INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Industrialisierung und Überfluß
3 Nahrung und Einsamkeit
3.1 Die Stunden zu Tisch als einzige Ablenkung
3.2 Die Zeremonie des Kaffeekochens für den geliebten Mann
3.3 Das Essen außer Haus
4 Essen und Machtkämpfe
4.1 Das Salz in der Suppe oder die Schuld der Hausfrau
4.2 Der Verzicht auf die Mahlzeit als Ausdrucksmittel für Unstimmigkeiten
5 Die untergeordnete Rolle des Essens in einer Zeit des Überflusses
5.1 Die Unwichtigkeit der Nahrung aufgrund ausreichendem Vorhandenseins
5.2 Nahrung als Geschäft
5.3 Nahrung und Krankheit
5.4 Die Wichtigkeit der Tischutensilien
5.5 Die Bedeutung der Schokolade bei Gozzano
6 Die Rolle des Alkohols
6.1 In Vino Veritas
6.2 Alkoholismus bei Frauen
6.3 Alkohol als literarisches Ausdrucksmittel der Verschiedenartigkeit zweier Charaktere bei Svevo
7 Bäuerliche Lebensweise und Tradition bei Tozzi
8 Schluß
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Mit der folgenden Hausarbeit sollen ausgewählte Werke der italienischen Literatur auf Aspekte der Ernährung untersucht werden. Anhand von Italo Svevos Romanen Senilit à und La coscienza di Zeno, Luigi Pirandellos Il Fu Mattia Pascal, Guido Gozzanos Gedicht Le Golose und Federigo Tozzis Werken Tre croci und Con gli occhi chiusi soll aufgezeigt werden, wie sich die Kulturgeschichte der Ernährung in Europa gewandelt und wie sie sich zur Jahrhundertwende des 19. zum 20. Jahrhundert dargestellt hat.
2 Industrialisierung und Überfluß
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich die Ernährungssituation in Europa immer mehr zu verbessern und v.a. auch zu stabilisieren. Vorher hatte es immer mal wieder Jahre gegeben, in denen genügend Nahrung zur Verfügung gestanden hatte, beispielsweise wenn die Ernte gut ausgefallen war und die Bevölkerungssituation gerade weder explodierte, noch durch Seuchen oder Ähnlichem vollkommen aus dem Gleichgewicht geschleudert worden war. Diese guten Phasen aber wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder durch Hungerzeiten unterbrochen. Auch in den „fetten Jahren“ hat die bäuerliche Bevölkerung, wenn sie schon nicht direkt hatte hungern müssen, so doch auch niemals im Überfluß oder zumindest so gelebt, daß sie es sich hätte erlauben können, zwischen bestimmten Nahrungsmitteln auszuwählen. Laut Barlösius galt für die meisten Hungersnöte, daß sie seltener durch eine insgesamt zu geringe Versorgung mit Nahrung ausgelöst worden seien als vielmehr dadurch, daß die vorhandenen, oft für die gesamte Bevölkerung ausreichenden Lebensmittel sozial ungleich verteilt worden seien. (Barlösius, S.13) Das also ändert sich plötzlich dahingehend, daß heute die breite Masse der Bevölkerung in der Lage ist, sich so zu ernähren, wie es jahrhundertelang nur den Adelsschichten vorbehalten gewesen war. Der Verdienst hierfür gebührt der Industrialisierung, durch deren Errungenschaften man nun fähig war, Lebensmittel einmal länger zu konservieren und zweitens schneller von einem Ort zum andern zu transportieren. Montanari bezeichnet diesen Prozeß nach G. und P. Pelto als Delokalisation des Nahrungssystems (G. und P. Pelto, in: Montanari, S.189) die die Bindung zwischen der Nahrung und dem Wohnort gelockert und den jahrtausendealten Hunger der Europäer besiegt (hat), indem (sie) ihn den jahreszeitlich bedingten Unwägbarkeiten entzog. (ebda., S.189)
In jener Zeit wurden die Transportmittel revolutioniert und die Techniken zur Verarbeitung und Konservierung von Lebensmitteln weiterentwickelt.
Laut Montanari habe das eine Veränderung der Ernährungsweise, sowie eine Neuorientierung der Ideologie der Ernährung hervorgebracht. So leben wir heute zu großen Teilen von Lebensmitteln, die erst aus fremden Ländern eingeführt werden mussten und denen man teilweise erst mit Skepsis begegnete. Beispiele für solche neuen Lebensmittel, die heute aus unserem alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken wären, sind die Kartoffel, der Mais, der Kaffee oder der Zucker.
Die im folgenden auf Aspekte der Ernährung zu untersuchende Literatur Svevos, Pirandellos, Tozzis und Gozzanos wurde um die Jahrhundertwende des 19. zum 20.
Jahrhundert geschrieben, also als die schwerwiegenden Veränderungen in puncto Ernährung bereits stattgefunden hatten und die Menschen weitgehend schon im Überfluß lebten, bzw. die Bevölkerung nicht mehr wirklich hungern musste. Der Begriff der „Armut“ wurde neu definiert.
3 Nahrung und Einsamkeit
Durch die Teilnahme an einer Mahlzeit, also durch den Akt des Teilens der Nahrung, werden die Menschen zu Mitgliedern einer Gemeinschaft. Die kollektiv geteilte Nahrung verwandele als naturalistische Basis die Tischpartner in den sozialen Körper einer stabilen Gruppe.
Der Akt der physischen Einverleibung von Speisen, nach Simmel „ das Egoistische “überhaupt, weil die Nahrungsaufnahme am „ unbedingtesten und unmittelbarsten auf das Individuum “ beschränkt ist, wird durch die Mahlzeit zu einem „ soziologischen Gebilde “ , das eine „ ungeheure sozialisierende Kraft “ ausübt. (Simmel, 1957, in: Barlösius, S.165f.) So werde die Mahlzeit zum Symbol der engen Bindung zwischen den Familienmitgliedern, bzw. zum Symbol von Familie als Lebens- und Wirgemeinschaftüberhaupt. (ebda., S.183) Zu Beginn dieser Hausarbeit soll erst einmal der umgekehrte Fall analysiert werden, also aus welchen Gründen Menschen alleine essen und was diese Einsamkeit für sie bedeutet.
3.1 Die Stunden zu Tisch als einzige Ablenkung
In einer Gesellschaft, in der der Hunger besiegt ist, geht es den Menschen trotzdem noch nicht gut. Durch den Wegfall des Hungers ist diese eine Sorge zwar getilgt, an ihrer Statt aber ist Platz geworden für allerlei Existenzkrisen psychologischer Art. Zuerst möchte ich mich hierbei auf den Charakter der Amalia aus Italo Svevos Roman „ Senilit à “ beziehen, der in ihren traurigen Stunden der Einsamkeit keine Freude bleibt, als für das leibliche Wohl ihres Bruders zu sorgen, des eigentlichen Protagonisten der Handlung. Amalia selbst stellt in dem Roman eine absolute Randfigur dar, und zwar in ihrer Rolle als Schwester der Hauptfigur, ebenso wie in ihrem ganzen Leben und für alle Personen, die sie umgeben. Sie ist Niemandem sonderlich wichtig, flößt den meisten Menschen sogar eine gewisse Abscheu ein, indem sich diese von der Atmosphäre der Einsamkeit, die Amalia um sich verbreitet, abgestoßen fühlen. Allein ihr Bruder Emilio fühlt sich ihr als der ihr am nächsten stehende Mensch in gewisser Weise verpflichtet.
Una sera (...) egli risolse di restare con la sorella. Ma poi gli fu penoso di starle accanto nel silenzio che regnava fra loro tanto di frequente, (...). Prese il capello per uscire. - Dove vai? - chiese ella che si divertiva a picchiare sul piatto con una forchetta, la testa abbandonata su un braccio. Bastò perchè egli perdesse il coraggio di andarsene. Veniva chiamato. Se in due quelle ore erano tanto dolorose, che cosa sarebbero state per Amalia sola? (Senilit à; S.48)
Dennoch kommt er nur zum Essen vorbei und auch dann nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Wie wichtig es Amalia ist, ihm wenigstens in dieser Hinsicht einen Grund zu liefern, ihr Gesellschaft zu leisten, erkennt der Leser, als Emilio den ersten Gast zum Mittagessen mitbringt, den Bildhauer Stefano Balli.
Stefano restò a pranzo. Un po’ turbata, Amalia aveva annunziato che ci sarebbe stato poco da mangiare, ma il Balli ebbe anzi la sorpresa di trovare che in quella casa si mangiava molto bene. Da anni Amalia passava una buona parte della sua giornata al focolare e s’era fatta una buona cuciniera quale occorreva al palato delicato d’Emilio. (Senilit à, S.26)
Amalia lebt nur für ihren Bruder, selbstvergessen opfert sie sich auf, um sein leibliches Wohl zu gewährleisten. Als sie am Ende der Geschichte in ein Fieberdelirium verfällt, ist ihre erste Frage an Emilio - Vieni a pranzo? (ebda., S.84), wodurch aufgezeigt wird, daß sie es sich gar nicht vorstellen kann, er käme aus einem anderen Grund.
