Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Funktion und Leistung der Sprache in Politik und Medien
II.1 Die Sprache als Mittel gesellschaftlicher Kontrolle
II.2 Der politische Euphemismus als Instrument politischer Sprache
II.3 Politische Sprache und Medien
III. Politische Euphemismen in russischen Zeitungen
III.1 Известия
III.1.a) Александр Хохлов: Офицер Группы »АЛЬФА«: »Мы не зацепили ни одного заложника«
III.1.b) Обрaщение Президента Российской Федерации В.В. Путина
III.1.c) Дмитрий Литовкин: Путин меняет доктриму
III.2 Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Известия
III.3 Новая Газета
III.3.a) Григорий Явлинский: Ни один политик и даже ни один гражданин не может снять с себя ответственность за трагедию
III.3.b) Пэтрик Кокберн ( » Independent «): Россия расплачивается за свою
ложь о выигранной войне
III.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Новая Газета
IV. Schlussfolgerung
V. Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Im März 2003, ein halbes Jahr nach der Geiselnahme im Moskauer Theater, hat der russische Präsident Wladimir Putin zwei Mitglieder des FSB (Tichonow und Pronitschew) als ›Helden des Vaterlandes‹ ausgezeichnet, die zum Zeitpunkt der Geiselnahme für die landesweite Terrorismusbekämpfung und Terrorabwehr zuständig waren. Beide Männer konnten nicht verhindern, dass die Geiselnehmer in die Nähe des Kremls gelangten und über 700 Menschen gefangen nahmen. Statt sie für dieses Versäumnis zu bestrafen, wurden sie mit einem Verdienstorden belohnt.[1] Die Ehrung mit dem Titel ›Held des Vaterlandes‹, welche die Inkompetenz von Tichonow und Pronitschew verhüllt soll, steht exemplarisch für die Verwendung von Euphemismen durch die russische Administration. Es genügt ein Blick in russische Medien, um zu sehen, dass diese Einstellung in den russischen Medien ihre Fortsetzung findet.
Im Rahmen dieser Arbeit soll analysiert werden, welche Euphemismen in Printmedien in Russland als Folge einer bestimmten politischen Haltung gebraucht werden. Diese Frage ist Grundlage der vorliegenden Untersuchung.
Im ersten Teil wird der theoretische Kontext zur politisch motivierten Verwendung von Euphemismen dargestellt. Im Zweiten Teil folgt die Analyse einiger Zeitungsartikel, die kurz nach Ende der Geiselnahme in Moskau erschienen sind. Die Berichterstattung über die Geiselnahme wurde gewählt, da sich hier ein sprachlicher Mikrokosmos abbildet, der all die typischen Formulierungen enthält, welche die russische Regierung im Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Kriegs verwendet.
Die untersuchten Artikel bilden unterschiedliche Sichtweisen der Realität des Tschetschenien-Konflikts ab. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt bei der Analyse der »Известия« - Artikel , in denen die Position der russischen Regierung beleuchtet wird. Die Artikel der regierungskritischen »Новая Газета« sollen dazu dienen, eine andere Wahrnehmung der Ereignisse zu zeigen und die verwendeten Euphemismen der Regierung aufzudecken.
II. Funktion und Leistung der Sprache in Politik und Medien
II.1 Die Sprache als Mittel gesellschaftlicher Kontrolle
Zunächst sollen theoretische Grundannahmen über Sprache und Politik vorgestellt werden. Als Basis der Analyse dienen die Annahmen von Walther Dieckmann, mit deren Hilfe erklärt werden kann, warum eine bestimmte politische Meinung die Wahl von bestimmten Wörtern nach sich zieht und warum ein Ereignis von verschiedenen politischen Parteien sprachlich unterschiedlich umgesetzt wird.
Eine gemeinsame sprachliche Grundlage bietet die wichtigste Voraussetzung für die Koordination gemeinschaftliches Handeln innerhalb der Gesellschaft. Sie kann gesellschaft-liche Ordnung und Struktur gleichsam befestigen wie verändern. Es genügt daher nicht, Sprache nur nach ihrer Funktion als Mittel zum Austausch von Information oder zum Verständigen zu werten.[2] Sprache ist darüber hinaus das bedeutendste »Mittel der Ver-haltenssteuerung und der sozialen Integration«,[3] d.h. sie ist dem Interesse des Sprechers untergeordnet.
Innerhalb der Politik, d.h. »des staatlichen oder auf den Staat bezogenen Handelns«[4] hat Sprache die Funktion gesellschaftlicher Kontrolle mit dem Zweck, gleichförmiges Verhalten innerhalb der jeweiligen gesellschaftlichen Einflusszone zu erwirken.[5] Diese Kontrolle wird im demokratischen Alltag vor allem durch geschickte politische Argumentation und somit durch Überzeugung geleistet. Die Durchsetzung einer politischen Agenda bedingt in einer Demokratie zunächst ihre kommunikative Vermittlung.
