Inhalt
Hinführung zum Thema
Georg Trakls Leben im Abriss
Verfall -„gleich frommen Pilgerzügen?“
Verkl ä rter Herbst - „des Einsamen Gefährten“
Die Religiosität Trakls - ein in sich zerfallendes Bild?
Bibliographie
Hinführung zum Thema
Die Zeit bis zum ersten Weltkrieg war dazu auserkoren worden, den „Aufruhr wider die Unzucht, Lethargie und Aisance eines verlotterten Geschlechts“1 auf künstlerischer Ebene zu zelebrieren, ein Aufruhr, der zum Umsturz der alten Ordnung führen sollte. Georg Trakl, einer „apokalyptischen Generation“, die am Ende des neunzehnten Jahrhunderts das Licht der Welt erblickte2, entsprungen, ein Sohn des „wilden Auswurfs“ der „Dichter der Katastrophe“3, der Expressionisten und Dadaisten, wuchs in einer wohlhabenden Familie auf und kam schon früh mit der poetischen Natur und Kultur in Kontakt. In seiner Jugend wuchs das Interesse an weltliterarischen Werken von Dostojewskij oder Rimbaud, aber auch die philosophischen Niederschriften des Friedrich Nietzsche blieben dem jungen Trakl nicht verborgen. Daraus scheint sich seine Weltanschauung entwickelt zu haben, die sich in seinen Werken expressiv nach aussen trägt, eine Anschauung, die besonders im sakralen aber auch im profanen Bereich als umstritten gilt. So existieren Meinungen, die Georg Trakl als strenggläubigen Urkatholiken darstellen und dies auch in seinen Werken beweisen zu können meinen, eine religiöse Auffassung, die sich aus den strengen urchristlichen Idealen der katholischen Kirche zusammensetzt und den Dichter Georg Trakl in die Rolle eines poetischen Heilands zu drängen scheint. Andere wiederum rücken ihn in das Licht des Protestantismus, am bekanntesten ist wohl die Aussage der befreundeten Dichterin Else Laske-Schüler „Er war wohl ein Martin Luther“, die Trakl eindeutig in die protestantische Ecke drängt. Allerdings existieren auch Stimmen, wie die des österreichischen Philosophen Martin Heidegger, die Trakls Religiosität im allgemeinen anzweifeln: „Ob Trakls Dichtung, inwieweit sie und in welchem Sinne sie christlich spricht, auf welche Art der Dichter ‚Christ‘ war, was hier und überhaupt ‚christlich‘, ‚Christenheit‘, ‚Christentum‘, ‚Christlichkeit‘ meint“4 schließe wesentliche Fragen ein. Heidegger führt weiter aus, dass im Zusammenhang mit Trakls Dichtung die Begriffe der „metaphysischen sowie der kirchlichen Theologie“ nicht zureichen die Religiosität Trakls befriedigend aufzuschlüsseln.
Im folgenden soll anhand der Gedichte Verfall und Verkl ä rter Herbst von Georg Trakl der Versuch einer religiösen Einordnung des Dichters, ob und inwieweit sich der christliche Ansatz in Trakls Werken durchsetzt, unternommen werden. Selbstverständlich kann diese Arbeit nicht als generalisierend gelten, denn ein Blick auf einen Bruchteil des Ganzen wird den Gesamtheit nicht wiedergeben können.