3.2 Die Zeremonie des Kaffeekochens für den geliebten Mann
Nachdem die erste Mahlzeit im Hause der Geschwister Amalia und Emilio für den Bildhauer Stefano Balli wie in Kapitel 3.1 beschrieben, so gut verlaufen ist, kommt er des öfteren zum Essen vorbei, wobei sich die einsame Amalia heimlich in ihn verliebt. Als der Bildhauer durch seinen Freund Emilio davon erfährt, ist er empört und geradezu beleidigt, daß es sich ein dermaßen nichtssagendes Wesen erlaubt, sich in irgendeiner Form Hoffnungen zu machen. Von diesem Tag an hält er sich von dem Haus der Geschwister fern, ohne daß Amalia den Grund seines Ausbleibens erfährt. Täglich wartet sie mit gedecktem Tisch und Kaffeetasse auf ihre heimliche Liebe.
(...) c’era un bicchiere di più sulla tavola, preparato pel Balli; veniva riposto lentamente in un cantuccio dell’armadio che ad Amalia serviva di dispensa. Quel bicchiere veniva poi seguito dalla tazzina destinata al Balli pel caffè e, riposta anche questa, Amalia chiudeva l’armadio a chiave. Era calma, calma, ma molto lenta. (ebda., S.47)
Der Leser erfährt wie Emilio nur durch Zufall von Amalias stiller Leidenschaft, nämlich durch ihr nächtliches Stöhnen im Traum, wobei der Name Stefanos fällt, niemals aber würde sich Amalia ernsthaft Hoffnungen machen oder ihre Liebe freiwillig preisgeben, denn sie hat sich mit ihrer Rolle der einsamen Jungfer abgefunden. Nach dem Wegbleiben Stefanos ist das einzige, das von dieser „Liebesgeschichte“ übrigbleibt, der für drei gedeckte Tisch. Noch während der Mahlzeit wird dieser sorgfältig wieder abgeräumt, sobald klar ist, daß Stefano nicht mehr erscheinen wird.
Quando (Emilio, Anm.) vide sul vassoio tre tazze in luogo di due, le disse: - Potresti risparmiarti la fatica di preparare il caffè per Stefano. È probabile che per lungo tempo egli non venga più. - Perchè? - chiese essa con la tazza in mano, pallidissima. (...) - Perchè non vuole - (...) la tazza le scivolò di mano, ma non si ruppe. Ella la rialzò, la pulì accuratamente e la pose al suo posto. (ebda., S.48)
Am nächsten Tag hat Amalia endlich verstanden. Il bicchiere e la tazza del Balli non comparvero in tavola. Amalia non aspettava pi ù . (ebda., S.48) Der Autor bedient sich also dieses Elements des Tischdeckens, um dem Leser das Innenleben der einsamen, verschlossenen Figur zu offenbaren. An Amalias Sorgfalt, die sie aufwendet, um das ärmliche Geschirr akkurat an seinen Platz zurückzustellen (chiudeva l ’ armadio a chiave, la pul ì accuratamente), erkennt man, wo ihre Prioritäten liegen.
Auch in Pirandellos Il Fu Mattia Pascal scheint ausgerechnet das Kaffeekochen eine spezielle Bedeutung einzunehmen. Hier weiß Mattia Pascals Jugendliebe und Ex-Frau Romilda, die inzwischen mit seinem ehemaligen Freund Pomino verheiratet ist, noch nach zwei Jahren genau, wie er seinen Kaffee mit Vorliebe trinkt. - Tu, al solito, senza zucchero, è vero? (Il Fu Mattia Pascal, S.230) In Mattia wiederum scheint dieses ihr Wissen längst vergessene Gefühle wieder heraufzubeschwören. Che lesse in quell ’ attimo negli occhi miei? Abbass ò subito lo sguardo. (...) sentii stringermi la gola da un nodo di pianto inatteso, e guardai Pomino odiosamente. (ebda., S.230) Der wärmende Kaffee aber läßt Mattia seine Haßgefühle schnell wieder vergessen. Ma il caff è mi fumava sotto il naso, inebriandomi del suo aroma e cominciai a sorbirlo lentamente. (ebda., S.230)
3.3 Das Essen außer Haus
Die Tischgemeinschaften außerhalb des heimischen Herdes besitzen laut Barlösius ähnliche soziale Qualitäten wie das Essen im trauten Kreis der Familie. Deshalb habe die alltägliche Mahlzeit als sozialer Institution, worauf in Kapitel 4 zu sprechen kommen sein wird, keineswegs an Bedeutung eingebüßt. (Barlösius, S.186) Durch die Tatsache, daß immer mehr Menschen einen festen Arbeitsplatz außer Haus und in der Mittagspause nicht mehr die Möglichkeit haben, nach Hause zu gehen, bilden sie vermehrt neue Tischgemeinschaften, beispielsweise im Kreis der Kollegen. Die mit der Institution Mahlzeit assoziierten sozialen Qualitäten werden somit „ sozialtechnisch “ eingesetzt. (ebda., S.186) Auch dieses Motiv der neuen Tischgemeinschaften läßt sich in Svevos Senilit à und in Pirandellos Il Fu Mattia Pascal finden. Der Künstler Balli beispielsweise ist es gewöhnt, sich mit seinen Künstlerfreunden im Cafè zu treffen, wo sie über Gott und die Welt diskutieren und eines leichtlebigen Bohème-lebens frönen können. Aber auch er träumt von einer Harmonie im trauten Kreis einer Art Familiengemeinschaft bei den Geschwistern Amalia und Emilio.
Intanto il Balli centellinava il caffè, sdraiato nel vecchio seggiolone, in un grande benessere, ricordando che in quell’ora egli aveva avuta la mala abitudine di discutere con gli artisti al caffè. Come si stava meglio là, fra quelle persone miti che lo ammiravano e amavano! (Senilit à, S.29)
Adriano Meis, der “einmal gewesene Mattia Pascal” von Pirandello, hingegen, trifft sich mit Niemandem. Er reist umher als ein Totgeglaubter ohne Identität und ißt täglich in wechselnden Gaststätten, wobei er gelegentlich eine vorübergehende Freundschaft zu seinen ebenfalls einsamen Tischgenossen faßt. Mattia Pascal legt sich die neue Identität des Adriano Meis zu, nachdem er auf dem Rückweg von einem Wochenendtrip seine eigene Todesanzeige in der Lokalzeitung seines Dorfes entdeckt hat. Daß ihn alle für tot halten, sieht er als Chance, ein neues Leben beginnen zu können. Als Mattia Pascal hatte er mit seiner Frau und seiner Schwiegermutter zusammengelebt, die ihm das Leben zur Hölle gemacht hatten, wodurch ihm die Entscheidung, als Mann ohne Identität weiterzuleben, erleichtert wurde. Entgegen seinem früheren Dasein, dem Essen im Kreis der Familie, steht
Adriano Meis nun jegliche Freiheit des Junggesellendaseins offen. Adriano Meis hätte gerne Freunde, aber ohne Identität kann er es sich nicht erlauben, Dinge von sich preiszugeben. Die flüchtigen Bekanntschaften mit seinen etwaigen Tischnachbarn in der Trattoria befriedigen sein Bedürfnis nach Gesellschaft nur unzureichend und stürzen ihn in diverse Sinnkrisen, in denen ihm bewußt wird, daß seine Freiheit Grenzen hat und daß er eigentlich gar nicht wirklich lebt. Bei dem ständigen Ein- und Ausgehen in verschiedene Cafès, dabei eine Zeitung zu lesen, diese (...) vita, (...) da spettatore estraneo, mi pareva ora senza costrutto e senza scopo. (Il Fu Mattia Pascal, S.102) Er fühlt sich in der bunten Menschenmasse verloren, was ihm bewußt wird, als er im Cafè die anderen Menschen beobachtet und als er in der Trattoria einen möglichen neuen Freund in Bezug auf seine Lebensgeschichte anlügen muß. E che seguiva da questa riflessione? Ahim è , che io, condannato inevitabilmente a mentire dalla mia condizione, non avrei potuto avere mai pi ù un amico, un vero amico. (ebda., S.101)
4 Essen und Machtkämpfe
Laut Barlösius essen Menschen gemeinsam. Die Mahlzeit symbolisiere Gemeinschaftlichkeit und soziale Zusammengehörigkeit wie keine andere soziale Institution, was nicht nur für die Geschichte der Menschheit gelte, sondern auch für die Geschichte eines jeden einzelnen Menschen. So sei das Essen von vornherein in eine soziale Situation eingebunden, da sich Neugeborene nicht allein ernähren können. (Barlösius, S.40) Um dieses Gefühl der sozialen Zusammengehörigkeit stets zu gewährleisten, wird es in keiner Kultur gerne gesehen, wenn Familienmitglieder ihre Zwistigkeiten gerade bei Tisch austragen. „Nicht beim Essen!“ ist ein Spruch, den wir in diesem Zusammenhang wohl alle als Kinder einmal zu hören bekommen haben. Außerdem zeige sich bei den täglichen Mahlzeiten, „ welche gemeinsamen Fertigkeiten Familienmitglieder entwickelt haben, ihre Erfahrungen weiterzugeben und ihre Konflikte zu regeln “ - also trotz Unterschieden und gegensätzlichen Meinungen keinen Streit entstehen zu lassen. (Kepfler 1994, S.27, in: Barlösius, S.185)
- Ma con la cognata va d’accordo?