Nach Dieckmann kann Politik daher als »staatliches oder auf den Staat bezogenes Reden«[6] definiert werden. Ohne Reden gibt es keine Vermittlung politischer Inhalte und damit keine Chance auf deren Umsetzung. In demokratischen Systemen schafft Sprache die Möglichkeit auf friedlichem Weg Lösungen für Probleme zu finden. In autokratischen Systemen wie Russland wird politische Sprache jedoch oft zur Legitimierung oder Verschleierung unange-messener oder ungesetzlicher staatlicher Gewalt benutzt. Nach Diekmann bereitet die Sprache
Gewaltanwendung vor als militante Propaganda, Aufforderung zum Aufstand, Ultimatum, leitet sie ein als Urteilsspruch und Kriegserklärung, begleitet fast immer die militärischen und ökonomischen Maßnahmen, die der Sprache als Kommunikationsmittel bedürfen, und dient schließlich auch den Machtausübenden dazu, den Akt der Gewaltanwendung vorbereitend zu begründen oder nachträglich zu rechtfertigen, um die Unterstützung derer nicht zu verlieren, auf derer Zustimmung ihre Macht beruht.[7]
Die Möglichkeit, Sprache statt direkter physischer oder psychischer Repression zur Kontrolle des Einzelnen zu verwenden, setzt voraus, dass das Individuum die bestehende Symbolwelt der Gesellschaft, insbesondere den über Sprache hergestellten Konsens einer Gemeinschaft erlernt und versteht. Mit Beginn des Spracherwerbs wird das Individuum der gesellschaft-lichen Kontrolle ausgesetzt, da über Sprache gleichzeitig Verhaltensmuster, Wertvorstel-lungen und Normen einer Gesellschaft vermittelt und verankert werden.[8] Dadurch kann Sprache
über die Gefühle und Wertvorstellungen, die an Wörter gebunden sind, [sagen], welche Wörter etwas Gutes oder Böses, Schönes oder Hässliches, Angenehmes oder Unangenehmes bezeichnen, und wie man sich dem Bezeichneten gegenüber verhält. Der Mensch lernt also nicht nur die begrifflichen Bedeutungen eines Wortes, sondern zugleich, wie das Bezeichnete zu beurteilen ist. Der ganze Komplex wird später bei der Nennung des Wortes hervorgerufen, und das erklärt die Brauchbarkeit der Sprache in der gesellschaftlichen Kontrolle zur Auslösung oder Nahelegung einer Handlung.[9]
Der Auftrag der politischen Erziehung und Meinungsbildung, welchen die Parteien und viele andere politische und gesellschaftliche Institutionen haben, wird über die Instrumentalisierung der Sprache zu diesem Zweck umgesetzt. Unter anderem »legt [Erziehung und Meinungsbildung] gesellschaftliche Gewohnheiten an, indem sie potentiell Umstrittenes in Unumstrittenes und Selbstverständliches überführt […]«.[10] Informationsvermittlung in der Politik wirkt stets vor dem Hintergrund der Handlung und mit dem Ziel, diese vorzubereiten sowie Zustimmung für diese zu erzeugen.[11]
Hinter Formulierungen, die als »staatliches oder auf den Staat bezogenes Reden« verwendet werden, manifestiert sich somit ein Interesse an Machterwerb und Machterhalt. Wie die klassische Politikwissenschaft Machtstreben als Grundmotivation jeder Politik definiert[12], so unterstellt die Forschung politischer Kommunikation dem Vermittler politischer Inhalte und Ziele das gleiche Streben nach Erwerb und Erhalt der Macht.[13]
II.2 Der politische Euphemismus als Instrument politischer Sprache
Politische Sprache muss überzeugen, um die Identifikation der Wahlbevölkerung mit den eigenen Zielen und Handlungen erreichen. Zu diesem Zweck wurden kommunikative Wort-strategien entwickelt, so z.B. »die Strategie, mit Wörtern etwas zu verschleiern, zu beschö-nigen, zu verhüllen«.[14] In der politischen Sprache stellen euphemistische Formulierungen eine Variante dieser Strategie dar. Sie kommt vor allem dann zur Anwendung, wenn der handelnde Politiker um die Fragwürdigkeit seiner Politik weiß.
Elisabeth Danninger bietet folgende rhetorisch gefasste Definition vom Euphemismus an, die sich auf dessen politische Erscheinungsform übertragen lässt:
Der Euphemismus gilt in der Rhetorik als Tropus, als Ersetzung der unmittelbaren, als unerlaubt, unhöflich oder anstößig geltenden Bezeichnungen durch eine umschreibende, ab-schwächende, beschönigende, umbennenende. [...] Die negative affektive Konnotation wird neutra-lisiert oder in eine positive affektive Konnotation umgewandelt.[15]
Ein dieser Definition entsprechender und hierzulande häufig verwendeter Euphemismus ist die Bezeichnung wirtschaftlichen Stillstandes als ›Nullwachstum‹. Hier werden negative Assoziationen abgemildert, die das Wort ›Stillstand‹ impliziert. Wachstum hingegen vermittelt ein positiv belegtes Gefühl von Fortschritt und mildert Ängste, die mit dem negativ assozi-ierten Wort ›Abschwung‹ entstehen würden.
Um einen Ausdruck als euphemistisch bezeichnen zu können, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: die Sache, die in Worte gefasst wird, beinhaltet eindeutig negative Aspekte. Dazu muss eine gängige alternative Bezeichnung existieren, die nicht beschönigend oder verhül-lend wirkt.[16] Luchtenberg bezeichnet dementsprechend euphemistische Formulierungen als
umschreibende Wörter und Ausdrücke, [...] die zwar die Bedeutung eines Ausdrucks A vermitteln, aber durch eine von A abweichende Bezeichnung [...]. Einschränkend sind nur solche Umschreibungen Euphemismen, die beschönigende oder verschleiernde Funktion haben.[17]
In einigen Fällen kann in einer Sprach- und Kulturgemeinschaft Einigkeit darüber herrschen, ob ein bestimmter Vorgang in jedweder Formulierung ausschließlich negative Aspekte auf-weisen kann, wie es beispielsweise für den Ausdruck ›sterben‹ gilt. Es gibt jedoch auch Handlungen und Vorgänge, die verschiedene Gruppen der Gemeinschaft unterschiedlich bewertet sehen wollen, wie im genannten Beispiel vom ›Nullwachstum‹. So wird die regieren-de Partei ein Interesse daran haben, dass von Nullwachstum gesprochen wird. Die Opposition hingegen wird ausschließlich den ›Stillstand‹ kritisieren. In ähnlicher Weise wird so aus einem ›Freiheitskampf‹ ein ›Terrorakt‹ und umgekehrt, je nachdem welcher Gruppe der Sprecher näher steht.
