Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entstehung des Nutzen und Belohnungs-Ansatzes
2.1 Eine klassische Studie von Herta Herzog
2.2 Eine Klassische Studie von Bernard Berelson
2.3 Grundsteinlegung für einen ganzheitlichen Theoriekomplex durch Katz
3. Psychologische Ursachen für Bedürfnisse und deren Befriedigung durch Medieninhalte
3.1 McGuires Synthesen aus Definition und Kritik des Uses and Gratifications-Approach
3.2 Die Kognitiven Motive und ihre Relevanz für Mediale Gratifikationen
3.3 Die Affektiven Motive und ihre Relevanz für Mediale Gratifikationen
4. Fazit
1.Einleitung
Entscheidende Bedeutung für die aktuelle Ausrichtung der Publizistikwissenschaft wird von vielen Forschern dem Nutzen- und Belohnungsansatz, üblicherweise wie in den amerikanischen Studien bzw. Arbeiten aus denen er hervorging, als Uses and Gratifications-Approach bezeichnet, beigemessen.
Der Ansatz beruht teils auf empirischen Untersuchungen aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Herta Herzog untersuchte 1944 die Nutzung von sogenannten Daily Soaps durch Hausfrauen auf Gratifikationen für die Rezipientinnen. Aus der Tatsache, dass sie damit wohl die erste Wissenschaftlerin war, die explizit nach den Gründen fragte, die Rezipientinnen zum Konsum bestimmter Medieninhalte veranlassen, zieht diese Studie ihre forschungsgeschichtliche Bedeutung. Eine Studie von ähnlicher Bedeutung verfasste Bernard Berelson während eines Zeitungsstreiks in New York. In seinem Aufsatz „What Missing the Newspaper Means“ wertet er Befragungen aus, in denen Zeitungsleser evaluieren sollten was sie während des Streiks am Deutlichsten vermissten. Auch er fragte also nach den Gratifikationen der Rezipienten diesmal beim Medium Zeitung.
Seinen eigentlichen „Durchbruch“ allerdings erlebte der Uses and Gratifications-Approach erst durch die kognitive Revolution (Neisser, 1967) in den Sozialwissenschaften. Gegen Ende der sechziger Jahre setzte sich allmählich eine Forschungsrichtung durch, die ihr Augenmerk verstärkt auf die Bedürfnisse von Individuen und Gruppen legte, anstatt ihre Forschungsobjekte als Tabula Rasa zu betrachten, die von den Kommunikatoren nur noch mit deren Meinung beschrieben werden müssen. Bezogen auf die Kommunikationswissenschaft bedeutet dies, dass in einer Zeit, als die Bedürfnisse und Eigenschaften von Rezipienten als aktive Einflussgrößen und nicht länger bloß als auf den Botschaftsempfänger einwirkende Störgrößen betrachtet wurden, der Weg frei war für eine Theorie, die den Rezipienten als Ausgangspunkt hatte. Der Uses and Gratifications-Approach war nun der erste der – nach dem oben gesagten folgerichtig – die Fragestellung der kognitiven Publizistikforschung quasi herumdrehte: In einer sehr bekannten Formulierung von Elihu Katz und David Foulkes wird dies wie folgt dargestellt: „This is the Approach that asks the question, not ‚What do the media do to people?’ but, rather, ‚What do people do with the media?’“. (1962, S. 378, Hervorhebung im Original)
In der vorliegenden Arbeit soll im Folgenden zunächst gezeigt werden, welche Bedeutung die erwähnten klassischen Studien von Herta Herzog und Bernard Berelson für die späteren Forschungen und Erkenntnisse zum Uses and Gratifications-Approach hatten.
Anschließend wird die Arbeit dort anknüpfen, wo es auch die Kommunikationsforschung getan hat. Bei der erstmaligen Zusammenfassung von Gratifikationsstudien zu einem ganzheitlichen Ansatz durch Elihu Katz und andere. Anschließend soll, basierend auf Aufsätzen aus der ersten Hälfte der Siebziger Jahre, gezeigt werden, welch weitreichende Implikationen sich aus den Erkenntnissen der Uses and Gratifications-Forschung ergeben. Dazu soll, mittels einer idealtypischen Zusammenfassung, zunächst dargestellt werden wie im Uses and Gratifications-Approach Medienrezeption verstanden wird um anschließend beispielhaft auf psychologische Motive für durch Medienkonsum zu befriedigende Bedürfnisse näher einzugehen.
Der Autor der Arbeit erhofft sich durch die skizzierte Vorgehensweise erstens die historische Bedeutung des Ansatzes im forschungsgeschichtlichen Verlauf aufzuzeigen und zweitens an konkreten Beispielen die Sinnhaftigkeit und den Nutzen der durch den Uses and Gratifications-Approach begründeten neuen Sichtweise in der Medienwirkungsforschung zu verdeutlichen.
Durch die große Zahl der zu dem Thema vorgelegten Studien und Aufsätze und dem begrenzten Platz, den eine Hausarbeit bietet, war es notwendig lediglich eine Auswahl einiger der am stärksten beachteten Arbeiten in die vorliegende Hausarbeit mit einfließen zu lassen. Die Arbeit erhebt daher keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
2. Entstehung des Nutzen und Belohnungs-Ansatzes
Wie oben erwähnt, fanden bereits in den Vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts einige Forschungen statt, die nach Gratifikationen in der Mediennutzung fragten. Wenn man der Unterscheidung von Walter Weiss folgt, gehen Studien der Gratifikationsforschung zumeist davon aus, dass sich die Gratifikationen auf zwei unterschiedliche Bedürfnisgruppen zurückführen lassen. Zum einen auf fantastisch-eskapistische und zum anderen auf informativ-pädagogische Medieninhalte. (Weiss, 1971) Nun läge die Vermutung nahe, dass beispielsweise Tageszeitungen ausschließlich informativ-pädagogische Inhalte für die Bedürfnisse ihrer Leser bereit hielten und Unterhaltungsprogramme im Radio oder Fernsehen lediglich zur Unterhaltung oder gar Wirklichkeitsflucht nützlich sein könnten. Das dem nicht so ist, dass sich jedoch die von Weiss getroffene Unterscheidung auch und gerade in klassischen Studien bewahrheitet, zeigen die zwei im Folgenden vorgestellten Studien.
