In der vorliegenden Arbeit präsentiere ich theoretische und konzeptionelle Überlegungen zur aggressionspräventiven Schulsozialarbeit. Während meiner Arbeit in einer Hausaufgaben- und Freizeitbetreuung von Hauptschülern der 5. und 6. Klasse (Sekundarstufe I) ist mir dieses Thema oft begegnet, und auch durch die Massenmedien verbreitete Schreckensmeldungen (wie der Extremfall Erfurt vor einiger Zeit) spiegeln das Vorhandensein großer Aggressions- und Gewaltpotentiale bei anscheinend immer mehr Jugendlichen wider. In theoretischen Überlegungen werde ich zuerst den Begriff der Aggression definieren und Äußerungsformen aggressiven Verhaltens beschreiben, um ein Arbeitsverständnis zu bekommen (Kapitel 1.1). Anschließend stelle ich Erklärungsmodelle für Aggression vor, um damit im B-Teil (konzeptionelle Überlegungen) adäquat auf das Verhalten der oben genannten Jugendlichen eingehen und sinnvolle Lernziele entwickeln zu können (Kapitel 1.2). Die Entstehung von Aggressivität ist immer auch im Zusammenhang zu sehen mit psychologischen Faktoren und den sozialisatorischen Hintergründen im Alltag und in der Schule (Kapitel 1.3). Dabei ist es sinnvoll und wichtig für die sozialpädagogische Arbeit, anstatt monokausaler Erklärungsansätze ein Geflecht von Ursachen und Verstärkern anzunehmen und herauszufinden. Aus den vorangegangenen Überlegungen leite ich dann pädagogische Konsequenzen für die Arbeit mit aggressiven Jugendlichen ab und erläutere dabei auch die Wichtigkeit der Rolle des Pädagogen (Kapitel 1.4).
Diese theoretischen Überlegungen versuche ich dann ansatzweise im konzeptionellen B-Teil anzuwenden, da klar ist, dass Gewaltprävention ein langandauernder Prozess ist, der Faktor Zeit also eine wichtige Rolle spielt.
Inhalt
Einleitung
A-Teil: Theoretische Überlegungen
1. Definition, Äußerungsformen und Erklärungsmodelle von Aggressionen
1.1 Definition und Äußerungsformen der Aggression
1.2 Erklärungsmodelle für (jugendliche) Aggressionen
1.3 Psychologische/sozialisatorische Hintergründe und Motivationen aggressiven Ver- haltens
1.4 Pädagogische Konsequenzen und Rolle des (Sozial)pädagogen
B-Teil: Konzeptionelle Überlegungen
2. Bedingungsanalyse
2.1 Rahmenbedingungen: Ressourcen (Erstes didaktisches Element)
2.1.1 interne Ressourcen
2.1.2 externe Ressourcen
2.2 Zielgruppenanalyse: Voraussetzungen (Zweites didaktisches Element)
2.2.1 Individuelle/anthropogene Voraussetzungen
2.2.2 Soziokulturelle Voraussetzungen
2.3 Aspekte der Lehr-Lern-Situation (Drittes didaktisches Element)
2.3.1 Lernen
2.3.2 Prozess
2.3.3 Gefälle
2.3.4 Verhältnis
2.3.5 Beziehung
2.3.6 Situation
3. Didaktisch/methodische Überlegungen: Ziel – Ebenen (Viertes und fünftes didaktisches Element
3.1 Richtziel-Ebene
3.2 Grobziel-Ebene
3.3 Feinziel-Ebene
3.3.1 Orientierungsphase
3.3.2 Einstiegsphase
3.3.3 Hauptphase
3.3.4 Abschlussphase
C-Teil: Überlegungen zur Auswertung (Selbstevaluation)
4. Nonverbale Auswertung
Literatur
Anhang
Einleitung
In der vorliegenden Arbeit präsentiere ich theoretische und konzeptionelle Überlegungen zur aggressionspräventiven Schulsozialarbeit. Während meiner Arbeit in einer Hausaufgaben- und Freizeitbetreuung von Hauptschülern der 5. und 6. Klasse (Sekundarstufe I) ist mir dieses Thema oft begegnet, und auch durch die Massenmedien verbreitete Schreckensmeldungen (wie der Extremfall Erfurt vor einiger Zeit) spiegeln das Vorhandensein großer Aggressions- und Gewaltpotentiale bei anscheinend immer mehr Jugendlichen wider. In theoretischen Überlegungen werde ich zuerst den Begriff der Aggression definieren und Äußerungsformen aggressiven Verhaltens beschreiben, um ein Arbeitsverständnis zu