Gliederung
Einleitung
1. Begriffsklärung Aggression- Aggressivität- Gewalt
1.1. Aggression
1.2. Aggressivität
1.3. Gewalt
2. Motive zum Konsum von Gewaltdarstellungen
3. Filme mit brutalem Inhalt: Ursache oder Folge von subjektiver Gewaltdisposition?
4. Theorien zur Fragestellung
4.1. Die Karthasis- Hypothese
4.2. Imitation/ Stimulation
4.3. Habitualisierung
4.4. Kognitive Dissonanz
4.5. Der Robespierre- Affekt
5. Zur Wirkung von aggressiven Darstellungen in Film und Fernsehen
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
Einleitung
Gewaltdarstellungen im Fernsehen sind immer wieder ein Thema. Man vermutet, dass ein Zusammenhang zwischen vermehrter Gewalt unter Jugendlichen und dem größer gewordenen Angebot an Gewaltdarstellungen im Fernsehen besteht. Dies scheint sich teilweise auch zu bestätigen, wie im Fall des 19-jährigen Amokläufers von Erfurt, der Lehrer und Mitschüler und am Ende sich selbst erschoss. Bei den anschließenden Untersuchungen der Polizei wurden im Zimmer des Täters Videos und Computer-Spiele gefunden, in denen Gewalt gegen Menschen ausgeübt wurde. Aber kann man wirklich allein das Konsumieren solcher Filme und die Vorliebe für brutale Computer- Spiele für Ereignisse dieser Art verantwortlich machen? Das wäre natürlich eine einfache Antwort auf die Frage nach einem „Sündenbock“. Deshalb interessiert mich, wie Gewaltdarstellungen wirken können. Welche Erkenntnisse gibt es zu dieser Frage?
Zum besseren Verständnis möchte ich zuerst die Begriffe erklären, die in meiner Arbeit eine Hauptrolle spielen: Aggression, Aggressivität und Gewalt.
Eine Frage, die sich im Zusammenhang mit der Problematik dieser Arbeit ergibt, ist auch die, warum sich Filme mit Gewaltdarstellungen überhaupt einer so großen Beliebtheit erfreuen. Was bewegt Menschen dazu, sich solche Filme anzuschauen? Kann man eventuell feststellen, was Ursache und was Folge ist: folgt aus dem Ansehen von Gewaltdarstellungen eine Verhaltensdisposition für Aggressivität oder haben aggressive Menschen eine Präferenz für Filme mit brutalen Inhalten?
Des weiteren interessiert mich, wie Gewaltdarstellungen wirken können. Wirken sie, wie von vielen angenommen, nur in die eine Richtung, nämlich dass sie die Zuschauer aggressiver machen und zur „Verrohung“ der Menschen beitragen oder gibt es auch andere Wirkungsrichtungen? Hierauf gibt es auch in der Forschung keine einstimmige Antwort, sondern es existieren mehrere Theorien bzw. Erklärungsansätze, von denen ich einige gängige vorstellen möchte. Unter der Überschrift „ Zur Wirkung von aggressiven Darstellungen in Film und Fernsehen“ möchte ich andere interessante Erkenntnisse aus der Wirkungsforschung vorstellen.
Am Ende möchte ich meine Ausarbeitungen in bezug auf die Fragestellung noch einmal zusammenfassen und versuchen, eine Antwort zu formulieren.
1. Begriffsklärung Aggression- Aggressivität- Gewalt
1.1. Aggression
Der Begriff „Aggression“ leitet sich vom lateinischen Wort aggredior ab, welches auf etwas zugehen, herausschreiten, sich nähern, angreifen bedeutet, woraus nicht selbstverständlich geschlossen werden kann, dass eine Handlung destruktiv oder feindselig ist (vgl. Christiane MICUS: 2002, S. 17).
Es gibt verschiedene Ansätze zu einer Definition des Begriffs Aggression. Ich möchte eine Auswahl vorstellen, die mir für meine vorliegende Arbeit zweckmäßig erscheint. So besteht eine Aggression nach SELG
„[...] in einem gegen einen Organismus oder Organismussurrogat gerichteten Austeilen schädigender Reize ( ‚ schädigen’ meint beschädigen, verletzen, zerstören und vernichten; es impliziert aber auch schmerzzufügende, störende, Ärger erregende und beleidigende Verhaltensweisen, welche der direkten Verhaltensbeobachtung schwerer zugänglich sind); eine Aggression kann offen ( körperlich, verbal) oder verdeckt ( phantasiert), sie kann positiv ( von der Kultur gebilligt) oder negativ (missbilligt) sein. ( SELG 1982b, S 352)” ( vgl. MICUS: 2002, S. 18)
Wichtig finde ich auch die Unterscheidung von Erich FROMM (1974) zwischen bösartiger Aggression: Destruktivität und gutartiger Aggression: reaktive und Verteidigungsaggression, auch als konstruktive Aggression bezeichnet ( vgl. MICUS: 2002, S. 18).
