an der Wand des Ausstellungsraumes wird gesprochen, gestritten, diskutiert. Die Deutung von Bildern geschieht, dies wird meist als selbstverständlich vorausgesetzt, über die Sprache. So stellt sich in der Kunstgeschichte die Frage, nach dem, was und wie gedeutet wird, also nach dem Gegenstand und der Methode der Deutung. Was ist überhaupt ein Bild und erschöpft das, was wir gemeinhin als Bild verstehen, dessen Gegenständlichkeit? So kann dem Museumstouristen wie auch der höheren kunstgeschichtlichen Hermeneutik das Bild, das Dargestellte und die Beziehung des Betrachters zum Bild fraglich werden. Boehm geht in seinem Aufsatz „Zu einer Hermeneutik des Bildes“[9] dem Problem der im Deutungsprozess stattfindenden Übersetzungsleistungen zwischen Bild und Sprache nach und hat von dort her die Aufgabe einer Theorie der Bildlichkeit gesehen, die auf die Explikation eines dem Bild und der Sprache gemeinsamen Bildgrundes hinzielt. Doch ist die theoretische Explikation der Bildlichkeit vor einige Probleme gestellt, die sich historisch begründen. Das Bildverständnis der Renaissancekunst sah die Fläche des Bildes als Durchblick auf eine schöne Realität. Panofskys ikonographische und ikonologische Methode zeigte sich für die Interpretation von Renaissancebildern als äußerst fruchtbar, muss sich aber vor den interpretatorischen Anforderungen des Bildes, wie sie die Moderne Malerei stellt, bescheiden zeigen. Dieses wirkungsmächtige Bildverständnis der Renaissance einschließlich der davon ausgehenden Deutungsgewohnheiten und -methoden wird von der modernen Kunst zutiefst verunsichert.
„Mit der Entstehung der modernen Kunst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, die auf reproduktive Semantik (Zeichenbedeutung) und Denotation (Inhaltsangabe) verzichtet, zeigt sich das Bild neu in seiner staunenerregenden Selbständigkeit und Fremdheit, wird die Übersetzung Bild-Wort zu einem problematischen und inkommensurablen Verhältnis.“[10]
Aufgrund dieser Irritation des traditionellen Bildverständnisses und ihrer Interpretationsstrategien versucht Boehm in seiner hermeneutischen Kritik bildtheoretische Voreingenommenheiten kenntlich zu machen und die Exklusivität des Bildes freizulegen. So sieht er, wie sich in Platons „Entmächtigung des Bildes“[11] durch die Inthronisierung eines sprachlichen Logos eine folgenreiche Grundentscheidung historisch festigte. Auch die Annahme der Möglichkeit einer restlosen Übersetzung des Bildes durch die Sprache, von der etwa Panofskys Methode der ikonographischen und ikonologischen Interpretation ausgeht, wird von Boehm relativiert.[12]
Boehms Anliegen ist es, die Grundbildlichkeit von (sowohl malerischen, sprachlichen wie auch musikalischen) Bildphänomenen herauszuschälen. Vergegenwärtigen wir uns seinen Gedanken der Bildlichkeit. Das Bild ist nach Boehm ein Darstellungs prozess, in dem Sein und Erscheinung eines ikonischen Dinges nicht voneinander getrennt bzw. indifferent sind. Die aristotelische Erfahrungstheorie, die auf der primären Ebene der Deutung des Phänomensinns in die Interpretationslehre Panofskys einfließt[13], trennt Sein und Erscheinung, d.h. die Identität einer wechselnden Dingerscheinung in einer Raum-Zeit Koordinate wird durch einen konstanten kategorialen Sachbestand identifiziert. Ebendies gilt nach Boehm nicht für ein gemaltes Dieses oder Jenes in einem Bild. Es ist einem ikonisch erscheinenden Ding aufgrund seiner spezifischen Einbettung nicht angemessen durch ein gattungsbegriffliches Schema identifiziert zu werden, da es eine Gegenständlichkeit hat, der nicht mit dem Identifikationsschema der Naturbetrachtung beizukommen ist. Ein ikonisches Ding hat, so Boehm, ein eigenes Sein, dessen Bestimmtheit nicht von einem die Gegenstände ordnendes logisch-kategoriales Korsett abhängt. Im Ineins von Sein und Erscheinung, in dieser „Zwiespältigkeit am Bilde“[14] sieht Boehm das zentrale Kennzeichen der Bildlichkeit, das er auch „Urbild, das Ikonische oder ikonische Dichte“[15] nennt. Dabei kann das eine nicht ohne das andere gedacht werden. Das Bild als Prozess vermittelt einen andauernden Übergang von Sein und Erscheinung, in dem Sinn und Darstellung sich voneinander untrennbar decken. Diese Funktion des Bildes nennt Boehm „Potentialität“[16].
„Wenn sich das Bild als ein Darstellungsprozeß bestimmen lässt, in dem Sein permanent in Erscheinung übergeht, dann wird kein Begriff diese Ununterscheidbarkeit bestimmen können. Wir bezeichnen diese eigenartige Phänomenalität des Bildes deswegen mit dem Namen Potentialität, die dem widerspruchsvollen Faktum der Unablösbarkeit von Sinn und Erscheinung gerecht zu werden versucht (...)“[17]
Boehms Rekonstruktion des hermeneutischen Grundverhältnisses von Bild und Sprache wirft noch weitere Aspekte der Bildlichkeit auf. Die wichtigste Funktion der Bildlichkeit, sowohl in der Sprache als auch im Bild (und der Musik), liegt im »Sichtbarmachen«.
„Deren Wesen (Matrix der Bildlichkeit; R.B.), das terminologisch als Grund, Bildlichkeit, Ur-Bild, Grenze oder Spur gefaßt werden kann, besteht darin, nicht abzubilden, sondern sichtbar zu machen, was ohne das Bild und von ihm unablösbar, nicht sichtbar wäre.“[18]
Eine weitere wichtige Funktion der Bildlichkeit ist die „Simultaneität“[19]. Die Simultaneität des Bildwerdens meint die Konzentration der Weite von Sinnwirklichkeiten und -möglichkeiten innerhalb der Umgrenzung des Bildes. Die Sinnfülle der Welt und des Augenblicks wird simultan auf der ikonischen Fläche verdichtet. Ein unendliches und zeitlich verrinnendes Sinngeschehen wird so durch die Funktion der Simultaneität im Bild fixiert, zur Erstarrung gebracht und so gleichsam dem reißenden Zeitfluss entnommen.[20] Das Bild bringt durch die Funktion der Simultaneität so die vergehende Fülle des erlebten Augenblicks zum Stillstand, zur ikonischen Fixation.
In einer solchen Dichte der Simultaneität des Bildes eröffnet sich dem Betrachter nun durch bildliche Elementgrenzen eine Bildkomplexion; Grenzlinien strukturieren das Bild, geben dem Bild Ordnungscharakter und konstituieren als ikonisches Mittel so seine Sinnmöglichkeiten.