bekommen (Kapitel 1.1). Anschließend stelle ich Erklärungsmodelle für Aggression vor, um damit im B-Teil (konzeptionelle Überlegungen) adäquat auf das Verhalten der oben genannten Jugendlichen eingehen und sinnvolle Lernziele entwickeln zu können (Kapitel 1.2). Die Entstehung von Aggressivität ist immer auch im Zusammenhang zu sehen mit psychologischen Faktoren und den sozialisatorischen Hintergründen im Alltag und in der Schule (Kapitel 1.3). Dabei ist es sinnvoll und wichtig für die sozialpädagogische Arbeit, anstatt monokausaler Erklärungsansätze ein Geflecht von Ursachen und Verstärkern anzunehmen und herauszufinden. Aus den vorangegangenen Überlegungen leite ich dann pädagogische Konsequenzen für die Arbeit mit aggressiven Jugendlichen ab und erläutere dabei auch die Wichtigkeit der Rolle des Pädagogen (Kapitel 1.4).
Diese theoretischen Überlegungen versuche ich dann ansatzweise im konzeptionellen B-Teil anzuwenden, da klar ist, dass Gewaltprävention ein langandauernder Prozess ist, der Faktor Zeit also eine wichtige Rolle spielt.
A-Teil: Theoretische Überlegungen
1. Definition, Äußerungsformen und Erklärungsmodelle von Aggressionen
1.1 Definition und Äußerungsformen der Aggression
Der Begriff der Aggression lässt sich ableiten vom Lateinischen „ad-gredi“ gleich „herange-hen“, „auf jemanden“ oder „auf etwas zugehen“ (im weiteren Sinne), „auf jemanden“ oder „auf etwas losgehen“, „jemanden“ oder „etwas angreifen“ (im engeren Sinne). Er symbolisiert also sowohl die bloße Annäherung als auch den (feindseligen) Angriff (vgl. Heinelt 1978, S. 20.). Eine für die sozialpädagogische Arbeit mir sinnvolle Arbeitsdefinition der Aggression ist die von Ullmann: „Aggression ist ein Verhalten, das darauf abzielt, bewusst oder unbewusst jemand anderem Schaden zuzufügen, ihn zu kränken oder zu verletzen oder eine Sache zu zerstören“ (Ullmann 1974, S. 111.).
- Körperliche Aggression lässt sich als direkte, körperliche, gewalttätige Auseinandersetzung beschreiben, die sowohl körperlichen als auch psychischen Schaden zufügen kann, angefangen bei leichten Prügeleien bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen und sogar Tötungen, wie das Beispiel Erfurt zeigte. Ein Machterleben durch ihre schnelle Wirkung kann durchaus positi-ve Auswirkungen auf das Selbst(wert)gefühl des Angreifers haben, hat also eine Verstärkungs-effekt durch die aktivierende Wirkung selbst als auch durch die gewonnene Aufmerksamkeit der sozialen Umwelt.
- Verbale Aggression äußert sich in kränkenden, verletzenden, entwertenden Beschimpfungen und Bemerkungen über andere Personen. Oftmals scheinen sie den Alltag zu prägen. Heinelt bezieht sich auf Watzlawick, Beavin und Jackson (1974), wenn er sagt, dass verbale Aggres-sion „ [...] in unserem menschlichen Alltag eine bedeutende Rolle (spielt), da unser Verhalten im wesentlichen von verbaler Kommunikation bestimmt ist, die unterstrichen wird durch Elemente der Mimik, der Stimme und der Gestik“ (Heinelt 1978, S. 25.). Sie gilt als „legitimes Mittel der Durchsetzung“ eigener Interessen (Heinelt 1978, S. 26.). Jedoch drohe sie auch, das soziale Klima (der Schulklasse) zu vergiften, Affekte hochzupeitschen, die Aggression eskalieren zu lassen (in körperliche Aggressionen). Wortwahl und stimmlicher Kraftaufwand stünden oft in keinem Verhältnis zum gegebenen Anlass. Schon eine Rücknahme der Lautstärke könne eine Entspannung zur Folge haben. Besonders betroffen seien Schüler, die (mittels Mechanismen der sozialen Ausgrenzung und Etikettierung, Anm. d. Autors) zur Zielscheibe des Spottes gemacht werden und mit Prestigeverlust rechnen müssen (vgl. Heinelt 1978, S. 26.).