1.2. Aggressivität
Häufig werden die Begriffe Aggression und Aggressivität synonym verwendet. Eine Unterscheidung zwischen den beiden scheint mir aber sinnvoll. Laut MICUS ist Aggressivität eine Verhaltensdisposition bzw. Charaktermerkmal, d.h. die Person weist eine Neigung zu aggressivem Verhalten auf. Probleme werden von ihr häufig
„ durch ein System von Gewohnheiten [sic] des Angreifens und Schadenzufügens ( vgl. Huber 1995; Neukäter 1984)“ gelöst.
Der Unterschied zur Aggression ist, dass diese, obwohl ebenfalls eine aggressive Handlung, kein gewohnheitsmäßiges Verhaltensmuster ist, d.h. nicht aufgrund einer Verhaltensdisposition auftritt, sondern als spontane Verhaltensweise. ( vgl. MICUS: 2002, S. 19)
1.3. Gewalt
Auch hier gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs. Ich werde daher Ansätze vorstellen, dir mir als sinnvoll bzw. zweckmäßig erscheinen.
Nach Philip ZIMBARDO ( 1992) ist Gewalt Aggression in einer extremen und sozial nicht akzeptierten Form ( vgl. MICUS: 2002, S. 20).
Außerdem muss man hier der Vollständigkeit halber zwischen personaler ( direkter) und struktureller (indirekter) Gewalt unterscheiden. Diese Unterscheidung wurde vom Friedensforscher Johann GALTUNG entwickelt (vgl. MICUS: 2002, S. 19). Nach ihm ist die „personale Gewalt dadurch charakterisiert, dass eine konkrete Person einer anderen Person direkt Schaden zufügt. Unter struktureller Gewalt wird hingegen die in ein soziales System eingebaute Gewalt ( soziale Ungerechtigkeit) verstanden, die sich, ohne daß ein konkreter Akteur sichtbar sein muß und ohne daß sich das Objekt der strukturellen Gewalt dieser ‚Vergewaltigung’ bewusst sein muß, in ungleichen Machtverhältnissen ( Lebenschancen) äußert. Personale und strukturelle Gewalt können sich wechselseitig erzeugen, ‚reine’ personale Gewalt gibt es also nur, solange man ihre Vorgeschichte unberücksichtigt lässt.“ (KUNCZIK: 1975, S. 33).
Für die Untersuchung der Wirkung von Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen auf das Verhalten der Zuschauer halte ich die personale Gewalt für bedeutender, weil direkt wahrnehmbar, so dass ich immer dann, wenn von Gewalt die Rede ist, die strukturelle Gewalt nicht berücksichtigen werde.
Es gibt aber auch die Tendenz, den Aggressionsbegriff als übergeordnet anzusehen und Gewalt nur als Ausdruck körperlicher Gewalt zu verstehen ( vgl. MICUS: 2002, S. 20).
MICUS sagt, dass Gewalt und Aggression nicht selten auch synonym verwendet werden, was deutlich macht, wie schwer eine Abgrenzung der beiden Begriffe ist.
Auch wird der Begriff Aggression im Alltag zunehmend von dem der Gewalt verdrängt und somit zum übergeordneten Begriff wird ( vgl. GABLER: 1996, S. 462).
Meinem Verständnis nach würde ich Gewalt als eine Verhaltensweise, die auf die Schädigung einer anderen Person abzielt, definieren. Die Gewalt kann auf physischer oder auch auf psychischer Ebene ausgeübt werden. In Abgrenzung zur Aggression bzw. Aggressivität kann Gewalt ohne ein Gefühl ausgeübt werden, natürlich aber auch eine Form aggressiven Verhaltens sein und somit durch ein Gefühl ausgelöst. In Filmen und im Fernsehen kann der Zuschauer zum Teil nicht sofort zwischen aggressivem Verhalten und Gewalt unterscheiden, so dass ich im Folgenden eine Unterscheidung unberücksichtigt lassen werde.
