Politiknetzwerke
1. Einleitung und Definition
Netzwerkansätze sind in der Politikwissenschaft relativ junge Analysemodelle zur Erforschung verschiedener Kooperationsformen in der "horizontalen Politikverflechtung" bzw. der "Mehrebenenverflechtung", wobei im Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses die Interaktionen individueller, aggregierter oder organisationaler Akteure stehen sowie die Frage, welchen Einfluß die Art und Weise der Interaktionen und Akteurskonstellationen auf das erzielte Ergebnis haben. Allerdings gibt es zum derzeitigen Stand unterschiedliche Ansichten darüber, ob bereits von ausgereiften politikwissenschaftlichen Konzepten und Theorien für die Politikproduktion in Politiknetzwerken1 gesprochen werden kann (D.Jansen u. K.Schubert gegen R.Mayntz und F.W.Scharpf). Es liegen jedoch verschiedene theoretische Ansätze vor, deren wichtigste die vorliegende Arbeit vorstellen soll. Zudem wird die Frage diskutiert, inwieweit die Politikfeldanalyse mit dem analytischen Werkzeug der Netzwerkforschung und Segmentierung der Politik in vielfältige "Sub-Politiken" dem gängigen Politikverständnis als "zusammenhängendem Ganzen" zuwider läuft.
Interessenvermittlungs- und Aushandlungsprozesse zwischen Staat und Interessengruppen werden heute zunehmend mit Netzwerkansätzen analysiert. Die Zunahme empirischer Detailstudien und der Wechsel der Analyseebene vom Gesamtstaat auf die Ebene konkreter Politikfelder hat auch dazu geführt, dass die politikwissenschaftliche Diskussion zwischen funktionalistisch interpretiertem Pluralismus und dem Neokorporatismus aufgeweicht wurde. Nach Renate Mayntz und Bernd Marin leistet der Netzwerkbegriff hierbei zweierlei: Er erfaßt einerseits qualitative Veränderungen politischer Entscheidungsprozesse (Aushandlungs- prozesse) zwischen verschiedenen Akteuren, die nicht zwangsläufig in klassischen Unter- ordnungsverältnissen zueinander stehen. Andererseits liefert der Begriff ein analytisches Konzept, das in der Lage ist, eine Verbindung zwischen den bislang dominierenden Interessen- vermittlungsmodellen herzustellen und empirisch handhabbar zu machen. Die PN können dabei durch ihre Eigenschaften und Dimensionen definiert und in verschiedene Typen charakterisiert werden. Ob Interessenvermittlung zwischen den jeweiligen Akteuren ein eher offener oder geschlossener Prozess ist, ob dieser Prozess formal institutionalisiert ist oder auf informalen Beziehungen beruht etc., wird so jeweils zur empirisch beurteilbaren Frage.
Als Dimension zur Definition des PN-Begriffs und zur Ordnung von Netzwerktypen sind in der Literatur verschiedene Systematiken vorgeschlagen worden. Denkbar ist eine Einordnung nach der Anzahl der beteiligten Interessengruppen (viele Gruppen bei niedriger Zugangsschwelle versus wenige Gruppe und hoher Zugangsschwelle), ihrem Verhältnis zueinander (konfligierend oder nicht), nach der Stabilität des Netzwerkes und nach dem sektoralen oder sektorenübergreifenden Zuschnitt der inhaltlichen Aufgaben des PN, wie Klaus Schubert sie vornimmt. Volker Schneider hingegen reserviert den Begriff PN für eine spezifische Form politischer Governancestrukturen zwischen Markt und Hierarchie und definiert ein PN als eine durch gegenseitige Relevanz abgegrenzte Anzahl gesellschaftlicher und staatlicher, korporativer Akteure und deren Beziehungen zueinander. Diese dienen als Komunikations- und Informationskanäle, durch welche politische Ressourcen wie Information, Expertise, Legitimation und Vertrauen ausgetauscht werden.
Franz U. Pappi entscheidet sich für eine methodische Definition vom Netzwerk als "eine durch Beziehungen bestimmten Typs verbundene Menge von sozialen Einheiten wie Personen, Positionen und Oragnisationen". Dem folgend und unter Auslassung von Vorabentscheidung über die Struktur des Netzwerks -hierarchisch-zentral versus horizontal- dezentral- sind PN durch folgende Dimensionen zu beschreiben: die beteiligten Akteure, die Netzwerkfunktionen, die durch die Relationen zwischen den Akteuren erfüllt werden, die Netzwerkstrukturen (Grad der Institutionalisierung, zeitliche Stabilität, Intensität und Multiplexität der Beziehungen, Akteurskonstellationen) und die Machtverteilung in PN.
2. Soziale Dynamik und politische Steuerung
Ausgangsthese der Entstehung der Netzwerkanalyse war die Annahme des zumindest partiellen Versagens des modernen Staates bei der Erfüllung seiner Aufgaben hauptsächlich bezogen auf drei zentrale Staatsfunktionen: die Ordnungsfunktion, die Wohlfahrtssicherungsfunktion und die Gestaltungsfunktion (R. Mayntz). Bezogen auf die Ordnungsfunktion wurde vor allem in den 70er Jahren über die drohende Unregierbarkeit der westlichen Demokratien gesprochen. Die zweite, schon in den 60er Jahren entfachte Diskussion wird durch das Stichwort "Krise des Wohlfahrtsstaates" bezeichnet. Auf die Gestaltungsfunktion schließlich bezieht sich die Diskussion über Ausmaß und Ursachen eines staatlichen "Steuerungsversagens".
