"Nathan der Weise" und "Die Räuber" machten ihre Autoren Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich von Schiller über Nacht berühmt, weil sie genau das auf den Punkt brachten, was die Menschen der jeweiligen Zeit beschäftigte. Bis heute haben "Nathan der Weise" und "Die Räuber" nichts an Faszination und Bedeutung verloren, sondern werden als zeitlose und stets aktuelle Werke vom Literaturprofessor bis hin zum Schüler auch heute noch gelesen, analysiert, interpretiert und mit aktuellen Ereignissen verglichen. Meistens taucht dabei auch die Frage auf, inwiefern "Nathan der Weise" und "Die Räuber" Werke der jeweiligen literaturgeschichtlichen Epoche darstellen und worin ihre Zeitlosigkeit und Aktualität liegt.
Erörtern Sie, inwiefern G. E. Lessings Drama „Nathan der Weise“ und F. Schillers Schauspiel „Die Räuber“ typische Werke der jeweiligen literaturgeschichtlichen Epoche darstellen, und untersuchen Sie, worin ihre Zeitlosigkeit und Aktualität liegen könnte!
Literarische Erörterung
„Nathan der Weise“ und „Die Räuber“ machten ihre Autoren Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich von Schiller über Nacht berühmt, weil sie genau das auf den Punkt brachten, was die Menschen der jeweiligen Zeit beschäftigte. Bis heute haben „Nathan der Weise“ und „Die Räuber“ nichts an Faszination und Bedeutung verloren, sondern werden als zeitlose und stets aktuelle Werke vom Literaturprofessor bis hin zum Schüler auch heute noch gelesen, analysiert, interpretiert und mit aktuellen Ereignissen verglichen. Meistens taucht dabei auch die Frage auf, inwiefern „Nathan der Weise“ und „Die Räuber“ Werke der jeweiligen literaturgeschichtlichen Epoche darstellen und worin ihre Zeitlosigkeit und Aktualität liegt.
„Nathan der Weise“ und „Die Räuber“ sind tatsächlich typische Werke ihrer jeweiligen literaturgeschichtlichen Epoche. Betrachtet man Inhalt, Sprache und Form des Dramas „Nathan der Weise“ näher, so stellt man fest, dass es für die Aufklärung charakteristische Elemente enthält.
Lessing verwendet in seinem Drama für die Aufklärung typische Motive und Verhaltensmuster. Wichtige Ideale der Aufklärung sind Humanität und Toleranz. Diese sind auch die zentralen Aussagen des Werkes, die man am besten an der Figur des Nathan aufzeigen kann. Nathans Toleranz und Humanität zeigt sich in seiner Bereitschaft, Freundschaft mit Menschen zu schließen, ohne sie in Religion und Rasse zu unterscheiden.
So nimmt er sich um die christliche Recha an, obwohl „wenig Tage / Zuvor, in Gath die Christen alle Juden / Mit Weib und Kind ermordet hatten; wisst / Wohl nicht, dass unter diesen meine Frau / Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich / Befunden, die in meines Bruders Hause, / Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt / Verbrennen müssen.“ (S. 99) Trotz des begründeten und berechtigten Hasses auf die Christen, bleibt er durch seine Vernunft tolerant und human und nimmt die christliche Recha als Trost für seine getötete Familie an. Seine Offenheit in religiösen Angelegenheiten zeigt auch, dass Nathan für Recha Daja als christliche Erzieherin engagiert. Die Freundschaft zum moslemischen Bettelmönch Al-Hafi und die Sorge, dass dieser durch das Amt des Schatzmeisters seine eigenen Ideale und seine Menschlichkeit verliert, beweist die generell vorurteilsfreie Offenheit gegenüber allen Menschen.
Einen Aufruf zu einer vernunftgeleiteten Auslebung der Religion findet man in Nathans Versuch, Recha auszureden, ein Engel hätte sie aus dem brennenden Haus gerettet. Rechas emotionalen Schwärmereien setzt er entgegen: „Begreifst du aber, / Wie viel andächtiger schwärmen leichter, als / Gut handeln ist? Wie gern der schlaffste Mensch / Andächtig schwärmt, um nur, -ist er zu Zeiten / Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst – / Um nur gut handeln nicht zu dürfen?“ (S.13) Dahinter verbirgt sich ein Appell Lessings, dass religiöse Schwärmerei den Gebrauch der Vernunft blockiert und dadurch menschliches Handeln unmöglich macht.