2.1 Eine klassische Studie von Herta Herzog
Herta Herzog forschte an dem von Paul Lazarsfeld geleiteten „Office of Radio Research“ nach Gratifikationen, die Konsumenten aus der Nutzung von Medienangeboten gewannen. Sie befragte ihre Probanden unter anderem nach ihren Gründen, sich Quiz-Shows (Herzog, 1942) oder die sogenannten Daily Soaps (Herzog, 1944) im Radio anzuhören. Im Fall der Daily Soaps, also in der Studie „What do we Really Know About Daytime Serial Listeners?“, versucht sie zunächst ein charakteristisches Bild der typischen Hörerin solcher Programmformate zu entwerfen – dass es sich bei den Rezipienten ausschließlich um (Haus-)Frauen handelt wurde in der Studie implizit vorausgesetzt, weswegen auch ausschließlich Hausfrauen untersucht wurden. Sie schlägt hierfür drei Ansätze vor, deren zwei sie sich im Verlauf der Studie persönlich widmet. Während sie eine qualitative Inhaltsanalyse zwar für sinnvoll erachtet, sich damit aber in der Studie nicht auseinandersetzt, vergleicht sie anhand von vier verschiedenen Studien Hörerinnen von Daily Soaps mit Nichthörerinnen dieser Formate und betrachtet sich die von Hörerinnen in persönlichen Interviews gegebenen Antworten im Hinblick auf deren Aussagefähigkeit dahingehend, ob und wie die Hausfrauen ihre Bedürfnisse mittels Medienkonsum befriedigen. Herzog selbst beschreibt das Ziel ihrer Studie so: „In addition to content analyses, then, we wish to examine the structure of the audience and the gratifications derived from daytime serials. This article is devoted to a survey of current knowledge about these listeners.“ (Herzog, 1944, S. 4)
Herzog vergleicht Hörerinnen und Nichthörerinnen in Bezug auf Soziale Kontakte, Intellektuelle Interessen, Interesse an Geschehnissen des öffentlichen Lebens und Persönlichkeitsstruktur. Sie versucht unter anderem nachzuweisen, dass Personen mit wenigen sozialen Aktivitäten dazu neigen, den Mangel an sozialen – in diesem Fall also eher parasozialen – Kontakten ersatzweise durch den Konsum von Daily Soaps zu stillen. Diese Annahme konnte sie jedoch nicht nachweisen. „So far as the extent of social participation is concerned, we can conclude, with some assurance, that there is no vacuum in the lives of listeners for which they compensate by turning to daytime serial dramas.“ (Herzog, 1944, S. 8, Hervorhebung im Original) Relativ deutliche Ergebnisse erhielt sie beim Vergleich des Anteils der Hörerinnen, die Zeitschriften mit einem höheren oder geringeren intellektuellen Anspruch lasen. Sie fand heraus, dass der Anteil der Leserinnen von anspruchsvolleren Magazinen, wie dem New Yorker wesentlich unter dem Anteil von Haushaltsmagazinen lag. Sie glaubt damit ihre Frage, „Why are women with little formal education more disposed to listen to daytime serials?“( Herzog, 1944, S. 11) eine klare Antwort geben zu können: „ (...), because these serials provide the more naive individual with a much-desired, though vicarious, contact with human affairs which the more sophisticated person obtains at first hand through her wider range of experience.“ (Herzog, 1944, S. 11-12)
Des weiteren konnte sie, allerdings ohne vollständig für ihre Thesen sprechende Ergebnisse zu gewinnen, nachweisen dass Hörerinnen von Daily Soaps weniger Nachrichtenprogramme anhören also weniger Interesse an den Geschehnissen des öffentlichen Lebens vorweisen. Für den Zusammenhang zwischen Selbstsicherheit und Konsum von Daily Soaps konnte sie zeigen, „(...) that there are relatively more non-listeners in the high-assurance sector of the scale.“ (Herzog, 1944, S.16) Einen Zusammenhang zwischen geringer Selbstsicherheit und dem Konsum von Daily Soaps glaubt sie damit nachgewiesen zu haben.
