Gliederung
1. Einleitung
2. Definition der Depression
3. Begriffsproblematik / Abgrenzung zur Depression bei Erwachsenen
3.1 Depression in der Kindheit
3.2 Depression in der Jugend
4. Symptomatik
4.1 Geschlechtsunterschiede
4.2 Testdiagnostik
4.3 Die „Masken“ der Kinderdepression / Psychiatrische Komorbidität
5. Entstehungsbedingungen
5.1 Familienklima und Bindung
5.2 Stress
5.3 Genetik
5.4 Biologische Theorien
5.5 Psychoanalytische Theorien
5.6 Kognitive Theorien
5.7 Lerntheorie
5.7.1 gelernte Hilflosigkeit
5.8 Drogenmissbrauch
6. Erlebniswelten
6.1 psychisch
6.1.1 Suizid
6.2 physisch
6.3 sozial
6.3.1 Schule und andere Leistungssituationen
7. Therapie
7.1 Pharmakotherapie
7.2 Verhaltenstherapeutischer Ansatz
7.3 Spieltherapie
7.4 Kognitive Therapie
7.4 Familientherapie
8. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
An schweren Depressionen können Menschen jeden Alters erkranken. Das klinische Bild der Depression enthält einige Züge, die in der Kindheit häufiger auftreten als im Erwachsenenalter und die darauf hinweisen, dass auch junge Menschen unter Depressionen leiden, diese sich jedoch anders äußern - ein Thema, was erst relativ spät in den Blickpunkt der Kinder- und Jugendpsychiatrie gerückt ist. In Deutschland leiden acht Prozent aller Jugendlichen und 2,5 Prozent aller Kinder unter depressiven Störungen, die im Durchschnitt im Alter von 15 Jahren auftreten - bei Mädchen früher und weitaus häufiger. Da Kinder ihre innere Not in jeder Altersstufe anders ausdrücken und einen Teil ihrer Depression hinter anderen Beschwerden, zumeist körperlicher Art, verstecken, tun sich selbst Spezialisten mit dem Erkennen von depressiven Symptomen bei Kindern schwer. Diese Schwierigkeit für die Diagnose „Kinderdepression“ dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass die Meinung, Kinder würden, wenn überhaupt, nur sehr selten depressiv, in der klinischen Wissenschaft weit verbreitet war und teilweise noch ist. Selbst wenn es bei einer einmaligen depressiven Episode bleibt, leiden viele der davon betroffenen Kinder und Jugendlichen nicht selten noch als Erwachsene unter geringem Selbstwertgefühl, Zurückgezogenheit und Pessimismus.
Bipolare Störungen mit manischen Phasen treten im Kindesalter nur sehr selten auf, deswegen soll in dieser Arbeit nicht darauf eingegangen werden.1
2. Definition der Depression
Der emotionale Zustand der Depression ist durch starke Traurigkeit und Niedergeschlagenheit, Gefühle der Wertlosigkeit und Schuld, sozialen Rückzug, Schlafstörungen, Verlust von Appetit und sexuellem Verlangen oder dem Verlust von Interesse und Freude an alltäglichen Handlungen gekennzeichnet. Während ein trauriger Mensch noch auf Unterstützung durch andere hofft und letzten Endes auch an eine mögliche Überwindung des eigenen Leids glaubt, so versucht der Depressive, alles Leid auf sich selbst zu lenken; ein seelischer und körperlicher Leidenszustand, der dem Betroffenen den aktiven Zugang zum Leben verstellt.
Depressive Menschen schauen ohne Hoffnung in die Zukunft, sind voller Sorge, Angst und Verzagtheit, und viele haben ihren Lebenswillen verloren. Jedes Problem erscheint ihnen unlösbar, sie machen sich Selbstvorwürfe und vernachlässigen die Körperpflege. In diesem Zustand richtet sich der Mensch in seiner neuen Wirklichkeit ein, und je länger dieser Zustand anhält, desto mehr entfremdet er sich von seinen Mitmenschen. Bei Menschen, die in ihrem alltäglichen Leben nur wenig an eigenem Willen aufbringen müssen, fallen depressive Verstimmungen kaum auf; sobald die Situation jedoch Eigeninitiative erfordert, so fühlt er sich den Aufgaben, die andere offensichtlich mir Leichtigkeit erfüllen, in keiner Weise gewachsen, ist bald erschöpft und gibt auf.2
3. Begriffsproblematik / Abgrenzung zur Depression bei Erwachsenen
Bis vor kurzem wurde die Natur der kindlichen Depression noch kontrovers diskutiert: „Die unterschiedlichen Meinungen gehen von Zweifeln, ob und wann überhaupt eine Depression in Erscheinung treten könnte, bis hin zu Ansichten, dass schon Kleinkinder die gleiche Erscheinungsform der Depression wie Erwachsene zeigen ... Und obwohl nun weitgehend akzeptiert ist, dass Kinder und Jugendliche eine Depression entwickeln können, gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Streitpunkten, die die Erforschung dieser Krankheit oft überschatten.“3
Depressive Verstimmungen in Kindheit und Jugend sind schwer zu erkennen, da sie kein definiertes und charakteristische Krankheitsbild aufweisen und nur wenige der typischen Kennzeichen einer Erwachsenendepression zeigen. Besonders in der frühen Kindheit finden sich entwicklungsbedingt große Unterschiede in der Symptomatik. Kinder, die im Zuge ihrer Depression antriebsschwaches oder auch aggressives Verhalten an den Tag legen, werden oft fälschlicherweise als faul oder bösartig gesehen und daher häufig bestraft. Mit fortschreitendem Alter des Kindes gleichen sich die Symptome denen der Depression bei Erwachsenen an, bis schließlich in der späten Jugend ein fließender Übergang zum Krankheitsbild des Erwachsenen stattfindet.4
3.1 Depression in der Kindheit (bis zum 12. Lebensjahr)
Verliert ein Kind in der frühen Kindheit seine Mutter, so reagiert es darauf zunächst mit wütendem Protest und Verzweiflung, um schließlich in Apathie zu versinken. Dieses erlernte Verhaltensmuster bricht bei Verlusterlebnissen im Erwachsenenalter immer wieder auf - das Kind ist für eine Depression prädisponiert. In jungen Jahren äußern sich Depressionen meist durch Spielhemmung, Schüchternheit, Wein- und Schreikrämpfe und Schlaf- und Appetitstörungen. Wird das Kind älter und geht zur Schule, zeigen sich hier Konzentrationsschwäche und Lernhemmung, Überangepasstheit, leichte Erschöpfbarkeit. Angst, Nägelknabbern und Weinkrämpfe als Symptome bleiben oft bis zum 12. Lebensjahr und darüber hinaus bestehen.5
3.2 Depression in der Jugend (12. bis 18. Lebensjahr)
„Die häufigsten Erscheinungsformen der Depression im frühen Jugendalter - genauso wie im Kindesalter - sind Schulversagen, Phobien, dissoziatives Verhalten, psychosomatische und vegetative Störungen. Neuere Untersuchungen über das Jugendalter (im Gegensatz zur Kindheit) zeigen, dass Depression häufig in Form von Hyperaggressivität und delinquentem Verhalten, sexueller Promiskuität und unkontrolliertem Konsum von Drogen und Alkohol zum Ausdruck kommt.“6
Die Zeit der Jugend stellt - auch ohne Depression - den instabilsten und konfliktreichsten Abschnitt im menschlichen Leben dar. Die Pubertät mit sozialen Spannungen und Konflikten in Elternhaus und Schule, am Ausbildungsplatz oder in der Peergroup, mit raschem Körperwachstum, seelischen Unsicherheiten und wachsenden libidinösen Triebansprüchen bietet einen idealen Nährboden für depressive Verstimmungen. Anforderungen, die an den Jugendlichen gestellt werden, übertreffen oft dessen Voraussetzungen; Abhängigkeit von den Eltern und Erlebnis eigener Unzulänglichkeiten und Misserfolge gepaart mit mangelhafter Konflikterziehung und fehlenden Bewältigungsstrategien tun ihr Übriges. „Schon die normale psychische Entwicklung in der Pubertät ... ist gekennzeichnet von Unruhe und Unlust, Reizbarkeit und Ratlosigkeit, die für die Umgebung durch aggressiv- feindselige oder passiv-resignierende Dauereinstellungen und jähe Umschwünge von hyperthymen zu depressiven Verstimmungszuständen nur schwer zu ertragen sind.