Georg Trakls Leben im Abriss
Georg Trakl, wie bereits erwähnt, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Salzburg geboren, am dritten Februar 1887, als viertes von sechs Kindern des Eisenhändlers Tobias Trakl und seiner Frau Maria. Nach eine eher mittelmäßigen Schullaufbahn und Abbruch derselben im Jahre 1905 beginnt der junge Trakl eine Lehre in der Apotheke „Zum weißen Engel“. 1906 werden die Einakter Totentag und Fata Morgana in Salzburg uraufgeführt. Während Totentag einen Achtungserfolg erfährt, wird Fata Morgana von den Kritikern verissen. In den folgenden Jahren werden starke Rauschgifte (Morphium und Veronal) zu immer beliebteren Genussmitteln in Trakls Leben und die Beschaffung ist durch seine Anstellung in der Apotheke umso leichter. 1909 erlebt die Dichtung einen erneuten Aufschwung, publizistisches Debüt in der Wienerischen Tageszeitung. 1910 stirbt der Vater und Trakls Dichtung erlangt den Durchbruch zur reifen Form, es entstehen Verfall, Die sch ö ne Stadt, Der Gewitterabend. 1911 beginnen erste schwerdepressive Anfälle und Perioden sein Leben zu quälen. Trakl pflegt den Umgang mit der „Salzburger Literatur- und Kunstgesellschaft Pan“ und dem Kulturkritiker Karl Hauer. Trunkenheitsexzesse. Trakl lebt in materiellem Notstand, seine Gedichte werden regelmäßig im „Brenner“ veröffentlicht. Der Leipziger Verleger Kurt Wolff publiziert Trakls Gedichte - unter anfänglichem Protest des Dichters - in einem Gedichtband. 1914 - Ausbruch des ersten Weltkrieges, Trakl zieht mit der Innsbrucker Sanitätskolonne ins Feld und wird dem Feldspital zugeteilt. Lange Märsche und das Elend in den Spitalen zehren an Trakls Geisteszustand und er unternimmt einen Selbstmordversuch, der allerdings von Kameraden vereitelt werden kann. Danach wird Trakl zur psychiatrischen Beobachtung nach Krakau abkommandiert. Dort entstehen die letzten zwei Gedichte Klage und Grodek, die er an Ludwig von Ficker schickt. Am Abend des dritten November 1914 stirbt Georg Trakl im Krakauer Garnisonsspital. Allerdings sind die Umstände bis heute gewaltig umstritten, laut Otto Basil stirbt Trakl an einer Überdosis Kokain, andere wiederum meinen es sei eine Nachwirkung des Selbstmordversuches gewesen. Im großen und ganzen sind sich die Experten allerdings einig, dass Trakl sich eigenhändig das Leben nahm, nur die Umstände werden wohl noch ewig den Biographen und Philologen Rätsel aufgeben.
Verfall - „gleich frommen Pilgerzügen?“
Verfall, dieser Titel existiert für insgesamt drei Gedichte aus Georg Trakls Schaffen. Das zur Bearbeitung ausgewählte Werk, ist die letzte und wohl bekannteste Version desselben - das 1910 entstandene Sonett. In der Literatur wird hauptsächlich nur von zwei Versionen gesprochen, inwieweit sich diese Angaben mit denen, die mir vorliegen abgleichen, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Die mir vorliegende Quelle1 spricht von drei Versionen des Gedichtes und darauf werde ich mich auch beziehen.
Die erste Version entstand 1909, allerdings weist es weder innerlich noch äußerlich, abgesehen vom Titel, Gemeinsamkeiten zu dem 1910 entstandenem Werk auf. Diese erste Version ist ein vierstrophiges, aus je vier Versen, bestehendes lyrisches Werk, das sich räumlich innerhalb eines Gebäudes, genauer in einem Ahnensaal, abspielt und anhand der bedrohlich düsteren Stimmung, die auf den Leser wirkt, und der schwachen, an Kraft verlorenen Bilder der Ahnen, den verlassenen und vereinsamten Saal, den Verfall schildert Im Gedicht selber taucht weder ein lyrisches Ich, noch eine andere Person auf2, die Handlung, die Gefühlslage und das Veräußern emotionaler Zustände legt der Dichter in das Personifizieren des Saales, der Bilder, der Masken.