Auf der Basis von intensiven Interviews, die sie für ihre Arbeit „On Borrowed Experience“ (Herzog, 1941) führte bzw. führen ließ, fasste sie drei „major types of gratification experienced by listeners to daytime serials“ (Herzog, 1944, S. 23) zusammen. Dazu zählte sie „emotional release“. Hierzu gehörte für sie zum einen die Kompensation für eigene Probleme der Rezipientinnen, zum anderen die Möglichkeit durch Identifikation der eigenen Sorgen mit denen der Protagonisten in den Serien, diese eigenen Sorgen wichtiger zu nehmen bzw. als ernsthafter zu betrachten, weil selbst ihre „Idole“ in den Daily Soaps ähnliche Schwierigkeiten erfahren. Eine zweite Gruppe von Gratifikationen fasst sie unter dem Überbegriff des „wishful thinking“ (Herzog, 1944, S. 24) zusammen. Die Hörerinnen versuchten eigene Verfehlungen oder Unterlassungen, die ihr Leben in für sie negativer Weise geprägt hatten, durch bessere Erfahrungen der Serienschauspieler sozusagen wettzumachen. Was sie damit meint verraten oft schon die Titel der Serien. So heißt eine brasilianische Telenovela zum Beispiel „Reich und Schön“ eine deutsche Daily Soap „Unter Uns“. Beide Namen beziehen sich, sofern den Rezipienten die Geborgenheit einer Gruppe („Unter Uns“) oder Wohlstand und soziale Anerkennung („Reich und Schön“) verwehrt geblieben sind, für diese auf Wünsche, deren Nichterfüllung sie durch Teilhabe am Leben der Protagonisten kompensieren. Eine dritte Form der Gratifikation im Falle der Daytime Serials ist die Ratgeberfunktion. „The stories are liked because they ‚explain things’ to the inarticulate listener.“ (Herzog, 1944, S. 25)
2.2 Eine Klassische Studie von Bernard Berelson
Auch Bernard Berelson gelang im Jahre 1949 eine Studie, die für die Gratifikationsforschung der Sechziger und Siebziger Jahre wesentliche Vorarbeit leistete. Ebenfalls in einem der Aufsatzbände von Lazarsfeld und Stanton erschienen besticht seine Arbeit „What ‚Missing the Newspaper’ Means“ (1949) vor allem durch die realistischen Begleitumstände des Experiments. Zur Zeit der Befragung nämlich „vermissten“ die Probanden allesamt tatsächlich ihre Zeitung, denn zu diesem Zeitpunkt fand ein umfassender Streik der New Yorker Zeitungsauslieferer statt. Berelson beschreibt seine Studie in Abgrenzung von zwei anderen, rein auf die Marktforschung beschränkten Studien, als „designed to secure psychological insight in order to determine just what not having the newspaper meant to people.“ (Berelson, 1949, S. 112) Sein Ziel war also nicht bloß herauszufinden welche Eigenschaften die Leser an Zeitungen vermissten und demnach als Befriedigungsmöglichkeit eines Bedürfnisses schätzten, sondern auch Erkenntnisse über die Ursachen der Bedürfnisse benennen zu können. Berelson filterte sechs verschiedene Nützlichkeits- beziehungsweise Gratifikationsaspekte aus den Antworten der Interviewten heraus. Erstens das Bedürfnis, durch die Zeitung mit Informationen und Interpretationen der politischen Ereignisse versorgt zu werden. Er schreibt: „There is a core of readers who find the newspaper indispensable as a source of information about and interpretation of the ‚serious’ world of public affairs.“ (Berelson, 1949, S.117) Zweitens gaben viele der Befragten an, das Medium als Ratgeber für alltägliche Dinge zu nutzen. Sie informierten sich aus der Zeitung zum Beispiel über das Wetter, das Radio- oder das Kinoprogramm. Als dritten Aspekt betrachtet Berelson die unterhaltende und ablenkende Funktion der Blätter. „Reading has respite value whenever it provides a vacation from personal care by transporting the reader outside his own immediate world.“ (Berelson, 1949, S. 119)
Eine eskapistische Wirkung spricht er den Zeitungen also zu, wo sie Ablenkung durch Unterhaltung oder durch den Kontrast zwischen dem eintönigen Leben mancher Leser und den großartigen Geschehnissen, über die in den Zeitungen berichtet wird, bieten. Viertens meint Berelson herausgefunden zu haben, dass Leser die aus den Zeitungen gewonnenen Informationen nutzen, um ihr Prestige bei Gesprächspartnern aufzubessern oder zu bestätigen. „It´s not that the newspapers´content is good in itself but rather that it is good for something-and that something is putting up an impressive front to one´s associates.“ (Berelson, 1949, S.119-120, Hervorhebung im Original) Fünftens fasst er unter der Kategorie „Soziale Kontakte“ Gratifikationen wie Wegweiser für die gängigen Moralvorstellungen, stellvertretendes Ausleben von Gefühlen beim Verfolgen von Human Interest Stories, Befriedigung von Neugierde und den indirekte „persönliche Kontakt“ mit Personen des öffentlichen Lebens, zusammen. (Berelson, 1949, S. 120-121)
Zusätzlich zu diesen eher informationell-praktischen Gratifikationen kristallisierte sich aber im Laufe der Interviews noch eine weitere Kategorie heraus. „There is some evidence in our interviews that reading itself regardless of content is a strongly and pleasurably motivated act in urban society.“ (Berelson, 1949, S. 122, Hervorhebung im Original) Auf die Frage, womit sie sich in der Zeit, die sie sonst mit dem Zeitungslesen verbrächten, stattdessen beschäftigten, gaben viele Leser an etwas anderes zu lesen. Berelson sieht die Gründe dafür zunächst im protestantischen Arbeitsethos. Da, wie er schon zuvor gezeigt hatte, viele Menschen die Zeitung während ihrer beschäftigungsfreien Tageszeit lasen schloss er daraus, dass die Menschen schlicht nicht das Gefühl haben mochten ihre Zeit zu verschwenden. Daher lasen sie nun ersatzweise nicht- oder nur indirekt informative Medien, um zumindest den Anschein zu erwecken, sie würden sich bilden oder informieren.
