Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. „Zum ewigen Frieden“
2.1. Erster Definitivartikel
2.1.1. Republikanismus
2.1.2. Friedfertigkeit
2.2. Zweiter Definitivartikel
2.2.1. Friedensbund als Weltrepublik
2.2.2. Völkerbund als Staat ohne Staatlichkeit
3. Die Vereinten Nationen
3.1. Übereinstimmungen mit dem „Föderalism“
3.2. Defizite der Vereinten Nationen
3.3. Überhöhte Kompetenzen
4. Schlussbemerkung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In Zeiten, in denen die Aussicht auf einen globalen Weltfrieden recht beschränkt ist und das Tagesgeschehen durch Krieg führen oder Androhung von Krieg durch Staaten bestimmt ist, entsteht zumeist der Wunsch dies zu verändern. Im Laufe der größtenteils blutigen und kon- fliktreichen Geschichte gab es deshalb auch zahlreiche Ideen und Vorstellungen wie diese Umkehr vom Krieg zum Frieden erreicht werden könne. Da sich alle Konflikte im zwischen- staatlichen Bereich abspielten lag der Gedanke nahe, eine internationale Organisation, welche über den einzelnen Staaten stehe solle, zu errichten, welche dafür wirken sollte, die Kriege zu beenden und dem Frieden eine realistische Chance zu geben. Immanuel Kant verfasste in die- ser Gedankentradition im Jahre 1795 seine berühmt gewordene Friedensschrift „Zum ewigen Frieden“, in der er ebenfalls einem Staatenbund die Aufgabe zuteil werden lässt, alle jetzigen und auch künftigen Kriege zu beenden und den ewigen Frieden für die Menschheit auf dieser Welt zu ermöglichen.
Im Gegensatz zu den Zeiten Kants besteht heute eine solche internationale Organisation, welche genau diese Aufgabe besitzt, die Menschheit vor dem Krieg zu bewahren, die Vereinten Nationen. Errichtet nach dem zerstörerischten Krieg aller Zeiten sollten diese die Hoffnung auf Frieden verwirklichen.
Daher ist es ein legitimes Anliegen die Konzeption der internationalen Organisation eines Kants mit der der Vereinten Nationen zu vergleichen.
Dafür werden in dieser Arbeit zuerst die wesentlichsten Vorgaben Kants, aufgestellt im Traktat „Zum ewigen Frieden“, präsentiert und erläutert. Im Anbetracht der Kürze dieser Arbeit wurde auf Kants rechtsphilosophischen Aspekt zur Errichtung des Friedens weitestgehend verzichtet und der Schwerpunkt auf die politiksoziologischen Ideen gesetzt. Im Anschluss daran werden diese Vorstellungen mit den Prinzipien der Vereinten Nationen in Zusammenhang gebracht und verglichen.
2. „Zum ewigen Frieden“
Die Zielsetzung dieser Arbeit, einen Vergleich zwischen den Vereinten Nationen (VN) inhä- renten Prinzipien und den Vorstellungen von Kant zu ziehen, beschränkt notwendigerweise die Betrachtung des Traktates „Zum ewigen Frieden“ auf die relevantesten Stellen, nämlich die Vorgaben für den innerstaatlichen Aufbau und die Idee eines Staaten verbindenden Frie- densbundes, welche sich jeweils in den so bezeichneten ersten und zweiten Definitivartikeln des Werkes befinden.
2.1. Erster Definitivartikel
Der „Erste Definitivartikel zum ewigen Frieden“, im Wortlaut: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein“1, untergliedert sich selbst wieder in zwei Unterabschnitte. Zum Einen beschreibt Kant, wie die innerstaatliche Verfassung eines, und im Hinblick auf einen ewigen Frieden, jedes Staates, gestaltet sein soll bzw. muss und zum Anderen, warum gerade dieser Aufbau förderlich für den Frieden ist.