Der Regierbarkeitsansatz betont Probleme bei der Durchsetzung politischer Herrschaft, Konformitätsmängel und erodierende Folgebereitschaft. Die vor allem angesprochenen Erscheinungsformen von Unregierbarkeit sind politische Radikalisierung, Abkehr vom Parteiensystem, Entstehen neuer soziale Bewegungen und unorthodoxe Formen des Protests, wachsende Kriminalität und die Tendenz zur Re-Privatisierung der Gewalt. Die Ursachen werden dabei sowohl im gesellschaftlichen wie politischen Bereich gesucht, besonders im Parteiensystem, das bei der Willens- und Konsensbildung versagt, und im Regierungssystem, dessen Entscheidungsfähigkeit blockiert erscheint und das unfähig ist, den Vertrauensverlust der Bevölkerung und ihre wachsende Staatsverdrossenheit (sinkende Wahlbeteiligung) zu verhindern.
Die Krise des Wohlfahrtsstaates erscheint demgegnüber zunächst im wesentlichen als Finanzkrise bzw. als Krise des Steuerstaates: Die Finanzierbarkeit einer umfassenden Daseinsvorsorge wird angesichts sich verändernder Parameter im Zeichen der Globalisierung und Deregulierung zum Problem. Hinzu treten die Probleme der wachsenden Bürokratisierung wie auch eine spezifische Form des Legitimitätsverlustes, der sich in der Kritik staatlicher Überregelung ausdrückt. Im Kern steht hierbei die Behauptung, dass der Staat aufgrund inhärenter Schranken seines traditionellen Interventionsinstrumentariums nicht bzw. nicht mehr in der Lage sei, die von ihm identifizierten sozialen und ökonomischen Probleme zu lösen und die gesellschaftliche Entwicklung in die gewünschte Richtung zu steuern, so dass es zur Verhinderung gefährlicher Fehlentwicklungen entweder notwendig ist, nach alternativen Steuerungsinstrumenten zu suchen oder aber die Ansprüche zentralstaatlicher Steuerung zu revidieren bzw. reduzieren.
Der Beschreibung der Steuerungsmängel muss eine Präzisierung des Steuerungsbegriffs vorangestellt werden: Anfänglich (nach der Einführung des Begriffs "Steuerung" als Übersetzung des im angloamerikanischen Sprachraum verwendeten Begriffs "control" in makrosoziologischen Zusammenhängen) wurde der Steuerungsbegriff eng im Sinne der Fähigkeit zur konzeptionell orientierten Gestaltung der gesellschaftlichen Umwelt durch politische Instanzen verstanden. Vor allem Niklas Luhmann und Talcott Parsons rechneten u.a. auch Geld zu den generalisierenden Kommunikations- und Steuerungsmedien und entwickelten die Idee vom Markt als einer alternativen Steuerungsform. Als dritte wichtige Steuerungsform kam die Gemeinschaft bzw. Solidarität dazu (u.a. Hegner). Steuerung im sozialwissenschaftl. Kontext setzt ein Steuerungssubjekt (Steuerungsakteur) voraus, welches individuelle Person oder handlungsfähiges soziales Kollektiv sein kann. "Markt" oder "Solidarität" sind nun keine Steuerungssubjekte, doch können Marktprinzipien oder Gemeinschaftsbindung bewußt zu Steuerungszwecken eingesetzt werden; demnach sind sie Steuerungsinstrumente.
Da Steuerungshandeln typischerweise in Form sich über Zeit erstreckender Handlungszusam- menhänge abläuft, an denen mehrere Akteure beteiligt sein können, sind idR komplexe Steuerungsprozesse Untersuchungsgegenstand. Zumal wo ein Kollektiv als Steuerungsakteur fungiert, ist Steuerung von vornherein arbeitsteilig. Darüber hinaus suchen einzelne Steuerungsakteure auch Koalitionen einzugehen und müssen ihr Steuerungshandeln gegen Einflußnahme Dritte absichern. Grundsätzlich gilt, dass Steuerungshandeln als Aktivität immer einem Steuerungssubjekt zugerechnet sein muss, wobei die komplexen Interaktionszusammen- hänge jeweils selektiv aus der Perspektive des Akteurs betrachtet werden, dessen Steuerungshandeln im Zentrum der Untersuchung steht. Das Handeln des Steuerungsobjektes, welches eine autonome Existenz besitzt, erscheint aus dieser Perspektive vorzugsweise als Reaktion (Anpassung, Entzug, Gegenstrategie, etc.), unabhängig ob es sich selbst als Objekt oder seinerseits primär als Handlungsobjekt versteht. Folglich wählt man mit dem Steuerungs- begriff eine bewußt hoch selektive Betrachtungsweise, was gleichzeitig jedoch eine begriffliche Trennung beispielsweise von Konflikt- oder Koordinationsprozessen erleichtert.
Die Ursachen des Versagens politischer Steuerung mittels regulativer Politik können vielfältig sein. Diese kann scheitern, weil die normierenden Programme nicht implementierbar sind, weil sie entweder durch die Vollzugsinstanzen nicht durchsetzbar sind (Implementationsproblem) oder die Adressaten die Befolgung verweigern (Motivationsproblem). Neue Probleme können entstehen, wenn selbst im Falle der erfolgreichen Beeinflussung der Adressaten das Ausgangs- problem ungelöst bleibt oder im Zuge seiner Lösung massive unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Liegt dem die prinzipielle Unmöglichkeit zugrunde, mit den der zentralen Steuerungsinstanz verfügbaren Instrumenten zielsicher und steuernd in bestimmte Systemprozesse einzugreifen, liegt ein Steuerbarkeitsproblem vor (Bernd Marin; auch Klaus Schubert). Als in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre mit dem Aufbau von Planungseinheiten, Planungs- verfahren und Informationssystem für politische Entscheider begonnen wurde, um die Wirksamkeit politischen Handelns zu erhöhen, verortete man das Problem als reines Informationsdefizit, die Ursache wurde beim Steuerungsakteur, nicht als in der Eigenart des Steuerungsobjektes begründet gesehen.