Eine logische Folge der vernunftgeleiteten Religiosität ist die vor allem in der Aufklärung betriebene Kritik am Absolutheitsanspruch sowohl der Christen, als auch der Juden und Moslems. „Von diesen drei / Religionen kann doch eine nur / Die wahre sein.“ (S.62) sagt Saladin zu Nathan, worauf ihm dieser mit der Ringparabel antwortet.
Lessing will durch Nathan ausdrücken, dass das Mensch-Sein über der Religionszugehörigkeit stehen muss, denn „Sind Christ und Jude eher Christ und Jude / Als Mensch?“ (S.44). Außerdem muss sich die Vernunft selbst gegen unmenschliche uns starre Glaubenslehren behaupten, um ein Mensch-Sein zu ermöglichen. Dem widerspricht der machtbesessene und glaubensfanatische Patriarch, der in der gesamten Handlung als einziger seiner unaufgeklärten Haltung treu bleibt. Deutlich wird das zum Beispiel, als er dem Tempelherrn auf dessen Schilderung der Beziehung zwischen Nathan und Recha hin antwortet: „Und wie viel mehr dem Juden, / Der mit Gewalt ein armes Christenkind / Dem Bunde seiner Taufe entreißt! Denn ist / Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt? – / Zu sagen: - ausgenommen, was die Kirch / An Kindern tut“. (S.83). Man erkennt hier ebenfalls, dass er vollkommen hinter dem Absolutheitsanspruch der Kirche steht und sich unter anderem dadurch als völlig unaufgeklärt erweist.
Ein wichtiger Punkt in der Aufklärung ist die generelle Ablehnung von Vorurteilen, die uns Lessing in „Nathan der Weise“ auf eindringliche Art und Weise vorführt. Am Beispiel des Tempelherrn zeigt Lessing wie gefährlich unaufgeklärte Denkweise sein kann, die in grundlosen und vorschnellen Vorurteilen Ausdruck findet: „Woll oder wolle nicht! Er ist entdeckt. / Der tolerante Schwätzer ist entdeckt! / Ich werde hinter diesen jüd´schen Wolf / Im philosophschen Schafspelz Hunde schon / Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!“ (S.91). Nathan bekämpft Vorurteile in Gesprächen. Er lässt sich vom Tempelherrn nicht beleidigen, sondern zwingt ihn, seine judenfeindliche Einstellung zu begründen. Nathan weist ihn darauf hin, dass vor der Religion der Mensch stehen sollte, da ja „Christ und Jude [nicht] eher Christ und Jude / Als Mensch [sind]“ (S.44). Der Tempelherr sieht daraufhin seine vorschnelle Verurteilung ein und bittet Nathan um Freundschaft. Am Tempelherrn sieht man, wie schwierig der Prozess zu einer aufgeklärten, vorurteilsfreien Denkweise ist.
Wenn alle Menschen die oben beschriebenen aufgeklärten Ideale und Einstellungen leben würden, bestünde die Chance der Entstehung einer einzigen großen Menschheitsfamilie, wie sie Lessing unter unrealistischer Beihilfe des Zufalls am Ende seines Dramas zustande kommen lässt. Lessings Wunschtraum beinhaltet die Hoffnung, dass trennende Schranken wie Religion, Rasse, soziale Schicht und geistige Unterschiede in ferner Zukunft überwunden werden und die Menschen, basierend auf vernunftgeleiteter Freundschaft, zu einer Menschheitsfamilie zusammenwachsen werden. Nathan macht uns dies vor: „Ha! Ihr wisst nicht, wie viel fester / Ich nun mich an euch drängen werde. – Kommt, / Wir müssen, müssen Freunde sein! Verachtet / Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide / Uns unser Volk nicht auserlesen.“ (S.44)
Auch die Sprache in der „Nathan der Weise“ geschrieben ist, enthält Merkmale, die für die Aufklärung typisch sind. Lessing verwendet in dem Drama überwiegend gehobene Sprache, die den Ständen der großbürgerlichen (Nathan), adeligen (Saladin) und geistlichen (Patriarch, Klosterbruder) Hauptcharakteren entspricht. Zu erkennen ist dies zum Beispiel an Nathan, wie er zum Klosterbruder sagt: „Für meinen Eigensinn, Euch aufzudringen, / Was Ihr nicht braucht? – Ja, wenn ihm Eurer nur/ Auch nachgegeben hätt; Ihr mit Gewalt / Nicht wolltet reicher sein als ich.“ (S.107), oder wie Saladin zu Mansor spricht: „Und nimm dir die Bedeckung ja / Nur nicht zu schwach. Es ist um Libanon / Nicht alles mehr so sicher. Hast du nicht / Gehört? Die Tempelherrn sind wieder rege. (...) Ihr! ich bin sodann bei Sittah.“ (S.105) Hier fällt auch der besondere Satzbau auf, der aus der Verwendung von Jamben und der gehobenen Sprache resultiert, wie er in der aufgeklärten Literatur häufig vorzufinden ist.
