Eine Ära des Umbruchs, in der Wissenschaft und soziale Realität aufeinanderprallten: Tauchen Sie ein in die Welt des Naturalismus, einer gesamteuropäischen Literaturströmung, die das ausgehende 19. Jahrhundert prägte. Geprägt vom Positivismus und den bahnbrechenden Theorien von Darwin und Marx, suchten die Naturalisten nach einer schonungslosen Darstellung der Wirklichkeit, abseits idealistischer Verklärungen. Entdecken Sie, wie Autoren wie Emile Zola und Gerhart Hauptmann die Schattenseiten der Industrialisierung, das Elend der Großstädte und die Vererbungsproblematik in ihren Werken thematisierten. Ergründen Sie die historischen Hintergründe dieser Epoche, von der Gründung des Deutschen Reiches bis zur Weltwirtschaftskrise, und wie diese Ereignisse das Lebensgefühl der Menschen beeinflussten. Analysieren Sie die literarischen Formen des Naturalismus, vom Drama bis zur Lyrik, und die Rolle von Zeitschriften und Theaterbühnen bei der Verbreitung neuer Ideen. Lernen Sie die wichtigsten Vertreter dieser Bewegung kennen, von Henrik Ibsen bis Arno Holz, und ihre unterschiedlichen Ansätze zur Darstellung der menschlichen Existenz. Am Beispiel von Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" wird die schonungslose Offenlegung familiärer und gesellschaftlicher Abgründe im Kontext von Alkoholismus, sozialem Aufstieg und Vererbung verdeutlicht. Lassen Sie sich fesseln von einer Epoche, die mit radikaler Ehrlichkeit die Fundamente der Gesellschaft in Frage stellte und den Menschen als Produkt seiner Umwelt und seiner Anlagen entlarvte. Ein Muss für alle, die sich für Literaturgeschichte, Sozialkritik und die Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der menschlichen Natur interessieren. Eine Zeit des Aufbruchs und der Verzweiflung, die in ihren literarischen Zeugnissen bis heute nachhallt und uns zwingt, über die eigene Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und den kommenden Generationen nachzudenken. Wagen Sie einen Blick in den Spiegel der naturalistischen Literatur und entdecken Sie die Wurzeln unserer modernen Welt.
Gliederung
1. Definition
2. Historischer Hintergrund
3. Themen in der Literatur
4. Formen
5. Schauplätze und wichtigste Ver- treter
6. „Vor Sonnenaufgang“ Gerhard Hauptmann
7. Ernst Retemeyer : Freie Bühne
8. Schema
9. Quellen
1.Definition
- gesamteuropäische Literaturströmung zw. 1880 und 1900
- Grundlage: Positivismus, der jede metaphysische Welterklärung ablehnt
- Mensch wird als Summe aus Anlage (Erbe), Umwelt (Milieu) und geschichtlicher Situation (Zeitbedingung) verstanden
- Literarische Gestaltung wird als naturwissenschaftliches Experiment gesehen
- Soziales Mitgefühl mit den Elenden und Sensibilität für die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Leben des Menschen kennzeichnend
Konsequenter Naturalismus:
- ging auf Eliminierung des Autors aus
→ je mehr Experimentator, desto mehr genaue Beobachtung und unverfälschte Wiedergabe
- Welt erklärt sich von selbst nach immer gleichen Gesetzen →Mensch auch
- heftige Gegenwehr gegen diese Perspektivlosigkeit und Monotonie der bloßen Reproduktionstechnik des Naturalismus
- Wiederbesinnung auf schöpferische und welterklärende Kraft des Künstlers
- gleichzeitig einer immer differenzierteren, schwerer zu durchschauenden Welt gegenüber
- nur noch subjektive Anverwandlung schien möglich → neue Stilrichtungen
- in Werken der Dichter verschiedene Stilrichtungen erkennbar, aber nicht trennbar
- gilt auch für das Lebensgefühl, das von einer breiten Skala des Erlebens geprägt wird
→ MENSCH WIRD ALS „STÜCK NATUR“ GESEHEN
→ GLEICHSETZUNG KUNST UND NATUR
→ STRENGER OBJEKTIVISMUS
→ OPPOSITIONSLITERATUR
2.Historischer Hintergrund
- deutsch-französischer Krieg 1870-71 (Sieg Deutschlands über Frankreich)
- Gründung des deutschen Reiches in Versailles 1871 mit Wilhelm I. als Kaiser (danach sog. Gründerjahre)
- 1873 – Weltwirtschaftskrise (unterbricht „Hochkapitalismus der Gründerjahre“, setzt sich in den 90er Jahren fort)
- 1878 – Bismarcks Sozialistengesetz
- 1883-89 – Sozialgesetzgebung
- 1888 – Dreikaiserjahr
→ Wilhelm I.