Helmut Willke sieht in der Entstehung gesellschaftlicher Akteursnetzwerke einen "ernstzunehmenden Versuch, die Grenzen der Demokratie als Steuerungsmodell hochkomplexer Gesellschaften zu überwinden." Die durch sie bewältigten Erfordernis von Beteiligung, Mitentscheidung und politisch zurechenbarer Verantwortung einerseits und von Zwängen fachlich kompetenter, längerfristiger und problemangemessener Entscheidungen andererseits sind dabei nicht nur aus der Perspektive der "system effectiveness", sondern gerade auch aus der Perspektive einer "citizen participation" (Hubert Heinelt) zu betrachten. So stehen Betrachtungen von PN in enger Verbindung mit der Diskussion über die Entwicklung der Zivilgesellschaft. Die Probleme demokratischer Willensbildung und Legitimation gründen auf politische Veränderungen hinsichtlich veränderter Parameter der äußeren Souveränität des Nationalstaats angesichts der transnationalen politischen Verflechtungen und der Internationalisierung der Wirtschaft, wie der Vorstellung einer hierarchischen Überordnung des Staates im Inneren gegenüber ausdifferenzierten und hochorganisierten gesellschaftlichen Teilsystemen. Staatliche Politik reagiert auf transnationale politische und wirtschaftliche Verflechtungen, indem sie sich supranational neu formiert (Beispiel Europäische Union), um politische Steuerungsfähigkeit zu erhalten. Jedoch sind die innerstaatlichen demokratischen Entscheidungsprozesse auf Handlungsbeschränkungen verwiesen, die sich aus zwischen- oder suprastaatlichen Verhandlungsergebnissen ergeben, welche sich ihrerseits nicht durch Prinzipien demokratischer Entscheidungsfindung legitimieren, sondern nur durch Sachzwänge von Verhandlungslösungen rechtfertigen lassen. Wenn ob der Aufrechterhaltung politischer Steuerungsfähigkeit Verflechtungen ehedem nationalstaatlich verfaßter Politikprozesse unumgänglich sind, ist die Frage zu stellen, ob dabei einseitig demokratische bzw. parlamentarisch-demokratische Strukturen/Mechanismen der Entscheidungsproduktion geopfert werden müssen, oder ob sich nicht auch gleichzeitig neue Partizipations- und Legitimationschancen eröffnen (Robert A. Dahl). Oder wird der Grad der Steuerungseffektivität gerade durch das Maß der gegenstands- und akteursabhängigen Partizipation bestimmt, wie Charles Lindblom bereits 1965 formulierte.
3. Die theoretische Konzeption - Die verschiedenen Ansätze
3.1 Ursprünge aus anderen Disziplinen
Netzwerkanalysemodelle werden in vielen Disziplinen verwendet. In der Soziologie datiert die Entstehung der NW-Analyse mit dem Durchbruch der Harvard-Strukturalisten um Harrison C. White zu einer algebraischen Analyse von Rollen- und Positionsstrukturen am Beginn der 70er Jahre. Wichtige Anstöße kamen dabei aus der Psychologie und Sozialpsychologie, aus der strukturfunktionalen Anthropologie und der Übertragung ihrer Konzepte und Methoden auf industriesoziologische Studien. Wichtige Vertreter der sozialpsychologischen Entwicklungslinie waren vor allem deutsche und österreichische Emigranten während des 2. WK (W. Köhler, K. Lewin, F. Heider, J. Moreno), die anthropologische Entwicklungslinie wurde eher im angloamerikanischen Raum geprägt (v.a. Universität Manchester).
Neuere Ansätze entstanden nicht zuletzt in den Wirtschaftswissenschaften, so kennt die "Neue Institutionenökonomik" (New Institutional Economics) u.a. den "Transaktionskostenansatz", die "Property Rights Theory" und die "Theorie unvollständiger Verträge". Ausgangspunkt aller Betrachtungen ist das Modell des im Rahmen seiner Möglichkeiten rational handelnden Menschen, der unter gegebenen Restriktionen seinen individuellen Nutzen maximiert. Ziel dieser Ansätze ist es, innerhalb der BWL mit Hilfe verschiedener Bausteine zu einem kohärenten Modellsystem zu gelangen, das eine wissenschaftlich fundierte Analyse von Koordinationsfragen in Produktionszusammenhängen unter den Vorzeichen von Knappheit und ungleicher Verteilung der Ressourcen ermöglicht (Birgitta Wolf u. Rahild Neuburger). Gemeinsame Ausgangspunkte sind hierbei: Nutzenmaximierung, die begrenzt ist durch institutionelle Regelungen, die "begrenzte Rationalität" (Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen und endliche Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung), opportunistisches Verhalten und dem methodologischen Individualismus als meth. Forschungsregel.
3.2 Akteuzentrierte Politikforschung
Ausgangspunkt für Analyseansätze von PN ist die Forschung über die Probleme politischer Planung. Vor allem Fritz Scharpf entwickelte mit seinen Untersuchungen zum "kooperativen Föderalismus" den Begriff der Politikverflechtung, womit in erster Linie die dem bundesdeutschen politischen System innewohnenden Überschneidungen zwischen Bundes-, Landes- sowie Kommunalkompetenzen gemeint sind. Überall wo mehrere Entscheidungsträger politischer Prozesse mitgestalten bzw. umsetzen, kommt es zu typischen Phänomenen politischer Aushandlung.