2.3 Grundsteinlegung für einen ganzheitlichen Theoriekomplex durch Katz
Einige der Erkenntnisse aus den beiden oben beschriebenen Studien waren später, in den späten Sechziger und den Siebziger Jahren, für die Forschung mit Bezug auf das Uses and Gratifications-Prinzip maßgebend. Andererseits konstatieren Katz, Blumler und Gurevitch für die Gratifikationsstudien der Stanton-Lazarsfeld-Ära der Gratifikationsforschung einen völligen Mangel an Theoriebildung. (1974, S. 20) Sie stellen sogar fest, dass nicht einmal der Versuch unternommen worden war eine Verbindung der bei den Probanden festgestellten Gratifikationen mit den für sie ursächlichen soziologischen oder psychologischen Bedürfnissen zu ziehen. Den Grund dafür meinen sie zu kennen: „We were social psychologists interested in persuasion and attitude change. We were political scientists interested in new forms of social control. We were commissioned to measure message effectiveness for marketing organizations, (...) or for the broadcasting organizations themselves.“ (Katz, Blumler, Gurevitch, 1974, S. 20) Zwar beziehen sich die Autoren damit hauptsächlich auf die Frage warum die Medienwirkungsforschung ihre Modelle zumeist bei den Kommunikatoren und nicht bei den Rezipienten beginnen lässt, wie nebenbei erklären sie mit der Aussage jedoch auch das Fehlen eines integrierenden Gesamtkonzepts der Gratifikationsforschung zur Zeit von Stanton und Lazarsfeld. Die mit der Gratifikationsforschung beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nämlich waren Auftragnehmer, die beispielsweise die Rundfunkunternehmen mit Daten über die Wünsche und Eigenschaften von deren Konsumenten beliefern sollten. Ähnliches stellen auch Michael Kunczik und Astrid Zipfel fest: „In enger Verbindung mit dem Auftragscharakter stand die einseitige Ausrichtung der Forschung auf die (kurzfristigen und individuellen) Wirkungen der Massenmedien.“ (2001, S. 61) Scheinbar brauchte es zunächst einen sozialwissenschaftlich-philosophischen Ansatz, damit die Medienwirkungsforscher auf das sozialwissenschaftliche Potential ihrer Gratifikationsforschung aufmerksam wurden und so eine umfassende Theoriebildung salonfähig werden konnte. Diese Voraussetzung war offensichtlich mit dem Wiederaufleben der Handlungstheorie in den frühen Siebziger Jahren erstmals gegeben. Durch deren Renaissance rückte erstens das aktive Publikum stärker in das Blickfeld der Kommunikationswissenschaft und zweitens schien so ein Aufgehen der verschiedenen Bedürfnisse und Gratifikationen in einem integrierenden theoretischen Konzept möglich. (Schenk, 2002, S. 605)
Im Jahre 1974 veröffentlichten Elihu Katz und Jay G. Blumler einen Aufsatzband mit dem Titel „The Uses of Mass Communications“. Im Vorwort teilen sie die bis dahin erfolgte Wirkungsforschung in zwei verschiedene Phasen ein, wie sie sich aus dem weiter oben Vorgetragenen hoffentlich bereits logisch ergeben. „Perhaps it is not overly simple to suggest that, in its ‚childhood’ of the 1940s and 1950s, the core emphasis of much work in this vein was on insightful description of audience subgroup orientations to selected media content forms.“ (Katz, Blumler, Gurevitch, 1974, S. 13, Hervorhebung im Original) So deklarieren sie die frühe Gratifikationsforschung als die Kindheit dieses Forschungsansatzes. Wie Kinder zwar schon einen scharfen Blick für die sie unmittelbar betreffenden Vorgänge haben, sich allerdings kaum ein Bild von Gründen und Zusammenhängen machen, so handelten auch die Gratifikationsforscher mit beschränktem Blickfeld.
In der nächsten Phase der Persönlichkeitsentwicklung wie sie von Katz und Blumler als Metapher für die Uses and Gratifications-Forschung, unmittelbar vor der Entstehung der in ihrem Band abgedruckten Essays, genutzt wird – die Jugend – gilt, dass inzwischen sehr wohl Verbindungen zwischen den Bedürfnissen und den sie befriedigenden Gratifikationen aus dem Medienangebot hergestellt werden. Im Entwicklungsstadium der Reife, welches die Lazarsfeldschüler spätestens mit der Veröffentlichung des erwähnten Buches einleiten wollten, sollte das Hauptaugenmerk nach ihrer Ansicht vor allem auf Erklärungsversuche von Eigenschaften der Kommunikationsprozesse auf der Basis der Ergebnisse der Gratifikations- und Bedürfnisforschung liegen. Die Herausgeber bezeichneten dies als „(...) attempts to use gratifications data to provide explanations of such other facets of the communication process with which audience motives and expectations may be connected.“ (Katz, Blumler, Gurevitch, 1974, S. 13, Hervorhebung im Original) Zu der Reifwerdung gehört für sie die empirische Forschung zwecks der Bildung von Mustern, nach denen bestimmte Bedürfnisse zur Erklärung bestimmter Formen der Mediennutzung genutzt werden können. Auch die theoretische Beschäftigung mit den psychologischen und soziologischen Motivationen wie sie im folgenden Kapitel ausführlich dargelegt werden, zählen sie zur Aufgabe der ‚reifen’ Gratifikationsforschung.
An anderer Stelle im Vorwort zeigen sich die Autoren dann aber, wo nicht über das völlige Fehlen einer zusammenfassenden Theorie so doch über das Fehlen einer starren Verbindung zwischen Uses and Gratifications-Approach und dem Funktionalismus, eher erfreut. Was zuvor als Mangel konstatiert worden war, wird nun zu einer Stärke umgewidmet. „The lack of a uses and gratifications theory as such could be regarded as a source of weakness (...). Nevertheless, many of the essays highlight an outstanding strength that probably stems from this tradition´s porous theoretical boundaries.“ (Katz, Blumler, Gurevitch, 1974, S. 15) Denn erst durch diesen Mangel sei die aktuelle Offenheit gegenüber einer Vielzahl von theoretischen Entdeckungen, welche der Uses and Gratifications-Approach für sich würde vereinnahmen können, gegeben.
Den aktuellen Stand fassen die Herausgeber gemeinsam mit Michael Gurevitch im ersten Kapitel des Buches zusammen. Dem bereits ein Jahr zuvor entstandenen Aufsatz kommt für den Essayband eine einleitende Funktion zu.
Dort unternehmen sie vor allem den Versuch das Gemeinsame in Verfahrensweise und Ausgangspunkt der verschiedenen zeitgenössischen Studien herauszuarbeiten.
„Taken together, they make operational many of the logical steps that were only implicit in the earlier work. They are concerned with (1) the social and psychological origins of (2) needs, which generate (3) expectations of (4) the mass media or other sources, which lead to (5) differential patterns of media exposure (or engagement in other activities), resulting in (6) need gratifications and (7) other consequences, perhaps mostly unintended ones.“ (Katz, Blumler, Gurevitch, 1974, S. 21)
Nachdem sie diese eigentlich logische, aber nie zuvor in solcher Vollständigkeit getroffene, Zusammenfassung als Klammer um die Studien zum Uses and Gratifications-Approach gelegt haben, wenden sie sich den Annahmen zu, die mit solchen Forschungen befasste Wissenschaftler explizit oder implizit voraussetzen. Fünf solche Annahmen können sie richtungsübergreifend in allen Studien dieses weiten Forschungsfelds feststellen.