In den letzten Jahren verlaufen die Reifungsprozesse der Jugend häufig asynchron, wodurch depressive Verstimmungen mitverursacht werden können: intellektuelle und biologische Reifung haben sich beschleunigt, weshalb Jugendliche wesentlich früher mit verschiedenen Belastungen und Anforderungen konfrontiert sind, soziale, emotionale und affektive Reifung habe sich hingegen verlangsamt.
Im Alter zwischen 12 und 18 Jahren fallen depressive Jugendliche durch Grübeleien, unzureichend motivierte Suizide und Suizidversuche, Stimmungsschwankungen, Hypochondrie und Schulangst auf. Viele depressiven Jugendlichen haben deutliche Minderwertigkeitsgefühle, zeigen zwanghaftes Verhalten und leben mit Angst und Unsicherheit; die Selbstmordrate unter Jugendlichen ist hoch und steigt beständig an. Mit höherem Alter ähnelt die Symptomatik mehr und mehr der Depression im Erwachsenenalter. “Die unterdrückte Form der Depression des Kindesalters nimmt im Jugendalter eine strukturierte Form an, wie wir sie in vier Unterformen im Erwachsenenalter am häufigsten sehen: Den Lebensschmerz, begleitet von vermindertem Selbstwertgefühl und unangenehmen Körpersensationen, dem Verlust des Antriebes, der Energie und des Interesses, Einschränkungen der Kommunikation auf verschiedenen Ebenen und den zirkadianen Rhythmusstörungen.“7Da viele gesunde Jugendliche infolge ihres chronischen Schlafmangels tagsüber oft müde sind und die Wochenenden im Bett verbringen, fällt es sowohl der Umwelt als auch dem betroffenen Jugendlichen selbst nicht auf, dass er unter einem Depressionssymptom leidet, nämlich erhöhtem Schlafbedürfnis. Bis ein Jugendlicher als depressiv erkrankt erkannt wird, bedarf es meist einer starken Ausprägung vieler Symptome - nicht selten ist es erst ein Suizidversuch, der erkennen lässt, wie stark sich der Kranke bereits seit Wochen oder Monaten verändert hat.8
4. Symptomatik
Kinder mit depressiven Störungen weisen häufig eine ausgeprägte Verleugnungstendenz auf und können große Schamgefühle haben. Um die sichere Diagnose einer Kinderdepression stellen zu können, ist es wichtig, Spielverhalten (Unlust, schnelle Entmutigung), Affektausdruck, Interesse, Essverhalten (verminderter oder gesteigerter Appetit), Schlaf (Ein- und Durchschlafprobleme, Früherwachen, Alpträume), Antrieb, Angst und andere körperliche Symptome des Kindes über einen längeren Zeitraum umfassend zu beobachten und zu dokumentieren. Bei älteren Kindern ist zusätzlich die Beobachtung des Leistungsverhaltens angezeigt. In den verschiedenen Alterstufen Kleinkind, Vorschulkind, Schulkind und Jugendliche/r können die Verhaltensweisen, die Hinweise auf eine depressive Verstimmung geben, grundlegend verschieden sein. Die häufigsten psychischen Symptome bei depressiven Kindern, die über alle Altersstufen hinweg zu beobachten sind, sind Gehemmtheit, Angst, Kontaktschwäche, Überangepasstheit, Unsicherheit und Außenseiter, die häufigsten psychosomatischen Symptome sind Mutismus, Aggressivität, Weinen, Enuresis, Naschsucht, Weglaufen, Schlaf-wach-Rhythmusstörungen und Störungen des Appetits.9
4.1 Geschlechtsunterschiede
In der Kindheit kommen Depressionen bei Jungen und Mädchen etwa gleich häufig vor, während in der Pubertät eine deutliche Mehrheit an weiblichen depressiven Jugendlichen zu verzeichnen ist. Ein Grund dafür könnte sein, dass männliche Jugendliche andere „Strategien“ zur Problembewältigung benutzen. „Bei Männern, insbesondere Jugendlichen, verbirgt sich die Depression häufig hinter dem Konsum von Alkohol und anderen Drogen oder führt zu Gefängnisstrafen als Folge von Straftaten.“10
Eine Depression in der Kindheit zeigt sich bei Mädchen und Jungen oft unterschiedlich: depressive Mädchen sind meist still und schüchtern, neigen zum Grübeln, sind traurig, bedrückt, leise und zurückgezogen, wirken dadurch aber „artig“ und provozieren kaum Konflikte mit ihrer Umgebung. Eltern depressiver Töchter haben selten mit Erziehungsschwierigkeiten zu kämpfen, ganz im Gegensatz zu Eltern depressiver Jungen. Diese zeigen meist Kontaktschwäche und leben in sozialer Isolation, fallen in der Schule durch Lernhemmungen auf und sind oft gereizt. Schulschwierigkeiten wie Schwänzen und Aggressivität sind deutliche und häufige Anzeichen einer Depression bei männlichen Kindern und Jugendlichen.11
4.2 Testdiagnostik
Um eine Depression festzustellen, werden bei Kindern und Jugendlichen als diagnostische Instrumente sowohl Ratingskalen als auch direkte Interviews angewandt. Die bekanntesten Ratingskalen sind dieChildren’s Depression Rating Scale (CDRS),eine Bearbeitung der bekannten Hamilton-Skala zur Fremdbeurteilung klinischer Depressionen bei Erwachsenen, dasChildren’s Depression Invertory (CDI), das beliebteste aller hier vorgestellten Verfahren, dieChild Behavior Checklist (CBCL)für die Eltern und dieCenter for Epidemiological Studies Depression Scale for Children (CES - DE),ein Fragebogen mit 20 positiv oder negativ formulierten Items, der bei Kindern im Alter von 6 bis 17 Jahren eingesetzt wird.Als direkte Interviews verwendet man meist dieSchedule for Affective Disorder and Schizophrenia for School-Aged Children (Kiddie-SADS)zur Beurteilung von Kindern im Alter von 6 bis 16 Jahren,dieDiagnostic Interview Schedule for Children and Adolescents (DICA)und die Diagnostic Interview Schedule for Children (DISC),die einen Überblick über den gesamten psychopathologischen Status der Kinder geben sollen.Die Durchführung von Interviews ist allerdings nur bei Kindern über zehn Jahren sinnvoll, bei jüngeren Kindern bieten projektive Verfahren eine gute Möglichkeit zur Persönlichkeitsdiagnostik. Bei Hinweisen auf spezifische Schulschwächen ist eine ausführliche Leistungsdiagnostik notwendig; eine orientierende Intelligenzdiagnostik ist aufgrund möglicher Über- sowie Unterforderungen zu empfehlen.
Um den Grad der kindlichen Depression vollständig zu erfassen, ist es wichtig, so viele „Quellen“ wie möglich zu befragen, da die Informationen der drei traditionellen Informanten - Kind, Eltern, Lehrer - sehr unterschiedlich sein können und erst zusammen ein umfassendes Bild der Krankheit geben.12„In den letzten 10 Jahren haben Studien gezeigt, dass im allgemeinen Kinder die besten Berichterstatter über ihre eigenen Gefühle und subjektiven Erfahrungen sind. Eltern können besser Auskunft über das Sozialverhalten und über Schulprobleme geben, und Lehrer könne am zuverlässigsten über schulisches Verhalten, über Konzentrationsfähigkeit und Hyperaktivität Auskunft geben.“13
4.3 Die „Masken“ der Kinderdepression / psychiatrische Komorbidität
Wie oben angesprochen, ist eine kindliche Depression oft schwierig zu erkennen und kann leicht mit anderen Erkrankungen verwechselt werden. Hinzu kommt, dass eine Depression oft mit weiteren psychischen Problemen und Störungen einhergeht, von diesen „verdeckt“ und daher oft nicht diagnostiziert wird; die begleitende Störung tritt häufig in den Vordergrund. Körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen (besonders in den Abendstunden) und Schlafstörungen sind Phänomene, die nicht selten im Zusammenhang mit der kindlichen Depression auftreten. „Mehr als jedes zweite depressiv erkrankte Kind weist mindestens eine weitere voll ausgebildete seelische oder körperliche Störung auf, die nicht in der Symptomkonstellation der Depression aufgeht.“14
Die Wahrscheinlichkeit des gleichzeitigen Auftretens der kindlichen Depression mit Angststörungen beträgt 50 %, mit Hyperaktivität 40 % und mit Störungen des Sozialverhaltens 30 %. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen als Begleiterscheinung kommen häufiger bei Jungen vor, ebenso Störungen des Sozialverhaltens mit introvertiertem oder agitiertem Verhalten. Essstörungen treten häufiger bei Mädchen auf. Es ist wichtig, auch diese anderen psychischen Erkrankungen, die neben der Depression bestehen, zu erkennen und zu behandeln.
