Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Prinzipien
2.1 Lerngruppe
2.2 Interaktion
2.3 Organisation
3. Theorien
3.1 Rollentheoretischer Ansatz
3.2 Neo-Piaget'sche Perspektive
3.3 Neo-Vygotsky'sche Perspektive
4. Formen
4.1 Gruppen-Rallye (STAD)
4.2 Gruppenpuzzle (Jigsaw)
4.3 Mini-Quiz
4.4 Gruppenturnier
4.5 Skript-Kooperation
4.6 Reziprokes Lehren
4.7 Gruppenrecherche
5. Wirkungen
5.1 Lehr-Erwartung
5.2 Geben von Erklärungen
5.3 Reagieren auf Rückfragen
6. Zusamme nfassung
Literaturliste
1. Einleitung
In traditionellen Lehr-Lern-Arrangements ist eine Rollenverteilung gegeben, bei der der Lehrer agiert, während die Schüler die passive Beobachterrolle innehaben und den Bemühungen des Lehrers, den Lernstoff zu vermitteln, mehr oder weniger Aufmerksamkeit schenken. Kritiker traditioneller Lehrmethoden vertreten die Meinung, dass diese zu lediglich oberflächlichem Verständnis führen, das schnell wieder vergessen wird und dass es wünschenswert wäre, den Lernenden selbst das aktive Konstruieren von Wissen zu überlassen und nicht dem Lehrer diese Rolle zuzuteilen, der das Wissen bereits beherrscht. Kooperative Lehrmethoden verwirklichen diesen Wunsch und wirken sich nicht nur förderlich auf die Lernaktivität aus, sondern begünstigen auch den Willen und die Fähigkeit zur konstruktiven Zusammenarbeit sowie die Lernmotivation auf Seiten der Schüler, so Verfechter dieser Arbeitsweise.
Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass Kinder in Gruppen sich weiter entwickeln und fortschrittlicher verhalten, dass Interaktion mit Gleichaltrigen das sozia-willentliche Lernen verbessert und die Egozentrik des Kindes beseitigt. Die Verbesserung der sozialen Interaktionsmuster wird als wesentliches Ziel kooperativen Lernens angesehen.
Kooperatives Lernen wird im Alltag oft synonym mit anderen Formen geistigen Austauschs wie Kollektiv- oder Gruppenarbeit verwendet, meint jedoch eine umfassende Lernleistung mit dem Ziel der Informationsverarbe itung von kognitiv-intellektuellen Aufgaben, gelenkt durch die gemeinsame Zielsetzung der Individuen: Unter kooperativem Lernen versteht man die kollektive, zielorientierte Verarbeitung oder Aneignung von Erfahrungen und Informationen durch mehrere Einzelpersonen, die sich wechselseitig Hilfestellung geben.
Verschiedene Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Einstellungen arbeiten auf ein gemeinsames Lernziel hin, sie vereinen ihre Kräfte und helfen einander; Schüler übernehmen vorübergehend die Le hrer-Rolle für ihre Mitschüler, indem sie Diskussionen leiten oder sich in Teilgebieten eines Stoffes kundig machen. Kooperative Anreizstrukturen stehen im Gegensatz zu kompetitivem oder individualistischem Lernen und unterstreichen die individuelle Verantwortung: die Schüler arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander und sind jeder für sich für den Gruppenerfolg verantwortlich: das Team erzielt nur dann Anerkennung, wenn jedes Mitglied die Aufgabe selbständig lösen kann. Unter solchen Umständen findet man eine Steigerung der Gesamtleistung, die die Summe der Einzelleistungen meist überschreitet.
Kooperatives Lernen kann in Gruppen verschiedener Formen und Größen erfolgen. Während beim Frontalunterricht lediglich eine Interaktion zwischen Lehrer und Schüler stattfindet, wenden sich die Schüler in kooperativen Lernarrangements einander zu. Je kleiner eine Klasse ist, desto eher ist Kooperation möglich; ab einer Größe von 25 Schülern drohen Anonymität und Entpersönlichung. Schulklassen können anhand ihrer Struktur in Kleingruppen von bis zu fünf Personen unterteilt werden, so dass jeder Teilnehmer einbezogen wird und kein Einzelgängertum möglich ist. Scheu kann leichter überwunden werden, da das gemeinsame Lernziel ein Gefühl von Bindung und Zusammengehörigkeit schafft.