- Expressive Aggression zeigt sich in Mimik, Gestik, Sprechstimme und Gebärden, die die verbalen Äußerungen begleiten und betonen. Verbale und expressive Aussage müssen dabei aber nicht übereinstimmen (z.B. aus Angst Kritik zu äußern). Expressive Aggression entsteht aus Affekten wie Hochmut und Verachtung, Wut und Zorn, Ablehnung und Hass. Äußerungs-formen sind z.B. Ausspucken, Zunge-Herausstrecken, Vogelzeigen und Drohgesten (z.B. Fäu-steballen). Außenseiter in einer Schulklasse scheinen wenig sensibel zu sein, diese expressi-ven Signale in ihren Abstufungen zu interpretieren und zwischen feindlich und freundlich-solidarisch gesinnten Mitschülern zu unterscheiden (vgl. Heinelt 1978.).
- Selbstaggression richtet sich sowohl verbal, z.B. in Selbstbeschimpfungen, als auch phy-sisch, z.B. im Nägelkauen, übermäßigen Kratzen oder Ritzen, gegen die eigene Person. Im Extremfall führt die Selbstaggression zum Suizid. Es scheint plausibel, dass v.a. ängstliche Menschen mit schwachem Selbstwertgefühl selbst-aggressiv sind, die es nicht schaffen, ihren Frustrationen und durchaus neurotisch-aggressiven Verhaltensweisen konstruktive, angemes-sene Denk- und Handlunsansätze entgegenzusetzen
- Aggressionsphantasien fügen keinen reellen physischen oder psychischen Schaden zu und sind somit streng genommen keine echte Aggression. Jedoch hängen Aggressionsphantasien möglicherweise mit manifestem aggressivem Verhalten zusammen (vgl. Heinelt 1978, S. 30.). Aggressionsphantasien können sowohl kathartisch als auch aggressionssteigernd wirken. Letztere Wirkung wird sicherlich mitunter durch die gewaltsamen, faszinierenden Vorbilder in den Medien wie Fernsehen oder Computerspielen gefördert und stellt eine Gefahr für die Person selbst und andere Personen dar, besonders wenn keine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten, also eine Abgrenzung des aggressiven Vorbilds zur Realität, gelernt wurde. Jedoch stellen „aggressive Phantasien [...] eine Möglichkeit dar, (auch nicht-körperlich-aggressiv, Anm. d. Autors) auf Frustration zu reagieren“ (Heinelt 1978, S. 30.).
1.2 Erklärungsmodelle für (jugendliche) Aggressionen
Folgende Theorien zeigen mögliche Entstehungshintergründe aggressiven Verhaltens.
a.) Das Trieb-Instinkt-Modell nimmt einen biologischen, angeborenen Mechanismus für ag-gressives Verhalten in Form eines eigenständigen, spezifischen (Todes)Triebes (S. Freud, Psychoanalyse) bzw. Instinkts (K. Lorenz, Verhaltensforschung) an. Allein durch die Soziali-sationsbedingungen ergeben sich die Äußerungsformen des Aggressionsverhaltens, für das es nur begrenzte Möglichkeiten zur Aggressionsbewältigung gibt (vgl. Heinelt 1978.).