Bei den Angststörungen steht meist die Trennungsangst im Vordergrund; die Kinder klammern sich an die Eltern (besonders an die Mutter), zeigen hartnäckige Ein- und Durchschlafstörungen und kommen häufig noch jede Nacht ins Bett der Eltern. Die Überlappung zwischen Depression und Trennungsangst wird auf etwa 50 % geschätzt.
Später dann tarnt sich die Trennungsangst unter dem Deckmantel einer Schulphobie (meist begleitet von Bauchschmerzen), wobei meist nicht die Schule an sich, sondern die Trennung von zu Hause Angst macht, denn ist das Kind erst einmal in der Schule angekommen, scheint die Angst oft verflogen. Ab dem Grundschulalter können dann Zwangsstörungen, die eng mit den Angststörungen verwandt sind, an deren Stelle treten; sie äußern sich zum Beispiel mit starren Einschlafritualen.
In der Adoleszenz kommt es in Verbindung mit einer Depression häufig zu Essstörungen; Appetitschwankungen sind sogar fast immer Kennzeichen von Depressionen bei Jugendlichen.
Das Hyperaktivitätssyndrom (ADHD) als Begleiterscheinung der kindlichen Depression kommt bei Jungen sehr viel häufiger vor als bei Mädchen, und rund 1/5 aller hyperaktiven Jungen sind zusätzlich depressiv. Hierbei gibt es Hinweise auf einen genetischen Zusammenhang, da bei hyperaktiven Kindern oft ein Elternteil unter einer depressiven Störung leidet.15
5. Entstehungsbedingungen
Die Ursachen der Depression in Kindheit und Jugend sind selten klar umrissen und stellen statt dessen Kombinationen aus erblicher Vorbelastung, frühkindlichen Bindungserfahrungen und aktuellen Entwicklungsschwierigkeiten dar. Kommt nun unter diesen Voraussetzungen eine geringfügige Stressbelastung hinzu, ist es ein kurzer Weg in die Depression. Zu den nachgewiesenen Vulnerabilitätsfaktoren gehören unter anderem uneheliche Geburt, körperliche Schäden (vor allem des Gehirns), psychosoziale Belastungen wie große Familie mit wenig Wohnraum und niedrigem sozioökonomischem Status, psychische Störung eines Elternteils oder beider Eltern, Dissozialität der Eltern, alleinerziehende Mutter, mütterliche Berufstätigkeit im ersten Lebensjahr oder Verlust der Mutter, verbunden mit sozialem Abstieg und Armut.16
5.1 Familienklima und Bindung
Alles, was uns die Depressivität im Kindesalter verständlich machen kann, rankt sich um den Begriff der „Bindung“. Das Bindungsverhalten bildet eine „solide biologische Grundlage“ für die „Bereitschaft, während vieler Jahre und unter großem Aufwand an Zeit und Energie für seine Nachkommen zu sorgen“.17Bindungssysteme finden sich bei allen höherentwickelten
Tierarten und sollen Brutpflege und Weitergabe von Fähigkeiten und Fertigkeiten sichern; enge Bindungspersonen vermitteln dem Kind ein Gefühl der Sicherheit und machen es aktiv. Durch intensiven Umgang mit Eltern und Geschwistern sollen die Regeln komplexen Sozialverhaltens gelernt werden, und im Zusammenhang mit Personen, Gegenständen und Handlungen kommt es zu ersten Spracherlebnissen. Das Kind hat die angeborene Bereitschaft, sich an Personen zu binden, die ihm vertraut sind und sucht hier Geborgenheit und Zuwendung - unabhängig davon, ob diese das Kind gut behandeln und seine Bedürfnisse befriedigen oder nicht. Die Stärke der Bindung ist aufgrund biologischer Veranlagung von elterlicher Liebe und Einfühlsamkeit unabhängig; das Kind ist den Eltern vorbehaltlos zugetan und emotional abhängig. Werden seine Bindungsbedürfnisse nicht erfüllt und erfährt es Vernachlässigung, so bemüht es sich um so verzweifelter um Nähe und Zuwendung.18
„Zwischen dem 6. und dem 36. Lebensmonat bestimmt die Regelung von Nähe und Distanz zur Mutter das gesamte Lebensgefühl. Die Grundlagen der Depression, die sich - biographisch und im Rückblick oft bis ins Erwachsenenalter - in genau diesem dreißig Monaten ausmachen lassen, liegen daher entweder in zu abrupten Trennungserlebnissen oder in ängstlichem Festhalten besorgter Mütter.“19
Geborgenheit, Zuwendung, Fürsorgen, emotionale Wärme und Sicherheit sind psychische Grundbedürfnisse in der gesunden Entwicklung eines Kindes. Werden diese Bereiche vernachlässigt, kann dies drastische Auswirkungen haben: „Vor einigen Jahren führten uns die Medien - in einem europäischen Land! - die dramatischen Auswirkungen einer hochgradigen körperlichen und psychischen Vernachlässigung vor Augen, als das diktatorische Regime von Nicolae Ceausescu in Rumänien zusammenbrach. Tausende von Kindern waren in Heimen über Jahre hinweg dermaßen vernachlässigt worden, dass sie an schwersten Wachstumsstörungen, geistiger Rückständigkeit und Verhaltensauffälligkeiten litten.“20Nach frühkindlicher Deprivation zeigt sich eine verzögerte Entwicklung im greifen, gehen und sprechen; die betroffenen Kinder sind sozioemotional auffällig, kontaktarm, weniger differenziert in ihrem Spiel und leiden meist unter depressiven Verstimmungen. Im Tierversuch konnte bei Rhesusäffchen in sozialer Isolation Beeinträchtigungen des Wachstums und ein verkürztes, stereotypes Bewegungs- und Haltungsmuster beobachtet werden. Die Tiere zeigten sich ein überängstliches und zwanghaftes verhalten, Sozial- und Sexualverhalten waren schwer gestört. Da durch die verlangsamte Entwicklung keine Erfahrungen gesammelt werden können und Anregung - zum Beispiel durch Spiel - vermindert ist, hat dies nachteilige Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung.
Im Idealfall ist die Mutter verfügbar wenn Zuwendung verlangt wird und stellt bei Bedrohung einen verlässlichen Zufluchtsort dar. Durch Körperkontakt, rhythmische Bewegungen, Berührung, Wärme und Körpergeruch vermittelt sie dem Kind ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit. Wenn dies bei verängstigten, unter Druck stehenden Eltern nicht möglich ist, kommt es häufig zu einer instabilen oder unsicheren Eltern-Kind-Bindung, die beim Kind bereits in frühen Jahren eine ungünstige Erwartungshaltung hervorruft. Späteren Verlust führt das Kind so automatisch auf eigenes Versagen zurück, attribuiert internal und hält sich selbst für unfähig, stabile Beziehungen herzustellen oder aufrecht zu erhalten. Wenn ein Kind den dauerhaften Eindruck erhält, es sei nicht liebenswert, so entwickelt es ein Modell seiner selbst, in dem es die eigene Person als unliebenswert und unerwünscht erfährt; Bindungsfiguren fehlen in diesem Modell entweder gänzlich oder sind ablehnend und strafend repräsentiert. Geschieht ein Unglück und braucht das Kind Hilfe von anderen, so wird diese nicht etwa erwartet - Ablehnung von anderen wird als selbstverständlich angesehen und akzeptiert. Dieses düstere Bild der Mitmenschen und Umwelt führt zu negativen Zukunftsaussichten und nicht selten zu Depressionen. Je mehr sich die Betroffenen um Zuneigung anderer bemühen, umso verletzlicher sind sie für Verluste. Sie versuchen, an Verlorenem festzuhalten; ist der Verlust unausweichlich, hegen sie keinerlei Hoffnung auf Unterstützung durch andere, laden hingegen alles Leid auf sich selbst sind hilflos unter diesen Belastungen.