- Perchè è merito mio. Io non le rivolgo mai la parola, altro che quando siamo a tavola; per convenienza. E, così, evito qualunque diverbio. (Tre croci, S.23)
Alle Familienmitglieder seien bei der Wahl der Gesprächsthemen darauf bedacht, einen Stoff zu finden, der alle interessiere, ohne die Gemüter zu sehr zu erhitzen, wohingegen der offene Streit den Zusammenhalt der Tischgemeinschaft bis hin zur Gefahr einer abrupten Auflösung bedrohe. (Barlösius, S.185) In Kapitel 4 soll nun untersucht werden, worüber sich bei Tisch gestritten wird und wie die einzelnen Familienmitglieder mit ihren Konflikten umgehen.
4.1 Das Salz in der Suppe oder die Schuld der Hausfrau
Mintete sale a ra minestra tua, ca a ra mia cce piensu sulu. (Kalabrisches Sprichwort) Steht das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch oder ist die Suppe nicht adäquat gewürzt, so hat die Verantwortung allein die Köchin zu tragen. Hat der Gatte, bzw. der Bekochte sowieso schon anderweitigen Ärger auszustehen gehabt, so ist es ihm ein Leichtes, am Mittagessen herumzumäkeln, um so diesen seinen Ärger an der Hausfrau abzureagieren.
Amalia ritornò molto presto. Raccontò della disputa che aveva avuta col fratello a mezzodì. Disse ch’era un grave torto di dar colpa ad una donna che il pranzo non fosse pronto. Dipendeva dalla forza del fuoco, e nelle cucine il termometro non era stato ancora introdotto. - Del resto - aggiunse sorridendo affettuosamente al fratello - non c’è da fargliene carico. Era venuto a casa di tale umore che se non avesse trovato uno sfogo gli avrebbe fatto male. (Senilit à, S.42)
Amalia hat in diesem Fall sofort erkannt, daß nicht das unfertige Essen der Auslöser für die schlechte Laune ihres Bruders ist, sondern daß ihm wohl irgendetwas passiert sein muß, was mit ihr nichts zu tun hat. Gerne gibt sie sich als aufopfernde Schwester in einer Art Mutterrolle als “Prügelknabe” her. Die Liebe zu ihrem Bruder geht so weit, daß sie der Meinung ist, er täte gut daran, seine Launen an ihr auszulassen, um nicht von innerem Groll zerfressen zu werden.
Anders liegt der Fall in Svevos La coscienza di Zeno. Der Protagonist Zeno Cosini reagiert unter dem Vorwand, die Suppe sei versalzen, den Ärger mit seiner Geliebten Carla an der Ehefrau Augusta ab.
Ma quel giorno ebbi un violento litigio con Augusta. Si trattava di cosa da poco. Io dicevo che la minestra era troppo salata ed essa pretendeva di no. Ebbi un accesso folle d’ira perché mi sembrava ch’essa mi deridesse e trassi a me con violenza la tovaglia così che tutte le stoviglie della tavola volarono a terra. (La coscienza di Zeno, S.201)
Aber auch Augusta ist die Harmonie bei Tisch im Familienkreis wichtig. Sie bringt lediglich das Kind auf sein Zimmer, was ihrem Gatten schon wie ein eccesso vorkommt: (...) mi avrebbe ora lasciato mangiare solo come un cane? Ma subito essa, senza la bambina, rientr ò , riapparecchi ò la tavola, sedette dinanzi al proprio piatto nel quale mosse il cucchiaio come se avesse voluto accingersi a mangiare. (ebda., S.201) In Tozzis Tre croci, wo die drei Brüder Niccolò, Giulio und Enrico gemeinsam wohnen und arbeiten, lassen sich die Konflikte schon nicht mehr stillschweigend übergehen. Hier sitzen sie so tief, daß die erforderliche Harmonie bei Tisch nicht mehr so leicht wiederherzustellen ist. Die Wichtigkeit dieser Harmonie wird hier allerdings besonders deutlich, als die Streitigkeiten eines Tages so heftig werden, daß Enrico schwört, er werde keinen Fuß mehr in das Haus der Brüder setzen. Dieser Vorsatz hält gerade bis zum Abendessen an.
Ma quando fu in casa, benchè avesse giurato che non ce lo avrebbero più visto, domandò premuroso (...):
- Sono venuti i fratelli?
- Stanno già a tavola.
- Ora vengo subito anch’io.
Ed, entrato dov’erano a mangiare, si scusò d’aver fatto più tardi del solito.
Er entschuldigt sich sogar dafür, daß er zu spät zum Essen kommt, ohne den vorangegangenen Zwist auch nur mit einem Wort zu erwähnen.
4.2 Der Verzicht auf die Mahlzeit als Ausdrucksmittel für Unstimmigkeiten
Entsprechend des in Punkt 4 Gesagten, nämlich daß die gemeinsame Mahlzeit Ausdruck der Zusammengehörigkeit ist, kann man diesen allgemeinen Ausspruch umdrehen und festlegen, daß das bewußte Nichtteilnehmen an einer Mahlzeit von den übrigen Tischgenossen oftmals wie ein persönlicher Angriff verstanden wird. Schon in der Antike gab es Fälle von freiwilligem Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel aus Protest. So aßen die Pythagoräer kein Fleisch, weil sie den während der Zeremonie der Opfermahle auferlegten sozialen Status nicht akzeptierten. (s. Barlösius, S.52)
Weiterhin in Tozzis Tre croci kann dieser Aspekt an den Konflikten der drei Brüder gut aufgezeigt werden.
- Domani è domenica: vogliamo mangiare una spiedonata di tordi? Li ho visti da Cicia, legati a mazzi. Mi son parsi grassi abbastanza.
Niccolò, allora, bofonchiò:
- Io domani non mangio con voi!
- E perché? Dove vai?
Niccolò, con un tono da gradassata, insolente, rispose:
- A Firenze. È tanto tempo che non assaggio più i fagioli cotti in forno; come li fanno i fiorentini. Questi di Siena non sono buoni.
Giulio rispose, ad ambedue, con una voce pacata; che commoveva:
- Domani tu mangerai i fagioli a Firenze, e tu comprerai i tordi da Cicia. Vi manca altro? (Tre croci, S.28)
An den Verben und Adjektiven bofonchiare, con tono da gradassata, insolente, voce pacata und che commoveva erkennt man, daß es sich hierbei nicht um eine normale Unterhaltung über den Tagesablauf und auch nicht um ein Gespräch über toskanische Eßgewohnheiten handelt, sondern daß hier viel mehr dahintersteckt. Die bewußte Entscheidung Niccolòs, am folgenden Tag nicht an der Tischgemeinschaft der Brüder teilzunehmen, wird absichtlich eingesetzt, um diesen „eins auszuwischen“ und damit zu prahlen, daß er sie nicht brauche. Die Tatsache, daß er diese Entscheidung murmelt (bofonchi ò ), zeigt, daß er sich nicht wohl fühlt in seiner Haut und wirklich weiß, daß er hiermit ein Zeichen setzt. Auch Giulio, der zwar mit ruhiger Stimme spricht, die aber rührend ist, empfindet das „Außer-Haus-Essen“ Niccolòs als bewußte Ausgrenzung des Bruders. Daß die Brüder ihre Gefühle nicht offen aussprechen, sondern sich trotzdem noch bemühen, ruhig zu wirken, zeigt, wie tief ihre gegenseitigen Konflikte sitzen. Die Tischgemeinschaft sei, so Barlösius, ein Resultat der Alltagsnot, die nur durch gemeinsames Arbeiten und Genießen bewältigt werden könne, wobei die gegenseitige Verläßlichkeit dieser Gruppe quasi überlebensnotwendig sei. (Barlösius, S.171f.) Das Heraustreten des Einzelnen aus der Wir-Gemeinschaft wiederum ist für Weber unmittelbar mit der „Abschichtung von der Tischgemeinschaft“ verbunden, was bedeutet, daß nun jeder zu selbständigem Wirtschaften auf eigenes Risiko gezwungen wird. (Weber 1980, S.599, in: Barlösius, S.171)
Zeno Cosini nutzt die Taktik des „Außer-Haus-Essens“ nicht absichtlich. Er ist es einfach noch nicht gewöhnt, verheiratet zu sein und Familie zu haben und weiß nicht, daß dies gewisse Verantwortungen mit sich bringt.
