Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Aus dem Frühwerk
Van Gogh: Die Kartoffelesser
Bildgegenstand
Bildanalyse
Über das Bild
Gauguin: Vision nach der Predigt oder Jakobs Kampf mit dem Engel
Bildgegenstand
Bildanalyse
Über das Bild
Die Zeit in Arles
Van Gogh: Das Nachtcafe
Bildgegenstand
Bildanalyse
Über das Bild
Gauguin: Alte Frauen im Hospitalgarten von Arles
Bildgegenstand
Bildanalyse
Über das Bild
Späte Bilder
Van Gogh: Die Kirche von Auvers
Bildgegenstand
Bildanalyse
Über das Bild
Gauguin: Nave nave moe - Süße Träume
Bildgegenstand
Bildanalyse
Über das Bild
Verwendete Literatur
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
Diese Hausarbeit entstand in Anlehnung an ein Hauptseminar über Künstlerpaare im Wintersemester 2001 / 2002. Während das dazugehörige Referat hauptsächlich die Lebensläufe der beiden Künstler im Zentrum des Interesses hatte, soll sich diese Hausarbeit explizit mit den Werken der Künstler beschäftigen. So verzichte ich bei dieser Arbeit auch weitestgehend darauf, Angaben zu den Lebensumständen der beiden Künstler zu machen, wenngleich sich auch vergleichende Worte zwischen den Bildern nicht zu umgehen ließen. Doch dieses Vergleichen zwischen den Werken ist auch gewollt.
Da den Bildern meist sehr unterschiedliche thematische Schwerpunkte zugrunde liegen, ließen sie sich nicht so klar und eindeutig miteinander vergleichen wie mein ursprüngliches Bestreben es eigentlich im Sinn hatte. So liegt die Schwerpunktsetzung auch eindeutig bei der Werkanalyse der einzelnen Werke.
In Anbetracht der Gewichtung dieses Schwerpunktes erachtete ich es als sinnvoll gänzlich auf Sekundärliteratur zu verzichten und nur die Bilder selbst als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen zu verwenden. Im Zuge der Wissenschaftlichkeit jedoch nahm ich Bücher namhafter Autoren zur Hand um ihre Erkenntnisse mit den meinen zu vergleichen. Die neuen Einsichten, die mir entgegentraten, sollen als Ergänzung der von mir erarbeiteten Bildanalysen verstanden werden. So ergänzen sie einerseits meine persönlichen Beobachtungen, können aber andererseits auch mit meinen Ergebnissen konkurrieren. Ich hoffe, dass mir so ein fruchtbares Zusammenspiel von eigenen Beobachtung und kunstwissenschaftlichen Expertisen gelungen ist..
Übergreifende Erkenntnisse erarbeitete ich mir während der vorausgehenden Beschäftigung mit dem Leben und dem Verhältnis der beiden Künstler. Dies soll auch die unbeschriebene Voraussetzung für das Lesen dieser Arbeit sein.
Da ich versucht habe diese Arbeit auf Wesentliches zu beschränken, erhebt sie keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit, obgleich sie dennoch versucht, die wichtigsten Merkmale der besprochenen Bilder komplett zu erfassen.
Aus dem Frühwerk
Van Gogh: Die Kartoffelesser
Bildgegenstand
Das Bild „Die Kartoffelesser“ zeigt eine Gruppe von Menschen in bäuerlicher Tracht. Die fünf Personen haben sich in einer schwach beleuchteten, fast schon düsteren Kammer um einen Tisch versammelt. Auf dem Tisch, vom schwachen Licht der Petroleumlampe erleuchtet, steht eine mit einfacher Kost gefüllte Platte. Der Titel des Bildes verrät uns, dass es sich bei dieser Mahlzeit um Kartoffeln handeln muss. Die Kartoffeln, kleingewürfelt und dampfend, sind die einzige Speise, die auf dem Bild zu sehen ist. Die Frau am rechten Bildrand ist im Begriff, einfache henkellose Becher mit einem Getränk aus einer Teekanne zu füllen. Das einfache Interieur des Raumes ist weitestgehend dunkel gehalten. Die spärlich erkennbaren Einrichtungsgegenstände weisen keine Spur von Prunk oder Überfluss auf.
Die Personen, neben einer, uns mit dem Rücken zugewandte, noch zwei Männer und zwei Frauen, weisen grobe Gesichtszüge auf. Die ausdrucksstarken Gesichter scheinen ein Leben voller Arbeit und Mühen wiederzuspiegeln. Auch weisen die grob und rau wirkenden Hände auf einen arbeitsamen und harten Alltag der Dargestellten hin.
Bildanalyse
Der Anordnung der Personen liegt eine einfache, fast symmetrische Komposition zugrunde. Während die beiden Personen, welche en face dargestellt sind, direkt optisch von der Silhouette der weiblichen Rückenfigur getrennt werden, sitzen links und rechts davon zwei mehr oder weniger von der Seite gesehene Gestalten, welche die Komposition einsäumen.[1]
Die dezent gesetzten Lichtpunkte betonen besonders die Kartoffeln, die Becher und das Innere des Lampenschirms. Auch die Gesichter der Personen gewinnen durch starke Hell-Dunkelkontraste an Plastizität und Lebendigkeit. Die Lampe, die Deckenbalken und die Rücken der Personen im Vordergrund heben sich kaum vom Hintergrund ab und verstärken somit das Geheimnisvolle der halbdunklen Stube. Koldehoff betont, dass die Schwierigkeit, fünf Personen so darzustellen, dass sie im Schein nur einer Öllampe nur „halbwegs naturalistisch aussehen, [...] letztlich scheitern“[2] musste.
Die Farbpalette scheint nur braune und gelbe Töne zu umfassen. Mit diesen wenigen Farbtönen allerdings modelliert Van Gogh präzise und ökonomisch die Personen und die Gegenstände aus dem dunklen und getrübten Hintergrund heraus.
Die Farbe scheint satt und mit wenigen Strichen aufgetragen worden zu sein. Die Farbtöne bestehen nebeneinander und wurden in keiner Weise chromatisch modelliert. Vergleicht man die Kartoffeln mit den Händen, so gleichen sie einander von der Farb- und Formgebung sehr. Der Farbauftrag wirkt bisweilen so, als ob Van Gogh die Farbe direkt aus der Tube auf das Bild gedrückt hat. Dadurch lässt sich schon eine Vorahnung auf die künftige, für Van Gogh so typische Handschrift bekommen.