Mit der Verwendung von Euphemismen offenbaren Politiker gleichzeitig ihre politische Haltung, denn »der Sender offenbart mit der Bezeichnung bestimmte Einstellungen und Wertungen über das Bezeichnete und wirbt um das Einverständnis des Empfängers.«[18] So ist im politischen Sprachgebrauch von Euphemismen die Rede, wenn bestimmten Äußerungen eine eindeutige Täuschungsabsicht nachgewiesen werden kann. Definitionsgrundlage ist laut Buschmann also nicht das „intersubjektiv angemessene oder unangemessene Verhältnis von signifié und signifiant, sondern vor allem der eigene politische Standpunkt.“[19]
Spricht man von politischer Sprache als Sprache der Macht, wird sie, sobald sie Euphe-mismen verwendet »die Sprache der Ohnmacht, d.h. des Fehlens der Macht in bestimmten Bereichen«.[20] So wird auf euphemistische Ausdrücke vor allem bei Niederlagen, Fehlern oder Unzulänglichkeiten zurückgegriffen. Dahinter steht die Absicht des Politikers, Negatives zu beschönigen und zu verschleiern, um seine Machtposition zu erwerben, zu erhalten oder zurück erlangen zu können (z.B. im Wahlkampf).[21]
Euphemismen sind schließlich nur im dem Kontext zu identifizierendem und zu bewerten, in dem sie gebraucht werden. Daher muss die wahre Absicht einer Person, die Euphemismen verwendet, bekannt sein, um feststellen zu können, ob ein Wort oder ein Satz euphemistisch ist oder nicht. Leinfellner macht dies am Beispielsatz: ›Dies ist rot.‹ deutlich. Wenn ein Gegenstand rot ist, entspricht der Satz der Wahrheit. Soll jedoch ein Kind getröstet werden, das ein rotes Kleid erwartet, aber ein rotbraunes bekommen hat, ist der Satz euphemistisch, da der Sprecher sich erhofft, das Kind damit zu trösten.[22]
Genauso ist ›Aktion‹ eine im politischen Rahmen häufig euphemistisch gebrauchte Bezeich-nung. Laut Leinfellner heißt, dass unter diesen und diesen pragmatischen und empirischen (deskriptiv-semantischen) Umständen >Aktion< ein Euphemismus [ist], unter anderen pragmatischen und empirischen (deskriptiv-semantischen) Umständen jedoch nicht.[23]
Es sind also zwei Aspekte wichtig bei der Analyse von Sprache nach dem Gesichtspunkt der Verwendung euphemistischer Wörter und Ausdrücke der politische Standpunkt des Spre-chers und der Kontext, in welchem die Person den Euphemismus benutzt
II.3 Politische Sprache und Medien
Für den in dieser Arbeit gewählten Ansatz, Euphemismen im Verhältnis von Politik und Medien zu identifizieren, ist es wichtig zu erwähnen, wie Medien und Politik zusammenhängen und warum die theoretischen Überlegungen zur Verwendung und zum Nutzen von Euphemis-men durch Machtinstitutionen nicht nur gegenüber dem einzelnen Individuum sondern auch gegenüber den Medien anwendbar sind.
Da die öffentliche Meinung in Demokratien die Stimme der Gesellschaft ist, beeinflusst sie in wichtigen Fragen das Verhalten der um Machterhalt bemühten Regierung. Die Formulierung der öffentlichen Meinung findet vor allem in den Massenmedien statt, da sie darüber entscheiden, »was öffentlich wird und was nicht.«[24] Politik wird durch Medien bekannt, denn die meisten Menschen benutzen Zeitungen, den Rundfunk und das Fernsehen als ihre einzigen Informationsquellen. Die breite Reichweite dieser Medien nutzen Politiker, um sich zu präsentieren und auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Aus folgenden Gründen lässt sich die Sprache der Medien in der vorliegenden Arbeit mit den gleichen Instrumenten analysieren, wie die politische Sprache:
1. viele Reden und Aussagen von prominenten Politikern orientieren sich inhaltlich und rhetorisch daran, eine positive Medienwirkung für sich selbst und die ihre Partei zu erzielen, d.h. die Politiker passen ihre Sprache den Medien an.
2. in Zeitungen (hier analysiertes Medium) finden sich neben neutraler Berichterstattung subjektive Wertungen, Einschätzungen und politische Positionen, die dem Leser bestimmte Sichtweisen vorhalten und ihn von diesen überzeugen wollen.
Speziell in Russland besteht ein besonderer Zusammenhang zwischen Politik und der so genannten 4. Macht im Staat. So verschärft die Situation der Medien aufgrund der undurchdringlichen wirtschaftlichen Verflechtung von politischen Akteuren und Massenmedien das Problem tendenziöser oder einseitiger Berichterstattung. Laut Trautmann geht es im postkommunistischen Russland weniger um Medienpolitik
im Sinne einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft als vielmehr um die interessenbewusste Mediensteuerung durch einzelne Akteure. Mikroanalytisch betrachtet, ist eine Transformation der Massenmedien für die neuen politischen Eliten auch nicht von Nutzen. Sie sind daran interessiert, an die Macht zu kommen oder an der Macht zu bleiben. Zur Erreichung dieses Zieles sind sie an Massenmedien interessiert, die erstens ihre Ziele und ihre Person positiv und zweitens politische Gegner und deren Ziele nicht oder negativ thematisieren. Eine Struktur von Massenmedien, in denen der Präsident und die Regierung zahlreiche Kontrollmöglichkeiten besitzen, ist daher für Regierungsakteure von Vorteil.[25]
Es ist anzunehmen, dass unter solchen Umständen politische Euphemismen, die Meinungen und Positionen der Politik stützen, nicht aufgedeckt sondern unkritisch in die Berichterstattung der Zeitungen eingebettet werden.
III. Politische Euphemismen in russischen Zeitungen
Im Folgenden wird zunächst mit der »Известия« ein Beispiel unkritischer Übernahme euphe-mistischer Formulierungen der Machthaber vorgestellt. Zur Identifizierung dieser Euphemis-men dient eine weitere Zeitung, die »Новая Газета« , welche weniger im Verdacht steht, politische Propaganda in ihrer Berichterstattung zu verstecken.
III.1 »Известия«
Die »Известия« gilt zwar als demokratische Zeitung, bleibt jedoch von staatlicher Einflussnahme nicht verschont. Seit 1997 gehören 41% der Aktienanteile dem staatlichen Konzern LUKoil, welcher sich in das journalistische Tagesgeschäft einmischt.[26] Im ersten Tschetschenienkrieg übte die Zeitung scharfe Kritik an der russischen Regierung und ins-besondere am Präsidenten Jelzin[27], heute fällt die Kritik eher vorsichtig aus.
