Einleitung
Seit gut drei Jahrzehnten beschäftigt die Theologie der Befreiung große Teile der Öffentlichkeit in den USA, vor allem aber in Europa, das jahrhundertelang in der Theologie eine Art Monopolstellung inne hatte. An dieser Monopolstellung rüttelt die neue Art des theologischen Denkens, doch nicht nur das, sie stellt die Art, mit der in Europa Theologie betrieben wird, an sich in Frage. Die Vorherrschaft des Geistes, seine Überbewertung und die Leibfeindlichkeit, die in der Glorifizierung des Leidens und des Leides gipfelte, sind dieser neuen Strömung ein Dorn im Auge, da sie die Realität des Kontinentes ihres Ursprungs kennt. Leiden, vor allem aber Leid und Elend sind in Südamerika nichts erstrebenswert Heiliges, sie sind ständige Begleiter der Menschen und keineswegs romantisch, wie in Europa vielerorts, durch das Klischee der glücklichen Armut und Bescheidenheit bedingt, geglaubt wird.
Trotz alledem, oder vielleicht gerade deshalb sind die Menschen in Lateinamerika religiös und leben ihre Religiosität an den verschiedensten Festen, aber auch in ihrem Alltag aus. Für sie gilt das Prinzip Hoffnung, nicht nur, und das ist der Unterschied zum mittelalterlichen gläubigen Europäer, die Hoffnung auf ein ,besseres Leben' im Jenseits, sondern auch die Hoffnung auf ein besseres Leben auf dieser Welt durch Gottes Hilfe hat für sie Gültigkeit.
Diese Thematik wurde von der Theologie der Befreiung aufgegriffen und ,im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils' verarbeitet und auf akademisches Niveau gestellt. Die Grundaussage dieser Theologie ist in ihrer Namensgebung inkludiert. Die Befreiung des Menschen von seinen Ängsten und Nöten steht im Mittelpunkt des Evangeliums, der Frohen Botschaft der Erlösung der Menschheit von Sünde und ihrer Folgeerscheinung dem (frühzeitigen, gewaltsamen und sinnlosen) Tod, der in Südamerika allgegenwärtig ist. Diese Situation trug zur Entstehung der Befreiungstheologie entscheidend bei.
Diese Arbeit soll einen Einblick in die Südamerikanische Realität ermöglichen und die Arbeit der Befreiungstheologen, sowie das Grundschema ihrer Handlungen erklären.
1 Die Gründe, welche zur Entwicklung der Befreiungstheologie führten
1.1 Geschichtlicher Abriss der Entwicklung in Süd- und Mittelamerika
Seit 1492 führt die Unterdrückung und Ausrottung ganzer Völker in der neuen Welt zu Widerstand, der schon von Anfang an religiös motivierte Züge zeigte. Ein gutes Beispiel hierfür ist der ,Vater der Indios', Las Casas, zuerst Großgrundbesitzer auf Kuba, nach seiner Bekehrung ein unermüdlicher Kämpfer für die Rechte der Indios, später auch Bischof von Mexiko. Gegen Ende seines Lebens zog er eine ernüchternde Bilanz (Vgl. 6, S. 190ff):
,,Ich hinterlasse unseren Herrn Jesus Christus in diesem Westindien nicht einmal, sondern tausendfach gegei ß elt, geschlagen und gekreuzigt, wie es durch die Spanier geschieht, die jene V ö lker niederwerfen und zerst ö ren.(6, S. 197)"
Durch die Gesetzgebung Karls V. waren die Indigenen Völker in SpanischAmerika zwar formell frei, was jedoch nicht das Ende der Unterdrückung durch die europäischen Eroberer bedeutete. Diese verfeinerten die Methoden der Ausbeutung und des Ethnozits, auch hierzu kann Las Casas zitiert werden (Vgl. 6, S. 190ff):
,,Die Spanier schleppten die verheirateten M ä nner 60 bis 400 km zum Goldgraben fort, und die Frauen blieben in den H ä usern und auf den Farmen zur ü ck, um dort Feldarbeit zu verrichten. So kam es, dass die Geburten fast aufh ö rten. [...] Als Ergebnis kann man annehmen, dass in den vierzig Jahren mehr als 12 Millionen M ä nner, Frauen und Kinder get ö tet worden sind." (zitiert nach 11, S. 197)
Diese Situation führte dazu, dass die Indios gänzlich auszusterben drohten. Um dem vorzubeugen wurden die Gesetze zum Schutz der Indios ernster genommen, was die Europäer in diesen Breiten jedoch nicht davon abhielt die Kultur und den Lebensraum dieser ,,Indigenas", so der spanische Name für die indigenen Völker, planmäßig zu zerstören, dies passierte vielfach auch mit Unterstützung der Amtskirche.
Durch eben diese Schutzgesetze und durch den Glauben an die physische Stärke von Menschen aus Schwarzafrika kam es im 16. Jahrhundert verstärkt zu Sklavenimporten aus eben dieser Region. Diese Sklaven brachten ihre eigenen religiösen Vorstellungen und Praktiken in die Gesellschaft ,,Neuspaniens" und Brasiliens mit ein, wo sie noch heute, auch in der katholischen Kirche spürbar sind.