2.1.1. Republikanismus
Die Verfassung eines Staates muss, wenn sie als Garantin des Friedenszustands zwischen den einzelnen Menschen dienen und damit den natürlichen Kriegszustand der Individuen beenden soll, ein gesetzlicher Zustand, und dieser republikanisch, sein (Frieden, S. 10). Dafür müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein und gewisse Elemente notwendigerweise aufgenommen werden. Das erste ist das Prinzip der Freiheit, in dem Sinne, dass „sie die Befugnis ist, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beistimmung habe geben können“ (Frieden, S. 11). Diese Definition enthält zwei grundlegende Elemente, nämlich der Bezug auf de Betroffenen der Gesetze manifestiert das Prinzip der Volkssouveränität, und die Beto- nung der starken Individualisierung der Zustimmung („ich“; „meine“), welche den freiheitli- chen Charakter des Gemeinwesens vorschreibt.2 Die folgenden „Grundsätze der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung“ (ebd.) entsprechen der Rechtsstaatlich- keit. Das dritte Kriterium, die Gleichheit aller als Staatsbürger und Untertanen im Bezug auf die rechtliche Gesetzgebung, also die Teilhabe der Bürger an der Gesetzgebung durch Reprä- sentation, komplettiert die „angeborenen, zur Menschenheit notwendig gehörenden und un- veräußerlichen Rechte“ (ebd.), kurz: die Menschenrechte. Zusätzlich davon fordert Kant noch die Gewaltenteilung, insbesondere der ausführenden Gewalt von der gesetzgebenden, als das entscheidende Prinzip, welches für ihn den Unterschied zwischen „Republikanism“ und „Despotism“ darstellt (Frieden, S. 14). Das letzte Element einer Republik ist die „Beistim- mung der Staatsbürger“ (Frieden S. 12). Neben dem schon bestehenden Zwang der Gesetze zustimmungs f ä hig zu sein, müssen bei bestimmten Entscheidungen die Bürger ausdrücklich zustimmen, wodurch der Staate eindeutig einen partizipatorischen Charakter erhält.3
Zusammenfassend kann man die Elemente der kantischen Republik, (1) Volkssouveränität, (2) freiheitlichen Charakter, (3) Rechtsstaatlichkeit, (4) Repräsentation, (5) Menschenrechte, (6) Gewaltenteilung und (7) Partizipation, als die Voraussetzungen der heutigen modernen Verfassungsdemokratien sehen.
2.1.2. Friedfertigkeit
Nachdem nun der Natur- bzw. Kriegszustand zwischen den einzelnen Menschen in einem Staat durch dessen republikanische Verfassung beendet wurde, erklärt Kant, dass durch diese Verfassung auch der Staat, also die Republik, oder, wie oben geschildert, die moderne Demo- kratie, zum Frieden neigt. „Nun hat aber die republikanische Verfassung außer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffes entsprungen zu sein, noch die Aussicht in die gewünschte Folge, nämlich den ewigen Frieden.“ (Frieden, S. 12) Dem ist so, weil in einer Republik die Bürger einer Republik einem Krieg zustimmen müssten und gleichzeitig beschließen müssten, „alle Drangsale des Krieges“ (ebd.) auf sich zu nehmen und die Kosten zu tragen. Daher würden sich die Bürger eher für den Frieden als für einen An- griffskrieg - über einen Verteidigungskrieg lässt sich schlecht entscheiden. da er von außen hereingetragen wird und die Freiheit des Einzelnen bedroht - entscheiden. In dieser Hinsicht verzichtet Kant auf jedweden Moralaspekt, d.h. der demokratische Bürger ist nicht per se friedfertiger oder hat einen höheren Sinn für Moral, sondern das reine aufgeklärte Selbstinte- resse der Bürger sorgt dafür, den Krieg zu vermeiden und den Frieden zu bewahren.4
Bei der empirischen Überprüfung dieser These - Demokratien sind friedfertig - jedoch ent- stehen Zweifel an der Richtigkeit. Aber die Nichtübereinstimmung von Theorie und Realität führt zu zwei großen Interpretationsfamilien: Zum Einen die negative Sicht, dass die Theorie der Realität nicht gerecht wird (hier exemplarisch Höffe5 ) und zum Anderen die positive An- nahme, dass die Realität noch nicht der Theorie entspricht (Czempiel6 ). Höffe argumentiert, dass durch die Zustimmungspflicht die Bürger nicht friedfertiger seien, sondern nur kriegszögerlicher. Ebenso sei das Selbstinteresse kein wahrhaftiger Garant für den frieden, denn mittlerweile gäbe es Möglichkeiten Krieg zu führen, ohne dass einem die beschworenen Drangsale zum Verhängnis würden. Als letztes nennt Höffe den neuerdings eingetretenen Zwang zur Friedfertigkeit auch für Nicht-Demokratien. Durch Waffenentwick- lung und wirtschaftlicher Abhängigkeit heutzutage sei der Krieg auch für Diktaturen der Krieg keine „Lustpartie“ mehr.