Biographische Erfahrungen mit wichtigen Bindungspersonen spielen eine große Rolle bei der Erforschung der Ursachen einen Kinderdepression, sind jedoch schwierig methodisch zu erfassen, da sie meist wechselseitig sind. Dazu kommt, dass wirkliche biographische Erfahrungen oft unbewusst sind und kaum zum Ausdruck gebracht werden können. In einer Art „Schonhaltung“ vermeiden die Betroffenen oft jegliche Kritik an der Herkunftsfamilie (viele gehen sogar so weit, diese zu idealisieren) und suchen Fehler eher bei sich selbst, so dass Kindheitserfahrungen der Betroffenen später oft nicht mehr ans Tageslicht gelangen.21
5.2 Stress
„Mit der Stressreaktion verfügt der Organismus über ein überlebenswichtiges Alarm- und Anpassungssystem, mit dem er schnell, durchschlagend und effektiv auf seelische oder körperliche Bedrohung reagieren kann. Das Ziel dieses Systems besteht darin, den Organismus für eine kurze Zeit wach und hoch leistungsfähig zu machen und gleichzeitig alles zu unterdrücken, was diesem Ziel zuwiderläuft.“22 Im Zustand der Depression findet sich der Organismus des Betroffenen in einer Dauerstressreaktion, die sich verselbständigt hat und schwer zu bremsen ist. Ausgelöst durch die Wahrnehmung (oder auch nur gedanklichen Vorstellung) einer Gefahr wird das Sympathicus-Nebennierenrindenmark mobilisiert, welches die Konzentration der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin im Blut erhöht. Als Resultat steigen sich Herzschlag und Atemfrequenz, der Magen-Darm-Trakt wird stärker durchblutet. Gleichzeitig schüttet das Hypophysen-Nebennierenrindensystem das Stresshormon Cortisol aus, welches das Abwehrsystem des Körpers bremst und ihn damit langfristig anfällig für Krankheiten macht. Hunger und sexuelle Funktionen werden unterdrückt.
An dieser Stelle soll beim gesunden Menschen das Rückkopplungssystem greifen: durch den Cortisolanstieg im Blut wird die Freisetzung des vorgeschalteten Hormons CRF (corticoreleasing-factor) gebremst und die Alarmreaktion des Körpers flacht wieder ab. Unter Dauerstress, wie es bei einer Depression der Fall ist, kann das Rückkopplungssystem nicht genug „bremsen“, so dass der Organismus sich in einem Daueralarmzustand befindet und das Niveau der Stresshormone sich höher und höher schaukelt. Hält dieser Stress zu lange an, kann das zu schweren Körperschäden führen.23
5.3 Genetik
Die Disposition, mit depressiven Verstimmungen auf Belastungen zu regieren, scheint von den Eltern vererbt zu werden; günstige Entwicklungsbedingungen des Kindes können jedoch das Risiko, an einer Depression zu erkranken, erheblich verringern. Depressive Verstimmungen in der Familie des Kindes kommen häufiger bei den Müttern vor; ebenso sind die Mütter von Mädchen häufiger depressiv als die Mütter von Jungen. Mädchen scheinen also eine höhere Belastung durch die Mütter zu erfahren als durch die Väter. Die Väter depressiver Kinder sind hingegen oft Alkoholabhängig.
Die Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen erreicht eine Höhe von 72 % für bipolare und 40 % für unipolare Störungen, bei zweieiigen Zwillingen beträgt sie 14 % für bipolare und 11 % für unipolare Störungen. Beide Formen der Depression scheinen also genetische Komponenten zu haben, eine Erkenntnis, die durch Adoptionsstudien gestützt werden konnte: Sowohl Mendlewicz und Rainer (1977) als auch Cadoret (1978a) konnten mehr affektive Störungen bei denjenigen Adoptivkindern feststellen, deren biologische Eltern eine solche Störung aufwiesen. „Wender et al. (1986) konnten schließlich ermitteln, dass die biologischen Verwandten adoptierter Probanden ein achtfach höheres Risiko für eine affektive Störung hatten.“24Egeland et al. (1987) konnten die Annahme bestätigen, dass die bipolare Störung auf ein dominantes Gen auf dem elften Chromosom zurückgeführt werden kann.25
5.4 Biologische Theorien
Das biologische Erklärungsmodell der Depression ist wahrscheinlich nur unter Vorbehalt auf alle Kinder zu übertragen, da die Neurotransmitter und Schaltsysteme im kindlichen Gehirn oft noch nicht ausgereift sind. Aus der Erwachsenenforschung weiß man, dass eine Depression durch Fehlregulationen der Neurotransmitter Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin entstehen kann. Serotonin ist im Zwischenhirn, welches unter anderem die Emotionen steuert, in zu niedriger Konzentration vorhanden, wohingegen das Stresshormon Cortisol und sein Steuerhormon CRF deutlich erhöht sind. Der Noradrenalin-Theorie zufolge entsteht eine Depression durch eine niedrige Konzentration dieses Neurotransmitters, und die Serotonintheorie besagt, dass ein niedriges Serotoninniveau affektive Störungen begünstigt. Beide Theorien wurden entwickelt, als man in den fünfziger Jahren entdeckte, dass zwei Gruppen von Medikamenten, die Trizyklika und die Monoaminooxidase-Hemmer („Antidepressiva“), Depressionen lindern, indem sie, wie Untersuchungen im Gehirn von Tieren zeigten, sowohl den Serotonin- als auch den Noradrenalinspiegel anhoben. Auf dem heutigen Stand der Wissenschaft lässt sich nicht klar sagen, worauf die therapeutische Wirkung von Trizyklika und MAO-Hemmern genau beruht, da diese den Neurotransmitterspiegel nur anfänglich anheben, ihre depressionslindernde Wirkung aber erst nach sieben bis vierzehn Tagen zu entfalten scheinen. Neue Antidepressiva wie Mianserin und Zimeldin erhöhen das verfügbare Serotonin oder Noradrenalin nicht und sind trotzdem sehr wirksam.
Für eine Beteiligung des neuroendokrinen Systems an der Depression sprechen Untersuchungen, die zeigen, dass die Verbindung Hypothalamus-Hypophyse- Nebennierenrinde, die für die vegetativen Depressionssymptome wie Störungen des Appetits und Schlafs verantwortlich ist, eine Überaktivität verzeichnet. Eine Dysregulation der biologische Rhythmen, zu denen Temperaturregulation, Schlaf-Wach-Regulation und Hormonausschüttung gehören, tragen ebenfalls zur Entstehung einer Depression bei; es wird vermutet, dass Geschlechtshormone eine wichtige Rolle bei der Entstehung depressiver Störungen in der Adoleszenz spielen.
Die Erkenntnis, dass affektive Störungen biologische Ursachen zu haben scheinen, sollte psychologische Theorien keinesfalls nivellieren. Menschliches Verhalten wird durch körperliche Veränderungen vermittelt, psychologische und biologische Prozesse greifen ineinander. So ist es denkbar, dass bestimmte Formen der Depression wirklich durch Noradrenalinmangel verursacht werden, dass aber diesem jenes „Gefühl der Hilflosigkeit“ oder der „Willenslähmung“ vorausgeht, in dem Psychologen die Hauptursache sehen.26
5.5 Psychoanalytische Theorien
Für die Psychoanalytiker spielt das erste Lebensjahr eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung depressiver Erkrankungen. Störungen bei der Differenzierung von Ich und Über- Ich führen zu fehlender Integration im Selbst und ziehen Probleme im Erwachsenenalter nach sich. Laut Freud finden während der oralen Phase „die Bedürfnisse des später Depressiven entweder unzureichende oder übermäßige Befriedigung. Das Kind bleibt in dieser Phase „stecken“ und ist künftig abhängig von der für sie typischen Triebbefriedigung.“27Durch die Fixierung auf der oralen Stufe kann es passieren, dass ein Mensch, will er sein Selbstwertgefühl aufrechterhalten, übermäßig von anderen abhängig wird.