Diese Sklaven wurden hauptsächlich, so wie die Indios vor ihnen, in der Landwirtschaft und im Bergbau eingesetzt. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse in Neuspanien und Brasilien waren zum größten Teil für den Export bestimmt, als Beispiel dieser Güter sei Kaffee und Kakao in Südamerika, sowie Zuckerrohr in der Karibik genannt. Die Produktion dieser Güter stellt noch heute den größten Teil der agrarischen Produktion in diesen Breiten dar. Die Hauptexportgüter waren (aus Sicht der Kolonialherren) aber jene aus dem Bergbau und hier wiederum Gold und Silber. Das Gold wurde zum größten Teil geraubt, die Kunstschätze der Eingeborenen Kultur nach Europa exportiert. Silber wurde zum Hauptexportgut Lateinamerikas im 16. und 17. Jahrhundert nach Europa und in Minen in sehr großen Mengen abgebaut. Die Bedingungen für die Sklaven, welche in Potosí (Peru) und Zacatecas (Mexiko), dies waren die größten Silberminen sowohl Neuspaniens, als auch der Welt, dieses Silber abbauten, waren jedoch nichts als unmenschlich. Anhand des Beispiels der Silberförderung und des Silberexportes lässt sich erkennen, in welchem Ausmaß dieser Kontinent von den europäischen Mächten ausgepresst wurde: (Vgl. 7, S. 4667f)
,,Der Wert der Ertr ä ge im Zeitraum von 1492 bis 1803 belief sich bez ü glich des Gold- und Silberabbaus auf sch ä tzungsweise ü ber 5,7 Milliarden Pesos, die jedoch nur zum geringsten Teil in S ü damerika verblieben. (7, S. 4668)"
Als Napoleon I. in Spanien einmarschierte und das spanische Königshaus stürzte, kam es in den Kolonien zu bewaffnetem Widerstand gegen die spanische Besatzungsmacht. Dieser Kampf wurde von der kleinen Oberschicht spanischer Herkunft propagiert und von der Masse der Bevölkerung mitgetragen. Als Hauptprotagonist dieses Kampfes ist Simon Bolívar zu nennen, er gründete im Norden Südamerikas die Republik Kolumbien. Diese brach allerdings nach dem Tod Bolívars in Kolumbien, Ecuador, Venezuela und Panama auseinander.
Die folgenden Jahre brachten keine Veränderung der sozialen, ökonomischen und politischen Struktur Süd- und Mittelamerikas. Es herrschten Militärdiktaturen unterstützt von den privilegierten Klassen und im Dienste dieser. Einen Sonderfall stellte Brasilien dar. Nach der Wiederherstellung der alten Ordnung in Europa konnte das portugiesische Herrscherhaus auch in der neuen Welt Fuß fassen, der älteste Sohn des portugiesischen Königs wurde als Kaiser eines nominell unabhängigen Brasiliens eingesetzt. (Vgl. 7, S. 4667f)
Die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa blieben allerorts bestehen, und auch die Wirtschaftsstruktur Südamerikas blieb unangetastet. Wieder investierten Europäer in die aufblühende Wirtschaft in Südamerika, es fand auch so etwas wie ein wirtschaftlicher Aufschwung statt, die Infrastruktur wurde ausgebaut und es kam zu einer stärkeren Konzentration der Bevölkerung und des Kapitals in den Städten. Das Wirtschaftswachstum in dieser Periode (ca. 1880-1930) vergrößerte jedoch das Gefälle zwischen arm und reich weiter, und so kam es zu sozialen Spannungen, die das politische Klima in Südamerika bis heute beeinflussen.
Als Beispiel der Entladung solcher Konflikte ist die mexikanische Revolution von 1910 zu nennen. 1917 kam es zur Ausarbeitung einer Verfassung, die auch soziale Reformen beinhaltete. Die neuen Machthaber verabsäumten es jedoch auf die Probleme seit 1945 einzugehen und diskreditierten sich so in den Augen vieler Mitglieder der unteren Schichten, was zur Abwahl der seit 1917 regierenden ,,Partei der institutionalisierten Revolution" führte. (Vgl. 10, S. 106)
Ganz anders verlief die politische Entwicklung der meisten Staaten Südamerikas, hier konnten sich die Militärdiktaturen trotz aller Probleme bis in die Achtzigerjahre hinein halten. Der deklarierte und praktizierte Antikommunismus dieser Diktaturen führte zu einem Engagement der USA für diese und gegen die Widerstandbewegungen in Südamerika, die dadurch noch weiter nach links rückten. Das Beispiel hierfür ist Kuba, die Revolution 1959 beendete die Diktatur der Rechten und brachte Fidel Castro, einen Protagonisten der Revolution an die Macht. Er band Kuba außenpolitisch an die Sowjetunion und provozierte durch seine Erlaubnis für die Aufstellung von Raketen auf kubanischem Gebiet einen internationalen Konflikt.
Durch die dauernde politische und ökonomische Unterdrückung der Mehrheit der Menschen in diesen Staaten entwickelten verschiedene Teile der Kirche, gestützt auf eine große Anhängerschaft in der Basis, ende der Sechzigerjahre die sogenannte Theologie der Befreiung. Verschiedene Theologen dieser Richtung waren aktiv daran beteiligt, die Militärdiktaturen in Südamerika zu stürzen.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion und ihrer Satelliten ist Mittel- und Südamerika in das System des globalen Kapitalismus eingebunden. Die ungleiche Verteilung des Reichtums, sowie das Fehlen einer Sozialgesetzgebung bzw. das Nichteinhalten dieser führt jedoch bis heute zu Konflikten innerhalb der Lateinamerikanischen Gesellschaft. (Vgl. 10, S. 148)
1.2 Die soziale, politische und ökonomische Situation in Südamerika heute am Beispiel Brasiliens
,,Die Sklaven hatten fr ü her ein besseres Leben als heute die Arbeiter in der Dritten Welt, denn sie bekamen genug zu essen, um ihre Arbeit verrichten zu k ö nnen. Zwei Drittel aller Arbeiter hier in Brasilien verdienen zwischen 30 und 90 Dollar im Monat - damit kann man nur hungern. (5, S. 9)"
So sieht ein Priester aus Brasilien die Realität in dem Land und in dem Kontinent seines pastoralen Wirkens.