Un giorno, subito dopo il nostro viaggio di nozze, mi lasciai innocentemente trattenere dall’andare a casa a colazione e, dopo aver mangiato qualche cosa in un bar, restai fuori fino alla sera. Rientrato a notte fatta, trovai che Augusta non aveva fatto colazione ed era disfatta dalla fame. Non mi fece alcun rimprovero, ma non si lasciò convincere d’aver fatto male. (La coscienza di Zeno, S.130)
Zenos Frau Augusta verzichtet sozusagen als Bestrafung freiwillig auf das Essen. Ihr Mann soll es sich nur noch einmal einfallen lassen, unangekündigterweise dem Essen fernzubleiben! Dolcemente, ma risoluta, dichiar ò che se non fosse stata avvisata prima, m ’ avrebbe atteso per la colazione fino all ’ ora del pranzo. (ebda., S.130) Das gemeinsame Essen in Restaurants wiederum, also wenn sich Menschen in der Absicht treffen, in einem Restaurant zusammen zu essen, sei eine bewußte Vergemeinschaftung, ebenso wie eine gegenseitige Anerkennung sozialer Ebenbürtigkeit. (Barlösius, S.190) Wohl aus diesem Grund ist Angiolina, die Geliebte Emilios in Senilit à, so stolz darauf, mit dem berühmten Bildhauer Balli im Restaurant an einem Tisch sitzen zu dürfen, wo sich die sogenannte Cena di vitelli vollzieht. Stefano möchte Emilio bei diesem Restaurantbesuch eine Lehrstunde in Bezug auf Frauen geben und ihm zeigen, wie man sich verhalten müsse, um sich deren Respekt zu verschaffen. Sein System (...) pareva dovesse essere la brutalit à , persino col cameriere. Lo sgrid ò perch è non gli offriva di cena altro che vitello in tutte le salse. (Senilit à, S.22) Margherita, die Begleitung Stefanos, mag kein Kalb, was Stefano mit den Worten - Bada (...) non posso soffrire le smorfie io! abtut, woraufhin Ella acconsent ì che si facesse da cena anche per lei. (ebda., S.22) Diese vorübergehende Essensverweigerung Margheritas an einem Ort, an dem man ja nur zum Essen zusammengekommen ist, spricht für einen weiteren Punkt, den Barlösius in Bezug auf die außeralltäglichen Mahlzeiten festgestellt hat und nach dem die alltägliche Tischgemeinschaft von ihrem ursprünglichen Anlaß, dem der Nahrungsaufnahme, nicht getrennt werden könne. Bei der außeralltäglichen Mahlzeit aber sei genau dies geschehen. Die Nahrungsversorgung trete hier in den Hintergrund, die vergemeinschaftenden Qualitäten wiederum in den Vordergrund. (Barlösius, S.171)
5 Die untergeordnete Rolle des Essens in einer Zeit des Überflusses
Das nun folgende Kapitel 5 bezieht sich hauptsächlich auf Svevos La coscienza di Zeno. In der elitären Gesellschaft, die Svevo in diesem Werk gezeichnet hat, ist die jahrhundertealte Utopie vom Schlaraffenland Wirklichkeit geworden. Diesem alten Traumbild der Menschheit zufolge, sollte jeder essen können, was auch immer sein Herz begehren mag, ohne dafür arbeiten zu müssen. Im Schlaraffenland sind alle Einwohner sozial gleichgestellt. Sie schlemmen nicht nur, was der Speisezettel der ländlichen und städtischen Unterschichten an Festtagen bietet, sie genießen darüberhinaus die kulinarischen Herrlichkeiten der aristokratischen Küche. (Barlösius, S.17) So entstammen die Charaktere des Romans sogenannten „besseren Verhältnissen“. Das tägliche Mahl auf dem Tisch ist eine Selbstverständlichkeit, über die es nicht lohnt, nachzudenken, einzelne „Luxusangewohnheiten“, wie beispielsweise der morgendliche Kaffee, sind schon unbedingte Notwendigkeit geworden.
So macht sich Zeno, als er auf einem Morgenspaziergang von deutschen Soldaten festgehalten wird, zuerst Gedanken darüber, wie er an sein caffellatte kommt und dann erst darüber, wie er zu seiner Frau kommt. Der deutsche Soldat Dichiar ò che il caffellatte di Lucinico sarebbe stato bevuto da altri e quando sent ì che oltre al caff è c ’ era anche mia moglie che m ’ aspettava, url ò: „ Auch ihre Frau wird von anderen gegessen werden. “ (La coscienza di Zeno, S.328)
Da der Hunger nicht mehr in dem Ausmaß vorhanden ist, nimmt das Essen speziell im Zeno eine gleichzeitig untergeordnete und doch wieder übergeordnete Rolle ein. Übergeordnet, weil sich das Geschehen meistens bei Tisch abspielt, Besucher bekommen immer etwas für den Magen, denn Gästen muß man ja etwas anbieten. Untergeordnet, weil dieses ständige Essen nur die Rahmenhandlung ausmacht, über die sich keiner Gedanken macht und die eben einfach da ist.
5.1 Die Unwichtigkeit der Nahrung aufgrund ausreichendem Vorhandenseins
In einer Zeit, in der sich die Menschen ihr tägliches Brot nicht mehr im Schweiße ihres Angesichts verdienen müssen und es sich erlauben können, sich über andere Dinge Gedanken zu machen, als über ihren stetig vorhandenen Hunger, tritt die Nahrungsaufnahme zuweilen in den Hintergrund.
Manche essen zerstreut, schlingen die Mahlzeit herunter, ohne zu merken, daß sie essen oder „kriegen keinen Bissen runter“. Besonders die Liebe geht in diesem Fall durch den Magen.
Im folgenden möchte ich nur ein paar Beispiele auflisten, die zeigen, daß es Menschen manchmal einfach nicht möglich ist, ans Essen zu denken.
Dovetti fermarmi a desinare; ma fremevo di tanta impazienza, che non m ’ accorsi nemmeno di mangiare; sentii per ò infine che avevo divorato. (Il Fu Mattia Pascal, S.217f.) Mentre distrattamente fingevo di mangiare, (...) (La coscienza di Zeno, S.150) (...) e per varie ore non seppi neppure mangiare. Mi sentivo ben sudicio! (La coscienza di Zeno, S.209)
E Chiarina non voleva mettersi n è meno a tavola; (...) (Tre croci, S.18)
Auffällig ist hier, daß in fast allen Beispielen der Ausdruck „nicht einmal“ auftaucht. Kann ein Mensch nicht einmal mehr essen oder sich nicht einmal mehr an den Mittagstisch setzen, so muß es ihm schon wirklich schlecht gehen.
5.2 Nahrung als Geschäft
In den Zeiten des Überflusses ist Nahrung nicht mehr allein zum Essen da. Zeno „mißbraucht“ trockenes Obst als abstraktes Geschäft an der Börse, was dem Autor die Vorlage für allerlei zweideutige Bemerkungen gibt.
„ Compera subito quella frutta secca! “, schreit eine innere Stimme der Vorahnung in Zeno Cosini, die er sich nicht erklären kann. Nachdem er eine schlaflose Nacht zugebracht und einen Vormittag lang auf seinen Anlagenberater Olivi eingeredet hat, erkennt er, daß er in seinem eigenen, vom Vater geerbten Geschäft nicht viel zu sagen hat und läßt gezwungenermaßen von seiner Idee, Rosinenaktien zu kaufen, ab.
Ma il sapore dell ’ uva sultanina mi rest ò in bocca ed ogni giorno al Tergesteo m ’ informavo del suo prezzo. Als der Rosinenwert tatsächlich in die Höhe steigt, weil die Ernte nicht gut ausgefallen ist, triumphiert Zeno.
Arriv ò una seconda offerta dal prezzo quasi raddoppiato. L ‘ Olivi, per rabbonirmi, mi domand ò consiglio ed io, trionfante, dissi che non avrei mangiato l ‘ uva a quel prezzo. (La coscienza di Zeno, S.131f)
Die Rosinen besitzen den materiellen Wert der Vermögenssteigerung und sind in diesem Fall nicht zum Essen da. Wortspiele über den Geschmack der Rosinen oder daß man die Rosinen nicht zu diesem Preis essen wolle, sind hier humoristische Elemente, die der Autor bewußt einsetzt und so den Doppelcharakter der Nahrung deutlich macht. Bei Il Fu Mattia Pascal sind es die Obstverkäufer, die in den zu verkaufenden Lebensmitteln nur das Geschäft sehen.
In un Trattato degli Arbori di Giovan Vittorio Soderini si legge che i frutti maturano „parte per caldezza e parte per freddezza; perciocchè il calore, come in tutti è manifesto, ottiene la forza del concuocere, ed è la semplice cagione della maturezza“. Ignorava dunque Giovan Vittorio Soderini che oltre al calore, i fruttivendoli hanno sperimentato un’altra cagione della maturezza. Per portare la primizia al mercato e venderla più cara, essi colgono i frutti, mele e pesche e pere, prima che sian venuti a quella condizione che li rende sani e piacevoli, e li maturano loro a furia d’ammaccature. (Il Fu Mattia Pascal, S.46)
Die Obstverkäufer pflücken unreife Früchte, die sie selbst nachträglich zur Reife bringen. Diese Methode gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Ware teurer verkaufen zu können, die gesunde und wohlschmeckende Komponente aber geht verloren.
