0. Inhalt
1. Hinführung zum Thema und Problemstellung
2. Gesellschaft und totalitäre Bewegung
2.1. Das Volk
2.2. Der Staat
2.3. Die Dynamik – das Lebenselixier des Totalen.
3. Das irrationale Resümee des Irrationalen
4. Literatur
1. Hinführung zum Thema und Problemstellung
Das 20. Jahrhundert ist von einem schwarzen Schatten durchzogen, es ist die Silhouette des Totalitarismus, die die Länder Europas in ein Gewandt von Angst und Schrecken gehüllt hat. Um so weiter die Totalitarismusforschung vordringt und um so entfernter die großen Kriege des letzten Jahrhunderts zurückliegen, desto deutlicher offenbaren sich die Eigenarten und die Gemeinsamkeiten der totalitären Regime. Wie in jeder Wissenschaft gibt es auch in der Totalitarismustheorie eine Entwicklung, die dazu führt hat, daßman sogar den eigenen Forschungsbegriff, Totalitarismus, in Frage stellte.1 Die Klassiker der Totalitarismusforschung, zu denen die Werke von Hannah Arendt (*1906, †1975) und Franz Leopold Neumann (*1900, †1954) gehören, blieben von dieser Diskussion nicht unangetastet, aber trotzdem stellen sie einen unwiderruflichen und herausragenden Teil dieser Forschung dar. Nachdem es gerade für die deutsche Bevölkerung schwierig war, die Geschichte des Hitlerregimes aufzuarbeiten, gewinnen in den fünfziger und sechziger Jahren die Werke der Exilautoren Arendt und Neumann an Bedeutung. Die achtziger Jahre sind von einer Renaissance der Klassiker der Totalitarismusforschung geprägt, die wohl bis heute anhält.
Die vorliegende Arbeit soll sich auf die Werke ,,Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ von Hannah Arendt und ,,Behemoth, Struktur und Praxis des Nationalsozialismus“ von Franz L. Neumann beziehen. Die verschiedenen Ausgangspunkte beider Autoren, die zur Zeit der NS-Herrschaft im Exil lebten, ist von besonderer Bedeutung. Der ,,Behemoth“ erscheint 1942 und 1944 in der erweiterten Form2, das heißt das Buch wird in der Zeit des Nationalsozialismus und des zweiten Weltkrieges im Exil in New York geschrieben. Gerade im ersten Teil entsteht zusätzliches Interesse beim Leser, weil zu diesem Zeitpunkt nicht klar ist, ob das ,,tausendjährige Reich“ Hitlers den Krieg überdauern wird oder nicht. Es ist erstaunlich, daßso ein umfassendes Werk, wie der Behemoth von Neumann, erst 35 Jahre nach seiner Erscheinung in die Muttersprache des Autors, nämlich ins Deutsche, übersetzt wurde.3
Es ist durchaus möglich, daßhierbei so manche Äußerung Franz Neumanns in der Öffentlichkeit und in seinem Werk ,,Behemoth“ eine Rolle gespielt hat. Gerade im Behemoth findet sich so manches marxistische Element4 und mit der Kritik an den Parteien zur Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme5, teilt er sicher nicht die Ansichten der deutschen Nachkriegspolitiker. Neumann ist der Auffassung, daßEuropa nach dem Krieg neu geordnet werden muß: ,,Es darf nicht wieder in feindliche, kriegführende Staaten gespalten sein. [...] Deutschland darf nicht geteilt oder versklavt werden.“6 Desweiteren redet Franz L. Neumann öffentlich von seiner Mitschuld und der kollektiven Schuld des deutschen Volkes.7 Nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt, wird versucht das Feuer zu löschen, wenn ein Lichtstrahl versucht die Dunkelheit des Raumes zu durchbrechen, besonders dann, wenn viele bekannte Namen im Zusammenhang mit nicht so bekannten Ereignissen gebracht werden.
Der Stil seines Werkes ist geprägt von Neumanns Erfahrung als Jurist, Lehrer, Soziologe und Politologe. Die Abhandlungen und Argumentationen sind demnach sehr rationell und gut geordnet. Neumann betrachtet den Nationalsozialismus historisch-kritisch, während sich das Werk Hannah Arendts, ,,Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, schwer in eine philosophische Schule einordnen läßt. Ihre Betrachtungen gehen mehr vom Wesen der Dinge aus, als von einer korrekten zeitlich geordneten Abfolge. Die phänomenologische Sicht8 Hannah Arendts wirkt zwar (durch die ungeheuren Zeitsprünge und Verallgemeinerungen) ungenauer als das rationale Vorgehen von Neumann. Die ,,Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ wirken gerade durch den eigenwilligen Stil und die bildhafte Sprache interessant und spannend. Wahrscheinlich ist dies ein Grund warum Arendts Buch schon 1955 als ,,deutsche Übersetzung vorlag.“9 Es sollte auch darüber diskutiert werden, ob Arendts Ansatz nicht der einzig richtige ist, denn es erscheint unmöglich ein System, das zum Irrationalen neigt und sich in seiner eigens produzierten und auf die Gesellschaft projizierten Scheinwelt bewegt, mit wohlgeordneten und rationalen Mitteln zu erklären. Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, daßes den totalen Staat in seiner vollen Entfaltung noch nie gegeben hat.10 Der wahre Gegenstand der Forschung verschwimmt also in den verschiedenen Interpretationen der unterschiedlichen Autoren. Obwohl es nicht vordergründig Gegenstand ist, soll die nachfolgende Betrachtung in ihrer Gesamtheit unterstreichen, daßder Totalitarismus zu seiner Zeit eine völlig neue Form der Herrschaft war, um gegenteiligen Meinungen entschieden entgegenzuwirken.11
Eine große Rolle in der vorliegenden Betrachtung spielt Carl Schmitt (*1888, †1985) mit seiner Theorie vom ,,dreigliedrigen Staat“12. Nach Schmitts Meinung besteht der ,,totale Staat“ aus der Verschmelzung der drei Elemente Staat, Bewegung und Volk.13 Der Staat stellt den politischen, aber statischen Teil, das Volk den unpolitischen und die Bewegung den politisch-dynamischen Teil der Gesellschaft dar.14 Für Schmitt ist die Bewegung somit die treibende und alles bestimmende Kraft in der Gesellschaft15, der Staat wird ,,vom politischen Element, das heißt der Partei bestimmt“16, der Staat hat somit keinen Einflußauf die Gesellschaft. Das schwächste Glied der Gesellschaft, das Volk, ist eine unpolitische Masse, die keine politischen Entscheidungs- oder Mitbestimmungsrechte hat. Die Bewegung stammt zwar aus dem Volk, hat sich aber durch die seine Politisierung und Dynamisierung von der ,,grauen Masse“ abgehoben.17 Es soll versucht werden die Beziehungen, der drei voneinander isoliert scheinenden Elemente, mit Hilfe der Thesen von Arendt und Neumann zu charakterisieren. Dieser ,,dreigliedrige Aufbau“18 der Gesellschaft soll dazu dienen, die Ausführungen auf die drei zentralen Begriffe (Staat, Bewegung, Volk) zu beschränken, um anhand dieser, die Ansichten von Hannah Arendt und Franz L. Neumann darzustellen. Hierbei ist wichtig, daßsich das Modell des ,,dreigliedrigen Staates“ nicht zur ,,Maske“ wandelt, in der die Theorien Arendts und Neumanns „hineingepreßt“ werden. Die Idee Schmitts dienen als Orientierung, als Leitfaden und Wegweiser. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Theorien der beiden Autoren sollen herausgestellt werden, allerdings mußdiese Betrachtung die strengen formalen ,,Ketten“ eines normalen Vergleichs sprengen, indem im Verlauf deutlich wird, daßsich die beiden eigentlich verschiedenen Theorien, mehr ergänzen als widersprechen. Es wird mehr Wert auf die Darstellung eines Bildes vom Totalitarismus gelegt, das sich in den Werken von Arendt und Neumann ausdrückt, als auf die Durchführung eines hochstandardisierten Vergleichs, in den sich ein Buch wie die ,,Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ sowieso nicht pressen läßt.
Es ist Ziel dieser Hausarbeit das wesentlichste Element des Totalitarismus, die Dynamik, herauszustellen und in all ihren Ausprägungen zu charakterisieren. Dabei wird sich zeigen, daßArendt und Neumann zwar unterschiedliche Herangehensweisen haben den totalen Staat zu beschreiben, aber bei beiden Autoren die Dynamik das Grundelement ihrer eigentlich unterschiedlichen Theorien darstellt. Desweiteren soll beantwortet werden, wie sich die Dynamik in den einzelnen ,,schmittschen Gliedern der Gesellschaft“ äußert. Alle Betrachtungen laufen in einem Punkt zusammen: Es gibt im Totalitarismus kein Macht- und Gewaltmonopol, und es existiert kein Recht oder Unrecht. Daraus wird sich später ableiten lassen, daßder Totalitarismus die festen Strukturen einer Gesellschaft nutz, ja sogar braucht, um sich selbst am Leben zu erhalten. Der totale Staat kann nur bestehen, wenn die gesamte Gesellschaft in einem Zustand der unaufhörlichen Bewegung versetzt und gehalten wird. Dieser Zustand, der am besten mit Mussolinis Ausspruch, ,,das Ziel der Bewegung, ist die Bewegung an sich“, zu beschreiben ist, soll hier durch das Wort ,,Dynamik“ ausgedrückt werden. Die Dynamik entsteht dadurch, daßdie Bewegung sich in jedes noch so klein geratene ,,Äderchen“ der Gesellschaft setzt und dabei nicht nur diesen kleinen Teil der Gesellschaft beeinflußt und verändert, sondern vor allem aus jedem einzelnen Menschen den Hang zum Irrationalen, den unerbittlichsten Selbsterhaltungstrieb und das in jedem schlummernde Gewaltpotential herausholt und an die Oberfläche befördert. Die Hauptthese dieser Abhandlung ist die Feststellung, daßdas Grundelement des Totalen, die Dynamik, durch die bewußte Herstellung eines Naturzustandes im hobbschen Sinne am Leben erhalten wird. Dieser menschenunwürdige Zustand kann nur durch Verbreitung von Angst und Terror aufrecht erhalten werden. Es ist Ziel die Gesellschaft zu atomisieren, um den einzelnen Menschen in die Situation zu versetzen, sich provoziert zu fühlen und dadurch aus Gründen der Selbsterhaltung, des Selbstschutzes, der Feigheit, des Eigennutzes oder der einfachen Befehlsausführungspflicht selbst Verbrechen und Schandtaten zu begehen. Und hier schließt sich der Kreis, denn die kleinsten und noch so unbedeutendsten Verbrechen der einfachen Bürger, tragen bei zur Aufrechterhaltung der Dynamik - dem Lebenselixier des Totalen.
Die Betrachtungen von Arendt und Neumann sollen vor allem als Stütze, als etwas Gegebenes und Feststehendes dienen, denn schon in der Problemstellung wird klar, welch schwieriger Versuch unternommen wird, wenn man sich mit rationalem und eher humanistisch gebildetem Verstand an das Irrationale, an das Unbegreifliche und wahrscheinlich nur psychologisch zu erklärende Phänomen des Totalitarismus heranwagt. Am Ende soll ein Bild des Totalitarismus entstehen, in dem sich das totale Regime einzig und allein nur durch das Aufrechterhalten der Dynamik am Leben erhält. Die nichttotalitäre Gesellschaft wird zu diesem Zweck als Sammlung von einzelnen Strukturen, Systemen und Organisationen angesehen. Diese Einzelstrukturen bilden in ihrer Summe die feste Gesamtstruktur der jeweiligen Gesellschaft. Es soll gezeigt werden, daßsich der Totalitarismus diese festen Strukturen zu nutze macht und seine formlose Gestalt, die keine wissenschaftliche oder philosophische Grundlage hat, wie ein Schmarotzer in die Gesellschaft einführt, um diese damit zu unterlaufen und ,,auszuhebeln“. Dieser Virus verschont selbst die kleinste soziologische Einheit einer Gesellschaft, den einzelnen Menschen, nicht und somit wird jede einzelne Person zum Motor der Dynamik der Bewegung. Die Ausführungen von Neumann beziehen sich fast immer auf den Nationalsozialismus in Deutschland und auch im Werk von Hannah Arendt spielt der ,,Hitlerstaat“ die entscheidende Rolle19, deshalb soll sich dieser Text mit seinen Beispielen besonders auf den Nationalsozialismus in Deutschland beziehen.
2. Gesellschaft und totalitäre Bewegungen
2.1. Das Volk
Eine sehr kritische, aber für unsere Zwecke sehr treffende Beschreibung der Rolle des Volkes im Staat, bietet uns Friedrich Nietzsche (*1844, †1900): ,,Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: ,Ich, der Staat, bin das Volk.‘“20 Es kann aber niemand leugnen, daßdas Volk als substanzielles Grundelement eines Staates eine gewisse Macht inne hat. In einem totalitären Staat müßte dem Volk eine besondere Stellung zukommen, da sich die Bewegung aus dem Volk rekrutiert und die ,,totale Herrschaft [...] ohne Massenbewegung und ohne Unterstützung durch die von ihr terrorisierten Massen nicht möglich“21 ist. Die Führer der totalen Bewegung sind in gewisser Weise immer auf die Massen angewiesen.22 Neumann drückt diesen Sachverhalt ähnlich aus: ,,Massen machen Diktatoren und Diktatoren machen Massen [...].“23 Es gilt also das Wesen des Volkes zu analysieren, um ausfindig zu machen, wieso das Volk, als eines der wichtigsten Voraussetzungen eines totalen Staates, sich in eine solch untergeordnete Rolle zwingen läßt. Wie ist es möglich die Menschen in eine so widersprüchliche Lage zu manövrieren? Als erstes mußman sich fragen wie aus dem Volk (bzw. Teile des Volkes) eine Masse werden konnte, und was diese auszeichnet.