Brasilien als Beispiel der Problematik in Süd- und Mittelamerika: Dieses Land ist heute der achtgrößte Industriestaat der Erde, die Wirtschaft in ganz Brasilien boomt und ausländische Firmen, vor allem aber multinationale Konzerne investieren in ein Land, das seit 1986 demokratisch regiert wird. (Vgl. Kapitel 1.1)
Trotzdem lebt die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in wirtschaftlichem Elend und politischer Unterdrückung. Das Elend der Massen ist zum Teil auf die Korruptheit der Regierung zurückzuführen, die bereits beschlossene Sozialgesetze nicht oder nur teilweise exekutiert und allzu oft auf der Seite der Mächtigen steht. Die Unterdrückung erfolgt sowohl durch staatliche (Polizei) als auch durch private Organisationen (Gruppierungen im Dienste der Großgrundbesitzer, allen voran die UDR, was für ,,União Democratica Ruralista" steht), die in den meisten Fällen zusammenarbeiten. Diese Unterdrückung wurde seit der sogenannten Demokratisierung immer schwieriger zu entlarven, da sie nicht mehr wie früher rohe Gewalt einsetzt, sondern von den existentiellen Ängsten der Bevölkerung insofern profitiert, als den Unterdrückern im freien Markt Brasiliens das Mittel des Gesinnungsdruckes ermöglicht wird, d.h. die Wahlen sind nicht wirklich frei, was bisher eine politische Wende in Brasilien verhindert hat. (Vgl. 5, S. 31f)
Ein weiteres Problem ist die Aufteilung des Bodens; die offiziellen Zahlen der brasilianischen Regierung aus dem Jahre 1986 sprechen Bände:
- ,,Sehen wir uns einige dieser [...] Daten an:
- Die landwirtschaftlichen Betriebe erstrecken sich auf einer Fläche von 602 Millionen Hektar. Davon entfallen 416,5 Millionen (also mehr als zwei Drittel) auf den Großgrundbesitz.
- Der Großgrundbesitz beschäftigt durchschnittlich pro 1570 Hektar eine Arbeitskraft
- 50% der Betriebe sind kleiner als 100 Hektar. Ihnen gehören jedoch nur 3% des Bodens
- Nur ein Bruchteil (1,8%) der Betriebe besitzen über 1000 Hektar, damit aber 58,6% des Bodens.
- Noch viel weniger, nur 0,1% aller Landwirtschaftsbetriebe, umfassen mehr als 10.000 Hektar - sie besitzen damit aber 24% des Bodens von Brasilien. (5, S. 28f)"
Trotz Abschwächungen, vor allem auf Grund des Engagements der Landlosenbewegung, ist ein Trend in Richtung Konzentration des Grund und Bodens in den Händen Weniger zu verspüren. Dieses Problem stellt die brasilianische Gesellschaft von heute vor eine Zerreißprobe, die durch die Inflation noch weiter verschlimmert wird. Die brasilianische Regierung veröffentlichte 1987 eine Auflistung der Lebensmittel, die eine durchschnittliche Familie pro Woche benötigt, bzw. wie lange ein(e) ArbeiterIn welche(r) einen Mindestlohn (zum damaligen Zeitpunkt 46,85 US$) pro Monat verdient für die einzelnen Lebensmittel arbeiten muss:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(5, S. 93)
Man sollte sich noch einmal vor Augen führen, dass Brasilien heute die achtgrößte Industrienation auf Erden ist, umso schwerer wiegt es in den Augen der betroffenen Bevölkerung, dass die Regierung momentan nicht imstande ist, alle Menschen ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, bzw. sicherzustellen, dass der Kalorienbedarf für alle gedeckt ist.
Brasilien ist nur ein Beispiel für die momentane Situation in den meisten Ländern Südamerikas, ja den meisten Ländern dieser Welt.
2 Die Entstehungsgeschichte der Befreiungstheologie
2.1 Das Zweite Vatikanische Konzil und die Bedeutung der Laien
,,Insgesamt 2400 Bisch ö fe, Ä bte und Kirchenobere werden zum Konzil geladen, aber auch etliche theologische Sachverst ä ndige, die zwar nicht stimmberechtigt sind, doch in allen entscheidenden Fragen konsultiert werden. Vom ersten Tag des Konzils, dem 11. Oktober 1962, wird mit einer schier unglaublichen Offenheit diskutiert und debattiert und um einzelne Beschl ü sse und Textpassagen wird hinter den Kulissen n ä chtelang erbittert gerungen." (6, S. 271)
Diese Offenheit war neu in der Kirchengeschichte des 2. Jahrtausends. Zum ersten Mal wurden die Unterschiede zwischen Klerikern und Laien, soweit sie Standesunterschiede waren, aufgehoben. Es war die Rede vom Volk Gottes, von einer Kirche, in der jedes Glied im Leib der Kirche seine wichtige Aufgabe habe, in der, so wie es der Apostel sagt, alle Glieder leiden, wenn eines leidet, und gerade die vermeintlich schwachen Glieder die stärksten sind. Dieses neue Verständnis des Begriffes der Laien ermöglichte in den Jahren danach (also nach 1965) das Entstehen verschiedener Strömungen innerhalb der Basis1, eine davon in Südamerika, welche sehr bald ideelle Unterstützung von Kirchenmännern und Laientheologen erhielt.(Vgl. 8, S. 271ff)
2.2 Die Bischofskonferenz von Medellín (1968)
Vom 24.08. bis zum 06.09.1968 hielt die CELAM (Conseja Episcopal Latinoamericano), die lateinamerikanische Bischofskonferenz, ihre zweite Generalversammlung in Medellín ab. In ihr wurde über ,,Die Kirche in der gegenwärtigen Umwandlung Lateinamerikas im Lichte des Konzils" debattiert. Die dort gefällten Entscheidungen werden allgemein als Meilenstein in der Geschichte der lateinamerikanischen Kirche betrachtet, sie führten zu einem gesellschaftspolitische Standortwechsel der Kirche. Diese sollte sich in Zukunft als ,Kirche der Armen' verstehen und als solche handeln. Es wurden drei Optionen' für die Zukunft der Pastoral formuliert:
- Die Option für die Armen: Dies bedeutet eine vorrangige Parteinahme für die Armen (Vgl. Kapitel 3.1).
- Die Option für die ganzheitliche Entwicklung oder Befreiung: Hierbei handelt es sich um das Ausweiten des pastoralen Zuständigkeitsbereiches der Kirche auf alle Dimensionen des menschlichen Seins, also der sozialen, politischen, ideologischen und der religiösen Dimension.
- Die Option für die kirchlichen Basisgemeinden: Dies sind kleine Gemeinschaften, die Theologie an der Basis betreiben (Vgl. Kapitel 3.3)
Erwähnenswert ist auch, dass in Medellín der ,methodische Dreischritt' ,sehen urteilen und handeln' zur Grundmaxime der Theologie gemacht wurde. Außerdem wurden auf dieser Bischofskonferenz insgesamt sechzehn verschiedene Dokumente verabschiedet, die sich alle mit den drei Hauptthemen: menschliche Förderung, Evangelisierung und Wachstum des Glaubens, die sichtbare Kirche und ihre Strukturen beschäftigen.