Zum einen, dass sie ein aktives Publikum proklamieren, dass den überwiegenden Teil seines Medienkonsums zielgerichtet gestaltet. Außerdem gehen diese Studien davon aus, dass die Rezipienten sich ihrer Bedürfnisse bewusst sind und folglich die Verbindung zwischen diesen Bedürfnissen und der Mediennutzung ebenfalls bewusst und auf Initiative der Mediennutzer erfolgt. Des weiteren kommen sämtliche Studien zu dem Schluss, dass der Konsum von Medieninhalten nur eine mögliche Form der Bedürfnisbefriedigung neben anderen sei. (Katz, Blumler, Gurevitch, 1974, S. 21-22) Der Psychologe William J. McGuire bezeichnet beispielsweise mehrfach die Art der Befriedigungen, die Medien den verschiedenen Bedürfnissen bieten als zumeist sehr schwach. Dennoch meint er nicht, dass sie deshalb wenig attraktiv für die Menschen wären, denn „ (...) for many members of the public there is probably much more action, excitement, and stimulation (sic!) in the contents of a newspaper or a television program than in their quotidian experience in the real world.“ ( McGuire, 1974, S. 180) Außerdem halten die Autoren es nicht für angebracht, aus der Sichtweise des Nutzen- und Belohnungsansatzes über die Bedeutung der Massenkommunikation in den verschiedenen Kulturen zu urteilen. (Katz, Blumler, Gurevitch, 1974, S. 22)
3.Psychologische Ursachen für Bedürfnisse und deren Befriedigung durch Medieninhalte
In ihrem Aufsatz „Utilization of Mass Communication by the Individual“ (1974, S. 24) beklagen Katz, Blumler und Gurevitch an der bisherigen Forschung am Uses and Gratifications-Approach das Fehlen einer relevanten Theorie zu den psychologischen und sozialen Bedürfnissen. Besonders liegt ihnen dabei nicht das Fehlen eines Katalogs, der bestimmten Wünschen bestimmte Gratifikationen zuordnete im Magen. Vielmehr wünschten sie sich eine Einteilung der Bedürfnisse in verschiedene Gruppen und Klassen, die sich dann auf relevante Hypothesen über ihren kognitiven Ursprung zurückführen lassen würden. Diesen Wunsch scheinen sich die Wissenschaftler selbst erfüllt zu haben, denn in ihrem im folgenden Jahr erschienen Band „The Uses of Mass Communications“ (1974) veröffentlichten sie einen Aufsatz von William J. McGuire, der eben diese Klassifikation leistete. Ausgehend von verschiedenen psychologischen Persönlichkeitstheorien und durch diese auf die Bedürfnisse der Menschen schließend, gelang ihm eine Einteilung der Bedürfnisse in verschiedene Kategorien.
3.1 McGuires Synthesen aus Definition und Kritik des Uses and Gratifications-Approach
Zwar widerspricht McGuire vehement der von den Uses and Gratifications-Forschern postulierten Aussage, dass ein aktives Publikum den überwiegenden Teil seines Medienkonsums zielgerichtet gestalte. Allerdings will er auch diejenigen Kritiker nicht gelten lassen, die Mediennutzung als ritualisiert und unbewusst betrachten. Er findet eine Synthese hierzu, indem er die bewusste Entscheidung über die Mediennutzung zwar in der präkommunikativen Phase für eher selten erachtet, hier seien externe Phänomene wie zum Beispiel der durch andere Umstände und Zwänge gesetzte Tagesablauf oder die Produktionsabläufe der Medien entscheidender als der Wunsch sich einem bestimmten Medieninhalt zuzuwenden. „For example, one´s newspaper purchasing and reading may be more determined by the availavble delivery systems and one´s television viewing more by the mealtime (...).“ (McGuire, 1974, S. 168) Allerdings seien die Gratifikationen sehr entscheidend, wenn es darum gehe ob der Konsument sich dem angebotenen Inhalt dauerhaft zuwende. Am Beispiel Fernsehen macht er klar, dass es zwar vom Tagesablauf des Konsumenten abhänge, wann dieser den Fernseher einschalte und er vielleicht auch unbewusst oder ritualisiert ein bestimmtes Programm auswähle. Anschließend brauche es dann jedoch, sobald der Konsum einmal begonnen habe, bestimmte Gratifikationen um den Zuschauer zum Fortsetzen seines Konsums zu bewegen, sprich ihn nicht um- oder abschalten zu lassen. (McGuire, 1974, S. 168-170)
Auch für zwei weitere Kritikpunkte hat er sowohl Verständnis als auch einen Kompromiss anzubieten. Die Trivialität der aus den Medien gewonnen Gratifikationen erkennt er, wie oben bereits gezeigt, an ohne jedoch eine wirkungsvollere und leichter zu erreichende Möglichkeit der Befriedigung für die spezifischen Bedürfnisse vieler Menschen ausmachen zu können. Ebenfalls nicht einverstanden ist er mit dem Kritikpunkt, dass sich aus den Medien gewonnene Gratifikationen gar nicht sinnvoll messen ließen. Hier stimmt er mit Katz überein, wenn er eine von dessen empirischen Studie heranzieht, die zeigten dass sich Probanden über ihre Bedürfnisse sehr wohl bewusst sind und diese auch artikulieren können, wenn sie nur die Fragen auf eine Weise gestellt bekommen, die sie auch nachvollziehen können. (McGuire, 1974, S. 169; vgl. auch oben oder z.B. Katz, Gurevitch, Haas, 1973)
Die oben bereits erwähnten Persönlichkeits- beziehungsweise Motivationstheorien unterscheiden sich nach verschiedenen Eigenschaften, die sie jeweils auszeichnen. McGuire ordnet die kognitiven und affektiven Motive für die Suche nach spezifischen medial zu befriedigenden Gratifikationen jeweils nach gegensätzlichen Begriffspaaren zu. So kann sich zum Beispiel die Motivation, die sich aus der Theorie X ergibt entweder extern auf das ‚Weltbild’ oder intern auf die eigene Persönlichkeitsstruktur beziehen. Außerdem kann sie kognitive oder affektive Ursachen haben, auf eine Erweiterung oder Beibehaltung der gegenwärtigen Geisteshaltung zielen und eine aktive oder eine passive Bedürfnisbefriedigung fördern. (McGuire, 1974, S. 171-173)
Im Folgenden sollen die sechzehn Theorien – McGuire nennt sie die „16 General Paradigms of Human Motivations“ (McGuire, 1974, S. 172) – und die Vorgänge, die sie im kognitiven System des Menschen auslösen, kurz skizziert werden um anschließend zu zeigen welche möglichen Gratifikationen aus den Medien die dadurch ausgelösten Bedürfnisse befriedigen können.
