Gliederung der Hausarbeit
Seitenzahl
1. Einleitung
2. Massenmedien als soziales System
2.1 Historische Bedingungen
2.2 Systemreferenz
2.3 Kommunikation
2.4 Strukturelle Kopplungen
3.Realitätskonstruktion der Massenmedien
3.1 Realitätsverdopplung
3.2 Soziales Gedächtnis
3.3 Moral durch Pathologien
4. Die Geburt eines Klonbabys – und einer Nachricht
4.1 Vorgeschichte
4.2 Mediale Inszenierung
4.2 Im Nachhinein
5. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
„Was wir von der Gesellschaft und ihrer Welt wissen,
wissen wir fast ausschließlich durch die Massenmedien.“
-Niklas Luhmann
Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, was, unter dem Aspekt der Massenmedien, als Realität wahrgenommen und vermittelt wird.
Das oben angeführte Zitat stammt von Niklas Luhmann. Es stellt den Ausgangspunkt seiner Überlegungen über „Die Realität der Massenmedien“ dar. Mithilfe seiner angewandten Super theorie, der Theorie „sozialer Systeme“[1] beleuchtet er in dem Buch: „Die Realität der Massenmedien“ das soziale System Massenmedien und kommt dabei zu, für die Fragestellung, entscheidenden Schlussfolgerungen, auf die in dieser Hausarbeit genauer eingegangen werden soll.
Die Massenmedien kommen regelmäßig in den Verdacht, die Wirklichkeit zu manipulieren. So schreibt der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt dem heutigen Fernsehen zu, „der einflussreichste Erziehungsfaktor“ zu sein, dessen Gewaltdarstellungen es schaffen, „uns eine Welt zu suggerieren, in der Gewalt und Brutalität als normale, ja als vorherrschende Elemente einer Zivilisationsgesellschaft erscheinen.“[2]
Die Inszenierung einer Scheinrealität wird als die Realität wahrgenommen, das heisst, dass wir früher oder später an sie glauben und uns nach ihr richten. Was als Inszenierung beginnt, würde somit tatsächlich sukzessive zu Wirklichkeit. So beschreibt Winfried Schulz Nachrichten in der Berichterstattung als „eine Interpretation unserer Umwelt“, welche, wenn sie als Wirklichkeit akzeptiert werden, Realität werden, „zumindest sind es ihre Konsequenzen“.[3]
Differenzierter, aber im Tenor gleich, konstatiert Henning Röhl: „Dass Fernsehen Wirkung erzielt, ist letztendlich eine Binsenweisheit.“ Aber: „Fernsehen ist Kommunikation.“ Und: „Jede Kommunikation zeigt (...) Wirkung.“[4]
Die Überlegung, dass die inszenierte Realität sich von der eigentlichen Realität absetzt, kann plausibel begründet werden: Die Realität ist viel zu komplex, um sie wahrheitsgetreu abbilden zu können. Nur über eine konsequente, aber immer auch subjektive Selektion ließe sich ein einigermaßen übersichtliches Bild über die Realität liefern. Die Selektion im Nachrichtensektor beispielsweise beruht auf Faktoren wie Valenz, Dynamik, Identifikation usw.[5] Sloterdijk schrieb hierzu: „Die erste Enthemmung („des Journalismus“-Verfasser) beruht auf der systematischen journalistischen Ausbeutung der Katastrophen der anderen, wobei es einen stummen Interessenvertrag zwischen dem öffentlichen Verlangen nach Sensationen und der journalistischen Vermittlung derselben zu geben scheint. Ein gut Teil unserer Presse bedient nicht anderes als den Hunger nach Schlimmem, welches das moralische Vitamin unserer Gesellschaft ist. Der Gebrauchswert von Nachrichten bemisst sich zu einem großen Teil an ihrem Reizwert.“[6]
Zu behaupten, dass Massenmedien sich in ihrer Selektion einzig und allein an Dynamik[7] und Sensationspotential orientieren, welches dann wiederum in die gesellschaftliche Kommunikation eingeht und so unser Bild von Realität erzeugt, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Klaus Merten verweist auf die Tatsache, dass massenmediale Inszenierung keineswegs auf allgemeine Akzeptanz stoßen muss, vielmehr glaubt er, dass es die Mediennutzer selbst sind, welche Realität für sich konstruieren, und zwar auf der Grundlage ihrer Werte. Außerdem stellte er fest: „Die Selektivität der Wahrnehmung erlaubt individuelle Zugriffe auf Informationsangebote, die bei verschiedenen Personen verschieden ausfallen.“[8] (hierzu auch: „Interpretative Re-Rekonstruktion von Wirklichkeit durch den Rezipienten“ in einer Abbildung von Merten, im Anhang dieser Hausarbeit)
Massenmedien als Realitätskonstrukteur schlechthin, scheint vielen Kritikern übertrieben, wie auch Ludwig Maassen anmerkt: „Die Allmachts-These wurde außerdem von der Verstärkerhypothese relativiert. Sie besagt, dass Massenmedien Meinungen nicht verändern, sondern allenfalls vorhandene Meinungen verstärken können. Je enger ein Mensch an seine Familie, eine Gruppe, eine soziale Schicht, seine Heimat oder seine Weltanschauung gebunden ist, desto immuner ist er gegen Beeinflussung durch Medienkonsum.“[9] Maassen geht ferner auf die Theorie von der kognitiven Dissonanz Leo Festingers ein. Nach dieser Theorie nimmt der Mensch Angebote der Massenmedien nur punktuell auf. Er liest, hört und sieht nur, was er will. So sucht er sich die Meinungen zusammen, die seinem Weltbild entgegenkommen und es verstärken. Ferner betont Maassen in seinem Buch auch andere Aspekte von Massenmedien, die viele Kritiker auf der Suche nach den negativen Seiten derselbigen häufig zu übersehen scheinen. So spricht er dem Medium zu, den allgemeinen Meinungsaustausch in der Gesellschaft voranzutreiben. Außerdem verweist er auf die Ansicht, dass Massenmedien in der Demokratie oftmals als vierte Gewalt stilisiert werden, als öffentliche Kritik- und Kontrollinstanz über Regierungen, Parteien, Verwaltungen und Verbänden. Darüber hinaus besitzen Massenmedien auch die Möglichkeit belehrend und erzieherisch wirken zu können.
Eine sehr entscheidende Funktionsweise der Massenmedien ist vor allem das sogenannte Agenda Setting, die Themenbesetzung. Es bedeutet, dass Massenmedien die Themen setzen, über die kommuniziert wird.
In den Recherchen über die Einwirkungen von Massenmedien auf die Realität, welche in diesem Abschnitt skizziert werden sollten, ist mir aufgefallen, dass deren Kritiker, ob Soziologen, Politiker oder Journalisten, dem System eine große Verantwortung zusprechen, was die gesamtgesellschaftliche Entwicklung angeht. Die meisten Darstellungen fallen eher negativ aus. Oftmals werden Schuldzuweisungen ausgesprochen.
Luhmanns Beobachtung hebt sich von diesen Ansichten ab. Sie ist sachlich, sehr differenziert und weitreichender. Um sie darlegen zu können, benötigt es einiger Vorbemerkungen bezüglich seiner Systemtheorie, auf der sich alle weiteren Ausführungen aufbauen lassen.
1. Massenmedien als soziales System
„Erfahrung ohne Theorie ist blind.“
–Helmut Kromrey
Um sich den Mechanismen und Auswirkungen der Massenmedien zu nähern, benötigt es einer theoriegeleiteten Beobachtung, denn: „keine Beschreibung eines realen Tatbestandes kann sozusagen fotografisch die Realität in ihrer ganzen Komplexität abbilden. Jede Beschreibung muss sich auf eine bestimmte Perspektive und auf einen relativ kleinen Ausschnitt aus der Wirklichkeit beschränken.[10]
Interessanterweise scheint also die sich aufdrängende Selektion von Beobachtungen nicht nur die Massenmedien, sondern auch die Forschung und Wissenschaft in ihrer Vorgehensweise zu determinieren.[11]
Die Beobachtungen des weiter unten behandelten Beispiels sind von der Systemtheorie Luhmanns geleitet. Innerhalb dieser Super theorie haben sich die Massenmedien als ein eigenständiges soziales System ausdifferenziert. Dieser Prozess beruht auf historischen Bedingungen, die im Folgenden erläutert werden.
Historische Bedingungen
In Folge der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften entwickelte sich das soziale System der Massenmedien sehr viel später als andere soziale Systeme. Das Wirtschaftswesen besitzt eine viel längere Geschichte. Ausgangspunkt hierbei war die Einführung des Mediums Geld, dass den Handel untereinander in größerem Umfang erst ermöglichte.
In Anlehnung an Luhmann werden die Massenmedien für die weiteren Überlegungen definiert sein als „alle Einrichtungen der Gesellschaft, die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Hilfsmittel bedienen.“[12] Zusammengefasst sind das Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, welche durch die Druckpresse hergestellt werden, sowie Funkkommunikation, wie das Fernsehen oder der Rundfunk. Das Internet findet in Luhmanns Überlegungen kein Gewicht, obwohl es zu diesem Zeitpunkt (1996) bereits existierte und sich schnell verbreitete. Auf diesen Aspekt wird später noch einzugehen sein.
Was das Medium Geld für die Ausdifferenzierung des Wirtschaftswesens leistete, erzielte die Entwicklung der Verbreitungstechnologie für die Massenmedien. Für Luhmann beginnt die Ausdifferenzierung mit der Erfindung des Buchdrucks von Gutenberg. Im achtzehnten Jahrhundert wurde diese Erfindung vermehrt für die Vervielfältigung von Literatur verwendet, hingegen immer weniger für die Produktion von so genannter Kampfpresse, wie zum Beispiel Flugblättern. 1812 wurde die Schnellpresse erfunden, 1886 die Hochdruckrotation, welche das Pressewesen grundlegend veränderte. Bereits vor diesen Erfindungen kam es natürlich zu öffentlicher Kommunikation über Themen, zum Beispiel in Form von Theateraufführungen oder Literaturvorlesungen, sowie öffentlichen Diskussionsrunden. Mit der Weiterentwicklung der Verbreitungstechnologie kommt es jedoch, so Luhmann, zu einer entscheidenden qualitativen Veränderung öffentlicher Kommunikation: „Entscheidend ist auf alle Fälle: dass keine Interaktion unter Anwesenden zwischen Sender und Empfängern stattfinden kann.“[13] Die neue Technologie wird zwischengeschaltet. Sender, zum Beispiel die Redaktion einer Zeitung, und Empfänger, der Rezipient im allgemeinen, stehen nicht mehr in unmittelbarem Kontakt zu einander. Für den Sender bleibt der Empfänger unbekannt, allenfalls kann er ihn quantitativ ermessen, beispielsweise über Auflagenzahlen, Einschaltquoten etc. Der Widerhall, das Feedback des Empfängers, beispielsweise über Leserbriefe, fällt zu gering aus, um daraus repräsentativ auf die gesamte Empfängerschaft zu schließen. Das Ergebnis ist eine ständige Kontingenz auf Seiten des Senders, seine von ihm ausgehende Kommunikation geht ins Unbekannte, über ihre Akzeptanz lässt sich nur vermuten.