Obwohl Lessing ein erklärter Gegner von Gottsched und seiner Theaterreform ist, hält er die von Gottsched geforderte Einheit von Ort, Zeit und Handlung weitestgehend ein. Von Seite zwei kann man entnehmen: „Die Szene spielt in Jerusalem“. Dies kann man durchaus als - wenn auch gelockerte - Einheit des Ortes betrachten, obwohl im Laufe des Werkes vier Schauplätze (Nathans Haus, der Platz davor, der Palast des Saladin und das Kloster) unterschieden werden. Die Handlung, die im Wesentlichen auf dem Ideal von Humanität und Toleranz, ohne Unterscheidung in Religion und Rasse, zu einer großen Menschheitsfamilie führen können, ereignet sich an einem Tag. Lessing ordnet die Handlung um die Ringparabel als Zentrum an, was die Wirkung der Ringparabel als Kernaussage nochmals verstärkt.
In Friedrich von Schillers „Die Räuber“ erkennt man ganz klar typische Merkmale des Sturm und Drang.
Ein Hauptmotiv des Sturm und Drang ist die Auflehnung gegen bestehende Autoritäten. In „Die Räuber“ praktizieren dies Franz und Karl Moor. Der geniale machtbesessene Franz will sich und seine Pläne verwirklichen, er will sich nicht mehr beherrschen lassen, sondern selbst herrschen. Er will nicht, dass seine „Entwürfe sich unter das eiserne Joch des Mechanismus beugen“ (S.33) und er fragt sich, ob sich sein “hochfliegender Geist an den Schneckengang der Materie ketten lassen [muss]“ (S.33). Da er sich in seiner persönlichen Entwicklung durch seinen Vater, den Grafen von Moor behindert fühlt, will er seinen Vater „nicht gern getötet, sondern abgelebt.“(S.33) Er „möchte es machen wie der gescheite Arzt, nur umgekehrt. – Nicht der Natur durch einen Querstreich den Weg verrannt, sondern sie in ihrem eigenen Gange befördert.“ (S.33). Sein Bruder Karl, den Franz vom Vater durch eine Intrige verstoßen ließ, lehnt sich gegen Staat und Gesellschaft als Autoritäten auf. Zum Ausdruck bringt er dies indem er anklagt: „ Da verrammeln sie sich die gesunde Natur mit abgeschmackten Konventionen, (...) Ins Loch mit dem Hund! – Bitten! Schwüre! Tränen! (Auf den Boden stampfend) Hölle und Teufel.“ (S.16f). Karl Moor versucht nach der Enttäuschung durch seinen Vater seine Ideale von Staat und Gesellschaft mit Hilfe seiner Räuberbande durchzusetzen, muss schließlich aber erkennen, dass es der falsche Weg war. Er lehnt sich gegen den Staat auf, denn „das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre. Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten aus.“ (S.17) wie Karl selbst sagt. Hier und in seiner Aussage „Stelle mich vor ein Heer Kerls wie ich, und aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sein sollen.“ (S.17) erkennt man seine Ideale von einer aus tapferen, tatkräftigen Männern getragenen Gesellschaft in einer Republik, die nicht einengt, sondern deren Gesetze die Freiheit zur persönlichen Entfaltung und Verwirklichung bieten.