→ Friedrich III.
→ Wilhelm II.
- Technisierung
- Bildung von Arbeitervereinen
- Industrialisierung
→ Elend der Menschen
→ Hunger
→ Armut
→ Vermassung in den Großstädten, Landflucht
→ schlechte Arbeitsbedingungen
→ Pauperismus (Massenarmut) der Bevölkerung
- proletarische Masse prägte das Bild der großen Städte
- große Fortschritte in der Wissenschaft, u.a. Erfindung der Schallplatte, der Dampfturbine und des Dieselmotors
Situation im Volk:
- Großbürgertum will neugewonnene, nationale und wirtschaftliche Machtposition zur Schau stellen („Großmachtbewußtsein“ zeigt sich in protzigem Gehabe)
- es versucht sich möglichst idealistisch zu geben, handelt jedoch eher materialistisch
- es schirmt sich von der Kehrseite der Industrialisierung ab
- es eifert dem Repräsentationsstil des neuen Kaiser Wilhelm II. nach
3.Themen in der Literatur
- Großstadtleben
- Hunger
- Armut
- Not und Elend
- Prostitution, freie Liebe
- Alkoholismus
- Arbeiterausbeutung
- Ehebruch, uneheliche Kinder
- Brutalität und Verbrechertum
- Hässliches, Perverses
- Verrücktheit, (Geistes-)krankheit
Programm:
- Wirklichkeit durch Natur
- Naturwissenschaften als Grundlage
- Gesellschaftskritik
- Humanität, Toleranz
- Keine Schönfärberei
- Vererbungproblematik
- Ideen von Ludwig Feuerbach, Charles Darwin und Karl Marx
- Verdrängung des Metaphysischen („Kunst = Natur-x“, Arno Holz)
- Hang zum Modernen
- Lebensnähe
- Echtheit statt Idealisierung
- Enttabuisierung statt Veredelung
4.Formen
a)
- hauptsächlich in Zeitschriften
- z.B. Berlin „Kritische Waffengänge“ (1882-84) von Heinrich und Julius Hart
- oder München „Die Gesellschaft“ (1885-1902) von Michael Georg Conrad
b)
- bedeutensten Leistungen hat das Drama aufzuweisen
- Theaterstücke und eigens gegründete Theatern (z.B. 1890 Freie Bühne in Berlin)
Typische Merkmale des naturalistischen Dramas:
- Beibehaltung der traditionellen Form (Tragödie, Komödie), aber Tendenzen zur Episierung
- Aufnahme neuer, bisher tabuisierter Themen
- entsprechend der Thematik: Bevorzugung des Dialekts
- entsprechend der Forderung nach Wirklichkeitsnähe: Wegfall des Monologs
- entsprechend der Milieutheorie: ausführliche Regieanweisungen
- häufiges Vorkommen analytischer Dramen, da ein in der Vergangenheit angelegtes Verhängnis (z.B. infolge Vererbung) sich im Verlauf des Dramas entfaltet
c)
- naturalistischer Roman und Lyrik weniger bedeutsam
- experimentelle Prosa, geprägt durch Dialekt und Alltagssprache, exakte Erfassung von Mienenspiel und feinsten Bewegungen, Zeitdeckung, Sekundenstil
- Revolution der Lyrik (Holz), äußerlich Zentrierung der Verse auf eine gedachte Mittelachse, mitunter satirisch, grotesk
5.Schauplätze und wichtigste Vertreter
→ Frankreich
- Hauptvertreter des Naturalismus war Emile Zola
- 1840-1902
- Meinung: Kunst ist ein literarisches Experiment mit naturwissenschaftlichen Methoden, das lückenlos die ursächlichen Zusammenhänge determinierten menschlichen Daseins beweisen muss
- Forderung des wissenschaftlichen Romans
- Vererbungs- und Milieutheorie
- z.B. „Germinal“, „Das Glück der Familie Rougon“, „Die Rougon-Macquardt-Natur- und Sozilageschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich“
→ Skandinavien
- Henrik Ibsen mit z.B. „Die Wildente“, „Stützen der Gesellschaft“
- 1828-1906
- Analyse der bürgerlichen Gesellschaft, entlarvt Lebensügen
- August Strindberg mit z.B. „Das rote Zimmer“
- 1849-1912
→ Deutschland
- Arno Holz
- 1863-1929
- entwickelte neue Stil- und Darstellungstechnik, den Sekundenstil
- formulierte konsequenten Naturalismus: „Die Kunst hat die Tendenz, wieder die Natur zu sein. Sie wird nach Maßgabe ihrer jeweiligen Reproduktionsbedingungen und deren Handhabung“
- z.B. „Papa Hamlet“, „Die Familie Selicke“, „Die Kunst, ihr Wesen und ihre Gesetze“, „Phantastus“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Gerhart Hauptmann
- 1862-1946
- sein Werk „Vor Sonnenaufgang“ bestimmt die Hauptphase des Naturalismus
- z.B. „Bahnwärtiger Thiel“, „Die Weber“, „Der Biberpelz“, „Vor Sonnenaufgang“
6.“Vor Sonnenaufgang“, Gerhart Hauptmann
Personen:
Alfred Loth
Sozialreformer und Journalist: Er vertritt das Prinzip des einen Körpers, weshalb er auch keinen Alkohol akzeptiert (Abstinenzler), damit seine Nachkommen reinrassige, gesunde, erblich unvorbelastete Kinder sind. Er begibt sich in dieses Dorf, weil es nicht diesen Idealen entspricht und er die Missstände aufdecken und in einer Studie veröffentlichen möchte.