Nach der Objektverlusttheorie (Abraham, 1912; Freud, 1917) entsteht eine Depression, weil sich der Betroffene innerlich nicht von einem geliebten Objekt (Mensch, Idee, Trieb, Bedürfnis, etc.) trennen kann. Da der Mensch das verlorene Objekt benötigt hat, um sein Selbstwertgefühl zu stärken, geht der Objektverlust mit einer Störung des Selbstwertes einher; die Schädigung besteht also schon vorher und tritt erst durch den Verlust des geliebten Objekts zutage. Der Betroffene versucht daraufhin vergeblich, den Verlust rückgängig zumachen (Regression), identifiziert sich aus diesem Grund mit dem Verlorenen und nimmt es in sich auf („introjiziert“ das Objekt seiner Trauer). Weil der Mensch auch gegenüber dem geliebten Objekt negative Gefühle hegt, „wird der Trauernde durch den Akt der Introjektion zum Objekt seines eigenen Hasses oder seiner eigenen Wut.“28Hierauf folgt eine Phase der Trauerarbeit, in der Erinnerungen an das verlorene Objekt lebendig werden und es dem Trauernden ermöglicht, die Bande, die die Introjektion geknüpft hat, zu lockern. Ist der Mensch übermäßig abhängig, kann er die Trauerarbeit nicht vollenden und gerät statt dessen in einen andauernden Prozess der Selbstverachtung, Selbstbeschuldingung und Depression. Die Betroffenen sind emotional für immer an das Verlustobjekt gebunden und bestrafen sich selbst für jeden Fehler, die sie an ihm wahrgenommen haben. Der Zorn des Trauernden auf das verlorene bleibt nach innen auf die eigene Person gerichtet.29
Das durch liebevolle elterliche Fürsorge geweckte naive „Urvertrauen“ bildet die Grundlage des naiven Selbstwertgefühls des Kindes. „Als ‚anaclitic depression’ beschrieb Spitz (1945) ein Syndrom, das sich ausschließlich bei Säuglingen in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres entwickelt und nur bei solchen Kindern beobachtet wurde, die zwischen dem sechsten und dem achten Lebensmonat von der Mutter getrennt wurden und bei denen vorher eine ungetrübte, gute Mutter-Kind-Bindung bestand. Diese Säuglinge, die sich bis zum Zeitpunkt der Separation psychisch und physisch unauffällig entwickelt hatten, begannen unstillbar zu schreien ... Sie zeigten einen traurig resignierten Gesichtsausdruck ... die Kinder lagen schließlich antriebsschwach und affektstarr, stumpf und apathisch auf dem Bauch und waren durch Umweltreize nicht zu bewegen, den Kopf zu heben oder zu drehen...“30Wenn also nach einem Verlusterlebnis keine neue Beziehung aufgebaut und keine bestehende genutzt werden kann, wenn die Kinder gutgemeint an der Trauerarbeit gehindert werden und kein Ersatz für ihre Bindungsperson gefunden werden kann, dann ist der Weg in die kindliche Depression geebnet.
Der erste Teil der Psychoanalytischen Theorie hat bis heute große Bedeutung für das Verständnis und die Behandlung der Kinderdepression, weil sie von dem Therapeuten und dem Wissenschaftler verlangt, diejenigen Entbehrungen und Konflikten in der frühen Entwicklung eines Patienten ausfindig zu machen, die es unmöglich gemacht haben, dass er sich als Kind gut, groß und stark hat fühlen können.31
5.6 Kognitive Theorien
Laut Aaron Beck (1979) entstehen depressive Verstimmungen durch kognitive Verzerrungen oder charakteristische logische Denkfehler, welche wiederum durch Stress ausgelöste werden. Pessimistische Gedanken über sich selbst, die eigene Zukunft und die Menschen um sich herum werden durch negative Lebenserfahrungen ausgelöst (Verlust eines Elternteils oder unbarmherzige Schicksalsschläge, Zurückweisung durch Gleichaltrige, Kritik in der Schule, etc.), bestimmen Wahrnehmung und Verhalten der Betroffenen und führen zu negativen Schemata (z.B. die Annahme, sie müssten perfekt sein). „Seine negativen Schemata veranlassen den Depressiven zu bestimmten Fehlschlüssen, die wiederum die negativen Schemata bestätigen. Gemeinsam verzerren sie die Realität“32und führen dazu, dass die Betroffenen willkürliche Schlussfolgerungen ohne hinreichende Beweise ziehen, übergeneralisieren und sich selbst die Schuld für jegliches Missgeschick zuweisen, das auf sie trifft.
Die kognitive Therapie hat sich zum Ziel gesetzt, die negativen Gedanken zu stoppen, den Betroffenen ihre kognitiven Verzerrungen bewusst zu machen und sie zu anzuleiten, auf Schwarz-Weiß-Gedanken zu verzichten.33
5.7 Lerntheorie
Nach Lewinsohn (1976) entsteht eine Depression dann, wenn Menschen unfähig sind, positive Verstärkungen des eigenen Verhaltens durch die Umwelt herbeizuführen. Der wichtigste Gesichtspunkt zur Begründung von Depression bei Kindern ist ihr Mangel an sozialer Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit. Wenn ein Kind mit einer Aufgabe nicht zu Rande kommt, es aber gleichzeitig nicht bewerkstelligt, andere um Hilfe zu bitten, wird es fast zwangsläufig depressiv reagieren. Besonders im abgeschlossenen Raum der Familie verfestigen sich depressive Verhaltensweisen leicht, weil die immer wieder gleichen Lernprozesse keine Variation von außen erfahren.34
5.7.1 Erlernte Hilflosigkeit (Seligman 1975)
Ein Individuum hat durch unangenehme Erfahrungen und Traumata, die es erfolglos zu überwinden versucht hat, gelernt, dass es unfähig zu Handlungen und zur Kontrolle seines Lebens zu sein scheint und nimmt daraufhin eine passive Haltung ein. Durch Tierversuche fand Seligman (1974) heraus, dass angesichts unkontrollierbarer aversiver Reizung ein „Gefühl der Hilflosigkeit“ entsteht, welches das Verhalten in nachfolgenden belastenden, aber kontrollierbaren Situationen beeinflusst. Ähnlich wie depressive Menschen verhalten sich Tiere unter Stressbelastung passiv und stellen keine Versuche an, dieser Belastung Herr zu werden; sie nehmen kaum Nahrung auf und verlieren an Gewicht. Fähigkeit und Motivation, auf aversive Reizung effektiv zu reagieren, gehen verloren. Aus diesen und andere Arbeiten zur Auswirkung von unkontrollierbarem Stress zog Seligman den Schluss, dass gelernte Hilflosigkeit ein Modell für zumindest einige Formen menschlicher Depression sein könnte.35
5.8 Drogenmissbrauch
Unter den psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen, die in den letzten 50 Jahren dramatisch angestiegen sind, findet man depressive Störungen aller Schweregrade, Suizidversuche und Suizide, Adipositas, Drogenabhängigkeit und Alkoholmissbrauch sowie soziale Störungen, delinquentes Verhalten und Kriminalität. Alle diese Störungen, so scheint es, resultieren aus fehlgeschlagenen Anpassungen an gesellschaftliche Anforderungen. Die genauen Ursachenzusammenhänge sind unklar: Wird ein Jugendlicher, der Drogen konsumiert, leichter depressiv, oder treibt in die Depression junge Menschen in den Drogenmissbrauch? Da depressive Jugendliche mit Drogen- oder Alkoholproblemen sich aggressiv gegen ihre Umwelt verhalten, sich abkapseln und keinen traurigen oder innerlich leeren Eindruck machen, stoßen sie bei Erwachsenen meist auf Ablehnung. Drogenabhängige Jugendliche, die an einer Depression leiden, „ziehen sich plötzlich aus ihren Freundschafts- oder Liebesbeziehungen zurück, was in einem Lebensabschnitt, in dem mit festen Beziehungen noch experimentiert wird, kaum auffällt. Dass sie in den Schulleistungen absacken, gilt ihnen als Kavaliersdelikt, und selbst wenn sie depressive Wahnvorstellungen produzieren, sind ihre Freunde nicht überrascht, kennen sie doch selber Realitätsverkennungen nur zu gut als Folge von Drogenkonsum.“36
Durch den Genuss von Drogen schaffen sich depressive Jugendliche psychedelische oder nirwanische Fluchtwege; Sorgen, Ängste und Unlust werden betäubt und durch ein wohliges Euphoriegefühl ersetzt. Da diese Jugendliche Drogen und Alkohol zur Bewältigung innerpsychischer Konflikte und anderer Lebensbelastungen benutzen, sind sie von einer starken psychischen Abhängigkeitsentwicklung bedroht.