Das wird auch von Matthias Arnold so gesehen, der die Tatsache, dass das Nicht-Perfekte, Übertriebene und spontan hingesetzte zum Ausdrucksmittel erklärt wird, hervorhebt. So gelingt es auch Van Gogh etwas vom Charakter der Bauern zu suggerieren. Diese Tatsache macht auch die kunsthistorische Wichtigkeit dieses Bildes aus.[3]
Der Journalist und ehemalige stellvertretende Chefredakteur Stefan Koldehoff findet für sein Buch Mythos und Wirklichkeit eine Passage aus dem regen Briefwechsel von Vincent und seinem Bruder Theo, mit welchem Vincent sein Farbanliegen eindrücklich schildert. Er schreibt, dass „die Farbe, in der sie [die Kartoffelesser] nun gemalt sind, ist die einer staubigen Kartoffel“[4] und setzt noch ein „ungepellt natürlich“[5] obenauf. Uwe M. Schneede, ein Professor für Kunstgeschichte schreibt der dunklen Tonigkeit den autodidaktisch verstandenen symbolischen „Ausdruck einer verzweiflungsvollen Lage“[6] zu.
Auch die Verwendung der Farbe Gelb als Lichtfarbe lässt Van Goghs Vorliebe für diese Farbe erahnen.
Der sichtbare Lichtkegel bildet eine liegende Ellipse und rahmt somit die Personen und den Tisch ein. Die dunkle Figur im Vordergrund teilt fast in einer Linie mit der Lampe das Bild vertikal in der Mitte. In beiden Hälften befindet sich je eine männliche wie auch eine weibliche Person, welche als Paar zusammengehören zu scheinen.
Die Köpfe aller fünf Personen liegen etwa auf einer Höhe. Eine gedachte Gerade durch die Köpfe würde das Bild horizontal halbieren.
In der Bildmitte befindet sich der Kopf der uns abgewandten Person. Diese wird von den hellsten Punkten des Bildes (Lampe, Kartoffeln, Becher) umrahmt. Durch das Dunkel dieser Person entsteht ein interessantes Spannungsgefüge. Denkt man sich die Person im Vordergrund weg, wirkt das Bild eher langweilig und flach.
Zwar wird an einigen Stellen des Bildes Raumtiefe angedeutet, so zum Beispiel durch die Deckenbalken oder durch die Überdeckung der vorderen Figur mit dem Tisch und dem Hintergrund, doch scheint ihre Darstellung nicht im besonderen Interesse des Malers gelegen zu haben.
Van Gogh reiht sich mit diesem Bild in die Reihe der Arbeiter- und Bauernmaler ein.
In diesem Bild zeigt sich seine Solidarität gegenüber sozial Benachteiligten. Koldehoff distanziert sich allerdings von der gängigen kunsthistorischen Interpretation der sozialkritischen Deutung und unterstreicht die These, dass es Van Gogh einzig um die natürliche Wiedergabe des archaischen Bauernlebens ging.[7]
Über das Bild
Das Werk wurde 1885 gemalt und zählt als das erste Bild Van Goghs, mit welchem er versuchte vor dem Kunsthandel zu bestehen.[8] Heute zählt es als sein erstes programmatisches Hauptwerk.[9] Van Gogh machte insgesamt drei Fassungen dieses Werkes. Zum einen eine kleinformatige Ölskizze, zum anderen eine größere Ölstudie und letztlich das endgültige, großformatige Gemälde. Zur Vorbereitung fertigte er einen Winter lang Skizzen von Stilleben und Bauern bis er sich dem eigentlichen Projekt zuwandte. Es ist mit Öl auf Leinwand auf Holz gemalt und besitzt die Maße 72 auf 93 cm.[10]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gauguin: Vision nach der Predigt oder Jakobs Kampf mit dem Engel
Bildgegenstand
Das Bild zeigt Bäuerinnen in „bretonischer Tracht“[11]. Sie knien und scheinen zu beten. Ein Baumstamm, der sich an der Hauptdiagonale entlang hangelt, trennt die Bäuerinnen von zwei ringenden Gestalten im oberen rechten Teil des Bildes.
Die Frauen bilden einen Kranz um diese beiden Gestalten. Dabei entsteht eine Viertelkreisformation um die Ringenden. Die beiden Gestalten scheinen sich im Blickfeld und im Gedankenmittelpunkt der Betenden zu befinden. Sie sind ihnen auf jeden Fall zugewandt. Die beiden Frauen in der rechten unteren Ecke sind sogar ganz von hinten dargestellt und schauen in einer Linie mit dem Betrachter auf das kämpfende Paar.
Einer der beiden Kämpfenden ist mit seinen zwei Flügeln eindeutig als Engel auszumachen. Dieser ist seinem Kontrahenten im Kampf überlegen. Während der Engel zwar angestrengt, aber dennoch triumphierend, seine beiden Flügel weit ausstreckt, hält er seinen Gegner fest im Schwitzkasten.
Die beiden Ringenden, es handelt sich hierbei um Jakob und einen Engel, finden ihre formalen Vorbilder in einem japanischen Motiv. Es handelt sich hierbei um Hokusais Werk Manga, in welchem er zwei Sumo-Ringer darstellte. Vom gleichen Künstler lassen sich Bilder finden, die als Vorlage für die Rückenfiguren im Vordergrund dienen.[12]
Bildanalyse
Durch den Kontrast des Schwarzweißen der bretonischen Trachten wirkt der sich zwischen den Bäuerinnen und dem kämpfenden Paar befindende rote Boden noch befremdlicher. Für diesen Zwischenraum ist bestimmt keine Lokalfarbe gewählt worden, was den Abstand zwischen den beiden Personengruppen zusätzlich verstärkt.
Das Grün des Laubes bildet einen Komplementärkontrast zum Rot des Bodens und schließt das Bildgefüge nach oben hin ab. Nach unten hin wird das Bild durch das Schwarz der Kleider und nach links durch die Linie der weißen Hauben abgeschlossen. Einzig die rechte Seite scheint offen zu sein. Dort befindet sich keine Begrenzung, die den Bildrand betonen würde.
So wirkt es denn auch fast so, als schwebten die beiden Kämpfer in einer surrealen Dimension, als gäbe es sie nur in den Gedanken der sie umgebenden Bäuerinnen.