Die zweite Version ist ein Sonett, das 1909 in Der Sammlung publiziert wurde, allerdings den Titel Herbst trägt und nur im Untertitel Verfall auftaucht. Sowie die Form als auch der Inhalt entsprechen dem der endgültigen Version des Sonetts Verfall, jedoch sind vom Autor Veränderungen vorgenommen worden, die diese zweite Fassung klar von der letzten abheben. So ist aus dem Gedankenstrich am Ende des dritten Verses des zweiten Quartetts („rücken -“) ein Punkt („rücken.“) geworden, was eine längere Pause und somit eine Verstärkung der Aussage dieses Verses bewirkt. Ferner wurde „Vogel“ im zweiten Vers des ersten Terzetts in „Amsel“ geändert, also ist eine Spezifizierung des Lebewesens vorgenommen worden, über die Wirkung soll im folgenden reflektiert werden. Die dritte und letzte Änderung betrifft das Adjektiv, das im letzten Vers des letzten Terzetts die Astern näher bestimmt, hier ist aus „fahle Astern“ „blaue Astern“ geworden. Der Autor hat wiederum ein spezielle Form der Deskription des Objektes für notwendig erachtet und somit eine Veränderung des Werkes vorgenommen. Im folgenden wird diese letzte veränderte Version des Gedichtes Verfall als geltende Vorlage herangezogen.
Das Gedicht ist ein Sonett, bestehend aus zwei Quartetten, denen sich zwei Terzette anschließen, insgesamt vierzehn Verse. In den Quartetten wird er umarmende Reim, wie er zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Sonetten üblich war1, gebraucht, die Terzette weisen die Form cdc dcd auf. In den Quartetten wird der Rhythmus, das Gelöste und Getragene, durch die Enjambements von Vers fünf auf Vers sechs oder die Teilung des Satzes von Vers elf auf Vers zwölf, von Zeile zu Zeile weitergegeben und begleitet dabei die in der Sprache vermittelten Bilder. Ebenfalls tragen die jambischen Verseingänge und die klingenden Kadenzen dazu bei, sie begleiten Bilder, die immer wieder Ruhe und Frieden evozieren („Glocken Frieden läuten“, „herbstlich klaren Weiten“, „dämmervollen Garten“). Die Quartette, insbesondere das erste, werden von Umlauten („läuten“, „Flügen“, „Pilgerzügen“, „Träum“) und langen Vokalen („Garten“, „Fahrten“, „klaren“) dominiert und erzeugen somit eine ruhige, friedvolle, getragene Rahmenumgebung, die die Weite der Bilder in sich aufnimmt und somit diesen emotionalen Frieden von Vers zu Vers weitergibt. In den ersten Versen wird das lyrische Ich in eine Situation gesetzt, die den herbstlichen Abend als Rahmen annimmt, der im Sinne der Tageszeit, zum anderen aber auch im Sinne des herannahenden Ende des Lebens, als Lebensabend, denn der Zusatz, wenn die „Glocken Frieden läuten“, könnte darauf deuten, dass es sich nicht nur um den tageszeitlichen Abend handelt. Der Frieden als Frieden nach einem Tage, an dem sich der Mensch widrigen Umständen auszusetzen hatte, sich mit immer neuen Herausforderungen herumschlagen musste, der Frieden aber auch als das Ende des Daseins, des zuweilen quälenden Lebens, als ewiges Dunkel nach Jahren grellen Lichtes, als letzter Schlaf eines langen Wachens. Die läutenden Glocken stehen symbolisch als auch tatsächlich für das Ende eines Tages, das Abendgebet zur nächtlichen Ruhe, aber auch für die