Nach dem Trieb-Modell Freuds entstehen neurotische Störungen und extrem destruktive Verhaltensweisen durch starke Unterdrückung aggressiver Triebbedürfnisse durch das Über-Ich oder die kulturellen, gesellschaftlichen Normen. Diese können höchstens in soziale, kon-struktive Verhaltensweisen wie "Arbeitseifer, Engagement, Zivilcourage, Selbstverteidigung, Einsatz für Ideale" umgewandelt werden (Heinelt 1978, S. 34.).
Auch das Instinkt-Modell von K. Lorenz (wegen seiner Relevanz für die Menschen unter Wis-senschaftlern umstritten) geht von einem eigenständigen, spontanen und biologisch veranker-ten Antrieb aggressiven Verhaltens aus. Schon unangemessene, nicht-aggressive Anlässe rei-chen aus, um aggressives Verhalten aufgrund angestauter, nicht ausgelöster aggressiver Trieb-regungen auszulösen. Gestoppt werden kann es durch ebenfalls instinktiv verankerte Hemm-Mechanismen (Demutsgebärden). "Menschliches Verhalten" kann unter "bestimmten Bedingungen (z.B. Stress; unklare emotionalisierte Situationen) [...] auf evolutionär alte Stufen (als Notfallreaktionen) regre-dieren, zu denen u.a. aggressives Verhalten gehört" (Wahl, K.: Gewalt und Aggression. In: Otto, H. U. u. Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Sozialarbeit Sozialpädagogik. Neuwied, Kriftel: Luchterhand 2001, S. 732.).
In der heutigen reizüberfluteten Zeit scheint es jedoch anscheinend immer schwieriger zu werden, den anderen mit seinen Ausdrucksgebärden der Demut wahrzunehmen, Mitleid und Betroffensein zu empfinden. Eine Unschädlichmachung zerstörerischer Aggression besteht in der Ausrichtung aggressiver Potentiale auf wertvolle Ziele (z.B. sportliche "Wettkampfspiele", "Großraumprojekte", "Verwirklichung großer Ideale" und das "gegenseitige Sichkennenlernen") für eine konstruktive Bewältigung des Alltags (Heinelt 1978, S. 36.).
b.) Nach dem Frustrations-Aggressions-Modell kann aggressives Verhalten in Folge der "Störung einer zielgerichteten Aktivität" (=Frustration) entstehen (Wahl: Gewalt und Aggression, a.a.O., S. 732.). Die Störung kann erfolgen durch die Einwirkung anderer, durch Krankheit, hohe Selbstansprüche usw. Es besteht die Möglichkeit der Aggressionshemmung, der Verschiebung der Aggression auf andere Personen, Gegenstände oder sich selbst (Autoaggression). Die Frustrations-Erregungs-Theorie nimmt eine Gefühlsreaktion (Ärger/Wut, Furcht oder andere Gefühle) zwischen Frustration und Aggression an. Erst durch zusätzliche Reize und gelernte Reaktionsweisen (z.B. Rückzug, Psychosomatisierung oder eben Aggression) führt Ärger bzw. Wut zu Aggressionen (Wahl: Gewalt und Aggression, a.a.O, S. 732.).
c.) Die Lerntheoretischen Modelle gehen davon, dass aggressives Verhalten aufgrund von Lernprozessen erworben wird – genauso wie andere (soziale) Verhaltensweisen (z.B. Spre-chen, Leistungsmotiv, Helfen) und nicht eine persönliche, unveränderliche Disposition ist.
- Bei der klassischen Konditionierung nach Pawlow wird eine "[...] reflexartige aggressive Reaktion [...] auf einen ursprünglich neutralen Reiz übertragen oder generalisiert. Wenn uns z.B. ein Mensch bereits mehr-mals geärgert hat, reicht schon ein Anblick, uns aggressiv zu stimmen" (Wahl: Gewalt und Aggression, a.a.O., S. 732.).