Jürgen Habermas sieht in der Entstehung der neuen Medien den Auslöser für einen weiteren Strukturwandel der Öffentlichkeit: „Die Distanz zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten geht immer mehr verloren und das einzelne Individuum gerät in den Sog der Masse“, so die Ausführungen Habermas.[14]
Und: „Kultur wird nur noch konsumiert und nicht mehr verarbeitet. (...) Selbst dort, wo noch öffentlich über bestimmte Themen diskutiert wird, geschieht das auf organisiertem und kommerziellen Weg.“[15] Habermas verwendet hierbei den Begriff der Integrationskultur, in der Massenmedien den Einzelnen in die Gesellschaft integriert, bzw. vereinnahmt. So werde politische Beeinflussung der Massen erst möglich. Öffentliche Meinungen könnten nicht mehr entstehen, vielmehr werde die Öffentlichkeit von vorproduzierten „Quasi-Meinungen“[16] der Massenmedien bedient: „Wechselseitige Korrespondenz“[17] zwischen dem, der etwas mitteilt und seinen Publikum entsteht nicht mehr.
Habermas kritische Betrachtungen führen hin zu der Annahme, dass im Laufe dieses Prozesses, der mündige Bürger zu einem unmündigen Kulturkonsumenten wird, der sich in der Masse verliert.
Luhmanns Betrachtungen über die Auswirkungen der neuen Verbreitungstechnologien führen ihn unter anderem zu der Erkenntnis, dass von nun an Kommunikation nicht mehr in Abhängigkeit von der Akzeptanz des Empfängers steht. Die Massenmedien produzieren Kommunikation ständig weiter. Das soziale System entwickelt eine Eigenständigkeit gegenüber seiner Umwelt.
Systemreferenz
Die Systemtheorie Luhmanns beruht auf einer operativ konstruktivistischen Betrachtungsweise der Welt. Die Wahrnehmungssinne gestatten es uns nicht, Realität so zu erfassen, wie sie wirklich ist, allenfalls lassen sich gewonnene Erkenntnisse daran überprüfen, ob sie mit der Welt vereinbar sind, ob sie passen.[18]
So sind soziale Systeme keine in der Natur tatsächlich vorkommenden Gebilde, sondern Beobachterkonstruktionen. Ihre Konstruktion und ihre Akzeptanz ermöglicht Kommunikation. Was hierbei als ein in sich geschlossenes System definiert wird, ist grundsätzlich willkürlich. Es entzieht sich Qualitätsmerkmalen wie wahr/unwahr gänzlich, die Frage ist allein, ob die Konstruktionen für das Zusammenleben, für die Kommunikation der Menschen untereinander nützlich bzw. sinnvoll oder nicht sind.
Wie alle anderen sozialen Systeme auch, ist das System der Massenmedien ein ausdifferenziertes, in sich geschlossenes System. Es ist autopoietisch, das heisst, es schreibt sich selbst fort, hält sich, ohne direkten Einfluss von den anderen Systemen, am „Leben“. Das System arbeit intern mit eigens entwickelten Formen der Kommunikation, die es einzigartig machen und die nicht von anderen System adaptiert werden können. Andersrum hat das System auch keine Möglichkeit mit seiner Art von Kommunikation direkt in ein anderes System einzudringen und Einflüsse geltend zu machen. Die Kommunikation der Massenmedien erfolgt auf dem binären Code der Information und dem dazu gehörigen Antonym der Nichtinformation, welches als Unterscheidung dient und somit die andere Seite, die Information erst sichtbar macht. „Die beiden Pole eines binären Codes bilden (...) Sinngrenzen. Sie markieren die Sinnhorizonte eines Teilsystems.“[19]
Die Abgrenzung des Systems zu seiner Umwelt[20] kann nur das System selbst leisten. Anhand seiner eigenen Kommunikation, die auch Operationen des Systems genannt werden können, setzt es die Systemgrenze fest. Eine Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz produziert genau diese Grenze. Die Unterscheidung wird ständig erneuert, somit wird auch die Grenze fortwährend reproduziert. Hiermit ist die eigentliche Autopoiesis des Systems gemeint. Die Fremdreferenz des Systems der Massenmedien meint die Beobachtung der Umwelt. Nur über die Selbstreferenz, dem sich Selbstbeobachten, bzw. dem „sich ständig Bewusstwerden, was einen selbst ausmacht“ kann diese Fremdbeobachtung als eine Unterscheidung sichtbar werden. „Die Differenz von System und Umwelt wird in das System hineinkopiert“[21] (re-entry der Unterscheidung in das System), intern zu weiterer Kommunikation verarbeitet. Der Prozess ist ein ständiges Sich-Bewußtwerden für das System darüber, was es ist bzw. was es eben nicht ist.[22]
Die produzierten Kommunikationen des Systems Massenmedien beinhalten die Auffassung der Massenmedien von Realität. Diese Auffassung wird in vielfältiger Art und Weise in die Gesellschaft getragen. Es stellt sich für Luhmann nicht die Frage, inwieweit Massenmedien Realität verzerren oder manipulieren, sondern inwiefern sie Realität konstruieren, basierend auf ihrer Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz. Massenmedien beobachten, in Form von Fremdreferenz die Gesellschaft und verbreiten ihre Erkenntnisse. Der zitierte Vorwurf aus der Einleitung von dem ehemaligen Kanzler Schmidt, dass Massenmedien ein falsches Bild von der Realität suggerieren, mag möglicherweise zutreffend sein. Aber er ist nicht weiter verwendbar, nicht einmal beweisbar. Um diese These zu überprüfen, müssten wir als Beobachter die Möglichkeit haben, die objektive Realität wahrnehmen zu können, um sie schließlich mit der von den Massenmedien angebotenen Version zu vergleichen. Die Frage, die sich hierbei stellt ist: Was wissen wir über unsere Gesellschaft, über unsere Welt, der Realität in der wir leben? Luhmann, um das erste Zitat aus der Einleitung wieder aufzugreifen, sagt, dass wir fast alles Wissen über diese Realität aus den Massenmedien besitzen. Es ist beispielsweise schwierig den Massenmedien vorzuwerfen, sie würden zuwenig, bzw. verharmlosend über die Folgen von Umweltzerstörung berichten, wenn wir mit diesem Thema, bis auf Berichte aus den Massenmedien, gar nicht in Berührung stehen. Der Verdacht, dass Medien manipulieren, bleibt dennoch im Raum stehen, aber nicht mehr. Er ist folgenlos, weil er uns nicht weiterführt: „Man wird alles Wissen mit dem Vorzeichen des Bezweifelbaren versehen - und trotzdem darauf aufbauen, daran anschließen müssen.“[23]
Niklas Luhmann findet hier in seinem Buch ein sehr treffendes Beispiel: So wurde während des Golfkrieges 1991 von den Medien selbst, das politische System der Vereinigten Staaten dafür kritisiert, dass sie das Bildmaterial über den Krieg scheinbar stark zensiert an die Presse weitergeben würden. Es fiel vor allem auf, dass nur die technische Seite des Krieges, die Zerstörung von Raketenabschussvorrichtungen, Fahrzeugen und Ähnlichem, illustriert wurde, nicht aber die zivilen Opfer gezeigt wurden. Die Überlegung der Medien beruhte allerdings damit auf der selbst entworfenen Vorstellung, wie ein Krieg auszusehen habe.[24]
Kommunikation
Der Anspruch, den sich die Massenmedien oftmals zuschreiben, nämlich die Realität darzustellen, scheint nach Luhmanns Theorie weder beweisbar noch widerlegbar. Dieser Anspruch, der oftmals kritisiert wird, beschreibt auch nicht die entscheidende Funktion der Medien für die Gesamtgesellschaft. Entscheidend für die Massenmedien ist es, an die eigenen vorhandenen Informationen immer wieder neue Operationen anzuschließen, mit denen es arbeiten kann. Nur eine ständige Fortführung der eigenen Kommunikation garantiert hierbei das Fortbestehen des sozialen Systems, denn wie bereits angedeutet, ist das System eine reine Konstruktion, es besteht nicht aus Menschen oder Gegenständen, sondern einzig und allein aus seinen spezifischen Operationen. Hören diese auf, so hört auch das System auf zu existieren. Kommunikationen sind Operationen, im Falle der Massenmedien jedoch noch mehr. Die einfache Weiterleitung von Mitteilungen reicht nicht aus, um diese als Kommunikation zu definieren. Es muss stets ein Empfänger, wie unbestimmt dieser aufgrund der zwischengeschalteten Technik auch immer sein mag, vorhanden sein. Die Kommunikation verläuft sonst ins Leere Die produzierten Operationen werden öffentlich verbreitet um dort weiter geführt, als Themen wahrgenommen zu werden. Kommunikation setzt sich also immer aus dem Mitteilen und Verstehen einer Information zusammen.
Wie bereits erwähnt zeichnet sich massenmediale Kommunikation im Gegensatz zur Kommunikation anderer sozialer Systeme durch den binären Code Information/Nichtinformation aus.[25] Der positive Wert, die Information, bietet die Möglichkeit, an ihm weitere Operationen anzuschließen. „Aber um die Freiheit zu haben, etwas als Information zu erkennen, muss es auch die Möglichkeit geben, etwas für nichtinformativ zu halten. Ohne einem solchen Reflexionswert wäre das System allem, was kommt, ausgeliefert, (...) es könnte keine Reduktion von Komplexität, keine eigene Selektion organisieren.“[26] Diesen Reflexionswert nennt Luhmann die Nichtinformation.