Czempiel hingegen stellt auf Kant bezogen fest: „Je partizipatorischer ein demokratisches Herrschaftssystem, also je höher der Grad gesellschaftlicher Mitbestimmung, desto geringer ist seine Neigung zur Gewaltanwendung“7. Er schließt daraus, dass die heutigen Demokratien, eben weil sie trotz allem doch noch diese Neigung zur Gewalt hätten, nicht in dem Maße partizipatorisch seien, wie es für Kants Theorie bedürfe. Sobald sich diese Beteiligungsfähigkeit noch weiter entfalte, dann könnte es auch mehr Frieden geben.
2.2 Zweiter Definitivartikel
Mit dem ersten Defintivartikel soll der Kriegszustand zwischen Menschen beendet werden. doch um die Intention, alle Kriege auf immer zu beenden, zu erreichen, muss auch der Kriegszustand zwischen den Staaten beendet werden. Der zweite Definitivartikel: „Das Völ- kerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein.“ (Frieden, S. 16) befsst sich damit. Bei der Defintion dieses Friedensbundes erkennt selbst Kant einen Widerspruch zwi- schen dem theoretisch - dem Gesetz der Vernunft folgend - zu errichtenden Völkerstaat oder Weltrepublik, von Höffe extrem minimaler Weltstaat betitelt8, und dem geforderten - im Hin- blick auf die empirisch-historische Realität - Völkerbund als das negative Surrogat der positi- ven Idee einer Weltrepublik (Frieden, S. 20).
2.2.1. Friedensbund als Weltrepublik
Der Gedanke einer Weltrepublik manifestiert sich in der Analogie von Staaten und Menschen, welche Kant an den Anfang dieses Artikels setzt. Folglich nähmen die Staaten im Bezug auf die Weltrepublik die Rolle der Individuen ein, welche dieselben Rechte besitzen müssten wie ihre analogen Mensch-Individuen, d.h. die Organisationsform von den Staaten müsste der der Menschen entsprechen, also die Republik mit alle ihren Elementen, welche bereits im ersten Definitivartikel genannt wurden. Die entsprechende Weltrepublik wäre demnach eine Sekun- därrepublik bestehend aus individuellen Primärrepubliken9, welche die Freiheit der Individu- en genauso bewahren müsste wie die genuinen Republiken. Das neu entstehende „Menschen- recht der Staaten“ beinhalte analog das Recht auf Leben und auf Selbstbestimmung, für Staa- ten demnach das Recht auf territorial Unversehrtheit und auf politische sowie kulturelle Selbstbestimmung. Diese Rechte wären unantastbar und lägen einzig und allein im Entschei- dungsbereich der Primärstaaten. Deswegen wird auch der universale Einheitsstaat abgelehnt, da in diesem die Individuen alle ihre Rechte an die Staatlichkeit abgeben müssten und daher nicht mehr selbstbestimmt, sondern abhängig wären. Also sollte der Völkerstaat nur für einen begrenzten Aufgabenbereich Zwangsgewalten erhalten und den Großteil der staatlichen Auf- gaben bei den kleineren Primärstaten belassen.10 Die Weltrepublik entspräche am Ende einem Nachtwächterstaat, der, aufgrund des Prinzips der Volkssouveränität, gewisse Teile von Ge- walt verliehen bekömme, also nur ein minimaler, partieller Souveränitätsverzicht der Primär- republiken, um die Sicherheit und die Freiheit der konstituierenden Völker zu gewährleisten, und dessen Kompetenzbereich sich nur auf zwischenstaatliche und nicht auf innerstaatliche Konflikt beschrünke.11