Auch die tierähnliche Gestalt im linken oberen Viertel des Bildes verstärkt das unwirkliche an dieser Szene. Diese Gestalt ist, wie auch die Kleider der Bäuerinnen, in Schwarz und Weiß gemalt worden. Farblich nimmt es zwar Bezug zu den Frauen auf, dennoch steht es formal und durch den ihm zugesprochenen Platz im Bild von diesen separiert da.
Die Perspektive fällt bei diesem Bild teilweise Gauguins Vorliebe zum Flächenhaften zum Opfer. So besitzt der rote Umraum der Streitenden kein Anzeichen von illusionistischer Gestaltung von Perspektive. Im Gegenteil; er ist ganz Fläche. Räumliche Elemente wie Überdeckung und Verjüngung sind zwar vorhanden, werden allerdings teilweise nicht auf das Genaueste hin ausgeführt, so dass stellenweise die Bildtiefe ein wenig holprig wenn nicht sogar „falsch“ ausgestaltet wirkt.
Zuweilen wirkt das Bild so, als ob Gauguin mehrer Bildelemente zusammengewürfelt hat um ein Bild daraus entstehen zu lassen. So könnte man das Bild auch aufgrund der unterschiedlichen Blickwinkel in mehrere Einzelteile aufsplittern. So zum Beispiel die Frauen im Vordergrund samt Baum, die beiden Frauen links oben im Bild samt Tier und die ringenden Gestalten rechts oben.
Im Vergleich zu Van Goghs Malweise scheint sich Gauguin nicht unbedingt an realen Motiven zu orientieren. Oder aber Gauguin verfremdet die Natur mancher Gegenstände zum Nutzen der formalen Bildspannung so, dass diese teilweise nicht mehr zu erkennen sind. So kann man bei diesem Bild auch den roten Boden überhaupt nicht mehr klassifizieren. Roter Sand, Wiese oder Geröll? Womöglich könnte damit ja auch Luft und Himmel gemeint sein...?!
Gauguin verzichtete bei diesem Bild auf das Malen von Schlagschatten. So schafft er es, das Reinfarbige und das Unwirkliche der ganzen Szenerie zu steigern. Der rote Hintergrund wird dadurch noch unfassbarer und unbestimmbarer.
Ist das Bild nun einfach als ein wirres Gefüge aus unreflektiert hingesetzten bunten Formen und Flächen zu betrachten? Mit Sicherheit nicht! Gauguin wählte für seine Formensprache zum einen dekorative Elemente und zum anderen symbolistische Abstraktion und Umdeutung von Gegenständen. Dadurch wurde er auch für die späteren Symbolisten zum geistigen Vater.[13]
Die symbolistisch abstrahierte Malweise besitzt eine eigene Farb- und Formsprache, die den direkten Zugang zu dem eigentlichen Bildinhalt verschleiert und etwas erschwert. Uns zu Hilfe kann der Titel dieses Bildes kommen. Die beiden Titel beziehen sich auf zwei Bildelemente. Erstens handelt es sich hierbei um eine Vision von Bäuerinnen nach einer Predigt; dabei handelt es sich bei dieser Vision wohl auch: zweitens um den Kampf Jakobs mit dem Engel. Gauguin widmete sich auch etwa um die Zeit der Entstehung dieses Gemäldes, eben nachdem er die Mystik für sich entdeckt hatte, uneingeschränkt der Darstellung einer erdachten, subjektiven Welt.[14]
Der Titel, der nun aufdeckt, es sei eine Predigt und eine Vision, erklärt den Kranz der Bäuerinnen und deren angespannte Aufmerksamkeit, die zu dem ringenden Paar hin ausgerichtet ist. Die beiden Ringenden, nun als Vision enttarnt, schweben jetzt nicht nur zufällig weitab und ungreifbar inmitten einer roten unbestimmbaren Fläche. Nein! Jetzt gehören sie da hin, so weit abseits von den anderen Personen und doch in deren Mittelpunkt.
Über das Bild
Gauguin malt mit unwirklichen Mitteln und Farben unwirkliche Szenen und fordert so den Betrachter zu Deutungsversuchen heraus. Das war noch ein gewagter Schritt in dem Entstehungsjahr des Bildes 1888, doch nun hängt es in der National Gallery of Scotland in Edinburgh.
Schon 1891 wurde die Bedeutung dieses Bildes für die Kunstgeschichte diskutiert. Albert Aurier, ein damaliger Kunstkritiker führte dieses Bild an, als er Gauguin zum Erfinder des Symbolismus in der Malerei ernannte. Kennzeichnend für diesen Stil war für ihn, gegenüber der naturalistischen Darstellung, die Bevorzugung des Ideenreichtums.[15]
Es sind verschiedenste Vorbilder für dieses Bild zu finden. Dabei werden auch, wie zum Beispiel Hokusai, nichteuropäische Quellen gewählt. Gauguin schafft es, diese fremden Kulturen in den Kontext abendländischer Themen einzubetten. Dieser ist vielfach religiöser Art. So zeigt sich auch bei diesem Bild ein religiöses Thema, bei welchem es darum geht, wie die göttliche Macht den Menschen im Kampf niederzwingt.[16]
Das Bild, mit Öl auf Leinwand gemalt, trägt die Maße 72 auf 92 cm.[17]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Zeit in Arles
Van Gogh: Das Nachtcafe
Bildgegenstand
Eine nächtliche Cafehausszene ist auf diesem Bild Van Goghs aus dem Jahre 1888 dargestellt.
Ein breiter gelber Boden scheint fast das ganze Bild in Beschlag zu nehmen. Blutrote Wände bilden den Hintergrund und grenzen das Gelb des Bodens nach oben hin ein. Strahlend gelbe Lampen tragen auch diese Farbe in die obere Hälfte des Bildgefüges. Neben der grünen Decke und der roten Wand scheint alles in das Licht der Lampen getaucht zu sein. Von diesem Raum führt ein Durchgang in der hinteren Wand in einen Raum, der sogar ein noch reineres Gelb zu beherbergen scheint.
Das Interieur des Raumes weist einen Billardtisch, einige Stühle und Tische, oben erwähnte Lampen, eine Uhr und eine Theke auf. Die Theke ist mit lauter Flaschen vollgestellt, die sich dicht aneinander drängen. In deren Mitte ragt ein Blumenstrauß heraus. An der Wand hängt ein Spiegel, der nur schwarze, mit schwefelgelben Reflexen durchsetzte Leere wiedergibt. Auf den Tischen stehen, zum Teil angebrochene oder auch leere, zum Teil aber auch noch volle Gertränke.