Die Konferenz von Medellín gilt als die Geburtsstunde der Theologie der Befreiung, obwohl diese von den Bischöfen zwar nicht verurteilt, aber dennoch nicht unterstützt wird. (Vgl. 8, Sp. 29)
2.3 Puebla (1978)
Vom 28.01.1979 bis zum 13.02.1979 trafen sich die Vertreter des CELAM zur dritten Generalversammlung im mexikanischen Puebla um über ,Die Evangelisierung in Gegenwart und Zukunft Lateinamerikas' zu beraten. Diese Versammlung war ursprünglich Zehn Jahre nach Medellín geplant, musste allerdings durch den Tod Papst Johannes Paul I. auf das oben genannte Datum verschoben werden.
In die CELAM Generalversammlung wurden hohe Erwartungen gesetzt, die allerdings nur zum Teil erfüllt wurden. Alles in allem bringt Puebla eine Weiterführung des liberalen theologischen Kurses von Medellín, der allerdings bereits von konservativen Kreisen angegriffen wird. In Kontinuität zu Medellín sprechen sich die Bischöfe weder eindeutig für noch gegen die Theologie der Befreiung aus.
Das Enddokument ist in fünf Teile gegliedert, die sich alle auf die Erfahrungen mit den drei Optionen, die zehn Jahre zuvor in Medellín festgelegt wurden, beziehen.
- Pastorale Sicht der lateinamerikanischen Realität
- Der Heilsplan Gottes für die Realität Lateinamerikas
- Gemeinschaft und Mitbeteiligung
- Die missionarische Kirche im Dienst der Evangelisierung Lateinamerikas
- Unter der dynamischen Kraft des Geistes
- Pastorale Optionen: da sich die Gegebenheiten ständig verändern, muss auch die Kirche darauf reagieren und die Pastoral der Realität anpassen.
Es kam zur Aussprache von Spannungen, die sich sowohl zwischen den Vertretern der Befreiungstheologie (die ethische Vertretbarkeit von Gewalt zur Durchsetzung einer gerechteren Gesellschaft), als auch zwischen konservativen und liberalen Theologen (über die Vertretbarkeit der Theologie der Befreiung als solches) herrschten. Sie konnten bis heute nicht gelöst werden. (Vgl. 9, Sp. 738f)
2.4 Die Entwicklung der Theologie der Befreiung von Puebla bis heute
Die politische Entwicklung in Lateinamerika in den Achtzigerjahren und der immer größer werdende Druck seitens des Vatikans ließ viele Befreiungstheologen von ihrem Eintreten für den Aufbau einer von Grund auf anderen (gerechteren) Gesellschaft zurücktreten. Der innerkirchliche Druck, geprägt durch den Marxismusvorwurf, der durch den kalten Krieg und die Wahl eines Papstes, der die kommunistische Diktatur und ihre Repressalien der Kirche gegenüber hautnah miterlebt hatte, noch verstärkt wurde, führte zu Lehrverboten, von denen, als prominentes Beispiel, Leonardo Boff betroffen ist.
Seit Mitte der Neunzigerjahre entwickelten viele Befreiungstheologen einen neuen Kurs, der sich mit dem Kapitalismus als solchen abfindet, ihn jedoch menschlicher gestalten will. Die Theologie wurde noch liberaler, es fließen Elemente von afrikanischen Religionen in diese mit ein. Die Frage, inwieweit diese theologische Strömung noch als Befreiungstheologie bezeichnet werden kann ist noch nicht restlos geklärt (Meinung des Verfassers).(Vgl. 12)
3 Was ist Befeiungstheologie
3.1 Die Option für die Armen
Die lateinamerikanischen Bischöfe sprachen sich auf der Bischofskonferenz von Medellín und Puebla für eine vorrangige Parteinahme für die Armen aus. Dies meint in erster Linie die materielle Armut, welche als nicht würdig für den Menschen erkannt wird. Andererseits beschreibt die sogenannte geistige Armut, also ein Teil der Seligpreisungen in der Bergpredigt, eine Grundeigenschaft des Christen, nämlich das Vertrauen auf Gott, und ist somit ein wichtiger Faktor für den Evangelisierungsprozess in Lateinamerika und anderswo. Die erstgenannte Armut, also die materielle, wird nach befreiungstheologischer Exegese auch mit der Bibel in Verbindung gebracht. Hier greift Gott durch die Propheten und schließlich durch Jesus Christus selbst ein um dem Armen zu seinem Recht zu verhelfen und den Reichen zur Umkehr zu bewegen. Dieses Prinzip wird auf die Welt von heute übertragen, daraus folgt, dass die Reichen von heute (und sie sind zum überwiegenden Teil in den modernen Industriestaaten zu suchen) einen großen Anteil an der ,Verelendung und Pauperisierung' ganzer Völker haben, was die Einsicht voraussetzt, dass Armut keine natürliche Gegebenheit ist, sondern von Menschen, meist den Reichen, zumindest mitverursacht wird (Vgl. 2, S 33ff).
Um eben diese materielle Armut geht es in erster Linie, wenn man von der Option für die Armen spricht, ein Priester aus Lateinamerika erklärt diese Option für die Armen einfach und treffend:
Der Priester Koopmans vergleicht die momentane Situation in Lateinamerika mit der Situation des Gottesvolkes zur Zeit des Mose, also in Ägypten, zu diesem Zwecke stellt er einige analytische Fragen:
- ,,Wer hatte die Macht? Wie wurde die Macht ausgeübt?
- Gab es Unterdrückung? Wie sah die Unterdrückung aus?
- Gab es eine Opposition? In welcher Form?
- Wie erfolgte die Produktion? Wurde sie aufgeteilt?
- Wie sah die Gesellschaft aus? Welche Gruppen gab es?
- Wie wurde gedacht?