2.2.2. Völkerbund als Staat ohne Staatlichkeit
Aber gerade in diesem, wenn auch minimalen, Souveränitätsverzicht der Staaten sieht Kant die Unmöglichkeit der Errichtung dieses extrem minimalen Weltsstaates. Theoretisch müssten die Staaten dazu bereit sein, aber aufgrund der historischen Empirie sind sie es nicht, weil sie nicht bereit sind auch nur Teile ihrer Souveränität abzugeben. „Jeder Staat (setzt) seine Majestät (...) gerade darin, gar keinem äußeren gesetzlichen Zwange unterworfen zu sein.“ (Frieden, S. 16) Kants Aufgabe der Idee einer Weltrepublik ergibt sich erst bzw. nur durch die Einbeziehung der historischen Tatsachen und deswegen sieht er in dem Friedensbund, wel- cher ohne jedwede Staatlichkeit, sondern nur durch freiwillige, zwischen den Staaten einge- gangenen Vereinbarungen bestünde, ebenso eine Lösung --zwar nur die zweitbeste - für die Verwirklichung der Idee eines ewigen Friedens, und dieses kann als ein Zugeständnis an die politische Realität gesehen werden.12 Die Hoffnung von Kant besteht darin, dass sich ein paar Republiken, aufgrund ihrer (angeblichen) Friedfertigkeit zu eben jenen zwangfreien, losen Friedensbund zusammenschließen und damit als Vorbilder für andere Staaten fungieren. „Nach dem Prinzip Nachahmung wird die republikanische Verfassung von anderen Staaten übernommen, die sich dann, weil republikanisch und damit kriegsabgeneigt geworden. dem Friedensbund anschließen.“13 Greift man nun zurück auf die Analogie zwischen Menschen und Staaten, welche nur zwei Möglichkeiten besitzen, entweder im Naturzustand, d.h. Kriegs- zustand, zu bleiben oder sich eine gesetzliche Verfassung zu geben, durch welche der Frie- denszustand erreicht würde, so müsste die Weltrepublik zwangsläufig die Folge sein, diese aber nicht gewollt ist und deswegen auch nicht angestrebt wird, aber der Naturzustand zwischen den Staaten für den ewigen Frieden nicht förderlich ist, und deswegen abzulehnen ist, so bleibt für Kant nur - „wenn nicht alles verloren werden soll“ (Frieden, S. 20) - dieser Völkerbund übrig, welcher „den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten [soll], doch mit beständiger Gefahr ihres Ausbruchs“ (ebd.). Aber auch dies steht wieder im Widerspruch zu Kant selbst, der ein solches Ergebnis im ersten Präliminarartikel ablehnt: „Denn als dann wäre er ja ein bloßer Waffenstillstand, Aufschub von Feindseligkeiten, nicht Friede, der das Ende aller Hostilitäten bedeutet, und dem das Beiwort ewig anzuhängen ein schon verdächtiger Pleonasm ist.“ (Frieden, S. 3)
3. Die Vereinten Nationen
Ein Vergleich zwischen den VN und Kants Vorstellungen eines „Föderalism“ muss, dies schon vorweg genommen, zum Ergebnis kommen, dass beide Friedensbünde nicht identisch sind. Bei der näheren Betrachtung des Erklärungsversuches ergeben sich drei Untergruppen des Vergleichens. Trotz des negativen Ergebnisses sind prägende Gemeinsamkeiten vorhanden, aber auch gerade Defizite in der Organisation der VN in Bezug auf Kant und ebenso Kompetenzen, welche für einen „Föderalism“ ein klares Zuviel bedeuten.