Erst wenn man den Raum soweit erfasst hat, nimmt man die spärlich im Bild verteilten und kümmerlich klein gehaltenen menschlichen Gestalten wahr. Die sechs Personen wirken fast so als seien sie Teil des Inventars. Sie nehmen sehr wenig Platz ein und sind durch den Sog der Tiefenwirkung so weit in den Hintergrund gerückt, dass sie kaum auffallen.
Bildanalyse
Sucht man bei diesem Bild, wie auch bei den „Kartoffelessern“ nach Lichtpunkten, so gestaltet sich diese Suche ungleich schwieriger. Da unser Verstand uns sagt, dass die Lichtquellen sich in den vier Lampen im oberen Bildviertel finden lassen müssen, weisen wir sie als solche aus. Dennoch wirkt der gelbe Boden so, als bedürfe er der Lampen nicht, um leuchten zu können. Er leuchtet aus sich heraus. Wie der Boden, so ähnlich scheinen auch viele der anderen dargestellten Gegenstände, von alleine zu leuchten. Schneede macht auf Van Goghs Wahl einer symbolischen Perspektive aufmerksam. So schreibt er, dass die städtischen Szenen, wie auch diverse Interieurs, oftmals eine ungewöhnliche und verzogene Perspektive aufweisen. Besonders das Innere eines Cafes erschiene plötzlich wie aufgeladen.[18]
Die Farbpalette hat sich seit Van Goghs weiter oben beschriebenem Bild um einiges erweitert, wobei man sagen muss, dass die Farbe Gelb bei diesem Bild ganz klar vorherrscht. Er verwendet, wenngleich teilweise auch sehr spärlich, alle Sekundär- und Primärfarben des Farbkreises, die er meist mit gelb trübt. So sind auch Gelb, Rot und Grün die vorherrschenden Farben, die diesen Raum mit der „Atmosphäre höllischer Backofenglut“[19] füllen sollen. Auf die Verwendung von Schwarz verzichtet er weitgehendst. Nur dort, wo es gilt, einen Umriss klarer zu machen oder darum, eine bestimmte Stimmungslage aufzuzeigen, setzt der Maler seine Akzente mit der schwarzen Farbe.
Die Schatten sind, wenn überhaupt angedeutet, mit der Farbe Grün gemalt worden. Das Grün schwingt auch in dem Billardtisch, der Theke, den Tischen und der Decke mit und bildet mit der roten Wand einen schönen Komplementärkontrast. Der Billardtisch ist auch das einzige Möbelstück, welches einen Schatten wirft.[20]
Die Farbe scheint zwar derb und mit einem stark erkennbaren Duktus aber dennoch gleichmäßig geordnet aufgetragen worden zu sein. Die Linienführung der langen Pinselstriche passt sich dem Bildaufbau an. So streben die Striche auf dem Boden einem Fluchtpunkt zu und die Striche um die Lampen bewegen sich kreisförmig von deren Mittelpunkt weg.
Da dunkle Konturen Gegenstandsformen beschreiben und suggestive Farbflächen begrenzen, handelt es sich formal eigentlich um eine mit Farbe ausgefüllte Zeichnung.[21]
Die Linien im Bild, zum Beispiel die Bodenbalken, die Tischkanten des Billardtisches oder die gedachte Linie durch die beiden Tischreihen links und rechts im Bild streben in etwa einem Fluchtpunkt zu. Dieser Fluchtpunkt scheint sich ungefähr in dem zweiten, dahinterliegenden Raum zu befinden. Der vordere Raum wird scheinbar schier von dem Durchgang in den noch gelberen Raum aufgesogen. Alles fluchtet stark in diese Richtung, da die wenigen Senkrechten, welche es in dem Bild gibt es kaum mit den starken Diagonalen aufnehmen können.
Der angeschnittene Stuhl im Vordergrund, der stehende Mann (vermutlich der Wirt), der Spiegel und ein wenig die Billardplatte setzen der Hauptdiagonale ein spannungsreiches Gegengewicht entgegen.
So scheint auch der massive Billardtisch nicht zwangsläufig Mittelpunkt des Bildes zu sein, obwohl er sich im Zentrum desselben befindet.
Die zwielichtige Atmosphäre des Raumes, die höllische Backofenglut, welche von dem Rot der Wände ausgeht und die Verlorenheit und Einsamkeit der Nachtschwärmer auf diesem Bild sind wohl Aussagen, die das Bild machen möchte. Die vielen leeren Stühle und der Sog zum Ausgang hin könnten symbolisch für die Empfindung von Verlassenheit und Unzufriedenheit des Künstlers stehen.
Über das Bild
Das Bild, im September 1889 gemalt gehört zu Van Goghs Nachtbildern. Bei diesen wurde die Farbe, welche er symbolistisch einsetzt, zum Sinnbild seiner Gefühle. Der Künstler schreibt selbst über sein Bild, dass er versucht habe, die schrecklichen menschlichen Leidenschaften mit Rot und Grün auszudrücken. Dem Bild liegt im Spiel der Farben Kampf und Antithese zugrunde. So setzt er auch bewusst übersteigerte Farbwerte ein um Stimmung und Leidenschaft einzufangen.[22]
Das Bild ist im Besitz der Yale University Art Gallery in New Haven. Es wurde mit Öl auf eine Leinwand mit den Maßen 70 auf 89 cm gemalt und vom Künstler selbst als eines seiner wichtigsten Werke bezeichnet. Es ist auch im modernen Sinn das erste bewusst und im modernen Sinn expressive Gemälde. Van Gogh bezeichnet weiterhin das Cafe des Nachtcafes als einen Ort an welchem man Verbrechen begehen, sich ruinieren oder gar verrückt werden könne.[23]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gauguin: Alte Frauen im Hospitalgarten von Arles
Bildgegenstand
Vier Gestalten schlendern durch eine obskure Landschaft. Links der Bildmitte befinden sich diese Frauen, die sich mehr statisch im Bild aufzuhalten scheinen, als sich zu bewegen. Während diese Seite also von den menschlichen Formen dominiert wird, gehört die andere Bildhälfte ganz und gar einer skurrilen Formsprache an, die auf den ersten Blick nicht klar erkennbar zu sein scheint.