Hannah Arendt hat für den Begriff der Masse eine einfache Definition, die sie in ihrer typischen Art und Weisen dem Leser anbietet: ,,Was die modernen Massen vom Mob unterscheidet, ist die Selbstlosigkeit und die Desinteressiertheit am eigenen Wohlergehen, die sich so auffallend in den modernen totalitären Massenorganisationen manifestiert.“24 Es scheint ein allgemeines Phänomen zu sein, daßMenschen gegen ihre eigenen Moralvorstellungen und gar gegen ihren Selbsterhaltungstrieb handeln, um ein ,,kleines Stück vom großen Ganzen zu sein.“ Die totalitären Massenorganisationen haben es verstanden, den in die Organisation eingeschlossenen Menschen unter ständiger Angst zu halten, ausgeschlossen zu werden.
Zunächst müssen die Menschen der entstehenden Masse eine Gemeinsamkeit finden, die ihren ,,Zusammenschluß“ rechtfertigt. Diese Gemeinsamkeit wird dann durch die Propaganda-maschinerie unter das Volk getragen. Die ,,Gemeinsamkeit“ wird wegen der unklaren Bedeutung durch das englische Wort ,,joint action“ ersetzt, was im Englischen die Bedeutung von ,,gemeinsam Handeln“ besitzt.25 Nach der Meinung von Hans Maier begründete sich diese joint action im Nationalsozialismus auf die Rassenlehre.26 Hierbei ist auffällig, daßdie Gemeinsamkeit ,,Nichtjude“ zu sein, wie die Gemeinsamkeit ,,Arbeiter“ zu sein bestimmte Kriterien erfüllt. Erstens sagt diese Gemeinsamkeit nichts über das Vorhaben, die Ziele oder Beweggründe der Massen aus. Dies hilft den Führern der Bewegung, die sich auf die Massen stützen, bei der Erhaltung der Dynamik, da es keine definierten, also erreichbaren Ziele gibt. Zweitens ist der Begriff der ,,Rasse“ und der ,,Klasse“ beliebig auslegbar. Die joint action bezeichnet also einen Zustand der Menschen, in dem der Einzelne isoliert vom Rest der Gesellschaft lebt. Die Masse findet sich lediglich in einer Situation zusammen, nämlich im Ausleben kollektiver Gewalt. Diese joint action ist jedoch keine Handlung, die auf eigenem Willen und eigener Entscheidung beruht, sondern wird von der Bewegung gesteuert. Somit erfüllen beide Begriffe, Rasse und Klasse, denselben Zweck, nämlich den der Massenmanipulation.27 Man darf jedoch nicht aus den Augen verlieren, daßdie beiden Begriffe nur etwas mit der Ideologie zu tun haben, nicht mit dem Wesen des Totalitären an sich. Die Ideologie ist das ,,Brot“, mit der die Masse gelockt, gefüttert und am Leben erhalten wird. Im Stalinismus war es eher der Fall, daßsich jeder, der die letzte Säuberungswelle überstanden hatte, sich zur Gruppe der ,,Eingeschlossenen“ zählen durfte, als das sich vordergründig jeder Einzelne mit der Klasse der ,,Arbeiter und Bauern“ identifiziert hat.28 Passend dazu ist die nicht gerade marxistische Aussage Stalins: ,,Die Gesellschaft bin ich.“29 Das die Ideologie nur ,,vorgeschoben“ ist, um die Massen für die Bewegung zu gewinnen und zu mobilisieren tritt am besten hervor, wenn man bedenkt, daßdie Nationalsozialisten sich der marxistischen Idee bemächtigt haben, der sie öffentlich mit allem Haßentgegenstehen. ,,Die neue nationalsozialistische Ideologie ist eindeutig eine Perversion der marxistischen Ideologie mit dem Ziel, die marxistische Arbeiterklasse zu verführen.“30,,Denn der Nationalsozialismus bietet dem Arbeiter alles an, was der Marxismus ihm bietet, und das ohne Klassenkampf. Er bietet ihm eine höhere Form des Lebens, die ,Volksgemeinschaft‘, und die Herrschaft der Arbeit über das Geld, ohne ihn zum Kampf gegen seine eigene herrschende Klasse zu zwingen. Ganz im Gegenteil, ist er eingeladen, der herrschenden Klasse beizutreten, an ihrer Macht, ihren Ruhm und ihren materiellen Vorteilen als Teil der Maschinerie teilzuhaben.“31 Versetzt man sich nun in die Zeit der großen Weltwirtschaftskrise und der politischen Instabilität der Weimarer Republik in den späten Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre, dann versteht man, wieso sich so viele Menschen nach der ,,universalen Medizin“ der Nationalsozialisten gesehnt haben, die versprach die ,,Wunden der Gesellschaft“ zu heilen. Die Rassentheorie ist das beste Beispiel für den Aufbau einer Scheinwelt: ,,In dieser Begrenzung des Lebensraumes liegt der Zwang zum Lebenskampf, im Lebenskampf dafür aber die Voraussetzung zur Entwicklung.“32 Die Führer der totalitären Regime kommen somit zu ganz neuen Definitionen von Begriffen, die schon so alt sind wie die Menschheit selbst: Die Politik hat demnach die Aufgabe ,,die Erhaltung jener einen Substanz aus Fleisch und Blut. Ihr Erfolg ist die Ermöglichung dieser Erhaltung. Ihr Mißerfolg ist die Vernichtung, also der Verlust, dieser Substanz.“33
Die Gewinnung, Mobilisierung und Erhaltung der Massen für die totale Bewegung basiert auf dem Zustand der Isolierung des Menschen. Es sollen alle zwischenmenschlichen Beziehungen unterbrochen werden. Die Bewegung ist hier dabei sich ihre Masse zu schaffen und sie zu formen. Der angestrebte Typ ist der verlassene Mensch ohne Perspektiven, der in seiner Einsamkeit und Hilflosigkeit eine Konstante in seinem Leben sucht; ein Vorbild, nach dem er sein verlorenes Leben ausrichten kann, eine Macht, die ihm hilft aus seiner leidlichen Lage der Schutzlosigkeit und Bedeutungslosigkeit zu entrinnen sowie seiner bisherigen Lebensgeschichte zu entfliehen. Der ,,Einsatz“ bei diesem ,,Spiel“ ist nichts Geringeres als das eigene Leben. Bis in die kleinste und privateste Beziehung der Menschen, die Familie34, mußdie totale Bewegung vordringen. Es erfolgt die Bürokratisierung des Privatlebens. ,,Bürokratisierung bedeutet vollständige Entpersönlichung menschlicher Beziehungen; diese werden abstrakt und anonym.“35 Es mußjedem menschlichen Wesen im totalen Staat klar gemacht werden, daßer mit und in der Bewegung ,,Alles“, aber ohne und außerhalb der Bewegung ,,Nichts“ ist. Dabei mußder Mensch das Gefühl der ständigen Bedrohung verspüren, die sich nicht darin äußert die Arbeit verlieren zu können, weniger Einkommen zu haben oder zu erkranken. Es geht vielmehr um das ,,nackte“ Überleben, um ,,ich oder der andere“, um ,,Sein oder Nichtsein“, um ,,Töte! Oder du wirst getötet!“ Unter diesen Umständen ist es möglich, daß,,jeder Deutsche, selbst jeder Arbeiter, ein potentieller Hitler“36 wird. Die Stärke des totalen Systems besteht darin, daßjeder gezwungen wird, Verbrechen zu begehen, oder sie zumindest zu erdulden oder sie zu verschweigen. Jedem ist somit bewußt, daßer eine Mitschuld trägt.
Arendts Totalitarismusbegriff ist geprägt von der Darstellung des hemmungslosen Auslebens von Terror und Gewalt. Es wird von der Bewegung ein hobbscher Zustand ,,des Krieges aller gegen alle“37 in die Köpfe der Menschen projiziert, nur das bei Hobbes dieser Zustand durch die freiwillige Unterordnung aller unter den allmächtigen Leviathan beendigt wird. Der Nationalsozialismus ist bestrebt diesen ewigen Kampf der Menschen und Völker (nach innen und außen) auszufechten, wobei jeder geduldet wird, der in der Bewegung ist, und jeder terrorisiert wird, der außerhalb der Bewegung steht.38 Während Arendt das Hauptaugenmerk auf den Terror legt, der die Massen in die Bewegung zwingt, betrachtet Neumann die Gewinnung der Massen mehr unter dem Gesichtspunkt der Atomisierung der Gesellschaft durch die Bewegung und die besondere Bedeutung der Bürokratisierung. Alle menschlichen Beziehungen werden mittelbar und somit handelt das menschliche Individuum nicht nach seinem eigenen Willen, sondern so, wie es die ,,an den Hebeln der Macht sitzenden Amtsträger [...] vorschreiben.“39 Unter Arendts Argumentation hält der oben geprägte Begriff der ,,joint action“ im vollem Umfang stand, auch der von Hans Maier geprägte Begriff des rassisch begründeten ,,Einweihungsretuals“40 drückt die Intensität des Zwangs und des Terrors aus, wie Arendt sie beschreibt.41 Die Begriffe ,,Jude“ und ,,Judenfreund“ sind sehr dehnbare Begriffe; was noch gezeigt und bewiesen werden soll. Betrachtet man Maiers rassisch begründetes ,,Einweihungs-retual“ unter diesem Gesichtspunkt, wird klar, daßMaiers These nur ein Teil von dem ist, was Arendt mit Terror bezeichnet. Ich gehe davon aus, daßdieser Terror zwar zuerst von der Bewegung, aber später von jedem einzelnen Menschen ausgeht, der als Bürger unter einem totalitären Regime lebt. Auch durch die einfachsten und lebensnotwendigsten Handlungen erzeugt oder unterstützt der einfache Bürger den Terror, z.B. wenn er Güter konsumiert, die von Zwangsarbeitern unter menschenunwürdigen Zuständen hergestellt wurden oder auch, wenn er seinen ungeliebten Nachbarn wegen einer Lappalie anzeigt und dieser es dann mit der Härte des nationalsozialistischen Rechtssystems zu tun bekommt. Dieser Zustand beschreibt einen Teil dessen, was mit ,,joint action“ gemeint ist. Hält sich eine Familie an den nationalsozialistischen Grundsatz so viele Kinder wie möglich in die Welt zu setzen, was ja eigentlich nichts Verwerfliches darstellt, so sorgt sie dafür, daßdem Terrorsystem immer mehr Menschenmaterial zur Verfügung steht, um seine Dynamik zu erhalten.42 Lehnt man dieses System nicht explizit ab, so ist man automatisch dafür. Der Mensch kann im totalen Staat als bloßes Mittel zur Erhaltung der Dynamik angesehen werden.
Das irrationale Weltbild, das von der Bewegung produziert wird, wirkt optimal auf jeden einzelnen Menschen. Das Volk wird durch den Terror und die Elemente der Massenpsychologie43 für die Bewegung so mobilisiert, daßdie Masse der Antrieb der großen Maschinerie der Bewegung ist, und damit ihre Dynamik erhält. Der vorangestellte Gegensatz: Das Volk ist zwar das schwächste und leidtragende Glied der Gesellschaft, stellt aber trotzdem die Grundlage aller totalitärer Systeme dar, wandelt sich nach dieser Betrachtung vom puren Antagonismus zu einer schizophrenen Logik. Die Bewegung definiert die Werte völlig neu, deutet die Geschichte in ihrem Sinn und schreibt jedem Mitglied der Gesellschaft vor, wie es seinen Lebensweg zu beschreiten hat.44 Oder, um es mit den treffenden Worten Nietzsches zu beschreiben: ,,Mit euren Werthen und Worten von Gut und Böse übt ihr Gewalt [...]. Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen.“45 Den alten Werten wird somit abgeschworen, um neue geschaffen. Als Resultat steht eine Schwarzweißmalerei, bzw. eine Einteilung in Gut und Böse, die jederzeit neu definiert, ja sogar umgekehrt werden kann. So läßt das aufgebaute Feindbild des ,,Juden“ und des ,,Judenfreundes“ eine offene Interpretation zu, die so irrational erscheint, wie die Bewegung selbst. Ein gutes Beispiel für den weit gefaßten Begriff des Juden bildet die Schrift über die ,,Richtlinien für die Behandlung der Judenfrage“.46 Unter dem ,,Absatz 2“ dieser Quelle soll die ,,Bestimmung des Begriffs ,Jude‘“ erfolgen, weil die Lösung der Judenfrage eine Festlegung des Begriffs voraussetzt: ,,In Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage [...], erscheint es sowohl vom politischen als auch vom völkischen Standpunkt gesehen notwendig, zur Vermeidung einer späteren Wiedererstarkung des Judentums den Begriff ,Jude‘ möglichst weit zu fassen. Demnach ist Jude, wer sich zur jüdischen Religionsgemeinschaft oder sonst als Jude bekennt oder bekannt hat oder wessen Zugehörigkeit zum Judentum sich aus sonstigen Umständen ergibt. Dem Juden wird gleichgestellt, wer einen Elternteil hat, der Jude im Sinne des vorhergehenden Satzes ist“47 Man kann anhand solcher Formulierungen wie ,,aus sonstigen Umständen“48 ablesen, daßim Zweifelsfalle jeder mit dem Begriff ,,Jude“ gemeint sein könnte. In keinem Begriff kann man die Dynamik der Bewegung besser ablesen als im Begriff ,,Jude“. Heinrich Himmler (*1900, †1945) läßt dringend bitten, daß,,keine Verordnung über den Begriff ,Jude‘ herauskommt.“ ,,Mit all diesen törichten Festlegungen binden wir uns ja nur selbst die Hände.“49 Überträgt man diesen Gedanken nur auf eine andere Ebene, so erkennt man, daßdie Erlassung von eindeutigen und nachvollziehbaren Gesetzen, die Dynamik des totalen Systems hemmen würden. Es scheint also von Nöten zu sein, nicht nur im Feindbild, sondern auch in Sachen Recht und Moral große Spielräume der Interpretation zu lassen, in der die Dynamik der Bewegung ihren Raum zur Ausbreitung findet.