2. Motive zum Konsum von Gewaltdarstellungen
Inszenierte Aggressionen besitzen eine hohe Massenattraktivität.[1] Sie scheinen für den Zuschauer interessanter als Darstellungen „ langweiliger“ friedlicher sozialer Interaktionen. Wenn man weiß, dass schon Kinder lieber „Knight Rider“ als „ Die Sendung mit der Maus“ sehen oder, wie eine japanische Studie gezeigt hat, schon 2-3 Jährige eine „böse“ Trickfilmgestalt der „ lieben“ vorziehen, könnte man annehmen, dass ein angeborenes Bedürfnis nach Gewaltdarstellungen oder zumindest bösen Darstellungen existiert, ähnlich dem von FREUD und LORENZ postulierten Aggressionstrieb. Es gibt aber keine Belege dafür, die ein Ausbrechen eines solchen rein biologisch bedingten Gewaltinstinktes ohne Umwelteinfluss bestätigen können. Die Ergebnisse einer Bestandsaufnahme der genetischen, anthropologischen, psychologischen und soziologischen Forschung sprechen für ein komplexes Wechselspiel aus biologischen Anlagen und Umwelterfahrungen ( vgl. GROEBEL& HINDE: 1989)[2]. Festzustellen ist, dass es evolutionär sinnvoll ist, auf Gefahrenreize und Bedrohung erst einmal mit Aufmerksamkeit zu reagieren, um z. B. Flucht- oder Verteidigungsmaßnahmen ergreifen zu können. Um aber die hohe Attraktivität, die aggressive Darstellungen heute genießen, erklären zu können, sind andere Faktoren zu berücksichtigen:
Sozialisationserfahrungen und rituelle Gewohnheiten
Jungen schätzen Gewaltdarstellungen offenbar aufgrund ihrer früh sozialisierten Rollendefinition mehr als Mädchen und der Konsum von Gewaltdarstellungen gilt bei ihnen als eine Art Mannbarkeitsritus, sie wollen zeigen, dass sie stark genug sind, Horrorszenen auszuhalten und sie identifizieren sich gern mit dem „Helden“, dem Täter. Eventuell erhoffen sie sich, bei den „Helden“ Verhaltensweisen abzuschauen, die sie für männlich halten und denen sie nacheifern möchten, um ebenso als männlich anerkannt zu werden wie der „Held“ im Film.
Mädchen identifizieren sich häufiger mit den Opfern, sie werden durch Gewaltdarstellungen häufig eingeschüchtert.
Orientierungs- und Informationsbedürfnisse
Hiermit sind eher die Gewaltdarstellungen in Nachrichten oder Dokumentationen als in Spielfilmen oder sonstigen Unterhaltungsprogrammen gemeint. Beim Zuschauer besteht das Interesse, sich über mögliche Gefahren zu informieren oder sich zu vergewissern, dass in der unmittelbaren Umgebung alles in Ordnung ist.
Situationale Anregungssuche
Hier spielt das Unterhaltungs- und Entspannungsbedürfnis eine Rolle, je nach Stimmungslage sucht sich der Zuschauer ein entsprechendes Programm aus. So wird jemand eher ein aggressives Programm wählen wenn er sich langweilt bzw. schon den ganzen Tag gelangweilt war und nun etwas „Anregendes“ braucht und versucht, dieses Bedürfnis mit Hilfe von Filmen zu befriedigen. Die Gewaltdarstellungen können diese Anregung bringen, sie lösen beim Betrachter eine erhöhte Erregung aus und solange diese ein individuelles Maximum nicht überschreitet, wird sie als angenehm empfunden.
Aber auch hier sind normativer Kontext, Rollensozialisation und persönliche Erfahrungen der jeweiligen Person zu berücksichtigen.
Persönlichkeitseigenschaften und Risikosuche
Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch, abhängig von seiner Persönlichkeit, eine bestimmte Intensität der Umweltreize benötigt, um sich wohl zu fühlen. Ein Bereich, um diese Intensität zu erreichen, ist die Risikosuche. Diese kann sehr einfach durch Einschalten des Videorecorders oder Fernsehers oder durch den Kinobesuch realisiert werden und die Intensität der Umweltreize besonders durch brutale oder actionhaltige Filme schnell erhöht werden und den „Risikosuchenden“ zufrieden stellen. Hierbei kann es zu einer Art „Spirale“ kommen. Der Rezipient gewöhnt sich an starke aggressive Reize und um dann noch die Intensität wieder auf ein für ihn angenehmes Maß zu erhöhen, braucht es einen noch stärkeren Reiz, d. h. noch brutalere Darstellungen.