Bei Opiatsüchtigen ist die Abhängigkeit zugleich psychisch und körperlich. Bereits nach einmaliger Morphinzufuhr, wie sie im Krankenhaus im Zusammenhang mit schweren Unfällen oder Operationen gegeben wird, tritt beim Patienten eine kurze, heftige Depression mit unmotivierten Weinkrämpfen und einem Gefühl der Hilflosigkeit und Einsamkeit auf. Ecstacy und andere Modedrogen, deren Konsum in der Gruppe der 15- bis 25jährigen seit einigen Jahren eine exponentiellen Anstieg zu verzeichnen hat, greifen direkt in den Neurotransmitterstoffwechsel des Gehirns ein. Missbrauch dieser Substanzen hat neben depressiven Syndromen auch schwere psychiatrische Komplikationen wie Depersonalisationsstörungen als Folgewirkung. Hier spielen bestehende Prädispositionen für psychische Erkrankungen allem Anschein nach eine wichtige Rolle.37
6. Erlebniswelten
6.1 Psychisch
Depressive Kinder und Jugendliche fühlen sich antriebsschwach und gehemmt, schildern sich selbst als interesselos, gelangweilt, gleichgültig, versteinert, innerlich abgestorben und gelähmt, freudlos und apathisch. Sie fühlen sich einsam, nutzlos und minderwertig, verfügen gleichzeitig aber über kein Krankheitsgefühl. Die Schuld für ihre Niedergeschlagenheit suchen sie daher bei sich selbst, entwickeln Skrupel, Selbstzweifel, Selbstvorwürfe und Minderwertigkeitsgefühle.38
6.1.1 Suizid
„Die Depression bei jungen Menschen erhöht das Suizidrisiko, besonders für diejenigen zwischen fünfzehn und neunzehn Jahren. Aber auch in viel jüngeren Jahren können die Kinder so verzweifelt sein, so völlig ohne Hoffnung, dass die Dinge sich jemals zum besseren wenden werden, dass sie versuchen, ihr Leben zu beenden.“39Wenn der Alltag das Jugendlichen von einer starken Depression und dem Gefühl, dem Leben nicht mehr gewachsen zu sein, überschattet ist, stellt Selbstmord den Versuch dar, vor einer vermeintlich aussichtslosen Situation davonzulaufen und erscheint oft als einziger Ausweg aus überwältigend erscheinenden Lebensproblemen. Ersatzhandlungen wie Alkohol, Drogen und - besonders bei Mädchen - selbst beigebrachte Schnittverletzungen sind Mittel zur Selbstzerstörung. Jungen sind in ihren Handlungen häufig noch drastischer und erhängen oder erschießen sich, springen vom Hochhaus oder vor einen Zug. Die hohe Suizidfrequenz bei Jugendlichen hängt auch damit zusammen, dass sie noch keine Erfahrungen über die Begrenztheit und Endlichkeit von zeitlich befristeten Stimmungstiefs sammeln konnten: Während ein Erwachsener aus Erfahrung weiß, dass ein Rückschlag im Leben nicht bedeutet, dass man alle Hoffnung verlieren muss, empfinden manche Halbwüchsige Enttäuschungen jedoch als schwere Fehlschläge und vorübergehende Schwierigkeiten als unüberwindliche Krisen.40
6.2 Physisch
Die typischen körperlichen Symptome einer depressiven Störung bei Kindern sind Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden, Schlafstörungen, Gewichtsveränderungen und vegetative Symptomatik. Bei Verdacht auf eine depressive Störung sollte eine körperlich-neurologische Routineuntersuchung unter besonderer Berücksichtigung somatischer Symptome einer depressiven Erkrankung durchgeführt werden, so dass mögliche organische Ursachen für die depressiven Symptome ausgeschlossen werden können. Das Vorliegen schwerer Infektionserkrankungen oder akuter hirnorganischer Störungen im Vorfeld der Depression sollte von ärztlicher Seite abgeklärt werden.41
6.3 Sozial
Im sozialen Umfeld fällt das depressive Kind durch plötzliche oder phasenweise Veränderungen seines Verhaltens auf, die sich durch Leistungsabfall, Rückzug aus Gruppenaktivitäten und agitiertem Verhalten bemerkbar machen. Schwierigkeiten in Familie und Schule sind bei Kindern mit depressiven Verstimmungszuständen vorprogrammiert, Integration in die Gruppe der Gleichaltrigen innerhalb und außerhalb der Schule ist gestört. „Eltern und Lehrer sind über die vermeintliche Bequemlichkeit und Nachlässigkeit, die Schwunglosigkeit und Interesselosigkeit der Kinder, über ihre fehlende Spontaneität, ihre unerklärliche Bedrücktheit und Gehemmtheit oder ihre Ausgelassenheit und Frechheit besorgt und verärgert.“42
Depressive Kinder isolieren sich noch mehr von ihrem sozialen Umfeld als es depressive Erwachsenen tun, haben dabei große Schwierigkeiten, sich von ihrem Zuhause zu trennen und können ihre Niedergeschlagenheit in allen Situationen schlecht überspielen.
6.3.1 Schule und andere Leistungssituationen
Mit dem Eintritt ins Schulalter verändern sich die Quellen, aus denen sich das Selbstwertgefühl eines Kindes speist. „Ich bin das, was ich lerne und was ich kann!“ ist das Thema des 6.-12. Lebensjahres. Die typischen Ängste dieses Alters sind die Angst vor Versagen und die Angst, ein Außenseiter zu sein. In der Schule müssen sich die Kinder in die Gemeinschaft Gleichaltriger einordnen, sich den Vorstellungen und Anforderungen ihrer Lehrer anpassen und tägliche Pflichten verrichten; es findet eine Abgrenzung zu Kindergarten und kindlichem Spiel statt. Mit dem Eintritt in die schulische Hierarchie stehen die Kinder zum ersten Mal unter Erwartungsdruck, was zu psychischen Störanfälligkeiten führt; Störungen der seelischen Entwicklung werden in der Schule am ehesten erkannt. Wenn Eltern aus Unwissenheit unzulänglichen Leistungen mit Liebesentzug und anderen Strafen entgegenzutreten versuchen, so schwächen sie das Selbstwertgefühl des Kindes zusätzlich und schaffen zusammen mit anderen Spannungs- und Belastungsfaktoren eine emotionale Stress-Situation. Wird der Beginn der Schulzeit so erlebt, so hat dies Schul- und Erziehungsschwierigkeiten zur Folge, die meist in Form von Schulverweigerung (Schulangst, Schulschwänzen, Schulphobie) auftreten. „Das Kind mit einer Schulangst meidet aus subjektiv verständlichen Gründen die Schulsituation: es fürchtet sich vor den Mitschülern oder den Lehrern. Das die Schule schwänzende Kind bejaht die Anwesenheit vom Unterricht nicht: es fürchtet sich vor dem ertappt werden und vor der Strafe. Das Kind mit einer Schulphobie versucht, die Eltern von der Unmöglichkeit eines Schulbesuchs zu überzeigen, um dadurch in Ruf- und Reichweite der Mutter bleiben zu können: die Furcht, die Gunst der Eltern dadurch vollends zu verlieren, kann sich zu Katastrophenreaktionen steigern ... Alle Kinder, die eine dieser Formen der Schulverweigerung aufweisen, zeigen häufig zeitlich befristete oder chronisch depressive Verstimmungszustände.“43Hinter der für dieses Alter so typischen Schulphobie versteckt sich ein Depressionssyndrom, welches verdeutlicht, dass das Kind sich noch immer mit dem Trennungsthema beschäftigt. Regelmäßig findet sich bei solchen Kindern die Konstellation, dass das Kind eine depressive, ängstliche oder körperlich kranke Mutter nicht glaubt verlassen zu dürfen.44
7. Therapie
„Depressive Kinder brauchen eine Kinderpsychotherapie, deren Elemente mal eher psychoanalytisch, mal verhaltenstherapeutisch oder körpertherapeutisch ausgerichtet sind. Erst über dieser Therapie können Eltern - die intensiv in die Behandlung und Beratung einbezogen werden - verstehen lernen, was in ihrem Kind vorgeht und was sie zu seiner Genesung beitragen können.“45
Die Behandlung kann in den meisten Fällen ambulant durchgeführt werden. Eine stationäre oder teilstationäre Therapie ist dann indiziert, wenn es sich um ein besonders schwer ausgeprägtes depressives Symptom handelt, das mit psychotischer Symptomatik, akuter Suizidalität oder umfassenden komorbiden Störungen einhergeht, wenn durch eine psychische Störung der Eltern die adäquate Versorgung des Kindes nicht mehr gewährleistet ist oder aber wenn die ambulante Therapie keine Erfolge verzeichnen konnte. Da eine kindliche Depression sich meist über einen längeren Zeitraum hinzieht, braucht auch die Behandlung einen angemessenen Zeitrahmen und da die Rückfallquote hoch ist, sollte auch nach Beendigung der Therapie der Kontakt zum Therapeuten beibehalten werden. Die Chance, dass es bei einer einzigen depressiven Episode bleibt, ist dann gegeben, wenn das Kind und die Eltern gelernt haben, auf welche frühen Anzeichen emotionaler Überforderung zu achten ist und gegebenenfalls sofort psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.46
7.1 Pharmakotherapie
Pharmakotherapie sollte bei depressiven Kindern und Jugendlichen nur einen Teil des therapeutischen Gesamtplanes ausmachen und erst nach eingehender kinder- und jugendpsychiatrischer Diagnostik und Erhebung des somatischen Status erfolgen. Patienten und Eltern müssen über unerwünschte Nebenwirkungen aufgeklärt werden, die Dosierung sollte niedrig einsetzen und langsam gesteigert werden, wobei beim Einsatz von Tranquilizern größte Zurückhaltung angebracht ist. Die Medikation sollte zeitlich begrenzt sein, aber dennoch ausreichend lange verabreicht werden. Die Behandlung mit Psychopharmaka ist besonders bei schwer ausgeprägten Formen der depressiven Störung und bei akuter Suizidalität zu empfehlen.