-> Eugenik, glaubt an die Vererbbarkeit von z.B. Alkohol!
Hoffmann
Ingenieur, verheiratet mit Martha Krause, der Tochter des Hauses. Er ist ein skrupelloser Geschäftemacher für den selbst die Heirat in ein reiches Bauernhaus als Berechnung aufgefasst werden könnte. Dies zeigt sich auch daran, als er sich bereit erklärt, dem alten Schulfreund Loth Geld zu geben. Als dieser dann schliesslich seine wahren Ansichten und Absichten Preis gibt, verlangt er es zurück. Reichtum Ist ihm zu Kopf gestiegen, liebäugelt mit Helene.
Helene Krause
Tochter des Hauses (aus 1. Ehe). Sie ist unzufrieden mit den gesamten Umständen ihres Lebens. Durch ihre Erziehung in einem Heim ist sie nicht nur von der Bildung her allen anderen Familienmitgliedern überlegen, sondern kennt auch ein anderes Leben, als das sittlich verfallene und perspektivenlose. Sie hat den Mut zum Widerstand gegen die Missstände der Umgebung.
Herr Krause
Bauerngutbesitzer, Alkoholiker. Durch die Rohstoffvorkommen überraschend reich geworden, wird er mit seinem Leben nicht fertig und flüchtet sich in den Alkohol und stellt seinen Töchtern nach.
Frau Krause
Krauses zweite Frau, kinderlos. Sie ist eine primitive Frau, die nur durch die Heirat zum Wohlstand gekommen ist und nicht mit diesem klarkommt.
Wilhelm Kahl
Neffe der Frau Krause. Vorbestimmt als Ehemann für Helene. Er ist ein primitiver Jüngling, der mit Frau Krause ein Verhältnis pflegt.
Dr. Schimmelpfennig
Arzt des Dorfes. Er ist politisch ähnlich eingestellt wie Loth, gut gebildet und lediglich zum Geldverdienen in Schlesien.
a) Inhalt
- spielt in Witzdorf
- Loth besucht alten Schulfreund Hoffmann, der in eine reiche Familie eingeheiratet hat (durch Kohlevorkommen in Schlesien)
- Hoffmann betreibt auch fragwürdige Geschäfte
- Loth will in der Gegend über das Leben der Bergleute und den Geschäftemachern schreiben, Hoffmann kann das nicht gut heißen
- Probleme der Gegend: Alkoholkonsum, sexuelle Zügellosigkeit, Ehebruch, Kuppelei
- z.B. bei Tante und Neffe (sexuelle Vergnügen)
- Loth verliebt sich in Helene glaubt aber an Vererbung, und da ihr Vater Säufer ist will er sie nicht heiraten
- Loth verlässt das Haus, nachdem er erfuhr wie die wahren Verhältnisse im Haus sind
- Helene begeht daraufhin Selbstmord
b)Themen
- Probleme der damaligen Zeit
- Liebesgeschichte mit gesellschaftlicher Problematik
- Schneller Reichtum, industrielle Entwicklung, Kapitalistengesellschaft
- Milieu und Vererbung (Milieutheorie, D. Hume: Umfeld hat direkte Einwirkung auf den Menschen, durch Vererbung wird man gekennzeichnet, schlechtes Verhalten wird entschuldigt, da das Umfeld verantwortlich ist)
- Rassenreinheit
- Sozialdemokratismus
c) Umfeld von Helene
- fehlende Kultur
- Verrohung
- Alkohol
- Intrigen
- Fehlende Bildung
- Geistige Demenz
→ hirn- und perspektivloses Umfeld, Loth erscheint als Retter
d) Textauszug, Blickfeld Deutsch, Seite 308
- lange und ausführliche Regieanweisungen
- gesellschaftskritisch
- Zeile 11 : Totgeburt
- Zeile 18 : Thema Alkohol, Vater betrunken
- Zeile 19 : Anwendung Dialekt
- Zeile 45 : Verrücktheit
7.Ernst Retemeyer:Freie Bühne
- Karikatur nach Uraufführung von Hauptmanns Drama „Vor Sonnenaufgang“
- Aus satirischer Zeitschrift „Kladderadatsch“
- Bezieht sich auf Theater „Freie Bühne“ (1889)
- Thema : Stücke der „Moderene“
8.Schema
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
9.Quellen
1. Internet
- www.cdrnet.net/kb/data/DE_Hauptmann.asp
- www.martinum.de/material/linatura.htm
- www.ni.schule.de/~pohl/literatur/epochen/natura.htm
- www.pinselpark.de/geschichte/spezif/literaturg/epochen/1880_naturalismus.htm
- www.hausarbeiten.de Stichwort Naturalismus
2. Blickfeld Deutsch, 1991 Ferdinand Schöningh, Paderborn
Häufig gestellte Fragen
Was ist Naturalismus?