„(...) und daraus entspringen ihm die Erscheinungen, entspringt Sinn, hier das Blau eines Himmels, dort die Form eines Gesichts oder die Vieldeutigkeit einer Farbstruktur, schließlich formulieren sich die komplexen Konstellationen dieser oder anderer Einzelerscheinungen aus.“[21]
Dabei bemerkt Boehm, dass die Grenzlinien und Kontrastverhältnisse innerhalb des Rahmens nicht absolut eindeutig determiniert werden können, sie haben untereinander »Spiel«, „d.h. aus der vielfältigen Korrelierbarkeit der Grenzen und ihrer jeweiligen Binneninhalte entsteht das Faktum von Zwischenräumen“, die „zum Wichtigsten werden.“[22] Diese Zwischenräume, Grenzlinien, Kontrastverhältnisse (ikonische Funktoren), die aufgrund der Bearbeitung der Bildfläche durch Farbaufbau, Perspektive, Hell-Dunkel, Komposition etc. entstehen, sind konstitutiv für die permanente Sinnexposition des Bildes und ermöglichen dem Betrachter Übergänge von Diesem zu Jenem im Bild. Ikonischen Funktoren bilden nach Boehm ein Schema eigenständiger, Sinn und Ordnung generierender Elemente. Sie figurieren Einzelaspekte und bilden einen vieldeutigen Beziehungsreichtum, einen Sinnüberschuss des Bildes. Diese Vieldeutigkeit oder die prinzipielle Unbestimmtheit der Kontrastverhältnisse bezeichnet Boehm interessanterweise auch als das “Leerste am Bilde“[23]. Aufgrund dieser Unbestimmtheitspotentials der Zwischenräume, Grenzlinien und Kontrastverhältnisse wird ein unerschöpflicher „Zuwachs an Sein produziert.“[24] So ist das Bild dann auch mehr als die Summe seiner Teile; der Bildgehalt übersteigt den Bildinhalt.
Es geht der kunstgeschichtlichen Bildtheorie Boehms um die Erhellung des Phänomens der Bildlichkeit. Es stellt sich innerhalb eines interdisziplinären Vorgehens nun die Frage, ob und wie eine kunsttheoretisch applizierende Hermeneutik des Bildes auch mit den Problemen einer pädagogischen Bildtheorie in Verbindung gebracht werden kann. Ergebnisse der kunsttheoretischen Bildreflexionen, etwa die Funktion des Sichtbarmachens, die Potentialität und die Simultaneität des Bildes, müssten folglich auf ihre systematische Eignung für eine pädagogische Bildtheorie hin befragt werden.[25] Nach welchen Kriterien diese interdisziplinäre Verweisungen eine theoretisch-systematisch gesicherte Verbindung eingehen können, ist sicherlich eine Frage grundlagentheoretischer Entscheidungen. Eine viel versprechende Matrix scheint mir eine Hermeneutik zu sein, die solche Bildleistungen und –ojektivationen in der Faktizität des Denkens verortet.[26]
III. Bild, bilden, Bildung. Etymologie des Bildterminus und sein Übergang in das pädagogische Denken.
Es wäre interessant in die Vergangenheit der deutschen Sprache zurückzugehen, wo sich der Begriffskreis um das Bild noch mit dem Griechischen und Lateinischen berührt. Vor allem im mystisch-theologischen Denken des 13. Jahrhunderts eröffnet sich ein Zusammenhang von »Bild«, »bilden« und »Bildung«. Dieser Hinweis scheint mir insofern wichtig zu sein, da hier das Bild mit dem Gedanken eines göttlichen Bildens und der Bildung auch theologisch-pädagogisch in einem engen Zusammenhang steht, was sich historisch bis in die theologischen Aspekte der Herderschen Bildungstheorie hinein vermittelt.[27] Etymologische Wörterbücher[28] und begriffsgeschichtliche Studien[29] weisen auf eine Verwandtschaft zwischen diesen drei Termini hin. Historisch gesehen entwickelte sich der Bildbegriff aus dem griechischen eikon (bildliche Darstellung, Ebenbild) und seiner lateinischen Entsprechung imago (Bild, Bildnis, Abbild)[30], in die die Bildkultur der antiken Kunst eingeht. Der heutige Begriffkreis um Bild, bilden, Bildung geht nach etymologischen Forschungen vermutlich auf die indogermanische Silbe bil zurück, deren Bedeutung »Form«, insbesondere »richtige Form« gewesen sein kann. Davon dürften dann die Substantive bilde (mhd.) und bilidi (ahd.) abgeleitet sein. Von bilidi leiten sich dann die Verben bilden (mhd.) und bilidon (ahd.) »gestalten, Form geben«, dann auch »abbilden, nacheifern« ab. Die Bedeutungs- und Anwendungsvielfalt dieser Wortsippe erstreckt sich dabei von den Dimensionen handwerklich-künstlerischer Gestaltungen bis hin zu einer theologisch-religiösen Innerlichkeit. Insbesondere die religiöse Semantik dieser Wortsippe entfaltete eine nachhaltige Wirkung über die Deutsche Mystik und spielt so über Herders Humanitätsdenken vermittelt in den modernen Begriff der Bildung hinein. Die Imago-Dei-Lehre wird dann über die Dauer nahezu eines Jahrtausends als metaphysisch-normativer Rahmen des Bildungsdenkens fungieren.
In Meister Eckhardts[31] (1260-1327) religiös begründeter Bildungslehre wird »Bild« zum tragenden Grundwort, was sich in der Imago-Dei-Lehre als Fundament seiner anthropologischen Axiomatik ausdrückt. Der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen, ihm ebenbildlich bzw. ihm ähnlich (Gen I, 26). Die Schöpfung wird verstanden als die Emanation Gottes selber. Die Emanation Gottes geschieht als ein Prozess, den Eckhardt „Bilden“[32] nennt. Die derart ausgeflossenen Bilder bis hin zur Vielfalt des Kreatürlichen müssen in einem Reintegrationsprozess des Menschen wieder mit der Urbildlichkeit Gottes vereinigt werden. Dies geschieht im Wesentlichen in drei Stufen der Vergottung. Zunächst muss sich der sündige Mensch „entbilden“, sich seiner Kreatürlichkeit entäußern, um reine, selbstlose Empfänglichkeit zu werden. Erst wenn der Mensch entbildet ist, kann es zum „inbilden“ kommen, ein »sich in Gott ziehen«, »sich in Gott drängen« bis er sich schließlich durch Gott „überbilden“ läßt, was einer Transformation, Wiedergeburt des Menschen in der unio mystica gleichkommt.
IV. Zur Pädagogik des Comenius und der systematische Ort seines Orbis pictus
Auch die christologische Bildungslehre des Comenius[33] ist deutlich mit Bildelementen durchsetzt, die sich auf den zentralen Ebenen, im theologisch-anthropologisch-wissenstheoretischen und didaktischen Bereich, seiner Theologie zeigen. Die biblisch belegte Gottebenbildlichkeit des Menschen ist der Kern der anthropologischen Axiomatik des Comenius. Die neuplatonisch inspirierte Emanationslehre[34] bleibt für ihn dabei als Schema des Schöpfungsmythos verbindlich. Wie bei Meister Eckhardt so ist auch bei Comenius die Deifikation des Menschen das Ideal der christlichen Paideia. Während bei Meister Eckhardt das vom Weltlichen abgewendete Mystisch-Spirituelle im Vordergrund steht, entwickelt Comenius eine Bildungslehre, in der die Analogierelation Gott-Mensch Maßgabe bleibt, aber die Welt und damit die Diesseitigkeit des Wissens, Redens, Tuns entschieden mit in diesen Relationskomplex aufgenommen wird.