Alle Systeme sind damit beschäftigt Umwelteinflüsse selektiv aufzunehmen und zu verarbeiten. Besonders die Massenmedien, die bekanntermaßen Informationen aus vielen Lebensbereichen aufnehmen, stehen unter einem ständigen Zwang zu Reduktion von Komplexität. Was von Ihnen als überflüssig, als irrelevant, als Nichtinformation erkannt wird, findet keinen weiteren operativen Anschluss in den Kommunikationsprozessen. Themengebiete, die die Massenmedien so durch ihr Raster fallen lassen, finden dementsprechend auch keine Möglichkeit, in die öffentliche Kommunikation einzudringen. Trotz einer unüberschaubaren Komplexität von Informationen in der Umwelt und einer ständigen Reduktion derselben in den Massenmedien, bleibt der Bedarf nach weiteren Informationen stets ungedeckt. Hierfür ist der Faktor Zeit verantwortlich, er spielt in die Prozesse mit ein. Sobald eine Information von den Medien aufgenommen und mithilfe der technischen Verbreitungsmöglichkeiten verstreut wurde, gilt sie als veraltet. Das System deaktualisiert fortwährend Informationen, transformiert sie zu Nichtinformationen um. Sobald eine Nachricht in der Öffentlichkeit als bekannt gilt, was bei einer flächendeckenden Verbreitung vorausgesetzt werden kann, wird sie nicht weiter kommuniziert, es lassen sich nur weitere Informationen an sie anschließen. Luhmann erwähnt als Ausnahme die Werbung, die ebenfalls dem sozialen System der Massenmedien zuzuordnen ist, aber dennoch auf Wiederholungen setzt.[27] Diese Eigenart soll hier allerdings nicht weiter erläutert werden. Die von Massenmedien vermittelten Informationen sind keineswegs konsenspflichtig, im Gegenteil, es zeigt sich, dass sie sich intern oftmals einander widersprechen, beurteilen und gegenüberstellen. Somit wird keineswegs ein einheitliches Realitätsbild nach Außen getragen, sondern Verschiedene, welche sich ihren Rezipientenkreis suchen.[28]
Die Verabschiedung vom Konsensgedanken ermöglicht es den einzelnen Bereichen der Massenmedien, jede Art von Information für relevant zu erklären und zu verbreiten. Eine Gegenmeinung kann als Gegenmeinung erscheinen, niemals aber den bezweifelten Informationsgehalt einer Information tatsächlich in Frage stellen, da alles auf einer Konstruktion von Realität und den darin enthaltenen relevanten Themen beruht.[29] Es ist erstaunlich, dass Zeitungen nicht nur dann gedruckt werden, wenn es zu genügend Ereignissen kommt, die berichtenswert sind, sondern täglich und in einem stets gleich bleibenden Umfang. Die unterschiedliche Auswahl scheinbar relevanter Informationen in den verschiedenen Medien erzeugt in der Öffentlichkeit allenfalls Irritation, die jedoch, wie der ständig immanente Manipulationsverdacht, folgenlos bleiben muss, was die weiteren Operationen innerhalb des Systems betrifft.
Strukturelle Kopplungen
Soziale Systeme, das heisst autopoietische Systeme, zeichnen sich durch ihre Eigenständigkeit aus. Nur Systeme können handeln und zwar im Sinne ihrer eigenen Logik, ihrer binären Codes. Mit ihm bilden sich die Sinngrenzen des Systems, „der den dortigen Akteuren vorgibt, um was es geht, so dass etwa ein Fußballspieler während eines Spiels weiß, dass er sich darum bemühen muss, die gegnerische Mannschaft zu besiegen – und nicht etwa religiös zu missionieren oder politisch zu agitieren.“[30]
Der Fußballspieler, das ist im sozialen System der Massenmedien der Redakteur, der Moderator, der Werbemacher oder der Nachrichtenjournalist. Sie alle agieren im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, sie kommunizieren mit Informationen. Diese verbreiten sie in die Öffentlichkeit, ohne genau in dem Augenblick, in dem sie es verbreiten, wissen zu können, ob sie damit auf Akzeptanz stoßen. Sie bedienen sich in ihrer Vorgehensweise einem konstruierten Bild von Realität, an dem sie eine Neuigkeit auf ihren Informationsgehalt überprüfen können. Neue Informationen werden verbreitet und somit deaktualisiert, von nun als bekannt vorausgesetzt. An Informationen, die auch Operationen sind, schließen sich neue Informationen an, so entstehen Themenkomplexe, die je nach Relevanz unterschiedlich groß aufgemacht und von bestimmter Dauer weiter kommuniziert werden. Inwiefern Wahrheit oder Nichtwahrheit von Neuigkeiten hierbei entscheidend ist, soll an späterer Stelle verdeutlicht werden. Es zeigt sich bereits, dass die Massenmedien somit einen stetigen Bedarf nach Neuigkeiten aufweisen, der einerseits von ihnen selber erbracht wird,[31] meistens jedoch durch andere soziale Systeme. Die Wissenschaft findet beispielsweise immer dann Einzug in die Kommunikation der Massenmedien, wenn eine neue Erfindung, möglicherweise ein neues medizinisches Heilverfahren entwickelt wurde, von dem die Massenmedien annehmen, dass es auf öffentliches Interesse, sprich öffentliche Akzeptanz stoßen würde. Die Aufbereitung der Themen, egal ob Sportergebnisse, neue Gesetzesänderungen innerhalb des Rechtssystems, Wirtschaftsdaten aus dem Wirtschaftssystem usw. wird alleine von den Massenmedien selbst gestaltet. Sie nehmen Veränderungen wahr, das heisst, sie beobachten Veränderungen und/oder Neuigkeiten, und kommunizieren darüber innerhalb ihrer Sinngrenzen. Die Systeme, aus denen die Neuigkeiten ursprünglich stammen, haben nicht die Möglichkeit, sie nach ihrem Willen in den Massenmedien zu positionieren, dagegen spricht das Prinzip der selbstreferentiellen Geschlossenheit der Teilsysteme. Andererseits können die Massenmedien auch nicht mit ihrer Logik in andere Systeme eingreifen und sie nach Belieben steuern. Die Wissenschaft kann in der Forschung beispielsweise nicht nur danach gehen, ob eine Entdeckung eine Neuigkeit von öffentlichem Interesse ist. Sie muss vor allem sicherstellen, dass sie wahr bzw. unwahr ist. Untereinander erzeugen die Systeme somit nur Irritationen, teilweise jedoch mit erheblichen strukturellen Effekten.
Die sich auch in Deutschland immer weiter entwickelnde Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, Verbänden, Kirchen, Bürgerbewegungen usw. ist ein Beleg für diese Irritationen. Agenda Setting bedeutet die bewusste Einführung von Themen in die öffentliche Kommunikation, wie sie heutzutage nur über die Massenmedien funktionieren kann. Ein Umweltschutzunternehmen wie Greenpeace investierte bereits 1991 17% seiner Einnahmen die Öffentlichkeitsarbeit.[32] Die interne Pressestelle erstellt und pflegt vordergründig Kontakte zu massenmedialen Einrichtungen, wie Redaktionen. Tritt hier eine für die Massenmedien, oder zumindest für einen Teil der Massenmedien, relevante Information auf, so ist sie deshalb relevant, weil sie auf öffentliches Interesse stoßen könnte und nicht weil es für die Massenmedien wichtig ist, dass die Öffentlichkeit vor den Folgen des Waldsterbens gewarnt werden müsse. Diese Intention steht außerhalb der Logik des Systems. In dem von Bentele beschriebenen Intereffikationsmodell finden zwischen den Öffentlichkeitsarbeitern der verschiedenen Gruppen aus allen möglichen Teilsystemen und den Massenmedien Austauschbeziehungen statt.[33] Diese beruhen auf Induktion und Adaption, was bedeutet, das sowohl die Öffentlichkeitsarbeit ihren Einfluss in den Medien findet wie auch umgekehrt. Die Medien vermitteln hierbei ein begrenztes Gut: die öffentliche Aufmerksamkeit. Um dieses auf sich zu lenken, bedarf es der Anpassung von Neuigkeiten nach den massenmedialen Standards. So müssen bereits die Pressestellen eine Nachricht so zu präsentieren verstehen, dass sie eine Chance darauf hat, von den Medien für berichtenswert gehalten zu werden. Die erste Selektion von Information findet somit oftmals schon außerhalb des Systems der Massenmedien statt. Dieses Anpassungsverhalten nennt sich Adaption: „PR-Praktiker sind (...) gezwungen sich an zeitliche Routinen des Journalismus anzupassen oder sich bei der Selektionsentscheidung der dem Mediensystem zu präsentierenden Themen an Nachrichtenfaktoren wie Aktualität, Relevanz, Prominenz etc. also an der Medienlogik zu orientieren, wollen sie erfolgreich sein.“[34]
Interessanterweise greift Bentele, wie auch viele seiner Kollegen[35], auf Luhmanns Vokabular zurück, um die wechselseitigen Austauschbeziehungen zwischen Medien und Parteien, Verbänden, Unternehmen etc. zu beschreiben. So nennt er die komplexe Interaktion zwischen den zwei Gruppen und ihren Akteuren eine gezielte strukturelle Kopplung.
Die Tatsache, dass möglicherweise für gewisse Teilgruppen der Gesellschaft wichtige Informationen nicht öffentlich verbreitet werden, weil sie, innerhalb der konstruierten Realität der Massenmedien und der danach ausgerichteten Themenrelevanz für nicht berichtenswert erscheinen, liegt auf der Hand. Ebenso ist es plausibel, dass große Unternehmen mit professioneller PR-Abteilung ihre Themen erfolgreicher in den Medien platzieren können, als Privatpersonen oder Bürgerrechtsbewegungen, die ohne nennenswerte finanzielle Unterstützung auskommen müssen.
Strukturelle Kopplungen, auch „operative Kopplungen“[36] genannt, führen so zu einer Koevolution der Systeme, die zwar ihre Eigenständigkeit bewahren, aber keineswegs unbeeinflussbar durch Irritationen anderer Systeme sind. Besonders augenscheinlich zeigt sich die Koevolution zwischen den Massenmedien und dem politischen System. Meldungen in den Medien erfordern zumeinst eine Reaktion im politischen System, die im Regelfalle als Kommentierung in den Medien wiedererscheint.
Der bereits erwähnte Anpassungsdruck erreicht in der Politik auch die Parteien und Politiker in ihrer Selbstdarstellung, so schreibt Peter v. Zima: „Internationale Politik wird durchgehend personalisiert, privatisiert und vorwiegend anekdotisch erfasst: Gorbi sitzt mit Reagan („Hi Ron“) am offenen Kamin im Weißen Haus und zeigt, dass er im Gegensatz zu Gromyko („grim Grom“) oder Breschnew kein sturer Apparatschik ist.“[37]
Weitgehend haben deshalb dieselben Kommunikationen zugleich eine politische und eine massenmediale Relevanz.“[38] Diese Relevanz, die Luhmann auch in dem wechselseitigen Verhältnis zu anderen System sieht, begründet sich darauf, dass eben diese Kommunikationen ständig neue Kommunikationen innerhalb der Systeme hervorrufen, damit ihr Weiterbestehen garantieren. Verschiedene Seiten tragen verschiedene Aspekte zu gleichen Kommunikationen bei, die Folgen des dadurch (wie bereits angeführt) nicht mehr aufrecht zu erhaltenen Konsensanspruches beschreibt Luhmann folgendermaßen: „Angesichts der Komplexität der Themen und Beiträge versagt auch die Zurechnung von Meinungsverschiedenheiten auf fest vorgegebene Strukturen, etwa Schichtung oder ideologische Parteiungen. Wir lernen nur, das Beobachten zu beobachten und bei zu erwartenden Divergenzen den Konflikt selbst als Realität zu erleben.“ Daraus, so Luhmann ergibt sich: „Je mehr Information, desto größer die Unsicherheit und desto größer auch die Versuchung, eine eigene Meinung zu behaupten, sich mit ihr zu identifizieren und es dabei zu belassen.“[39]
2. Realitätskonstruktion der Massenmedien
„Ich glaube nicht, dass Wahrheit das zentrale Moment der Medien sein kann.“
-Niklas Luhmann
Der Abschnitt über Systemreferenz erklärte bereits die Annahme, dass Realität konstruiert wird, insofern, dass nur eine Annahme von einer Existenz der Welt da draußen Handeln überhaupt möglich macht. Es muss ferner davon ausgegangen werden, dass diese Realität aufgrund ihrer eigenen Komplexität und Unerreichbarkeit nicht ohne theoretische Vermutungen erkannt werden kann. Die Beobachtungskonstruktion erschafft die sozialen Systeme, die es ermöglicht, die Welt gewissermaßen zu ordnen, um so mit ihr umzugehen. Dabei ist die Konstruktion von sozialen Systemen nur ein mögliches Wirklichkeitsmodell, dass sich für weitere Überlegungen anbietet. So schreibt Schulze: „Es gibt kein allgemeinverbindliches Wirklichkeitsmodell in unserer Gesellschaft.“ Und: „Erfahrungen werden mit unterschiedlichen Kategorien erfasst, so dass selbst dann, wenn der Input an Wirklichkeit bei verschiedenen Menschen identisch ist, partiell unterschiedliche Wirklichkeitsmodelle herauskommen können.“[40]
3.1 Realitätsverdopplung
Geht man nach der konstruktivistischen Systemtheorie, lässt sich aussenstehend eine bestimmte Realität der Massenmedien beobachten: Das System operiert, es wird gedruckt, gefunkt, gelesen und empfangen: „Zahllose Kommunikationen der Vorbereitung und des Nachher-darüber-Redens umranken dieses Geschehen.“[41] Die im Abschnitt 2.1 vorgestellten Bedingungen erklären diesen allmählichen Aufbau realer Vorgänge.