Rechts unten im Bild, durch das kräftige Rot abstrahiert, befindet sich noch relativ eindeutig bestimmbar ein Zaun. Die darüber gemalten spitz nach oben weisenden orangen Dreiecke folgen wohl keiner so gesehenen natürlichen Form. Die kreisförmig in Blau gehaltene Fläche, in dem rechten oberen Bildviertel, ist ebenso nicht eindeutig fassbar zu machen.
Aber auch in den Vordergrund der linken Bildhälfte malte Gauguin einen schwer zu definierenden Wulst aus den Farben Grün, Ocker und Rot. Die helle Fläche, die der Hauptdiagonale von links oben nach rechts unten folgt, könnte, obwohl ebenso unklar zu erkennen wie der Rest, ein Weg sein. In dem Wulst, bettete Gauguin nun eine augenähnliche Form ein.[24]
Bildanalyse
Nimmt man den Titel zu Hilfe, kann man das Dargestellte um einiges leichter zu Gegenständen uminterpretieren. Es handelt sich bei den besagten vier Gestalten im linken Bildteil um Frauen, die sich in einem Garten aufhalten. Mit dem Wissen, dass es sich um einen Hospitalgarten, also einen größeren Garten handeln soll, könnte man die orangefarbigen Dreiecke als Bäume, den Viertelkreis als Teich und die helle Fläche tatsächlich als Weg auslegen. Gauguin verwendet bei diesem Bild demnach also bewusst eine verfremdete Formensprache für reale Gegenstände.
Salvesen allerdings arbeitet einen eindeutig lokalen Bezug des Bildes heraus. Auch findet er von Gauguin in sein Arler Skizzenbuch gezeichnete Vorlagen für dieses Bild, in welchem er den Brunnen und die Hauptgestalten festgehalten hat.[25]
So lassen sich auch Parallelen zu dem Bild Vision nach der Predigt ziehen, bei welchem Gauguin zwar statt Formen hauptsächlich Farben abstrahiert, er aber wohl ebenso weitgehendst auf einen konkreten Realitätsbezug verzichtet. Ich denke, Gauguin will bei diesem Bild auch tatsächlich keine real existierende Landschaft wiedergeben, sondern eher bestimmte und ausgewählte Eindrücke dieser und das an ihnen haftende Mystische. So kommt er zu einer symbolistischen und deutungsschweren Malerei, deren formale und farbliche Bildsprache sich dem unkundigen Betrachter nur schwerlich auftut.
Der Künstler verlieh dem Bild eine reflektive und düstere Stimmung. Dabei schaffte er es, durch den Ausdruck, das Arrangement und die Gesten der Figuren auch einen „mysteriösen Sinn für Zufälligkeit“[26] zu erreichen. Mme. Ginoux hält ihren Schal vor den Mund und schaut mit leeren Augen aus dem Bild heraus. Dies ist einerseits als Geste für unterdrückten Kummer zu verstehen, andererseits aber scheint sie auch ein feierliches Gefolge anzuführen. Es kommt fast einer Prozession oder einem Begräbnisumzug gleich.
Durch diese Aura einer Begräbnisfeier inmitten einer zwar bunten, aber dennoch frostigen Dezemberlandschaft trennt den Maler von den Frauen wie eine Barriere. In der Kunstgeschichte wird darauf verwiesen, dass Gauguin, am Anfang seines Besuches bei Gogh noch sehr von den Arlesiennes angetan, nun schon langsam von seiner Begeisterung für die Schönheit dieser Frauen abfällt. Auch die Stimmung zwischen den beiden Künstlern wurde zu dieser frostigen Winterzeit auch eher frostig.[27]
Gauguin verwendet eine sehr bunte Farbpalette für dieses Bild. Die kühl-traurigen Violett-, Blau- und Schwarztöne sind dabei den vier Frauen auf der linken Bildseite vorbehalten. Auf der rechte Seite hingegen schwingt eine wohlig-warme Atmosphäre mit. Dort beherrschen die Farben Gelb, Orange und Rot die Szenerie. Die übrigen Farben sind Hintergrund und auch für diesen vorbehalten. Sie erheben die Farben des Vordergrundes zu besagten Farbstimmungen.
Der Weg, als Element des Hintergrundes, vermag es allerdings durch seine Helligkeit einen Gegenakzent auf der linken Seite zu dem warmen Strahlen der Farben auf der rechten Bildhälfte zu schaffen. Gehört er doch auch mit zu den hellsten Stellen im Bild. So wird der Kalt-warm Gegensatz der beiden Bildseiten durch die unterschiedliche Helligkeit relativiert. Beide Seiten stehen gleichberechtigt nebeneinander, wenngleich auch jede für sich ein Bild mit einer ganz eigenen Aussage bilden könnte.
Das Fließen des Weges von links oben nach rechts unten verläuft in kurvigen Bewegungen. Die Betonung dieser Diagonalen durchbricht auch die ansonsten senkrecht angelegten Hauptkompositionslinien. Dabei helfen die blau-bunten, die grünen und die ockerfarbigen Viertelkreisbewegungen sehr dazu bei, die beiden Bildhälften zu verbinden
Das Dreieck, durch das Dunkel der Frauen gebildet und die zwei orangefarbigen Stämme setzen die kompositorische Gewichtung auf die Vertikale.
Dagegen steht ein Punkt, auf welchen relativ viele Linien zulaufen zu scheinen. Es ist der Punkt am linken Bildrand, mit welchem sich die schmutzig-grüne Fläche im Vordergrund schneidet. Dort endet eine gedachte weitergeführte Linie der Zaumhorizontalen. Verbindet man diesen Punkt mit den Spitzen der beiden orangenen Dreiecke, so findet man die Aufnahme dieser Diagonalen in den Schulterpartien der beiden vorderen Frauen, beziehungsweise in der Überdeckungslinie der Frauen durch das grüne Gebilde links unten.
Die Blickführung arbeitet auch mit der Spannungen auf diesen Diagonalen. Bei dem ersten Betrachten des Bildes ist es sehr wahrscheinlich, dass der Blick zwischen der großen dunklen Fläche der beiden Frauen im Vordergrund und der kleinen dunklen Fläche im Hintergrund hin und herpendelt. Erst etwas später folgt man den anderen Kompositionslinien zu anderen Stellen im Bild.