3. Filme mit brutalem Inhalt: Ursache oder Folge von subjektiver Gewaltdisposition?
Da in Untersuchungen festgestellt wurde, dass ein enger Zusammenhang zwischen Gewaltdisposition und Fernsehkonsum besteht, aber nicht klar ist, welche Richtung dieser Zusammenhang hat, versuchte Dr. Jürgen GRIMM herauszufinden, ob der Fernsehkonsum nun Ursache oder Folge von Gewaltdisposition ist. Ich möchte hier nicht den ( einigermaßen komplizierten) Versuchsaufbau wiedergeben, sondern nur auf dessen Ergebnisse eingehen. Es stellte sich heraus,
„ dass die Nutzung gewaltthematisierender TV- Unterhaltungsgenres ungefähr doppelt so stark durch Gewaltdispositionen der Rezipienten erklärt wird wie umgekehrt die individuelle Gewaltdisposition als Resultat der Nutzung fiktionaler TV- Gewalt statistisch in Erscheinung tritt. Gewaltdisponierte tendieren offenbar in stärkerem Maße zu Gewaltfilmen, als umgekehrt Gewaltfilme in der Lage sind, vorhandene Gewaltdispositionen zu verstärken.“ ( GRIMM: 1995)
4. Theorien zur Fragestellung
Eine eindeutige Erklärung zu einer (vermuteten aggressionssteigernden) Wirkung von Gewaltdarstellungen im Film und Fernsehen gibt es nicht. Vielmehr existieren mehrere Theorien, die Erklärungsversuche darstellen, die teilweise in sehr verschiedene Richtungen gehen und sich dabei jeweils auf unterschiedliche Aspekte konzentrieren. Auch kann man die Wirkung aggressiver Darstellungen meist nicht mit einem einzigen Ansatz erklären. Diese hängt von Zuschauermerkmalen und -kontext ab, wobei die Wirkung gering oder stark mit je unterschiedlicher Richtung ( stimulierend oder angstmachend) sein kann. ( vgl. GROEBEL/ GLEICH: 1993, S. 24)
4.1. Die Karthasis-Hypothese
Diese Hypothese besagt, dass das Beobachten von Gewaltdarstellungen, den Antrieb, eigene Gewalt auszuüben, reduziert. Allein das Beobachten von aggressiven Verhaltensweisen soll demnach den gleichen Effekt haben wie das Ausführen der Verhaltensweisen selbst. Hier geht man davon aus, dass jeder Mensch eine bestimmte Aggression hat, die sich immer mehr anstaut und das Aggressionspotential nur durch aggressives Verhalten abgebaut werden kann, sei es durch Ausführen oder auch nur Beobachten des Verhaltens. Der Begriff geht auf Aristoteles zurück. Dieser sprach der Tragödie einen kathartischen Effekt zu, d.h. dass der Zuschauer von bestimmten Affekten durch deren schauspielerische Darstellung „gereinigt“ werden kann ( vgl. BERGLER/ SIX: 1979, S. 169). Diese Hypothese konnte kaum empirisch belegt werden und gilt als überholt
( vgl. GROEBEL/ GLEICH: 1993, S. 22)
4.2. Imitation/ Stimulation
Ein erster Ansatz innerhalb dieser Hypothese geht auf das hauptsächlich von Albert BANDURA entwickelte „Lernen am Modell“ zurück.
Demnach lernt ein Mensch soziale Verhaltensweisen, indem er andere Menschen (= Modelle) beobachtet, die beobachteten Verhaltensweisen im Gehirn speichert und diese bei passender Gelegenheit abruft und selbst ausführt, z. B. zum Lösen von Problemen. Dabei wird nicht jedes Modell nachgeahmt, sondern nur diejenigen Modelle, die Erfolg versprechen. Erfolgsversprechend sind Modelle dann, wenn sie durch ihre Handlung ein persönliches Ziel erreicht haben oder ihre Handlung durch andere gelobt wurden, sie also Anerkennung erhalten haben ( wobei natürlich auch „ Anerkennung erhalten“ ein persönliches Ziel sein kann). Außerdem ist eine Nachahmung des Modells umso wahrscheinlicher, je mehr sich der Beobachter mit diesem identifizieren kann.
Wenn also auch Schauspieler in Filmen als Modelle angesehen und somit nachgeahmt werden, kann es sehr wohl sein, dass ein Zuschauer im Zweifel, d.h. wenn er in eine Situation gerät, für die ihm aus seiner direkten realen Umwelt keine erfolgsversprechenden Handlungsweisen bekannt sind, und diese Situation Ähnlichkeit mit der im Film dargestellten hat, spontan auf ein von ihm beobachtetes Modell in Film oder Fernsehen zurückgreift. Ist die Nachahmung aggressiver Verhaltensweisen mit Erfolg gekrönt, dann wird sich der Handelnde bestärkt fühlen und immer wieder auf diese zurückgreifen und als ein adäquates Mittel zur Problemlösung ansehen. Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Schauspieler mit seinem aggressiven Verhalten keinen Erfolg erzielt bzw. sein Verhalten auch noch betraft wird, dann wird sein Verhalten dem Zuschauer wohl kaum zum Nachahmen geeignet erscheinen.