Darüber hinaus entwickelt sich noch eine andere Realität, eine von den Massenmedien selbsterzeugte. Da die Massenmedien sich nicht einfach für die Wahrheit halten können, müssen sie, so folgert Luhmann, Realität konstruieren. Welche Informationen diese Konstruktion ausmachen, ist nahezu unmöglich zu bestimmen, da es sich vor allem um veraltete Informationen handelt, auf denen dann weitere Kommunikationen aufgebaut wurden. Die ständige Deaktualisierung von Informationen macht einen Zugriff auf frühere Informationen nur sehr beschränkt möglich, so dass viele Annahmen über die Realität aus Informationen resultieren, die wir kaum noch auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können. Daraus erklärt sich auch der oben genannte Ausspruch Luhmanns über die Wahrheit im System der Massenmedien. Der eigenen Logik folgend müssen, verarbeiten sie Operationen nach dem binären Code von Information und Nichtinformation. Die Wahrheitsfrage tritt, so Luhmann, erst an zweiter Stelle auf. Für die Massenmedien ist es bis zu einem gewissen Grad denn auch unerheblich[42], ob die von ihnen verbreiteten Informationen wahr oder nichtwahr sind, es kommt darauf an, dass es überhaupt Informationen sind, an denen sich weitere Kommunikation anschließen kann (sprich: die auf öffentliche Akzeptanz stoßen). Eine Information kann so innerhalb der Massenmedien nach einem bestimmten Schema auf ihr Gehalt hin überprüft werden[43]: zuerst einmal stellt sich die Frage, ob die Information neu ist, nach Luhmann also, ob sie überhaupt noch Information und nicht schon Nichtinformation ist. Idealerweise lassen sich die singulären neuen Informationen in einen Bezugsrahmen, eine Vorgeschichte stellen, so dass in der Berichtserstattung auf frühere Kommunikationen zurückgegriffen werden kann. (Die veralteten Informationen sind keineswegs nicht mehr vorhanden, nur weil sie nicht ständig präsentiert werden, darüber jedoch mehr im nächsten Abschnitt.)
Bevorzugt werden vor allem Konflikte: „Konflikte haben als Themen den Vorteil, auf eine selbsterzeugte Ungewissheit anzuspielen. (...) Das erzeugt Spannung...“[44]
Themen, in denen mit Statistiken gearbeitet werden kann, sind ebenfalls in den Medien beliebte Sachverhalte. Statistiken sind eine wirksame Unterstützung der eigenen Ansichten, da sich mit Zahlen und Tabellen nahezu alles nachweisen lässt.[45]
Wichtig ist auch der lokale Bezug einer Information. So ist die Ermordung eines deutschen Politikers eine in Deutschland sehr viel geschätztere Information, als die über einen ermordeten indischen Politiker (sofern er nicht gerade in Deutschland umgebracht wurde). Was zynisch klingt, ist in Wahrheit die einzige Möglichkeit der Medien, die sich bietende überkomplexe Realität auf ein überschaubares Maß zu reduzieren.
Eine besondere Gewichtung in der Informationsselektion nehmen Normverstöße wahr. Werden diese in einem entsprechenden Rahmen aufbereitet, sind weitere Kommunikationen über dieses Thema, welche eben auch in den Massenmedien geführt werden, garantiert. In dem späteren Abschnitt über Moral wird dieser Aspekt noch verdeutlicht, ebenso auch in dem am Ende der Hausarbeit behandelten Beispiel.
Ein weiterer entscheidender Grund für die Aufnahme einer Information in die Kommunikation der Massenmedien ergibt sich aus dem Vorhandensein von so genannten fertigen Rubriken und Schablonen, die täglich gefüllt werden müssen, so Luhmann. So gibt es in vielen Zeitungen täglich eine Meinungsseite, die auch dann gefüllt wird, wenn es möglicherweise kaum etwas Interessantes zu kommentieren gibt.
Alle diese Faktoren wirken maßgeblich an der Konstruktion von Realität mit. So erscheint uns die Welt, durch die Augen der Massenmedien betrachtet[46], als eine Welt voller Konflikte, Katastrophen, ständiger Überraschungen und Veränderungen. Zu nahezu jedem Sachverhalt treffen unterschiedliche Meinungen aufeinander, die einen ständig Dissens über die verschiedensten Themen innerhalb der Öffentlichkeit vermuten lassen. Die Gegenbegriffe dazu: Kontinuität, Konsens, Wiederholungen und Einvernehmen stehen in der Betrachtungsweise zurück.
3.2 Soziales Gedächtnis
Informationen schließen sich in Themen zusammen. Diese bilden den Überbau, die Kategorien, mit denen sich eine Orientierung finden lässt. Wie bereits erläutert, liegt es im Sinne des Systems an alten, also deaktualisierten Informationen, neue Informationen anzuschließen, um den Kommunikationsprozess ständig aufrecht zu erhalten. Doch wie alle Systeme, sowohl soziale als auch psychische, kann das System der Massenmedien eine gewisse Kapazität nicht überschreiten. Es kann nicht unbegrenzt Informationen aufnehmen, in die Kommunikation einbeziehen und schließlich, um es abstrakt zu formulieren, „lagern“.
Das wirtschaftliche System beispielsweise besitzt nicht die Kapazitäten um sich ständig darüber bewusst zu sein, woher jegliche Geldmengen stammen. Das Geld zirkuliert durch viele Bereiche, die nach und nach vergessen werden. Bei den Massenmedien ist die Menge der Informationen, mit denen es zu arbeiten hat, noch ungleich größer.
So muss das System vor allem zu einem fähig sein, um freie Kapazitäten zu schaffen: es muss vergessen können. Diese Funktion übernimmt, so Luhmann, das soziale Gedächtnis des Systems. Vergessen bedeutet jedoch nicht Auslöschen aller früheren Informationen, denn das würde bedeuten, dass wir ständig wieder am Anfang stehen würden. Vielmehr greift das System auf Schemata zurück, die eine bestimmte Art und Weise vom Aufgreifen von Informationen möglich machen. Schemata bilden sich infolge von Konfirmierungen und Generalisierungen. Somit erhalten „Objekte“ in der Natur einen Eigenwert, so über sie kommuniziert wird. Tritt das Objekt zu einem späteren Zeitpunkt erneut in der medialen Kommunikation auf, lässt sich dieser Eigenwert durch das soziale Gedächtnis wieder abrufen, ohne dass möglicherweise noch für jeden klar wäre, warum das Objekt diesen Eigenwert besäße (da hier ein notwendiges Vergessen der damaligen Kommunikation über das Objekt stattgefunden hat.) Es findet hierbei eine „Selbstprüfung auf Wiedererkennbarkeit“ eines Sachverhaltes systemintern statt: „Gedächtnis konstruiert Wiederholungen, also Redundanz, mit fortgesetzter Offenheit für Aktuelles (...)“[47] Die Konstruktion, von der Luhmann spricht, ist das eigentlich Schema. Ein Schema über ein Objekt ist niemals ein Abbild des Objektes, sondern vielmehr eine Beschreibung, die es ermöglicht, das Objekt zu bestimmen, mit ihm zu arbeiten.[48] Gerade durch Schemata, in denen sich alles generalisiert wieder finden lassen soll, zeichnen sich Abweichungen und Diskontinuitäten so deutlich ab. So fällt die Abweichung, der Einzelfall, auf und prägt sich dem Gedächtnis ein.[49]
Der Nutzen, auf Schemata zurückgreifen zu können, zeigt sich besonders deutlich bei der Betrachtung individueller Schemata. Liest ein Mensch beispielsweise in der Zeitung von einem Raubmord, so ist er sich darüber im Klaren, dass er dieses Verhalten ablehnt, ohne darüber weiter nachdenken zu müssen, auch ohne zu verlangen, dass die Zeitung in ihrem Bericht noch einmal für ihre Leser klarstellt, dass eine solche Tat zu bestrafen sei. Ohne sich ausgiebig mit moralischen Werten oder den Regeln für das Miteinanderleben zu beschäftigen, greift man unbewusst auf Schemata zurück, die einem eine Zuordnung dieser Problematik ermöglichen. Dazu müssen nicht erst alte Informationen wieder hervorgerufen werden, durch welche sich diese Schemata begründen ließen. Flexibler Umgang mit seiner Umwelt, und das betrifft genauso die Massenmedien wie auch das Individuum, wird durch Schemata erst ermöglicht. Diese Schemata legen nicht das Verhalten und die Handlung der Personen fest. So können „neue Situation die bestehenden Schemata (modifizieren)...“[50]
Dennoch: Soziale Sachverhalte sind meistens sehr komplex. Zu komplex, um sie durch Schemata genau erklären zu können. So greift das System der Massenmedien ständig auf Vereinfachungen von Sachverhalten zurück, nicht etwa um die Öffentlichkeit zu manipulieren oder ähnliches, sondern um Flexibilität im Umgang mit Informationen zu bewahren. Das unter dem nächsten Kapitel behandelte Beispiel soll diesen Aspekt zusätzlich veranschaulichen.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das soziale Gedächtnis vor allem mit dem Vergessen von Details, anstatt dem Erinnern beschäftigt ist. Es greift auf Schemata zurück, an denen sich Ereignisse anhand ihrer Abweichungen von dem Normalen überprüfen lassen, was mit einer stark vereinfachenden Abbildung der Realität einhergeht. Was hierbei nach Kapitulation des Systems gegenüber der Komplexität der Umwelt klingt, ist in Wahrheit seine größte Leistung: Gegenüber dem wissenschaftlichen System versteht es das System der Massenmedien vor allem, Wissen zu kommunizieren und dies anderen Systemen auch verständlich näher zu bringen.[51]
Nach Luhmann beschreibt das von den Massenmedien bereitgestellte soziale Gedächtnis die Grundlage der gesellschaftlichen Kommunikation. Oder um es noch einmal mit Luhmanns Worten zu verdeutlichen: „Alles, was wir von der Gesellschaft und ihrer Welt wissen, wissen wir fast ausschließlich durch die Massenmedien.“
Die Reduktion von Informationen, die in die Kommunikation miteinfließen, ist somit nur der erste Schritt, die Realitätskonstruktion anders werden zu lassen, als es die reale Realität ist. Für relevant befundene Informationen werden aufgrund von Schemata bewertet, die keineswegs die komplexen sozialen Sachverhalte, die hinter den Objekten stehen, vollständig und somit auch wahrheitsgetreu erfassen. Die öffentliche Kommunikation wird so von Schemata gelenkt werden, die auf ihre Richtigkeit hin nicht überprüft werden können. So sind es oftmals die einfachen, populistischen Ansichten, die sich in der Kommunikation durchsetzen, da es anderen System, zum Beispiel der Wissenschaft nicht möglich ist, ihre überkomplexen, möglicherweise jedoch nützlicheren Ansichten in die Kommunikation miteinzubeziehen.[52]
Die Beobachtung der Gesellschaft von der Welt findet nicht über die Wissenschaft als solche statt, sondern über die Massenmedien. Sie beobachten für die Gesellschaft und vermitteln ihre Beobachtungen in Form von Informationen, aus denen sich Kommunikation ergibt: „Die Realität der Massenmedien, das ist die Realität der Beobachtung zweiter Ordnung. Sie ersetzt die Wissensvorgaben, die in anderen Gesellschaftsformationen durch ausgezeichnete Beobachtungsplätze bereitgestellt wurden: durch die Weisen, die Priester, den Adel, die Stadt, durch Religion oder durch politisch-ethisch ausgezeichnete Lebensformen.“[53] Diese Beobachtung ist, wie bereits erläutert, oftmals in sich widersprüchlich, und dennoch: sie ist ohne Alternative für den Einzelnen, sofern er sich nicht sozial isolieren will.