Policy-Analyse im weiteren Sinn:
Die Policy-Analyse befaßt sich mit den Inhalten und Resultaten politisch-administrativer Handlungen in einem abgrenzbaren, nominal definierten Politikfeld. Politikgestaltung wird als dynamischer Prozess gefaßt, der über sog. "Feedbackschleifen" auch politisches Lernen ermöglicht. Polity (institutionelles Set) und Politics (Politikprozess) gelten hierbei als unabhängige Variablen, die auf die abhängige Variable Policy (Politik-Ergebnis) einwirken. Handlungstheoretische Ansätze betonen die Akteursperspektive, wobei sich der gesamte Politikverlauf als ein sechsstufiger sog "Policy-Cycle" modellieren läßt, dessen einzelne Phasen sich jedoch keineswegs trennscharf aneinanderreihen, sondern partiell simultan ablaufen oder auf vorangehende Abschnitte rückkoppeln (Dirk Koob):
- die Initiation, das Erkennen eines politisch zu bearbeitenden Problems durch die Politik;
- die Estimation,die Analyse der Problemsituation bezogen auf Handlungsoptionen;
- die Selektion, die Auswahl der Handlungsstrategie;
- die Implementation, der Beginn der Umsetzung politischer Programme, wobei auf die oben beschriebenen prinzipiellen Steuerungsprobleme hingewiesen sei;
- die Evaluation zur Bewertung von Effektivität (Umsetzungsgrades der Maßnahme) und Effizienz (Kosten-Nutzen-Abwägung). Wesentlich für die Forschungsarbeit ist hierbei die exakte Bestimmung des Evaluationsgegenstandes, z.B. das komplette Programm, die Steuerungsinstrumente, sämtliche Auswirkungen samt Nebeneffekte (Outcome) oder die Veränderungen bei den Adressaten (Impact);
- die Handlungskontrolle als Terminationsphase und ggf. die Beendigung der politischen Maßnahme, wobei vielfach im Rahmen regulativer Politik nicht von Beendigung im Wortsinn gesprochen werden kann (z.B. Gesetzgebung).
Die Netzwerkanalyse als Ansatz der Policy-Forschung erweitert deren klass. Subjekt-Objekt- Denken, indem sie erstens die Relationen in Multiakteurskonstellationen fokussiert und dazu zweitens ein methodisches Instrumentarium zur Aufdeckung latenter Strukturmuster liefert. Auch der Administrative Block wird keineswegs als monolithische Einheit verstanden, sondern als hochkoplexe Institutionen- und Akteurmatrix aufgefaßt.
Akteure:
Um die Anzahl der beteiligten -aggregierten, kollektiven oder korporativen- Akteure zu bestimmen, muss zunächst die Menge der Interaktionen im jeweiligen Untersuchungsfeld festgestellt werden. Diese Akteure zeichnen sich durch bestimmte Fähigkeiten, bestimmte Wahrnehmungen und bestimmte Präferenzen aus. Die Fähigkeiten müssen dabei mit Bezug auf bestimmte Anforderungen definiert werden. Mit diesem Begriff sollen alle Handlungs- ressourcen bezeichnet werden, die es einem Akteur ermöglichen, ein Ergebnis in bestimmter Hinsicht und zu einem gewissen Grad zu beeinflussen. Diese Handlungsressourcen umfassen persönliche Merkmale wie physische Stärke, Intelligenz, Human- und Sozialkapital, materielle Ressourcen wie Geld, Land oder militärische Macht, technologische Ressourcen, privilegierten Informationszugang etc. Im Kontext der Policy-Forschung sind jedoch von besonderer Bedeutung zum einen institutionelle Regeln, durch welche Kompetenzen zugewiesen werden, sowie Partizipationsrechte, Vetorechte oder das Recht auf autonome Entscheidung.
Ferner kennzeichnen sich Akteure durch ihre spezifischen Handlungsorientierungen aus: Die charakteristischen Wahrnehmungen und Präferenzen können relativ stabil sein (wie es die Rational Choice-Theorie annimmt) oder sie können durch Lernen oder Argumente verändert werden. In jedem Fall werden sie durch den Stimulus eines bestimmten Problems aktiviert und spezifiziert. Sie beziehen sich bei der Bewertung der Situation auf den Status quo, die möglichen Ursachen, Wirksamkeit und Wünschbarkeit möglicher Handlungsoptionen und die damit verbundenen Ergebnisse.
Akteurskonstellationen:
Keiner der beteiligten Akteure kann politische Entscheidungen lediglich nach seinen eigenen Wahrnehmungen und Präferenzen und durch den Einsatz der eigenen Handlungsressourcen bestimmen. Entscheidend ist vielmehr die Konstellation zwischen der Vielzahl der Akteure, die an politischen Interaktionen beteiligt sind. Die Konstellation beschreibt die beteiligten Akteure, ihre Strategieoptionen, die mit den verschiedenen Strategiekombinationen verbundenen Ergebnisse und die Präferenzen der Akteure in bezug auf diese Ergebnisse. Das Konzept der Akteurskonstellation, ihrer Darstellung als Matrix, erlaubt es extrem unterschiedliche reale Konstellationen auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau, aber mit großer Genauigkeit zu beschreiben und miteinander zu vergleichen. So lassen sich empirische Regelmäßigkeiten, die eventuell durch oberflächliche Ungleichheiten verdeckt geblieben wären, vergleichsweise leicht erkennen. Außerdem dienen derartig spieltheoretische Beschreibungen zum Vergleich unterschiedlicher Konfliktniveaus und Arten von Konflikten zwischen den Akteuren. Da besonders in den Sozialwissenschaften dem Konfliktniveau eine hohe Bedeutung bei der Analyse respektive großen Einfluß auf die Problemlösungsfähigkeit politischer System zugeschrieben wird, ist eine präzise Beschreibungssprache von großem Wert.