Ein weiteres typisches Merkmal der Aufklärung ist das hier von Lessing als wesentlich handlungsbestimmendes Motiv der feindlichen Brüder. Um an die alleinige Macht zu kommen, muss Franz Karl und seinen Vater ausschalten. Er versucht dies, indem er gegen Karl eine Intrige einfädelt. Er fingiert Briefe von Karl an den Vater und vom Vater an Karl. Ihren Höhepunkt findet diese Intrige in einem Brief, den Franz im Auftrag seines Vaters an Karl schickt. Die Absicht des Briefes bringt Franz in einem Monolog zum Ausdruck, nachdem er den Vater von Karls Abwegen schmerzlich überzeugt hat: „Tröste dich, Alter, du wirst ihn nimmer an diese Brust drücken, der Weg dazu ist ihm verrammelt wie der Himmel der Hölle. (...) – Ich hab einen magischen Kreis von Flüchen um dich gezogen, den er nicht überspringen soll.“ (S.13) Umgekehrt zeigt sich der Hass Karls gegen Franz, als er herausbekommt, dass der eben genannte Brief, der sein Leben vollständig verändern sollte, von Franz geschrieben wurde. Auffahrend lässt er seinen Gefühlen freien Lauf: „Betrogen, betrogen! da fährt es über meine Seele wie der Blitz! (...) – o Bösewicht! unbegreiflicher, schleichender, abscheulicher Bösewicht.“ (S.87).
Wenn Karl Moor seine Heimat wiedersieht und zu Schwärmen beginnt „Sei mir gegrüßt, Vaterlandserde! (Er küsst die Erde.) Vaterlandshimmel! Vaterlandssonne! – und Fluren und Hügel und Ströme und Wälder! (...) – hier! hier der Abgott deines Volkes – aber der böse Feind schmollte darzu!“ (S. 76), erkennt man die für die Zeit des Sturm und Drang charakteristische Sehnsucht nach Idylle, Natur und Ruhe.
Schiller verwendet diese Sehnsucht an mehreren Stellen in seinem Schauspiel um die Gemütshaltung der Menschen zur Entstehungszeit der „Räuber“ zu verarbeiten. Vor allem Karl bringt diese Sehnsucht zum Ausdruck, wenn er sich zum Beispiel über die Natur freut: „Seht doch, wie schön das Getreide steht! – Die Bäume brechen fast unter ihrem Segen.“ (S.67). Er erinnert sich auch immer wieder an seine behütete Kindheit: „Es war eine Zeit, wo ich nicht schlafen konnte, wenn ich mein Nachtgebet vergessen hatte“ (S.68). Karl sehnt sich zurück in diese familiäre Geborgenheit, zu dieser Unbeschwertheit der Kindheit, ohne andauernde Sorge ums Überleben, wie er sie in der Räuberbande täglich verspürt. Schiller gibt damit die Stimmung der Menschen im Deutschland der damaligen Zeit wieder, deren Sehnsucht nach Ruhe, Idylle und Natur nach etlichen Kriegsjahren und den Einflüssen des Absolutismus immer stärker wurde.
Damit eng verbunden ist ein Freiheitsstreben der Menschen im Sturm und Drang. Die Herrscher wechseln ständig, oder kämpfen um ihre Macht oder um noch mehr Macht. Außerdem dringt der von Frankreich ausgehende Absolutismus auch in Deutschland immer weiter vor. Dieses dadurch hervorgerufene Freiheitsstreben der Menschen findet man auch in Schillers „Die Räuber“. Wieder sind es vor allem Franz und Karl Moor, die diese Eigenschaft des Sturm und Drang aufweisen.