3.1. Übereinstimmungen mit dem „Föderalism“
Beim Betrachten der Charta der Vereinten Nationen14 lassen sich Übereinstimmungen von Zwecken, Zielen und Organisation erkennen. Selbst die Existenz einer Verfassung, als die die UN-Chart interpretiert werden kann, ist bereits einer der Übereinstimmungen.15 Der Anlass der Gründung dieser internationalen Organisation war das Anliegen „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“ (Präambel, UNCh). Die Mitglieder sind souveräne Staaten unter denen Gleichheit bestehe (Art. 2,1, UNCh), wobei sichergestellt wird, dass das Prinzip der Souveränität so bedeutend ist, so dass die internationale Organisation keine Zu- ständigkeiten bei innerstaatlichen Problemen hat (Art. 2,7, UNCh). „Die Universalität der Mitgliedschaft ist angestrebt, jedoch ist sie nach Art. 4 UNCh auf ,friedliebende‘ Staaten (...) beschränkt.“16 Denn um den Zweck der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und Beseitigen von Bedrohungen des Friedens (Art. 1,1, UNCh) zu erreichen, ver- pflichten sich die Mitglieder auf die Beilegung der Konflikte mit friedlichen Mitteln (Art. 2,3, UNCh) und auf die Unterlassung jeder „Androhung und Anwendung von Gewalt“, welche „gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates“ ge- richtet ist (Art. 2,4, UNCh). Durch dieses umfassende Gewaltverbot setzen die Vereinten Na- tionen auf die Illegalisierung des Krieges17 oder sogar auf die „Abschaffung des Krieges“18. „Die Vereinten Nationen stehen nicht mehr auf dem Boden des klassischen Völkerrechts von Grotius, des Kriegsvölkerrechts, sondern auf dem des neuen Völkerrechts von Kant, des Frie- den-Völkerrechts.“19
In dem auf die oben genannten Bedingungen folgenden Aufbau der VN sieht Höffe allerdings weniger den ultra minimalen Friedensbund, also das negative Surrogat, als die positive Idee des extrem minimalen Bundes. Er erkennt darin wesentliche Elemente der kantischen Repu- blikvorstellung.20 Die Verfassung wurde schon erwähnt, weiterhin die Menschenrechte für Staaten, also die Rechte auf territoriale Unversehrtheit und auf politische Unabhängigkeit, die Volkssouveränität, weil der Beitritt auf voller Freiwilligkeit begründet ist, das Gleichheits- prinzip (mit Ausnahme des Sicherheitsrates), vor allem bezogen auf die Rechtsbestimmungen, und die Gewaltenteilung, bei der die Generalversammlung der Legislative, der Sicherheitsrat der Exekutive und der Internationale Gerichtshof der Judikative entsprächen. Aber bei der Gewaltenteilung wird die Annäherung an die positive Idee etwas eingeschränkt und somit den VN ein Rang zwischen einem ultra minimalen und extrem minimalen Weltstaat zugestanden, denn nur der Sicherheitsrat hat die nötigen Kompetenzen und Durchsetzungsfähigkeit, um Verbindlichkeiten auszusprechen, was essentiell für jede Staatlichkeit ist, die beiden anderen Gewalten können jedoch nur Empfehlungen bzw. Orientierungshilfen aussprechen, sind damit ohne Staatlichkeit.