Die explizite Konzeptualisierung von Akteurskonstellationen stellen das entscheidende Bindeglied zwischen materieller Policy-Analyse und interaktionsorientierter PolicyForschung dar. Im Unterschied zur soziologischen Anwendung des NW-Analysansatzes finden politische Interaktionen nicht zwischen Mitgliedern verschiedener sozialer Gruppen statt, sondern zwischen spezialisierten politischen Akteuren. Auf welche Weise sie tatsächlich betroffen sein werden von den Entscheidungen, hängt in hohem Maße von ihren institutionellen Rollen und ihren institutionellen Eigeninteressen ab.
Interaktionsformen:
Diese beschreiben im Gegensatz zu dem statischen Bild der Akteurskonstellation die eigentlichen Entscheidungsfindungsprozesse, die erheblich differieren können und von "einseitigem Handeln" und "Verhandlung" über "Mehrheitsentscheidung" bis zur "hierarchischen Steuerung" reichen. Natürlich beeinflussen die institutionellen Regeln zur Steuerung die Interaktionsformen. Doch werden sie darüber hinaus auch von dem weiteren institutionellen Kontext beeinflußt, in dem die Interaktion stattfindet. Scharpf nimmt an, dass Interaktionsformen sich in ihren Anforderungen an die institutionelle Konfliktlösungsfähigkeit unterscheiden und dass institutionelle Strukturen in unterschiedlichem Maße geeignet sind, bestimmte Interaktionsformen zu stützen. So könnte einseitiges Handeln ohne jegliche institutionelle Struktur stattfinden, Verhandlungen hängen von Strukturen ab, die den verbindlichen Charakter der Vereinbarungen gewährleisten, und Mehrheitsentscheidungen oder hierarchische Steuerung sind auf weit anspruchsvollere Arrangements angewiesen. Dies impliziert die Idee einer Möglichkeitsgrenze, bei der der institutionelle Kontext die jeweils realisierbaren Interaktionsformen begrenzt. In hierarchisch strukturierten Organisationen können alle Arten von Interaktionsformen realisiert werden, wohingegen ein selbstorganisiertes Netzwerk weder die Ausübung hierarchischer Autorität noch Mehrheitsentscheidungen ermöglichen kann.
3.3 Die verschiedenen Ansätze
Der Policy-Network-Ansatz (im engeren Sinn):
Einen grundlegenden Ansatz zur PN-Analyse stellten Patrick Kenis und Volker Schneider mit ihrem Policy Network-Konzept vor, ausgehend von der Auffassung der Entwicklung einer "Organized Society". Die Veränderungen der politischen Realität in liberal-demokratisch verfaßten Gesellschaften umfasse, dass immer mehr Bereiche durch Entscheidungen und Aktivitäten kollektiver und korporativer Akteure beeinflußt werde. Des weiteren sei auszugehen von einem Trend zur Sektoralisierung und funktionaler Differenzierung sowie Fragmentierung des Staates und der dadurch bedingten zunehmenden Einflußnahme immer zahlreicherer Akteure auf den Policymaking-Prozess, soweit, dass in vielen Politikfeldern staatliche Aufgaben nicht mehr ohne die Mitwirkung nichtsstaatlicher Akteure wahrgenommen werden könne. Policy Networks fungieren als "new form of political governance" als Mechanismen für die notwendige Kommunikation und Interaktion der beteiligten Akteure, wobei der Interaktionsstil bedingt durch die Gleichrangigkeit der Akteure stark durch "bargaining" geprägt sei.
Zur analytischen Erfassung der PN greifen Kenis und Schneider auf den von F.v.Waarden erstellten Katalog der wesentlichen Bestimmungsdimension zurück, die oben bereits ausführlich besprochen wurden (Akteure, Struktur, etc.). Ihr PN-Konzept versteht sich nicht als Alternative zum Ansatz des Pluralismus bzw. den verschiedenen Korporatismusmodellen, sondern gleichsam als überwölbendes Dach, das diese als spezifische Varianten von Netzwerken miteinbezieht und weist enge Berührungspunkte zur Ressourcen-Dependenz- Theorie und zum klass. Institutionalismus auf (Adrienne Héretier). Insofern gilt als Voraussetzung das rationale, am eigenen Nutzen und Interesse orientierte Tauschverhalten, welches sich durch bestimmte, durch institutionelle Strukturen bedingte Grenzen nicht völlig ungehindert vollziehen kann. Weitere wesentliche Determinante ist die Berücksichtigung von durch ideologische Leitbilder und Überzeugungen geprägte spezifische Problemlösungsstrate- gie einzelner Akteure. Unter Vereinigung von Elementen von pluralistischen, makrosoziologischen, Rational Choice- und institutionalistischen Ansätzen stellt dieser Ansatz eine intensive Bemühung dar, akteurs- und strukturbezogene Modelle miteinander zu verknüpfen.