2. Prinzipien
Kooperatives Lernen lässt sich nur dann erfolgreich realisieren, wenn nach bestimmten Prinzipien unterrichtet wird. Werden diese Regeln befolgt, so lassen sich kooperative Lernprozesse nach einiger Übung von Lehrer und Schülern auch an solchen Schulen in die Tat umsetzen, die bislang keine oder negative Erfahrungen mit dieser Form des Unterrichts gemacht haben. Es gibt bewährte Grundsätze und Vorschläge zur Einrichtung der kooperativen Lerngruppe, zur Strukturierung der Interaktion innerhalb der Kleingruppen und zur Organisation des Lernprozesses.
2.1 Lerngruppe
Damit Schüler von kooperativen Lernformen profitieren können, ist es wichtig, die Klasse in Kleingruppen von vier bis sechs Schülern aufzuteilen. In dieser Größe sind die Gruppen klein genug, dass alle Mitglieder sich an der Aufgabe beteiligen können und bereits groß genug, um Diskussionen und Denkprozesse anzuregen, die allgemeines kooperatives Verhalten und Interaktionen fördern können. Um erfolgreiche Zusammenarbeit zu ermöglichen, sollten die Gruppen hinsichtlich Intelligenz, Arbeitswilligkeit und sozialer Verträglichkeit der Schüler heterogen sein; so können sich die unterschiedlichen Begabungsrichtungen und Grade optimal ergänzen.
In der Gruppe sollten kooperative Arbeitstechniken und -strategien entwickelt werden, so z. B. Bewertung eigener und fremder Beiträge, Zuhören und Antworten auf Beiträge und Respektierung der unterschiedlichen Wesensart der Mitglieder. Kritische Kontrolle der Denkresultate muss geübt werden, Schüler sollten sich um Erklärungen und Begründungen ihrer Ansichten bemühen. Spott und autoritäres Gehabe sind bei Gruppenarbeit unerwünscht.
Abgesehen von reinen Wissenszuwachs bietet die Arbeit in Kleingruppen den Schülern die Möglichkeit, Vorurte ile gegenüber anderen abzubauen, die Klassenkameraden besser kennen zu lernen und ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Auch schwächere Schüler profitieren von Gruppenarbeit, da sie die anderen beim Argumentationsprozess beobachten können, ihnen zuhören oder sich doch selbst beteiligen können - etwa bei der Suche nach dem Hauptgedanken in einem Textabschnitt -, womit ihnen das Verständnis erleichtert wird (Modelllernen).
2.2 Interaktion
Interaktion zwischen Schülern ist nur dann sinnvoll, wenn sie bei ,,echten" Gruppenaufgaben zusammen arbeiten, d. h. bei Aufgaben, die unterschiedliche Ressourcen der verschiedenen Gruppemitglieder fordern. Einer kann sein theoretisches Wissen in die Aufgabe einbringen, der nächste seine praktischen Fertigkeiten, der dritte die Materialien usw., und so trägt jeder zur Bewältigung der Gruppenaufgabe bei. Befolgt der Lehrer dieses Prinzip, indem er solche Aufgaben einsetzt, so schafft er reziproke Interdependenz in der Gruppe:
der Erfolg und spätere Lohn jedes einzelnen Schülers hängt von den Beiträgen der anderen Gruppenmitglieder ab, da die Gruppe das Ziel nur erreichen kann, wenn jeder seine Leistung einbringt (,, Ressourcen-Interdependenz").
Dies wird besonders deutlich bei schlecht strukturierten, nicht-routinisierbaren und entdeckungsorientierten Aufgaben, da Problemstellungen dieser Art ohne Zusammenarbeit nicht gelöst werden können. Wenn der Lehrer die Gruppe nur für ihre Gesamtleistung belohnt und individuellen Leistungen kein Gewicht beimisst, entsteht Belohnungs-Interdependenz, denn ein Schüler allein wird für seine guten Leistungen nur dann auch prämiert, wenn die übrigen Mitglieder seiner Gruppe auch gute Leistungen bringen und somit den Gruppenpunktwert erhöhen.
Belohnungs-Interdependenz motiviert die Schüler, ihren Kameraden die Antworten nicht einfach vorzugeben (was als kontraproduktiv erkannt wird), sondern ihnen zu helfen, sie zu ermutigen und ihnen Erklärungen zu geben, damit die Gruppe bei der anschließenden individuellen Leistungsmessung gut abschneiden kann. Auf diese Weise wird verhindert, dass ,,Trittbrettfahrer" sich auf die Antworten der anderen verlassen und selbst nichts zur Problemlösung beisteuern.