2.2. Der Staat
Der Staat stellt nach Carl Schmitts Meinung das politische, aber statische Element der Gesellschaft dar,50 somit ist der Staat der ebenfalls politischen, aber dynamischen totalitären Bewegung entgegengesetzt. Die totale Bewegung, die bei der Machtübernahme eine dem Staat entgegengesetzte, fast anarchische Haltung hat, präsentiert sich als völlig neues Element, nicht nur dem Staat, sondern auch der Bürokratie, dem Militär und dem Rechtswesen. Die Bewegung müßte demnach den Staat mobilisieren, um nicht der Gefahr zu unterliegen, ,,von der Bürokratie des Staates aufgezehrt zu werden und selbst zu einer Parteibürokratie zu erstarren.“51 Wie schwer es ist, den Staat aus seinem ewigen ,,Trott“ herauszuholen zeigt uns schon Machiavelli (*1469, †1527): ,,Und wenn sich auch die Gesetze [...] im Laufe der Ereignisse ändern, so ändern sich ihre Einrichtungen nie oder selten. Infolgedessen genügen die neuen Gesetze nicht, weil die feststehenden Einrichtungen sie verderben.“52 Leider ist der Sachverhalt für unsere Zwecke etwas zu einfach beschrieben, besonders weil, wie oben schon gesagt, die Dynamik des Totalitarismus schon durch die Einführung klarer und eindeutiger Gesetze gehemmt werden würde. Der Totalitarismus läuft also Gefahr, bei seiner Machtübernahme vom trägen Gang der Bürokratie und der statischen Struktur des Staates aufgesaugt zu werden.53 Das ist meiner Meinung nach in Italien mit dem System Mussolinis (*1883, †1945) geschehen. Ende 1921 predigt Mussolini ,,gegen alle seine Gegner den Antistaat“54 zu gründen. ,,Hier [...] hat sich der Faschismus an die Stelle des Staates gesetzt und hat seine eigene Diktatur errichtet, unter Vernichtung seiner Gegner, denen jedes politische und Bürgerrecht verweigert wird, sogar das der nackten Existenz.“55 Doch mit der Machtübernahme wandelte sich das Blatt sehr schnell und aus dem ,,Monster“ mit Namen ,,Staat“ sollte unverhoffter Weise das Heilmittel aller Menschen werden: ,,[...] der Faschismus bejaht den Staat als die einzig wahre Realität des Individuums; [...] Denn es liegt für den Faschismus alles im Staate beschlossen. Nichts Menschliches oder Geistiges besteht an sich, noch weniger besitzt dieses irgendeinen Wert außerhalb des Staates.“56 Der italienische Faschismus als totalitäres System würde spätestens hier sein Ende finden, weil sich die Bewegung im Staat und nicht der Staat in der Bewegung aufgelöst hat und somit findet die Dynamik, auf die sich die Bewegung gründet, sein Ende. Italien sollte zwar nur ein Beispiel darstellen, aber auch hier können wir erkennen wie ähnlich sich Arendt und Neumann zu diesem Thema äußern.57 Das Grundelement der Bewegung, die ,,Permanent Revolution“58 wäre damit ,,abgestorben“. Es stellt sich nun die Frage, wie es dem Nationalsozialismus gelingen konnte dieses Hindernis zu umgehen.
Neumann beantwortet dieses Problem damit, daßdie Partei den Staat nicht nur in Sachen Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz beeinflußt, ,,sondern sie nimmt eine dem Staate übergeordnete Rolle ein.“59 Neumann lehnt die Idee des ,,Dual State“60 von Fraenkel mit der einfachen Begründung ab, daßes in Deutschland keinen Staat gibt, da kein real existierendes Recht existiert: ,,Wenn ein Staat durch die Herrschaft des Gesetzes charakterisiert ist, dann müssen wir diese Frage verneinen, da wir bestreiten, daßin Deutschland ein Recht existiert. [...] Ich bezweifle, daßin Deutschland ein Staat selbst in diesem beschränkten Sinne besteht.“61 Die Bewegung hat sich also mit der Machtübernahme nicht verändert, sondern sie verändert die Gesellschaft und somit auch den Staat nach ihrem Willen. Aber, wie uns Machiavelli gelehrt hat, reicht dieses einfache Unterordnen, der alten Ordnung nicht, um die neue zu etablieren. Genau in diesem Punkt ist die innere Struktur der Ministerialbürokratie der nationalsozialistischen Bewegung entgegengekommen, denn die Bürokratie bildet ,,eine geschlossene Kaste, die keinen Außenseiter in ihren Reihen duldet. Ihre Mitglieder sind extrem ehrgeizige und [...] leistungstüchtige Techniker, die sich um politische Werte wenig scheren. Ihr großes Streben ist zu bleiben, wo sie sind, oder genauer: so rasch wie möglich befördert zu werden. [...] Wie in der Vergangenheit, so marschieren sie mit dem stärksten Bataillonen – von Monarchie über die Republik zum Nationalsozialismus“62 Der Ansatzpunkt, gerade im letzten Satz, von Neumann liegt meiner Meinung nach etwas anders. Es ist mehr der Fall, daßdie Bürokratie eher ein Überbleibsel des Kaiserreichs darstellt, dessen Struktur klar, logisch und hierarchisch ist, und genau da liegt die Anfälligkeit, die jedes hierarchisch strukturierte Gebilde in sich trägt. Die Mitarbeiter der Bürokratie, der Wirtschaftsunternehmen und des Militärs haben nichts besser gelernt als ,,das Gehorchen“. Sie arbeiten für jede übergeordnete Macht, wenn sie daraus einen Vorteil ziehen können. Dieser Vorteil kann den Namen ,,Beförderung“, ,,Lohnerhöhung“, ,,Auszeichnung“, ,,Belobigung“ oder ,,höheres Ansehen und mehr Ehre“ tragen. Nicht nur der Staat mit seiner Verwaltung, sondern auch die Wirtschaft wird zur billigen Nutte des Nationalsozialismus, indem sie sich freiwillig für ihn prostituiert.63 Damit versetzten sich die einstigen Eliten der Gesellschaft auf eine Ebene, die nicht höher liegt, als die des gewöhnlichen Pöbels. Man kann es auch wieder mit den Worten Nietzsches beschreiben: ,,Und wie das Kleinere sich dem Grösseren hingiebt, dass es Lust und Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grösste noch hin und setzt der Macht willen – das Leben dran. Das ist die Hingebung des Grössten, dass es Wagniss ist und Gefahr und um den Tod ein Würfelspielen.“64 Die Bürokratie kann nun als vermeintliche Konstante der Gesellschaft den Willen des Führers, als scheinbar ,,übergeordnete Macht“, in jede noch so private Situation des Lebens der einzelnen Menschen tragen.65 Sie sorgt dafür, daßsich jeder vom ,,Führerwille“ erfaßt sieht und macht damit Adolf Hitler zum allmächtigen ,,Gott“ einer ganzen Gesellschaft. ,,Mit einem Wort, es gibt ein riesiges Netz von Organisationen, die nahezu jeden Aspekt menschlichen Lebens erfassen. Alle werden von Vorsitzenden, Geschäftsführern, Sekretären und Schatzmeistern geleitet [...].“66 Der Staat gilt als abgeschafft und an seine Stelle rücken vier Elemente, Partei, Militär, Wirtschaft, Bürokratie,67 die alle autokratisch hierarchisch aufgebaut und voneinander abhängig sind und alle die Aufgabe wie von selbst erfüllen, das reale Alltagsleben der Bevölkerung durch die fiktive Welt der Bewegung zu ersetzen. Die korrekte Ausführung des Willens der Obrigkeit wird durch die hierarchische Struktur der vier Elemente gewährleistet und so unter das Volk gebracht. Die Nationalsozialisten machen kein Geheimnis aus dem Fakt, ,,daßPartei und Staat ein und dasselbe“68 sind. Die Bewegung braucht den Staat, um ihre amorphe, d.h. formlose, Gestalt in das handlungsunfähige, verfallene, aber statische Gerüst des Staates zu injizieren.
Trotz der sehr guten Analyse Neumanns hat die bisherige Argumentation einen entscheidenden Schwachpunkt: ,,Wenn alle vier Elemente hierarchische Strukturen besitzen, würde das eher das Sinnbild eines autokratischen Staates schaffen und wenn zudem noch die Beziehungen zwischen diesen Elementen in geregelten Bahnen laufen, wie kann dann die Dynamik der Bewegung erhalten werden? Diese Frage soll mit der Hannah Arendts Argumentation zu diesem Thema beantwortet werden, da sie einen anderen Weg zur Lösung des Problems beschreitet als Neumann, aber zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Arendt bezeichnet den Staat auch als bloße Fassade, hinter der sich die eigentliche Macht der Partei verbirgt.69 Sie geht aber mehr auf den Begriff der Bewegung ein. Ein wichtiges Element der Dynamik ist die Doppelbesetzung von Ämtern, die eine Art Gewaltenteilung erzeugt. In der undurchsichtigen Konfusion von Zuständigkeitsbereichen verschwimmt der Übergang von Staat (bzw. staatlicher Fassade) und Bewegung so stark, daßes selbst für den außenstehenden objektiven Beobachter unmöglich wird, den Schmarotzer, die nationalsozialistische Bewegung, von seinem Wirt, dem Staat, zu unterscheiden. Arendt beschreibt den Vorgang der Verdoppelung von Ämtern, das Verschwimmen der Autoritäten völlig unterschiedlicher Organisationen und die spezifische Einteilung des Reichsgebietes für jede einzelne Organisation als Multiplikation.70 So hat die SS, die SA und die Hitlerjugend voneinander völlig verschiedene territoriale Zuständigkeitsbereiche, die sich wiederum von der Einteilung des Reichsgebietes in Gaue unterscheidet.71 Eine Folge ist die Überlappung von Kompetenzbereichen und es entsteht eine Konkurrenz der Instanzen, die die Bewegung für innere Feinde undurchdringbar macht. Ein weiteres Mittel die Fassade des Staates am Leben zu erhalten ohne ihr Macht zu geben, äußert sich in der Neugründung von bürokratischen Apparaten, die es der Bewegung möglich macht seine Macht beliebig zu verteilen. So schizophren es auch klingen mag, es kommt im totalen Staat zu einer Dezentralisierung der Macht. Wäre dies nicht der Fall, würde aus der totalen Herrschaft eine einfache Diktatur werden. Wenn man den Versuch wagen würde, ein totalitäres Regime durch verschiedene feststehende Prinzipien zu charakterisieren, was aufgrund der Irrationalität des Totalitarismus wohl eher als unmöglich gilt, würde dem Prinzip der Machtverteilung und Machtverlagerung die größte Bedeutung zukommen. Der Staat unterstützt die Aufrechterhaltung der Dynamik nur, wenn seine klaren und logischen Strukturen durchlässig und undurchschaubar werden. Es ist vor allem ein organisatorisches Problem eine Institution im Staat durch eine andere kontrollieren zu lassen. Die Letztere müßte dann wieder von einer dritten Institution kontrolliert werden, was eine unendliche Kette von Institutionen nach sich ziehen würde. Noch gravierender wäre aber der Fakt, daßdurch ein solches Vorgehen eine Hierarchie, also eine Ordnung, entstehen würde, die es in der totalen Herrschaft nicht geben darf, weil sie die Dynamik einengen würde. Die Lösung dieses Problems ist einfach, aber genial: Die Macht selbst und damit jedes noch so kleine Element der Gesellschaft, von dem Macht ausgeht oder ausgehen könnte, wird durch das arendtsche Prinzip der Multiplikation von der Dynamik mitgerissen und in eine völlig unkoordinierte Bewegung versetzt, deren Richtung und Intensität nicht voraussagbar oder abschätzbar ist.
Das Schicksal des Staates im Totalitarismus ist es also, kein Staat zu sein, obwohl Institutionen und Gesetze nicht geändert werden, es wird nur hinzugefügt. Durch die Überschneidung der Kompetenzen wird ein selbständiges Arbeiten der Bürokratie und der Organisationen unmöglich. Es bedarf eines obersten Richters und eines Führers, der entscheidet wieviel Macht eine Organisation in einer ganz bestimmten Situation zugesprochen werden kann. Er mußentscheiden welchen der vielen möglichen Wege die Bewegung einschlägt.