Der Advocacy-Coalition-Ansatz (ACA):
In Auseinandersetzung mit dem o.g. Phasenmodell des Policy-Cycle entwickelte Paul A. Sabatier in der zweiten Hälfte der 80er Jahre seinen alternativen politikfeldanalytischen Ansatz. Seine fünf Prämissen resultieren direkt aus der Kritik der "Phasenheuristik":
1. Die Rolle von technischen Informationen muss bei der Erklärung des Policy-Prozesses einbezogen werden;
2. Um einen Policy-Prozess weitgehend zu erfassen, bedarf es einer Zeitperspektive von einem Jahrzehnt oder mehr, was deutlich über die Dauer eines Policy-Circles hinausgeht;
3. Zweckmäßigste Analyseeinheiten sind nicht spezielle Institutionen, sondern vielmehr Policy-Subsysteme, die als Vielzahl von Akteuren aus verschiedenen öffentlichen und privaten Organisationen kommen und regelmäßig danach streben, die Politik in einem bestimmten Bereich zu beeinflussen.
4. In den Subsystemen spielen Akteure von verschiedenen Regierungsebenen innerhalb eines Landes und zunehmend von internationalen Organisationen und anderen Ländern eine Rolle;
5. Staatliche Maßnahmen und Programme enthalten implizite Theorien darüber, wie ein Ziel erreicht werden kann, Annahmen und Kausalbeziehungen sowie Wertvorstellungen.
Sabatier erklärt mit seinem Modell das "Policy-Lernen" und den Policy-Wandel über einen Zeitraum von mindestens einem Jahrzehnt. Die Akteure innerhalb eines Subsystems schließen sich zu Koalitionen zusammen und versuchen, ihre handlungsleitenden Orientierungen in konkrete politische Entscheidungen umzusetzen. Die "Belief Systems" der dominierenden Koalition bilden also eine zentrale Determinante des Policy-Prozesses und seines Wandels. Darüber hinaus existieren (stabile und dynamische) externe Faktoren, die die Handlungs- chancen der Akteure beeinflussen und somit ebenfalls auf den Policy-Prozess einwirken.
Sabatiers Definition der Analyseeinheit Policy-Subsystem ("Set von Akteuren, die sich mit einem Policy-Problem auseinandersetzen") bleibt recht unbestimmt. Er liefert keine exakte Anleitung zur Identifizierung relevanter Akteure, sondern stellt fest, dass ausgehend vom Netzwerkansatz auch latente Akteure berücksichtigt werden müssen, welche eingreifen würden, wenn sie genügend Informationen hätten.
Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen im ACA nicht bloß die unmittelbar an der Entscheidung beteiligten Akteure, sondern auch diejenigen, welche Handlungsalternativen einbringen, ohne sich durchsetzen zu können. Er behauptet, dass es in Bezug auf das Engagement innerhalb des Subsystems keinen Unterschied zwischen den verschiedenartigen Akteuren gebe: Beamte oder Wissenschaftler verhielten sich nach dem gleichen Muster (z.B. bei der Koalitionsbildung) wie politische Funktionsträger oder Verhandlungsführer von Interessenverbänden.
Zur Strukturierung des Policy-Subsystems werden nun die Akteure mittels des analytischen Konzeptes der Advocacy-Coalition zusammengefaßt. Diese besteht aus Personen in unterschiedlichen Positionen, die ein spezifisches Belief System teilen, d.h. ein Set von grundlegenden Wertvorstellungen, Kausalannahmen und Problemperzeptionen, und die über längere Zeit einen durchschnittlichen Grad koordinierter Handlungen aufweisen. Die Akteure bündeln ihre Ressourcen in ihren jeweiligen Koalitionen, um Entscheidungen gemäß ihres Belief Systems zu beeinflussen. Der empirische Gehalt dieser idealtypischen Konstellation hängt von der präzisen Rekonstruktion des wichtigsten konstitutiven Elementes, des Belief Systems, ab. Da vernünftigerweise nicht davon ausgegangen werden kann, dass Akteure die exakt gleichen Wertvorstellungen teilen und in gleichem Maße resistent gegenüber Wandel sind, teilt Sabatier das Belief System in drei Kategorien: den "Deep Core", welcher fundament-ale normative und ontologische Axiome enthält, den "Policy Core", der grundsätzliche Positionen bezüglich der Strategien enthält, und die "Secondary Aspects", die Vielzahl der instrumentellen Einzelentscheidungen zur Interessendurchsetzung. In dieser Reihenfolge zeigen die Kategorien abnehmenden Widerstand gegenüber Wandel.
Ziel des ACA ist es, den Policy-Wandel zu erklären, wofür Sabatier im wesentlichen zwei Prozesse nennt: Erstens die Bestrebung der Advocacy-Koalitionen, über einen längeren Zeitraum innerhalb des Subsystems den Policy Core und die Secondary Aspects in politische Maßnahmen umzusetzen, wobei die meisten Policies bis zu einem gewissen Grad Kompromisse darstellen, der idR. jedoch immer mehr zur dominierenden Koalition tendiert; und zweitens die Beeinflussung der Ressourcen und Restriktionen durch externe Effekte, welche zum Wandel der dominierenden Koalition führen können. Als bedeutend stuft Sabatier den Wandel ein (major policy change), wenn bei einer politischen Maßnahme die Policy-Kern-Aspekte verändert werden. Diese gehen laut Sabatier jedoch meistens nicht auf das Policy-Lernen innerhalb des Netzwerkes zurück, sondern sind idR. auf Veränderungen nicht-kognitiver Faktoren zurück, die außerhalb des Subsystems wirken.