Über das Bild
Gauguin unternahm, so Salvesen in seinem Buch zur Ausstellung über ihre gemeinsame Zeit in Arles von 2002, einen durchdachten „Versuch einer Art Hommage an ihr gemeinsames Schaffen.“[28]
Die Leinwand besteht aus Jute, die verwendete Farbe ist Ölfarbe. Es hat die Maße 73 auf 92 cm.
Das Bild, Mitte Dezember 1888 in Arles gemalt ist heute im Art Institute von Chicago zu bewundern.[29]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Späte Bilder
Van Gogh: Die Kirche von Auvers
Bildgegenstand
Unter einem kräftig-blauen Himmel erhebt sich eine Kirche. Zwei Wege schlängeln sich links und rechts an der Kirche vorbei. Eine einsame, von hinten gezeigte Frau trottet den linken Weg herauf. Im Hintergrund zeichnen sich Fragmente eines Dorfes oder einer Stadt ab.
Das Blau des Himmels scheint alles zu durchfließen. Mit einer nahezu metaphysischen Kraft nimmt dieses absolute Blau Besitz von dem Bild ein. Es spiegelt sich in dem Dach, im Rock der Frau, auf dem Boden um die Kirche und ganz besonders deutlich in den Fenstern des Gotteshauses wieder. Fast scheint es so, als fülle der Himmel mit seinem Blau den gesamten Kirchenraum. Van Gogh selbst spricht der Farbe einen wirkungsvolleren und üppigeren Ausdruck zu.[30]
Vincent van Gogh gibt die Kapelle in fließenden und weichen Linien wieder. Überhaupt scheint es in diesem Bild keine geraden Linien zu geben. Die Kirche, wie auch deren Umgebung, ist in weichen Konturen dargeboten, die sämtlich in Bewegung zu sein scheinen.
Die Turmuhr besitzt keine Zeiger und zeigt auch keine Zeit an.
Die Frau wirkt im Vergleich mit den anderen Bildelementen beinahe kümmerlich. Ja, betrachtet man den Kirchenbau im Verhältnis zur Frau, so scheint diese auch wirklich sehr klein dargestellt zu sein. Die Kirche hingegen nimmt, zusammen mit dem blauen unendlichen Himmel fast zwei Drittel des Bildes ein. Obwohl die Kirche so mächtig viel Raum einnimmt, wirkt sie dennoch nicht bedrohlich. Die weiche, kurvige Formgebung verleiht der Kirche etwas Sympathisches, etwas Lebendiges. So wirkt die Kirche auch eher so, als könne sie dem kleinen hilflosen Menschlein im linken unteren Bildrand Beistand leisten und ihn beschützen.
Auch Matthias Arnold schreibt der gotischen Kirche den Charakter eines Lebewesens zu. Diese Wirkung wird vor allem durch den blauen, bewegten Himmel und den scheinbar schwankenden Grund gestützt.[31]
Bildanalyse
Die Farbe ist mit leidenschaftlichem Duktus aufgetragen worden. Dicke, stark bewegte Pinselstriche schaffen Raum und Linienführung. Die Striche folgen den beiden Wegen und ziehen den Betrachter nahezu in das Bild hinein. Auch an anderen Stellen folgen die Pinselstriche den Formen des Dargestellten. Der Himmel, der keinen Formen zu folgen hat, kräuselt sich zu einem spannungsgeladenen Form- und Linienspiel.
Durch die parallel angeordneten und gebogenen Pinselstriche und die daraus resultierende dynamische Fraktur glaubt der Betrachter fast, die Glocken hören zu können. Die starke Wirkung der drei Komplementärkontraste tun ihr übriges dazu.[32]
Auch hier scheint es, trotz eines angedeuteten Schlagschattens links neben der Kirche, keine eindeutige Lichtquelle zu geben. Das saftige Grün und die hellen Wege im Vordergrund sind viel zu dunkel gemalt, für die düstere, beinahe schon nächtliche Atmosphäre des dunkelblauen Himmels. Das Licht scheint, wie auch schon bei dem Bild „Das Nachtcafe“, wieder aus den Farben selbst herauszustrahlen. Selbst das Dunkel des Himmels leuchtet in einem angenehmen und irgendwie auch hellen Licht.
Aufgrund dieser Schwierigkeit, nämlich der, eine Lichtquelle zu bestimmen, bleibt das Bild in einer Art Zeitlosigkeit verhaftet. Die nichterkennbare Turmuhr schafft zusätzlich die Stimmung einer mystischen Ewigkeit.
Die richtungsweisenden Pinselstriche welche die Linienführung der Wege zusätzlich unterstreichen lenken den Blick zur Kirche hinauf. Die beiden Wege scheinen kurz zu sein und hören an der Stelle auf, an welcher die Kirche beginnt sich in den Himmel zu heben. Die nach oben strebende Linienführung des Kirchengebäudes steht formal im Gegensatz zu der restlichen Umgebung, die eher den Anschein macht mehr oder weniger horizontal zu liegen. Im Turm findet die Zeichnung des Werkes eine ihrer stärksten Senkrechten. Er liegt ein wenig rechts von der Bildmitte. Dadurch gewinnt das Bild sehr an Spannung. Der Blick wird immer auf die Kirche gezogen. Sie dominiert das Bildgeschehen.
Durch die stark ausgeprägte Farbverwerfung wirkt das Bild in sich harmonisch. Das überall wiederkehrende Blau verbindet die drei Bildteile Himmel, Boden und Kirche zu einer Einheit. Die Frau ist in dem Bild gut aufgehoben, da ihr Rock mit diesem Blau getränkt ist.
Ansonsten verwendet Vincent hier eine sehr bunte Palette, die für sich betrachtet überladen und zu farbig zu sein scheint. Teilweise trägt er auch den reinen Farbton auf. Das leuchtende Gelbgrün der Wiese und das magische Lapislazuliblau des Himmels sind hierfür die besten Beispiele. Meist aber arbeitet das Bild mit der optischen Vermengung der Farben. Stark getrübte Farben findet der Betrachter eigentlich fast nur in der Gestaltung der Kirchenmauer. Die Verwendung von kräftigen Farbtönen verleiht dem Bild zusätzliche Lebendigkeit und man meint fast, die ganze Leidenschaft Van Goghs aus dem Pulsieren des Bildes herausspüren zu können.