- Nach dem Prinzip des „operanten Konditionierens“ (Skinner) lernen Lebewesen am Erfolg, durch positive Verstärkung bzw. Belohnung ihres (aggressiven) Verhaltens, aufgrund
dessen schneller Wirkung und der Selbst- und Fremdbekräftigung etwa in Form der sozialen Aufmerksamkeit (z.B. bei Prügeleien in der Schule), materieller Belohnungen und der eige-nen Freude (intrinsisch). Positive Verstärker erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines sozialen oder auch aggressiven Verhaltens in einer gleichen oder ähnlichen Situation. Andere zur Erreichung des (selben) Zieles eingesetzte Verhaltensweisen, die nicht verstärkt werden, werden mit der Zeit abgebaut (Extinktion) (vgl. Heinelt 1978.). „Eine unregelmäßige, intermittierende Verstärkung wirkt sich möglicherweise wie ein regelmäßiger Erfolg aus, wenn ein Löschungswiderstand aufgebaut wird“ (Heinelt 1978, S. 40.).
- Nach dem Prinzip des „Lernens durch Nachahmung“ (Bandura, Skinner) lernt der Mensch als nachahmendes Wesen (überwiegend funktional, also beobachtend) von Vorbildern. Bedeutsam ist es auch bei Jugendlichen, die sich in der Identitätsfindung (Pubertät) befinden und nach einem Selbstkonzept suchen (vgl. Heinelt 1978.). So wird auch aggressives Verhalten unhinterfragt als legitim empfunden und übernommen, können Aggressionen immer mehr „brauchbare und unverzichtbare Instrumente der Lebensbewältigung und des Lebenserfolgs“ (Heinelt 1978, S. 42.) werden. Gerade Fernsehen kann zu aggressivem Verhalten anregen, indem es die schnellen, erfolgreichen Wirkungen aggressiven Verhaltens aufzeigt. Gleichzeitig werden dabei Hemmungen und Gefühle des Mitleids durch Gewöhnung an die aggressiven Inhalte und durch deren Bagatellisierung abgebaut. "Zwischen Vorstellung und Ausführung besteht (jedoch) ein individuell verschieden großer Spielraum, der von Temperament, Lebensalter, persönlichen Erfahrungen, Über-denken der Folgen und situativen Faktoren abhängig ist“ (Heinelt 1978, S. 41.).
1.3 Psychologische/sozialisatorische Hintergründe und Motivationen aggressiven Ver- haltens
psycho-soziale Entwicklung im Jugendalter
- Viele Jugendliche erfahren heutzutage (v.a. in der Pubertät) beim Hineinwachsen in eine offene, pluralistische Gesellschaft eine Orientierungslosigkeit und Überforderung durch viele Entscheidungsmöglichkeiten. Neben dem dem oft mächtigen Drang zur Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und des Protestes (Autoritätskrise) entstehen oft Ratlosigkeit, Unsicherheit und Frustrationen durch die "Ablösung von der Familie (bei gleichzeitiger Abhängigkeit von ihnen, Anm. d. Autors), die Unterdrückung sexueller Bedürfnisse, Leistungsrückgang in der Schule und Anpassungsschwierigkeiten sozialer Art, [...] (die lange) Dauer der Ausbildung [...], der unsicheren beruflichen Zukunft, dem Leistungsdenken und dem Unvermögen, dem eigenen Dasein einen Sinn zu geben" (Heinelt 1978, S. 53f, 57.). Solche sowohl motivational und äußerlich schwer bzw. nicht zu bewältigenden Situationen des Jugendlichen (vgl. Heinelt 1978, S. 54.) können zu aggressiven Handlungen führen, wenn keine Handlungsalternativen zur Verfügung stehen.
- Die gefährdende Wirkung der Medien wurde oben schon beschrieben, hier spielen aggressi-ve Vorbilder eine große Rolle. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Fernseher mit absteigen-der sozialer Schicht zunimmt, er in Arbeiterfamilien häufiger und länger läuft als in Familien der Oberschicht. Er dient hier vermehrt zur Freizeitgestaltung, als Erziehungsmittel, Prämie oder Sanktion. Außerdem wird in Arbeiterfamilien weniger kritisch über den Inhalt reflektiert (vgl. Heinelt 1978, S. 64.).
- Jugendliche, insbesondere aus dem sozialen Brennpunkt, äußern möglicherweise ihre Aggressionen in einer Täter-Opfer-Umkehrung (vgl. Esser u. Dominikowski 1993) als Verarbeitungsmöglichkeit negativer Erfahrungen sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung.