Ein zweiter Ansatz geht davon aus, dass Gewaltdarstellungen den Zuschauer kognitiv zu eigenem aggressiven Verhalten stimuliert. Hier wird das Verhalten der Modelle nicht nachgeahmt, sondern vielmehr abstrahiert und auf andere Situationen übertragen. Dies passiert dann, wenn der Rezipient vorher eine Frustration erfahren hat; ein Opfer für die Aggression vorhanden ist; die dargestellte Aggression im Film oder durch andere Zuschauer gerechtfertigt wurde und wenn der Rezipient positive Erfahrungen mit eigenen aggressiven Handlungen gemacht hat ( vgl. BERGLER/SIX: 1979, S. 164)
4.3. Habitualisierung
Hier wird von einer Gewöhnung an Gewalt durch das ständige Konsumieren aggressiver Darstellungen ausgegangen, aus der eine Gleichgültigkeit gegenüber realer Gewalt folgen kann. Der Zuschauer stumpft ab und um seine Aufmerksamkeit zu erregen braucht es immer brutalere, spektakulärere Gewaltdarstellungen.
Dies stellt natürlich eine Gefahr dar, weil ein so desensibilisierter Mensch Gewalt in der Realität für normal hält bzw. diese ihm gleichgültig ist und er eine höhere Gewaltbereitschaft entwickelt. Es wurde herausgefunden, dass die Wirkung stärker ist bei Personen, die auch ohne starken Konsum von aggressiven Darstellungen eine diese Richtung gehende Einstellung hatten (vgl. GROEBEL/ GLEICH: 1993, S. 23).
4.4. Kognitive Dissonanz
Diese Theorie geht auf FESTINGER[3] zurück und wurde später auch von OPP in abgewandelter Form verwendet.
Hier wird davon ausgegangen, dass Menschen nur die Informationen aus Filmen aufnehmen, die sowieso schon ihrer Meinung und Einstellung entsprechen. Informationen, die nicht in ein individuelles Schema passen werden demnach nicht wahrgenommen, ihnen wird kein Glauben geschenkt oder sie werden uminterpretiert.
Daraus folgt, dass Gewaltdarstellungen in Filmen nur bei den Rezipienten eine aggressionssteigernde Wirkung haben, die Gewalt sowieso schon als ein Mittel zur Konfliktlösung akzeptieren. Gewaltdarstellungen können also nur auf etwas aufbauen, was beim Rezipienten schon vor dem Ansehen des Films vorhanden war und haben keine Wirkung bei Rezipienten, die Gewalt aufgrund bisheriger Lebenserfahrung ablehnen.
( GOTTBERG: 1995)
4.5. Der Robespierre- Affekt
Der Robespierre- Affekt beruht auf der Annahme nichtimitativer Aggressionsvermittlung durch Film oder Fernsehen und wird von Dr. Jürgen GRIMM beschrieben ( tv diskurs Heft, S. 18-29, Nomos Verlagsgesellschaft)[4]. Seine These besagt, dass für eine aggressionssteigernde Wirkung von filmischer Gewalt entscheidend ist, ob der Film aggressive Anschlussoptionen offeriert, etwa dann „ wenn Gewaltdarstellungen Fragen offen lassen, durch die sich der Rezipient zu aggressiven Antworten veranlasst sieht.“ ( GRIMM, tv diskurs Heft) Das ist z. B. der Fall, wenn das Filmopfer, mit dem der Zuschauer sympathisiert, nicht ausreichend „gesühnt“ wird. Hier wird der Zuschauer wütend und fühlt sich animiert, das Opfer in einer Art Selbstjustiz zu rächen. Eine aggressionssteigernde Wirkung resultiert nicht aus der bloßen Anregung zur Imitation inszenierter Gewalt, sondern aus starken empathischen Gefühlen für das Opfer dieser Gewalt.