Über das Bild
Das Bild wurde 1890 gemalt und ist heutzutage in Paris im Musée d`Orsay zu bewundern. Es wurde in Öl auf eine Leinwand mit den Maßen 94 auf 74,5 cm gebannt.[33] Van Gogh gelang hier, bei diesem Bild das, was ihm zwei Jahre zuvor schon einmal gelungen war. Wie bei den Sonnenblumen, welche er in Arles malte, schaffte er es, Leben durch tote Gegenstände sinnbildlich zu suggerieren.[34]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gauguin: Nave nave moe - Süße Träume
Bildgegenstand
Links im Vordergrund sitzen zwei junge Frauen. Ihre Beinhaltung mit den seitlich angewinkelten Beinen ist fast identisch, auch haben sie nahezu das gleiche an. Sie könnten Schwestern sein, so sehr ähneln sie sich. Während die eine zu schlafen scheint, ist die andere gerade im Begriff in eine saftige Frucht zu beißen.
Jenseits des Flusses befinden sich zwei reifere Frauen. Die eine betrachtet das vorbeifließende Wasser, während die Aufmerksamkeit der anderen in die Ferne gerichtet ist. So als betrachte sie den Himmel, oder einen Sonnenuntergang.
Im Halbschatten des Hintergrundes tanzen vier Frauen. Daneben befindet sich eine große Statue. Es scheint eine kultische Szene darstellen zu wollen. Die Statue könnte ein Götzenbild oder ein Idol repräsentieren, welches die tanzenden Frauen huldigen wollen.
Die Personen befinden sich inmitten einer friedlichen und freundlichen Landschaft. Mit ihren sanften Hügeln, dem beruhigenden Flusslauf und ihrer exotischen Vegetation könnte sie Sinnbild einer paradiesischen Landschaft sein. Das Licht deutet auf ein angenehmes und mildes Klima hin und verschafft besonders der Umgebung des diesseitigen Flussufers eine fast märchenhafte Aura.
Bildanalyse
Die Zeichnung vermeidet gerade Linien. Viel eher greift Gauguin auf ornamentale Formen und Arabesken zurück. Besonders dient die weiße Lilie im Vordergrund als Beispiel dafür, die kurvig-bewegte Formsprache zu erfassen, die starken Jugendstilcharakter hat. Aber auch im Rest des Bildes findet man hauptsächlich weiche Linien und sinnliche Formen.
Die Formen sind durch blaue Striche eingefasst. Dadurch werden die Konturen der dargestellten Gegenstände hervorgehoben und das Bild bekommt insgesamt den Ausdruck eines Bleiglasfensters. Dadurch wird auch die Flächenhaftigkeit des Bildes verstärkt.
Die leuchtenden und klare Farben Rot, Gelb und Rosa im Vordergrund kontrastieren mit den getrübten Schattierungen von Blau- und Grautönen im Hintergrund des Bildes.
Im übrigen ist ein farbliches Gefälle vom Vordergrund ausgehend zu bemerken. Während die Farben im Vordergrund rein, gesättigt und magisch wirken, entsprechen die Farben im Mittelgrund des Bildes dem natürlichen Kolorit der Landschaft. Bei den Tanzenden verdüstert sich die Farbpalette und Gauguin verwendet für diese Ebene ausschließlich stark getrübte und kalte Farben. Im Himmel schwebt noch ein Hauch der Farbigkeit des Vordergrundes mit, dennoch scheint er schon leicht zu verblassen.
Durch die unvermischt aufgetragenen Farben schafft er Flächen, mit diesen eine abstrakte Harmonie der Farben, die zugleich dekorativ wirkt und Gefühle zu vermitteln imstande ist. Auch bei diesem Bild zeigt sich Gauguins Hang zum Vereinfachen der äußeren Gestalt und der Reduktion von Details.
Neben den vier, durch die Farbgebung geschaffenen, Ebenen verwendet Gauguin noch andere kompositorische Mittel für sein Bildaufbau.
Abseits der Farbgebung tritt da die Diagonale von links unten nach rechts oben besonders in Kraft. Entlang ihrem Lauf befinden sich alle menschlichen Wesen auf dem Bild. Aufgrund dem abstrahierten Formenschatz, den Gauguin für seine Landschaft verwendet, bilden die doch eindeutig als menschliche Wesen zu identifizierenden Gestalten einen Blickfang für den Betrachten. Für uns heutzutage vielleicht nicht mehr so sehr wie es wohl noch im Jahre 1894 war, als das Bild auf Tahiti entstand. So lässt sich auch die Blickführung des Betrachters entlang den Ebenen und den Frauen von vorne nach hinten erfassen.
Auch hier lässt Gauguin das magisch-deutungsbelastete seiner Symbolsprache nicht los. Es ist bestimmt kein Zufall, dass die Frauen, vom Vordergrund hin zum Hintergrund immer älter erscheinen um dann in der vierten und letzten Ebene erst gar nicht mehr aufzutauchen. Vielleicht kann man das Bild als Allegorie der Lebensalter auffassen, vielleicht aber lässt es sich auch als Reifungsprozess einer Frau deuten. Auf jeden Fall verwendet Gauguin nach wie vor rätselhafte Symbole wie die Lilie rechts unten im Bild oder den angedeuteten Heiligenschein der jungen Frau ganz links.
Gauguin verwendete für seine Bilder häufig klassische Vorlagen, welche er in eine neue Formsprache und in einen veränderten Kontext hub. Auch versuchte er, und das wird bei diesem Bild deutlich, seine Wünsche und Vorstellungen von einem Weltbild, das eine Versöhnung von Natur und Zivilisation, von ´Primitivität` und Kultur einschließt, in seinen Werken darzustellen. So tritt häufig auch eine idealisierte Vorstellung eines paradiesischen Urzustandes als Bildmotiv auf.[35]
Teilt man das Bild horizontal in der Mitte, so hätte man die magische und grellbunte Märchenlandschaft auf der unteren, die restlichen Farbebenen auf der oberen Hälfte.
Auch wenn man das Bild senkrecht durch das Zentrum teilen würde, macht die daraus resultierende Aufteilung der übrigbleibenden Flächen Sinn. Ähnlich wie bei dem Bild Alte Frauen im Hospitalgarten von Arles würden durch die Teilung zwei Bildhälften entstehen, welche durchaus für sich alleine stehen und bestehen könnten. Auf der linken Hälfte wären die jungen Mädchen im Bildmittelpunkt, auf der anderen Hälfte wäre die Mittelsenkrechte durch die Gottheit und die Lilie dominierend.