Stellen wir zunächst den theologisch-anthropologischen Gedanken der Gotteben-bildlichkeit heraus. Die zentrale biblische Stelle, die die Gottebenbildlichkeit des Menschen bezeugt, ist Gen I, 26/27. Der Mensch ist als einzige Kreatur nach dem Bild Gottes erschaffen. Er ist Gott ähnlich. Die menschliche Begabungsstruktur, wie sie Comenius annimmt, gründet alsdann auf der Gottebenbildlichkeit oder Gottähnlichkeit. Der zur Weisheit begabte Mensch hat seinen wesenhaften Gottesbezug, sich selber in seiner Deifizität, die sich auch in der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Person in Christus zeigt, zu erkennen. Unter den Kreaturen der Schöpfung kommt ihm aufgrund dieser einzigartigen Begabungsstruktur eine Sonderstellung zu und die Aufgabe, sich selber, seine Institutionen und die Weltdinge vollständig in den Willen Gottes zu stellen. Die Wesensanalogie zwischen Gott, Mensch und Welt wird, und das ist bemerkenswert, über das Wort »Bild« vermittelt. Als »imago dei« wird dem Menschen von Comenius eine selbstlose bildlich-mediale Fähigkeit zugesprochen. Der Mensch als medialer Repräsentant Gottes auf Erden bildet das urbildliche All der göttlichen Schöpfung in seiner sachlichen und zeitlichen Totalität und Ganzheitlichkeit im Modus der wissenden Weisheit[35] ab. Der Mensch selber wird zum pansophischen Spiegel, zum selbstlosen medialen Träger des göttlichen Schöpfungsgedankens und steht so als das Ebenbild Gottes in besonderer Verantwortung, da er die in den Dingen eingeschriebene Gedanklichkeit Gottes aufzufinden hat.
„Der Mensch muß auf den aus den realia an ihn ergehenden Zuspruch und Anspruch Gottes hören und ihnen in Wort und Werk als Mensch entsprechen (oratio et operatio).“[36]
Indem Comenius die Gottebenbildlichkeit mit der pansophischen Aufgabe verbindet, kann er über die Analogievoraussetzung die theologisch-anthropologische Ebene mit der der wissenstheoretischen verknüpfen. Aufgabe der pansophischen Denkens[37] ist dabei, ein ganzheitliches System des Wissens, ein Spiegelbild oder Abbild des Urbildes wiederzugeben; in der Allweisheit weiß der Mensch sich und die Dinge in Gott. Die Allweisheitslehre, in der das All (Gott, Mensch, Welt) in seiner Vollendbarkeit, Ganzheitlichkeit und Zweckhaftigkeit dargestellt wird, fungiert als spiegelbildliche Repräsentation des Urbildlichen.
„Die Pansophia ist Spiegel(bild) der Sachenwelt, ein Spiegel(bild) des Makrokosmos. Die Struktur der Welt ist also das Urbild der Struktur des Wissens“[38]
Nicht nur die Erkenntnis seiner selbst und der Welt, sondern auch das Wissen um die emendativ-deifizierende Bewegung ist ein notweniger Bestandteil der Allweisheit. Sie birgt in sich also nicht nur die Stufe der theoretischen Kenntnis der Dinge, sondern auch die Hinsichten der Praxis und des Telos. Gemäß der Emanations- und Emendationsidee ist der Erwerb des insgesamt dreifachen Wissens des Ganzen abgestuft in »theoria« (das Was der Dinge, Kenntnisnahme), in »praxis« (die Gründe der Dinge, Einsicht in die Struktur der Sachen) und in »chresis« (Nutzung der Dinge gemäß ihrer immanenten, d.h. den ihnen von Gott zugemessenen Zwecke).
„Die theoria nennt die Sache als ein für sich seiendes einzelnes, die praxis bezeichnet die Herkunft aller Dinge dieser Welt aus Gott (próodos), die chresis vollbringt den Rückwurf des Ganzen auf Gott (epistrophé).“[39]
Der Mensch wird zwar als Gott ähnlich und deswegen zur Allweisheit begabt verstanden, sein Menschsein ist aber aufgrund seiner Kreatürlichkeit gefährdet, d.h. er vermag seinen Gottesbezug zu ignorieren. Der den Mensch in die Verkehrtheit bringende Sündenfall, von dem die Genesis erzählt, zeugt davon. Diese beiden theologisch-anthropologischen Voraussetzungen, die Gottebenbildlichkeit und die Gefährdung des Sündenfalls, bilden nun den Ausgangspunkt für die Comenianische Forderung nach der Reparation des Menschen. Diese pädagogische Aufgabe der »reparatio« hat die in der Pansophia begründeten Maßgaben, die theologisch-anthropologische Selbsterkenntnis und die Vollendung der Heilsgeschichte durch den Repräsentanten Gottes, zur Voraussetzung. Der Mensch wird so zum Mitschöpfer und Mitvollender der unvollendeten Schöpfung Gottes auf allen Gebieten der res humanae, d.h. der allwissenden Weisheit, der politischen Tugend und der religiösen Frömmigkeit.[40] Deswegen muss der Mensch um seine Qualität als Spiegelwesen besorgt sein.
„Aus der Einsicht in die faktische Verkehrtheit des Menschen folgt zu Zwecke der emendatio der Welt die Sorge um die reparatio des Menschen.“[41]
Die Umkehrung, die Neuordnung des Menschen wird damit zur pädagogischen Leistung gekürt, die die Deifizität des Menschen und der Welt freigibt. Der Pampaedia fällt dabei die Aufgabe der »reparatio« zu, sie wird zur Kunst der Künste, die zur Vollendung der Heilsgeschichte am Menschen ansetzt. Der Mensch soll in Wissen, Rede und Tun den Willen Gottes entsprechen und »Pansophoi« werden. Um der Reparation des Menschen als eines Spiegelwesens willen hat die Pampaedia den Menschen durch die Einweisung in die Pansophia, durch educatio (Erziehung) und institutio (Unterweisung, Unterricht) aus dem Stand der Verkehrtheit herauszuführen und die Metanoia des Menschen stufenweise zu bewerkstelligen. Der Grundsatz der Pampaedia ist, allen Menschen das Ganze gründlich zu lehren. Daraus erläutert Comenius die drei konstitutiven Prinzipien der Pampaedia: omnes, omnia, omninò. Diese Prinzipien müssen entsprechend die Theorie und Praxis der Schule (Panscholia), des Buches (Panbiblia) und der Didaktik (Pandiscalia) durchdringen. Comenius versteht in der Pampaedia den mundanen Aufenthalt selber als eine Schule, als einen Ort, an dem sich durch das Ganze die Umkehr des Menschen in das Ganze ereignet.[42] Die Schulorganisation umfasst dementsprechend das Leben eines jeden von der Geburt bis zum Tode und wird in sieben Lebensstufen unterteilt, denen jeweils sieben Schulen entsprechen: die Schule des Mutterleibes, der frühen Kindheit, des Knabenalters, der Jünglingszeit, des Jungmannesalters, des Mannesalters und des Greisenalters. Die Didactica magna des Comenius behandelt indes den engeren Kreis der Lebensstufen 2-5. Jeder Schulstufe entspricht ein bestimmtes Schulbuchsystem. Das Buch nimmt in dem theologischen System des Comenius überhaupt eine exklusive Stellung ein. Welt, Geist und die Heilige Schrift werden von Comenius als Bücher Gottes oder auch als Schaubühnen verstanden, in bzw. auf denen sich Gott zeigt.
„Die Welt ist nämlich die Ordnung der Ordnungen (systema systematum), in der alles eingefaltet ist, die Schrift ist das Buch der Bücher, in dem alles ausgefaltet ist; das Gewissen ist die Aussage (dictamen) der Aussagen, der alles beigefaltet ist.“[43]
Die Schulbücher werden als Kommentar zu den Büchern Gottes verstanden. Nicht jeder vermag unvorbereitet in diesen zu lesen. Es bedarf der Introduktion durch die Schulbücher. Und hier hat der orbis pictus als Bilder- und Leselehrbuch seinen Ort. Es vermittelt nach Maßgaben der Pansophia dem Menschen im Kindes- und Knabenalter, die noch nicht durch Lesen die Sachenwelt schauen können, das Ganze auf eine diesen Altersstufen entsprechende, anschauliche Weise. So dient der Orbis pictus dazu, den Kindern den Weg zu den drei Büchern Gottes zu bahnen, somit schließlich auch der Redeifizierung des Menschen.