Franz Moor sucht die persönliche und die für ihn damit verbundene politische Freiheit, um seine Machtbesessenheit ausleben zu können. Darüber, wie er seine Freiheit, für die er sogar über Leichen geht, auskosten will, ereifert er sich selbst: „Weg dann mit dieser lästigen Larve von Sanftmut und Tugend! (...) Blässe der Armut und sklavische Furcht sind meine Leibfarbe: in diese Liverei will ich euch kleiden!“ (S.45). Karl Moor sucht seine Freiheit in der Räuberbande, mit deren Hilfe er sich von den Fesseln der Gesellschaft und des Gesetzes befreien und seine eigenen Ideale durchsetzen will. Karl sagt selbst: „Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber (...) Stelle mich vor ein Heer Kerls wie ich, und aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sein sollen.“ (S.17)
Schiller verwendet in „Die Räuber“ eine für die Literatur des Sturm und Drang charakteristische einfach Sprache, die sich durch Dynamik, Emotion, Spontanität und Übertreibung auszeichnet. In Verbindung mit dem einfachen Satzbau entspricht die Sprache den agierenden Charakteren. Nur Maximilian Moor hebt sich durch eine etwas gehobenere Sprache, die seinem Amt als regierender Graf angemessen ist, hervor. Beispielefür die einfache Alltagssprache sind: „Da verrammeln sie sich die gesunde Natur mit abgeschmackten Konventionen“ (S.16). Emotionen und Spontanität erkennt man in: „Ins Loch mit dem Hund! – Bitten! Schwüre! Tränen! (Auf den Boden stampfend.) Hölle und Teufel.“ (S.16/17). Insgesamt verstärkt Schiller dadurch die realistische Wirkung der Handlung und gibt dem Leser die Möglichkeit, sich in die Zeit, in der die Handlung spielt, zurückzuversetzen.
Schillers Schauspiel folgt zwei Handlungssträngen, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen und gegen Ende des Stückes schneiden. Ein Handlungsstrang beschreibt Karl Moor und seine Räuberbande in den böhmischen Wäldern, der zweite beschreibt das Leben von Franz und Amalia am Hofe des Grafen von Moor. Als Ausdruck persönlicher Gefühle verwendet Schiller neben der gefühlsbetonten Sprache Lieder, Gedichte und Briefe. Zum Beispiel bekunden die Räuber ihr Selbstverständnis von Freiheit und Gewalt in dem Lied:“Stehlen, morden, huren, balgen / Heißt bei uns die Zeit zerstreu´n. (...) Und hurra, rax dax! geht´s als flögen wir davon.“ (S.90f). Briefe spielen vor allem zu Beginn des Schauspiels bei der Intrige, mit der Franz Karl gegen den Vater ausspielt, eine Rolle. Man erkennt, dass hier die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, die in der Aufklärung praktiziert wurde, vollständig aufgehoben ist, was auf den geistesgeschichtlichen Hintergrund des Sturm und Drang, den Protest gegen Normen und Konventionen zurückzuführen ist. Eine Einheit von Ort, Zeit und Handlung würde dem widersprechen.
Gotthold Ephraim Lessing hat mit „Nathan der Weise“ zweifelsfrei ein zeitloses Werk geschaffen. Der Aufruf, allen Menschen human, tolerant und vorurteilsfrei gegenüberzutreten wird niemals seine Berechtigung verlieren. Gerade Deutschland musste schmerzlich erfahren, welche Folgen Inhumanität, Intoleranz und Vorurteile in Verbindung mit politischer und militärischer Macht haben können. Im Zweiten Weltkrieg mussten wegen eines Fanatikers hunderttausende unschuldige Menschen ihr Leben auf den Schlachtfeldern oder in Konzentrationslagern lassen. Doch nicht nur in neuerer Zeit kann man die Zeitlosigkeit „Nathans“ festmachen. Egal wie weit man in der Menschheitsgeschichte zurückgeht, findet man einzelne Menschen, die Humanität und Toleranz lebten (zum Beispiel Mutter Theresa), aber auch ganze Völker, die genau das Gegenteil praktizierten. Auch heute ist „Nathan der Weise“ höchst aktuell. Das beste Beispiel für fehlende Humanität und Toleranz findet man momentan im Nahen Osten, wo Palästinenser und Israelis um ein Land kämpfen, da beide religionsgeschichtliche Ansprüche geltend machen wollen. „Nathan der Weise“ spielt in Jerusalem, die Stadt, die eigentlich Zentrum von Humanität und Toleranz sein sollte, da sie von Christentum, Judentum und Islam gleichermaßen als heilige Stadt betrachtet wird. Doch gerade deswegen fliegen heute in Jerusalem die Bomben. Es fehlt hier ein Nathan der den verfeindeten Völkern die Ringparabel darlegt und ihnen die vielen Vorteile eines toleranten und humanen Miteinander erklärt. Doch man muss nicht bis in den Nahen Osten schauen, um Beispiele für die Aktualität zu finden. Auch in Deutschland gibt es eine Minderheit, die durch Intoleranz und Rassenwahn, die sich vor allem gegenüber Ausländer äußern, immer wieder für Aufsehen und Unruhen sorgt.