Totenglocken am Grab, das friedliche Ertönen des Geräusches endlichen ewigen Friedens. Der Autor spielt hier bewußt mit der Doppeldeutigkeit des Verses, was sich im Verlauf noch besser zeigen wird. Der zweite Vers trägt, begünstigt durch die Fortführung des Satzes des ersten Verses, die getragene, ruhige, friedvolle Stimmung weiter, und lässt die Gelassenheit eines dahin fliegenden Vogelschwarms in das Bild einfließen. Hier taucht das lyrische Ich in eindeutiger Position in der ersten Person auf und gibt damit seine bewußte Anteilnahme an dem Geschehen preis. Auch wird hier schon die emotionale Position des Ichs nach außen getragen, indem die „Flüge“ der „Vögel“ mit einem bewertenden Adjektiv - „wundervollen“ - belegt werden. Dies zeigt die eindeutig romantische, Frieden suchende, im Einklang mit sich und der Umwelt leben wollende Person, ein Ich, das den hektischen, aufregend schlagenden Puls der Stadt hinter sich lassen möchte, sich im ruhigen Wellenspiel der, abendlich herbstlichen, Natur hin und her wiegen und mit dem wundervollen Sang der Abendluft dahin gleiten möchte. Im dritten Vers wird den vorbeiziehenden Vögeln ein weiteres, auf Ruhe, Frieden und Gelöstheit basierendes Attribut verliehen, das der „lang gescharten, frommen Pilgerzügen“. Die Vögel, seit jeher Sinnbild der Freiheit, des unabhängigen Lebens, gleichen am abendlichen Herbsthimmel einer langgezogenen Schar gläubiger Frommer beziehungsweise frommer Glaubensbrüder, die das Bild des Friedens in diesem ersten Quartett aufrecht erhalten. Es wird hier eine Anspielung auf die Religion gegeben, „Pilgerzügen“, allerdings fehlt hier der direkte, der eindeutig aufschlüsselnde Bezug zu einer bestimmte Religion und da ferner von „Pilger z ü gen “ die Rede ist, ist es nicht auszuschließen, dass mehrere verschiedene Religionen, wenn nicht gar alle, die Reihe der Pilger in diesen Zügen stellen. Es wäre denkbar, dass eine ruhige, friedliche Stimmung, die sich bis jetzt behauptet hat, in der Vereinigung aller Religionen1 in zusammenhängenden Pilgerzügen fortsetzt, somit die Sehnsucht nach einer Lösung des Jahrtausende alten Religionskonfliktes zum Ausdruck kommt. Allerdings kann diese These weder am Text noch an der Biographie des Autors bewiesen werden und bleibt somit reine Spekulation.
Im letzten Vers des ersten Quartetts, welcher gleichzeitig das Ende des ersten Satzes darstellt, alle Verse zuvor sind durch ein Komma getrennt und erzwingen somit eine Pause im Fluß der Rhythmik, was sich allerdings nicht negativ auf die Bilderwelt und die damit verbundene Stimmung im ersten Quartett auswirkt, wird die vorherige und die allgemein verbreitete Weite in Bildern noch einmal abschließend dargestellt. Die Schar Vögel entschwindet in „herbstlich klaren Weiten“, verblasst langsam und sanft am Horizont, fügt sich wie in einem Bild, in das Farbenspiel des herbstlich Himmels ein. Das erste Quartett sprüht vor Frieden und Gelöstheit und bildet durch die Punktierung eine in sich abgeschlossene Einheit, es kann als ein Andichten2 aufgefasst werden, es wird der Grundtenor vorgegeben, der Leser wird in ein warmes Bad der Ruhe, des Friedens, der Gelassen - und Gelöstheit geworfen.