3.2 Die Kognitiven Motive und ihre Relevanz für Mediale Gratifikationen
McGuire unterscheidet acht verschiedene kognitive Motive, die er wiederum in eine Gruppe der die aktuelle Einstellungen stabilisierenden und eine die Einstellungen erweiternden Dynamiken unterscheidet. Kognitive Motive grenzt er von den affektiven dadurch ab, dass sie hauptsächlich aus dem Bedürfnisse zur Informationsaufnahme beruhen, während die affektiven gefühlsbetont seien. (McGuire, 1974, S. 173)
Zu den Theorien, die über Motivationen Aufschluss geben können, die den Menschen veranlassen nach einem inneren Gleichgewicht seiner Einstellungen und seiner Persönlichkeit überhaupt zu suchen, zählt McGuire die Konsistenztheorien, die Attributionstheorien, die Kategorisierungstheorien und die Objektivierungstheorien. Die Konsistenztheorien, die auch an anderer Stelle in der Medienwirkungsforschung eine wichtige Rolle spielen, verstehen das menschliche Bewusstsein als ein System, das ständig damit beschäftigt ist die eigenen Aussagen und die Aussagen anderer Personen, die aufgenommenen Informationen und ähnliches miteinander und somit auch mit der eigenen Weltsicht in Einklang zu bringen. Damit bergen die Medieninhalte zwar auch zahlreiche Gefahren für das Gleichgewicht, sie können aber durch Selektivität von den Menschen auch so genutzt werden, dass sie die gewünschte Weltsicht bestätigen. (McGuire, 1974, S. 174-175)
Die Attributionstheorien betrachten den Menschen als sehr subjektiv erlebendes Wesen. Nach diesen Theorien interpretieren die Menschen Erlebnisse weniger nach dem tatsächlich gesehenen als vielmehr nach deren Gründen und Motiven. (McGuire, 1974, S. 174-175) So würde zum Beispiel ein von Überfremdungsängsten geplagter Mensch, der eine Rangelei zwischen Kindern verschiedener Herkunftsländer beobachtet, dieser Situation das Attribut „Zigeuner verprügeln armes deutsches Kind“ zuordnen, während ein die gleiche Situation beobachtender antiautoritärer Pädagoge die Situation als „spielende Kinder“ interpretiert. Aus Medieninhalten nun lassen sich solche impliziten Welterklärungsmuster, wie in meinem Beispiel angedeutet, leicht stützen zumal für solche Personen die der sogenannten Moralischen Mehrheit angehören und daher von der „(...) culturally stereotyped and sanitized oversimplification of an untidy and unsatisfying reality.“ (McGuire, 1974, S. 175) profitieren.
Die Kategorisierungstheorien sind vergleichbar mit dem was in der allgemeinen Sprache als ‚Schubladendenken’ bezeichnet wird. Sie betrachten den Menschen sozusagen als eine Sortiermaschine, der sich in einer für seine Wahrnehmungskapazitäten viel zu komplizierten Realität nur mit ‚Schubladendenken’ also einer Kategorisierung des Erlebten unter bestimmte grobe Überbegriffe zu helfen weiß. Die Theorien sehen aber auch vor, dass das menschliche Bewusstsein Ereignisse oder Attribute dieser einfach übersieht, wenn es für diese keinerlei Handhabe – also keine Schublade mit der passenden Aufschrift – finden kann. Allerdings stellt es für McGuire eine große Gratifikation dar, wenn es dem Bewusstsein gelingt ein ungewohntes Erlebnis – in diesem Fall aus den Medien – durch eine leichte Neuinterpretation der bekannten Kategorien doch einzuordnen. Ebenso hält er es für eine Gratifikation, wenn eine beim Medienkonsum gemachte Erfahrung gut in die angelegten Kriterien passt. (McGuire, 1974, S. 176-177) Das ‚Hätt´ ich dir gleich sagen können’-Phänomen.
Die Objektivierungstheorien gehen vom Menschen als einem sehr pragmatisch handelnden Wesen aus. Die eigene Einstellung wird hauptsächlich an den Umständen ausgerichtet. Externe Faktoren wie das typische Benehmen, sei es das eigene oder das von anderen, werden so zum Maßstab für Gefühle und sogar Ideale. Personen reflektieren nach diesem Ansatz nicht, sie handeln einfach und folgen dabei Handlungsschemata, auf die sie selbst keinen Einfluss haben. Diese Handlungsschemata, die ja nicht von der Persönlichkeit selbst ausgebildet werden können, lassen sich sehr leicht aus den Medien beziehen, wodurch diese dann wichtige Gratifikationen für die Menschen bereithalten würden. (McGuire, 1974, S. 177-178)
Auch an Theorien, die den Menschen auf seiner Suche nach Information nicht darauf beschränken, dass er versuche sein inneres Gleichgewicht zu halten, untersucht McGuire vier. Es sind die Autonomietheorien, die Stimulationstheorien, die Teleologischen Theorien und die Nützlichkeitstheorien. Diese sind im Gegensatz zu den das innere Gleichgewicht betonenden Ansätzen so konzipiert, dass sie dem Menschen eine permanente Suche nach Inhalten und Informationen unterstellen, anhand derer er seinen eigenen mentalen Zustand zu verbessern trachtet. (McGuire, 1974, S. 178)
Die Autonomietheorien zeichnen ein Bild des Menschen, als einem Wesen das zuallererst nach Selbstverwirklichung strebt, um dann aus dieser heraus eine mit dem eigenen Bewusstsein in Einklang stehende Weltanschauung zu entwickeln.