V. Orbis sensualium pictus
Der Orbis sensualium pictus (1658) des Comenius ist ein Buch des Ganzen (liber universalis). Es wurde mit der Intention verfasst, den Kindern das Erlernen der lateinischen Sprache zu erleichtern. Comenius verankert dieses didaktische Hilfsmittel systematisch in seinen pansophisch-pädagogischen Kontext, wodurch es seinen Sinn für die reparatio des Menschen in der Früherziehung erhält. Die Rezeptionen dieses Klassikers der Pädagogik vernachlässigten meist seinen pansophischen Kontext und würdigten einseitig dessen sinnlich-methodische Qualität. Doch das Buch beinhaltet Dimensionen, die es über die bloß sprachdidaktische Funktion für die Lateinschule hinausheben.[44] Vielleicht keinem anderen Schulbuch vergleichbar blieb es über zwei Jahrhunderte lang in Gebrauch. Sogar in Goethes Jugendzeit war der Orbis pictus noch das “einzige Kinderbuch und somit das einzige Buch, aus dem die Jugend lernte.“[45] Was bedingt die Attraktivität und den pädagogischen Gehalt eines Buches ausgerechnet der Bilder (und der Sprache)?
Der Orbis pictus besteht aus bilingual illustrierten Bildern, die die sichtbare Welt zeigen. Die Bilder stechen, indem sie vom Sosein der einzelnen Dinge abstrahieren, durch ihre Sachlichkeit hervor. Die sichtbare Welt wird nicht in ihrer empirischen Vielfältigkeit und Individualität, sondern in einer sachlich orientierten Struktur wiedergegeben. In 150 übertitelten Bilder, in denen jeweils durch Zahlen Bildelemente hervorgehoben und mit einem entsprechenden Text (Benahmungen und Kommentare) in Verbindung gesetzt werden, werden dem Betrachter die wichtigsten, miteinander zusammenhängenden Sachbereiche veranschaulicht. Pädagogisch „eingerahmt“ sind die Bilder des sichtbaren Weltkreises durch zwei identische Bilder, die aber durch unterschiedliche Texte kommentiert werden. Durch die (das Kind in eine frühe Stufe der reparatio aufnehmende) »invitatio-Einleitung« und durch die (aus dieser Stufe entlassende) »clausula-Beschluß« wird der pädagogische Charakter des Orbis pictus zusätzlich hervorgehoben. Die Vermittlung des sichtbaren Weltkreises geschieht unter der Obhut eines Lehrers. Aus der Vorrede und dem programmatischen Gespräch des Lehrers und Schülers in der invitatio des Orbis pictus wird ersichtlich, dass Comenius die pädagogische Funktion und Aufbau des Orbis pictus von der Pansophia her verstanden wissen will.
„L. Komm her/Knab! lerne Weißheit. S. Was ist das/Weißheit? L. Alles was nöthig ist/recht verstehen/recht thun/recht ausreden.“[46]
Die kognitiven, praktischen und rhetorischen Fähigkeiten des Menschen müssen den in der Pansophia erkannten Maßgaben der Schöpfungsratio entsprechend entfaltet werden. Der Aufbau der sichtbaren Welt nach dem Vorbild der vom Menschen prinzipiell verstehbaren Gedanklichkeit Gottes wird im Orbis pictus auf eine der Altersstufe angemessene, reduzierte Weise bildlich-textlich repräsentiert.[47] Diese bildlich-sprachliche Reduktion des Ganzen wird nach Seinsweisen bzw. Sachbereichen in Stufungen und mit Rücksicht ihrer inneren Verweisungen unterteilt. Der Anfang und das Ende der Schöpfungs- und Heilsgeschichte des Ganzen liegen bei Gott. An die Schöpfungsschritte der Genesis erinnernd werden im Orbis pictus zunächst die Welt und der Himmel (beide bilden den Rahmen der sichtbaren Welt), dann diesen differenzierend die Elemente, die verschiedenen Tiergattungen und der Mensch als Krone der Schöpfung gezeigt. Dem Menschen als gottebenbildliche Kreatur wird wie in der Pansophia so auch im Orbis pictus eine Sonderstellung zugewiesen. Weiterhin werden die Seins- bzw. Sachkategorien aufgeführt, die im Gestaltungsbereich des Menschen liegen, die verschiedenen Handwerke und Kunstfertigkeiten des Menschen (Landwirtschaft und andere Rohstoffe verarbeitende Wirtschaftszweige), die geistige und moralische Welt (Bildung, Wissenschaft, Sittenlehre), das politische Leben (Zivilisation, Krieg) und schließlich die Formen der Religion (Heidentum, Judentum, Christentum, Islam). Dem Schüler wird schon durch die Bilderwelt des Orbis pictus der Weltkreis und die gottgewollte Sonderstellung des Menschen vermittelt und er vermag die Aufgabe des Menschen zu begreifen, als Stellvertreter Gottes die anorganischen, pflanzlich-tierischen Schöpfung und schließlich sich selber nach theologischen Maßgaben zu organisieren. Es wird im Orbis pictus nicht nur der statische Aufbau der sichtbaren Welt aufgezeigt, sondern, da Gott am Anfang und am Ende steht, auch der heilsgeschichtliche Aspekt. Alles fließt aus Gott und zu ihm zurück; der Prozess der Emanation und der menschlichen Aufgabe der Reintegration wird in der theoria, der praxis und der chresis des pansophisch begründeten Orbis pictus schauend nachvollzogen. Seine Bildkomplexion spiegelt diesen Schöpfungs- und Reparationszusammenhang und dient in der Früherziehung zu seiner einfachen Veranschaulichung.
Die Bilder des Ganzen, die das »All« abbilden, bilden nicht »alles« in einem quantitativen Sinnen ab, sondern didaktisch reduziert lediglich das wichtigste, nämlich die urbildliche Gedanklichkeit Gottes. Der Orbis pictus wird dabei von den Spiegelungs- und Entsprechungsmöglichkeiten eines Bildbegriffes getragen, der schon in der Pansophia die Wesensanalogie von Gott-Mensch-Welt begründete. Ein ikonisches Band hält dieses »All« zusammen. Die kreatürlichen Dinge als Abbilder der göttlichen Urbilder (insofern stellen die Abbilder innerhalb der reparatio gewissermaßen Vorbilder dar), wie auch der schauend erkennende Mensch, der der Gedanklichkeit Gottes an den kreatürlichen Abbildern gewahr wird und sich an ihnen hervorbringt, stehen in allumfassenden bildlichen Entsprechungen und strukturellen Deckungsverhältnisses. Die Comenianische Bildtheorie, soviel kann hier schon festgestellt werden, deckt die fundamentalen ikonischen Strukturen des menschlichen Verstehens auf. Schon das vernehmend schauende Erkennen des Schöpfungsplanes zeigt sich in seiner ikonischen Organisation, auf die Comenius dann erst die sprachliche Explikation folgen lässt.