2.3. Die Dynamik - das Lebenselixier des Totalen
Nach der Betrachtung von Volk und Staat richtet sich nun das Hauptaugenmerk auf die Bewegung selbst. Es soll begründet werden warum die Dynamik das Kernelement der Bewegung darstellt. Die verschiedenen Elementen, auf die sich die Dynamik des Totalen stützt, sollen nun charakterisiert werden. Das erste Element, das zum Teil schon angesprochen wurde, stellt die situative Verteilung von Macht in Verbindung mit dem Führerkult dar. Hitler hat sich auf die ,,vielfach angewandte Methode der Neuschaffung von bürokratischen Apparaten verlassen, durch welche er die bereits bestehenden dann in den Schatten der Machtlosigkeit gleiten lassen konnte.“72 Im Gegensatz dazu tritt Stalin, der, wenn er einen Apparat entmachten wollte, das gesamte Personal dieses Apparates mitsamt seiner Führer einfach liquidieren ließ.73 Der Vorteil der Methode Hitlers ist die ständig steigende Zahl an Apparaten und Organisationen, denen der einzelne Mensch ausgeliefert war. Der in den riesigen Apparaten beschäftigte oder organisierte Mensch mußte erkennen, daßer als einzelnes Individuum nur im Schatten des ,,Großen Ganzen“ zu wirklichem Ruhm gelangen kann. ,,Aus dem puren Grund, je größer die Organisation, desto unwichtiger das einzelne Mitglied und desto einflußreicher die Bürokratie, hat der Nationalsozialismus sich daran gemacht, den Umfang seiner gesellschaftlichen Organisationen bis zur äußersten Grenze auszudehnen. Die Deutsche Arbeiterfront [DAF] hat rund 25 Millionen Mitglieder. Was zählt da schon das einzelne Mitglied! Die Bürokratie ist alles.“74 Da nahezu jeder von der Bürokratie der nationalsozialistischen Bewegung erfaßt wurde, wird der Mensch innerhalb des totalen Systems ein unscheinbares, kleines und jederzeit ersetzbares ,,Rädchen“ im großen ,,Getriebe“ der Bewegung. Wenn sich jemand nicht in die Bewegung integriert, so gilt er als Gegner des Systems und wird vernichtet, aber wenn er Teil der Bewegung wird, macht er sich an allen Verbrechen mitschuldig. Dieser Gemeinschaftsgedanke basiert auf gemeinsame Emotionen und auf dem ,,Gefühl kollektiver und affektiver Zugehörigkeit“.75 Ist ein Mensch erst einmal in der Bewegung, bestimmt sie über das gesamte Leben des Mitgliedes. Hannah Arendt stellt das besonders deutlich am Beispiel der Moskauer Prozesse dar, bei denen ,,die Opfer als die willigen Helfershelfer der Ankläger erschienen und in ihren ,Geständnissen‘ die freien Erfindungen der Staatsanwaltschaft eher noch überboten. Die Parteidisziplin [...] hielt allen Proben stand und erwies sich als erheblich stärker als der Instinkt für Selbsterhaltung“76 Dies zeigt, daßdas eigenständige Handeln, ja sogar das selbständige Nachdenken in einer totalitären Bewegung unmöglich ist. Wenn sich ein Mensch von anderen durch sein individuelles Handeln unterscheidet, und wenn das eigenmächtige Handeln ein Zeichen des menschlichen Lebens ist, dann ist ,,ein Leben ohne alles Sprechen und Handeln [...] kein Leben mehr, sondern ein in die Länge eines Menschenlebens gezogenes Sterben.“77 Der Mensch hat sein Recht auf Leben in dem Moment verwirkt, in dem er einer Organisation der totalen Bewegung beitritt, andererseits ist er des sofortigen Todes, wenn er sich nicht in die Bewegung eingliedern lassen will. Dieser Zustand ist nicht neu und kommt auch in so mancher Diktatur vor, allerdings wird in der nächsten Betrachtung der Unterschied zu sämtlichen autokratischen Systemen klar ersichtlich: Selbst wenn man denkt im Sinne der Bewegung zu handeln, kann es dazu kommen, daßman von der Bewegung eliminiert wird, weil die Dynamik die Bewegung in eine andere Richtung bewegt hat. Es ist für den einzelnen nicht erkennbar, was in einer spezifischen Situation ,,im Sinne“ der Bewegung ist und was nicht, da niemand voraussehen kann, wo das Monopol der Macht liegt, das in dieser Situation auf den handelnden Menschen einwirkt. Recht und Unrecht sind nicht mehr existent, da sie vollständig ineinander verschwimmen, denn was heute rechtens war, kann morgen schon Unrecht sein. Ein Element der Dynamik besteht also auch darin, daßder einzelne angsthafte, isolierte, nach Anerkennung oder Profit strebende Mensch nie zur Ruhe kommt, weil er sich ständig damit beschäftigt muß, es der Bewegung Recht zu machen, was wie gerade gezeigt wurde, unmöglich ist. Diese Tätigkeit, und nichts anderes, bestimmt den Inhalt des menschlichen Lebens in einem totalen System. Wenn sich jemand schuldig gemacht hat, so wird sein ,,Verbrechen“ auf Grundlage der phänomenologischen Rechtstheorie behandelt, die nicht nach der Art des Verbrechens unterscheidet, sondern lediglich eine Einteilung bestimmter Typen von Verbrechern vornimmt.78 Die Folge sind sehr harte Urteile auch für leichte Vergehen, die oftmals als Abschreckung dienten.79 Mit keiner anderen Aussage läßt sich die ausweglose Situation des Individuums im totalen System besser beschreiben, als mit den Gedanken Nietzsches über den Staat: ,,Staat nenne ich´s, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller - ,das Leben‘ heißt. [...] Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig ist [...].“80
Der Wechsel des Machtmonopols wird im Totalitarismus zum einfachen ,,Spiel“, da sich die gesamte Gesellschaft nur auf Terror gründet. Es gibt keine militärische, ökonomische oder juristische Macht, es existiert nur noch die Bewegung, und die ihr untergeordneten Organisationen und Apparate. Daraus folgt, daßdort die meiste Macht konzentriert ist, wo sich das größte Gewaltpotential befindet: ,,Man spricht viel von der faschistischen Gewalttätigkeit. Wohlan, wir verleugnen sie nicht. Wir beanspruchen für uns allein das Recht, sie zu kontrollieren, zu beobachten und, wenn nötig, zu eliminieren.“81 Bestes Beispiel ist hier die ,,Evolution“ der NS-Eliteeinheiten. ,,Die SA [Sturmabteilung], 1922 gegründet, war die erste Formation, die bestimmt war, radikaler zu sein als die Partei selbst.“82 1925 wurde die SS (Schutzstaffel) als neue Eliteeinheit gegründet. Aus der SS entwickelten sich die Totenkopfverbände (1934 für die Überwachung der KZs) und die Verfügungstruppen (1939 aus der Leibstandarte A. Hitler und den Politischen Bereitschaften).83 Aus der SS-Verfügungstruppe und den SS-Totenkopfverbänden wurde schließlich die Waffen-SS gebildet. Die stetige Hinzufügung von neuen Ämtern oder Institutionen tun das übrige, was zur Kontrolle nötig ist. Der Vorteil an dieser Dynamik ist, daßsie bis ins unendliche fortgesetzt werden kann.84 Dies bietet auch den Vorteil, daßeine Gruppe gegen die andere ausgespielt werden kann.85,,Die deutsche Rasse bildet gegenüber den sie umgebenden Völkern eine Elite. Die NSDAP ist die Elite innerhalb der deutschen Rasse. In der Partei bilden die bewaffneten Kräfte (SA und SS) weitere Eliten. Und selbst in der SS gibt es Eliten der Elite.“86 Es wird somit eine automatische Kontrolle der Sicherheits- und Geheimdienste, der Schlägertrupps und Elite-,,Soldaten“ erreicht. Außerdem herrscht auch hier die Konkurrenz der einzelnen Formationen und ein erbitterter Machtkampf im gesamten Apparat. Mit der Benennung des Reichsführers SS Heinrich Himmler als ,,Chef der deutschen Polizei“ (seit 1943 Innenminister) und mit Hilfe des Chefs des Sicherheitsdienstes (SD) Reinhard Heydrich (*1904, †1942) konnten die gesamten staatlichen Sicherheits- und Polizeikräfte unter die Kontrolle der Bewegung gebracht werden.87
Ein weiteres Element der Dynamik der Bewegung ist die Propaganda, die meiner Meinung nach ein ständig überschätztes, allerdings ein nicht zu unterschätzendes Thema darstellt. Hier würde Neumann Hannah Arendt nicht widersprechen, wenn er sagt: ,,Propaganda ist kein Ersatz für Gewalt, sondern einer ihrer Seiten. Beide verfolgen denselben Zweck: die Menschen der Kontrolle von oben zu unterwerfen. Terror und seine Erscheinungsform, die Propaganda gehen Hand in Hand.“88 Propaganda dient dazu einen ,,sanften“ Übergang von der nichttotalitären Welt zur fiktiven Welt des Totalen zu schaffen. Arendt unterscheiden zwei Zustände, das erste ist das ,,Außen“, also außerhalb der Bewegung und das zweite ist das ,,Innen“, also innerhalb der Bewegung.89 Das ,,Außen“ kann sich demnach auch im eigenem Land befinden, wenn sich die Bewegung noch nicht vollständig etabliert hat und es deswegen Leute gibt, die nicht von der totalen Bewegung erfaßt wurden.90 Die Propaganda bildet desweiteren den emotionalen Bezug der ,,Untergebenen“ zur Ideologie der unpersönlichen Bewegung. Elemente dieses Vorgangs sind Symbole, die gesamte nationalsozialistische Kunst und Kulturbewegung, der Führerkult, der Antisemitismus, die Aufmärsche, die Zeremonien, die Feier- und Parteitage, das Bild vom Endsieg und des deutschen Volkes sowie das Bild der deutschen Frau. Man scheute sich nicht die beiden letztgenannten Elemente sowie die religiös anmutenden Feste und die Zeremonien bis in den Kitsch zu betreiben. Dietrich Bonhoeffer (*1906, †1945 in Flossingbürg hingerichtet) beschreibt die Propaganda als bloße ,,Maskerade des Bösen“;91 sie mußauch dann noch betrieben werden, wenn das totalitäre Regime seine Herrschaft gefestigt hat, damit die Dynamik der Bewegung etwas gebremst wird, bevor sie die Masse erreicht. Die fiktive Welt wird durch die Propaganda massentauglich gemacht. Die Propaganda wird also zum ,,Sprachrohr“ der Ideologie. Die Ideologie selbst, ist jedoch nur eine Fassade, die aufgebaut wird, um den Menschen, die sich innerhalb der Bewegung befinden, den Einblick in die wahre Struktur des Totalitären zu verwehren. Die Ideologie hat lediglich die Aufgabe bestimmte Ziele vorzugeben, die durch die Propaganda, abgestimmt auf die jeweilige Zielgruppe, verbreitet werden. Diese Aussage geht einher mit der Meinung Neumanns, Propaganda sei die äußere Form der Ideologie.92 Die Propaganda trägt das Bild der neuen, veränderten Welt, welche die Ideologien beschreiben, in die Öffentlichkeit. Es ist die Welt der ,,klassenlosen Gesellschaft“, in der alle ,,gleich an Besitz sind“ oder es ist die Welt der ,,Volksgemeinschaft“, in der das Volk mit dem ,,höchsten Rassewert“93 herrscht. Es mußhier allerdings gesagt werden, daßin der Verbindung von Ideologie und totalem System, sich trotzdem noch zwei Seiten gegenüberstehen, denn die Ideologie wird vom totalen Regime genauso ausgebeutet, wie der Rest der Gesellschaft. Die Ideologien sind Gebilde, die sich die menschliche Geschichte unter ganz bestimmten Blickwinkeln herleiten.94 Das allein macht die Ideologien noch nicht gefährlich. Die Logik, die sie in ihren Argumentationen an den Tag legen, die Voraussage des Zukünftigen und das beinhaltete Element der Dynamik machen die Ideologien für totalitäre Regime ,,benutzbar“. Der Unterschied zwischen totalitärer Bewegung und Ideologie verschwimmt, da die totalitäre Bewegung im Gewandt der Ideologie auftritt.
Man sollte davon ausgehen, daßder Nationalsozialismus keine Theorie der Gesellschaft hat.95,,Jede Äußerung entspringt einer unmittelbaren Situation und wird verworfen, sobald die Situation sich ändert.“96 Hannah Arendt drückt den selben Sachverhalt in einer anderen Art und Weise aus. Nach ihr war es die Eigenschaft der Führer der totalitären Regime, die Ideologien mit aller Konsequenz umzusetzen97 und die Bewegung in die Ideologie zu injizieren, um der formlosen Bewegung zu einer Struktur zu verhelfen und sie ,,wachsen“ zu lassen. ,,Macht man damit ernst, daßim Kampf der Klassen es immer ,absterbende‘ Klassen geben muß, so folgt daraus, daßman immer neue Gruppen der Gesellschaft ausrotten muß. Macht man damit ernst, daßes im Leben der Völker ebenso wie im Leben der Natur ,Parasiten‘ gibt, so folgt daraus, daßman mit ihnen so umspringen darf wie mit Wanzen und Läusen, die man bekanntlich mit Giftgas ausrottet.“98 Das hemmungslose und unbarmherzige Ausleben der Ideologie stellt für Arendt ein wesentliches Merkmal der totalitären Regime dar. Dieser Vorgang ist eine Erscheinungsform der joint action, wie sie oben beschrieben wurde. Im Gegensatz dazu würde Arendt dieses Ausleben der Ideologie als Terror bezeichnen. Es hat sich aber schon herausgestellt, daßder Begriff des Terrors nicht so weit gefaßt werden kann, daßer all das beschreibt, was mit joint action gemeint ist. Zum Beispiel läßt sich der Vorgang möglichst vielen Kindern das Leben zu schenken und das Einkaufen von preiswerten Waren, die von Zwangsarbeitern hergestellt wurden oder aus eroberten Gebieten stammen, nicht als direkter Terror bezeichnen, der von den Eltern der geborenen Kinder bzw. vom Käufer und Konsumenten der angesprochenen Produkte ausgeht. Diese Menschen gehen den Weg des geringsten Widerstandes, ob aus eigener Überzeugung oder aus Angst vor Bestrafung, ist für das erreichte Resultat bedeutungslos. Die Menschen der heutigen Zeit, die das Anstellen der Ellenbogen schon im Kindesalter gelehrt bekommen haben, die aber vor jeder größeren Bedrohung kuschen und die sich vom dümmsten Hochstapler, der fähig ist sich über Medien darzustellen, das Geld aus der Tasche ziehen lassen, sollten sich hier jedem Urteil über das ,,Handeln“ der Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus enthalten. Obwohl es unwissenschaftlich ist und auch nicht zum Thema gehört, möchte ich als Resümee dieses Kontextes sagen: Die kleinen Hitler treten heute als Verdummer der Menschen, als Verbreiter des Kitsches oder als Produzenten von Musik, die nicht mehr als Musik, sondern nur noch als Geldschneiderei, Abklatsch und Ausbund bezeichnet werden kann, auf. Allein der monatliche Verdienst und die gesellschaftliche Anerkennung dieser Querulanten, Volksver-dummer, Blödiane und Betrüger sollte uns zu denken geben. Auch in unserer heutigen Gesellschaft existiert die joint action und die Menschen scheinen bereiter denn je den Willen zu besitzen diese auszuführen. Der Unterschied zu damals besteht lediglich in den Zielen und den angewandten Mitteln, das Prinzip ist jedoch dasselbe.