- Wie war die Situation des Gottesvolkes? usw." (5, S. 65)
Anhand dieser Fragen und ihrer Beantwortung aus der Hl. Schrift stellt Koopmans das herrschende System, welches er das pharaonische nennt in einer Pyramide dar, d.h. die todbringenden Strukturen lassen sich in einer Pyramide darstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Graphische Gestaltung nach 5, S. 66)
Der Befreiungstheologe führt weiter aus:
Damit wir den wahren Gott kennen lernen, lesen wir in der Bibel, wie er sich geoffenbart hat.
Gott sagte: Ich habe es gesehen ... Ich habe das Elend meines Volkes gesehen, das in Ägypten ist. Ich habe sein Geweine wegen des Unterdrückers geh ö r t, denn ich kenne die Ängste meines Volkes. Deshalb komme ich herunter, um mein Volk aus den Händen des Pharaos zu befreien. (Vgl. Ex 3, 7-8) [...]
Zwei Frage beschäftigen mich:
Erstens: Was hört und sieht der wahre Gott heute?
Zweitens: Was sehen und hören wir tagtäglich?" (5, S. 66f)
Diese Fragen und deren Beantwortung werden für die Befreiungstheologen zum Kern der neuen gerechteren Gesellschaftsordnung, wie sie, wieder durch Koopmans, der derzeitigen Gesellschaftsordnung, dem todbringenden System gegenübergestellt wird. (Vgl.5, S. 67f)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da Gott von Anfang an durch seine Propheten für die Armen Partei ergreift (Vgl. Am. 3-9), sieht es die Befreiungstheologie als ihre Pflicht an, die Armen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Dies bedeutet grundsätzlich das Leben in dieser Welt zu führen, sich also nicht vollkommen von dieser zu lösen, sondern die einzelnen Probleme der Menschen (und hier besonders der Armen) ernst zu nehmen, so meint es auch Gutiérrez wenn er schreibt:
,,Trotz der anhaltenden Diskussion ü ber Kirche und Welt ist nichts eindeutiger als die Art ihrer wechselseitigen Beziehung." (3, S. 45)
,,Welt" meint hier in erster Linie Politik, und diese wiederum meint in diesem Fall Engagement für den Menschen, was Gutiérrez wieder sehr treffend formuliert:
,,Nichts liegt au ß erhalb des so definierten politischen Engagements. Alles weist einen politischen Kolorit auf. In diesem Gewebe - niemals aber au ß erhalb seiner - gewinnt der Mensch Freiheit und Verantwortung [Dies weist bereits auf 3.2 hin], und wird zu einem Menschen, der seinen Bezug zu den anderen realisiert und eine Aufgabe in der Geschichte ü bernimmt." (3, S. 47)
Die gesamte Befreiungstheologie versteht sich als Option für die Armen. Was es weiter bedeutet diese Option zur Verfügung zu stellen bzw. an ihr zu arbeiten wird in den folgenden Punkten erklärt.
3.2 Das Subsidiaritätsprinzip
Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Punkt in der christlichen Soziallehre, es besagt, dass jedes Individuum die Möglichkeit haben soll sich selbst zu helfen, anstatt von anderen Almosen empfangen zu müssen. Weiters spricht es dem Stärkeren das Recht ab den Schwächeren durch Hilfestellungen in die Abhängigkeit zu ziehen.
,,Was Einzelne oder kleinere Gemeinschaften leisten k ö nnen, d ü rfen ü bergeordnete Instanzen nicht an sich rei ß en. Dies ergibt sich aus der Achtung vor dem Selbstbewusstsein des Menschen, seiner Eigeninitiative und seinem Recht auf Selbstbestimmung. Die Gemeinschaft soll dort helfend eingreifen, wo Einzelne, Familien, Gemeinden oder V ö lker die notwendigen Leistungen nicht alleine erbringen k ö nnen." (4, S. 182)
Dies ist eine der Grundforderungen der Theologie der Befreiung. Staat und Kirche sind dazu verpflichtet den Unterschichten in Zeiten der Not Hilfe zu leisten, was im südamerikanischen Kontext bedeutet, dass einerseits durch zielgenaue Investitionen die wirtschaftliche Lage gebessert wird, andererseits jedoch nach den erfolgreichen Investitionen eine Struktur geschaffen werden muss, in der es den Hilfsempfängern möglich sein muss Selbsthilfe zu leisten, d.h. in der sie ohne Fremdhilfe das Niveau beim Auslaufen dieser Hilfe halten, bzw. erhöhen können, ohne dafür weitere Hilfe von Institutionen wie eben Kirche und Staat zu erhalten.
Ebenso ist im spirituellen Kontext zu verfahren. Die Kirche stellt zu Anfang die Seelsorger und die verschiedenen materiellen Mittel zur Verfügung, die notwendig sind eine lebendige Gemeinde zu errichten, nachdem diese allerdings errichtet wurde, sieht es die befreiungstheologische Kirche als ihre Pflicht an sie in die Verantwortlichkeit der Menschen selbst zu legen, die ja auch ein Teil dieser Kirche sind und daher, nach dem Subsidiaritätsprinzip selbst Verantwortung übernehmen sollen. (Vgl. 4, S 182, Zitat)
3.3 Die Basisgemeinde
,,Die Pastoral der Befreiung, die dem kirchlichen Auftrag verpflichtet ist, hat einen grundlegenden Positionswechsel zu vollziehen: Im Zentrum stehen nicht mehr die Hazienda-Besitzer und Mischlinge, der Gouverneur und die Friedensrichter, die Polizei und Gesch ä ftsinhaber und auch nicht mehr der Zentralort des Distrikts, sondern im Zentrum stehen jetzt die Randgemeinden und die Campesinos, ihre Lebenssituation und ihre Probleme." (2, S. 64f)
Dies kann nach dem Subsidiaritätsprinzip nicht von Außen, also von oben übergestülpt werden, sondern muss sich durch Selbsthilfe, also von unten entwickeln.