Diese hermeneutische Wertigkeit bildlicher Entsprechungsverhältnisse zwischen Gott, Mensch und Welt drückt sich so im Orbis pictus aus. Didaktisch relevant werden seine Bilder, da durch sie beim Schüler ein Abstraktionsprozess initiiert wird, der die Grundlage für die sprachliche Explikation des sichtbaren Weltkreises ist. Die Bilder werden so zu einem pädagogisch attraktiven Mittel der einfachen Veranschaulichung (sie repräsentieren die Welt als ein Buch Gottes und sind insofern Abbildung des Urbildlichen) und bildliches Element der Sprache selber. Beruht doch die Sprache, dies scheint eine zentrale pädagogische Botschaft des Orbis pictus zu sein, auf dem Anschauungswert des Bildes. Dabei ist zu bemerken, dass die Welt nicht nur in ihrer augenscheinlichen Sichtbarkeit, sondern mithilfe unterschiedlicher Bildtypen[48] auch in ihrer Unsichtbarkeit gezeigt wird, etwa in der Darstellung Gottes oder des jüngsten Gerichts.
Die pansophisch arrangierte Bilderwelt des orbis pictus fungiert für das Kinder- und Knabenalter als Anschauungsmittel für eine frühe Stufe der Umkehrung. Seine Bilder können als Propädeutik in die Allweisheit verstanden werden. Sie führen ein in die rechte Weise zu wissen, zu reden und zu tun. Dabei bedient sich diese propädeutische Didaktik eines wichtigen »sensualen Prinzips«:
„Ich sage/und wiederhole mit hoher Stimme/dass dies lezere die Grundstütze sey aller anderen Stü title="">[49]
Das Ganze und seine Differenzierung wird dem Schüler zunächst über die Sensualität vor allem über die bei Comenius erkenntnistheoretisch bedeutsame visuelle Wahrnehmung (Sinnlichkeit und Einbildung) erfahrbar und so dem Verstand zugänglich gemacht. Das Sehen (Bild) und das Benennen (Sprache) der wichtigsten realia der Schöpfung anhand der Anschauungsbilder und ihrer Motive wird dabei vom Schüler vorrangig geübt. Der Orbis pictus soll ein attraktives Lernmittel darstellen, das aufgrund seiner Bildlichkeit eine angenehme ästhetische Wirkung erzielt, zur Übung der Aufmerksamkeit beiträgt und »spielerisch-scherzweise« die wichtigsten Sachstrukturen der Welt vermittelt.
Die Bilder des Orbis pictus tragen schon von früh bei zur lückenlosen educatio und institutio des Menschen. Die Schüler, die sich die Bücher Gottes noch nicht über das Lesen zu erschließen vermögen, können so über die bildliche Unterweisung einen anschaulichen Zusammenhang des sichtbaren Weltkreises nachvollziehen. Für das Kindesalter dient der orbis pictus nicht nur der Übung der Sensualität und der Sprache -das Buch beansprucht vor allem die Visualität, weiß aber auch um die Bedeutung der anderen Sinne und fordert deren Einbeziehung in die Erziehung-, sondern auch des Gedächtnisses. Das Kind ergreife reale Sachunterschiede schon über die Sinnlichkeit des Bildes und lerne diese im Gedächtnis zu behalten. Die Bilder der Orbis pictus haben so mitunter eine mnemonische Funktion. Die Sinnes-, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisübungen stehen von Anfang an in der zunächst anschaulichen Ordnung der Allweisheit und bilden den Vorhof der Sprache.
Die Didaktik der Alphabetisierung kann demnach das sensuale Prinzip nicht ignorieren. Dem Orbis pictus ist ein figürliches Alphabet für das Lesenlernen beigelegt, das sich auf die elementaren didaktischen Einsichten des Comenius stützt. Dieses figürliche Alphabet besteht aus Tierbildern. Die abgebildeten Tiere sind dem Kind aus seiner Lebenswelt bekannt und kann diese im Bild einschließlich ihrer Lautstimmen identifizieren, denen dann ein entsprechender Buchstabe zugeordnet wird. Das sinnlich-anschauliche Gedächtnis bildet dabei die Grundlage für das Verständnis der Lautbilder und der verschrifteten Lauteinheiten (Bsp.: für den Buchstaben „g“: einer abgebildeten Gans wird der Stimmlaut dieses Tieres, das Gackern, zugeordnet). Mithilfe dieser Methode könne es schließlich, so Comenius, nicht ausbleiben, dass das Kind nach und nach die Bildtitel und die entsprechende Textelemente lesen lerne. Diese Methodik kann sowohl für das Erlernen der lateinischen, der Muttersprache oder anderen verwendet werden und vermag so offenbar einen universalen didaktischen Anspruch zu stellen.
Das Verhältnis von Bild und Sprache im Orbis pictus darf für die reparatio des gottebenbildlichen Menschen nicht unterschätzt werden. Dient doch der Orbis pictus als »Vorhof« oder »Sprachenthür« der Genese des Pansophoi, der dann in rechter Weise die Schöpfung aussprechen soll. Die Sprache hat eine hervorragende Stellung in der pansophischen Pädagogik des Comenius, denn sie fungiert als Instrument der unverfälschten Abbildung der Gedanklichkeit der Schöpfung Gottes. Comenius versteht die Sprache nicht als Wirklichkeit konstruierende Kraft, sondern als vernehmendes Medium, das sich in seiner Abbildungsfunktion erschöpft. Sie erfüllt unter Beibehaltung eines strengen Parallelismus zwischen Sache und Wort drei Funktionen. Erstens benennt sie die Dinge, zweitens fungiert sie als Mittel der zwischenmenschlichen Verständigung und drittens dient sie der Verbreitung der erkannten Wahrheit.[50]
So entfaltet der Orbis picus in seiner pansophischen und bildlich-sprachlichen Organisation nicht nur für die Alphabetisierung Wirkung, sondern auch für das der Spracherziehung vorgeordnete Feld ästhetischer Funktionen, für deren Entfaltung der lebensweltliche Erfahrungsschatz des Kindes eine elementare Bedingung ist. Desweiteren trägt er dem Bedürfnis des Menschen nach Bildlichkeit bzw. nach einer ästhetischen Inanspruchnahme Rechnung. Anders gesagt: die Bilder- und Sprachdidaktik des Orbis pictus gründet auf einer hermeneutischen Grundbildlichkeit, die die verschiedenen Modi der Bildlichkeit aneinander bindet bzw. mögliche Entsprechungsstrukturen zwischen dem schauenden Menschen und den angeschauten sinnlichen wie nicht-sinnlichen (z.B. transzendenten) Dingen aufdeckt. So muss sich Comenius einer Parallelität des Bildlichen und deren didaktischen Pragmatik durchaus bewusst gewesen sein.
VI. Schlussfolgerungen
Ziehen wir einige Schlussfolgerungen aus der kunsttheoretischen Applikation und theologisch-pädagogischen Auffassung des Bildphänomens. Wir konnten sehen, dass in den verschiedenen Epochen »Bild« unterschiedlich kontextualisiert ist. Wir konnten in unserer Auswahl eine mystische, eine barocke und eine moderne Wendung feststellen. Worin könnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Boehms kunsttheoretischer Bildhermeneutik und Comenius metaphysischer Bildtheologie liegen und welche bildpädagogisch und -theoretisch relevanten Aspekte lassen sich hervorheben?