5.3 Nahrung und Krankheit
Nachdem in Kapitel 4.2 von dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung die Rede war, ist ein großer Teil dessen, was sich über das Verhältnis zwischen Ernährung und Krankheit sagen läßt, von unfreiwilligen Verzichten geprägt.
Barlösius betont zwar, die Menschen hätten schon immer gewusst, daß zwischen dem, was man ißt und wie man sich fühlt, ein Zusammenhang bestehe. Trotzdem könne man von einem Wandel des Ernährungswissens sprechen, als seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Naturwissenschaften in Bezug auf Ernährung immer einflußreicher geworden seien und Richtwerte für eine genügende und gesunde Nahrung lieferten. (Barlösius, S.48)
Während es aber damals noch darum ging, auszurechnen, wieviele Nährstoffe der Mensch pro Tag mindestens braucht, sind die Menschen heute in Europa eher darauf aus, möglichst wenig zu essen, also zwar die erforderliche Menge an Nährstoffen zu sich zu nehmen, dabei aber darauf bedacht zu sein, sich ausgewogen und maßvoll zu ernähren. Die durch Mangel verursachten Krankheiten, wie beispielsweise Skorbut, Beriberi oder Rachitis sind heute weitgehend besiegt, während aber viele sogenannte Zivilisationskrankheiten ebenfalls als Vitaminmangelkrankheiten erkannt sind. Außerdem treten Hypervitaminosen bei übermäßiger Zufuhr eines Vitamins auf. Einseitige Kochkost und übermäßige Verfeinerung der Nahrung, ebenso wie überreiche Ernährung können zu verschiedenen Störungen oder Stoffwechselkrankheiten führen. (siehe hierzu: dtv-Lexikon, Vitamine: Bd.19, S.238 und Zivilisationskrankheiten: Bd.20, S.279) Das berühmteste Beispiel einer durch Überfluß verursachten Krankheit ist wohl Diabetes, mit der auch das Verbot bestimmter Speisen und genaueste Diätpläne einhergehen.
A me parve che quell’adunanza fosse ben triste. Forse tale impressione si fece in me alla vista di mio suocero condannato ad una minestrina e ad un bicchiere di latte, mentre attorno a lui tutti si caricavano dei cibi più prelibati. Aveva tutto il suo tempo libero, lui, e lo impiegava per guardare in bocca agli altri. Vedendo che il signor Francesco si dedicava attivamente all’antipasto, mormorò: “E pensare che ha due anni più di me!”. Poi, quando il signor Francesco giunse al terzo bicchierino di vino bianco, brontolò sottovoce: “È il terzo! Che gli andasse in tanto fiele!” L’augurio non m’avrebbe disturbato se non avessi mangiato e bevuto anch’io a quel tavolo, e non avessi saputo che la medesima metamorfosi sarebbe stata augurata anche al vino che passava per la mia bocca. Perciò mi misi a mangiare e a bere di nascosto. (La coscienza di Zeno, S.174)
Während sich Zeno Cosini in dem eben aufgeführten Beispiel dafür schämt, Privilegien in puncto Ernährung gegenüber seinem Schwiegervater zu genießen und heimlich weiterißt, hat nicht jeder dieses Mitgefühl zu seinen eingeschränkten, kranken Mitmenschen. In dem folgenden Beispiel aus dem Werk Il Fu Mattia Pascal kostet ein Ehemann, Malagna, die aufgezwungene Abstinenz seiner Frau aus, indem er ihr jeden der ihr verbotenen Bissen gewissermaßen unter die Nase hält und vorkaut.
Per giunta, la signora Guendalina, poco dopo il matrimonio, si ammalò d’un male di cui non potè più guarire, giacchè per guarirne, avrebbe dovuto fare uno sacrifizio superiore alle sue forze: privarsi nientemeno di certi pasticcini coi tartufi che le piacevano tanto, e di simili altre golerìe , e anche, anzi soprattutto, del vino. (…) Io e Berto, giovinetti, eravamo qualche volta invitati a pranzo dal Malagna. Era uno spasso sentirgli fare, coi dovuti riguardi, una predica alla moglie su la continenza, mentre lui mangiava, divorava con tanta voluttà i cibi più succulenti: - Non ammetto, - diceva, - che per il momentaneo piacere che prova la gola al passaggio d’un boccone, per esempio, come questo - (e gi ù il boccone) - si debba poi stare male un’intera giornata. Che sugo c’è? Io son certo che me ne sentirei, dopo, profondamente avvilito. Rosina! - (chiamava la serva) - Dammene ancora un po’. (Il Fu Mattia Pascal, S.20)
In diesen beiden Beispielen findet man auch das Motiv der übermäßigen Anziehungskraft verbotener Speisen vor, in der die atavistischen Hungergefühle und Begierden (Montanari, S.202) ihren Ausdruck finden.
Wieder zurück zu La coscienza di Zeno tritt auch der umgekehrte Fall ein, nämlich der des übermäßigen Konsums eines bestimmten Nahrungsmittels aus Gesundheitsgründen.
Mangiava ogni giorno una quantità enorme di limoni. Quel giorno ne aveva ingoiati una trentina, ma sperava con l’esercizio di arrivare a sopportarne anche di più. Mi confidò che i limoni secondo lui erano buoni anche per molte altre malattie. Dacchè li prendeva sentiva meno fastidio per il fumare esagerato (…). Io ebbi un brivido alla visione di tanto acido, ma, subito dopo, una visione un po’ più lieta della vita: i limoni non mi piacevano, ma se mi avessero data la libertà di fare quello che dovevo o volevo senz’averne danno e liberandomi da ogni altra constrizione, ne avrei ingoiati altrettanti anch’io. (La coscienza di Zeno, S.84)
Der uralte Traum der Menschheit vom Schlaraffenland hat sich gewandelt. Heute träumen die Menschen nicht mehr davon, alles essen zu können, was das Herz begehrt, sondern vielmehr davon, alles essen zu können, ohne einen größeren Schaden davonzutragen. Die Gefahr und die Angst vor demüberm äß igen Essen haben die Gefahr und die Angst vor dem Hunger abgelöst. (Montanari, S.203) Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als diesen alten Menschheitstraum für sich selbst theoretisch erfüllt zu sehen, da die nötigen Mittel vorhanden sind, ihn aber nicht auskosten zu können. Man geißelt sich wie im Fall der Zitronen selbst, nur um sich aller Zwänge und Einschränkungen befreit zu sehen.
5.4 Die Wichtigkeit der Tischutensilien
„Das Auge ißt mit“. Neben dem Nahrungskonsum, der möglichst reichhaltig sein sollte, gelten auch Tischsitten, also höfisches Benehmen und Tischutensilien als Instrumente, um die eigene Macht und den Reichtum zur Schau zu stellen. Montanari betont das administrative und politische Können als neuem Wert, als wichtigste Attribute der Führungsschicht. (Montanari, S.111) Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert habe sich somit (...) die Art und Weise geändert, in der Macht durch das Essen zum Ausdruck gebracht wird. Bei den Herren schätze man nun (...) die Geschicklichkeit, um sich herum einen weise organisierten Küchen- und Tischapparat aufzubauen und die richtigen Menschen zu plazieren (...) (ebda., S.112)
Man prahlt also nicht mehr nur damit, daß man die Möglichkeit hat, viel zu essen, sondern auch damit, daß man es versteht, aus der Tafel ein wohlkomponiertes Kunstwerk zu schaffen, dessen einzelnen Bestandteilen man ansehen kann, wieviel sie gekostet haben.
(...) tornò con un piccolo vassojo su cui era un bicchiere e una bottiglia di vermouth. Subito, a quella vista, la madre si alzò indispettita, dicendo alla figlia:
- Ma no! Ma no! Da’ qua!
Le tolse il vassojo dalle mani e uscì per rientrare poco dopo con un altro vassojo di lacca, nuovo fiammante, che reggeva una magnifica rosoliera: un elefante inargentato, con una botte di vetro sul groppone, e tanti bicchierini appesi tutt’intorno, che tintinnavano. (Il Fu Mattia Pascal, S.26)
Die Mutter will in diesem Beispiel damit prahlen, was sie hat. Anstelle des Vermouth auf einem einfachen Tablett, muß der Gast in jedem Fall "Rosolio" trinken, um den silbernen Elefanten bewundern zu können, an dem die klingenden Becherchen aufgehängt sind.
In Anbetracht der Tatsache, daß der Gast Mattia Pascal viel lieber Vermouth getrunken hätte (ebda., S.26), wird diese Spielerei vollkommen nichtig und ins Lächerliche gezogen. Selbst bei Gästen, die der Mutter gar nicht wichtig sind und die sie lieber gar nicht im Haus hätte (ebda., S.27), lebt sie ihren Vorzeigedrang gebührend aus.