In Schillers „Die Räuber“ liegt die Zeitlosigkeit in der Auflehnung gegen bestehende Autoritäten und dem immerwährenden Generationenkonflikt. Nicht nur im Sturm und Drang gab es unzufriedene Menschen, die sich gegen bestehende Autoritäten wie Staat, Gesetz und Gesellschaft auflehnten, in der Hoffnung, dadurch ihre Welt so zu verändern, dass sie ihren Idealen entspricht. Solche Menschen gab es schon immer, gibt es heute und wird es auch in Zukunft geben. Oft geschieht dies aus persönlichen und/oder privaten Problemen, die dann über Frustration und Resignation zur Auflehnung gegen Autoritäten führen, um in ihnen einen Schuldigen für das meist eigene Versagen zu finden. Eng verbunden damit ist der andauernde Generationenkonflikt, der sich in unterschiedlichen Ausdrucksformen äußert. Bei fast allen Jugendlichen beginnt einmal die Phase, in der sie sich allmählich von den Eltern lösen und selbstständiger werden wollen. Diese Phase der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen geht mit Problemen der Verständigung, des Verständnisses füreinander, Autoritätsproblemen und unterschiedlichen Einstellungen zum Leben einher. Dass dieses Problem nicht neu ist, beweist ein Zitat von Sokrates: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Doch nicht nur zwischen Eltern und Kindern treten diese Generationenkonflikte auf, sondern auch zwischen älteren Generationen gibt es Probleme. Ein aktuelles Beispiel dafür ist, dass vor allem ältere Generationen den überschwänglichen und ausschweifenden Lebensstil jüngerer Menschen kritisieren, was diese meist überhaupt nicht verstehen können, da es für sie ganz normal ist.
Gerade wegen ihrer Zeitlosigkeit und Aktualität ist es sinnvoll, für einen weltoffenen und an einem friedlichen Miteinander interessierten Menschen sogar notwendig, „Nathan der Weise“ und „Die Räuber“ auch heute noch, oder gerade heute, in Anbetracht der vielen kleinen und großen Krisenherde dieser Welt, zu lesen und sich mit den behandelten Thematiken auseinanderzusetzen. Hat man dies getan, erscheinen einem heutige Probleme geradezu lächerlich, da sie durch Menschlichkeit, Verständnis und vorurteilsfreie Toleranz entweder nicht entstanden wären, oder ganz leicht gelöst werden könnten. Doch die Realität sieht anders aus.
Auf dem Weg zum persönlichen Erfolg, zum persönlichen Glück, vergessen die meisten Menschen ihre Umgebung völlig. Ein friedliches Miteinander bleibt auf der Strecke und schlägt schließlich in Unverständnis und Aggression um. Gegen dieses Verhalten kann man nur sehr schwer vorgehen. Man kann nur hoffen, dass immer mehr Menschen von sich aus umdenken und mehr Wert auf eine friedliche und zufriedene Gemeinschaft legen, als nur ihrem persönlichen Glück nachzulaufen.
Textgrundlage:
Lessing, Gotthold Ephraim
Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen
Husum/Nordsee o. J.
Schiller, Friedrich von
Die Räuber. Ein Schauspiel
Husum/Nordsee o. J.
Sekundärliteratur:
Rahner, Thomas
Lektüre – Durchblick. Gotthold Ephraim Lessing. Nathan der Weise
5. Auflage, München 1995
- Arbeit zitieren
- Johannes Eibl (Autor:in), 2002, Lessings "Nathan der Weise" und Schillers "Räuber" als typische Werke ihrer literarischen Epoche. Worin liegt ihre Zeitlosigkeit und Aktualität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108340
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