Comenius und Boehm binden das Bild an die Visualität. Das Bild ist vor allem etwas, das an die Seherfahrung gekoppelt ist. Wie das Bild selber als Phänomen (als Ausstellungsbild oder als eine göttliche Ordnung reproduzierendes Abbild) bestimmt ist, darüber sind beide Ansätze unterschiedlicher Auffassung. Das moderne, historisch-kritisch geschärfte Bildverständnis Boehms sieht das Bild als einen Darstellungsprozess an, wobei der Schwerpunkt auf die Prozessualität der ikonischen Darstellung gelegt wird. Das barocke christlich-metaphysische Bildverständnis hebt eine solche Prozessualität nicht hervor. Es sieht das Bild hauptsächlich in seinem rezeptiven-abbildenden und auch pädagogisch-propädeutisch-präskriptiven Charakter. Dies liegt an den anthropologischen Voraussetzungen der christologischen Bildungslehre, die den Menschen und seine Bildleistungen von seiner Deifizität, seiner Einbettung in einen deistischen Willen her als vernehmend mediales Wesen versteht (Schaller gebraucht für die Verdeutlichung der Entsprechungsrelation von Gott-Mensch-Welt die Metapher des Spiegels).
Beiden Ansätzen liegt eine fundamentale Bildlichkeit zugrunde, die eine in der Kunst, die andere in der göttlichen Person. Bildlichkeit durchzieht personale als auch außerpersonale Hinsichten. Eine Grundbildlichkeit, so die moderne Kunsttheorie Boehms wie auch der Gedanke der Gottebenbildlichkeit bei Comenius, fungiert als universale hermeneutische Komponente, die in allen kulturellen Systemen Niederschlag findet. In der Religion, der Kunst, der Pädagogik, dem Mythos, der Wissenschaft, der Geschichte etc., all diese Systeme sind von einer universalen und auch prinzipielle Verstehbarkeit begründenden Bildlichkeit des Denkens getragen. Denkpsychologische und symboltheoretische Ansätze[51] bestätigen diese Funktion gestalterischen Denkens. Das Bild ist eine (schon normativ geprägte) Interpretation der Wirklichkeit auf einer nicht-begrifflichen, anschaulichen Weise der sinnlichen Form. Auch in den Anfängen der Menschheitsgeschichte tat sich nicht etwa das abstrakte Denken hervor, sondern primär das Denken in Bildern. Begrifflichkeit ist ein relativ spätes Produkt der Geschichte.
Ein weiteres entscheidendes Moment des Bildes liegt in seiner Funktion des Sichtbarmachens auch des augenscheinlich Nicht-Sichtbaren (allegorische und metaphorische Funktion des Bildes). Das Bild wird zum sichtbaren Ausdruck poetischer Energie und Phantasie des Menschen, wodurch es in einer gestalterischen Fixierung die innere Dynamik permanenter monadischer Entwurfsleistungen spezifisch objektiviert. Diese Dokumentation des Denkens durch Bildleistungen dient mitunter dem Ausdruck des Selbst, hat aber auch eine soziale Dimension, da Versichtbartes nun auch anderen generell zugänglich wird. Bildliches kann als ästhetischer Entwurf verstanden werden, das als Konkretion den anderen mimetisch in Anspruch nehmen kann.
Das Bild hat einen genuinen Bezug zur Sprache. Ob mythische Gesänge, pansophische Sprachlichkeit oder Diskussionen über Ausstellungsbilder in der Moderne, sie basieren auf einer offenbar genuinen Relationalität von Bild und Sprache. Schlüsselt bei Comenius das pädagogische Anschauungsbild den Sinn der Benahmungen und Kommentare auf, so erhofft der moderne Diskurs den Sinngehalt des Ausstellungsbildes aufzudecken. Doch weist Boehm innerhalb dieser Korrelation die Exklusivität des Bildes auf, der mit der Sprache nicht beizukommen ist, wohingegen bei Comenius die pädagogische Relevanz des Bildes als eines Anschauungsbildes und seine das All verdichtende Potenz zwar stark gemacht wird, aber der Sprache aufgrund der pansophischen Grundentscheidungen eine höhere Wertigkeit zugesprochen wird.
Das Bild erscheint in seiner verdichtenden und konzentrierenden Funktion. Bei Comenius wie auch bei Boehm vermag die Begrenztheit und scheinbare Enge der Bildfläche das zeitlich-räumlich auseinander liegende, sogar das Unsichtbare zusammenzufassen. Die Bildfläche wird zur Schaubühne der bildnerischen und darstellerischen Möglichkeiten des Menschen und vermag nicht nur das Einzelne, sondern auch das All darzustellen. Die Fähigkeit zum Bild ermöglicht dem Menschen das Viele und das All auf einer physisch begrenzten Fläche ikonisch und simultan zu organisieren. Die Konzentration und Dichte des Bildes vermag die verschiedensten und nur scheinbar Entferntesten Themen wie etwa Traum, Vergangenheit, Religion, Erkenntnis, das Unbewusste etc. nicht etwa summarisch nebeneinander, sondern diese vermittelst ikonischer Funktoren kompositional, etwa assoziativ, metaphorisch oder allegorisch, in einen Integrationszusammenhang zu stellen.
Die ästhetische Reflexion der Moderne weiß um die potentielle Vieldeutigkeit des Bildes. Eine objektive Interpretation wird durch die Invarianz der ikonisch angewendeten Begrifflichkeit zusätzlich kompliziert, da das aristotelische Deutungsschema durch die Moderne Kunst weitgehend neutralisiert werden konnte. Vieldeutigkeit wird als ein wesentlicher Zug des Bildes verstanden. Am mehrdeutigen Bild vermag sich freie Denktätigkeit zu entzünden, die einem schematisierten oder gar scholastischen Deuten entgegensteht. Das räumt zumindest Boehm ein. Comenius Bildtheorie hingegen möchte unsichere bildliche Vieldeutigkeit beheben. Dies soll durch die Gegenständlichkeit und Sachlichkeit der ikonischen Darstellung geschehen. Die pansophische Weltanschauung erkennt ja nur ein Ordnungskomplex an, nämlich den Gottes. Die Pansophia hat diesen darzustellen. Wie eine Mehrdeutigkeit aufzulösen sei, etwa ein Problem theologischer Auslegung, das wird in letzter Instanz durch das Wort Gottes, der Heiligen Schrift entschieden. Mehrdeutigkeiten oder Vieldeutigkeiten sollen so durch den Rekurs auf die Heilige Schrift überwunden werden. So wird auch das didaktische Anschauungsbild, dessen Thematik und sprachliche Kommentierung pansophisch und idealerweise eindeutig vorgeschrieben. Ein kritisches Verhältnis zum Bild scheint die Moderne mit ihrer Mehrdeutigkeit eher zu gestatten als das an eine Absolutheit gebundene Bild des Orbis pictus. Die Comenianische Bildtheorie formuliert zwischen den Zeilen eine präskriptive Funktion des Bildes, die aus der Gebundenheit des (Ab-)Bildes an eine absolute Urbildlichkeit resultiert. Im pädagogischen Kontext wird das Abbild des Alls zur präskriptiven Maßgabe der reparatio, der Umkehrung des Menschen.
Die pädagogische Wertigkeit des Bildes konnte durch die Comenianische Bildungslehre aufgewiesen werden. Das Bild knüpft an die sinnliche Phantasie des jungen Menschen an und liefert primäres Material für die Ausbildung einer inneren Weltanschauung. Diese durch die Bildlichkeit des Denkens vermittelte, breit angelegte elementare Schau des Kindes bildet die Anschauungsgrundlage für weitere monadische Artikulationsformen und Lebensphasen. Jedem rezeptiven, Eindrücke verarbeitenden wie auch spontanen Akt scheinen dabei von basalen bildlichen Leistungen getragen zu werden. Auch die Didaktik nimmt bildliche Möglichkeiten und Mittel auf, um so die Welt dem Verständnis des jungen Menschen organisiert zu vermitteln. Im Verbund mit der Sprachlichkeit fördert Bildlichkeit dabei eine differenzierte Artikulation und Aufschlüsselung des kulturellen Lebens, in das der junge Mensch hineingeführt werden soll. Allerdings fällt die kritische Komponente, die das kritische Verhältnis zum Bild thematisieren könnte, in einer Comenianisch ausgeführten Bildtheorie zu kurz aus. Die aufklärerisch-kritischen Tendenzen seines Zeitalters hat Comenius, indem er den rezeptiv-medial verstandenen Menschen auf die Präskriptivität des Urbildes verwies, in seinem Konzept weitgehend neutralisiert und hat deswegen epochal-weltanschaulich bedingt (es konnte von einem von Gott losgelösten, ausschließlich dem eigenen Gewissen verpflichteten, autonomen Ich noch gar keine Rede sein) die Souveränität des Individuums gegenüber dem Bild nicht thematisiert.