,,So mu ß [!] der Ansatz zu einer Pastoral der Befreiung von den Armen selbst ausgehen und umfassend sein: Er zielt auf ganzheitliche Befreiung des Menschen." (2, S. 67)
Aus diesen Überlegungen heraus entstanden in den Sechzigerjahren die ersten Basisgemeinden in Südamerika. Ziel dieser Gemeinden ist es, sich selbst im Glauben zu stärken und eine selbstständige Evangelisierung ihrer selbst zu leisten, was sie frei von Einflüssen kirchlicher und staatlicher Autoritäten macht, die dazu neigen durch ihre Einflussnahme Abhängigkeiten zu erzeugen, die die Gläubigen in die Unmündigkeit abdrängen würden. (Vgl. Kapitel 3.2)
In den Basisgemeinden, ob sie nun in Sao Paolo oder im Amazonasbecken beheimatet sind, hat jedes Mitglied gleichzeitig auch eine Aufgabe für die Gemeinde zu erfüllen.
Seinen individuellen Fähigkeiten als Mensch entsprechend arbeitet man an der spirituellen Reifung der Gemeinde mit, d.h. hält Wortgottesdienste, ist Ansprechpartner (inoffizieller Beichtvater) in Lebenskrisen und leitet eine Gruppe von Exegeten (dazu später), oder übt ein anderes Amt aus (finanzieller, organisatorischer oder musikalischer Natur). Die Vorsteher der einzelnen Gemeinden werden gewählt, wodurch auf höherer Ebene, also an Treffen der Vorsteher der Basisgemeinden einer Region, eine demokratisch legitimierte Vertretung der Gemeindebasis zustande kommt. Die Heilige Schrift wird in Basisgemeinden von den Mitgliedern selbst ausgelegt, dies führt zu einer direkten Auseinandersetzung mit der Bibel und den Parallelen zur eigenen Existenz.
Koopmans stellt in seinem Buch vier Schritte und ein doppeltes Triangel auf, das die Bibelauslegung in den Basisgemeinden veranschaulichen soll: (Vgl. 5, S. 132ff)
Erster Schritt:
Die reale Situation des Volkes zu beschreiben versuchen [...]
Zweiter Schritt:
Einen Bibeltext suchen, der etwas mit dieser Realit ä t zu tun hat [...]
Dritter Schritt:
Den ausgew ä hlten Bibeltext untersuchen, analysieren
Wie macht man das? Dazu muß[!] die historische Realität kennen, in der dieser Text geschrieben wurde, sowie etwas über die gläubige Gemeinde wissen, für die dieser Text damals geschrieben wurde. Das heißt, man muß[!] [...] die Verbindung zwischen dem Text der Bibel und der geschichtlichen Wirklichkeit der Gemeinde herstellen. [...]
Vierter Schritt. Die Erkenntnis der damaligen Realit ä t vertiefen (Vgl. 5, S. 55ff)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Vgl. 5, S. 55ff)
Diese Form der Exegese dient als Beispiel für die basisnahe, oder auch basisorientierte Pastoral der Befreiungstheologie. Durch die Behandlung von Problemen des sogenannten ,einfachen Volkes' in der Exegese und durch das Aufzeigen von Parallelen zwischen der Bibel und dem Leben der Mitglieder dieser Basisgemeinden kann die Heilige Schrift und hier vor allem die Geschichte des geschundenen Volkes Gottes ihr Leben und ihren Glauben befruchten.
3.4 Sehen, urteilen und handeln
Sehen, urteilen und handeln umschreiben das Grundverständnis jeder Theologie, also auch der Theologie der Befreiung. In ihrem speziellen Fall handelt es sich um das Sehen der Realität in den Ländern der Dritten Welt, des Hungers und der Unterernährung, der Unterdrückung und der Gewalt, aber auch das Erkennen der Hoffnung in den Gesichtern des Volkes, ihr unbesiegbares Ja zu Leben, auch im Angesicht des täglichen Hungertodes.
Das Urteilen über die Realität erfordert das genaue Hinsehen. Übersehen wir nur einen Punkt in der Liste der Eigenschaften von Gesellschaften in der Dritten Welt, so trübt sich unser Blick und wir werden unfähig zu urteilen. Haben wir aber, wider unserer eigenen Vorurteile, genau hingesehen und die Realität erkannt, so können wir beurteilen, was in seiner jetzigen Form bestehen bleiben soll und was verändert werden muss, wollen wir den Menschen ein würdiges Leben ermöglichen. Im Falle der Dritten Welt bedeutet dies das Lösen des Menschen aus seinen Abhängigkeiten, die es ihm unmöglich machen ein Leben in (gottgewollter) Würde zu führen. (Vgl. 3, S. 74)
Als nächster Schritt ist zu überdenken, in welcher Weise man diese Veränderungen durchführen kann, ist dies geschehen muss der jetzt bereits Befreiungstheologe die Art und Weise, wie man die Veränderungen durchführen soll, ausselektieren.
Der letzte Schritt ist die Durchführung. Hier schließt sich der Kreis, es fließen alle vorhergegangenen Unterkapitel mit ein, allen voran die Suche nach Antworten für eine bessere Gesellschaft in der Heiligen Schrift, und der sogenannten kämpfenden Vergebung, was die Änderung der Verhältnisse bedeutet, aber den Verzicht auf Gewalt und insbesondere Rache. Aber auch Irrwege (Meinung des Verfassers), wie sie durch Fehler in der Selektion der Mittel entstehen können, wie die Bewaffnung des Volkes durch Befreiungstheologen, die Beantwortung von Gewalt mit Gewalt und die Rache, welche den christlichen Gedanken konterkariert, sind zu vermeiden.
4 Zwei Vertreter der Befreiungstheologie
In diesem Kapitel möchte ich zwei Vertreter der Befreiungstheologie vorstellen und versuchen ihr Verständnis von der Theologie, die sie betreiben zu erläutern. Da die Theologie an sich keine Quintessenz enthält (Meinung des Verfassers), wird sie auch von jedem Einzelnen unterschiedlich aufgefasst und verstanden, was dazu führt, dass es zu einer unterschiedlichen Praxis in der Ausübung der Theologie kommt. Die revolutionäre Befreiungstheologie mit ihrem Ja zur Anwendung von Gewalt zur Änderung der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse, vor allem vertreten durch Ernesto Cardenal, ist seit einigen Jahren im Absterben begriffen, weshalb ich sie auch hier nur erwähne und ihren Hauptvertreter nicht genauer vorstelle.