3.3 Moral durch Pathologien
Betrachtet man Studien zur Selbstbeschreibung von Journalisten, so gibt es ein paar Ziele, denen sich nahezu alle Journalisten verschrieben haben. Es ist einmal das Ziel, komplexe Sachverhalte zu erklären und zu vermitteln, dabei das Publikum möglichst neutral und präzise zu informieren. Ferner möchten Journalisten ihr Publikum möglichst schnell über das Geschehen informieren und ebenfalls möchten sie Kritik an Missständen üben. Diese Ziele glauben die meisten Journalisten auch zu erreichen, so die Auswertung ihrer Selbstbeschreibungen.[54] Die oft zitierte Idee von den Medien als eine vierte Gewalt in der Demokratie aufzutreten, trifft auf eine relativ große Akzeptanz der Medienleute selbst.
Moralische Bewertungen finden dementsprechend auch Einzug in die Berichterstattung, oftmals in Kommentaren. Auslöser dafür sind meist Normverstöße, über die bereits berichtet wurde. Luhmann schreibt dazu: „Wenn ein Thema moralisiert wird, gewinnt man den Eindruck, dass das Thema dies nötig hat, weil die reale Realität anders ist.“[55]
Allerdings schreibt Luhmann den Medien die Möglichkeiten ab, die sie sich scheinbar selbst zugestehen. Er glaubt nicht, dass die Medien dazu imstande sind, ethische Grundsätze zu fixieren, oder ein Mehr an öffentlicher Moral zu erzeugen. Diese Macht besäße, so Luhmann, keine Instanz in der modernen Gesellschaft, weder die Medien, noch die Politik, noch „der Papst“. Man kann an den vorgeführten Fällen allenfalls vorführen, dass moralische Kriterien sinnvoll sind und dass unmoralisches Verhalten dementsprechend nicht folgenlos bleiben darf. Die Festlegungen für die Kriterien seien allerdings dem Rechtssystem vorbehalten. Warum sich die Medien dennoch mit Moral beschäftigen ist eine Folge der funktionalen Ausdifferenzierung des Systems.
Die Normverstöße besitzen, sofern sie nach den Maßstäben der Journalisten spektakulär genug sind, ein gewisses Irritationspotential. Sie dringen in das öffentliche Bewusstsein hinein und verstören unser Moralempfinden. Sie werden von den Medien folglich als Probleme, oft genug als Gesellschaftsprobleme, präsentiert. Für Probleme müssen Lösungen gefunden werden, so dass die Information über ein Problem sehr wahrscheinlich in Kommunikationen weitergeführt wird, nämlich darüber, wie man Lösungen für das Problem finden könnte.
Auftretende Pathologien, und das sind Krisen, Skandale und Diskontinuitäten in der Regel, werden so mit ihrer Gegenseite, der Moral, dem „wie es eigentlich sein sollte“, konfrontiert. Es steht außer Frage, dass diese Kommunikationen über Moral von Nutzem sein können. So kann sich die Gesellschaft öffentlich darüber bewusst werden, was sie für moralisch und ethisch sinnvoll hält, welche Werte und Normen es zu bewahren oder zu beschützen gilt. Besonders interessant für die Massenmedien sind Diskussionen über moralische Vorstellungen, die keineswegs von der Gesamtheit akzeptiert werden, zum Beispiel, wie man mit dem Recht auf Abtreibung umgehen sollte. An solchen polarisierenden Themen lassen sich breit angelegte Kommunikationen anschließen, die meist auf reges öffentliches Interesse stoßen.
Keineswegs können die Medien mit dieser ständigen „Verjüngung“ moralischer Ansichten durch besonders spektakuläre Einzelfälle jedoch moralische Standards verfestigen oder sie auf irgendeine subtile Art und Weise lenken. Dafür müssten sich die Empfänger der Informationen, die Rezipienten sehr genau mit den Skandalen befassen, daran ihr eigenes Handeln reflektieren, um so eigene Handlungen auf moralische Normen hin zu überprüfen. Die Rezipienten bleiben jedoch stets nur Beobachter.
Auch zu diesen Ausführungen eignet sich das im Anschluss an dieses Kapitel behandelte Beispiel. Um einer Vollständigkeit der Betrachtungen Luhmanns über das System der Massenmedien entgegenzukommen, hätte es hier noch weiterer Ausführungen bedurft, zum Beispiel: die aktive Rolle des Systems an der Herausbildung der Identität des Individuums, sowie die Beiträge der Medien zum Kulturverständnis der Öffentlichkeit. Die Hausarbeit ist jedoch nicht mit der Absicht verfasst worden, ein Gesamtbild zu Luhmanns Überlegungen zu erstellen, sondern viel mehr einen roten Faden zu verfolgen, nämlich inwiefern Realitätskonstruktion über Massenmedien erfolgt und zu welchem Zweck. Die Überlegungen, insbesondere zu den Themen über Schematabildung, Normverstößen und ihren Folgekommunikationen, die über den Begriff Moral funktionieren, sowie den Auswahlverfahren von Informationen durch die Massenmedien, lassen sich an dem folgenden Beispiel darstellen.
4. Die Geburt eines Klonbabys - und einer Nachricht
„The world’s first human clone baby is born!“
-Pressemitteilung der Firma Clonaid™, vom 27.12.2002
„Je kürzer die Zeitspanne zwischen Ereignis und Nachricht, je öfter Bilder aus den Krisenregionen der Welt live im Fernsehen zu sehen sind, desto mehr wird die öffentliche (medial vermittelte) Wahrnehmung Bestandteil der internationalen Beziehungen.“ Was die Journalistin Juliane von Mittelstedt[56] in einem Artikel über die mediale Beeinflussung der Außenpolitik als den so genannten „CNN-Effekt“ erkennt, lässt sich auf weite Teile der modernen Berichterstattung verallgemeinern. Eine möglichst schnelle Aufbereitung von Themen zeichnet die Massenmedien aus.
Anhand des nun folgenden Beispiels sollen die Strukturen und Folgen medialer Inszenierung verdeutlicht werden. Das ausgewählte Thema bietet sich an, da es gut einzugrenzen ist, was die Aufbereitung in den Medien angeht.
4.1 Vorgeschichte
In einer weltweit versendeten Pressemitteilung vom 27.12.2002[57] verkündet die Firma Clonaid™, dass es am 26.12.2002 zu ersten komplikationsfreien Geburt eines menschlichen Klonbabys gekommen sei, dessen Name Eve sei und dessen Geburtsort noch geheim gehalten werde: „All tests so far show, that the baby is healthy“, heisst es weiter. „Clonaid™ will provide the world with proof of its achievement. An independent expert will certify that the clone is indeed a clone of the cell donor who is a woman in her thirties.” Im Folgenden wird erklärt, dass mit der Möglichwerden des Klonens nun auch HIV-positive Menschen Nachfahren zeugen können, ohne, dass sich dabei das AIDS Virus mit überträgt. Im Weiteren wird den namentlich nicht weiter erwähnten Forschern aus dem Team von Clonaid™ für ihre unermüdliche Arbeit gedankt, die diesen entscheidenden Schritt in der Geschichte der Wissenschaft möglich machten. Am Schluss, nicht unwichtig: „Our deepest thanks go to Rael, Clonaid`s™ founder, whose vision inspired us all the way along the venture.”
Mit Erscheinen der Pressemitteilung wurden auch Journalisten aus aller Welt zu einer Pressekonferenz der Firma Clonaid™ in Florida, USA eingeladen. Die Pressekonferenz wurde von der Chefin des Unternehmens, Brigitte Boisselier, geleitet. Von den Nachrichtenagenturen, die unter anderem den deutschen Pressemarkt beliefern, waren Mitarbeiter der dpa und der AFP zugegen.
Bereits am Samstag, den 28.12.2003 berichteten viele deutsche Zeitungen[58] über die mögliche Geburt des Klonbabys unbekannter Herkunft. Die meisten Berichte waren auf der Titelseite positioniert. Im Fernsehen wurde ebenso darüber berichtet, wie im Radio. Interessanterweise gab es zu diesem Zeitpunkt keinerlei Beweise für die Richtigkeit der Meldung. Eine bis dato unauffällige Firma schafft es, mittels wirksamer Öffentlichkeitsarbeit, Aufmerksamkeit für eine groß angelegte Pressekonferenz zu erzielen und berichtet dort, unter Abwesenheit jeglicher Beweise, über die Geburt eines Klonbabys.
Fakten bis zu diesem Zeitpunkt waren spärlich erhältlich. Es ließ sich herausfinden, dass die Firma Clonaid™ 1999 vom geistigen Führer der Raeliander Sekte, Claude Vorilhon, genannt Rael, gegründet wurde.