Die Bedeutung jedes einzelnen Beitrags für das Erreichen des Gruppenziels und der Belohnung bewirkt ein individuelles Verantwortungsgefühl; die Schüler sind sich bewusst, dass sie wichtige Ressourcen beisteuern, auf die ihre Gruppe zur Lösung des Problems angewiesen ist und dass sie daher für den Erfolg oder Misserfolg der Gruppe direkt verantwortlich sind.
2.3 Organisation
Der Lehrer hat die Aufgabe, während des kooperativen Lernprozesses die Einhaltung der Spielregeln zu überwachen, ohne dabei autoritär zu wirken. Er delegiert seine Autorität an die Gruppe und ist lediglich für die Auswahl von geeigneten Gruppenaufgaben verantwortlich. Spielregeln, an denen sich kooperierende Schüler orientieren, sind Einhaltung von Arbeits- und Umgangsnormen und selbständiges, unabhängiges Problemlösen, ohne sich unkritisch auf die Beiträge andere zu verlassen. Kommunikationsregeln (ausreden lassen, ansehen, nicht auslachen, bei der Sache bleiben etc.) steuern das verbale Verhalten der Schüler; explizite Rollenverteilung an einzelne Teilnehmer (z. B. Gesprächsführer) und Lehren von Diskussionsstrategien sind Maßnahmen, die zum sinnvollen Ablaufen von Meinungsaustausch beitragen.
Um seine Modellfunktion zu erfüllen, ist es wichtig, dass der Lehrer sich selbst kooperativ verhält. Er gibt konkrete Anweisungen, vermittelt Grundsätze kooperativen Arbeitens und gibt da Hilfestellung, wo die praktische Umsetzung noch nicht funktioniert. Er gibt Feedback, lobt und kritisiert, ermutigt und verstärkt und bremst da, wo es nötig ist.
Um Statusunterschiede (z. B. sozioökonomischen Status, Geschlecht, Vorwissen) in der Gruppe auszugleichen und um zu verhindern, dass einige weniger von der Gruppenarbeit profitieren als andere, ist es Aufgabe des Lehrers, die Schüler erleben zu lassen, dass viele unterschiedliche Fähigkeiten zur Problemlösung notwendig sind und dass niemand in allen Bereichen kompetent ist. In der Praxis werden wenig Interaktionsunterschiede zwischen Schülern mit hohem und niedrigem Status beobachtet.
3. Theorien
Der Rollentheoretische Ansatz, der Neo-Piaget'sche und der Neo-Vygotsky'sche Ansatz sind drei Theorien, die in der Literatur im Zusammenhang mit Lernen durch Lehren einen bedeutsamen Stellenwert einnehmen. Diese drei theoretischen Perspektiven können Effekte zwar erklären und vorhersagen, weisen jedoch ein globales Spezifizierungsniveau auf und machen keine Aussagen zu spezifischen kognitiven Prozessen.
3.1 Rollentheoretische Perspektive
Unter Rolle versteht man einen Satz sozial definierter Erwartungen, der an den Inhaber einer Position gestellt wird; die Übernahme einer neuen Rolle geht mit Verhaltensänderungen einher. Rollentheoretiker vermuten, dass Schüler durch Einnahme der Tutor- oder Lehrerrolle in einer Kleingruppe ihr Verhalten so ändern, dass es den Erwartungen entspricht, die an eine solche Rolle gestellt werden. Aus diesem Grund identifizieren sich die Schüler mehr mit der Schule, interessieren sich stärker für ihren Lehrstoff und geben sich Mühe, ihren Mitschülern das Thema auf eine verständliche Weise zu präsentieren. Schlüpft ein Schüler in die Rolle des Lehrers, so erhöht sich seine intrinsische Lernmotivation und damit seine Lernbereitschaft; sein Selbstkonzept wird gestärkt, und prosoziales Verhalten kann gehäuft beobachtet werden.
3.2 Neo-Piaget'sche Perspektive
Als Vertreter der Neo-Piaget'schen oder sozio-konstruktivistischen Perspektive nehmen Doise und Mugny an, dass die Effektivität kooperativer Lehrmethoden auf sozio-kulturelle Konflikte zurückzuführen ist. Diese treten auf, wenn in einer Problemsituation verschiedene kognitive Herangehensweisen zum Ausdruck kommen; sie entstehen meist, wenn durch Interaktion intellektuell gleichrangiger Altersgenossen unterschiedliche Gedanken, Theorien und Meinungen zusammenkommen und dennoch Einverständnis erzielt werden soll. Sozio- kognitive Konflikte machen den Lernenden darauf aufmerksam, dass es noch andere Lösungen gibt als die eigene und dass die eigene falsch sein kann. Der Schüler wird zu intellektueller Aktivität angeregt; er diskutiert mit anderen und kann so lernen, neue kognitive Strukturen zu elaborieren und seine eigene Sichtweise zu überdenken.