4.1 Gustavo Gutiérrez
Der 1928 geborene Peruaner kann als Vater der Theologie der Befreiung bezeichnet werden. Er studierte Medizin, Philosophie, Psychologie und Theologie. 1968 war er maßgeblich an der Erarbeitung der neuen Theologischen Richtung in Medellín beteiligt, 1973 veröffentlichte er sein Standardwerk, Theologie der Befreiung', in dem er seine Sicht der Dinge und seine Vision für die Kirche und Theologie der Zukunft darlegt. (Vgl. 3, S. 290)
Gutiérrez ist der große Theoretiker der Befreiungstheologie. Sein Programm wird im Vorwort der ,Theologie der Befreiung' sichtbar, wenn er schreibt:
,,Es geht weder darum, eine Ideologie zur Verteidigung schon eingenommener Positionen zu entwickeln, noch fieberhaft nach Sicherheit vor radikalen Fragestellungen, denen der Glaube ausgesetzt ist, zu suchen, noch eine Theologie zurechtzuzimmern [!], von der man dann eine politische Aktion herleiten k ö nnte. Es geht vielmehr darum, da ß [!] wir uns unter das Urteil des Wortes des Herrn stellen, unseren Glauben ü berdenken, unsere Liebe gr öß er werden lassen und aus einem inneren Entschlu ß [!] her, der radikaler, wirksamer und total werden will, Rechenschaft von unserer Hoffnung geben. Es geht darum, die gro ß en Themen des christlichen Lebens innerhalb des radikalen Wandels der Perspektiven und im Zusammenhang der neuen Problematik, die eine solche Verpflichtung mit sich bringt, wieder auszugreifen. Dies also ist das Anliegen der sogenannten >>Theologie der Befreiung<<." (3, S. 2)
Gutiérrez schaffte die theoretische Grundlage für die Arbeit der Generation nach ihm, indem er die Begriffe Entwicklung und Befreiung im theologischen Kontext bearbeitet, und die gängige Sichtweise und Definition, besonders die des Begriffes Entwicklung, einer scharfen Kritik unterzieht. Dies heißt im Klartext, dass die Vorstellung von der Entwicklung der sogenannten ,Dritten Welt', die sich sehr stark an die Hilfe des reichen Nordens angelehnt und kaum auf Eigeninitiative gebaut hatte, als solche von ihm verworfen wird. Die Entwicklung als Befreiung ist nach Gutiérrez nur in Anlehnung an das Subsidiaritätsprinzip möglich. (Vgl. 3, S. 28ff)
Als Mittelpunkt der christlichen Botschaft wird von ihm die Erlösung erkannt, die einen Prozess vom Quantitativen (Taufpraxis in Südamerika im 16. Jahrhundert als Beispiel der ,Quotenmentalität') zum Qualitativen (die Erlösung wird bereits in der Welt Realität und wirkt sich auf das Leben sowohl des Individuums, als auch der Gemeinschaft aus) durchmacht. (Vgl. 3, S. 135ff)
Auf Gutiérrez´ Arbeiten gründet sich die praxisbezogene Theologie der Befreiung mitsamt ihren Mitteln in der Pastoral, wie zum Beispiel die Basisgemeinde.
4.2 Erwin Kräutler
Im Gegensatz zu Gustavo Gutiérrez, der als Theoretiker gilt, ist der gebürtige Vorarlberger Erwin Kräutler der praxisbezogene Theologe und Seelsorger, der als Bischof der Prälatur Xingu2 an der Seite der Armen steht. Erwin Kräutler wurde am 12. Juli 1939 geboren, studierte in Salzburg Theologie und wurde am 3. Juli 1965 zum Priester geweiht.
Bald darauf folgte er seinem Onkel in die Mission nach Südamerika. (Vgl. 1, S. 43ff)
Als Bischof vom Xingu, eine Diözese viermal so groß wie Österreich, setzte sich Kräutler für die Armen seiner Region ein und wurde aufgrund eben dieses Engagements Opfer eines Anschlages auf sein Leben, am 16. Oktober 1987 rammte ein Kleinlaster seinen Wagen auf der Transamazônica frontal, verletzte ihn schwer und tötete einen seiner Mitarbeiter.(Vgl. 1, S. 21f)
Eben diese Transamazônica (eigentlich als Mittel zur Integration des wirtschaftlich unterentwickelten Nordens Brasiliens geplant, doch als Mittel zur Bereicherung von Spekulanten und Baufirmen gebaut), eine tausende Kilometer lange Schotterstraße in den Regenwald, die diesen schnurgerade durchschneidet und von der aus die Breschen in den Dschungel geschlagen werden, wird von Kräutler seit Jahren mit friedlichen Mitteln bekämpft. Der Bischof stellt sich als Anwalt der Menschen in seinem Zuständigkeitsbereich gegen die Projekte Multinationaler Konzerne in dieser Region, da sie (bedingt durch die leicht zu umgehenden Umweltschutzauflagen in Brasilien) zu einem großen ökologischen Problem werden. (Vgl. 1, S. 17ff)
Dom3 Erwin Kräutler unterhält intensive Kontakte zu Gewerkschaftern und unterstützt sie bei der Durchsetzung ihrer Forderungen für die Kommunalpolitik, die den bereits etablierten Berufspolitikern ihr korruptes Treiben erschweren soll, als Beispiel für den Erfolg ihrer Arbeit sei zu nennen, dass verschiedenste Kommunen eine Geschäftsordnung für ihren Gemeinderat erlassen mussten, dies ist für nordbrasilianische Verhältnisse bereits ein großer Fortschritt. (Vgl. 1, S. 99f)
Erwin Kräutler ist, bedingt durch seine praxisbezogene Theologie und seine Kontakte zu seinem Geburtsland, hierzulande der bekannteste Vertreter der Befreiungstheologie.