Aggressionen in der Schule
Durch das räumlich und zeitlich festgelegte, nicht immer optimale Settings des Schulunterrichts (Gestaltung der Klassenräume, lange Unterrichtseinheiten) müssen die Jugendlichen viele ihrer momentanen Bedürfnisse (essen, trinken, sich bewegen, auf die Toilette gehen) unterdrücken bzw. aufschieben. Andererseits stehen sie unter dem Erwartungsdruck der Lehrer und Eltern, gute Leistungen zu erbringen. Aggressives Verhalten kann als eine Ausdrucksform der Frustration angesehen werden, insbesondere wenn auf den frustriert-erregten Zustand dann noch Provokationen anderer Menschen erfolgen und überwiegend (gelernte) aggressive Verhaltensmuster zur Verfügung stehen. Die schnelle (u.U. kathartische) Wirkung aggressiven (tätigen) Verhaltens lässt den Jugendlichen sich selbst wieder vitaler und aktiver spüren und stärkt so sein körperlich-leibliches Selbst(wert)gefühl. Es besteht somit die Gefahr einer sich selbst-bestärkenden Aggressionsspirale. Daneben spielt auch die Gruppendynamik durch den bestärkenden Beifall der Gruppe eine große Rolle für aggressives Verhalten. Verbale Aggressionen wie Beschimpfungen (überwiegend durch Jungen) unter Jugendlichen verschiedener Nationalitäten spiegeln aus meiner Erfahrung oft Vorurteile rassistischer oder sexistischer Art wider und werden besonders schnell nachgeahmt.
1.4 Pädagogische Konsequenzen und Rolle des (Sozial)pädagogen
Um angemessen auf aggressiven Verhalten zu reagieren, bedarf es der Differenzierung seiner Äußerungsformen und der Befragung des jeweiligen Hintergrundes. Tritt Aggression als Feindseligkeit, Haß, Ärger, Wut, Geltungsdrang, Langeweile oder Frustration auf (vgl. Heinelt 1978.)?
Es ist zu berücksichtigen, daß Aggressionen im vorpubertären Jugendalter auch (notwendige) Folge von Loslösungs- und Identitätsfindungsprozessen sein können. Gezielt destruktiv ag-gressives Verhalten muss sicherlich hiervon abgegrenzt werden.
Möglichkeiten der Aggressionsbewältigung bestehen zum einen in der Umlenkung der Ag-gression in unschädliche, konstruktive Äußerungsformen, z.B. durch sportliche (Wettkampf)-spiele und Gruppenprojekte. Zum anderen kann ein adäquaterer, nicht-aggressiver Umgang mit Frustrationen durch die "Erziehung zu einer Frustrationstoleranz, die mit Schwierigkeiten und Unlust-erlebnissen fertig werden läßt, ohne daß das Individuum neurotisch und aggressiv reagiert [...]" (Heinelt 1978, S. 43.) gelernt werden. Sozialpädagogische Arbeit sollte die Ganzheitlichkeit des Menschen mit seinen Bedürfnissen, sozialen Beziehungen und vorhandenen Handlungsressourcen beachten. Die Gestaltung des räumlichen und zeitlichen Settings sollten nicht zu starr sein. Es sollte genügend körperlicher Ausgleich zur einschränkenden Unterrichtssituation gewährt werden wie sportliche Wettkampf- als auch Gemeinschaftsspiele und generell eine "Bedürfnisorientierung statt Problemorientierung" (Esser/ Dominikowski 1993, S. 72.) stattfinden. "Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung, Erlebnis und Anregung, Selbstbestimmung, Sicherheit und Solidarität, Erkenntnis und Orientierung, etwas zu bewirken, befriedigende Partnerbeziehung und Sexualität sowie ein Bedürfnis nach Erholung und Entspannung" (Damm, 1980, S. 16.) sollen beachtet werden. Zur Gestaltung sozialer Beziehungen eignet sich der interaktionistischen Ansatz. Hierbei geht es um "[...] Gruppenprozesse in der Schulklasse. Durch qualifizierte Intensivierung und quantitativer Ausdehnung der Beziehungen zwischen Lehrer und