5. Zur Wirkung von aggressiven Darstellungen in Film und Fernsehen
Hier möchte ich einige, wie ich finde, wichtige und interessante Erkenntnisse der Wirkungsforschung vorstellen. Zu berücksichtigen ist aber, dass es zu fast jeder Studie eine ( teilweise auch mehrere) andere gibt, welche die Ergebnisse der anderen widerlegt. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse können also nicht als absolut gültig angesehen werden. Außerdem wird in jeder Studie mit einer eigenen Definition, was als Aggression und Gewalt gelten soll gearbeitet, was einen Vergleich erschwert. Auch BERGLER/ SIX weisen darauf hin, dass die Untersuchungen zahlreiche methodische und konzeptionelle Mängel aufweisen und deshalb zu einem vorsichtigen Umgang mit den Ergebnissen mahnen. Unterschieden werden muss zwischen langfristigen und kurzfristigen Effekten des Konsums aggressiver Darstellungen. Die meisten Studien beschäftigen sich aber nur mit den kurzfristigen Folgen, so dass kaum gesicherte Erkenntnisse über langfristige Auswirkungen möglich sind.
Zeitpunkt und Kontext können die Wirkung der Gewaltdarstellungen beeinflussen: unmittelbar nach einem frustrierenden Erlebnis kann sich der Rezipient durch Gewaltdarstellungen aggressiv stimuliert fühlen, zu einem anderen Zeitpunkt aber nicht. ( vgl. von GOTTBERG: 1995)
Wesentlich für den Wirkungsprozess ist auch, ob der Zuschauer sich in den Darstellungen wiederfinden kann, ob sie also mit seiner persönlichen Lebensrealität korrespondieren. Ein Beispiel hierfür wäre die Inszenierung eines Banküberfalls. Ein Zuschauer, der vielleicht selbst schon einmal einen Überfall als Opfer miterlebt hat oder ein ängstlicher Typ ist, bei dem wird sicher eher Angst als Aggression ausgelöst. Im umgekehrten Fall könnte sich jemand, der schon einmal selbst mit dem Gedanken, einen Überfall zu begehen, gespielt hat, sich durch eine solche Inszenierung eher animiert fühlen. ( vgl. von GOTTBERG: 1995)
Eine negative Beeinflussung der Persönlichkeit durch aggressive Modelle in Filmen scheint besonders in sensitiven oder kritischen Phasen der Persönlichkeitsentwicklung möglich, wenn man davon ausgeht, dass diese Unsicherheit mit einer aktiven Suche nach relevanten Informationen verbunden ist. Hierfür ist sicherlich die Pubertät ein gutes Beispiel. ( vgl. KUNCZIK: 1975, S. 562)
Das Ausmaß der Beeinflussung des Rezipienten durch aggressive Modelle hängt auch von dessen Persönlichkeitsmerkmalen ab. So konnte ANAST ( vgl. ANAST, P., Self Image: A Determinant of Vicarious Need) belegen, dass Männer mit vergleichsweise niedrigem Selbstvertrauen sich wesentlich eher mit dem Filmhelden identifizieren als Männer mit stärkerem Selbstvertrauen. ( vgl. KUNCZIK: 1975, S. 560) ANAST hat in seinen Versuch nur Männer miteinbezogen, ich denke aber, dass das Gleiche auch für Frauen gilt.
Vermutet wurde ein Unterschied in der Wirkung bei als gerechtfertigt und ungerechtfertigt dargestellter Gewalt. Bei der Untersuchung kamen verschiedene Forscher zu unterschiedlichen Ergebnissen. „Berkowitz[5] und Rawlings, sowie Berkowitz[6], Corwin und Heironimus können zeigen, daß als ungerechtfertigt wahrgenommene Aggression die Aggressionshemmung steigert.“ ( KUNCZIK: 1975, S. 352) Demgegenüber konnte Meyer[7] empirische Befunde seiner Untersuchungen dahingehend interpretieren, dass als ungerechtfertigt dargestellte Gewalt keinen Einfluss auf die Aggressivität der Rezipienten hat. Beide aber fanden heraus, dass als gerechtfertigt dargestellte Gewalt aggressionssteigernd wirken kann. Außerdem wird gerechtfertigt dargestellte Gewalt mit größerer Wahrscheinlichkeit imitiert als ungerechtfertigt dargestellte. ( vgl. KUNCZIK: 1975, S. 355-356)
Bei der Untersuchung der Wirkung aggressiver Darstellungen, muss man das Alter der Rezipienten beachten. Kinder unter 11 Jahren[8] sind zum Beispiel noch nicht in der Lage, die Handlungsmotive in einem Film zu erkennen. Deshalb können die Ergebnisse aus der Untersuchung der Wirkung gerechtfertigter bzw. ungerechtfertigter Gewalt nicht auf Kinder übertragen werden ( KUNCZIK: 1975, S. 362 ff.). Dies wird sicher auch für andere empirische Befunde gelten, die an jugendlichen und erwachsenen Rezipienten erhoben wurden. Auch umgekehrt dürfte dies der Fall sein, so dass Ergebnisse von Studien, die mit Kindern durchgeführt wurden nicht automatisch auch auf Erwachsene und Jugendliche übertragen werden können.