Doch zurück zum Thema: Gerade die beiden Ideologien Kommunismus und Rassismus sind in ihrer Erscheinungsform geradezu prädestiniert dafür, von totalitären Regimen benutzt und ausgelebt zu werden. Es ist jedoch davon auszugehen, daßdie Ideologien an sich nicht totalitär sind, aber totalitäre Elemente besitzen.99 Ideologien und die Propaganda machen aus dem totalitären ,,Staat“ eine Art Glaubensgemeinschaft. Die fiktive Welt der ,,politischen Religion“100 besteht aus einem ganzen Netz von Lügen. Durch die Abschottung des totalitären Systems von der normalen Außenwelt, kann in dieser fiktiven Welt der Bewegung eine eigene, künstliche Realität entwickelt werden, die auf der Grundlage der inneren Logik der Ideologie basiert. Bei Betrachtung der bisherigen Abhandlung kann der Meinung Raymond Arons, so wie sie von Maier dargestellt wird, kein Einverständnis entgegengebracht werden. Da der Aufstieg des Totalitären mit dem Untergang des Staates, so wie wir ihn begreifen, einhergeht, ist es nicht möglich, daßtotalitäre Systeme ,,die Scheidung der zwei Gewalten Religion und Politik rückgängig zu machen streben.“101 Die Religion und der Staat wird, wie alles andere in der Gesellschaft, was nicht dem Geist der totalen Bewegung entspricht, von ihr ,,aufgesaugt“. Der Staat repräsentiert die weltliche Ordnung, die Religion die Geistige. Die totale Bewegung ist nicht die ungleiche Verbindung beider, sondern vielmehr die Abschaffung und Auslöschung beider Begriffe. Weil der Staat und die Religion traditionell begründete Ordnungen darstellen, ist die Bewegung gezwungen diese Ordnungen zu eliminieren, um ihre eigene neue Ordnung einzuführen, die mit der eigentlichen Bedeutung des Wortes nichts mehr zu tun hat. Auch wenn die neue Ordnung eine völlige Neuerung darstellt, hat sie nutzbare Elemente aus Religion und Politik übernommen. Die totalitäre Herrschaft zeigt Eigenschaften eines Glaubens, einer Religion,102 denn in der fiktiven Welt zählt Glauben mehr als Wissen. Aus Glauben wird Wissen und sogar ganze Wissenschaften gemacht. Eng mit diesem Kontext verflochten ist die Rolle des Führers. Durch seine überragende Rolle im ,,Staat“, die hohe Bürokratisierung und die alles durchdringende Propaganda wurde Adolf Hitler zum ,,Universalgenie“ eines ganzen Volkes erhoben, so daßjeder in ihm sehen konnte, was er nur wollte, ob den gewieften Taktiker und größten Feldherren aller Zeiten, ob den durchsetzungsfähigen Politiker und grandiosen Redner, ob den fürsorglichen Familienmenschen oder den ,,Heilbringer“103, den ,,Messias“ einer ganzen Nation, Adolf Hitler spielt alle Rollen und wird in jeder Situation perfekt in Szene gesetzt. Er scheint der Verkünder zu sein der, der dem Volk den ,,richtigen“ Weg zeigt. Er allein ist der ,,starke Mann“. Vielleicht stellt sich die wahre Rolle eines Führers im totalitären System auch etwas anders dar, denn der größte Mann im ,,Staate“ spielt mit im großen Theater, denn er hat nicht die Funktion eines Leiters inne, sondern lediglich die Arbeit eines Regisseurs, der nur die Inszenierung eines schon vorgeschriebenen Stückes beeinflussen kann, der mehr lenkt, als leitet. Er wechselt die Akteure ein und aus, und er bestimmt, wer zu welcher Zeit auf der Bühne erscheinen darf und wer nicht. Neumann bezieht sich in der Darstellung des Führers eines totalen Systems vor allem auf die unantastbare Stellung Adolf Hitlers: ,,Er vereinigt in sich die Funktionen des obersten Gesetzgebers, des obersten Regierenden und des obersten Richters; er ist der Führer der Partei; der Wehrmacht und des Volkes. [...] Seine Macht ist gesetzlich und verfassungsmäßig unbeschränkt; sie entzieht sich jeder Beschreibung. Ein Begriff, der keine Begrenzung hat, kann rational nicht definiert werden.“104 Der Führer stellt die Schnittstelle aller Apparate, Organisationen und Akteure dar. Er ,,spielt“ den Richter, der im Konkurrenzkampf aller Elemente des totalen Systems entscheidet, wer im Sinne der Bewegung handelt und wer nicht, wer außerhalb oder innerhalb der Bewegung steht und schließlich auch, wer leben soll und wer des Todes ist. Der Führer stellt das personifizierte Bindeglied zwischen den Elementen Staat, Volk und Bewegung dar105, und verteilt die Macht so, daßes kein Monopol der Macht gibt.106 Mit solchen Aussagen sollte man allerdings vorsichtig umgehen, denn Adolf Hitler steht zwar über dem Volk und über dem Staat, aber ob er die Bewegung wirklich so beeinflussen konnte, wie es ihm beliebte, ist fraglich. War der Führer wirklich der einzige, der über alles und jeden im System Bescheid wußte oder sind die Ausflüchte hoher Militärs und SS-Angehöriger, sie hätten nur den Befehlen gehorcht und über den Rest nichts gewußt, als schlechte Lügen einzuordnen? Hannah Arendts Beweisführung scheint an diesem Punkt nicht sehr genau zu sein, denn Erich Raeders (*1876, †1960) Meinung über Hitler läßt sich auch anders interpretieren, als Arendt es getan hat. Raeder sagt über Hitler: ,,Wenn Nachrichten oder Gerüchte entstanden über radikale Maßnahmen der Partei oder der Gestapo, konnte man aus dem Benehmen des Führers schließen, daßsolche Maßnahmen nicht vom Führer selbst befohlen waren [...] Im Verlauf der Jahre kam ich jedoch zu dem Schluß, daßder Führer selbst immer der radikalsten Lösung zuneigte, ohne es äußerlich zu zeigen.“107 Diese Aussage Raeders macht doch eher deutlich, daßder Führer eben nicht ,,Im Zentrum der Bewegung“108 steht und auch nicht der ,,Motor“ der Bewegung ist. Adolf Hitler scheint eher über einer anarchischen Gesellschaft von Geheimdiensten und Terrorapparaten zu stehen, die im Namen des Führers ihre eigens gewollten und zusätzlich noch, die von der Führung instruierten, Verbrechen begehen. Die Kunst Hitlers besteht darin, sofort die Verantwortung für die begangenen Verbrechen zu übernehmen, um sich damit immer wieder an die Spitze der Bewegung zu bringen.109 Der Führer wird also in die Lage gezwungen ,,der Radikalste der Radikalen“110 zu sein, wenn er seinen Führerposten behaupten will. Im Gegensatz zu Arendt ist Neumann der Meinung, ,,daßdas bloße Postulat der von der Person eines Führers zusammengehaltenen Gemeinschaft nicht ausreicht.“111 Der Fall stellt sich eher so dar, daßjeder auf sein eigenes Interesse bedacht ist: ,,Nichts bleibt als Gewinne, Macht, Prestige und vor allem Furcht.“112 Somit entpuppt sich die Person des Führers als marionettenähnliche Gestalt, die im Gewandt des Messias, des Genies, des heroischen Feldherren, des übermenschlichen Redetalentes oder des harten, aber fürsorglichen Herrschers auftritt.
In dem Maße wie die Wirtschaft, die Bürokratie, und das Militär hierarchisch strukturiert sind, gliedert sich auch der undurchschaubare Zusammenhang zwischen Staat und Partei. Der ,,Führer gibt seine Befehle an die Gauführer, die Gauführer Befehle an die Ortsgruppenführer, die Ortsgruppenführer an die direkt unter ihnen stehende breite Masse der Anhänger. Die Verantwortlichkeit geht [...] immer in der umgekehrten Reihenfolge. Der oberste Führer verantwortet sich einmal im Jahre vor der Generalmitgliederversammlung, womit der Ring zur Masse des Volkes geschlossen ist. Das ganze System ist mit ,germanischer Demokratie‘ zu bezeichnen.“113 Es wird in Rudolf Heß´ ,,germanischer Demokratie“ deutlich, daßalle Aktionen im Namen des Führers geschehen. Der jeweilige Führer mußseine Aktion nur vor seinem übergestellten Führer rechtfertigen. Dieses System setzt sich fort bis zum eigentlichen Führer des deutschen Volkes, Adolf Hitler. So übergeordnet die Position des Führers hier scheint, so angreifbar und abhängig ist sie. Allerdings sorgt die Angst der Funktionäre, ihre Stellung und Position im System verlieren zu können, für die Hochstilisierung Adolf Hitlers zur Führerfigur.114 Das Amt und auch das Leben jedes einzelnen Funktionärs ist direkt verknüpft mit dem Amt des Führers und mit der Person Hitlers. Jeder Einzelne sorgt mit seinem ,,Handeln“ dafür, daßder Schein, die konzentrierte Macht, die nirgendwo in einem totalen System existiert, läge in den Händen des Führers, stetig aufrecht erhalten wird. Der Führer wird als rein charismatischer Führer entlarvt, der lediglich die Möglichkeit hat, die Dynamik der Bewegung in eine bestimmt Richtung zu leiten; er kann sie durch Akte der freien Gewaltausübung beschleunigen,115 aber es ist ihm unmöglich sie zu bremsen oder aufzuhalten, weil er dadurch seine Stellung im totalen Regime verwirkt hätte.
Setzt man diesen Sachverhalt auf eine andere Ebene, dann läßt sich sagen, daßdas totale Regime dem Menschen eine Freiheit läßt, nämlich die Freiheit, Verbrechen im Namen der Bewegung zu begehen. Wellen von Gewalt prasseln auf Deutschland ein und jede dieser Wellen zeichnet sich dadurch aus, das sie größer ist, als die vorherige. Als diese Terrorwellen in der Nacht vom 9. bis zum 10.11.1938 ihre größtmöglichen Amplituden in Deutschland erreicht hatten, mußte die Bewegung gewaltsam über die Grenzen Deutschlands expandieren, um neuen Raum für die sich immer weiter beschleunigende Dynamik der Bewegung zu finden. Diese Entwicklung hält bis zur Erklärung des ,,totalen Krieges“ an und findet genau dort ihr trauriges Ende. Die Bewegung scheint in allen Bereichen der Gesellschaft zum ,,Selbstläufer“ geworden zu sein, da es das totale Regime versteht, aus jeder Person, die sich in der Bewegung befindet, das tief in der Seele jedes Menschen versteckte Gewaltpotential herauszuholen und zur vollen Entfaltung zu bringen. ,,Wo immer aber diese neuen Herrschaftsmethoden ihre wirklich totale Struktur erhalten, gehen sie über dieses an den Nutzen und das Interesse der Machthaber gebundene Prinzip hinaus und versuchen sich in dem uns bisher gänzlich unbekannten Spielraum des ,alles ist möglich.‘ “116 Das totale Regime befreit die Bürokratie, die Wirtschaft und das Militär von den moralischen Zwängen, die ihnen im Kaiserreich und besonders in der Demokratie der Weimarer Republik auferlegt waren. Alle vier Elemente Neumanns, die die Säulen der Gesellschaft bilden, haben unter der totalen Herrschaft einen eigenen Automatismus entwickelt.117
Es wurde anhand des dreigliedrigen Staates von Schmitt gezeigt, daßdie gesamte Gesellschaft die von einem totalitären Regime geführt wird, nur Mittel zum Zweck ist. Die gesamte Gesellschaft wird zur Marionette der Bewegung, da die Gesellschaft mit all ihren tätigen Menschen, ihren Organisationen und Institutionen feste Strukturen bereithält, in denen sich die Bewegung ausbreiten kann, um durch das allmähliche Zersetzen der festen Strukturen ihre Dynamik zu entwickeln und voranzutreiben. Hierbei bildet der Mensch auch nur eine Struktur, die durch immer höhere und diffusere Ansprüche überwunden werden muß. Ob dieser Anspruch den Namen Klasse, Rasse oder vielleicht in Zukunft einen ganz anderen Namen trägt, scheint dabei völlig nebensächlich. Klar wird auch, daßdie Bewegung auf feste Strukturen angewiesen ist. Der totalitäre Staat trägt damit den Wille zur Expansion und zur militärischen Aggression automatisch in sich.