Neben den kleinen Vorzeigespielereien, ist beim Essen die Tischordnung wichtig. Während Montanari noch betont, es sei ein Zeichen der Herren, daß sie es verstehen, die richtigen Menschen um sich herum zu plazieren, findet man in Tozzis Con gli occhi chiusi, wo die Gesellschaft eine bäuerliche ist, eine praktische Art der Sitzordnung vor.
La mattina, ciascuno prendeva la colazione quando ne trovava il tempo, dopo aver terminato le faccende; ma la sera, mangiavano tutti insieme. Domenico a capo di tavola, Pietro tra lui e Rebecca. In faccia al padrone, il cuoco; e, dall’altra parte, i due camerieri; lo sguattero si sedeva a un piccolo tavolo, che serviva anche per tenerci sopra i piatti e le posate: di traverso, per non voltare le spalle agli altri. Anna restava nella sua poltrona, perchè così poteva vedere se entrasse in quel frattempo qualche cliente. (Con gli occhi chiusi, S.15)
Abends, wenn Familie und Angestellte gemeinsam essen, hat jeder seinen Platz, was auch meistens einen bestimmten Grund hat. Der Herr des Hauses sitzt am Tischende, der Küchenjunge an einem Extratisch, aber so, daß er den Anderen nicht den Rücken zudreht und die Hausherrin so, daß sie sehen kann, ob neue Kunden kommen.
5.5 Die Bedeutung der Schokolade bei Gozzano
Auch in Zeiten des Überflusses, in denen die Nahrung, wie vorher beschrieben, eine untergeordnete Rolle einnimmt, lieben es die Menschen, zu genießen. Das Essen, bzw. bestimmte Genußmittel sind immer noch in der Lage, aus erwachsenen Menschen Kinder zu machen und im Gegensatz zu dem vorher Gesagten eine übergeordnete Rolle einzunehmen. Guido Gozzano beschreibt in seinem Gedicht Le Golose einen Konfiserieladen, in dem unterschiedliche Frauen Gebäck, Plätzchen und Pralinen zu sich nehmen. Sie werden wieder zu Kindern, während sie das Gebäck auswählen Quanto ritornano bambine! (Le Golose, Z.3f.), und verschlingen eilig ihre Beute. Die verschiedenen Charaktere der einzelnen Frauen kommen hierbei zum Tragen:
C’è quella che s’informa
pensosa della scelta,
quella che toglie svelta
nè cura tinta o forma. (ebda., Z.9-12)
Eine Weitere verdaut friedlich, ohne sich um die Blicke zu kümmern, eine scheint nicht Schokolade einzusaugen, sondern Worte des Dichters d’Annunzio, und wieder eine andere saugt gekonnt am obersten Ende, aber umsonst, da die Creme auf der anderen Seite austritt.
Gozzano selbst nimmt hier die Position des ungesehenen Beobachters ein, der, fasziniert von diesen Frauen, jede einzelne küssen möchte. Der Schokolade als euphorisierender Droge (s. Montanari, S.147), bzw. „Liebesersatz“, wird so durchaus gerecht. Das „Süße“ nahm erst im 16./17. Jahrhundert eine spezielle Bedeutung in Europa ein, nämlich als auch der Zucker, der vorher lange Zeit nur zu medizinischen Zwecken gebraucht worden war, neben dem Honig zum Süßen von Speisen verwendet wurde. Vor allem in Spanien und Italien hatte man begonnen, dieses arabische „ Gewürz “ - (...) - bei der Herstellung von Konfekt zu verwenden. (ebda., S.144)
Entgegen dem medizinischen Gebrauch des Zuckers, der lange Zeit nur in Apotheken erhältlich gewesen war, wird er seit Mitte des 16. Jahrhunderts, als sich der „Triumphzug des Süßen“ (s. Montanari, S.148) vollzog und ein neuer gastronomischer Geschmack (ebda., S.149) entstanden ist, aus Naschsucht konsumiert, wovon uns Guido Gozzanos Gedicht ein gutes Beispiel liefert.
6 Die Rolle des Alkohols
Anfänglich hatten der Wein als das Getränk Gottes, bzw. als Blut des Heilands, und das Bier als eines der nahrhaftesten und gut anzubauenden Lebensmittel in Hungerzeiten einen sehr guten Ruf. Die alten Germanen führten ritualisierte, gemeinschaftsstiftende Saufgelage durch, bei den Orgien der alten Römer und Griechen durfte Wein nicht fehlen. Die Notwendigkeit, sich über Mäßigung Gedanken zu machen, hatte nicht bestanden, da der damals existierende Alkohol nicht lange haltbar und somit an die Jahreszeiten gebunden war. Also folgten den exzessiven Saufgelagen stets Zeiten der Abstinenz. Erst im 16. und 17. Jahrhundert begann ein Umbruch der Trinksitten. Die Menschen in Deutschland fingen in dieser „ersten Alkoholkrise“ an, darüber nachzudenken, welche negativen Auswirkungen der Alkoholgenuß mit sich bringen könnte. Besonders der Reformator Martin Luther verteufelte die deutsche Trunksucht im Jahr 1534 folgendermaßen:
Es muß ein jegliches Land seinen eigenen Teufel haben, unser deutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß Sauf heißen, daß er so dürstig und heilig ist, der mit so großem Saufen Weins und Biers nicht kann gekühlt werden. Und wird solch ewiger Durst und Deutschlands Plage bleiben bis an den jüngsten Tag. (Martin Luther, in: Leben ohne Alkohol - Erste Krise, S.1)
Hauptgrund hierfür war die Erfindung des Branntweins, bzw. das sich erst jetzt in Europa verbreitende Prinzip der Destillation von Alkohol, das alkoholische Getränke haltbarer machte. Die Hochprozentigkeit des Branntweins führte auch dazu, daß viele Menschen sich in die Bewußtlosigkeit tranken, denn sie änderten ihre Trinksitten, die auf wenig alkoholhaltige Biere oder Weine angelegt waren, nicht sofort. Später kam es wieder zu einem rasanten Anstieg des Alkoholkonsums - durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte eine gewaltige Landflucht ein, wodurch die Menschen ihre sozialen Bindungen verließen, um in der Stadt Arbeit zu finden. Da sie dort oft nur Elend vorfanden, suchten sie ihre Sorgen im Alkohol zu ertränken.
Ferner gelten die in Kapitel 1 erwähnten Prozesse, die diese Industrialisierung nach sich zog, auch für den Alkohol. So wurde die (...) sogenannte „ M äß igungsbewegung “ zur gr öß ten und wichtigsten bürgerlichen Bewegung des 19. Jahrhunderts (...). (Leben ohne Alkohol - Zweite Krise, S.1)
Die Quellen, auf die sich hier bezogen wurde, gelten zwar hauptsächlich für Deutschland, diese Entwicklungen aber hatten in ganz Europa ähnlichen Charakter. Alkohol, besonders der Wein, war lange Zeit als Universalmedizin gegen alle Leiden anerkannt gewesen, er wurde dem Wasser als Antiseptikum beigemischt, da man dieses nicht unbedenklich pur trinken konnte und hatte einen hohen geselligen Wert. Seit dem 4. Jahrhundert seien es die christlichen Prediger gewesen, die den Alkohol, bzw. die Trunksucht, hartnäckig verdammten.
Alkohol ist somit in Europa Nahrungsmittel und, durch den eindeutig euphorischen Gebrauch alkoholischer Getränke, Droge zugleich. (s. Montanari, S.146f.)
6.1 In Vino Veritas
Wein lockert die Zunge. Diese Erfahrung muß Zeno Cosini während des Hochzeitsbanketts seiner Schwägerin Ada machen, die er eigentlich vor seiner Heirat mit deren Schwester Augusta zu seiner eigenen Zukünftigen auserkoren hatte. Durch den übermäßigen Weingenuß blamiert er sich bei dieser Gelegenheit vollends. Zuerst möchte er witzig sein und alle zum Lachen bringen, indem er seinem kranken Schwiegervater Giovanni, dem der Alkohol verboten ist, heimlich Wein einschenkt. Per ò perdetti subito l ’ appoggio degli altri quando versai del vino a Giovanni nel suo grande bicchiere d ’ acqua. (La coscienza di Zeno, S.175) Zeno selbst bezeichnet diesen Scherz als ein suggerimento del vino und betont: Non tutti gli ubriachi sono preda immediata di ogni suggerimento del vino. (ebda., S.175) Der dem Hochzeitsbankett vorangegangene Vormittag war für Zeno Cosini sehr hart gewesen: Er und seine Geliebte haben sich getrennt und ein Freund ist gestorben. Um die fröhliche Stimmung auf dem Fest nicht zu stören, hatte er eingangs behauptet, dem im Krankenhaus liegenden Freund Copler ginge es gut. Als ihm aber nun der Wein zu Kopf steigt, überlegt er, ob er nicht von seiner Geliebten Carla reden sollte, damit man ihn bemitleide und das „Attentat“ auf den Schwiegervater vergesse. Non avevo sempre il desiderio di confessarmi anche quando non ero reso pi ù magnanimo dall ’ azione del vino? Doch scheint ihm die Idee nicht so gut. Finii col parlare del Copler. Volevo che tutti sapessero che quel giorno avevo perduto il mio grande amico. Avrebbero scusato il mio contegno. (ebda., S.176) Wie sich der Leser bereits denken kann, geht auch das nicht gut aus.