In der »Известия« finden sich zwar regierungskritische Artikel bezüglich der Geiselnahme, daneben aber genauso eine Regierungserklärung des Präsidenten Putin in vollem Wortlaut sowie ein Interview mit einem patriotischen Offizier, der am Einsatz der russischen Sicherheitskräfte zur Befreiung der Geiseln beteiligt war. Diese Artikel werden in der folgenden Analyse durch einen ›neutral‹ gehaltenen Bericht über die geänderte Doktrin Putins bezüglich der Armee ergänzt.
III .1. a ) Александр Хохлов: Офицер Группы АЛЬФА : » Мы не зацепили ни одного заложника «
Am 27. Oktober 2002 [28] veröffentlicht die »Известия« ein Interview mit einem Mitglied der Gruppe АЛЬФА , welche die Stürmung des Theaters durchgeführt hat. Um zu verhindern, dass während der Aktion die Geiselnehmer das Feuer auf die Geiseln eröffnen, wurde ein giftiges,
geheim gehaltenes Gas ins Gebäude geleitet, das die Terroristen einschläfern sollte. Mit den Feinden sind jedoch 120 von den 700 Geiseln mitvergiftet worden. Das hinderte die russische
Regierung nicht daran, die Aktion als großen Erfolg zu werten . Auf die Frage welches Gas verwendet wurde, antwortet der Offizier:
Газ – не боевой, не отравляющий, а усыпляющий.
Die strikte Trennung nach Schlafmitteln und Giften, die der Offizier vornimmt, ist grundsätzlich irreführend bzw. falsch, da Schlafmittel Gifte sind, die nur in geringer Dosis nicht tödlich wir-ken. Hier will der Offizier mit dem Wort усыпляющий die Aufmerksamkeit des Lesers davon weglenken, dass bei der Wahl der Mittel möglicherweise mit unangemessener Härte, nämlich mit bewusster Inkaufnahme hoher Opferzahlen vorgegangen wurde. У сыпляющий wirkt im Kontrast zu боевой und отравляющий harmlos und schließt die tödliche Wirkung aus. Der Journalist fragt genauer:
Но уже говорят, что показанные по телевизионным каналам чеченские террористки погибли не от пуль спецназовцев, а от воздействия газа, что именно от отравления, а не от бандитской руки погибли и многие заложники.
Wieder redet sich der Offizier mit einem Euphemismus raus:
Двое наших бойцов тоже траванулись газом. Они сейчас в больнице. При штурме наши ребята сразу выбили везде стекла, чтобы протянуло свежим воздухом. Что же касается этих сучек-террористок, то, поверьте моему слову: в каждой из них по пуле.
Statt отравились benutzt er das mildernde траванулись , obwohl hier laut seiner Aussage, das Gas sei nicht giftig, заснули stehen müsste. Er kann nicht leugnen, dass das Gas schädlich ist und weicht auf seine ›leicht‹ vergifteten Kameraden aus. Er sagt, dass alle Terroristinnen durch Schüsse gestorben sind, erwähnt jedoch nicht die 120 toten Geiseln.
Leinfellner hat 11 Regeln aufgestellt, nach denen politische Euphemismen gebildet werden, z.B. durch Verwendung von vagen und mehrdeutigen Ausdrücken oder Fremdwörtern.[29] In der oben zitierten Stelle erzeugt der Sprecher die euphemistische Wirkung durch das Auslassen wichtiger Informationen.[30]
Der General will zudem, dass die Öffentlichkeit die Spezialeinheit als entschlossen, stark und professionell ansieht und übergeht deshalb die Frage nach den 120 toten Geiseln, als hätte es keine Opfer gegeben. In diesem Zusammenhang ist auch die Bezeichnung ребята für die Kämpfer euphemistisch, da hier nicht von kleinen Jungs die Rede ist, sondern von Berufskillern, die dazu ausgebildet sind, Menschen ohne schlechtes Gewissen (natürlich im Auftrag von einer höheren Stelle) zu erschießen. Auf die Frage, ob die Soldaten keine von den Geiseln getroffen haben, antwortet der General:
Мы убили всех террористов и не зацепили ни одного заложника.
Terroristen werden ›getötet‹, Geiseln werden ›gestreift‹ . Der Tod, der durch den Sprecher gewollt ist, wird mit einer direkten Vokabel benannt, der Tod, für den sich der General rechtfertigen müsste, wird mit einem beschönigenden Wort ausgedrückt. З ацепить ist an dieser Stelle ein Euphemismus für verletzen und töten gleichzeitig. Das Wort unterstreicht hier die Beschützerrolle der Kämpfer, die sie gegenüber den Geiseln haben (wollen).
Doch nicht nur die Geiseln, sondern alle Russen in Moskau und Russland müssen vor den tschetschenischen Terroristen beschützt werden. Der Journalist fragt, ob Tschetschenien nun ›gesäubert‹ wird: »Не знаете, Чечню сейчас ›почистят‹ от бандитов?« Die Anführungs-zeichen um ›säubern‹ sollen andeuten, dass dem Interviewer die euphemistische Wirkung des Wortes bewusst ist. Mit п очисти ть assoziiert der russische Leser das gewaltsame Vorgehen der russischen Soldaten in Tschetschenien, daher wirkt es in dieser Schreibweise ironisch. Dem General scheint das nicht aufzufallen:
Там уже без особой рекламы началась широкомасштабная специальная операция. Еще надо Москву и Подмосковье »почистить« безжалостно. Слишком вольготно здесь себя чувствуют чеченские бандиты и их многочисленные пособники. Ведь не на собственном горбу притащил Мовсар Бараев взрывчатку и оружие, помогли ему подельники.