Sozio-kognitive Konflikte haben besonders dann positive Effekte, wenn sie durch Elaboration der Lösungswege aufgelöst werden können und höherentwickelte Problemlösestrategien daraus resultieren. Entsprechende kognitive Voraussetzungen müssen hierbei gegeben sein.
3.3 Neo-Vygotsky'sche Perspektive
Verfechter der Neo-Vygotsky'schen (oder auch sozio-kulturellen) Perspektive erklären den Lernzuwachs bei kooperativen Lehrmethoden dadurch, dass die Lernenden die Problemlöseprozesse auf der sozialen Ebene internalisieren und so ein Niveau erreichen, welches den aktuellen Entwicklungsstand etwas übersteigt. Während sozio- konstruktivistische Theoretiker die Gleichrangigkeit der Partner betonen, trägt hier vor allem die Interaktion der Lernenden mit kompetenteren Partnern zu Lernfortschritten bei. Im optimalen Falle sollen sich Internalisierung und Externalisierung ergänzen. Bei der Externalisation überführt der Schüler einen simultan gespeicherten Sachverhalt ins Sprechen, in eine sukzessive Anordnung. Durch diese Umstrukturierung entstehen neue gedankliche Verknüpfungen, während Verbalisierungen die eigenen Gedanken und Vorstellungen klarer und zugänglicher machen.
4. Formen
Kooperative Lehrmethoden nehmen in der praktischen Anwendung vielfältige Gestalt an. Bei allen Varianten müssen die Teilnehmer die motivationalen, kognitiven und organisatorischen Voraussetzungen erfüllen, um Kooperation möglich zu machen: Auf motivationaler Ebene wird Bereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit vorausgesetzt, was bei Kindern ab dem siebten Lebensjahr gegeben sein dürfte. Im kognitiven Bereich ist es wichtig, dass gefundene Lösungswege allen Gruppenmitgliedern zugänglich gemacht werden und sich unterschiedliche Begabungsrichtungen und -grade innerhalb der Gruppe optimal ergänzen, so dass das Fehlerausgleichsprinzip wirken kann:
Grenzen und Schwächen einzelner Mitglieder werden durch die Gruppe ausgeglichen, extreme Beurteilungen werden durch den Gruppenkonsensus beruhigt. Als organisatorische Voraussetzung sollte die Überwachung durch den Lehrer gegeben sein, der für die Einhaltung von Gruppenregeln sorgt und eine lebendige geistige Auseinandersetzung am Leben hält. Schüler lernen kooperatives Verhalten am Besten durch eine Kombination der drei Faktoren Modelllernen (Vorbildmodell des Lehrers oder einer Modellgruppe), Einsichtiges Lernen (durch Entwicklung von Kommunikations- und Interaktionsregeln lernen, wann und warum kooperatives Verhalten angebracht ist) und Lernen am Erfolg (Individuelle Verstärkung zur Förderung kooperativen und Reduktion störenden Verhaltens). Einige spezielle Formen kooperativen Lernens werden im Folgenden erläutert.
4.1 Gruppen-Rallye / STAD (Slavin 1994)
Die Technik der Gruppen-Rallye, oder auch Student-Team-Achievement-Divisions besteht aus drei Unterrichtseinheiten: Nach einer Einführung in die Technik durch den Lehrer bearbeiten die Schüler in Gruppen von vier bis fünf Personen mit unterschiedlichem Leistungsniveau Arbeitsblätter, die Einübung und Sicherung der Lerninhalte gewährleisten sollen. Die anschließende individuelle Prüfung ergibt einen Gesamtpunktwert für jede Gruppe, anhand dessen die Gruppe Anerkennung in Form von öffentlichem Lob oder Zertifikaten erhält und woraus die individuelle Verantwortlichkeit der Teilnehmer resultiert.
Die Leistungen der Schüler werden mit ihren früheren Durchschnittswerten verglichen, die erreichte Punktzahl besteht in der Differenz aus früheren und aktuellen Leistungswerten. Dadurch, dass die Leistung jeden Schülers in die Bewertung seiner Gruppe mit einfließt wird wechselseitige Abhängigkeit geschaffen, d. h. der Lernerfolg der Gruppe hängt direkt vom Beitrag jeden einzelnen Gruppenmitglieds ab. Dies führt dazu, dass sich Schüler um die Lernfortschritte der anderen kümmern, ihnen Erklärungen und Hilfestellung geben und sich gegenseitig motivieren, um den Erfolg der Gruppe als Ganzes zu sichern und somit selbst erfolgreich zu sein.