3.2. Defizite der Vereinten Nationen
Angesichts der Tatsache, dass trotz allem der Krieg nicht verschwunden ist, muss man allein deswegen davon abkommen die VN, so wie sie momentan existiert, als einen kantischen Friedensbund zu bezeichnen. Gemessen an Kants Vorstellungen ergeben sich folgende Defi- zite. Die Mitglieder verstoßen größtenteils gegen Teile der Präliminarartikel, welche Kant als essentielle Vorbedingungen für einen ewigen Frieden sag. Zu nennen sind der dritte Artikel, in welchem die generelle und rigorose Abrüstung gefordert wird, aber ein flüchtiger Blick auf die Militärausgaben der Staaten belegt den Widerspruch, weiterhin der vierte Artikel, der Schulden bezogen auf Militär und Gewalt verbietet, und der fünfte Artikel, welcher Einmi- schungen in die staatliche Organisation anderer Staaten untersagt. (Frieden, S. 5 ff.) Auch die Aufnahme von Nicht-Demokratien in die Reihen der VN widerspricht den Ideen Kants. Setzte Kant die Transformation zur Republik noch als Voraussetzung für den Beitritt zum Friedens- bund, so unterlaufen die VN dies mit der stark abgeschwächten Version des friedliebenden Staates. Die Problematik des angeblichen Zusammenhangs von Republikanismus bzw. De- mokratie und Friedfertigkeit wurde bereits im Punkt 2.1.2. angesprochen. Eventuell kann man auch den Entwicklungsweg von internationalen Organisationen an sich und damit der VN im Speziellen als Abweichung begreifen. Delbrück stellt hierzu fest: „Sozio-ökonomische sowie technologische Faktoren haben zur Gründung internationaler, hochgradig institutionalisierter Organisationen geführt, die eine schrittweise Erosion der Souveränität mit sich brachten.“21 Zwar sieht auch Kant im Handelsgeist einen Teil des Weges zum Frieden, doch für ihn ist dies eher ein Zusatz und kein Hauptmotiv.22
3.3. Überhöhte Kompetenzen
Neben einem Zuwenig an kantischen Prinzipien beinhalten die VN auch Kompetenzen bzw. Ziele, welche Kant ablehnen müsste. Höffe bemängelt an den VN, dass sie sich nicht nur mit der Gewaltverhütung zufrieden gebe, sondern noch andere Ziele anstrebe, wodurch jedoch die fundamentale Aufgabe nicht ausreichend befolgt würde.23 Maßgeblich seien die Aufgaben der Förderung internationaler Zusammenarbeit bis hin zu freundschaftlicher Beziehungen und der Förderung des sozialen Fortschritts und besserer Lebensbedingungen zu nennen, welche kaum mit den Vorstellungen einer kantischen Weltrepublik übereinstimmen könnten. Nicht Freundschaft, als forderbarer Anspruch, führe zum Frieden, sondern nur die Nicht- Feindseligkeit, denn Freundschaft schließe Gewalt bzw. Konflikt nicht grundlegend aus und auch das ewige Bestehen von Freundschaft sei nicht gewährleistet, Ausbruch von Gewalt sei theoretisch immer möglich. Ebenso bedinge Freundschaft der gegenseitigen Harmonisierung der Interessen der Beteiligten und nicht der Einwirkung von außen. Auch schon das Ziel Ko- operation zu fördern müsse kritisiert werden, da jedem Staat es selber zustehe zu entscheiden, ob, wann und mit wem kooperiert werden soll, und dass Kooperation automatisch konfliktfrei sei, müsse auch bestritten werden. Der Anspruch durch Verbesserung der sozialen Lage und der Lebensbedingungen konfliktreduzierend zu wirken könne dadurch entkräftet werden, dass, zwar einige, aber nicht alle Konflikte auf sozialen Differenzen bzw. Spannungen innerhalb und zwischen Staaten basieren. Deswegen überanspruche dies ebenfalls die originäre Aufgabe, die Konfliktvermeidung bzw. Friedensprophylaxe.24
Als der problematischste Unterschied zwischen den VN und dem Friedensbund muss der Konflikt Menschenrechte gegen Souveränitätsprinzip angeführt werden. Im Gegensatz zu den VN schränkt Kant die Universalität der Geltung der Menschenrecht dadurch ein, dass dies Aufgabe der Primärstaaten sei, welche durch die Etablierung der republikanischen Verfassung erreicht würde, und die Mitglieder des Friedensbundes Republiken sein müssten, in diesem als, in der Theorie, der Konflikt Menschenrecht, als tatsächliche Individuenrechte, und Souve- ränitätsprinzip gar nicht auftreten könne. Die VN hingegen lassen die Menschenrechte univer- sell gelten und haben andererseits auch Nicht-Demokratien in ihren Reihen, und bei dem hier, nicht nur in der Theorie, entstehenden Konflikt zwischen Humanität und offiziellem Völker- recht konnte man in jüngster Vergangenheit eine Veränderung der Prioritäten zugunsten der Menschenrechte und gegen das, auch von Kant hochgehaltene Souveränitätsprinzip beobach- ten. Aber einen direkten Vorwurf gegen Kant kann auch dies nicht sein, da erstens die VN seinem Friedensbund nicht entsprechen und zweitens im 18. Jhd. die Möglichkeit von Völ- kermord innerhalb eines Staates noch nicht bekannt war.