Широкомасштабная специальная операция eignet sich als ein vager und mehrdeutiger Ausdruck für eine euphemistische Verwendung. Der Sprecher erläutert nicht weiter, was diese ›breit angelegte Operation‹ für Tschetschenien bedeutet, aber er fängt den Satz mit без особой рекламы an und ergänzt im nächsten Satz das Adjektiv безжалостно , was die euphemistische Wirkung des militärischen Ausdrucks entlarvt. Diese Stelle macht deutlich, dass der General sprachlich nicht sehr gewandt ist. Er verwendet zwar die militärische, in diesem Fall auch euphemistische Terminologie, verbirgt jedoch nicht seine persönliche emotional geprägte negative Einstellung. Seine Worte der Kampflust vermischen sich mit dem Gebrauch bereits geläufigen Euphemismen, die aus Regierungserklärungen, offiziellen Ansprachen und Dokumenten bekannt sind.
III .1. b ) Обр a щение Президента Российской Федерации В.В. Путина
Die hier zitierte Ankündigung des Präsidenten[31] bildet eine bestimmte Sicht der Realität ab, wel-che die Regierung nach außen, dem Volk und dem Ausland gegenüber, vertritt. Durch die ständige Wiederholung der Schlüsselbegriffe soll sich diese Sicht in den Köpfen der Wähler manifestieren. In der Regierungserklärung vom 26. Oktober 2002, in der Putin sich zu der Geiselnahme äußert, wird deutlich, wie komplex seine Konstruktion der Wirklichkeit ist:
Мы признательны и нашим друзьям во всем мире за моральную и практическую поддержку в борьбе с общим врагом. Этот враг силен и опасен, бесчеловечен и жесток. Это - международный терроризм. Пока он не побежден, нигде в мире люди не могут чувствовать себя в безопасности. Но он должен быть побежден. И будет побежден.
Putin bezeichnet die Befreiungsaktion im Theater als ›Kampf gegen den gemeinsamen Feind‹ , und wendet sich damit an die internationale Gemeinschaft. Mit einem Euphemismus verrät jedoch der Präsident, dass er die Tschetschenen nicht als weltweit organisierte Verbrecher ernst nimmt. Er sagt, dass sich die Menschen vor dem internationalen Terrorismus ›nicht in Sicherheit fühlen können‹ , solange er nicht besiegt ist. Nach den harten Adjektiven силен и опасен , бесчеловечен и жесток , mit denen er den Feind bezeichnet, überrascht diese sanfte Formulierung, an deren Stelle nicht die Verneinung (Litotes), sondern die positive Aussage ›sie müssen sich permanent bedroht fühlen‹ besser gepasst hätte. Putin umgeht damit die direkte Lüge, dass sich die ganze Menschheit vor den Tschetschenen fürchten muss und erzeugt eine Unsicherheit, die jedem Menschen in solch einer Situation gegenwärtig ist. Die Litotes kann als Euphemismus verwendet werden, da der Komplementärbereich dieser Aussage nicht in gleicher Weise offensichtlich ist.[32] Wie es hätte auch ausgedrückt werden können, zeigt wiederum das Interview mit dem rhetorisch weniger begabten General, welcher deshalb der Litotes die direkte positive Aussage vorzieht:
Западники после 11 сентября 2001 года поняли, что чеченские боевики никакие не борцы за свободу и независимость, а уроды-экстремисты, угрожающие всему человечеству. Теперь им крышка.
Die Bezeichnung der Tschetschenen als уроды - экстремисты , угрожающие всему человечеству ist der Komplementärbereich von Putins Aussage, die jedoch in dieser Form in keiner seiner Reden zu hören ist. Auch kontrastiert будет побежден aus Putins Ansprache mit der Ankündigung des Generals: т еперь им крышка . Der Präsident spricht nicht aus, dass der Sieg über den so genannten internationalen Terrorismus in Russland in Konsequenz die Aus-löschung des Tschetschenischen Volkes bedeutet. Er spricht nicht vom Ursprung der Bedrohung, sondern lediglich von einer allgegenwärtigen Gefahr.
Der General aber filtriert aus den Worten Putins genau die Wahrheit, die der Präsident mit seinen Worten erschaffen wollte. Danach sollen die Menschen zwar selbst ergänzen aber dennoch die im Sinne der Regierung richtigen Feindbilder schaffen, um so von ihrer Unsicherheit motiviert, das Vorgehen gegen die Tschetschenen akzeptieren zu können.
III .1. c ) Дмитрий Литовкин: Путин меняет доктриму
Nach der Geiselnahme ordnet Putin die Ausarbeitung eines [33] Konzepts zur nationalen Sicherheit an, das wichtige Änderungen für den Einsatz der Streitkräfte beinhaltet. Im Kampf gegen die steigenden Terrorakte, welchen sich die internationale Gemeinschaft ausgesetzt sieht (aus welchen Motiven auch immer), will Russland sich nun auch – nach dem Vorbild Amerika – das Recht des Präventivschlags sichern:
В Кремле подтверждают: таким образом меняются оборонные приоритеты страны. Россия намерена закрепить за собой право превентивных действий, в том числе на территории других стран. Это сильно напоминает недавно обнародованную президентом США Бушем новую концепцию превентивных ударов в борьбе с терроризмом. В отношении которой со стороны российского политического руководства не раздалось ни одного (!) критического слова.
Der Autor durchbricht an einer Stelle offensichtlich den zitierenden Charakter des Artikels und distanziert sich mit dem Ausrufezeichen vom Inhalt. Es liegt nahe, dass der Autor das eigentliche Ansinnen der Regierung erkennt, mit ihrer Definition des Tschetschenien-Konflik-tes die eingeschlagene harte Linie auch international legitimiert durchsetzen zu können. An einer weiteren Stelle setzt Литовкин »превентивные« in Anführungszeichen und deutet damit an, dass er diesen Euphemismus erkannt hat und sich von ihm distanziert, da es sich bei превентивные удары lediglich um eine neue Bezeichnung, nicht jedoch um eine neue Art von Angriffen handelt.