Gridai che il Copler era morto, veramente morto e che fino ad allora ne avevo taciuto per non rattristarli. (...) Tutti risero perchè non mi credettero e allora intervenne l’ostinazione ch’è proprio il carattere più evidente del vino. Descrissi il morto: (...) Ci fu un silenzio generale interrotto da Guido che esclamò: „E adesso non senti più il bisogno di non rattristarci?“ (...) Mi misi a ridere sgangheratamente: „Ve l’ho fatta! È vivo e sta meglio“. (...) Tutti mi credettero, ma l’indignazione fu generale. (ebda., S.176)
Bei diesem Hochzeitsbankett lernt Zeno noch mehrfach, daß der Spruch In Vino Veritas nicht stimmt. Auch der Betrunkene kann lügen, was Zeno bei einer Rede auf die Frischvermählten auslebt, als er von seiner eigenen Liebe zu seiner Frau, der Schwester der Braut, spricht. Eppoi si dice che nel vino ci sia la verit à . (ebda., S.178) Vollends kompromittiert er sich an diesem Abend mit Ada, der Braut, indem er diese mit seinem Blick „auszieht“. Ein Blick ist laut Zeno Cosini wichtiger als ein Wort, da es im gesamten Wortschatz keinen Begriff gebe, der in der Lage sei, eine Frau auszuziehen. Dieser sein Blick aber habe gelogen, da er die Vergangenheit wieder aufgeworfen hätte. Zeno hat einmal Gefühle für Ada gehabt, jetzt aber ist deren Schwester seine Frau.
Il vino é un grande pericolo specie perchè non porta a galla la verità. Tutt’altro che la verità anzi: rivela dell’individuo specialmente la storia passata e dimenticata e non la sua attuale volontà; (...) Tutta la nostra storia vi (nel cuore, Anm.) è sempre leggibile e il vino la grida, trascurando quello che poi la vita vi aggiunse. (ebda., S.180)
Für Zeno Cosini ist dieses Hochzeitsbankett ein Abend, an dem er etwas zuviel über den Durst getrunken und die „dämonischen“ Auswirkungen des Weins zu spüren bekommen hat. Am nächsten Tag ist er wieder nüchtern, hat einen kleinen Kater und lebt sein alltägliches Leben weiter. Anders liegt der Fall bei der Krankheit des Alkoholismus, also wenn Menschen süchtig danach sind, sich immer wieder in den glückseligen Rauschzustand des Alkoholeinflusses zu setzen, wovon das nächste Kapitel handeln soll.
6.2 Alkoholismus bei Frauen
Die einsame Amalia aus Senilit à ist Alkoholikerin, was der Leser erst zum Ende der Handlung erfährt. Auch sonst ist es Amalia mehr als gelungen, ihr Geheimnis für sich zu bewahren. Ihr Bruder, der immerhin mit ihr zusammenwohnt, erfährt es durch einen Arzt, dem er zunächst keinen Glauben schenken will. Ella, bere! Non sa neppure bere dell ’ acqua in abbondanza. Ci mette un ’ ora per un bicchiere d ’ acqua. (Senilit à, S.80) Hiermit folgt Amalia einem allgemeingültigen Muster, nach dem eine Frau, die regelmäßig zuviel trinkt, anders beurteilt werde, als ein Mann, da es zum gängigen Männlichkeitsbild gehöre, daß ein richtiger Mann durchaus einen kräftigen Schluck verträgt. Die Stigmatisierung trinkender Frauen sei ein Grund, weshalb Frauen ihren Alkoholismus länger verbergen würden. (Frauen und Alkohol, S.13)
Manche Frauen trinken, um ihre Isolation und Einsamkeit besser zu ertragen. Das Suchtverhalten wird somit zum Ü berlebensmechanismus (ebda., S.31), der Amalia seltene Stunden der Glückseligkeit beschert. Im Gegensatz zu den Männern, die häufiger in Gesellschaft trinken würden, habe es bei den meisten Frauen mit ein paar Gläsern zu Hause, sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit, angefangen. (ebda., S.21) Auch in Pirandellos Il Fu Mattia Pascal ist die Alkoholikerin Signorina Caporale eine alte Jungfer: voleva vivere, lei, poveretta, e stimava ingenerosi gli uomini che badano soltanto alla bellezza esteriore. (Il Fu Mattia Pascal, S.128) Pirandello spricht in seinem Werk sogar offen aus, daß sie vielleicht keinen Alkohol mehr trinken würde, fände sie nur den „Richtigen“. Oh chi sa di quali e quanti sacrifizii sarebbe stata capace veramente, se avesse trovato un uomo „ generoso “ ! Forse non avrebbe pi ù bevuto neppure un dito di vino. (ebda., S.128)
Neuere Studien sprechen von 75% „einsamer Trinkerinnen“ (De Zwart, 1983, in: Frauen und Alkohol, S.21) Um die Jahrhundertwende werden wahrscheinlich weniger Frauen Alkoholikerinnen gewesen sein als heute, bzw. werden sie es eher nach außen geheimgehalten haben, da die Frau heutzutage versucht, es dem Mann in allen Bereichen möglichst gleichzutun. Sie ist nicht mehr das schwache Wesen, deren höchste Tugend darin besteht, liebreizend zu sein, sondern stellt vermehrt den Anspruch an sich selbst, Stärke und Selbstbewußtsein auszustrahlen. Die Gründe, warum eine Frau zur Flasche greift, werden sich wohl seit damals kaum geändert haben.
6.3 Alkohol als literarisches Ausdrucksmittel der Verschiedenartigkeit zweier Charaktere bei Svevo
Besonders auffällig an Svevos Werk Senilit à ist die Verschiedenartigkeit der beiden Charaktere Amalia, der Schwester, und Angiolina, der Geliebten Emilios. Amalia wird in der Geschichte als alternde Jungfer beschrieben, die klein, hässlich, verkümmert und unscheinbar ihr Dasein fristet, während Angiolina im krassen Gegensatz dazu nur so vor Jugend und Lebensfreude strotzt. Hält sich Amalia den ganzen Tag graugekleidet in ihrer dunklen, ärmlichen Küche auf, so liebt es Angiolina, ihre blonden, leuchtenden Haare, ihre weißen, strahlenden Sommerkleider und ihr volto illuminato dalla vita (Senilit à, S.2) unter den Blicken der Männer in der Sonne spazierenzuführen. So verkörpert die Eine in all ihren Zügen das Leben und die Freude daran, die andere aber gewissermaßen den Tod. Entsprechend dieser Verschiedenartigkeit hat auch der Alkohol eine vollkommen unterschiedliche Wirkung auf die beiden Frauen, bzw. er wird von ihnen schon aus unterschiedlichen Motiven eingesetzt.
Angiolina, deren geringste Handlung genauestens vorberechnet ist, hat sich meistens unter Kontrolle. Da sie genaueste Pläne für ihr Leben hat, kann sie sich nicht gehen lassen, um sich nicht zu kompromittieren, denn sie ist eigentlich eine Art Prostituierte, die mit Männern ausgeht, um sich beschenken zu lassen. Es gelingt ihr aber sehr gut, ihre wahre Natur geheimzuhalten und jedem der Männer das Gefühl zu geben, er sei der Einzige. Als sie sich eines Tages mit Emilio trifft und beschwipst ist, sind ihre Wangen in fiamme. (Senilit à, S.71) Sie ist fröhlich, kichert und wird unerwarteterweise ganz zärtlich zu Emilio. Era bellissima, con quell ’ insolito rossore alle guance e gli occhi lucenti. (ebda., S.71) Am nächsten Tag entschuldigt sie sich bei Emilio dafür, daß sie sich so hat gehen lassen, Emilio aber beruhigt sie, (...) assicurandola che se fosse dipeso da lui ella si sarebbe ubbriacata una volta al giorno. (ebda., S.72) Durch diesen Satz wird der Leser zum Nachdenken gebracht, erfährt er am Ende der Geschichte Amalias Geheimnis. Sie trinkt, um ihre Einsamkeit leichter ertragen zu können, so versteckt, daß nicht einmal ihr Bruder es merkt.
Als sie am Ende der Geschichte ins Fieberdelirium verfällt, erfährt Emilio durch den Arzt, seine Schwester habe ein Alkoholproblem, wodurch ihr Körper so geschwächt sei, daß sie das Fieber nicht überleben könne. Emilio glaubt dem Arzt nicht, bis er in einem sorgfältig verschlossenen Schrank hunderte leerer Alkoholflaschen findet. Von da an weiß er seine Schwester verloren. So symbolisiert der Alkoholgenuß im Falle Angiolinas, in der soviel Leben steckt, die reine Lebensfreude, während er im umgekehrten Fall auch Einsamkeit und Tod bedeuten kann.