Nun scheinen die Medien für Personen, die das Streben nach einem solchen humanitären Ideal der Persönlichkeitsstärkung zu ihrem Hauptantrieb gemacht haben, nicht allzu viele Gratifikationen bereit zu halten, meint McGuire. Allerdings könnten Personen die zwar diesen Wunsch haben, allerdings nicht unmittelbar von diesem geleitet würden, durch die Informationen über beispielsweise politische Vorgänge die sie aus den Medien erhalten, durchaus einen Vorteil für ihre Persönlichkeitsbildung ziehen. (McGuire, 1974, S. 178-179)
Die Stimulationstheorien gehen von einer natürlichen Neugier des Menschen, einem „exploratory drive“ (McGuire, 1974, S. 180) aus. Diesen könne die Mehrzahl der Menschen wesentlich leichter aus Medieninhalten als durch eigene Erfahrung befriedigen, meint McGuire. (McGuire, 1974, S. 180)
Die Teleologischen Theorien unterstellen dem Menschen seine Orientierungen danach auszurichten, ob die Veränderungen die er vollzieht ihn dem von ihm gewünschten endgültigen Zustand näher bringen oder nicht. Das durch Medieninhalte bestätigte Bild, dass ‚ich alles genau richtig mache’ transportiert durch zum Beispiel den in den Programmen abgebildeten Lebensstil, kann in diesem Sinne eine große Belohnung für derart strebende Menschen sein. (McGuire, 1974, S. 180-181)
Die Nützlichkeitstheorien betrachten das Individuum als einen Problemlöser, der erlebte Situationen zunächst auf Hinweise untersucht, welche ihm in ähnlichen Situationen, die ihn zu einem späteren Zeitpunkt erwarten könnten hilfreich sein könnten. Eine wesentlich größere Anzahl Erfahrungen lässt sich jedoch gewinnen, wenn sich das Individuum zusätzlich zu den eigenen Erfahrungen auch noch diejenigen anderer Personen zueigen macht. Dies kann unter anderem durch Medienkonsum erfolgen. (McGuire, 1974, S. 181-182)
3.3 Die Affektiven Motive und ihre Relevanz für Mediale Gratifikationen
Während sich die oben behandelten kognitiven Motive eher mit der Informationssuche des Menschen zwecks Orientierung in seiner Umwelt befassen, geht es bei den affektiven Motiven darum, wie bestimmte Gefühlszustände konserviert oder verändert werden können. Auch hier gibt es in der Einteilung von McGuire vier Gleichgewicht anstrebende und vier den Zustand verbessernde Motive. Dabei zählt er zu den gleichgewichtsstabilisierenden Dynamiken die Spannungsreduktionstheorie, die Ausdruckstheorie, die Selbstbildbewahrungstheorie und die Verstärkungstheorie. (McGuire, 1974, S. 182-183)
Die Spannungsreduktionstheorie betrachtet das menschliche Bewusstsein als ein System, dem jedes Aufkommen von Spannung als unangenehm und jede Reduzierung von solcher Spannung somit als Gratifikation erscheint. Selbst wenn hier die umstrittene Katharsistheorie beiseite gelassen wird, die Spannungsreduktion durch bloßes Zusehen bei aggressiv-emotionalen Handlungen für möglich hält, kann doch nach Ansicht McGuires zumindest eine gewisse Reduktion durch Entspannung beim Konsum von Medieninhalten erreicht werden. (McGuire, 1974, S. 183-184)
Die Ausdruckstheorie vermutet, dass es eine Gratifikation für die Menschen darstellt, wenn sie die eigenen Gefühle und Vorstellungen anderen Menschen mitteilen. Aus den Medien könnten in Bezug hierauf zwar nur Anregungen für die eigene Fantasie bezogen werden, diese aber seien durch ihre Vielfalt durchaus Gratifikationen, meint McGuire. (McGuire, 1974, S. 184-185)
Die Selbstbildbewahrungstheorie konstatiert, dass der Mensch im Verlauf seines Lebens ein Selbstbild entwickelt und dieses unter hohem Aufwand zu bewahren trachtet. Diese Theorie liegt – teils implizit – einem Großteil der Theorien zugrunde, die sich mit selektiver Wahrnehmung oder Zuwendung beschäftigen. Auch hier helfen die Medien gerade durch solche Selektionsprozesse die eigene Vorstellung von sich selbst zu verstärken und zu bewahren. (McGuire, 1974, S. 185-186)
Ein empirischer Nachweis der Verstärkungstheorie durfte ein Experiment benötigen, dass dem Pawlowschen nicht unähnlich wäre. Die These postuliert, dass Menschen die einmal in einer Situation durch eine bestimmte Handlung belohnt worden sind, diese Handlungsweise in ähnlichen Situationen wiederholen werden. Schon die bloße Wiederholung kreiere hier das Gefühl einer sekundären Belohnung. So seien auch manche Gewohnheiten der Mediennutzung an sich belohnend. Weil man sich beispielsweise beim Fernsehen eigentlich meistens entspannt, wird man es automatisch als entspannend betrachten. (McGuire, 1974, S. 186-187)
Die vier Theorien, die sich mit der Verbesserung oder Erweiterung des gegenwärtigen Zustandes des Individuums beschäftigen, sind die Behauptungstheorie, die Aufnahmetheorie, die Identifikationstheorie und die Formungstheorie. (McGuire, 1974, S. 181-187)
Die Behauptungstheorie ist sozusagen das Metier des Sozialdarwinismus. Sie betrachtet mit Hobbes (1966, S.9-123) den Menschen als ein Konkurrenzwesen, stets bestrebt sich gegen andere durchzusetzen und den eigenen Vorteil zu erlangen und dadurch den eigenen Ruf bei sich und anderen zu vergrößern. Die Medien befördern solchermaßen Denkende dadurch, dass sie ihnen Informationen und Bildung verschaffen, die als ein Vorsprung gegenüber anderen begriffen und gebraucht werden können. (McGuire, 1974, S. 187-188)