4. Schlussbemerkung
Abschließend betrachtet muss man zum Ergebnis kommen, welches auch kaum überrascht, dass die VN nicht dem gewünschten Friedensbund entsprechen. Neben den aufgezeigten fun- damentalen Abweichungen in Bezug auf Zielen und Organisation lässt sich dies recht prag- matisch mit der bloßen Anwesenheit von Krieg auch noch nach 57-jährigem Bestehen der VN erklären. Weder den VN noch Kant dürfte deswegen Vorwürfe gemacht werden, da dieser die historischen Prozesse, so wie sie abgelaufen sind, nicht kannte bzw. nicht kennen konnte, und jene eben nur einen normativen Versuch innerhalb des komplexen realen Staatensystem mit dessen inhärenter Entwicklung ist, dem größtenteils noch die Priorität der Eigeninteressen vieler oder nahezu aller Staaten entgegensteht.
Inwieweit, oder überhaupt, aber nun die Friedensschrift von Kant die VN beeinflussen konn- te, darüber gibt es viele unterschiedliche Meinungen. Hackel stellt nüchtern fest, dass „ein entscheidender Einfluss der Friedensschrift auf die Entstehung der Vereinten Nationen nicht festgestellt werden kann“25 Der Umgang, wie ihn z. B. Höffe betreibt, die VN einfach an den gedanklich höher gestellten normativen Vorstellungen zu messen und daraus zu bewerkstelligende Änderungsansätze ableitet, wird jedoch den Wandlungen auf allen möglichen Ebenen, welche den Staat bzw. die Staaten selbst oder auch das internationale System grundlegend verändert haben, nicht gerecht.26
Im Gegenzug ist eine Ablehnung jeglicher normativer Orientierung von staatlichen Aktionen an der Idee eines ewigen Friedens ebenso zurückzuweisen, da sich trotz aller Konflikte und Kriege dennoch Zonen des relativen Friedens und Wohlstandes etabliert haben, welche die Hoffnung auf das Erreichen dieses Zieles nicht völlig absurd erscheinen lassen. In diesem Sinne plädiert Delbrück, wenn er fordert, dass ein Perspektivwechsel von den institutionellen Aspekten des Friedensbundes hin zu den inhaltlichen Prinzipien ,welche Kant aufstellt, von- statten gehen müsse.27
5. Literaturverzeichnis
Czempiel, Ernst-Otto: Kants Theorem. Oder: Warum sind die Demokratien (noch immer) nicht friedlich? In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Band 3 (1996), S. 79-101.
Delbrück, Jost: „Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein“ - Kant und die Entwicklung internationaler Organisation. In: Dicke, Klaus / Kodalle, KlausMichael (Hrsg.): Republik und Weltbürgerrecht. Kantische Anregungen zur Theorie politscher Ordnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts (= Jenaer Beiträge zur Politikwissenschaft, Band 6). Weimar u.a. 1998, S. 181-213.
Gareis, Sven Bernhard / Varwick, Johannes: Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen. Opladen 22002.
Hackel, Volker Marcus: Kants Friedensschrift und das Völkerrecht (= Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht, Band 53). Berlin 2000.