7 Bäuerliche Lebensweise und Tradition bei Tozzi
In Tozzis Con gli occhi chiusi findet der Leser im Gegensatz zu den anderen behandelten Werken eine bäuerliche Gesellschaft vor, die den Wert der einzelnen Lebensmittel, besonders der Grundnahrungsmittel Mehl, bzw. Brot, durchaus zu schätzen weiß.
La farina! Masa sapeva bene quel che è la farina e quanto le costasse; la farina che le si attaccava alle dita, chiusa nella madia con un rispetto quasi fanatico. Mangiava le fette di pane come un ragazzo di montagna si mette in bocca per la prima volta un pezzo di dolce ed ha paura di finirlo troppo presto. (...) La farina era lei stessa e tutta la sua famiglia. E Giacco diceva: - Non siamo fatti di pane anche noi? (ebda., S.6)
Die Charaktere dieses Buches sind nicht so reich wie beispielsweise Zeno Cosini und seine Familie. Hier handelt es sich um Domenico Rosi, einem Gastwirt, und seinen Umkreis, also Familie, Angestellte und die Menschen aus dem Dorf. Auch wenn die soziale Stufenleiter Unterschiede hat - es gibt auch hier die “Herren”, die kleineren Angestellten bis hin zu den Bettlern, die sich täglich ihr Almosen in Form trockenen Brotes aus dem Konvent abholen (s. ebda., S.38f.) - muß sich in diesem Roman jeder sein tägliches Brot im Schweiße seines Angesichts selbst verdienen. Sind nicht auch wir aus Brot gemacht?, fragt Giacco und das Mehl wird geheiligt, fast schon angebetet.
So verwundert es kaum, daß den Menschen in ihrem Aberglauben ausgerechnet das Verschütten von Lebensmitteln am meisten Angst macht.
- Ho versato l’olio.
- Dite per scherzo?
- Non son mica come voi! Su queste cose non posso scherzare io! (…)
- Ma queste cose non rispettano nessuno, lo sapete. Vi ricordate di quando la volpe straziò la chioccia che m’ero scordata di chiudere in casa? Allora, io avevo versato l’olio. (Con gli occhi chiusi, S.5)
Das Verschütten des für die italienische Küche besonders kostbaren Olivenöls, scheint ohne Frage ein Unglück nach sich zu ziehen. Als dieses Unglück in dem Buch ausbleibt, ist die Nachbarin neidisch. - Ora non c ’è pi ù pericolo. Ne fu invidiosa; e, accertatasi che l ’ olio era stato versato da vero, pens ò : - Tutte le fortune sono le sue! (ebda., S.6) Die Lebensmittel werden so personifiziert und quasi zu Gottheiten, denen man großen Respekt entgegenbringen muß.
Um das Leben auf dem Land mit all seinen Mühen darzustellen, beschreibt Tozzi in seinem Werk verhäuft besonders die Eßgewohnheiten seiner Protagonisten, wobei er besonderes Gewicht auf die minutiöse Beschreibung jedes einzelnen Schrittes legt.
Das folgende Beispiel enthält ein Rezept des toskanischen “Arme-Leute-Essens”
Acquacotta, das nur aus Olivenöl, Zwiebeln, Knoblauch, Brot und Salzwasser besteht.
Bisognava vederla! Versava da un’ampolla di latta un filo d’olio, un filo così sottile come la punta di un ago. Sgocciolato bene il forellino, prima di richiudere l‘ampolla dentro la madia, vi passava sopra la lingua più di una volta. La padellina bolliva, ed ella vi buttava aglio e cipolla tritata. Quando l’aglio era diventato giallo ed abbrustolito, metteva il soffritto nella pentola piena d’acqua salata; la riaccostava al fuoco ed intanto affettava un pane, appoggiandoselo al petto e spingendo il coltello con ambedue le mani. Il cane da guardia, Toppa, faceva sparire le briciole di mano in mano che cadevano. Masa, disperata, lo allontanava con un piede: voleva serbarle per le galline! A pena entrato, Giacco si lavava in un catino di rame tutto ammaccature; poi sedeva, passandosi le dita corte e callose sul volto. Masa, finalmente, votava l’acqua sopra il pane affettato; e Ghìsola portava in tavola i cartocci del sale e del pepe, facendosi rimproverare perché sfregava troppo le spalle al muro per andare da un punto all’altro della stanza. (ebda., S.3)
Die Ärmlichkeit dieses Mahls und des Haushalts erkennt der Leser mehrfach daran, daß das Öl in einem dünnen Strahl in die Pfanne eingelassen wird, daß die Köchin über die Ölflasche leckt, bevor sie sie sorgsam wieder in die Vorratskammer schließt und schließlich daran, daß sie die Brotkrumen für die Hühner aufbewahren will. Tozzis Roman ist voller solcher genauesten Ausführungen dessen, was gegessen wird, bzw. wie es gegessen wird und was sich die Leute dabei denken, denn hier denken die Menschen noch wirklich über ihr tägliches Brot nach, anstatt es in sich hineinzuschlingen. In Con gli occhi chiusi sind weder Mehl, noch Brot, noch Öl eine Selbstverständlichkeit, sondern jeder ist sich der Mühen bewußt, die hinter jedem Bissen selbst des ärmlichsten Mahls stecken.
8 Schluß
Durch Klimaschwankungen und Hungersnöte wurden die Eßgewohnheiten der Menschen in Europa schon von Anbeginn her bestimmt. Die Menschheit mußte erst lernen, welche Nahrungsmittel am nahrhaftesten und auch am effektivsten in ihrem Anbau sind. Durch die Entwicklung der Kochkunst begann man, eine Wissenschaft daraus zu machen, was man auf welche Weise und mit welchen Zutaten am besten essen könne. Ziel meiner Hausarbeit war es, aufzuzeigen, wie sich die Ernährungssituation vor hundert Jahren dargestellt hat, dabei v.a. Gewicht auf die Entwicklung zu legen, die die einzelnen Nahrungsmittel durchlaufen haben, bzw. wie sich die Einstellung der Menschen in Bezug auf Ernährung gewandelt hat.
An den in dieser Arbeit behandelten Werken sieht man den Gegensatz zwischen dem ärmlichen, bäuerlichen Leben bei Tozzi, das von Aberglaube durchdrungen ist, entgegen einem elitären Bohème-leben, wo es den Protagonisten möglich ist, gut zu leben, zu reisen, ins Cafè zu gehen und in allen Zügen zu genießen.
Auch ist es für sie kein Problem mehr, die Nahrungsaufnahme zu übertreiben, wie in dem Beispiel mit den Zitronen, dem Alkohol oder der Schokolade. Normale Menschen, die keinem Adelsstand angehören, können sich auch einmal etwas gönnen, wenn sie glauben, daß sie es bräuchten, worin der Hauptunterschied zu allen Jahrhunderten vorher liegt. Nur der Adel hatte ein gutes Leben führen können, alle Anderen mußten in dieser Zeit hungern und sich für jeden Bissen abplagen.
Literaturverzeichnis
Svevo, Italo: Senilit à .
http://www.cyberia.it/biblio/html/data1/senilita.htm
Svevo, Italo: La coscienza di Zeno. - Verona: Demetra S.r.l., 2a. edizione Acquarelli Bestseller, 1999.
Pirandello, Luigi: Il Fu Mattia Pascal. - Milano: Arnoldo Mondadori Editore S.p.A., 1. edizione Oscar classici moderni, 1988.
Tozzi, Federigo: Con gli occhi chiusi.
http://download.tripod.it:81/Siena_Tozzi/occhi/occhi_chiusi.htm
Tozzi, Federigo: Tre croci.
http://download.tripod.it:81/Siena_Tozzi/croci/tre_croci.htm
Gozzano, Guido: Le Golose. Aus: Poesie sparse. Biblioteca Telematica De Bibliotheca: Classici della letteratura italiana.
http://digilander.iol.it/bepi/poesieg/poes.htm
Montanari, Massimo: Der Hunger und derüberfluß: Kulturgeschichte der Ernährung in Europa. (übers. v. Matthias Rawert). - München: Beck, limitierte Sonderauflage, 1999.
Barlösius, Eva: Soziologie des Essens: eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung. - Weinheim; München: Juventa Verlag, 1999.
Meulenbelt, Anja/ Wevers, Anke/ van der Ven, Colet: Frauen und Alkohol. (übers. v. Annette Löffelholz). - Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH, 1. Aufl., 1998.
Grünewald, Manfred: Leben ohne Alkohol.
http://www.gruenewald-web.net/leben-ohne-alkohol/erste_krise.htm http://www.gruenewald-web.net/leben-ohne-alkohol/zweite_krise.htm
Dtv-Lexikon - München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, 1973. Bd.19 u. 20.
Kalabrisches Sprichwort:
http://www.calabriaonline.com/rubriche/proverbi/proverbi22.shtml
[...]
- Arbeit zitieren
- Anke Frerich (Autor:in), 2002, Die Rolle der Ernährung in der italienischen Literatur am Beispiel Svevos, Pirandellos, Gozzanos und Tozzis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107473
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