Am Anfang der Entwicklung der Psychopharmaka wurden Kinder, bei denen man eine Depression vermutete, meist mit trizyklischen Antidepressiva und Monoaminooxidase- Hemmern behandelt. Später unterschied man zwischen angstgefärbter, phobisch gefärbter, zwanghafter und psychotischer Depression, von denen jede Form mit anderen antidepressiv wirkenden Substanzen behandelt wurde: so behandelte man ängstlich gefärbte Depressionen mit Trizyklika oder MAO-Hemmern, phobische Depressionen mit Amitryptilin oder Maprotilin, und bei zwanghaften und psychotischen Depressionen wurde vorwiegend Clomipramin verabreicht. Bis heute konnte man auf dem Gebiet der Psychopharmaka mehr Erfahrungen sammeln und verfügt über vergleichbare Diagnosekriterien, operationale Beschreibungen depressiver Zustände und objektive Bewertungen medikamentöser Wirkungen bei Kindern. In einer von Petti und Connors durchgeführten Untersuchung wurden Kinder im Alter von 3-13 Jahren mit mittelschwerer bis schwerer Depression über ein bis zwei Wochen mit dem Antidepressivum Imipramin behandelt, wobei die Dosis langsam gesteigert wurde. „Signifikante Besserungen ergaben sich in den folgenden Bereichen: Leistungsschwächen, Anpassungsstörungen, Teilnahmslosigkeit und Niedergeschlagenheit, Wahrnehmungsstörungen. Es fielen deutliche interindividuelle Unterschiede auf. Einige Kinder, vor allem Mädchen, waren besser in der Lage, über Gefühle zu sprechen, die sie vorher nicht äußern konnten oder nicht wahrgenommen hatten. Es war dieser Behandlungseffekt des Zugänglichmachens von Gefühlen, der von Therapeuten und Kind als besonders wichtig herausgestellt wurde, weil er die Arbeit miteinander wie die Arbeit in der Familie wesentlich erleichterte.“47Mit der pharmakologische Behandlung von Depression bei Kindern beabsichtigt man also keinesfalls Dämpfung und Betäubung, sondern versucht, depressiv blockierte oder gehemmte Affekte zu mobilisieren, um einen Zugang zur therapeutischen Interaktion zu eröffnen und die Voraussetzungen für eine umfassende Psychotherapie zu sichern.48
7.2 Verhaltenstherapeutischer Ansatz
Nur unter der Voraussetzung einer individuumszentrierten Verhaltens- und Problemanalyse, d. h. unter besonderer Berücksichtigung derjenigen Verhaltensprobleme, welche die depressiven Störungen auslösen oder durch die Depression verstärkt werden, kann eine verhaltenstherapeutische Intervention erfolgen. Die Pharmakotherapie steht häufig am Beginn einer ambulanten Behandlung, die dann mittels Verhaltenstherapie fortgesetzt oder ergänzt werden kann. Mit Hilfe der Verhaltenstherapie kann das depressive Kind verschiedene Techniken lernen, die ihm helfen, die Depression zu überwinden. Zu diesen Techniken gehören Aktivierungsaufgaben, Selbstsicherheitstraining und Schulung der sozialen Kompetenzen, wodurch das Kind sein alltägliches Leben besser bewältigen kann und depressionsfördernde Verhaltensweisen abbaut. Die Anwendung der operanten verhaltenstherapeutischen Methode legt besonderen Wert auf die Veränderung der sozialen Umgebung des Patienten - allem voran seine Familie. „Ziel eines operanten Ansatzes ist es, die Auftretenswahrscheinlichkeit von Aktivitäten zu erhöhen, die zu einer Stimmungsaufhellung führen und die Befindlichkeit positiv beeinflussen können. Hierzu werden kleinste Schritte in Richtung dieser Aktivitäten belohnt, was eine enge Einbeziehung der Bezugspersonen bedingt.“49
7.3 Spieltherapie
Da Kinder gewöhnlich nicht über die verbalen Fähigkeiten verfügen, wie sie für eine psychoanalytische Therapie notwendig sind, ist die klientenzentrierte Spieltherapie eine effektive Behandlungsmethode, um Zugang zum Unbewussten eines Kindes zu finden. Der Therapeut bedient sich „symbolischer“ Mittel wie Puppen, Spiel- und Malsachen, um mit den Kindern zu „reden“ und herauszufinden, was sie beschäftigt, denn man vermutet, dass das Kind beim Spiel diejenigen Gefühle ausdrückt, die es gegenüber Problemen in seiner Umwelt hegt, und dass es mit Hilfe der Spielzeuge innere Spannungen und Sorgen nach außen kehren kann. Dabei gehen die Therapeuten davon aus, dass das Zeichnen und Geschichtenerzählen geeignet ist, sowohl dem Kind zu helfen, Schwierigkeiten auszudrücken, als auch ihm neue Bewältigungsstrategien zu vermitteln. Besonders viele Erfolge konnte die Spieltherapie in Verbindung mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen verbuchen: Durch Spiel im geschützten Raum kann das depressive Kind sein Selbstwertgefühl stärken und neue Verhaltensmöglichkeiten erproben. Da das Kind reale Erlebnisse im Spiel wiederholt, lernt es, Konflikte zu verarbeiten und seine sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern. Über das Spiel gelingt es dem Therapeuten leichter, eine Beziehung zu depressiven Kindern herzustellen und ihr Vertrauen zu gewinnen, um zu erfahren, welche Probleme sie belasten.50
7.4 Kognitive Therapie
Die Kognitive Therapie basiert auf der Annahme, Gefühle und Verhaltensweisen des Menschen seinen durch seine Einstellung zur Welt bedingt. Die Behandlungsform der kognitiven Therapie soll dem depressiven Patienten helfen, sich seiner negativen Gedanken bewusst zu werden und diese abzubauen. So werden im Zuge der kognitiven Umstrukturierung nach Beck und Ellis im Dialog mit dem Kind oder Jugendlichen verzerrte kognitive Muster aufgezeigt und neue kognitive Schemata ermöglicht. Die sprachliche Orientierung dieser Therapiemethode macht sie im Jugendalter gut anwendbar, aber neue Untersuchungen konnten ihre Wirksamkeit auch im Kindesalter belegen.51
7.5 Familientherapie
Die Familientherapie ist eine Form der Gruppentherapie, in der nicht nur dem kranken Kind, sondern allen Familienmitgliedern geholfen wird, die Interaktionsmuster der Familie zu ändern und so einen besseren Umgang miteinander zu erreichen. Man nimmt an, dass die Ursache des kindlichen Problems und der Grund für dessen Aufrechterhaltung in gestörten Familienbeziehungen zu suchen ist und auch nur in Zusammenarbeit mit den Familienmitgliedern gelöst werden kann. Die Bezugspersonen des Jugendlichen, in der Regel die Eltern, sollten nicht nur deswegen in die Therapie mit einbezogen werden, weil sie detaillierte Angaben zur Anamnese machen können, sondern weil der Lösungsprozess des noch stark abhängigen Jugendlichen nur gelingen kann, wenn die Personen, von denen die Lösung geschieht, zur Verfügung stehen. In einem bifokalen Vorgehen werden zunächst Eltern und Kinder getrennt voneinander behandelt, damit die Therapie nicht durch Streitigkeiten gestört wird und finden dann in abschließenden Sitzungen wieder zusammen. Die Therapie untersucht die Wertvorstellungen in der Familie, die Kommunikationsmethoden und Bündnisse innerhalb der Familie, Geschlechterrollen und Rollen der Angehörigen und die ihnen entgegengebrachten Erwartungen.52