Höffe, Otfried: Die Vereinten Nationen im Lichte Kants. In: ders. (Hrsg.): Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden (= Klassiker auslegen, Band 1). Berlin 1995, S. 245-272.
ders.: Eine Weltrepublik als Minimalstaat. Zur Theorie internationaler politischer Gerechtig- keit. In: Merkel, Reinhard / Wittmann, Roland (Hrsg.): „Zum ewigen Frieden“. Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant. Frankfurt a. M. 1996, S. 154-171.
ders.: „Königliche Völker“. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie. Frankfurt a. M. 2001.
Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Stuttgart 1984 (= Reclam Nr. 1501).
[...]
1 Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Stuttgart 1984 (= Reclam Nr. 1501), S. 10; im folgenden wird die Seitenangabe eines Beleges oder Zitates aus diesem Werk, welches mit „Frieden“ bezeichnet wird, hinter die entsprechende Stelle im Text gesetzt.
2 Höffe, Otfried: „Königliche Völker“. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie. Frankfurt a. M. 2001; S. 211.
3 Höffe: Völker, S. 212.
4 Ebd., S. 214 f.
5 Ebd., S. 216-220.
6 Czempiel, Ernst-Otto: Kants Theorem. Oder: Warum sind die Demokratien (noch immer) nicht friedlich? In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Band 3 (1996), S. 79-101.
7 Ebd., S. 79.
8 Höffe, Otfried: Die Vereinten Nationen im Lichte Kants. In: ders. (Hrsg.): Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden (= Klassiker auslegen, Band 1). Berlin 1995, S. 245-272, hier S. 247.
9 Höffe: Völker, S. 226.
10 Hackel, Volker Marcus: Kants Friedensschrift und das Völkerrecht (= Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht, Band 53). Berlin 2000, S. 81.
11 Höffe, Otfried: Eine Weltrepublik als Minimalstaat. Zur Theorie internationaler politischer Gerechtigkeit. In: Merkel, Reinhard / Wittmann, Roland (Hrsg.): „Zum ewigen Frieden“. Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant. Frankfurt a. M. 1996, S. 154-171, hier S. 167.
12 Hackel: Kants Friedenschrift, S. 78.
13 Höffe: Vereinte Nationen, S. 248.
14 siehe Gareis, Sven Bernhard / Varwick, Johannes: Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen. Opladen 22002, S. 309-327; Bezugnahmen auf die UN-Charta (UNCh) werden im folgenden unter Angabe des entsprechenden Artikels im Text angegeben.
15 Höffe: Vereinte Nationen, S. 250.
16 Delbrück, Jost: „Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein“ - Kant und die Ent- wicklung internationaler Organisation. In: Dicke, Klaus / Kodalle, Klaus-Michael (Hrsg.): Republik und Weltbürgerrecht. Kantische Anregungen zur Theorie politscher Ordnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts (= Jenaer Beiträge zur Politikwissenschaft, Band 6). Weimar u.a. 1998, S. 181-213, hier S. 196.
17 Ebd., S. 197.
18 Höffe: Vereinte Nationen, S. 251.
19 Ebd., S. 250.
20 Vgl. hier und im folgenden: Ebd., S. 251 f.
21 Delbrück: Kant und die Entwicklung internationaler Organisation, S. 205; vgl. ausführlicher ebd.: S. 185-200.
22 Höffe: Vereinte Nationen, S. 249.
23 Vgl. hier und im folgenden: Ebd., S. 257 ff.
24 Ebd., S. 260.
25 Hackel: Kants Friedenschrift, S. 199; eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema vgl. auch: S. 199-204.
26 Delbrück: Kant und die Entwicklung internationaler Organisation, S. 206.
27 Ebd., S. 207.
- Citation du texte
- Philipp Mikschl (Auteur), 2002, Die Vereinten Nationen. Ein *Föderalismus freier Staaten* im Sinne Immanuel Kants Traktates *Zum ewigen Frieden*?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107288
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