Naturalismus ist eine gesamteuropäische Literaturströmung zwischen 1880 und 1900. Sie basiert auf dem Positivismus, der jede metaphysische Welterklärung ablehnt. Der Mensch wird als Summe aus Anlage (Erbe), Umwelt (Milieu) und geschichtlicher Situation (Zeitbedingung) verstanden. Literarische Gestaltung wird als naturwissenschaftliches Experiment gesehen. Soziales Mitgefühl mit den Elenden und Sensibilität für die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Leben des Menschen sind kennzeichnend.
Was sind die wichtigsten Themen im Naturalismus?
Die wichtigsten Themen sind Großstadtleben, Hunger, Armut, Not und Elend, Prostitution, freie Liebe, Alkoholismus, Arbeiterausbeutung, Ehebruch, uneheliche Kinder, Brutalität und Verbrechertum, Hässliches, Perverses, Verrücktheit und (Geistes-)krankheit.
Welche Formen der Literatur dominieren im Naturalismus?
Das Drama ist besonders wichtig. Es gibt auch Zeitschriften wie "Kritische Waffengänge" und "Die Gesellschaft". Der naturalistische Roman und die Lyrik sind weniger bedeutsam, aber es gibt experimentelle Prosa.
Wer sind die wichtigsten Vertreter des Naturalismus?
In Frankreich: Emile Zola. In Skandinavien: Henrik Ibsen und August Strindberg. In Deutschland: Arno Holz und Gerhart Hauptmann.
Was sind die historischen Hintergründe des Naturalismus?
Der Deutsch-Französische Krieg (1870-71), die Gründung des Deutschen Reiches (1871), die Weltwirtschaftskrise (1873), Bismarcks Sozialistengesetz (1878), Sozialgesetzgebung (1883-89), das Dreikaiserjahr (1888), Technisierung, Bildung von Arbeitervereinen, und die Industrialisierung, die zu Elend, Hunger, Armut, Vermassung in den Großstädten, Landflucht, schlechten Arbeitsbedingungen und Pauperismus führte.
Was ist die Handlung von Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang"?
Das Stück spielt in Witzdorf. Alfred Loth besucht seinen alten Schulfreund Hoffmann, der in eine reiche Familie eingeheiratet hat. Loth will über das Leben der Bergleute schreiben. Es gibt Probleme mit Alkoholkonsum, sexueller Zügellosigkeit, Ehebruch und Kuppelei. Loth verliebt sich in Helene, will sie aber wegen der Vererbung nicht heiraten. Nachdem er die wahren Verhältnisse im Haus erfährt, verlässt er es. Helene begeht daraufhin Selbstmord.
Welche Themen werden in "Vor Sonnenaufgang" behandelt?
Es werden Probleme der damaligen Zeit, eine Liebesgeschichte mit gesellschaftlicher Problematik, schneller Reichtum, industrielle Entwicklung, Kapitalistengesellschaft, Milieu und Vererbung, Rassenreinheit und Sozialdemokratismus behandelt.
Was ist die Freie Bühne?
Die Freie Bühne war ein Theater, das 1889 in Berlin gegründet wurde und Stücke der "Moderne" aufführte, darunter auch "Vor Sonnenaufgang" von Gerhart Hauptmann.
- Quote paper
- Heike Fulbrecht (Author), 2003, Gerhard Hauptmann und Ernst Retemeyer. Formen und Themen des Naturalismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107949