4.2 Gruppenpuzzle / Jigsaw (Aronson et al., 1978)
Beim Gruppenpuzzle - im englischen Sprachraum ,,Jigsaw" genannt - arbeite n pro Kleingruppe sechs Mitglieder zusammen an Material (z. B. einer Biographie), dass in sechs Teile aufgegliedert wurde. Jede Gruppe bearbeitet das gleiche Material. Alle Schüler lesen sorgfältig ihre jeweiligen Teilinformationen und treffen sich dann mit denjenigen Mitgliedern der andern Gruppen, die die entsprechenden Teilthemen bearbeiten, in sogenannten Expertengruppen, um das Gelesene zu diskutieren und Verständnisfragen zu klären. Zurück in ihren Teams unterrichten die ,,Experten" die anderen Gruppenmitglieder über das, was sie gelesen haben.
Anschließend folgen individuelle Tests, aus denen Team-Scores berechnet werden und deren Ergebnis Grundlage für Gruppenbelohnungen sind. Um über die Teilthemen der anderen Gruppenmitglieder gut Bescheid zu wissen, ist es für die Schüler unbedingt notwendig, die anderen zu unterstützen und Interesse an Ihren Themengebieten zu zeigen, was wiederum wechselseitige Abhängigkeit schafft.
4.3 Mini-Quiz
In leistungsheterogenen Gruppen arbeiten fünf bis sechs Teilnehmer insgesamt sechs Stunden lang ohne Mitwirken des Lehrers zusammen und versuchen, ein vorgegebenes Leistungsniveau zu erreichen. Jeder Schüler lernt für sich alleine, die Gruppe wird jedoch anschließend auf Grundlage individueller Tests als Ganzes bewertet. Wie bei der Gruppenrallye besteht der Punktwert eines Schülers hier aus dem Lernzuwachs zwischen Vor- und Nachtest; auf diese Weise werden Schüler mit größerem Vorwissen nicht bevorzugt, sondern erreichen nur dann einen hohen Punktwert, wenn sie einen großen Leistungszuwachs zeigen.
Das Resultat des Vortests ist der Basis-Wert des Schülers und stellt die minimale Punktzahl im folgenden Test dar. Die Spielergebnisse jeder Gruppe werden am schwarzem Brett der Klasse notiert. Bei dieser Methode erfahren die Schüler Lernaktivität als soziales Ereignis und entwickeln einen Gemeinschaftsgeist, der sonst selten in Schulklassen zu finden ist und der sich besonders positiv auf abgelehnte Schüler auswirkt, die die Hilfsbereitschaft der anderen eher selten erfahren.
Die kooperative Lernform des Mini-Quiz eignet sich besonders gut zur Einführung neuen Lernstoffs ohne den Lehrer; um optimale Lernergebnisse zu erreichen, sollte sie mit anderen Methoden kombiniert werden.
4.4 Gruppenturnier ("Teams -Games-Tournaments")
Nachdem der Lehrer mit einer Klasse eine Woche lang den Stoff durchgenommen hat, findet zum Abschluss das Gruppenturnier statt. Hierbei wetteifern Schülern in leistungsheterogenen Gruppen mit je vier oder fünf Mitgliedern mit leistungsgleichen Schülern aus anderen Gruppen. Der Lehrer gruppiert die jeweils besten Schüler jeder Gruppe an einen Turniertisch, die Nächstbesten jeder Gruppe an den nächsten Turniertisch usw., so dass alle Schüler beim Wettbewerb faire Chancen haben.
Dieses Spiel kommt am Besten bei Test- und Wiederholungsphasen des Unterrichts zum Einsatz, um des Gelernte einzuprägen und eventuelle Wissenslücken aufzudecken.
4.5 Skript-Kooperation (O'Donnell & Dansereau, 1992)
Die Schüler lesen in Zweiergruppen einen Text. Einer der Schüler fasst den Text zusammen, während der andere korrigiert; danach prägen sich beide zusammen den Lernstoff ein. Beim folgenden Text werden die Rollen getauscht. Die Effektivität dieser Lernform ist empirisch nachgewiesen.