Auch die Zeit, die jemand mit Film und Fernsehen verbringt, könnte eine Rolle spielen. Verbringt er viel Zeit mit dem Ansehen von Sendungen mit aggressiven Inhalten und fehlen dem Rezipienten andere Anhaltspunkte, z. B. Familie, soziales Umfeld, für mögliche Verhaltensweisen ( das ist Bedingung!), kann es sein, dass er die im Film dargestellte Gewalt als eine „normale“ adäquate Verhaltensweise ansieht
( weil er diese ja immer und immer wieder sieht) und diese akzeptiert und eventuell in sein eigenes Verhaltensrepertoire mit aufnimmt und bei entsprechenden Situationen auch wiedergibt. ( vgl. KUNCZIK: 1975, S. 630)
Eine ( allerdings nur kurzfristige) aggressionssteigernde Wirkung hängt maßgeblich auch von der emotionalen Erregung des Rezipienten ab. Percy H. TANNENBAUM[9] misst der durch den Film bewirkten allgemeinen Erregung eine große Bedeutung bei. Sie kann Reaktionen, also auch aggressive, intensivieren und somit wird ein durch den Film emotional erregter Rezipient ( nach der Darstellung aggressiver Verhaltensweisen) eher aggressive Reaktionen zeigen als ein durch den Filminhalt unbewegter. ( KUNCZIK: 1975, S. 369)
Interessant ist auch die Feststellung BANDURAs, dass aggressive Verhaltensweisen eher imitiert werden, wenn das Modell männlich ist. Physische Aggressionen werden also eher imitiert, wenn das Modell geschlechtsrollenkonformes Verhalten zeigt. Verbale Gewalt scheint nicht so sehr an männliches Verhalten geknüpft und wird eher von gleichgeschlechtlichen Modellen imitiert . ( KUNCZIK: 1975, S. 462)
Das Ausmaß der Wirkung von Gewaltdarstellungen kann auch von der Herkunft, dem sozio- kulturellen Milieu, des Rezipienten abhängen. So konnte durch Untersuchungen die These bestätigt werden, dass eine Verstärkung aggressiver Verhaltensweisen eher bei Rezipienten beobachtet werden kann, die aus einem Milieu stammen, welches Gewalt nicht negativ sanktioniert. So werden Zuschauer, die der Unterschicht zugeordnet werden können, eher aus den Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen lernen, da sie Gewalt als der Realität entsprechend und als der eigenen normativen Struktur adäquat ansehen. ( KUNCZIK: 1975, S. 577) Dies kann sicherlich nicht auf jeden einzelnen Rezipienten übertragen werden, stellt aber eine Tendenz dar.
6. Zusammenfassung
Letztendlich werde auch ich die Frage nach der Wirkung von Gewaltdarstellungen nicht endgültig klären können. Eine Wirkung ist von zu vielen verschiedenen Faktoren, die in unterschiedlichsten Kombinationen auftreten können, abhängig.
Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass Gewaltdarstellungen unter bestimmten Voraussetzungen eine aggressionssteigernde Wirkung beim Rezipienten haben können. Sie können eben aber auch eher das Gegenteil bewirken, dass sie nämlich Angst hervorrufen und sie können zu Aggressionshemmungen führen.
Die Richtung und das Ausmaß der Wirkung ist erstens abhängig vom Rezipienten: wie alt ist er; welche Persönlichkeitsmerkmale hat er; wie ist seine Stimmung zum Zeitpunkt des Anschauens des Films; welche Erfahrungen mit Aggressionen hat er bisher gemacht; spielen Aggressionen bei der Lösung von Konflikten bei ihm und seinem direkten Umfeld eine Rolle bzw. wie hat er überhaupt gelernt, Konflikte zu lösen; befindet er sich einer kritischen Phase, in der er gezielt im Film nach Lösungen für seine Probleme sucht; ähnelt die inszenierte Situation seiner persönlichen Lebensrealität; kann er sich mit dem Täter identifizieren etc. Zweitens hängt die Wirkung auch von der Art der dargestellten Gewalt ab: ist sie als gerechtfertigt bzw. ungerechtfertigt dargestellt; wird das aggressive Verhalten bestraft, belohnt oder bleibt ohne Reaktion; werden negative Folgen aggressiver Handlungen gezeigt ( z. B. dass das Opfer blutet und Schmerzen hat oder sogar tot ist und Freunde trauern etc. ); lässt der Film den Zuschauer sich bewusst mit dem Täter infizieren oder aber mit dem Opfer etc.