Die Geiselnahme zieht Folgen für Tschetschenien nach sich:
На вчерашнем совещании в Кремле речь шла об укреплении правопорядка в Чечне. По словам министра обороны Сергея Иванова, утвержденный президентом план сокращения избыточных сил и средств Минобороны в Чечне продолжает выполняться. А те силы, которые остаются в республике на постоянной основе, будут использованы в точечных операциях против глав бандформирований.
Im Interview mit dem General konnte man lesen, dass in Tschetschenien schon ohne große Ankündigung eine ш ирокомасштабная специальная операция begonnen hat. Zukünftig wird dieses Vorgehen als точечные операции против глав бандформирований bezeichnet und dem Ziel укреплении правопорядка в Чечне unterstellt, für welches die verbleibenden Streitkräfte sorgen sollen. Eine politische Lösung für Tschetschenien wurde ebenfalls beschlossen:
Как заявил после совещания Интерфаксу глава МВД Борис Грызлов, в ноябре будут разработаны необходимые нормативные документы для создания МВД Чечни. Определена и численность МВД Чеченской Республики – 12 тысяч человек. Именно на столько будет уменьшено присутствие сил МВД в республике из других регионов страны. После того как МВД Чеченской Республики обретет уверенность в своей работе, будет проведен референдум по конституции и пройдут выборы главы Чеченской Республики, сообщил министр.
Es scheint, als wäre Russland an einer politischen Lösung des langwierigen Konflikts interessiert, jedoch macht es stutzig, dass das russische Militär jederzeit das Recht hat, die Herstellung der Ordnung in точечных операций против глав бандформирований zu durchbrechen. Die hier unsinnige Steigerung von точный zu точечных verdeutlicht, dass der Glaube an die Angemessenheit russischer Militäreinsätze in Tschetschenien nur noch durch Übertreibungen aufrechterhalten werden kann.
III.2 Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der »Известия«
- Die Regierung verwendet systematisch Euphemismen, um ihr Vorgehen in Tschetschenien zu rechtfertigen und dafür Zustimmung in der Bevölkerung zu erreichen. Dazu werden Handlungen der Streit- oder Einsatzkräfte entweder beson-ders gelobt und beschönigt oder da wo es nötig ist, verschwiegen.
- Seit dem 11. September bezeichnet Putin die Tschetschenen als weiteren Ast des international organisierten Terrorismus. Die Einbettung in einen internationalen Kon-text formuliert den Binnenkonflikt in ein international bedeutendes Problem um: solange das Tschetschenien-Problem nicht gelöst ist, können sich die Menschen in der ganzen Welt nicht sicher fühlen.
- Die Pläne zur Herstellung der Ordnung in Tschetschenien werden ebenfalls mit Hilfe von Euphemismen formuliert. Hier stellt sich die Frage, ob Putin den Willen zum Einsatz politischer Instrumente zur Lösung der Krise nur vortäuscht.
III .3 »Новая Газета«
Die »Новая Газета«, die vor 5 Jahren gegründet wurde, berichtet eher regierungskritisch und wird häufig sogar in linksliberalen westlichen Medien wie der TAZ zitiert.
Die Zeitung schlägt in ihrer Berichterstattung zur Geiselnnahme durch die tschetschenischen Terroristen gegenüber der Regierung einen sehr vorwurfsvollen Ton an und verurteilt das Ereignis als selbstverschuldete Tragödie.
Die Geiselnahme wird als Racheakt für das Leid interpretiert , welches das Volk durch die permanenten russischen Angriffe in Tschetschenien erleben muss und als logischer Schritt der Tschetschenen gewertet. Dieser Grundton zieht sich in der »Новая Газета« durch alle Artikel zu diesem Thema.
III .3. a )Григорий Явлинский: Ни один политик и даже ни один гражданин не может снять с себя ответственность за трагедию
Явлинский, welcher die Position der Partei[34] Яблоко vertritt, kritisiert indirekt das zur Schau gestellte Erfolgsgefühl der russischen Regierung.
Правильность этого выбора могут оценить только люди, пережившие трагедию, – заложники, их родственники, москвичи, граждане России, а в конечном счете – история. Оценка сложнейшей трагической ситуации политиками сегодня не может быть полной и объективной.
Hier weist er darauf hin, dass der Erfolg oder Misserfolg der Befreiungsaktion erst im Laufe der Zeit beurteilt werden kann: Damit deutet er an, dass eine Lösung möglicherweise auch auf dem Verhandlungsweg möglich gewesen wäre. Dieser Frage nach einem alternativen Weg und der Richtigkeit der Entscheidung widmet Явлинский zwei Drittel seines Artikels.
Являясь сторонниками разрешения подобных кризисов методами, в основе которых лежит использование всех способов, позволяющих освободить максимально возможное число заложников без вреда для них, мы разрабатывали иной вариант действий: постепенно, шаг за шагом вести переговорный процесс, в ходе которого можно было надеяться на поэтапное освобождение заложников или хотя бы их части. Мы считали, что так называемые ›требования‹, которые сводятся к тем или иным формам переговорного процесса или политическим жестам, уж по крайней мере обсуждаемы, когда дело касается жизни и здоровья людей.
Vermutlich sieht er in der Diskussion über eine solch bedeutungsvolle Entscheidung die Möglichkeit, seine Partei gegenüber der Regierung abzugrenzen und gleichzeitig eine Lösung vorzuschlagen, die auf einen Konsens zwischen Russen und Tschetschenen zielt. Im letzten Drittel schließlich kritisiert er offen die katastrophale medizinische Versorgung der Geiseln:
Однако уже сегодня совершенно определенно можно сказать, что ситуация с оказанием медицинской помощи пострадавшим и обращением с их родственниками была и остается на грани преступления. Врачи, спасающие жизни людей, должны иметь как можно более полную информацию о причинах их состояния. Родные пострадавших должны иметь как можно более полную информацию о судьбе своих близких.
Явлинский drängt auf eine politische Lösung des Konflikts und beschreibt dazu einen Soll-Zustand, der in der Realität nicht anzutreffen ist. Er verurteilt die Regierung jedoch nicht direkt. Auch fordert er eine politische Lösung nicht bei der Regierung ein.