3. Das irrationale Resümee des Irrationalen
Es wurde gezeigt, daßalle gesellschaftlichen Elemente von der totalen Bewegung durchdrungen sind. Der Mensch stellt nichts weiter dar als einen Teil der Masse, die willen- und ziellos, unselbständig, und nicht organisiert ist. Es wurde gezeigt wie der Bürger im totalen Staat herabgewertet wird. Der Mensch wird zu einer leeren Struktur, die eigentlich nur aus der Hülle besteht, die sie umgibt. Der Totalitarismus macht aus jeden Einzelnen ein handlungsunfähiges, geschichtsloses und angsthaftes Wesen, das dem Zweck dient die Dynamik der Bewegung zu erhalten. Auch der Staat wird wie jede Struktur der Gesellschaft unterlaufen. Wie ein Schmarotzer schleicht sich die Bewegung in diese festen Strukturen, um sie zu zersetzen und aufzulösen. Die eine ganze Gesellschaft ,,zusammenschweißende“ Bewegung hält nur an, solange es feste Strukturen gibt, die der ,,Virus des Totalen“ zersetzen kann. Da der Mensch als Individuum mit eigener Geschichte, eigenem Willen und eigenen Zielen auch eine solche Struktur darstellt, befällt dieser Virus den Menschen und entlockt ihm alles Böse, Niederträchtige und Irrationale. An dieser Stelle wird die Dynamik zum Selbstläufer. Der Führer eines totalitären Regimes kann sie lenken und beschleunigen, aber niemals aufhalten, weil er selbst nur Teil der Dynamik ist. Kein Führer der Welt ist damit leichter ersetzbar, als der eines totalen Staates. Es scheint vielmehr die Bosheit, die Angst und die Hilflosigkeit des einzelnen zu sein, die dieses ,,System“ am Leben erhält. Am Ende unseres Seminars konnten wir feststellen, daßArendt das gesamte Wesen der totalen Herrschaft in einem Begriff zusammengefaßt hat, den Terror.118 Im Rückblick auf die vorliegenden Ausführungen mußdiese Ansicht verbessert werden: Die totalitäre Herrschaft stützt sich auf ein einzelnes Element: die Dynamik. Terror, das Ausleben der Ideologien, die Zerstörung aller Werte und Ordnungen, die Ermordung von Millionen von Menschen, die unfaßbare Irrationalität und die Umgestaltung einer ganzen Gesellschaft sind alles nur Mittel aber auch Resultate des Ingangbringens und der Erhaltung der Dynamik. Das Wesen totalitärer Herrschaft ist also nicht der Terror, sondern die Dynamik. Während Terror gegen innere und äußere Feinde das Mittel darstellt, läßt sich die Dynamik als das zu erreichende Ziel bezeichnen. Genau das erklärt, wieso uns der totalitäre ,,Staat“ so irrational vorkommt. Da die Erhaltung der Dynamik ein unaufhörlicher Prozeßist, der einen Anfangspunkt besitzt, aber kein vorausgeplantes Ende, und weil Mittel und Ziel einer solchen Gesellschaft miteinander verschmelzen, erscheint uns der Totalitarismus ziellos, planlos und irrational. Ist die Dynamik erst einmal angelaufen und in Gang gebracht, wirkt sie auf jede Struktur der Gesellschaft zurück. Es entsteht ein Kreislauf des Todes, bei dem das Mittel das Ziel ist, aber auch das Ziel das Mittel. Nach der vorliegenden Betrachtung ist der Terror nicht einmal das Mittel selbst, sondern vielmehr nur ein Teilaspekt der möglichen Mittel. So kann man nach meiner Meinung die Umwertung aller Werte, die Umdeutung der Geschichte, die Ideologisierung und Verwissenschaftlichung einer Idee nur im entferntesten Sinne als Terror betrachten. Es wurde zu diesem Zweck der Begriff der ,,joint action“ eingeführt, der alle Tätigkeiten bezeichnet, durch die die Dynamik des Totalen am Laufen gehalten wird. Das menschliche Wesen ist nur ein Medium, durch das die joint action vom Gedanke zur Wirklichkeit wird. Das menschliche Leben stellt nur noch eine Einengung dar, weil es von begrenzter Dauer ist, die Dynamik aber soll ewig sein. Der Einzelne mußüberwunden werden, um die Dynamik zu erhalten. Das menschliche Wesen ist die Dynamik selbst, denn es erzeugt durch die beschleunigte Überwindung seiner selbst eine unaufhörliche Bewegung. Der hierbei erzeugte sich immer weiter beschleunigende Geschichtsprozeßist ein irrationaler, ein unlogischer, von allen Werten und jeglicher menschlicher Geschichte und Natur losgelöster künstlicher Zustand. Diese Erkenntnis wirft ganz neue Fragen auf: Ist es überhaupt möglich ein totalitäres Regime mit den Mitteln der Politik oder der Soziologie zu erklären oder mußman sich bei diesem Problem eher der Psychologie und der Pädagogik zuwenden? Wie soll man die totalitären Regime auf Grundlage der eben genannten Erkenntnisse noch in solch starre Muster zwängen, wie sie uns von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski angeboten werden? Basiert die herausragende Leistung eines Franz Leopold Neumann leider auf einer falschen Heran-gehensweise? Ist die dagegen unstrukturiert und unübersichtlich wirkende Methode Arendts die Bessere? All diese Fragen müssen beantwortet werden, jedoch dürfen solche herausragenden Autoren wie Friedrich, Brzezinski, Neumann, Arendt und Sigmund Neumann nie in Vergessenheit geraten. Sie werden uns auch in Zukunft genügend Stoff zur Diskussion geben. Und allein der Fakt, daßwir diese Diskussion annehmen, führen und vorantreiben ist der Garant dafür, daßein totalitaristisches Regime nie wieder die Macht über den Menschen erlangt, denn diese Form der Gesellschaft ist unnatürlich und menschenunwürdig.
Denn die Menschen entpuppen sich hierbei als ,,Instrumentalisten“ im großen Konzert des Orchesters der Verbrechen. Jeder Instrumentalist übergibt seine Struktur, seinen Körper, der Musik des Grauens, um ihr Leben einzuhauchen, sie zu erhalten und sie für jeden hörbar und fühlbar zu machen. Die Musik trägt die Botschaft des Terrors in sich und zwingt durch ihre Kraft das Publikum zum Mitsingen. Mancher tanzt und jodelt, andere singen um des Singens willen und der Einzelne in der breiten Masse stimmt nur mit ein, weil alles um ihn herum zu jubeln und zu feiern scheint. Doch manch einer verläßt den dunklen Raum; der eine, weil er dem Takt nicht folgen will und sich fremd vorkommt, der andere, weil er im tosenden Gejodel der Masse den schaurigen Refrain nicht nur gehört, sondern auch verstanden hat, den der Chor mit Inbrunst in die grölenden Massen brüllt. Sie kämpfen sich durch das Gedränge, durch die Tanzenden, die bald auf jene einschimpfen, die die Genialität des Musikstücks nicht begriffen zu haben scheinen. Die Musik wurde immer lauter und lauter, bis einige, die erst fröhlich tanzten, sich vergeblich nach dem verhangenen Ausgang der dunklen Halle umsahen. Man hat sie seit dem nie wieder gesehen.
Bald verfielen die Instrumentalisten, der Chor, die Masse und der Dirigent in die Ekstase des Spiels. Ab diesem Moment erschien das Publikum wie ein weiteres Instrument des Orchesters. Doch im Getümmel war dies nicht so recht erkennbar. Vielleicht war auch das Orchester nur ein Instrument der Masse. Die Geschwindigkeit der Musik wurde so rasant, das man vom eigentlichen Stück abwich, obwohl die Grundtöne wohl dieselben blieben. Es war so als spiele jeder Instrumentalist sein eigenes Solo, als schreie jeder im Publikum so laut, das man glauben mochte, sie wollten sich nur gegenseitig übertönen. Die Armen, wie lange mußten Sie wohl auf diesen Moment der Größe und Ehre warten? Nun brach aus jedem hervor, was tief in der Seele vergraben schien. Und die herausgebrüllte, mächtige Wut der Leute formte schreckliche Gestalten, die im äußeren Erscheinungsbild der Gestalt des Dirigenten ähnlich waren. Die mächtigsten der Ungeheuer stürzten sich auf die kleineren und fraßen sie mit Haut und Haar. Doch nicht nur Wut und Haßsah man in ihren Mäulern verschwinden. Viele der Instrumentalisten konnten dem gewaltigen Tempo nicht mehr folgen, sie wurden auf Anordnung des Dirigenten in rasanter Schnelligkeit von der Bühne getragen und durch andere aus dem Publikum ersetzt. Im seichtem Licht sah man den großen Dirigenten. Vom Publikumsraum hätte man denken können ein übernatürliches Wesen steht in seinem Gewandt auf der Bühne um das Orchester zu dirigieren. Nur wechselte das Gewandt des hohen Genies ständig. So glaubte man zu träumen, als er im Gewandt des Allmächtigen da stand, um sich gleich im nächsten Moment dem Publikum im Kleide des Teufels zu präsentieren. Von der Bühne aus betrachtet erschien der Dirigent jedoch nur ein Instrumentalist zu sein, der sich zusätzlich zur Aufgabe gemacht hatte, das zum Teil schon wirre Solospiel der Instrumentalisten und das Geschrei des Publikums so zu koordinieren, daßirgendwie ein großes Ganzes entstand, an dem sich dann wiederum alle in irgend einer Art und Weise orientierten. Darin, aber nur darin, war der Dirigent ein wahrhaftiger Meister. Niemand der noch Tobenden schien zu merken, daßmehr und mehr der einst Tanzenden schon erschöpft am Boden lagen und von der keuchenden Masse zermalmt wurden. Dieses Orchester spielte Tage, Monate und Jahre bis ein paar unerschrockene Nachbarn den Wahn bremsten, weil sie im grauenvollen Getöse keinen ruhigen Schlaf mehr finden konnten. Sie brachen die Wände und Mauern, denn Türen hatte man schon lange nicht mehr gesehen. Es fiel Licht ins Dunkel des Saales und das fürchterliche Brummen verstummte, da man wie vom Morgen geweckt erkannte, welches schreckliche Durcheinander das Orchester gespielt haben muß. Wie von Geisterhand war das Orchester verschwunden. Nur wenige ausgedörrte und vom Wahn gezeichnete Spieler saßen noch auf der Bühne. Man trug sie später weg. Wo war der große Dirigent geblieben? Keiner suchte. Denn der Einzelne fühlte sich in seinem Innern, als hätte er selbst im ausgelebten Wahn die Leitung des Orchesters übernommen. Aus einst Geordnetem war Ungeordnetes, aus einst Realem war Schein und aus einst Lebendigem war Totes geworden! Man richtete den Saal sehr schnell wieder her, denn die nächste Vorstellung sollte schon am nächsten Tag stattfinden. Noch Jahre danach hörte man die Leute sagen: ,,Hört hin, was euer Orchester spielt. All zu großgeredete Stücke, sollte man mit genügend Abstand betrachten, ehe sie den Musikanten erwecken, der in jedem von uns in tiefer Stille verborgen ist.“
,,Also ist alles vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke.“ 119
4. Literatur
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[...]
1 Vgl. Ballestrem, Karl Graf, Aporien der Totalitarismus-Theorie, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.240.
2 Vgl. Schäfer, G., Franz Neumanns Behemoth und die heutige Faschismusdiskussion, in: Neumann, Franz L.: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.665.
3 Vgl. ebd., S. 666. Ob dies eine Art der Verdrängung der Vergangenheit darstellt, kann und soll hier nicht beantwortet werden. Es sei allerdings gesagt, daßFranz L. Neumann nicht der einzige ,,Leidtragende“ dieser Ignoranz ist. Man sucht immer noch vergeblich nach einer deutschen Übersetzung von Sigmund Neumanns (*1904, †1962) ,,Permanent Revolution: The total state in the world of war“ (bzw. 1965 unter dem Titel ,,Permanent Revolution: Totalitarism in the age of international civil war“) in den Bibliotheken!
4 Vgl. Saage, R. in: Schäfer, G., Franz Neumanns Behemoth und die heutige Faschismusdiskussion, in: Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.666. Neumann greift sogar öffentlich die Demokratie an: ,,Politische Demokratie allein wird das deutsche Volk nicht akzeptieren, soviel hat wenigstens die marxistische wie die nationalsozialistische Kritik von Liberalismus und Demokratie in der Tat erreicht. Der Deutsche weiß, daßsich hinter politischer Demokratie wirtschaftliche Ungerechtigkeit verbergen kann.“ Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.549.
5 Ein sehr gutes Beispiel kann man in dem Nachwort zum Behemoth (Fischer Taschenbuchausgabe) finden. Neumann wird hier so zitiert: ,,Wir, die wir in der Opposition zu der Reaktion standen, waren alle zu feige. Wir haben alle kompromittiert. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie verlogen die SPD in den Monaten Juli 1932 bis Mai 1933 war (und nicht nur damals) und habe nichts gesagt. Wie feige die Gewerkschaftsbosse waren – und ich habe ihn weiter gedient. Wie verlogen die Intellektuellen waren – und ich habe geschwiegen.“ Neumann, Franz L. in: Schäfer, G., Franz Neumanns Behemoth und die heutige Faschismusdiskussion, in: Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.669. Desweiteren kritisiert Neumann im Behemoth: ,,Die Demokratie wurde von den deutschen Demokraten – den Liberalen, Sozialdemokraten, Katholiken – verraten.“ Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.549.