Schülern sowie zwischen Schülern und Mitschülern werden dem aggressiven Verhalten die Grundlagen entzogen" (Heinelt 1978, S. 138.). Ziel ist eine gemeinsame Gestaltung der Umwelt der Jugendlichen (unter einem partnerschaftlich-demokratischen Leitungsstil des Pädagogen). Es gilt hier, sie in ihren aggressiven Bedürfnissen anzunehmen, "Gewalt- und Lebenswelterfahrungen aufzuarbeiten und ihre Motivationen und Handlungsantriebe [...] offenzulegen" (Esser/ Dominikowski 1993, S. 72.), um daraus nicht-aggressive Handlungsalternativen zu erarbeiten. Die (a.) bewusste körperlich-leibliche Wahrnehmung von Bedürfnissen und ihrer Frustrationen inklusive der daraus resultierenden Aggressionsbedürfnisse, (b.) die Wahrnehmung der Angst und der Demut des Unterlegenen (zur Erzeugung von Betroffenheit und Mitleid als Hemmmechanismus), (c.) konstruktive Bewältigungsmöglichkeiten (wie z.B. eine friedliche Auseinandersetzung durch sachliche Kritik, Aufdecken und Vermeiden frustrierender Situationen oder ein Ausleben der Aggressionspotentiale durch Sport) und (d.) der Aufbau sozialer Beziehungen (z.B. durch gemeinsame Aufgaben und Erlebnisse) sollen geübt werden. Dies kann z.B. in Gesprächen, Körperwahrnehmungsübungen (z.B. Entspannungstraining) und in Rollen-/Gruppenspielen geschehen. Die Förderung konstruktiver Kritik (berechtigte Einwände gegen eine Sache oder Situation, nicht gegen die Person) stellt weiterhin eine Bewältigungsmöglichkeit von Aggressionen dar, vor allem bei Schülern, die es nicht gelernt haben, Aggressionen zu äußern ("nicht-gekonnte" oder "nicht gelernte" Aggression), die "[...] keine Schwierigkeiten machen, aber Schwierigkeiten haben" (Heinelt 1978, S. 126.). Und auch durch Lernen des Lernens und der Selbstorganisation in der Schule kann weiterhin auf Frustrationen geantwortet werden. Daneben helfen Techniken der Verhaltensmodifikation, manifestes aggressives Verhalten einzudämmen. Erfolgserlebnisse sind zu schaffen. Unmittelbare positive Verstärkungen können erfolgen "in Worten (`Das hast du gut gemacht`), expressiven Formen der Zuwendung (Lächeln, Zunicken), in materieller Belohnung (Prämien, Süßigkeiten), in Vergünstigungen (Filmvorführung, Rollenspiel, Besichtigungen) usw." (Heinelt 1978, S. 145.). Diese positiven Verstärkungen sozial annehmbaren Verhaltens können auch in einem Verstärker-Punkte-System oder in Verhaltensverträgen festgelegt werden. Ziel sollte jedoch die Schaffung positiver intrinsischer Motive für soziales Verhalten sein (z.B. Stolz, Zufriedensein mit eigenen Leistungen). Weiterhin ist das Lernen am Modell sehr wichtig. An erster Stelle steht hier der Pädagoge, der als Vorbild für ein nicht-aggressives (im Sinne einer physischen oder psychischen Schädigung) bzw. gekonnt-aggressives (im Sinne eines zwar beharrlichen Verhaltens, jedoch mit dem Ziel einer konstruktiven, friedlichen Lösung) Verhalten dienen soll. Gesprächsthema sozialpädagogischer Arbeit können z.B. (aggressive) Vorbilder im sozialen Umfeld und den Medien als auch Rollenklischees und -erwartungen (z.B. des stark sein müssenden Mannes) sein. Auch die Mitschüler können durch ihr friedliches Vorbild wirken, wenn sie in Streit-Schlichter-Programmen zu vermitteln versuchen.
[...]
- Arbeit zitieren
- Michael Felbert (Autor:in), 2003, Gewaltpräventive und bedürfnisorientierte sozialpädagogische Förderung aggressiver Hauptschüler aus dem sozialen Brennpunkt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10793
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