4.6 Reziprokes Lehren (Palincsar & Brown, 1984)
Reziprokes Lehren soll das Leseverständnis in der siebten und achten Klasse verbessern. Lehrer und Schüler aus Kleingruppen leiten gemeinsam eine Diskussion über einen gelesenen Textabschnitt; die Debatte läuft nach festgesetzten Regeln ab. Nachdem der Lehrer seine Modellfunktion erfüllt hat, kann er sich aus dem Meinungsaustausch zurückziehen und den Schülern Rückmeldung geben. Die Effektivität dieser Lehrmethode konnte ebenfalls empirisch nachgewiesen werden.
4.7 Gruppenrecherche
Gruppenrecherche, Group Investigation oder auch Kleingruppenprojekt nach Huber bezeichnet ein Verfahren, bei dem der Lehrer den Schülern ein Problem stellt, welches diese in Kleingruppen zu lösen versuchen. Jede Gruppe stellt ihre Ergebnisse schließlich der Klasse vor.
5. Wirkungen
Die Methode des kooperativen Lernens hat - wie die meisten anderen Lehrmethoden auch - in der Praxis sowohl Anhänger als auch Kritiker. Die Verfechter der Technik verweisen darauf, dass bei kooperativen Lernarrangements der Aufbau einer kognitiven Struktur besser gelingt und dass die Kooperationsfähigkeit der Schüler, genauer die Entwicklung kritisch- kooperativen Verhaltens und einer konstruktiven Zusammenarbeit geübt wird, was ein wesentliches Erziehungsziel darstellt.
Solitäres Lernen (isolie rte Einzelarbeit) und frontal gesteuertes Großgruppenlernen sind Beispiele für Lehrformen, die dem kooperativen Lernen gegenüber stehen und wenig Interaktionsmöglichkeiten bieten. Einwände gegen kooperative Lernformen führen an, dass solitäres Lernen effektiver sei und zu produktivem Denken anrege. Misserfolge der traditionellen Methoden seinen auf fehlende Sofortverstärkung, geringe Aktivierung und falsches Lerntempo zurückzuführen. Als Störfaktoren bei kooperativem Lernen werden die unterschiedlichen Arbe itsgewohnheiten und Interessen der Teilnehmer angeführt; durch Kommunikationsschwierigkeiten, die aus unterschiedlicher Aufgabenart und intellektueller Begabung resultierten, sei keine wechselseitige Verständigung möglich, so Kritiker.
Durch Interaktion überreiztes Lernklima hemme Konzentration und Koordination; einseitiges Engagement und verschiede Motivierungsgrade provozierten Spannungen unter den Teilnehmern. Diejenigen Schüler, die richtige Beiträge zur Lösung geben, seien einem starken Konformitätsdr uck ausgesetzt und mangelnde individuelle Verantwortlichkeit lasse das Konkurrenzprinzip über das Solidaritätsprinzip dominieren, wenden Verfechter der traditionellen Lernmethoden ein.
Bisherige Forschungsergebnisse zu kooperativen Lernformen nehmen den Kritikern den Wind aus den Segeln: In einer Studie zur Leistungsveränderung nach drei Wochen Bruchrechnen mit 371 Schülern der siebten Klasse konnte eine große Überlegenheit der kooperativ unterrichteten Schüler festgestellt werden; diese Schüler lernten mehr und konnten ihr Wissen über einen längeren Zeitraum abrufen. Es konnte eine signifikant höhere Aktivität der Lernenden, höhere Arbeitsintelligenz und Motivation festgestellt werden. Durch die empirische Untersuchung der drei Phasen kooperativen Lernens, nämlich der Vorbereitungsphase mit Lehr-Erwartung, der Erklärphase und der Phase der Rückfragen und neuerlichen Erklärungen die Effekte am Besten erklärbar sind.
5.1 Lehr-Erwartung
In der Erwartung, den Gruppenteilnehmern ein Teil des Lernstoffs aktiv zu präsentieren, setzen sich Schüler auf einem höheren geistigen Niveau mit dem Material auseinander. Wissen wird besser organisiert, nach Gemeinsamkeiten geordnet, die wichtigsten Aspekte werden herausgestellt. Dem Lernstoff wird ein Sinn, eine Anwendungsperspektive geboten und die intrinsische Lernmotivation der Schüler steigt. Lehr-Erwartung kann jedoch auch, so zeigt die Praxis, Angst auslösen und mit dem Lernen interferieren.