6 Ebd.
7,,So habe ich also mitgemacht bei dem Ausverkauf der Ideen der sogenannten deutschen Linken. [...] Waren da nicht moralische Entscheidungen zu treffen. Die habe ich spät und immer noch nicht radikal genug getroffen.“ Neumann, Franz L. in: ebd. S.669.
8 Vgl. Hildebrand, K., Stufen der Totalitarismus-Forschung, in: Jesse, E.(Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.76.
9 Söllner, A., Sigmund Neumanns ,,Permanent Revolution“. Ein vergessener Klassiker der vergleichenden Diktaturforschung“, in: Söllner, A./ Walkenhaus, R./ Wieland, K.(Hrsg.), Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 1997, S.53.
10,,Wir kennen keinen vollkommenen totalitären Herrschaftsapparat, denn er würde die Beherrschung der gesamten Erde voraussetzen.“ Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S. 959. Und: ,,Einen voll entwickelten totalen Herrschaftsapparat hätte Deutschland erst im Falle eines gewonnenen Krieges kennengelernt.“ Ebd., S.666.
11 Sonderbar erscheint die Meinung von Uwe Backes: ,,Hexenverfolgung, Inquisition, Pogrome, Ausrottung und Versklavung der Bevölkerung in eroberten Gebieten bedeuten für die Bevölkerungen nicht weniger die Hölle auf Erden als für die Inhaftierten moderner Konzentrationslager. Die Apparaturen fabrikmäßiger Tötung fügten der Geschichte der Grausamkeiten kaum etwas hinzu, was nicht durch historische Beispiele übertroffen werden könnte.“ Backes, U., Totalitarismus – Ein Phänomen des 20. Jahrhunderts?, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.350. Es steht niemanden zu, des einen Leid, mit dem des anderen zu vergleichen. Trotzdem sollte uns Uwe Backes verraten, bei welchem historischen Ereignis innerhalb von 12 Jahren Herrschaft eines Regimes 13 Millionen Menschen durch Verbrechen, und nicht durch Kriegshandlungen, umgebracht worden sind und ihr gesamtes Leben und Schaffen aus der Geschichte ,,gelöscht“ wurde. Vgl. Benz, W., Geschichte des Dritten Reiches, München 2000, S.264. Von den 27 Millionen militärischen und 25 Millionen zivilen Todesopfern in nur sechs Jahren Krieg ganz zu schweigen! Vgl. Bertelsmann Lexikothek Bd.15, Gütersloh 1994, S.218. Die Schätzungen der Todesopfer der Stalinherrschaft für die Jahre 1930-1953 belaufen sich auf ca. 20 Millionen. Vgl. Maier, H., Voraussetzung und Durchbruch totalitärer Politik im 20. Jahrhundert, in: Henke, Klaus-Dietmar (Hrsg.), Die Verführungskraft des Totalitären, Dresden 1999, S.18.
12 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.93-97.
13 Walkenhaus, R., Totalität als Anpassungskategorie. Eine Momentaufnahme der Denkentwicklung von Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber, in: Söllner, A./ Walkenhaus, R./ Wieland, K.(Hrsg.), Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 1997, S.95.
14 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.94.
15 Vgl. Walkenhaus, R., Totalität als Anpassungskategorie. Eine Momentaufnahme der Denkentwicklung von Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber, in: Söllner, A./ Walkenhaus, R./ Wieland, K.(Hrsg.), Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 1997, S.95.
16 Ebd.
17 Vgl. ebd.
18 Ebd.
19 Obwohl sich das Werk von Arendt besonders durch den Vergleich Nationalsozialismus, Stalinismus und italienischer Faschismus auszeichnet, wird sich aufgrund der Übersichtlichkeit in der vorliegenden Abhandlung meist nur auf den Nationalsozialismus in Deutschland 1933-1945 bezogen.
20 Nietzsche, Fr., Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Leipzig 2000, S.48.
21 Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.658.
22 Vgl. ebd., S.659. ,,Ohne das Vertrauen der Massen hätte weder er [Hitler] noch Stalin Führer bleiben können, schon weil sie die vielen inneren und äußeren Krisen gar nicht überlebt und die innerparteilichen Kämpfe, die auch nach der Machtergreifung andauerten, gar nicht hätten gewinnen können.“ Ebd.
23 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.427.
24 Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. München 2001, S.660.
25 Das Wort Gemeinsamkeit ist zu allgemein. Im Englischen bedeutet das Wort ,,joint action“ zwar auch Gemeinsamkeit, allerdings mehr im Sinne von ,,gemeinsames Handeln“, das sich klar und deutlich von der Gemeinsamkeit im Sinne der Ansichten (common ground), der Interessen (mutuality) und der Gemeinsamkeit im Sinne der gegenseitigen Verbundenheit (solidarity) abhebt. Willmann, H./ Türck, G./ Messinger, H.: Langenscheidts Taschenwörterbuch. Englisch, Berlin 1997, S. 910. In dieses Wort paßt genau das Bild von Hannah Arendts Massebegriff: ,,Massen werden nicht durch gemeinsame Interessen zusammengehalten [...]. Der Ausdruck der Masse ist da zutreffend, und nur da, wo wir es mit Gruppen zu tuen haben, die sich, entweder weil sie zu zahlreich oder weil sie zu gleichgültig für öffentliche Angelegenheiten sind, in keiner Organisation strukturieren lassen.“ Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.667-668. Neumann erklärt die Bedeutung unserer ,,joint action“ noch besser: ,,Handeln ohne Denken ist, [...], nur dann möglich, wenn es eine gelenkte und kontrollierte Aktivität ist. Dann ist es jedoch kein wirkliches Handeln mehr; denn dann handelt nicht der Mensch, sondern ein bürokratischer Apparat. Eben dies ist die Technik des Nationalsozialismus: die Aktion eines autoritären Apparates als spontane Tätigkeit der Massen erscheinen zu lassen.“ Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.507. Carl Schmitt stützt diese These indem er behauptet, das es an der Zeit sei ,,zu handeln statt anzuwägen“ und ,,zu entscheiden statt zu berechnen“. Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.72. Hier ist eindeutig die Betonung der Aktion gegenüber der Tätigkeit des Denkens bzw. des Nachdenkens zu erkennen. Nach Arendt löst das ,,Sich-Verhalten“ in modernen Massengesellschaften das bewußte Handeln ab: An seine Stelle [, des Handelns,] ist das Sich-Verhalten getreten, das in jeweils verschiedenen Formen die Gesellschaft von allen ihren Gliedern erwartet und für welches sie zahllose Regeln vorschreibt, die alle darauf hinauslaufen, die Einzelnen gesellschaftlich zu normieren, sie gesellschaftsfähig zu machen und spontanes Handeln wie hervorragende Leistungen zu verhindern“ Arendt, H., Vita activa oder vom tätigen Leben, München 2002, S.51f. Die joint action gilt als übersteigerte Form des ,,Sich-Verhaltens“. Diese Pervertierung ist nur durch die Bürokratisierung aller Lebensbereiche erreichbar und zeigt den Siegeszug des Gesellschaftlichen gegenüber dem Individuellen, Persönlichen und Privaten auf. Es soll später noch gezeigt werden, daßdas Gesellschaftliche nur eines der vielen Gewänder darstellt, in welchem die Bewegung auftritt. Das Eintreten der Bewegung in jeden Lebensbereich des Einzelnen, provoziert die joint actions, genau in dem Maße wie die joint actions zum Erhalt der Bewegung beitragen. Diese Interdependenz wird durch die Dynamik der totalitären Bewegung erhalten.
26,,[...] die Nationalsozialisten [...] errichteten eine komplizierte Bürokratie, deren einzige Aufgabe es war, achtzig Millionen Deutschen dabei behilflich zu sein, ihre Ahnen auf jüdisches Blut hin zu untersuchen. Als sich dann besagte achtzig Millionen auf die Suche nach ihrem gefürchteten jüdischen Großvater machten, war eine Art Einweihungsretual erreicht: Jedermann kam aus der Sache mit dem Gefühl heraus, zu einer Gruppe von ,Eingeschlossenen‘ zu gehören, denen eine imaginäre Masse von ,Ausgeschlossenen‘ gegenüberstand.“ Arendt, H. in: Maier, H., ,,Totalitarismus“ und ,,Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.125.
27 Der Mensch in der Masse soll nicht selbständig Denken oder Gemeinsamkeiten erkennen. Wichtig ist nur das ,,gemeinsame Handeln“: ,,Die faschistischen Vereinigungen bilden eine gewaltige, vollständige unter der Kontrolle des Faschismus und der Regierung stehende Masse, eine Masse, die gehorcht.“ Mussolini, B. in: Feiler, A., Der totalitäre Staat, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.55.
28 Vgl. Arendt, H. in: Maier, H., ,,Totalitarismus“ und ,,Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.125.
29 Stalin in: Hildebrand, K., Stufen der Totalitarismus-Forschung, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.75.
30 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.228.
31 Ebd., S.236.
32 (Adolf Hitler (*1889, †1945)) Hitler, A., Krieg und Frieden im Lebenskampf, in: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd.7. Hitlers zweites Buch, Stuttgart 1961, S.47.
33 Ebd.
34,,Es gibt Verbände für kinderreiche Familien und für Junggesellen, Organisationen für Geburtenkontrolle, Beratungsstellen zur Förderung glücklichen Familienlebens, Konsumgenossenschaften und riesige Lebensmittel-Kettenläden, die die angebliche freie Wahl des Verbrauchers zur Farce machen.“ Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.429.
35 Ebd., S.429.
36 Ebd., S.237.
37 Hobbes, Th.: Leviathan. Erster und zweiter Teil. Stuttgart 2000. S.151.
38 Vgl. Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.669.
39 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.428.
40 siehe Anm. 26.
41 Im ,,rassistischen Einweihungsretual“ von Maier kann man die Angst der Menschen erahnen, die hofften keinen jüdischen Verwandten zu haben, weil damit ihr Todesurteil unterschrieben wäre. Arendt verallgemeinert dies und zeigt uns die Brutalität des nationalsozialistischen Vorgehens auf: ,,Sie konnten mitten im Frieden und ohne daßdies von revolutionären Umwälzungen begleitet worden wäre, die Methoden des Bürgerkrieges in die normale politische Propaganda tragen, den Gegner morden, anstatt ihn zu widerlegen, diejenigen, welche nicht bei ihnen organisiert waren, terrorisieren, anstatt sie zu überzeugen.“ Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.669.
42,,Denn nur wo große Menschenmassen überflüssig oder ohne Gefahr der Entvölkerung entbehrlich sind, ist eine voll entwickelte totale Herrschaft [...] realisierbar.“ Ebd., S.667.
43 Z.B. Ist das Erleben gemeinsamer Emotionen von Volk und Staat, eine Stärke des totalen und eine Schwäche des demokratischen Systems. Vgl. Friedländer, S., Die Faszination des Nationalsozialismus, in: Henke, Klaus-Dietmar (Hrsg.), Die Verführungskraft des Totalitären, Dresden 1999, S.25. Durch das Gefühl der Zugehörigkeit und des gleichzeitigen Eingreifens bürokratischer Macht in jede Situation des Lebens, wird der Satz: ,,Glauben ist stärker als Wissen“ in einer irrealen Welt zur schrecklichen Realität.
44 Passend hierzu sind die Äußerungen von Mussolini über die ,,Grundgedanken des Faschismus“: ,,In diesem Sinne ist der Faschismus totalitär, und der faschistische Staat als Zusammenfassung und Vereinheitlichung aller Werte gibt dem Leben des Volkes seine Deutung, bringt es zur Entfaltung und kräftigt es [...].“ Mussolini, B., Grundgedanken des Faschismus, in: Hampel, J., Der Nationalsozialismus Bd.II. Friedenspropaganda und Kriegsvorbereitungen 1935-1939, München 1989, S.40.
45 Nietzsche, Fr., Also sprach Zarathustra, Ein Buch für Alle und Keinen, Leipzig 2000, S.119.
46 Dokument 212-PS. Nicht unterschriebene undatierte Abschrift der Richtlinien für die Behandlung der Judenfrage (Endlösung), in: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Anklagepunkte Drei und Vier), in: Der Nürnberger Prozeß. Aus den Protokollen, Dokumenten und Materialien des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Bd.II, Berlin 1962, S.547-548.
47 Ebd.
48 Ebd.
49 Himmler, H. in: Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.768.
50 Vgl. Schmitt, C in: Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.95.
51 Benz, W., Geschichte des Dritten Reiches, München 2000, S.88.
52 Machiavelli, N., Discorsi, Staat und Politik, Leipzig 2000, S.73.
53 Vgl. Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.822.
54 Mussolini, B. in: Petersen, J., Die Entstehung des Totalitarismusbegriffes in Italien, in: Jesse, E. (Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.102.
55 Mussolini, B. in: Ebd.
56 Mussolini, B., Grundgedanken des Faschismus, in: Hampel, J., Der Nationalsozialismus Bd.II. Friedenspropaganda und Kriegsvorbereitungen 1935-1939, München 1989, S.40.
57 Neumann ist der Meinung, daßsich in Italien die Partei in den Staat eingegliedert hat und somit zur ,,Staatspartei“ geworden ist. Die Partei unter Stalin zeichnet sich durch eine besonders starke ,,Befehlsgewalt über den Staat“ aus. Das nationalsozialistische Deutschland liegt zwischen diesen beiden Typen und gilt somit als ,,schwer zu analysieren“. Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.95f. Arendt erkennt, daßItalien ,,keinen totalitären Charakter hatte“ und sich Mussolini deshalb ,,mit der Diktatur eines Einparteienstaates begnügen“ mußte, ,,die sich nicht wesentlich von den ebenfalls nichttotalitären Militärdiktaturen in Rumänien, Polen, [...], Portugal und [...] Spanien unterscheidet.“ Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.663-664.