Die Aufnahmetheorie bildet einen deutlichen Gegenpol zur Behauptungstheorie. Sie zeichnet ein Menschenbild, dass von Selbstlosigkeit und Zurückhaltung geprägt ist. Die Motivation ist hier, zu anderen Menschen Verbindungen herzustellen, die sich durch gegenseitige Hilfeleistungen und so erreichte reziproke Effekten auszeichnen. Durch Teilnahme am öffentlichen Leben, dargestellt durch die Medien, kann so das Bedürfnis Teil von etwas Größerem zu sein befriedigt werden. (McGuire, 1974, S. 188-189)
Die Identifikationstheorie beinhaltet Konzepte, die den Menschen als ständigen Schauspieler betrachten. Das Selbstbewusstsein werde so durch das Beherrschen von möglichst vielen solchen Rollen bestärkt. Die Massenmedien bieten eine Vielzahl verschiedener Rollen, die sich die Menschen als Vorlage zunutze machen könnten. (McGuire, 1974, S. 189)
Auch in der Formungstheorie spielen wahrgenommene Rollen aus Medieninhalten eine wichtige Rolle. Hier geht es darum, dass sich die Menschen in die Lage bestimmter medialer Protagonisten hineinversetzen können und versuchen das eigene Verhalten möglichst an deren Verhalten anzupassen. (McGuire, 1974, S. 190)
4.Fazit
Obgleich der Nutzen- und Belohnungsansatz in der sogenannten Phase der Wirkungslosigkeit der Medien (Kunczik, Zipfel, 2001, S. 287-292) stark vernachlässigt wurde, ist er doch im Laufe seiner langen Tradition zu einer immer stärkeren Beachtung gekommen. Zunächst war er gegenüber den klassischen Stimulus-Response beziehungsweise Stimulus-Organismus-Response Modellen wenig beachtet worden. Wurde er doch einmal angewandt, dann nur für Auftragsarbeiten im Sinne von Marktforschung, wie zum Beispiel in den von Paul Lazarsfeld und Frank Stanton zusammengetragenen Studien. Mit dem Aufkommen des Funktionalismus änderte sich dies und während andere Wissenschaftler die starken Medienwirkungen wiederentdeckten, machten sich Elihu Katz und David Foulkes (1962) daran einen völlig neuen Ansatz der Medienforschung zu etablieren, indem sie aus den zahlreichen bereits vorliegenden Studien, die nach Bedürfnissen und Gratifikationen von Rezipienten fragten einen neuen Ansatz kreierten. Dieser fragt nicht zunächst danach, wie sich Rezipienten von Medien beeinflussen lassen, sondern will erst einmal feststellen unter welchen Umständen sich potentielle Rezipienten überhaupt bestimmten Medieninhalten zuwenden. Damit war ein wichtiges Glied in der Kette, die Mitteilung und Auswirkung verbindet, geschlossen worden. Entsprechend groß war das Interesse an diesem neuen Forschungszweig und eine Vielzahl an auf dem Uses and Gratifications-Approach aufbauenden Studien und Theorien folgte. Um nur einige zu erwähnen, bei denen der Einfluss des Uses and Gratifications-Approach besonders klar hervortritt sei hier auf die Mood Management-Theorie oder die Gratifikationsmodelle von Philip Palmgreen hingewiesen.
Es ist also wohl kaum übertrieben zu sagen, dass der Nutzen- und Belohnungsansatz die Medienwirkungsforschung in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt und viele Lücken geschlossen hat. Dadurch trägt er maßgeblich zu besseren Forschungsergebnissen bei und verhilft der Medienwirkungsforschung zu einem deutlich gesteigerten Verständnis ihres eigenen Forschungsgebietes und der Rezipienten, über die sie ja letztendlich möglichst viel in Erfahrung zu bringen wünscht.
Literaturverzeichnis
Berelson, Bernard (1949). What „Missing the Newspaper“ Means. In: Lazarsfeld, Paul F., Stanton, Frank N. (Hrsg.), Communication Research 1948-49. New York: Duell, Sloan & Pearce
Blumler Jay G., Katz, Elihu (1974). The Uses of Mass Communications. Current Perspectives on Gratifications Research. London.
Herzog, Herta (1941). On Borrowed Experience. In: Studies on Philosophy and Social Science.
Herzog, Herta (1942). Professor quiz: a gratification study. In: Lazarsfeld, Paul F., Stanton, Frank N. (Hrsg.), Radio Research 1941. New York: Duell, Sloan & Pearce
Herzog, Herta (1944). What Do We Really Know About Daytime Serial Listeners? In: Lazarsfeld, Paul F., Stanton, Frank N. (Hrsg.), Radio Research 1942-43. New York: Duell, Sloan & Pearce
Hobbes, Thomas (1966). Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Frankfurt: Suhrkamp
Katz, Elihu, Blumler, Jay G., Gurevitch, Michael (1974). Utilization of Mass Communication by the Individual. In: Blumler Jay G., Katz, Elihu (Hrsg.), The Uses of Mass Communications. Current Perspectives on Gratifications Research. London.
Katz, E., Gurevitch, M. & Haas, H. (1973). On the use of Mass Media for important things. In: Sociological Review, 38, 164-181
Kunczik, Michael, Zipfel, Astrid (2001). Publizistik. Ein Studienhandbuch. Köln; Weimar; Wien: Böhlau
McGuire, William J. (1974). Psychological Motives and Communication Gratification. In: Blumler Jay G., Katz, Elihu (Hrsg.), The Uses of Mass Communications. Current Perspectives on Gratifications Research. London.
Neisser, Ulrich (1967). Cognitive Psychology. New York: Appleton
Schenk, Michael (2002). Medienwirkungsforschung. Tübingen: Mohr Siebeck
- Citation du texte
- Oliver Heil (Auteur), 2003, Bedürfnisse und ihre Psychologischen Ursachen im Zentrum des Uses and Gratifications Approach, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108337
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