Gauguin verwendet, im Gegensatz zu Van Gogh, häufig solcherart konstruierte Bilder. Darin liegt wohl auch einer der wesentlichen Hauptunterschiede in der Arbeitsweise der beiden Maler. Während Van Gogh der Natur direkt als Motiv bedarf um sie durch eine ausgesprochen emotionsgeladene Malweise zu verfremden malt Gauguin Szenen die es so teilweise nicht unbedingt gegeben haben muss. Er malt sie mit stark symbolbeladenem Akzent.
Über das Bild
Dieses Bild bildet ein gelungenes Beispiel für die Synthese von Gauguins flächenbezogener Malerei, die er in Polynesien entwickelt hat und abendländischer Ikonographie.[36]
Das Werk wurde 1894 mit Öl auf Leinwand gemalt. Die Maße sind 73 auf 98 cm. Das Bild befindet sich im Besitz der Eremitage in St. Petersburg.[37]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Verwendete Literatur
ARNOLD, Matthias, Vincent van Gogh. Werk und Wirkung, München 1995
BILZER, Bert u.a. (Hrsg.), Das große Buch der Kunst, Braunschweig 1958
CAHN, Isabelle, TERASSE, Antoine (Hrsg.), Gauguin und die Schule von Pont-Aven, München 1998
HOLLMANN, Eckhard, Paul Gauguin. Bilder aus der Südsee, Müchen 1996
KOLDEHOFF, Stefan, Van Gogh. Mythos und Wirklichkeit, Köln 2003
KOLDEHOFF, Stefan, Vincent van Gogh, Hamburg 2003
KÖLTZSCH, Georg-W. (Hrsg.), Paul Gauguin. Das verlorene Paradies, Köln 1998
LEIN, Edgar, Van Gogh, Köln 2002
NEMECZEK, Alfred, Van Gogh. Das Drama von Arles, München 2001
PERRUCHOT, Henri, Gauguin. Eine Biographie, München 1991
SALVESEN, Britt (Hrsg.), Van Gogh und Gauguin. Das Atelier des Südens, Stuttgart 2002
SCHNEEDE, Uwe M., Vincent van Gogh. Leben und Werk, München 2003
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Van Gogh: Die Kartoffelesser aus: LEIN 2002, S. 116 f.
Abb. 2: Gauguin: Vision nach der Predigt aus: HOLLMANN 1996, S. 11.
Abb. 3: Van Gogh: Das Nachtcafe aus: NEMECZEK 2001, S. 76 f.
Abb. 4: Gauguin: Alte Frauen im Hospitalgarten von Arles aus: SALVESEN 2002, S. 252.
Abb. 5: Van Gogh: Die Kirche von Auvers aus: LEIN 2002, S.227.
Abb. 6: Gauguin: Nave nave moe - Süße Träume aus: HOLLMANN 1996, S. 58.
[...]
[1] Vgl. ARNOLD, Matthias, Vincent van Gogh. Werk und Wirkung, München 1995, S. 94.
[2] KOLDEHOFF, Stefan, Vincent van Gogh, Hamburg 2003, S. 64
[3] Vgl. ARNOLD 1995, S. 93 f.
[4] KOLDEHOFF, Stefan, Van Gogh. Mythos und Wirklichkeit, Köln 2003, S. 198.
[5] Ebd.
[6] SCHNEEDE, Uwe M., Vincent van Gogh. Leben und Werk, München 2003, S.28.
[7] Vgl. KOLDEHOFF, Hamburg 2003, S. 63 f.
[8] Vgl. KOLDEHOFF, Köln 2003, S. 197.
[9] Vgl. NEMECZEK, Alfred, Van Gogh. Das Drama von Arles, München 2001, S. 20.
[10] Vgl. LEIN, Edgar, Van Gogh, Köln 2002, S.40 ff.
[11] KÖLTZSCH, Georg-W. (Hrsg.), Paul Gauguin. Das verlorene Paradies, Köln 1998, S. 90.
[12] Vgl. KOLTZSCH 1998, S. 90.
[13] Vgl. BILZER, Bert u.a. (Hrsg.), Das große Buch der Kunst, Braunschweig 1958, S. 480 f.
[14] Vgl. CAHN, Isabelle, TERASSE, Antoine (Hrsg.), Gauguin und die Schule von Pont-Aven, München 1998, S.22.
[15] Vgl. SALVESEN, Britt (Hrsg.), Van Gogh und Gauguin. Das Atelier des Südens, Stuttgart 2002, S. 133 f.
[16] Vgl. KÖLTZSCH 1998, S. 90 f.
[17] Vgl. HOLLMANN, Eckhard, Paul Gauguin. Bilder aus der Südsee, Müchen 1996, S.11.
[18] Vgl. SCHNEEDE 2003, S.46.
[19] NEMECZEK 2001, S. 80.
[20] Ebd.
[21] Vgl. ARNOLD 1995, S. 321.
[22] Vgl. LEIN 2002, S. 93 f.
[23] Vgl. ARNOLD 1995 S. 319 f.
[24] Vgl. SALVESEN 2002, S. 253.
[25] Vgl. SALVESEN 2002, S. 251 ff.
[26] SALVESEN 2002, S. 253.
[27] Vgl. SALVESEN 2002, S. 251 ff.
[28] SALVESEN 2002, S. 251.
[29] Vgl. SALVESEN 2002, S. 252.
[30] Vgl. KOLDEHOFF, Hamburg 2003, S.130.
[31] Vgl. ARNOLD 1995, S. 356 f.
[32] Vgl. ARNOLD 1995, S. 357.
[33] Vgl. LEIN 2002, S 227.
[34] Vgl. ARNOLD 1995, S. 357.
[35] Vgl. HOLLMANN, Eckhard, Paul Gauguin. Bilder aus der Südsee, Müchen 1996, S. 56 ff.
[36] Vgl. HOLLMANN, Eckhard, Paul Gauguin. Bilder aus der Südsee, Müchen 1996, S.56
[37] Vgl. KÖLTZSCH, 1998, S. 321
- Citation du texte
- Rainer Demattio (Auteur), 2003, Vincent Van Gogh und Paul Gauguin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108229
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