Die kunsttheoretische Perspektive eröffnet auch allgemeine Hinsichten des Bildes, die auch innerhalb einer pädagogischen Bildtheorie Geltung beanspruchen können. Dies trifft mitunter auf die Verdichtungsfunktion und die Sprachkorrelation des Bildes zu. Sie sensibilisiert den Pädagogiker auch für das Problem der Mehrdeutigkeit und der immanenten Bildprozesse, die sich aus Boehms Analyse der Konstitutionswertigkeit und Komponierbarkeit ikonischer Funktoren ergaben.
In systematischer Hinsicht kann ich lediglich einen bescheidenen Ausblick andeuten. Die Kontrastierung einer pädagogischen Bildlehre des 17. Jahrhunderts und einer modernen kunstgeschichtlichen Bildtheorie ließ systematische Gesichtspunkte in den Hintergrund treten. Stellenweise brachen aber denkpsychologisch verwertbare Aspekte hervor (bildliches Denken bedient sich Ordnung generierender ikonischer Funktoren; künstlerische und pädagogische Funktion sinnlicher Phantasie etc.), deren Ausarbeitung jedoch eine andere Dimensionierung erfordern. Pädagogische Bildphänomene und auch die anderer Disziplinen mit einem symboltheoretischen bzw. denkphilosophischen Ansatz eingehend in Verbindung zu bringen, könnte einen wichtigen Beitrag zur Pädagogischen Anthropologie[52] leisten, aus der schließlich wieder Maßgaben für die pädagogische Praxis abgeleitet und alte Methoden korrigiert oder neue entwickelt werden können.
LITERATURVERZEICHNIS
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, 15. Auflage, Frankfurt am Main 2000.
Bätschmann, Oskar: Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik. Die Auslegung von Bildern, 3. durchges. Aufl., Darmstadt 1988.
Boehm, Gottfried: Zu einer Hermeneutik des Bildes; aus: Hans-Georg Gadamer/Gottfried Boehm, Seminar: Die Hermeneutik und die Wissenschaften, Frankfurt am Main 1978.
Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen, Bd 1. Die Sprache; 10., unveränderte Auflage, Darmstadt 1997.
Comenius, Johann Amos: Große Didaktik, Übersetzt und herausgegeben von Andreas Flitner, 8. überarb. Aufl., Stuttgart 1993.
Comenius, Johann Amos: Orbis sensualium pictus, Herausgegeben von Prof. Dr. Hellmut Rosenfeld und Dr. Otto Zeller, Osnabrück 1964.
Dohmen, Günther: Bildung und Schule. Die Entstehung des deutschen Bildungsbegriffs und die Entwicklung seines Verhältnisses zur Schule, Weinheim 1964.
Flügge, Johannes: Die Entfaltung der Anschauungskraft, Heidelberg 1963.
Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode, 6. durchges. Aufl., Tübingen 1990.
Hornstein, Herbert: Die Dinge sehen, wie sie ais sich selber sind. Überlegungen zum Orbis pictus, Hohengehren 1997.
Hufnagel, Erwin: Pädagogische Vorbildtheorien. Prolegomena zu einer pädagogischen Imagologie, Würzburg 1993.
Panofsky, Erwin: Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, aus: Ekkehard (Hrsg.), Ikonographie und Ikonologie. Theorien-Entwicklung-Probleme. Bildende Kunst als Zeichensystem, Bd. 1, Köln 1979.
Panofsky, Erwin: Ikonographie und Ikonologie; aus: Ekkehard (Hrsg.), Ikonographie und Ikonologie. Theorien-Entwicklung-Probleme. Bildende Kunst als Zeichensystem, Bd. 1, Köln 1979.
Meister Eckhardt, Reden der Unterweisung, in: ders., Deutsche Predigten und Traktate, Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint; München 1966.
Schaarschmidt, Ilse: D er Bedeutungswandel der Begriffe „Bildung“ und „bilden“ in der Literaturepoche von Gottsched bis Herder; in: Kleine pädagogische Texte, Bd. 33, Herausgegeben von Carl-Ludwig Furck, Georg Geißler, Wolfgang Klafki und Elisabeth Siegel, Beiträge zur Geschichte des Bildungbegriffs, Weinheim/Bergstr., 1965.
Schaller, Klaus: Die Pädagogik des Johann Amos Comenius und die Anfänge des pädagogischen Realismus im 17. Jahrhundert, Heidelberg 1962.
Nachschlagewerke:
Lexikon der Pädagogik, verantwortlicher Herausgeber Heinrich Rombach, 1970.
[...]
[1] Vgl. Oskar Bätschmann, Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik. Die Auslegung von Bildern, 3. durchges. Aufl., Darmstadt 1988.
[2] Ästhetische Reflexionen etwa von Gadamer oder Adorno heben einzelwissenschaftliche Forschungen auf eine prinzipielle Ebene und eruieren ontologische Strukturmomente des Bildes bzw. der Bildlichkeit.
[3] Johann Amos Comenius, Orbis sensualium pictus, Herausgegeben von Prof. Dr. Hellmut Rosenfeld und Dr. Otto Zeller, Osnabrück 1964.
[4] Nohl vollzieht eine ästhetische Begründung der Pädagogik. Spranger entwickelt eine Theorie der Lebensformen.
[5] (Vor-)Bildtheoretische Aspekte in der Pädagogische Theorie sind zu finden etwa bei Max Scheler, Josef Derbolav, Theodor Ballauff, Kurt Haase, Wilhelm Flitner, Erwin Hufnagel.
[6] Lexikon der Pädagogik, Verantwortlicher Herausgeber Heinrich Rombach, 1970, S. 172 f.
[7] Erwin Hufnagel, Pädagogische Vorbildtheorien. Prolegomena zu einer pädagogischen Imagologie, Würzburg 1993, S. 10: „Man unterschätze die imagologische Denk- und Forschungsrichtung nicht; erst wenn wir einen Begriff resp. eine Theorie des Bildes nebst ihren kulturbereichsspezifischen Verästelungen haben, lässt sich eine pädagogische Vorbildlehre begründen. Auch die pädagogische Anthropologie, das sei am Rande vermerkt, bedarf dieser imagologischen Analyse. Schade auch, dass die zeitgenössische Imagologie den unverwechselbaren Beitrag der Pädagogik zur Bildlehre noch nicht zur Kenntnis genommen hat.“
[8] Gottfried Boehm, Zu einer Hermeneutik des Bildes; aus : Hans-Georg Gadamer/Gottfried Boehm, Seminar: Die Hermeneutik und die Wissenschaften, Frankfurt am Main 1978, S. 444.
[9] Boehm, a.a.O., S. 444-471.
[10] Boehm, S. 445 f.
[11] Boehm, S. 448.