5 Epilog
Mein Entschluss mich mit der Theologie der Befreiung im Rahmen der Matura genauer zu befassen war im Glauben gefasst worden, hier ein von mir schon lange zuvor entdecktes Interessensgebiet zu bearbeiten. Es sollte sich (meiner damaligen Meinung nach) als nicht allzu schwierig für den Interessierten darstellen, diese theologische Richtung dem Leser zu präsentieren. Die Komplexität des Themas und seine Ganzheitlichkeit überraschte mich und stellte mich auf eine harte Probe. Heute kann ich sagen, dass das Feld der Befreiungstheologie ein weites ist. Der Respekt vor den Schwächen des eigenen Verstandes, auf die man fast natürlich stößt musste sich erst entwickeln. Ich rate jedem interessierten Leser, sich mit der Theologie der Befreiung, und im Besonderen mit ihrem Bezug zu fast allen Lebensbereichen zu beschäftigen und kann fast sicher sagen, es wird sein (oder ihr) Bild der missionierenden Kirche verändern.
Warum gerade das Thema ,Theologie der Befreiung als Beispiel einer Basis - Kirche'?
Ich bin der Meinung, dass die befreiende Botschaft des Evangeliums zu lange vernachlässigt wurde und auch heute noch zum Teil vernachlässigt wird. Jahrhundertelang war von der Befreiung aus Sünde und Tod wenig die Rede, man sah es als verpflichtend an die Heiden im Namen der Nächstenliebe zu taufen. Das waren die Quoten des 16. und 17. Jahrhunderts, an den Quoten wurde der Erfolg des Christentums gemessen. Von Pastoral war niemals die Rede, zu sehr war man mit dem Sakrament der Taufe beschäftigt, der Schauplatz war Südamerika. Es ist mir auch ein Anliegen zu betonen, dass der Mensch zwar vom Brot allein nicht leben kann, sich aber auch ohne Brot nicht am Leben erhalten kann, d. h. dass es in der Verantwortung der Kirchen liegt für eine gerechte Verteilung der Güter einzutreten, ja zu kämpfen. Diese Forderung an unser Gewissen durch unseren Glauben wurde von der Theologie der Befreiung aufgegriffen. Gerade in einer Zeit, in der sich die grenzenlose Gewinnsucht immer mehr ausbreitet ist es mir ein Anliegen die Alternativen aufzuzeigen, die uns, vom Glauben geboten, auferlegt werden.
Die Befreiungstheologie beschäftigt sich nicht nur mit den materiellen Bedürfnissen der Menschen, sie verliert auch die spirituellen nicht aus dem Auge. Der Mensch lebt nicht NUR vom Brot allein, er lebt auch durch seine Beziehung zum wahren Gott, der Leben schenkt und Leben ist. Gott ist der Hoffnungsträger der Armen, die immer fürchten müssen elend zu werden. Das ist die befreiende Botschaft des Evangeliums, zumal Armut nicht zwingend materielle Armut bedeuten muss. So wurde mir die befreiende Botschaft zu einem Anliegen und ich wollte ergründen, was es im Detail bedeutet die Theologie der Befreiung zu leben (ich kann jedoch noch nicht aus persönlicher Erfahrung sprechen und muss mich auf die Berichte anderer verlassen, die die Quintessenz dieser Botschaft verstanden haben, oder es zumindest meinen). Ich möchte noch hinterherschicken, dass ich der Meinung bin, dass die Völker des Südens uns gegenüber einen Vorsprung in der Aufnahmebereitschaft für die befreiende Botschaft des Evangeliums besitzen, was ich auf historische Gegebenheiten, wie sie in Europa durch jahrhunderte lange Verneinung der Freiheit und der Freude am frei sein in Gott entstanden sind, zurückführe.
Zur Länge der FBA:
Diese Arbeit ist, zumindest im Vergleich mit anderen Arbeiten, eher in einem kurzen, dichten Stil verfasst. Ich will mit meiner Arbeit ein Themengebiet vorstellen, das weitgefächerter nicht sein könnte, also ist es nur zielführend die sogenannte Quintessenz herauszuarbeiten und sie vorzustellen. Der Versuch den Leser mit allzu ausführlichen Details zu überschwemmen ist, so meine ich, von vornherein zum Scheitern verurteilt, da dies nur verwirren würde. Ich hielt die Geschichte der Südhälfte des amerikanischen Doppelkontinentes, sowie die Realität im Brasilien von heute (als Metapher für Lateinamerika als solches) für essentiell für das Verständnis der Befreiungstheologie in Südamerika, daher führte ich sie auch an. Die geistigen Grundlagen, welche die Ideologie ihrer Begründer mit beeinflussten hätten den Rahmen einer FBA gesprengt, da sie von der Heiligen Schrift über den Sozialenzykliken der Päpste bis zu den Schriften von Marx und Engels reichen. Auch die Basisgemeinde ist viel facettenreicher als der Rahmen einer Fachbereichsarbeit es zulassen würde. Stattdessen beschränke ich mich auf den meiner Meinung nach wichtigsten Punkt, die Menschen in der Basisgemeinde legen die Heilige Schrift mit der Hilfe ihrer Erfahrung in der Armut selbst aus und ziehen Schlüsse für ihr eigenes Leben.
Ich hoffe, dass ich diese Quintessenz erkannte und sie schildern konnte.
Christian Plantéu
1 ,Basis' bedeutet nach Meinung des Verfassers die Gemeindemitglieder, welche kein geistliches Amt bekleiden, d.h. die nicht geweiht sind.
2 Der ,Xingu' ist ein Fluss im Norden Brasiliens und mündet in den Amazonas
3 ,Dom' ist das portugiesische (brasilianische) Wort für ,Herr' und entspricht in seiner Bedeutung dem spanischen ,Don'
In seiner Diözese startete er nach seiner Bischofsernennung mehrere soziale Programme, unterstützte die Mitglieder in den Basisgemeinden bei Protesten und Besetzungen und war immer an vorderster Front zugegen, wofür ihm mehrmals Gewalt von Seiten der staatlichen Autoritäten wiederfahren ist. (Vgl. 1, S. 265) Außerdem ist Kräutler Präsident des Indianermissionsrates (CIMI) und setzt sich für die Indigenas (Vgl. Kapitel 1.1) des Xingutales ein. Ein großes Anliegen hierbei ist ihm die Einhaltung der Verfassung, die den indigenen Völkern Brasiliens ihre eigenständige Entwicklung und den Gebrauch ihrer Sprache zuerkennt. (Vgl. 1, S. 241ff)
- Quote paper
- Christian Planteu (Author), 2001, Theologie der Befreiung in Südamerika, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106846
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