Несомненно, вставшие на путь террора должны быть преданы правосудию либо, если это невозможно, ликвидированы. Однако происшедшее с новой остротой ставит вопрос об урегулировании вооруженного конфликта в Чечне, о прекращении зачисток, пыток, исчезновения людей, внесудебных расправ, издевательств, беспредельного физического насилия – по существу, о прекращении жесточайшей войны по изничтожению целого народа. Требуется многократная активизация всех усилий по поиску политических путей прекращения войны.
Der Autor nennt zwar die schlimmen Zustände in Tschetschenien beim Wort, benennt jedoch nicht die Verantwortlichen. Obwohl er eine Oppositionspartei repräsentiert, kann seine Zurückhaltung aufgrund des repressiven Charakters der Regierungspolitik als opportun angesehen werden.
III .3. b ) Пэтрик Кокберн ( » Independent «): Россия расплачивается за свою ложь о выигранной войне
Die »Новая Газета« veröffentlicht [35] die gekürzte Übersetzung eines Artikels des Journalisten Пэтрик Кокберн aus der englischen Zeitung »Independent«. Als Erstes fällt auf, das er die Geiselnehmer nie als Terroristen bezeichnet, sondern als Чеченцы oder повстанцы. Seine Hauptanklage ist, dass auch nach dem offiziellen Ende des zweiten Tschetschenien-Krieges die Kampfeinsätze seitens des russischen Militärs mit unverminderter Härte weitergingen:
Затем, в последующие два с половиной года, армия не сумела закрепить свой первоначальный успех. Оккупация была жестокой и коррумпированной. Российские контрольно-пропускные пункты на дорогах скорее напоминали будки сборщиков дани, вымогающих под угрозой оружия взятки. У тех чеченцев, которых задерживали российские военнослужащие, были все шансы, что их станут пытать, убьют или выпустят только после того, как за них будет заплачен крупный выкуп.
Die nichts beschönigenden Formulierungen des Autors ermöglichen die Identifizierung von широкомасштабная специальная операция, укреплении правопорядка в Чечне, точечные операции против глав бандформирований als Euphemismen.
Entsprechend können die so genannten neuen Pläne zur Herstellung der Sicherheit in Tschetschenien als Verschleierung weiterer brutaler russischer Militäreinsätze beurteilt werden.
Auch die Rhetorik der russischen Regierung, die Geiselnehmer mit der internationalen Terrorgruppe Al-Qaida gleichzusetzen, wird vom Autor zurückgewiesen:
Именно жестокость российской оккупации, а не связь между повстанцами и ›Аль-Каидой‹ или зарубежными сторонниками ислама поддерживает это восстание. Сельские жители нередко заявляют, что ненавидят командиров повстанцев, которые зачастую являются не более чем обыкновенными бандитами, но что россияне не оставляют им иного выбора, кроме как сражаться против них.
Für ihn ist es vielmehr die Grausamkeit und Korrumpierbarkeit des russischen Militärs, die die Tschetschenen dazu bewegt hat, das Theater zu besetzen. So sei das Ziel der повстанцы vor allem gewesen, den noch andauernden Konflikt ins Bewusstsein der Gesellschaft zurück-zurufen. Der Autor wirft Putin fehlende Einsicht in die Entwicklung des Konflikts vor:
Г-н Путин просчитался. Он полагал, что россияне и внешний мир обращают мало внимания на войну в Чечне. Российские СМИ находились в основном под его контролем. После 11 сентября зарубежная критика российских эксцессов была приглушена. Повстанцев можно было характеризовать как еще одну ветвь международного терроризма.
Это всегда было опасной стратегией. В войне 1994—1996 годов чеченцы дважды совершали рейды за пределы Чечни, чтобы брать заложников. Российская система безопасности в Чечне и вокруг нее является некомпетентной и коррумпированной. Неудивительно, что эта банда, что захватила театр, сумела добраться до Москвы.
Der 11. September war eine gute Gelegenheit für Putin, den Tschetschenien-Konflikt in einen anderen Kontext zu setzen und die Lösung des Problems in eine fernere Zukunft zu verschieben Der Autor bezeichnet es daher als bewusste politische Strategie, die Tschetschenen als einen Ast des internationalen Terrorismus zu brandmarken.
Denn dadurch erhält Putin die Möglichkeit, die Militärdoktrin so zu verändern, dass in Zukunft Präventivschläge möglich sind. Nach der Geiselnahme beschließt Putin konsequenterweise, für Ordnung in Tschetschenien zu sorgen, womit eigentlich nur weitere Militärschläge gemeint sein können.
Das bestehende Problem der Korruption russischer Soldaten wird von den Machthabern dagegen glatt verschwiegen und wahrscheinlich auch nicht angegangen, obwohl Кокберн diesen Umstand als hauptverantwortlich für das Zustandekommen der Geiselnahme ansieht.
Inkompetenz passt nicht in das Konzept einer starken russischen Armee.
III.4 Ergebnisse aus der »Новая Газета«
- Die Autoren distanzieren sich von Formulierungen, die Tschetschenen einem terroristischen Netzwerk zuordnen und sehen die Geiselnahme als Folge der Okkupation Tschetscheniens durch das russische Militär und eines korrupten Sicherheitssystems.
- In der regierungskritischen Zeitung werden die Euphemismen der russischen Regierung ignoriert oder bloßgestellt, da die Handlungen des Militärs offen kritisiert und Fehler, die dem Militär bei Einsätzen unterlaufen sind, direkt benannt werden.
- Allerdings zeigt sich, dass auch die Kritiker der russischen Regierung aus verschiedenen Positionen sprechen. Zum einen der russische Oppositionspolitiker, der die Schuldzuweisung an die Regierung nicht offen ausspricht, zum anderen der außen stehende ausländische Beobachter, der klar die Verantwortungslosigkeit der Machthaber anprangert.
IV. Schlussfolgerung
Euphemismen dienen grundsätzlich dazu, Interessen geleitet die Wirklichkeit zu beschönigen, eigene Fehler zu verhüllen und bestimmte positive Aspekte einer Sache hervorzuheben.