Bei Untersuchungen zur reinen Lehr -Erwartung, also ohne dass anschließend tatsächlich gelehrt wurde, fanden Bargh und Schul (1980) besser organisierte Wissensstrukturen bei den Teilnehmern; Benware und Deci (1984) konnten von höherer intrinsischer Motivation berichten, wohingegen Ross und Divesta (1976) keine Überlegenheit kooperativer Lehrmethoden, aber erhöhte Angst der Versuchspersonen messen konnten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Befundlage der empirischen Ergebnisse zur Lehr-Erwartung nicht eindeutig ist, zumal alle Untersuchungen Textlernen betrachten und aus diesem Grund nicht generalisierbar sind.
5.2 Geben von Erklärungen
Nach Webb (1989) löst das Geben von Erklärungen, wie es Gruppenarbeit verlangt, elaborative, metakognitive und verständnisüberwachende Prozesse aus. Der Grund dafür ist, dass Erklären nicht einfach Geben von Antworten bedeutet, sondern Elaborationen beinhaltet, die eine Reorganisation des Wissens und Klärung von Unklarheiten mit sich bringt. Durch Reflexion und Abstrahierung wird implizit Gewusstes bewusst - ein Vorgang, der für Transferleistungen wichtig ist. Der Generierungseffekt besagt, dass selbst generierte Informationen besser behalten werden als präsentierte Informationen.
In der Empirie werden meist positive Korrelationen zwischen dem Geben von Erklärungen und der Lernleistung gefunden, wobei die Lernleistung der Erklärenden von der Qualität ihrer Erklärungen abzuhängen scheint. Fertige Antworten haben einen weit weniger positiven Effekt auf die Leistung als selbst formulierte, ausführliche Erklärungen. Hier könnte der Zusammenhang allerdings auch gegensätzlich sein, also fähigere, schneller lernende Schüler könnten aufgrund ihrer größeren Auffassungsgabe bessere Erklärungen geben. Bei den empirischen Befunden zum Geben von Erklärungen in kooperativen Lernarrangements wurde wiederum nur Textlernen untersucht, weswegen die Ergebnisse nicht auf andere Medien übertragen werden können. Motivationale Auswirkungen und die Effekte von Angst und Stress auf die Lernleistung sind bislang noch unerforscht.
5.3 Reagieren auf Rückfragen
Rückfragen evozieren elaborierte Erklärungen und erfordern eine tiefe Informationsverarbeitung sowie nochmaliges gründliches Überdenken von Sachverhalten, was eine Erweiterung und Vernetzung des Wissens zur Folge hat. Erklärende können so auf Inkonsistenzen und Lücken in ihrem Wissen aufmerksam gemacht werden. Rückfragen können außerdem sozio-kognitive Konflikte verursachen, welche sich wiederum positiv auf die Lernleistung auswirken (s. o.).
King (1994) konnte in ihren empirischen Untersuchungen zu angeleitetem kooperativem Fragestellen erwartungskonforme Befunde berichten: Sie stellte eine Erhöhung der unmittelbaren Lernleistung und ein besseres mittelfristiges Behalten der Information fest.
Es zeigte sich, dass bereits das Formulieren von Fragen allein lernförderlich sein kann. Andere Forschungsergebnisse sind lückenhaft; motivationale Auswirkungen und spezifische Typen von Rückfragen wurden bisher kaum untersucht.
6. Zusammenfassung
Kleingruppenarbeit fördert Interaktion, Solidarität, Kontaktbereitschaft und Sozialaktivität der Teilnehmer. Kooperatives Lernen in der Schule scheint einen besseren Aufbau der kognitiven Struktur des Lernenden zu bewirken als andere Lernformen; daneben haben die Schüler Gelegenheit, ihre Kooperationsfähigkeit zu üben, kritisch-kooperative Verhaltensweisen zu entwickeln und konstruktive Zusammenarbeit zu lernen. Sie erleben wechselseitige Bezogenheit und beginnen, produktive Tätigkeit zu bejahen und das eigene Handels in ein Sozialganzes einzuordnen. Erzieherische Wirkungen, die über einen längeren Zeitraum bestehen sind die Einübung von guten Arbeits- und Umgangssitten, von Hilfsbereitschaft, Rücksicht und Akzeptanz des anderen in seinem Anderssein. Kooperative Arbeitsstile werden umso besser gelernt, je öfter und länger sie eingeübt werden, je sympathischer sich die Mitwirkenden sind, je mehr der Einzelne von sich selbst einbringen kann und je mehr Erfolgserlebnisse erfahren werden.