Der Akteurzentrierte Institutionalismus:
Scharpf und Mayntz ergänzen mit ihrer Ausarbeitung eines kohärenten Aussagesystems die eigene Politikverflechtungstheorie um die Dimension gesellschaftlicher Akteure, wobei sie nach eigenem Anspruch eine mittlere Position innerhalb der Agent-Struktur-Debatte einnimmt, obgleich der Akteurbezug freilich gerade im Hinblick auf die forschungspraktische Anwendbarkeit überwiegt. Sie bezeichnen ihr Konzept als "maßgeschneiderten Ansatz für die Untersuchung der Problematik von Steuerung und Selbstorganisation auf der Ebene ganzer gesellschaftlicher Teilbereiche." Es stellt keine auf einen spezifischen Gegenstand gerichtete Theorie dar, sondern eine Forschungsheuristik, mit dem Ziel, mittels analytischer Kategorien die Erfassung der relevanten Aspekte eines Politiksektors zu ermöglichen.
Die Akteure befinden sich innerhalb eines regulierenden institutionellen Handlungsrahmens in unterschiedlichen Konstellationen und Situationen. Dabei ist in drei grundsätzliche Regelungsaspekte zu unterscheiden: a) Verhaltens- und Verfahrensnormen, b) Regeln zur Ressourcenverteilung und c) Regeln, welche soziale Relationen zwischen den Akteuren festlegen (besonders Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen). Die institutionellen Bedingungen bilden jedoch keine strikt deterministischen Faktoren; sie sind veränderbar, können somit als unabhängige, aber auch als abhängige Variablen konzeptionalisiert werden. Daraus folgt eine Betonung akteurbezogener Verhaltensspielräume im Kontext der Mehrebenenperspektive: Ein institutionelles Set wirkt auf die Handlungsoptionen kollektiver Akteure, deren interne Strukturverfaßtheit bildet ihrerseits den Rahmen für das Individualverhalten, ohne jedoch sämtliche Freiheitsgrade zu eliminieren. Besonders zu berücksichtigen im Scharpfschen Ansatz ist die Bedeutung von Einzelakteuren, weil der Aktionsradius eines kollektiven Akteurs vom Grad der Verbindlichkeit der vorangegangenen internen Willensbildung abhängt und diese wiederum maßgeblich auf das persönliche Geschick der individuellen Repräsentanten zurück zu führen ist. Für die Forschungspraxis bedeutet dies, dass für die Erklärung des Handelns korporativer Akteure unter Umständen auch die Handlungsorientierungen der in der und für die Organisation handelnden Individuen erhoben werden müssen.
Die Handlungsorientierungen der Repräsentanten lassen sich einerseits in ich-orientierte sowie systembezogene splitten, sowie andererseits in kognitive und motivationale dichotomisieren. Die kognitiven Aspekte betreffen die über Individuen zu leistende Wahrnehmung, Situationsdeutung, Evaluation von Handlungsorientierungen oder Antizipation der Einstellung anderer Akteure. Mit motivationalen Aspekten hingegen sind Antriebsfaktoren, also der Impetus für ein sinnhaftes Handeln, Identitäten oder die für eine Handlung ausschlaggebenden Interessen gemeint, welche bei kollektiven Akteuren v.a. auf Ressourcenwahrung respektive -gewinnung, Autonomie sowie in bedrohlichen Situationen massiv auf Bestandserhaltung gerichtet sind.
Daneben rückt dieser Ansatz die sowohl von den Akteuren antizipierbaren als auch von der Theorie rekonstruierbaren Interaktionslogiken unterschiedlicher Akteurskonstellationen ins Blickfeld. Unterschieden wird hierbei in: "feindlich" (Nullsummenspiel), "kompetitiv" (Differenz der Gewinnsumme der Akteure wird angestrebt), "egoistisch-rational" (nur der Gewinn zählt) und "kooperativ" (zielt ab auf gemeinsamen Nutzen).
Ziel der Analyse ist nicht nur die Beschreibung, sondern dezidiert auch gerade die Erklärung von Makroprozessen. Deshalb nehmen Mayntz und Scharpf folgende forschungspraktische Vereinfachung vor: Die Notwendigkeit empirischer Ermittlung akteursspezifischer Handlungsorientierungen sind dann nicht nötig, wenn sich aus der Zuschreibung der institutionellen Aufgaben und den generell unterstellbaren Eigeninteressen das beobachtete Handeln erklären lässt. Erst die offensichtliche Abweichung macht die Erhebung motivationaler Orientierungen notwendig.
4. Ausblick: Nutzen und Probleme der Netzwerkanalyse in der Policyforschung
PN ist gemeinsam, dass sie einen Verbund von Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen darstellen, welcher Einfluss auf die staatliche Entscheidungsfindung ausübt und insofern versucht, bestimmte und üblicherweise segmentierte Politikbereiche zu konrtollieren. Dabei umfaßt das Konzept der PN unterschiedliche Grade der Abschottung zwischen "innen" und "außen": vom exklusiven "iron triangle" bis zum lockeren Verbund mit fast beliebigen Mitgliedern. Gefahren in der NW-Bildung liegen hier vor allem bei festen Netzwerken, einerseits in der Verstärkung des Ressort-Partikularimus, wichtiger aber noch in der möglichen Herausbildung von Klientelbeziehungen innerhalb intransparenter Verflechtungen zwischen den beteiligten sozio-ökonomischen, politischen und bürokratischen Akteuren. Anhand der Diskussion über PN lässt sich recht gut eine allgemeinere Entwicklung nachvollziehen, die Herausbildung eines Forschungszweiges, der sich auf (politisches) Entscheidungsverhalten mit deutlicher Nähe zur politischen Psychologie konzentriert. Mängel der NW-Analyse können in diesem Zusammenhang dergestalt auftreten, dass im normativen Bereich Institutionen und institutionellen Regeln und Verfahren politisch-praktisch, aber gerade auch politikwissenschaftlich-theoretisch vergleichsweise wenig Bedeutung beigemessen werden. Das lässt sich vielleicht darauf zurückführen, dass im angelsächsischen Sprachraum als dem ursprünglichen wissenschaftlichen Herkunftsbereich der PN-Ansätze stark Verhaltens-, Verfahrens- und prozessuale Regelungen im Vordergrund stehen.