[12] Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky bezieht Rede und Text in die Bildauslegung hinein, versteht das Bild von der sprachlichen Aufschlüsselung her, indem literarische Bildung als wichtiger Schlüssel für die Deutung des Bildsinns von Werken der Malerei angesehen, somit ein Primat der Sprache angenommen wird. Vgl. die Aufsätze von Erwin Panofsky, Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst und Ikonographie und Ikonologie; aus: Ekkehard (Hrsg.), Ikonographie und Ikonologie. Theorien-Entwicklung-Probleme. Bildende Kunst als Zeichensystem, Bd. 1, Köln 1979.
[13] Vgl. Bätschmann, S. 114 ff.
[14] Boehm, S. 451.
[15] Ebd.
[16] Ebd.
[17] Ebd.
[18] Boehm, S. 457.
[19] Boehm, S. 458.
[20] Das Bild kann hier als eine verdichtete und geordnete Repräsentation sich monadisch zeitigender Phantasietätigkeit verstanden werden.
[21] Boehm, S. 461.
[22] Ebd.
[23] Boehm, S. 463.
[24] Boehm, S. 465. Vgl. auch Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, 6. durchges. Aufl., Tübingen 1990, S. 145: „Durch die Darstellung erfährt es (das Dargestellte; R.B.) gleichsam einen Zuwachs an Sein.“
[25] Dies bedeutet nicht, dass die Pädagogik für ihre grundlagentheoretischen Reflexion hier von den Zureichungen anderer Disziplinen abhängt, verfügt sie doch selber in ihrer Geschichte und Gegenwart, wie in der Einleitung angedeutet, einen reichen Fundus bildpädagogischer Überlegungen und Anwendungen.
[26] Cassirers Philosophie der symbolischen Formen etwa verfügt über ein solches integratives Potential.
[27] Vgl. Gadamer, a.a.O., S. 15; Ilse Schaarschmidt, D er Bedeutungswandel der Begriffe „Bildung“ und „bilden“ in der Literaturepoche von Gottsched bis Herder; in: Kleine pädagogische Texte, Bd. 33, Herausgegeben von Carl-Ludwig Furck, Georg Geißler, Wolfgang Klafki und Elisabeth Siegel, Beiträge zur Geschichte des Bildungbegriffs, Weinheim/ Bergstr., 1965, S. 67 ff. „Dich bet` ich an, o Seele, der Gottheit Bild in deine Züge gesenkt.“ Herderzitation nach Schaarschmidt, a.a.O., S. 68.
[28] Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin/New York 2002.
[29] Vgl. Ilse Schaarschmidt, a.a.O.; Günther Dohmen, Bildung und Schule. Die Entstehung des deutschen Bildungsbegriffs und die Entwicklung seines Verhältnisses zur Schule, Weinheim 1964.
[30] „Imitieren“, das im Übrigen ein mimetisches Verhalten ist, ist entfernt verwandt mit „imago“.
[31] Seine „Bildungslehre“ kann als erste der deutschen Geistesgeschichte überhaupt angesehen werden.
[32] Vgl. Meister Eckhardt, Reden der Unterweisung, in: ders., Deutsche Predigten und Traktate, Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint; München 1966.
[33] Die pädagogischen Schriften bilden in der pansophischen Theologie des Comenius das zentrale Teilstück. Im pansophischen Hauptwerk „De rerum humanarum emendatione consutatio catholica“ (Allgemeine Beratung über die Verbesserung der menschlichen Sachen), das erst seit 1935 der Comeniusforschung zugänglich ist, steht die Pampaedia in der Mitte von insgesamt sieben Teilen. Eine Interpretation der Pädagogik Komenskys muss den grossen pansophischen Gedanken mitberücksichtigen, da die pädagogisch-didaktischen Stücke erst von ihm her in ihrem von Comenius intendierten Sinn zum Vorschein kommen. Folgende Ausführungen zur Comenianischen Bildungslehre fußen auf Klaus Schallers Habilitationsschrift Die Pädagogik des Johann Amos Comenius und die Anfänge des pädagogischen Realismus des 17. Jahrhunderts, Heidelberg 1962.
[34] Der Emanationslehre nach ist das Ganze in seiner Vielfältigkeit Ausfluß (Próodos) aus und Rückfluß (Epistrophé) in Gott.
[35] Für Comenius ist Wissen das, was mit dem Geist, mit der Hand, mit der Sprache nachgebildet werden kann.
[36] Schaller, a.a.O., S. 140.
[37] Die Konstitution der Pansophia gründet auf drei erkenntnismethodische Prinzipien: 1. Die drei Bücher Gottes: das Buch der göttlichen Offenbarung (Heilige Schrift), das Buch der sichtbaren Welt (Welt) und das Buch des Menschengeistes (Vernunft). Sie sind methodisch abgestufte Quellen der Erkenntnis, wobei die Schrift für alle strittigen Fällen die maßgebliche ist; 2. Die synkritische Methode, erklärt das, was sich nicht auch sich selbst erklärt, durch etwas Ähnliches. Dem liegt die Idee der Analogie und Komparation zugrunde (gegen Baconsche Induktion und Cartesianische Analyse); 3. Die Via lucis. Die Pansophia ist der Spiegel des Ganzen. Der Spiegel selber ist leer, vermag aber Dinge, die im Schein des göttlichen Lichtes erstrahlen widerzuspiegeln, abzubilden. Vgl. Schaller, S. 42-50.
[38] Schaller, S. 24.
[39] Schaller, S. 56.
[40] Vgl. Schaller, S. 135.
[41] Schaller, S. 149.
[42] Vgl. Schaller, S. 268 ff.
[43] Comenius-Zitation nach Schaller, S. 115.
[44] „Dieser Bezug zum Ganzen verleiht dem Bild erst pädagogische Energie, er lässt es mehr sein als ein bloß didaktischer Kunstgriff.“, Schaller, S. 324.
[45] Aus dem Nachwort von Hellmut Rosenfeld; In: Johann Amos Comenius, Orbis sensualium pictus, a.a.O., (keine Seitenangabe möglich)
[46] Comenius, a.a.O., invitatio, S. 2.
[47] „Es ist/wie ihr sehet/ein kleines Büchlein. Aber gleichwol ein kurzer Begriff der ganzen Welt und der ganzen Sprache/voller Figuren und Bildungen/Benahmungen und der Dinge Beschreibungen.“ Comenius, a.a.O., Vorrede.
[48] Herbert Hornstein, Die Dinge sehen, wie sie aus sich selber sind: Überlegungen zum Orbis pictus des Comenius, Hohengehren 1997, S. 12 f. Dort unterscheidet Hornstein vier im Orbis pictus verwendete Bildtypen: 1. das direkte Bild ( unmittelbare gegenständliche Abbildung des Sichtbaren), 2. indirektes Bild (gegenständliche Abbildung des Sichtbaren in assoziativer Weise), 3. das metaphorische Bild (Veranschaulichung einer abstrakten Sache in gleichnishafter Form), 4. das allegorische Bild (zeigt transzendente Dinge, die sich dem augenschein-lichen Zugriff entziehen).
[49] Comenius, Orbis sensualium pictus, a.a.O., Vorrede.
[50] Vgl. Herbert Hornstein, a.a.O., S. 66 ff.
[51] Ernst Cassirer, a.a.O., S. 20 ff. Cassirer macht das Bild aber nicht nur an der visuellen Erfahrung fest, sondern spricht von einer sinnlichen Phantasie, die eine freie Bildwelt entstehen lässt.
[52] Vgl. z.B. Johannes Flügge, Die Entfaltung der Anschauungskraft, Heidelberg 1963.
- Citation du texte
- Robert Baric (Auteur), 2002, Pädagogische Aspekte einer Hermeneutik der Bilder. Johann Amos Comenius, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108459
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