Der Franzose hat, nach eigenen Angaben, 1973 Kontakt mit Außerirdischen aufgenommen, die ihm berichteten, dass die Menschheit eine von ihnen erschaffene Spezies ist. In Visionen erfuhr Rael, dass der Schlüssel zum ewigen Leben im Klonen liege. Hierin findet sich das Leitmotiv der Sekte, die, nach ebenfalls eigenen Angaben, aus über 55 000 Mitgliedern in 84 Ländern besteht. Vorilhon überließ die Chefposition in der Firma Brigitte Boisselier, um sich auf die Arbeit in seiner Sekte zu konzentrieren, die er von Kanada aus organisiert.
Bosselier war früher Biochemikerin bei Air liquide, einem großen französischen Chemieunternehmen. Aufgrund ihrer engen Beziehungen zu Rael und seiner Sekte wurde sie, trotz hervorragender Fähigkeiten, entlassen. Heute ist sie die Präsidentin von Clonaid™ und darüber hinaus Bischöfin bei den Raelianern.
Die Firma Clonaid™ hat sich auf den Bahamas niedergelassen. Nach eigenen Angaben sollen dort mehrere Forschungslabore einzig und allein mit der Entwicklung der Technik des Klonens beschäftigt sein. Die Labore sind unabhängigen Wissenschaftlern bis heute nicht zugänglich gemacht worden. Es spricht viel dafür, dass die Labore nicht einmal existieren.
Nach allgemeinen Standards gelten wissenschaftliche Entdeckungen als nicht seriös, solange sie nicht der internationalen Forschungsgemeinde zur Überprüfung vorgelegt worden sind. Dies war bis zum 28.12.2002 nicht geschehen, man vertröstete die Öffentlichkeit auf einen späteren Termin, an dem alle Ergebnisse, auch das Baby selbst und die Mutter vorgestellt werden würden. In einer späteren Pressemitteilung hieß es von Seiten der Firma, dass das Baby bis auf unbestimmte Zeit nicht der Öffentlichkeit gezeigt werden könne, da die Gefahr bestehe, dass der Mutter dann ihr Baby weggenommen wird. Ein amerikanischer Anwalt solle ein entsprechendes Verfahren eingeleitet haben. Stattdessen kam es zu einer Ankündigung weiterer Geburten von Klonbabys in Nordeuropa, Japan und England. Mittlerweile sollen bereits fünf Klonbabys zur Welt gekommen sein, alle gesund und alle unbewiesen.
4.2 Mediale Inszenierung
Die veröffentlichten Mitteilungen stehen mehr als auf unsicheren Beinen, dennoch haben sie den Weg in die Öffentlichkeit über die Massenmedien geschafft und dies mit einem beachtlichen Anteil an Sendezeit und Platz in den Zeitungen. Der Grund dafür ist, dass diese Nachricht eine hohes Kommunikationspotential besitzt, so die Vermutungen der Medien. Sie ist neu, von daher war es wichtig, sofort darüber zu berichten und nicht erst auf weitere Befunde zu warten und die Nachricht zu einem Zeitpunkt zu bringen, an dem die Konkurrenten sie bereits ausführlich ausgebreitet, sprich: deaktualisiert haben könnten. Darüber hinaus besitzt die Nachricht auch eine Vorgeschichte. So fanden sich in fast allen Zeitungen Vermerke auf das 1999 geborene Klonschaf Dolly, ein Ereignis, dass sich im sozialen Gedächtnis gefestigt hat, auf dass sich in dieser Nachricht ideal zurückgreifen lässt. Das Thema Klonen ist auch eine ethische Frage, es ist für viele Menschen ein Normverstoß. Den Medien kommen Normverstöße zugute, sie stellen einen entscheidenden Nachrichtenfaktor dar. Außerdem lässt sich an ihnen eine Moral stilisieren, wie bereits in dem vorigen Kapitel gezeigt wurde. Es lassen sich zu dem Thema verschieden Meinungen zusammentragen, nämlich die der Klonbefürworter, der eingeschränkten Klonbefürworter und die der Gegner des Klonens. Von solchen Konflikten zehrt das System der Massenmedien, es lassen sich Kommunikationen auf unterschiedlichsten Ebenen provozieren, so zum Beispiel wissenschaftliche Kommunikationen, in denen Wissenschaftler über den heutigen Stand der Technik, was das Klonen angeht, berichten und damit die entstehende Neugier der Öffentlichkeit[59] befriedigen. Andererseits können ethische Diskussionen entfacht werden, an denen sich vor allem zu diesem Thema sehr unterschiedliche Lager einfinden, zum Beispiel Wissenschaftler, Geistliche, Soziologen, Politiker und Bürgerbewegungen. Auf einer anderen Ebene lässt sich auch das sogenannte „einfache Volk“ in die Diskussion miteinbeziehen. So gab es am 29.12.2002 eine TED Umfrage bei Sat.1, bei der darüber abgestimmt werden konnte, ob man Klonen für moralisch richtig oder falsch hielte. Argumente waren hierbei nicht gefragt, nur, dass eine der beiden angegebenen Telefonnummern richtig gewählt wird (und das am besten mehrmals, um seiner Meinung noch stärker Deutlichkeit zu verleihen).[60]
Politisch betrachtet, ließ sich eine große Bandbreite unterschiedlicher Kommunikationen entfachen. So wurde vor allem in den Zeitungen auf die unterschiedliche Gesetzeslage der Länder verwiesen, was die Legitimierung des Klonverfahrens angeht. Während Länder wie die USA oder Deutschland das Klonen grundsätzlich ablehnen, gibt es in Großbritannien oder Russland die gesetzliche Grundlage für ein so genanntes therapeutisches Klonen.[61] Bei diesem Klonverfahren werden Klone, sobald sie wenige Tage alt und noch im Muttermund sind, abgetötet. Es sollen dann nur noch die Organe sich weiter entwickeln können, so dass sie für Transplantationen benutzt werden können. Das Verfahren ist noch nicht ausgereift, man verspricht sich dadurch jedoch grundlegende Durchbrüche im medizinischen Bereichen.
Die Berliner Morgenpost erkannte in der politischen Debatte zu dem Thema vor allem einen Bruch zwischen der SPD und den Grünen, sowie Gemeinsamkeiten zwischen den Grünen und der CDU. So seien viele Abgeordnete der SPD für das therapeutische Klonen, die Grünen und die CDU stehen jedoch geschlossen zu einem generellen Klonverbot. Der SPD wurde darüber hinaus Untätigkeit vorgeworfen, was die gesetzliche Regelung angeht: „Denn nicht nur die Union, gerade auch die Grünen hatten der eigenen Regierung vorgeworfen, das Verbot verschleppt zu haben, und einen Kurswechsel gefordert.“[62] Warum die sich in Planung befindlichen gesetzlichen Regelungen schon jetzt zu spät kämen, begründete die Morgenpost folgendermaßen: „Gewiss erhöhte die vermeintliche Geburt des ersten Klonbabys den Zeitdruck.“
Der Spiegel folgerte im Januar 2003 in ähnlicher Weise: „Die Uno vertagte das Thema auf den Herbst 2003. Als dann jedoch die Rael-Sekte unter Führung von Claude Vorilhon behauptete, ihr seien zwei Klonkinder geboren, war klar, dass die Zeit für ein weltweites Verbot knapp wird.“[63] Später wurde das Thema auch um die umstrittene Frage nach einer Zulassung der so genannten Präimplantationsdiagnostik (PID) erweitert, welches ebenfalls neue Konflikte und moralische Diskussionen hervorrief.
Die Bundesregierung, von den sich überschlagenden Ereignissen scheinbar überfordert[64], schaltete nun den Nationalen Ethikrat ein, welcher sich mit dem Thema Klonen auseinanderzusetzen hatte. So sollte ein umfassendes Bild über dieses Thema gewonnen werden, bevor man gesetzliche Bestimmungen erlässt.
Forschungsministerin Buhlmann erklärte in einem Interview vom 23.Januar hingegen, dass die in den Medien skizzierten Konflikte zwischen den Parteien keineswegs derart ausgeprägt vorhanden sein: „...Es gibt eine Position: Wir haben im Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossen, dass in Deutschland kein Mensch geklont wird.“[65] Selbst aus dieser Aussage ließ sich für die Medien erneut ein Konflikt herausstellen, nämlich in der Frage, ob nun nicht die Gefahr bestünde, dass Forscher deshalb ins Ausland abwandern würden.[66]
Um einen Zusammenhang zwischen der Sekte Raels und der Firma Clonaid™ für die Rezipienten erkennbar zu machen, führte der Spiegel im Januar ein Interview mit Claude Vorilhon, den man zunächst einmal nach Beweisen für das Klonbaby befragte. Vorilhon antwortete, dass die Kloning-Firma und die Raelianer voneinander völlig unabhängige Einheiten seien, dass er auch nicht wüsste, wo sich das Baby und die Mutter aufhielten. Selbst auf die Bemerkung hin, dass es nach einem Schwindel aussehe, versuchte Vorilhon nicht, die Arbeit von Clonaid™ zu verteidigen. Er verwies nur auf die Unabhängigkeit seiner Religion von dem Unternehmen und gibt offen zu: „Falls eines Tages herauskommen sollte, dass es das geklonte Baby gar nicht gibt, bleibt es trotzdem für mich ein Ereignis, bei dem ich heute schon gewonnen habe.“[67]
Auch die Zeitungen passten in ihrer Wortwahl auf, was das Thema anging. So wurde über die Geburt nur als eine „mögliche Geburt“[68] berichtet, Wissenschaftler wurden darüber befragt, ob es generell möglich sei, einen Menschen zu klonen. Vor allem aber fanden sich subjektive Bewertungen in den Berichten wie: „Das entscheidende Argument gegen das Klonen aber ist die Tatsache, dass es sich um ein verantwortungsloses Menschenexperiment mit ungewissem Ausgang handelt.“[69] oder: „Bleibt zu hoffen, dass sich die Klongeburt lediglich als PR-Spektakel und nicht als Realität entpuppt.“[70] Real immerhin sind zum Teil die Folgen der Inszenierung geworden, in Form von öffentlichen Debatten, von beabsichtigten Gesetzesänderungen und einem angesetzten Treffen der Uno zu diesem Thema im Herbst 2003.
Das vorgestellte Thema ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Massenmedien arbeiten. Es wurde deutlich, dass objektive Realität oder Wahrheit keineswegs Bedingung sein müssen, um eine Nachricht zu veröffentlichen. Das Kommunikationspotential, hervorgerufen durch Konflikte, Überraschungen und Veränderungen, gibt den Wert einer Nachricht wieder, damit auch ihre Chance, öffentlich zu werden. Es lassen sich neue Themenkomplexe für die Zukunft entwerfen, wie das der Bio-Ethik[71], welches mit Sicherheit vermehrt in die öffentliche Diskussion Einzug finden wird, sobald neue medizinische und technische Entdeckungen publik werden.