Vor diesem Hintergrund mag der Vorteil der PN-Analyse sicherlich in der Praxisnähe zu verorten sein. Allerdings gibt es zahlreiche Beispiele, auch in der Bundesrepublik, für die Herausbildung von sektoralen Netzwerkstrukturen zur Politikproduktion. Exemplarisch sei das korporatistische Regulierungsnetzwerk in der Gesundheitspolitik genannt. Es zeichnet sich durch konfligierende Interessenlagen innerhalb eines mehrdimensionalen Verhandlungssystems aus, wobei sich als Verhandlungspartner Krankenkassenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung gegenüberstehen. Um einseitige strukturelle Ungleichheiten auszugleichen, mußte der Staat durch die Festsetzung einheitlicher Honorarmaßstäbe und vorgeschriebener Mitgliedschaft der Kassen in einem Bundesausschuss eine Machtbalance herstellen. Die Aufgabe staatlicher Steuerung besteht hierbei darin, "Unzulänglichkeiten gesellschaftlicher Selbtsorganisation" zu kompensieren, um gewünschte Effekte realisierbar zu machen.
Dahl erkennt in der Herausbildung von PN wesentliche zivilgesellschaftliche Erneuerungstendenzen und ein großes Potential im Demokratisierungsprozess, wobei Leitbilder wie Inklusivität, Partizipation und gestalterische Einflußmöglichkeiten zentrale Elemente zur Erschließung dieser Potentiale sind. Als mögliche Entwicklungsoptionen nennt der Stärkung demokratischer Strukturen nennt er die Intensivierung demokratischer Partizipation auf der subnationalen Ebene ("vor Ort"), wodurch eine Kontrolle über die politische Gestaltung des alltäglichen Lebens gewonnen werden könne sowie die Gewährleistung extensiver Information und einer breiten öffentlichen Diskussion. Dies trifft jedoch nur in dem Maße zu, wie erstens seitens vor allem der dominierenden Akteure echte Bereitschaft zur konsensualen Entscheidungsproduktion besteht und zweitens die informationelle Ausgangslage der Akteure offensichtlich ist. So können starke Akteure, vor allem staatliche, den Versuch unternehmen, ohne wirkliche Bereitschaft, von ihrer politischen Ausgangslage abzurücken, allein durch die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure die legitimatorische Basis ihrer Entscheidung und die Zustimmung dazu auszuweiten. Hierin besteht jedoch trotz der formalen Merkmale einer Netzwerkstruktur kein Tauschgeschäft im eigentlichen Sinn, da die unterliegenden Akteure bzw. Koalitionen bestenfalls Informationszugewinn auf ihrer Seite verbuchen können. Der Kern des Politikfeldes wird dabei jedoch nicht berührt.
In der Aufdeckung dieser Strukturen bestehen nun Chancen aber auch Risiken der NW- Analyse. Wenn in der Modellierung nicht sorgfältig die Ausgangslage der Akteure erstens und die instituionellen Regelungen zweitens als Untersuchungsgegenstände auf das PN projiziert werden, besteht die Gefahr zur Verschleierung strukturell bedingter Machtungleichheiten. Gleichzeitig jedoch ist die NW-Analyse in der Lage, diese Machtungleicheit über die Beschreibung der Akteurskonstellation und der Interaktionsform eben nicht nur normativ zu erklären, sondern darüber hinaus die Formen ihrer Wirkungsentfaltung zu analysieren.
5. Schluß
Der in der NW-Analyse entfaltete Steuerungsbegriff leistet einen erheblichen Beitrag zur politologischen Perspektivenerweiterung. Wenn eine kollektiv verbindliche Entscheidung als intentionale Steuerung firmiert, kann der Staat in dem Maße nur als ein Akteur unter anderen Berücksichtigung finden, wie gesellschaftspolitische Veränderungen von durchsetzungsstarken Gruppen in allen Teilen der Gesellschaft initiiert werden. Es macht daher wenig Sinn, den politikwissenschaftlichen Fokus weiterhin exklusiv auf administratives Handeln und politische Institutionen zu beschränken, politisches Handeln kann überall in der Gesellschaft seinen Ausgang nehmen. Selbststeuerung ist als zentraler analytischer Terminus eines derart modernisierten Politikverständnisses anzusehen, insofern die Aufweichung der Konzentration auf staatliches Agieren allein betrieben wird. Der Steuerungsdiskurs entstand ja gerade, weil die klass. Gesellschaftstopographie ("Top-Down") empirisch einer horizontalen Politisierung gewichen ist. Der Befürchtung, die Orientierung auf Steuerung greife in einer gesellschafts- theoretischen Gesamtperspektive zu kurz, läßt sich entgegnen: Bei einem entsprechend generalisierten Politikverständnis beschreibt "Politische Steuerung" genau diese Vielzahl von sozialen Prozessereignissen, die kollektiv verbindliche Entscheidungen hervorrufen können. Die Analyse von PN bietet hier einen wichtigen Ansatz zur Erfassung aller relevanter Faktoren und der Veränderungen (Policy-Wandel), und liefert auch gleich den methodologisches Katalog dazu.
[...]
1 im folgenden mit PN abgekürzt.
- Arbeit zitieren
- Thomas Winhold (Autor:in), 2002, Politiknetzwerke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106679
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