58 Vgl. Söllner, A., Sigmund Neumanns ,,Permanent Revolution“. Ein vergessener Klassiker der vergleichenden Diktaturforschung“, in: Söllner, A./ Walkenhaus, R./ Wieland, K.(Hrsg.), Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 1997, S.53.
59 Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.97f.
60 Ebd., S.541.
61 Ebd. Im ,,Dual State“ Fraenkels gibt es neben dem durch das Recht bestimmten ,,Normenstaat“ auch den durch individuelle und situative Gewaltausübung sowie Normenungebundenheit gekennzeichneten Maßnahmenstaat. Neumann beruft sich auf Hobbes: ,,Gesetz ist eine Regel, welche der Staat mündlich oder schriftlich oder sonst auf eine verständliche Weise jedem Bürger gibt, um daraus das Gute und Böse zu erkennen und danach zu handeln.“ Hobbes, Th., Leviathan. Erster und zweiter Teil, Stuttgart 2000, S.228. Da es in Deutschland zu Zeit des Nationalsozialismus kein allgemein gültiges Recht mehr gibt, was auf klare, eindeutige Gesetze beruht, kann es auch keinen Staat mehr geben, somit hebt sich die Einteilung Fraenkels automatisch auf. Der Unterschied zwischen ,,Gut“ und ,,Böse“, zwischen Recht und Unrecht wurde durch die Bewegung ausgelöscht.
62 Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.433-434.
63 Ein Zeichen für die Zustimmung der Mitglieder der Bürokratie zur totalen Herrschaft ist der Anstieg der Beamten in der Partei von 6,7% (1933) auf 13% im Jahre 1935. ,,[...] die Bürokratie marschiert mit den Siegern.“ Ebd.
64 Nietzsche, Fr., Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Leipzig 2000, S.118.
65,,Der einzige Mensch, der in Deutschland noch ein Privatleben führt, ist jemand, der schläft“ Robert Ley (Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Führer der dt. Arbeitsfront; *1890, †1945), in: Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.723f.
66 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.428-429.
67 Ebd., S.460.
68 Aus einer Veröffentlichung der NSDAP von 1936. Leider gibt Benz die genaue Quelle nicht an! Vgl. Benz, W., Geschichte des Dritten Reiches, München 2000, S. 87. So erklärt Hitler: ,,Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat.“ ,,Der Staat ist ein Mittel zum Zweck. Sein Zweck liegt in der Erhaltung und Förderung einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Lebewesen.“ Hitler, A. in: Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.92f.
69 Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.828.
70 Vgl. Ebd., S.832-833.
71 Vgl. Ebd.
72 Ebd., S.839.
73 Vgl. Ebd., S.836.
74 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.466.
75 Friedländer, S., Die Faszination des Nationalsozialismus, in: Henke, Klaus-Dietmar (Hrsg.), Die Verführungs-kraft des Totalitären, Dresden 1999, S.25. Neumann bezeichnet diesen Prozeßso: ,,Der Zement, der sie zusammenbindet, heißt Profit, Macht und vor allem Angst vor den unterdrückten Massen.“ Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.544. Arendt meint dazu: ,,Hitler hat schon sehr früh, 1923, gemeint, es gäbe nur zwei Dinge, welche Menschen fest verbinden, ,gemeinsame Verbrechen und gemeinsame Ideale.‘“ Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.783.
76 Ebd., S.660f. In den Moskauer Prozessen (1936-38) wurden 47 Angeklagte zum Tode und 7 zu langjährigen Haftstrafen wegen Spionage, Hochverrat und Terrorismus verurteilt. Die falschen Geständnisse der Angeklagten wurden durch psychische und physische Druckmittel erreicht. 1988 fand die Rehabilitierung der Angeklagten durch den Obersten russischen Gerichtshof statt. Vgl. Bertelsmann Lexikothek Bd.10, Gütersloh 1994, S.209.
77 Arendt, H., Vita activa oder vom tätigen Leben, München 2002, S.215.
78 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.529.
79 Neumann beschreibt einen Fall, in dem ein Krimineller 65 Reichsmark gestohlen hatte. Da er sich das Geld mit der Faust erkämpft hatte und vorbestraft war, wurde er als Gangster und Berufsverbrecher bezeichnet und deswegen zum Tode verurteilt. Vgl. ebd.
80 Nietzsche, Fr., Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Leipzig 2000, S.50-51.
81 Mussolini, B., Rede am 3. Mai 1921 in Mailand, in: Hampel, J., Der Nationalsozialismus Bd.II. Friedens-propaganda und Kriegsvorbereitungen 1935-1939, München 1989, S.39.
82 Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.724f.
83 Vgl. Bertelsmann Universallexikon. Das moderne, multimediales Nachschlagewerk auf CD-ROM für PC.
84,,Fluktuierende Hierarchien mit ständiger Zufügung neuer Schichten oder Instanzen und ständiger Verschiebung des Machtzentrums kennen wir aus der Geschichte der Geheimpolizisten und der Spionagedienste, das heißt aus der Geschichte von Organisationen, die ständig neue Kontrollen brauchten, um die Kontrolleure zu kontrollieren.“ Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.776.
85 Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.466.
86 Ebd.
87 Vgl. Bertelsmann Lexikothek Bd.13, Gütersloh 1994, S.346.
88 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.505.
89 Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.728f.
90 Vgl. ebd.
91,,Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt. Daßdas Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.“ Bonhoeffer, D. in: Maier, H., Voraussetzung und Durchbruch totalitärer Politik im 20. Jahrhundert, in: Henke, Klaus-Dietmar (Hrsg.), Die Verführungskraft des Totalitären, Dresden 1999, S.32.
92 Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.66.
93 Hitler, A., Rasse Kampf und Macht, in: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd.7. Hitlers zweites Buch, Stuttgart 1961, S.66.
94 Houston Stewart Chamberlain (*1855, †1927) drückt im Sinne des Rassismus aus, daßdie Menschen der teutonischen Rasse ,,die als wahre Gestalter der Geschicke der Menschen auftreten, sei es als Staatenbildner, sei es als Erfinder neuer Gedanken und origineller Kunst [...], daßunsere gesamte heutige Civilisation und Kultur das Werk einer bestimmten Menschenart ist: des Germanen.“ Chamberlain, H.S. in: Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.142. Marx (*1818, †1883) formulierte für den Kommunismus: ,,Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“ Marx, K.H./ Engels, F., Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin 1952, S.6. ,,Marx gliedert die Geschichte in die unkommunistische, die klassenstaatliche und die endkommunistische und erkennt als Träger der Entwicklung zum Endreich das Proletariat. Rassentheoretiker verstehen seit Gobineau die Weltgeschichte als Bewegung und Kampf der Rassen und sehen als Träger eine auserwählte nordische germanische“ Voegelin, E., Die politischen Religionen, Wien 1938. S.50.
95 Vgl. Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.67.
96 Ebd., S.65.
97 Vgl. Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.967.
98 Ebd., S.967-968.
99 Nach Hannah Arendt zeichnen sich gerade diese beiden Ideologien durch drei totalitäre Elemente aus, die es der totalitären Bewegung leicht machen von der Ideologie Gebrauch zu machen. 1. Anspruch auf totale Welterklärung, dadurch wird geschichtliches im Sinne der Ideologie erklärbar und zukünftiges voraussehbar; 2. Produktion einer eigenen Wirklichkeit; 3. Verwissenschaftlichung der Ideologie. Vgl. Ebd., S.964-965. Hannah Arendt gibt zu, daßdas Element des Genies oder des ,,Übermenschen“ bei Nietzsche zum Rassismus beigetragen hat, weil es von vielen falsch interpretiert und ausgelegt wurde: ,,Das zweite spezifisch deutsche Element in den Rasseideologien des 19. Jahrhunderts stammen aus dem Persönlichkeits- und Geniekult. [...] Aus ihm entwickelte sich zwar in keiner Weise das, was Nietzsche mit dem ihm bereits von öffentlicher Meinung der Zeit inspirierten Terminus ,Übermensch‘ gemeint hat, wohl aber das, was sich diejenigen darunter vorstellten, die meinten, es sei die ihnen, den Germanen, von der Natur selbst zugewiesene Aufgabe, die ganze Welt zu beherrschen und zu unterdrücken.“ Ebd., S.375. Neumann hat in diesem Kontext eine eindeutige Meinung, die solche herausragenden Philosophen wie Friedrich Nietzsche von ihrer vermeintlichen Schuld, die ihnen immer wieder zugeschoben wird, freispricht.: ,,Denn Nietzsches Individualismus sprengt den Rahmen jeder [...] Ordnung.“ Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.166-167. ,,Es gibt keine Philosophie, die für den Nationalsozialismus verantwortlich zu machen wäre.“ Ebd., S.536. Man sollte davon Abstand nehmen Philosophen, Soziologen oder andere Wissenschaftler, die meist noch lange vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus und des Stalinismus gelebt und gewirkt haben, für die theoretische Begründung der totalitären Herrschaft verantwortlich zu machen.
100 Begriff: Voegelin, E., Die politischen Religionen, Wien 1938.
101 Maier, H., ,,Totalitarismus“ und ,,Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.124.
102 Die Wohl beste Darstellung dieser Eigenart totalitärer Bewegungen liefert uns Voegelin: ,,Die Existenz des Menschen verliert in seinem Erlebnis an Realität, der Staat zieht sie an sich und wird zum wahrhaft Realen, aus dem ein Wirklichkeitsstrom zurückfließt in die Menschen und sie umschaffend neu belebt als Teile des übermenschlichen Wirklichen. Wir sind in das Innerste eines religiösen Erlebnisses geraten und unsere Worte beschreiben einen mystischen Prozeß.“ Voegelin, E., Die politischen Religionen, Wien 1938, S.12.
103 Begriff: Stammt von Romano Guardini aus ,,Der Heilbringer“, 1946, in: Maier, H., ,,Totalitarismus“ und ,,Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs, in: Jesse, E.(Hrsg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz internationaler Forschung, Bonn 1999, S.125.
104 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.115-116.
105 Vgl. ebd.
106,,Folglich ist es unmöglich, im Rahmen des nationalsozialistischen politischen Systems ein bestimmtes Organ auszumachen, bei dem das Monopol der politischen Macht läge.“ Ebd., S.542.
107 Raeder, E. in: Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.790.
108 Vgl. ebd., S.784.
109,,Die totale Verantwortlichkeit des Führers für alles, was im Rahmen eines totalitären Systems geschieht – von außenpolitischen Verhandlungen bis zu den Entdeckungen der Biologen und den Theorien der Mathematiker -, ist für den Funktionärsapparat die wichtigste Fiktion der Bewegung, weil sich automatisch ausschließt, daßein Funktionär sich je für das, was er tut, verantwortlich fühlen kann oder fürchten muß, zur Verantwortung gezogen zu werden.“ Ebd., S.788.
110 Hier ist Arendt voll im Recht, wenn sie behauptet: ,,Die gleichzeitige Übernahme eines totalen Verantwortungs- und eines totalen Erklärungsmonopols ermöglicht es dem totalitären Führer, innerhalb der Bewegung der Radikalste der Radikalen zu sein [...].“ Ebd. Jedoch scheint der Führer keine andere Wahl zu haben als diese Rolle zu übernehmen, will er als Führer anerkannt sein.
111 Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.460.
112 Ebd.
113 Rudolf Heß(*1894, †1987) am 30.03.1927 in einem Brief an seinen ehemaligen Mitgefangenen Walter Hewel in: Weiß, H., Der ,,schwache“ Diktator. Hitler und sein Führerstaat, in: Benz, W./ Bucheim, H./ Mommsen H. (Hrsg.), Der Nationalsozialismus. Studien zur Ideologie und Herrschaft, Frankfurt/Main 1993, S.242.
114 Vgl. Hüttenberger, P. in: Ebd., S.69.
115 Das beste Beispiel für diese Beschleunigung ist wohl die Reichskristallnacht oder auch der Krieg gegen ganz Europa. Bei Stalin läßt sich vermuten, daßdie Beschleunigung der Dynamik vor allem Resultat der Vertuschung seiner eigenen Fehler war: ,,Wenn der Führer daher Irrtümer, eigene oder fremde, zu korrigieren wünscht, so bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als diejenigen, welche sie ausführten, zu liquidieren; will er seine eigenen Fehler auf andere abwälzen, so mußer sie töten. Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.790.
116 Ebd., S.788.
117,,Die Einzelhändler und Handwerker wollten immer die Macht von Banken und jüdischen Konkurrenten brechen [...]. Die Bürokratie war dankbar für die Abschaffung der parlamentarischen Kontrolle und Ausschaltung der sozialdemokratischen Gewerkschaftler [...]. Die Offiziere wünschten sich einen gewaltigen Ausbau der Armee [...].“ Neumann, Franz L., Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1998, S.460.
118,,Das Wesen totalitärer Herrschaft in diesem Sinne ist der Terror, der aber nicht willkürlich und nicht nach Regeln des Machthungers eines einzelnen (wie der Tyrannis), sondern in Übereinstimmung mit außermenschlichen Prozessen und ihren natürlichen oder geschichtlichen Gesetzen vollzogen wird. [...] Terror ist in diesem Sinne gleichsam das ,Gesetz‘, das nicht mehr übertreten werden kann.“ Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München 2001, S.954-955.
119 Nietzsche, Fr., Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Leipzig 2000, S.211.
- Citar trabajo
- Andre Hamann (Autor), 2002, Die Dynamik - Lebenselixier des Totalen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107779
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