4.3 Im Nachhinein
Die Berichterstattung zu dem Thema ist mittlerweile, Ende Februar 2003, verebbt. Und das, obwohl, die Firma Clonaid™ noch immer Pressemitteilungen über neue Klonbabygeburten veröffentlicht, auf ihrer Homepage Klonangebote für 200 000$ anbietet und über eine effektive PR-Abteilung verfügt.[72]
Einige Faktoren sprachen, im Sinne der Systemtheorie, jedoch gegen eine längerfristige Kommunikation: So wurden die moralischen Diskussionen immer seltener, je stärker die Öffentlichkeit das Gefühl bekam, dass es sich um einen Schwindel handelt. Bis heute wurden keine Beweise für die Existenz eines lebenden Klonbabys geliefert, nicht einmal D.N.A-Analysen. Zudem sind andere Themen in das öffentliche Bewusstsein eingetreten, wie die zu Anfang des Jahres erneut aufkommende Diskussion über die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und ein möglicher Krieg im Irak. Der Kampf um „das knappe Gut Aufmerksamkeit“ hat sich somit auf andere Themen verlagert.
Das Thema ist jedoch in das soziale Gedächtnis gedrungen, es ist wahrscheinlich, dass spätere Berichterstattung darauf zurückkommen wird, zum Beispiel im Herbst 2003, wenn die Uno das Klonverfahren bewerten wird. Möglicherweise auch im Dezember 2003, in einem Jahresrückblick.
5. Schlussbetrachtung
Die Ausführungen zu der Wirkungsweise der Massenmedien, die sich daraus ergeben, dass es sich um ein voll ausdifferenziertes soziales System handelt, lassen sich meiner Meinung nach gut auf die Wirklichkeit übertragen. Das Beispiel verdeutlichte dies.
Luhmanns Ausführungen, seine operational-konstruktivistische Sichtweise, hat viele andere Soziologen und auch Kommunikationswissenschaftler geprägt. Der Manipulationsverdacht der Medien steht immer noch im Raum. Es erfordert jedoch, so zeigt es Luhmann, eine differenzierte Betrachtungsweise. So lassen sich die meist sehr komplexen Abläufe und Strukturen sozialer Systeme nicht annehmbar mit einfachen Formeln, wie dem Manipulationsverdacht, erklären. Die Systeme untereinander irritieren sich gegenseitig, nehmen Kontakt zueinander auf und bleiben doch voneinander getrennt und uneinsehbar. „Whatever is not chaos, is system“, so eine Leitformel der Systemtheorie. Es ist gut möglich, dass diese Theorie fehlerhaft ist oder ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr adäquat,[73] dennoch ist Theorie notwendig, um Soziales beobachten zu können. Und solange sich mithilfe der Systemtheorie die Vorgehensweisen der Massenmedien für uns einigermaßen sinnvoll erklären lassen, solange ist es auch meiner Meinung nach, legitim, sie anzuwenden.
Luhmanns Überlegungen sollten Beachtung finden, sobald man sich über soziologische Zeitdiagnosen Gedanken macht. Das Medium, dass nahezu die gesamte öffentliche Kommunikation erst ermöglicht, da es das Hintergrundwissen stellt, ist in jedem Falle ein entscheidender Faktor für die aktuellen Strukturen und zukünftigen gesellschaftlichen Veränderungen.
Literaturverzeichnis
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- Bentele, Günther et. al.: Von der Determination zur Intereffikation. In: Haller, Michael: Aktuelle Entstehung von Öffentlichkeit, Universitätsverlag Konstanz, 1997
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- Göpfert, Winfried: Vorlesung über die „Grundlagen von Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit, FU-Berlin, WiS 02/03
- Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Suhrkamp Verlag Frankfurt//Main, 1990
- Kaesler, Dirk (Hrsg.): Klassiker der Soziologie 2, 3.Auflage, C.H.Beck Verlag oHG München, 2002
- Knieper, Thomas: Tricks mit Zahlen. In: Journalist 4/1997
- Kromrey, Helmut: Empirische Sozialforschung, 9.Auflage, Leske + Budrich Verlag Opladen, 2000
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- Rolke, Lothar: Die gesellschaftliche Kernfunktion von Public Relations. Ein Beitrag zur kommunikationswissenschaftlichen Theoriediskussion. In: Publizistik. 44Jg., 1999
- Rossmann, Torsten: Das Beispiel Greenpeace. Öffentlichkeitsarbeit und ihr Einfluss in den Medien. In: Mediaperspektiven. Heft 2/1993
- Sat.1 Videotext
- Schimank, Uwe und Volkmann, Ute (Hrsg.): Soziologische Gegenwartsdiagnosen I, 1.Auflage, Leske + Budrich Verlag Opladen, 2000
- Schmidt, Helmut: Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral, 2.Auflage, Deutsche Verlags-Anstalt GmbH Stuttgart, 1998
- Schulz, Winfried: Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien, Karl Alber Verlag Freiburg/München, 1990
- Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft – Kultursoziologie der Gegenwart, 8.Auflage, Campus Verlag Frankfurt/Main, 2000
- Sloterdijk, Peter: Kritik der zynischen Vernunft Band II, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main, 1983
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- Weischenberg, Siegfried und Löffelholz, Martin und Scholl, Armin: Journalismus in Deutschland. Einstellungen von Journalisten. In: Journalist: 39.Jg., 1994, Heft 5
- Wertheimer, Jürgen und V.Zima, Peter: Strategien der Verdummung – Infantilisierung in der Fun-Gesellschaft, 3.Auflage, C.H.Beck Verlag oHG München, 2001
- www.clonaid.com
- www.rael.com
[...]
[1] Luhmann, Niklas: „Soziale Systeme“ (1984)
[2] Schmidt, Helmut: „Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral“ S.89-90 (1998)
[3] Schulz, Winfried: „Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien“ S.28 (1990)
[4] Röhl, Henning: „Die Macht der Nachricht – Hinter den Kulissen der Tagesschau“ S.154 (1992)
[5] Als Nachrichtenfaktoren gelten: Status (Macht, Einfluss, Prestige und Prominenz), Relevanz (Bedeutsamkeit und Tragweite), Valenz (Konflikte, Krisen, Katastrophen und Erfolg), Konsonanz (Kontinuität und Thematisierung), Identifikation (Nähe und Personalisierung) und Dynamik (Überraschung und Unvorhersehbarkeit). aus dem Skript: „Einführung in Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit –Wintersemester 2002/03“ von W. Göpfert, FU-Berlin.
[6] Sloterdijk, Peter: „Kritik der zynischen Vernunft“ Zweiter Band S.560f. (1983)
[7] Dynamik im Sinne von Überraschung, oder dem Eintreten von etwas Unvorhergesehenem
[8] Merten, Klaus: „Re-Rekonstruktion von Wirklichkeit des Zuschauers von Fernsehnachrichten.“ (1985)
[9] Maassen, Ludwig: „Massenmedien: Fakten, Formen, Funktionen“ S.86f. (1996)
[10] Kromrey, Helmut: „Empirische Sozialforschung“ S.51 (2000)
[11] Dabei ist es unerheblich, ob der Forschungsansatz unter kritisch-rationaler, konstruktivistischer oder einer anderen Auffassungsweise steht.
[12] Luhmann, Niklas: „Die Realität der Massenmedien“ S.10 (1996)
[13] Luhmann, Niklas S.11 (1996)
[14] Habermas, Jürgen: „Strukturwandel der Öffentlichkeit“
[15] Habermas
[16] Habermas
[17] Habermas
[18] Kromrey, Helmut S.24f. (2000)
[19] Schimank, Uwe: „Soziologische Zeitdiagnosen I“ S. 129 (2000)
[20] Umwelt ist das Antonym zu System, d.h. es umfasst sowohl alle anderen sozialen Systeme aber auch alles darüber Hinausgehende, zum Beispiel die objektive Realität, die dem Beobachter allerdings verschlossen bleibt. So betont Luhmann auch noch einmal deutlich: „Die These des operativen Konstruktivismus führt also nicht zu einem Weltverlust, sie bestreitet nicht, dass es Realität gibt. Aber sie setzt Welt nicht als Gegenstand, sondern im Sinne der Phänomenologie als Horizont voraus. Also als unerreichbar.“ S.18 (1996)
[21] Luhmann, Niklas S.24 (1996)
[22] Die Selbstreferenz gestaltet sich problematisch, insofern, dass jegliche Selbstbeobachtung unvollständig sein muss. Der Beobachter wird immer mit einem so genannten „unmarked space“ konfrontiert werden, einer Position, aus der heraus er beobachtet und die somit nicht gleichzeitig mit beobachtet werden kann. Diese Überlegungen führen jedoch zu sehr komplexen Überlegungen der Kybernetik, die hierbei ausgeklammert bleiben sollen.
[23] Luhmann, Niklas S.9f. (1996)
[24] Luhmann, Niklas S.23f. (1996)
[25] Im Wirtschaftswesen ist der binäre Code Zahlung/Nichtzahlung, in der Wissenschaft Wahr/Nichtwahr etc. vgl. Luhmann, Niklas: „Soziale Systeme“ (1984)
[26] Luhmann, Niklas S.37 (1996)
[27] Luhmann unterscheidet drei Sektoren; Werbung, Nachrichten/Berichte und Unterhaltung. All ihre Besonderheiten zu erklären, würde den Rahmen dieser Hausarbeit deutlich sprengen und so wird nur der Sektor Nachrichten/Berichte bei dem später erläuterten Beispiel verdeutlicht werden.
[28] Ein gewisser Grundkonsens bildet hierbei natürlich die Basis. Beispielsweise scheinen sich alle Medien einig zu sein, dass die Arbeitslosenquote in Deutschland zur Zeit bedenklich hoch ist, die Begründungen dafür fallen teilweise jedoch sehr unterschiedlich aus.
[29] Dass das einheitliche Bild nicht vermittelt wird, bedeutet nicht, dass die Medien dennoch versuchen gerade diesen Eindruck zu erwecken. In einem Artikel über die Selbstbeobachtung von Medien (nämlich die Medienseite in der Zeitung), schreibt der Chefredakteur der Rheinischen Post, Ulrich Reitz: „Tageszeitungen leben von ihrer einmalig hohen Glaubwürdigkeit. Die oft nur wirtschaftlichen Interessen oder der Unterhaltung der eigenen Kollegen dienende Konkurrenzschelte (nämlich über die Medienseite in der Zeitung - der Verfasser) beschädigt diesen Kredit.“ (Tagesspiegel vom 19.2.2003, Seite 27)
[30] Schimank, Uwe S.129 (2000)
[31] Intern erzeugte Neuigkeiten sind alle Neuigkeiten, in denen sich das Medium selbst beobachtet. So gibt es im Fernsehen Magazine wie „Zapp“ in dem andere Programmformate beobachtet und bewertet werden. In Zeitungen finden sich oftmals Kommentare über Zeitungsberichte selbst und nicht über die Inhalte dieser Zeitungsberichte. In dem später erläuterten Beispiel tritt dieses Phänomen ebenfalls auf. Ein weiteres Beispiel: Anfang des Jahres gab es in der ARD eine dreiteilige Diskussion zum Thema „30 Jahre Talk Show: Das Ganze eine Reederei“ mit Vertretern verschiedener Talkshow-Richtungen wie Erich Böhme, Johannes B. Kerner, Roger Willemsen oder Christoph Schlingensief. Der Beobachtung der dort behandelten Talk Shows folgte so eine Beobachtung zweiter Ordnung, nämlich die Beobachtung der Beobachtung. Ein anschauliches Beispiel dafür, wie effektiv die Medien Kommunikationsketten weiterführen.