8. Schluss
Unter einer schweren Depression leidet heute jedes hundertste Kind unter sechs Jahren, jedes fünfzigste Schulkind, jeder sechste Jugendliche und jeder fünfte Erwachsene; die Gruppe der Betroffenen wird von Jahr zu Jahr größer. Depressionen bei Kindern und Jugendlichen sind keine kurzen Phasen von Verstimmung und Niedergeschlagenheit, sondern ernste Erkrankungen, die länger als ein halbes Jahr andauern, beim Verlauf einer depressiven Entwicklung sogar mindestens drei Jahre. Findet keine Behandlung statt, so wiederholen sich zwei Drittel aller Kinderdepressionen in einem Fünf-Jahres-Abschnitt, und viele der Betroffenen leiden auch im Erwachsenenalter an depressiven Verstimmungen. Da es nur wenige Längsschnittuntersuchungen von Kindern mit Affektiven Störungen gibt, kann man nicht mit Gewissheit sagen, welche Behandlungsformen am Effektivsten sind; jedoch verfügt man heute über einige Erfahrungen darüber, wie man depressive Kinder verstehen kann und wie man ihnen helfen kann, damit sich ihr verworrenes Knäuel aus Gefühlen, Gedanken und Verhalten möglichst schnell wieder auflöst.
Literaturverzeichnis
1. Davison, G. C.; Neale, J. M.: Klinische Psychologie, 5. Aufl., Beltz, Weinheim 1989
2. Friese, H.-J.; Trott, G.-E. (Hrsg.): Depression in Kindheit und Jugend, Verlag Hans Huber, Bern 1988
3. Hell, D.: Welchen Sinn macht Depression?, Rowohlt, Reinbek1992
4. Largo, R. H.: Kinderjahre, 4. Aufl., Piper, München 1999
5. Nissen, G. (Hrsg.): Depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter, Springer, Heidelberg 1971
6. Nissen, G. (Hrsg.): Psychiatrie des Pubertätsalters, Verlag Hans Huber, Bern 1985
7. Nissen, G. (Hrsg.): Endogene Psychosyndrome und ihre Therapie im Kindes- und Jugendalter, Verlag Hans Huber, Bern 1992
8. Rabenschlag, U.: Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, Herder, Freiburg i. Br. 2000
9. Rossmann, P.: Depressionsdiagnostik im Kindesalter, Verlag Hans Huber, Bern 1991
10. Söldner, M.: Depression aus der Kindheit, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1994
[...]
1Vgl. zu diesem Absatz Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 40 ff.; www.3sat.de/3sat.php?a=1&url=http://www.3sat.de/nano/bstuecke/25377/; www.depression.ch/spezformen/kind_d.html.
2Vgl. zu diesem Absatz Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 252-253; Söldner, Depression aus der Kindheit,
S. 25-27.
3Vgl. Friese/Trott, Depression in Kindheit und Jugend, S. 51.
4 Vgl. Nissen, Depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter, S. 50 ff. 3
5Vgl. zu diesem Absatz Friese/Trott, Depression in Kindheit und Jugend, S. 22 ff.
6Ebd., S. 36.
7Friese/Trott, Depression in Kindheit und Jugend, S. 34.
8Vgl. Nissen, Depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter, S. 18; Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 60.
9 Vgl. Rabenschlag, a.a.O., S. 48-49; Nissen, a.a.O., S. 45-46. 5
10Friese/Trott, Depression in Kindheit und Jugend, S. 35.
11 Vgl. zu diesem Absatz Nissen, Depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter, S. 54 ff. 6
12Vgl. Rossmann, Depressionsdiagnostik im Kindesalter, S. 59-120.
13Friese/Trott, Depression in Kindheit und Jugend, S. 53.
14 Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 97. 7
15Vgl. zu diesem Absatz Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 98 ff.; Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 513-516.
16Vgl. Rabenschlag, a.a.O., S. 159.
17Largo, Kinderjahre, S. 109.
18Vgl. zu diesem Absatz Hell, Welchen Sinn macht Depression, S. 189 ff; Largo, Kinderjahre, S. 95-166.
19Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 50.
20Largo, a.a.O., S. 95.
21Vgl. zu diesem Abschnitt Hell, Welchen Sinn macht Depression, S. 189 ff.; Nissen, Depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter, S. 6; Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 516; Largo, Kinderjahre, S. 95 ff; Söldner, Depression aus der Kindheit, S. 22 ff.
22Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 152
23Vgl. Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 152 ff.
24Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 270.
25Vgl. Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 270 ff.; Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können,
S. 109-110
26Vgl. Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 110-113; Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 271-273.
27Ebd., S. 257.
28Davison/Neale, a.a.O., S. 258.
29Vgl. ebd., S. 258; Rabenschlag, a.a.O., S. 114-117.
30Nissen, Depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter, S. 6.
31Vgl. Söldner, Depression aus der Kindheit, S. 22 ff.; Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können,
S. 115; Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 257-259.
32Davison/Neale, a.a.O., S. 259.
33Vgl. Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 117-119.
34Vgl. ebd., S. 119-120.
35Vgl. Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 263.
36Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 59
37Vgl. Rabenschlag, a.a.O., S. 156 ff.; Friese/Trott, Depression in Kindheit und Jugend, S. 33; www.medizininfo.de/kopfundseele/depression/deprecstacy.htm.
38Vgl. Nissen, Endogene Psychosyndrome und ihr Therapie im Kindes- und Jugendalter, S. 59-60.
39Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 516.
40Vgl. www.3sat.de/3sat.php?a=1&url=http://www.3sat.de/nano/bstuecke/25377/; Nissen, a.a.O., S.59.
41Vgl. Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 170.
42Nissen, Endogene Psychosyndrome und ihre Therapie im Kindes- und Jugendalter, S. 59.
43Nissen, Depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter, S. 16.
44Vgl. Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 54; Nissen, a.a.O., S. 12 ff.
45Vgl. Rabenschlag, a.a.O., S. 55.
46Vgl. www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/11/kjpp-005.htm; Rabenschlag, Wenn Kinder nicht mehr froh sein können, S. 56.
47Friese/Trott, Depression in Kindheit und Jugend, S. 121.
48Vgl. Ebd., S. 120 ff.
49 Vgl. www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/11/kjpp-005.htm 21
50Vgl. Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 514-515
51Vgl. Davison/Neale, a.a.O., S. 516-517.
52 Vgl. Nissen, Psychiatrie des Pubertätsalters, S. 143-145; Davison/Neale, Klinische Psychologie, S. 515 ff. 23
- Quote paper
- Charlotte Jung (Author), 2002, Depression bei Kindern und Jugendlichen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106766
-
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