Problematisch denke ich, ist ein hoher Konsum von Gewaltdarstellungen bei Kindern, die noch nicht allzu viele Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben, die noch auf der Suche nach ihrer eigenen Persönlichkeit sind und dadurch in vielerlei Hinsicht leicht beeinflussbar sind. Auch können sie noch nicht selbst reflektieren, können Handlungsmotive im Film noch nicht erfassen und die Folgen ihres eigenen Handelns noch nicht immer einschätzen. Sie sind also prädestiniert für die ( unreflektierte) Nachahmung des Gesehenen. Im Normalfall aber wird der Fernseher nicht zu einer alleinigen Sozialisationsinstanz, so dass aggressives Verhalten bei Kindern wohl nicht allein auf den Konsum von Gewaltdarstellungen zurückgeführt werden kann. Und das lässt sich meiner Meinung nach auch auf Erwachsene übertragen, allein die Gewalt in Film und Fernsehen lässt niemanden zum Amokläufer werden, hier spielen eben auch die oben genannten Faktoren eine große Rolle.
7. Literaturverzeichnis
Bergler, Reinhold/ Six, Ulrike: Psychologie des Fernsehens. Bern: Verlag Hans Huber Bern 1979.
Grimm, Jürgen: Der Robespierre- Affekt. Nichtimitative Wege filmischer Aggressionsvermittlung. In: tv diskurs Heft 5. Nomos Verlagsgesellschaft. S. 18-29 auf der Internetseite: www.fsf.de/Gewalt/Grimm1/grimm1.htm ( 23.11.02)
Grimm, Jürgen: Wirkung von Fernsehgewalt. Zwischen Imitation und Erregung. In: medien praktisch, Jg. 19., H. 3, S. 14-23.
Gottberg, Joachim von: Wie wirken Gewaltdarstellungen? Wissenschaftliche Erklärungsversuche. In: Jugendschutz in den Medien. Berlin 1995, S. 24-52 auf der Internetseite: www.fsf.de/Gewalt/Gottb7/gottb7.htm (23.11.02)
Groebel, Jo mit Uli Gleich: Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms. Opladen: Leske+ Budrich 1993.
Kunczik, Michael: Gewalt im Fernsehen. Köln: Böhlau Verlag Köln Wien 1975.
Micus, Christiane: Friedfertige Frauen und wütende Männer. Weinheim, München: Juventa 2002. S. 17-53.
[...]
[1] Dieser Abschnitt bezieht sich auf „Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms“, Jo GROEBEL mit Uli GLEICH, 1993: S. 17
[2] GROEBEL, J. & HINDE, R. A., (Eds.). Aggression and war. Their biological and social bases. Cambridge: Cambridge University Press 1989.
[3] FESTINGER, L. A., Theory of cognitive dissonance, Evanston 1957; OPP; K. D., Kognitive Dissonanz und positive Selbstbewertung, in: Psychologische Rundschau, 19/ 1968, S. 189- 202
[4] auf der Internetseite: www. fsf.de/ Gewalt/ Grimm1/ grimm1.htm
[5] vgl. Berkowitz, L. und Rawlings, E., Effects of Film Violence on Inhibitions against Subsequent Aggression, in: Journal of Abnormal and Social Psychology, 66, 1963, S. 405-412
[6] vgl. Berkowitz, L., Corwin, R. und Heironimus, M., Film Violence and Subsequent Aggressive Tendencies, in: Public Opinion Quarterly, 27, 1963, S. 217- 229
[7] vgl. Meyer, T. P., Effects of Viewing Justified and Unjustified Real Film Violence and Aggressive Behavior, in : Journal of Personality and Social Psychology, 23, 1972, S. 21-29
[8] Diese Angabe bezieht sich auf Studien, die 1943-48 durchgeführt wurden, KUNCZIK meint, dass sich diese Grenze durch den regelmäßigen Kontakt mit Film und Fernsehen in den letzten Jahren nach unten verlagert haben dürfte.
[9] Vgl. Tannenbaum, P. H. Studies in Film- and Telvision- mediated Arousal and Aggression: A Progress Report, in: Comstock, G. A., Rubinstein, E. A. und Hurray, J. P. ( Hrsg.). S. 310 ff.
- Citar trabajo
- Cornelia Büchling (Autor), 2003, Wie wirken Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107965
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