[32] aus: Media Perspektiven Heft2 Rossman, Thorsten: „Greenpeace. Öffentlichkeitsarbeit und ihr Einfluss auf die Medien“ S.86 (1993)
[33] Bentele, Günter: „Von der Determination zur Intereffikation“ aus: „Aktuelle Entstehung von Öffentlichkeit“ S.240f. (1997)
[34] Bentele, Günter S. 239 (1997)
[35] interessant u.a.: Rolke, Lothar „Die gesellschaftliche Kernfunktion von Public Relations. Ein Beitrag zur kommunikationswissenschaftlichen Theoriediskussion“ (1999) oder Weischenberg, Siegfried: „Die Verantwortung des Beobachters. Moderne Medienethik aus der Perspektive einer konstruktivistischen Systemtheorie.“ (1992)
[36] Stichweh, Rudolf über „Niklas Luhmann“ in: „Klassiker der Soziologie II“ S. 216 (2002)
[37] v.Zima, Peter: „Wie man gedacht wird“ aus: „Strategien der Verdummung. Infantilisierung der Fun-Gesellschaft.“ S.26 (2001) (Peter v. Zima behandelt in diesem Text die schleichende Verdummung der Gesellschaft aufgrund einer Entindividualisierung. So heisst es zu Beginn: „Sich denken lassen, statt selber zu denken, ist denkbar einfach. Es ist auch bequem, denn: das Spruchzeug liegt nur so herum.“ Interessant ist hierbei, dass v.Zima gegen Ende des Textes Intellektuelle für ihre mangelnde Kritik mitverantwortlich macht, u.a. kritisiert er Luhmanns Systemtheorie dafür, dass sie den Eindruck erwecken würde, dass das Individuum sowieso keine Relevanz besäße: „Aus Luhmanns Sicht werden (...) Handlungen von Individuen und Gruppen irrelevant...“ und: „In seiner Theorie handeln Systeme wie Sonne und Mond im Märchen.“ Später: „Luhmann (erklärt) individuelles Handeln für nichtig und ersetzt es durch das Handeln mythischer Instanzen: der Systeme.“ ...(S.28f.,2001) Die Kritik von v.Zima erscheint mir unangemessen, da Luhmann keineswegs individuelles Handeln für irrelevant erklärt, sondern beschreibt, dass es in der Realitätsauffassung der Massenmedien liegt, Menschen als passive Empfänger zu sehen: „Nachrichten und Berichte setzen Individuen als kognitiv interessierte Beobachter voraus, die nur zur Kenntnis nehmen, was ihnen vorgeführt wird.“ (S.131,1996) Dass diese Auffassung der Medien falsch und korrekturbedürftig sein kann, zeigen Beispiele, bei denen Einzelpersonen Kritik an der Darstellungsweise von Berichterstattungen üben. (Dies wiederum meist nur über die Medien, doch damit kann das System umgehen, wie gesagt: es diskreditiert, will heißen: widerspricht, verbessert und kritisiert sich fortwährend.)
[38] Luhmann, Niklas S.124 (1996)
[39] Luhmann, Niklas S.126 (1996)
[40] Schulze, Gerhard: „Die Erlebnisgesellschaft“ S.227f. (2000)
[41] Luhmann, Niklas S.13 (1996)
[42] zu einem gewissen Grad deshalb, weil Massenmedien auf ein gewisses Vertrauen von Seiten der Empfänger aufbauen müssen, es darf über Informationen gezweifelt werden, sie dürfen aber nicht als Fiktion präsentiert werden, da dies die Möglichkeit auf weitere Kommunikation sehr gering werden lässt. Durch die gegenseitigen Diskreditierungsmaßnahmen innerhalb der Massenmedien sind deren Akteure gezwungen, zumindest einigermaßen Informationen auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen. Primär sind es jedoch andere Faktoren, die eine Information öffentlich werden lassen.
[43] Das vorgestellte Schema ist vor allem in der Sparte Nachrichten/Berichte anzufinden, aber auch im Unterhaltungssektor wird ähnlich vorgegangen, wie bereits erwähnt, würden weitere Ausführungen hierbei den Rahmen dieser Hausarbeit übersteigen.
[44] Luhmann, Niklas S.59 (1996)
[45] Interessante Beispiele hierfür: Knieper, Thomas: „Tricks mit Zahlen“ S.46f. in „Journalist“ - Ausgabe 4 (1997) oder: Bellach, Bärbel-Maria „Risiken der Statistik“ in „Wissenschaftsjournalismus.“ S.153f. (2000)
[46] und anders lässt sich diese Welt auch nicht betrachten, so Luhmann.
[47] Luhmann, Niklas S.75 (1996)
[48] Schemata als Regeln für den Vollzug von Operationen anzusehen, hat bereits Kant beschrieben. So ist das Schema „Kreis“ nicht das Abbild irgendeines Kreises, sondern die Regel für das Ziehen eines Kreises. In: „Von dem Schematismus der reinen Standesbegriffe“, (Kritik der reinen Vernunft)
[49] Mit dem Ausbau der Kapazitäten des Internets werden viele alte Informationen heutzutage tatsächlich archiviert und bleiben ohne großen Aufwand abrufbar. Nichtsdestotrotz benötigt es ein soziales Gedächtnis, welches mithilfe von Schemata arbeitet.
[50] Luhmann, Niklas S.193 (1996)
[51] Das Wissenschaftssystem zeichnet sich dadurch aus, dass es vor allem Nichtwissen kommuniziert, also deutlich macht, was es alles noch nicht weiß. Darüber hinaus überfordert es die kognitiven Fähigkeiten der anderen Systeme mit seinen komplexen Realitätskonstruktionen.
[52] Luhmann gibt hierfür ein anschauliches Beispiel: So sind die meisten ökologischen Probleme sehr komplex und übersteigen zusätzlich die Erfahrungswelt der meisten von uns: „Auch die Massenmedien sind überfordert, und wenn sie sich an die Wissenschaft wenden, werden sie typisch mehr Wissen und mehr Nichtwissen zugleich geliefert bekommen.“ (S.196f.) So greifen sie auf Schemata zurück, die auch in der öffentlichen Kommunikation auf Akzeptanz stoßen und wahrscheinlich weitere Kommunikation hervorrufen. Aussagen, wie: „Die Wälder dürfen nicht sterben“ sind das Ergebnis, in dem sich zwar keineswegs mehr die komplexe Wirklichkeit finden lässt, die aber dennoch die Kommunikation und somit auch das öffentliche Bewusstsein beeinflussen können.
[53] Luhmann, Niklas S.153 (1996)
[54] Aus der Studie von Weischenberg/Löffelholz/Scholl „Journalismus in Deutschland. Einstellungen von Journalisten. in Journalist. 39.Jg. (1994) Heft 5, S.55-69. Knapp 1500 Journalisten sollten mit einer Skala von 1 bis 5 (wobei die „1“ für „trifft sehr zu“ und die „5“ für „trifft weniger zu“) die Ziele ihrer journalistischen Ziele angeben und darüber hinaus, inwiefern sie glauben, ihre Ziele auch zu erreichen. Die folgenden Daten sind nur eine Auswahl, die Zahlen stellen die Mittelwerte dar:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[55] Luhmann, Niklas S.145 (1996)
[56] „Tyrannei der Echtzeit – Wer bestimmt wen: Die Außenpolitik die Medien oder umgekehrt?“ (im Tagesspiegel vom 22.2.2003, Seite 27)
[57] zu finden unter der Internetseite: www.clonaid.com
[58] Wie viele es tatsächlich waren, konnte ich natürlich nicht überprüfen. Ich habe deshalb eine gedankliche Vorauswahl an Zeitungen getroffen, die bereits am 28.12.2002 darüber berichtet haben könnten: (Überregional: Die Welt, FAZ, taz, Süddeutsche Zeitung. Für Berlin: Tagesspiegel, Morgenpost, Bild). Eine Überprüfung ergab, dass alle diese Zeitungen darüber berichtet haben.
[59] welche, wie immer, anfangs nur vermutet werden kann. Dazu mehr im ersten Kapitel.
[60] Das Ergebnis dieser Umfrage, an der über 7000 Menschen teilgenommen haben war übrigens, dass 98% der Anrufer das Klonen für falsch halten. Quelle: Sat.1 Text (30.12.2002)
[61] Die Beschreibung der unterschiedlichen Arten des Klonens fanden ebenfalls ihren Weg in die Berichterstattung. Dies fällt unter die wissenschaftlich geführte Kommunikation.
[62] „Gegen alle Klone“ v. Markus Feldenkirchen (Berliner Morgenpost, 16.1.2003)
[63] Neue Farbenlehre: Die schwarz-grüne Front gegen das Klonen könnte zum Modell werden...“ v. Gerd Rosenkranz (Spiegel 4/2003)
[64] Diese Ansicht muss jedoch nicht der Wahrheit entsprechen. Sie wird (wie auch sonst?) durch die Berichterstattung vermittelt.
[65] Forschungsministerin Buhlmann im Interview mit dem Tagesspiegel (23.1.2003)
[66] ebenfalls im Tagesspiegel (23.1.2003)
[67] Claude Vorilhon im Interview mit dem Spiegel (1/2003)
[68] Berliner Morgenpost (28.12.2002)
[69] Tagesspiegel (28.12.2002)
[70] Berliner Morgenpost (28.12.2002)
[71] Dazu ausführlich: „Clownerie mit dem Klon – Der raelianische Rummel verwirrt die Köpfe. Ein Plädoyer für Liberalität und Realismus in der Bio-Ethik.“ v. Volker Gerhard (Tagesspiegel, 7.1.2003)
[72] Auf eine Anfrage nach Informationen für meine Hausarbeit, schickte mir die PR-Abteilung von Clonaid™ in großem Umfang Informationsmaterialen über sich und die Raelianer.
[73] Eine oft genannte Kritik an Luhmanns Überlegungen zu den Massenmedien ist die, dass er das Internet aus seinen Überlegungen ausschließt. So sagt Luhmann, dass Medien ins Ungewisse senden und ein Feedback kaum möglich ist. Kritiker meinen jedoch, dass das Internet gerade auf ein ständiges Feedback seiner Benutzer aufbaut. Die Kritik ist meiner Meinung nach zum Teil berechtigt. Die Antwort auf die Frage, inwiefern das Internet sich möglicherweise als ein eigenes Subsystem ausdifferenzieren kann, muss, so glaube ich, auf die Zukunft verschoben werden, da selbst heute, 2003, das Internet noch nicht völlig ausdifferenziert zu sein scheint, sondern vielmehr mittendrin in seiner Entwicklung steckt.
- Quote paper
- Holger Rhinow (Author), 2003, Inszenierte Wirklichkeit -Struktur und Funktionsweisen der Massenmedien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107982
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