Mit der Verwendung von Euphemismen erzeugt Putin systematisch eine andere Wirklichkeit des Tschetschenien-Konflikts. So werden die Tschetschenen fälschlicherweise als eine Bewegung des international organisierten Terrorismus stigmatisiert. Des Weiteren werden brutale Militärschläge als notwendige ordnungspolitische Maßnahmen verkauft.
Als Motivation für die Verwendung von Euphemismen dient zunächst die Erzeugung von Akzeptanz für Putins Politik in der eigenen Bevölkerung. Darüber hinaus sieht sich Russland mit der Öffnung nach Westen der Notwendigkeit ausgesetzt, menschenrechtsverletzendes Vorgehen zu erklären und im Ausland zu rechtfertigen. Euphemismen werden vor diesem Hintergrund zu einem zwingenden Instrument der politischen Sprache derzeitiger russischer Machtträger.
Die Arbeit konnte nachweisen, dass die russischen Medien in Abhängigkeit von ihrer politischen Stellung diese Euphemismen mehr (»Известия«) oder weniger (»Новая Газета«) teilen bzw. übernehmen.
V. Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Пэтрик Кокберн ( » Independent «): Россия расплачивается за свою ложь о выигранной войне, in: »Новая Газета« , Nr . 80, 28.10.2002
Литовкин, Дмитрий: Путин меняет доктриму, »Известия«, 28.10.2002
Обрaщение Президента Российской Федерации В.В. Путина, »Известия«, 27.10.2002
Хохлов, Александр: Офицер Группы »АЛЬФА«: »Мы не зацепили ни одного заложника«, »Известия«, 27.10.2002
Явлинский, Григорий: Ни один политик и даже ни один гражданин не может снять с себя
ответственность за трагедию, in: »Новая Газета«, Nr. 81, 31.10.2002
Literatur
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Weber, Max: Politik als Beruf, Stuttgart 1999 (Erstausgabe 1919)
[...]
[1] Klaus-Helge Donath: Russlands heimliche Helden, in: Die Tageszeitung, 18. März 2003
[2] Vgl. Wolfgang Bergsdorf: Herrschaft und Sprache, Studien zur politischen Terminologie der Bundesrepublik Deutschland, Pfullingen 1983, S. 23
[3] Walther Dieckmann: Sprache in der Politik, Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache, Heidelberg 1975, S. 29
[4] dtv-Llexikon, Bd. XIV, S. 205, zitiert nach: Dieckmann, a.a.O., S. 29
[5] W. Dieckmann, a.a.O., S. 28
[6] Ebd.
[7] Ebd., S. 30 (in Anlehnung an M. Edelman: The Symbolic Uses of Politics, Urbana, Ill, 1964)
[8] Vgl. ebd., S. 30
[9] Ebd., S. 31
[10] Ebd., S. 34
[11] Vgl. ebd., (in Anlehnung an H. Lübbe: Der Streit um Worte. Sprache und Politik, in: H.G. Gadamer (Hrsg.): Das Problem der Sprache, S. 351–371)
[12] Vgl. Max Weber: Politik als Beruf, Stuttgart 1999 (Erstausgabe 1919), S. 7
[13] Vgl. Anatolij N. Baranov: Metafory v političeskom diskurse: Jazykovye markery krizisnosti političeskoj situacii, in: Lew N. Zybatov (Hrsg.): Sprachwandel in der Slavia. Die slavischen Sprachen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Frankfurt a.M., 2000, S. 103-129
[14] Gerhard Strauss (Hrsg.): Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist: ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch, Berlin 1989, S. 13
[15] Elisabeth Danninger: Tabubereiche und Euphemismen, in: Werner Walte (Hrsg.): Sprachtheorie und angewandte Linguistik. Festschrift für Alfred Wollmann, Tübingen 1982, S. 237
[16] Vgl. Gisela Harras: Euphemismus, in: G. Strauss (Hrsg.): a.a.O., S. 622
[17] Sigrid Luchtenberg: Untersuchung zu Euphemismen in der deutschen Gegenwartssprache, Bonn 1975, S. 21 und 23
[18] Matthias Buschmann: Zur militärischen Onomastik und Terminologie, in: Muttersprache 3/95, S. 212
[19] Ebd.
[20] Elisabeth Leinfellner: Der Euphemismus in der politischen Sprache, Berlin 1971, S. 71
[21] Vgl. ebd.
[22] Vgl. ebd., S. 75
[23] Ebd.
[24] Wolfgang Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 5. Auflage, Opladen 2000, S. 483-485
[25] Ljuba Trautmann: Die Medien im russischen Transformationsprozess – Akteur oder Instrument der staatlichen Politik, Frankfurt 2002, S. 477
[26] Vgl. ebenda, S. 345
[27] Vgl. Katharina Lundenberg: »Война в Чечне – война против России« Der erste Tschetschenienkrieg in russischen Medien, in: Holger Kuße/Katrin Unrath-Scharpenack (Hrsg.): Kulturwissenschaftliche Linguistik: Beispiele aus der Slavistik, Bochum 2002, S. 167–183
[28] Александр Хохлов: Офицер Группы АЛЬФА: »Мы не зацепили ни одного заложника«, »Известия«, 27.10.2002
[29] Vgl. E. Leinfellner, a.a.O., S. 80 ff.
[30] Vgl. ebd., S. 89
[31] Обрaщение Президента Российской Федерации В.В. Путина, »Известия«, 27.10.2002
[32] Vgl. Leinfellner: a.a.O., S. 99
[33] Дмитрий Литовкин: Путин меняет доктриму, »Известия«, 28.10.2002
[34] Григорий Явлинский: Ни один политик и даже ни один гражданин не может снять с себя ответственность за трагедию, in: »Новая Газета«, Nr. 81, 31.10.2002
[35] Пэтрик Кокберн ( » Independent «): Россия расплачивается за свою ложь о выигранной войне, in: »Новая Газета« , Nr . 80, 28.10.2002
- Quote paper
- Julia Förderer (Author), 2003, Untersuchung über die Verwendung von Euphemismen in den russischen Zeitungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108217
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