In der PISA-Studie, die im Jahr 2000 an deutschen Schulen durchgeführt wurde, erfasste man neben curricular definie rten Inhalten auch überfachliche Kompetenzen wie selbstreguliertes und kooperatives Lernen, Problemlösefähigkeiten und soziale Kompetenz, die demnach wichtige erziehungs- und schulgerechte Ziele darstellen. Bei der Analyse von Stellenanzeigen der Computerbranche findet sich Teamorientierung als die persönliche Qualifikation, die von zukünftigen Mitarbeitern am häufigsten erwartet wird, die aber eigentlich nur in kooperativen Gruppen zu erwerben ist!
Betrachtet man Lehrmethoden an deutschen Schulen in der heutigen Zeit, so kann man eine Diskrepanz zwischen pädagogischer Gegenwart und Wertschätzung feststellen. Kooperative Lehrmethoden haben seit 30 Jahren kaum mehr Verbreitung an deutschen Schulen erfahren; maximal 4 % aller Unterrichtsstunden bieten Gelegenheit zum Gruppenlernen und lediglich 7 % der Lehrer organisieren regelmäßig kooperative Lernarrangements. Bei der systematischen Beobachtung von 181 Unterrichtsstunden an 10 deutschen Schulen konnten die Untersucher feststellen, dass 77 % der Zeit mit Frontalunterricht verbracht wurde, 10 % mit Einzelunterricht und 7,4 % in Gruppen. 3 % der Unterrichtzeit verbrachten die Schüler in Interaktion mit einem Partner oder mit der ganzen Klasse.
Anhand dieser Ergebnisse möchte man sich wünschen, dass Lehrer in kooperativen Lehrmethoden besser ausgebildet werden und diese häufiger einsetzen, so dass die Schüler die Möglichkeit haben, soziale Interaktionsmuster und ihr Verhalten in Zusammenarbeit mit anderen zu üben, auch wenn sie dabei nicht unbedingt einen größeren Zuwachs an Lehrplanwissen verzeichnen. Teilt man die zur Verfügung stehende Unterrichtszeit optimal auf, so kann man sowohl reines Faktenwissen vermitteln als auch den Schülern Gelegenheit bieten, die Lebendigkeit und spezielle Struktur von Gruppen zu erfahren und ihr eigenes Verhalten entsprechend weiterzuentwickeln; eine Fähigkeit, die mit Sicherheit nicht weniger wichtig ist als das Beherrschen trockenen Schulwissens. Die Funktion der Schule sollte es nicht sein, nur reines Faktenwissen zu vermitteln; Schule sollte auch in gewissem Umfang Erziehungsfunktion haben. Denn ist es nicht so: non scholae, sed vitae discimus - nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.
Literaturliste
1. Aronson, E. (1984): Förderung von Schulleistung, Selbstwert und prosozialem Verhalten: Die Jigsaw-Methode. In G. Huber et al. (Hrsg.), Kooperatives Lernen (S. 48-60), Weinheim: Beltz.
2. Cohen, E. G. (1993): Bedingungen für kooperative Kleingruppen. In G. Huber (Hrsg.), Neue Perspektiven der Kooperation (S. 45-54), Hohengehren: Schneider.
3. Horak, P. (1992): Kooperatives Lernen an der Hauptschule und Sonderschule für
Lernbehinderte. Universität Tübingen: Fakultät für Sozia- und Verhaltenswissenschaften.
4. Huber, G. (1984): Kooperation als Ziel des Lehrens und Lernens in der Schule. In G. Huber et al. (Hrsg.), Kooperatives Lernen (S. 15-27), Weinheim: Beltz.
5. Huber, G. (1993): Europäische Perspektiven des kooperativen Lernens. In G. Huber (Hrsg.), Neue Perspektiven der Kooperation (S. 244-260), Hohengehren: Schneider.
6. Renkl, A. (1997): Lernen durch Lehren: zentrale Wirkmechanismen beim kooperativen Lernen. Wiesbaden: Dt. Univ. Verlag.
7. Slavin, R. E. (1993): Kooperatives Lernen und Leistung: Eine empirisch fundierte Theorie. In G. Huber (Hrsg.), Neue Perspektiven der Kooperation (S.151-171), Hohengehren: Schneider.
8. Slavin, R. E. (1994a): A practical guide to cooperative learning. Boston: Allyn and Bacon.
9. Slavin, R. E. (1994b). Gruppen-Rallye: Lernen in Gruppen - Leistungsbewertung nach Vorkenntnisniveaus. In G. Huber et al. (Hrsg.), Kooperatives Lernen (S. 60-80), Weinheim: Beltz.
10. Wiesemann, J. (2000). Lernen als Alltagspraxis. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
- Citar trabajo
- Charlotte Jung (Autor), 2002, Prinzipien, Theorien, Formen und Wirkungen Kooperativen Lernens, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106681
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