Das nun folgende Quartett, beginnt mit einem ebenfalls, metrisch betrachtet, Bild begleitenden ruhigen und friedvollen Auftakt, der sanfte Schwung des ersten Quartetts wird nicht unterbrochen und der Leser nicht in eine unnötige, der Stimmung, dem Gefühl des Ganzen, nicht zuträglichen Pause gedrängt. Der Leser und das Bild gleiten weiter in dieser herbstlich ruhigen Abendstimmung, das lyrische Ich verliert sich zunehmend in das weiche, fast konturenfreie Bild, das sich ihm bietet. Es wandelt „durch den dämmervollen Garten“ und träumt den Vögeln und ihrem freien Flug nach. Der Garten als Bild, als Symbol wird aufgeworfen, ein Bild des zum einen gepflegten spießbürgerlichen Freizeitareals, des zum anderen wilden ungestümen, freien, der Natur entsprechenden Lebensentwicklung und des im christlichen Sinne dargebotenen Paradieses1. Dieser Vers spielt erneut, wie bereits der erste Vers des ersten Quartetts, mit der Doppeldeutigkeit seiner semantischen Einheit, zum einen kann das „Hinwandeln im dämmervollen Garten“ als das gesehen werden, was es auf dem ersten Blick zu sein scheint, zum anderen allerdings kann es auch ein Vergleich mit dem Leben sein - der „Garten“ als die Umwelt und den Lebensraum, den ein Mensch sich während seiner Zeit auf Erden schafft, „dämmervoll“ als das ewig drohende Ende, das jeden Menschen früher oder später erwartet und schliesslich „Hinwandeln“ als den geistig umdämmerten Zustand, das zu schnelle und doch nur oberflächliche Wahrnehmen des Lebens in seinen Facetten. Die weiteren drei Verse dieses Quartetts erhöhen den im ersten Vers erwähnten „dämmervollen“ Zustand, indem das lyrische Ich in eine Träumerei versinkt und selbst in eine Art Trance fällt, die es ihm fast unmöglich macht die Zeit wahrzunehmen („Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken“). Das lyrische Ich gleitet mit dem Rhythmus des Verses in einen geistig schönen Dämmerzustand.
Die ersten zwei Quartette dienen also dazu den Leser in eine friedliche ruhige, abendsanfte Stimmung zu versetzen, eine Stimmung, die einem Lebensabend gleicht, einem alten zufriedenen Manne, der es ich auf der Terrasse seines Hauses gemütlich gemacht hat und nun die letzten Jahre seines Daseins im Einklang mit der Natur geniesst. Durch die Verben „Entschwinden“ und „Hinwandeln“ wird ein sanfter schwebender Teppich unter das Geschehen gelegt, das durch das metrische Schwingen noch verstärkt auf den Leser und der Befindlichkeit desselben eingeht.
Einem Sonett typisch folgen nun in antithetischer Weise die zwei Terzette. Einleitend beginnt das erste Terzett mit einer Hebung, die sich mit der betonten Senkung des Schlußverses des letzten Quartetts zu einer „schwebenden Betonung“ verbindet und einen Impuls setzt von dem die Abwärtsbewegung ausgeht1. Allerdings steht dieser schwebenden Betonung ein in semantischem Sinn stehender Überraschungseffekt, der durch das temporale „da“, das zu Beginn des Verses steht, gegenüber und wirkt dieser entgegen. Somit wird der Leser und das Bild aus einer ruhenden, in sich selbst befriedigenden Stimmung in einen Wirbel am Himmel des abendherbstlichen Farbenspiels geworfen. Allerdings ist es nur ein „Hauch“ eine leichte Brise, ein kurzes Aufblitzen der Wirklichkeit oder es ist der Hauch des Todes, der sich in der Mythologie und den Legenden hauchend bemerkbar macht, es ist allerdings auch denkbar, dass der Autor mit „Hauch“ den in sich tragenden Lebenshauch meint, der nun von „Verfall“ berührt wird. Dieser erste Vers des ersten Terzetts ist eine in sich geschlossene Einheit, es ist ein Satz und mit einem Punkt beendet. Auffällig ist die Form, in der das lyrische Ich in Erscheinung tritt, ist es in den Quartetten noch als die aktiv am Geschehen beteiligte Person aufgetreten, so tritt es hier in einer passiven Form auf und bleibt es auch im folgenden Verlauf des Gedichtes. Hat das lyrische Ich in den ersten acht Versen noch die Möglichkeit aktiv das Bild zu verändern, so ist es in den letzten sechs Versen der Situation ausgeliefert, steht ohnmächtig dem „Verfall“ entgegen. Es ist wie das übermächtige Leben und das damit verbundene Ende, dem man ausgeliefert bleibt, von Geburt an gibt es kein Entrinnen, das, was veränderlich und konstruktiv zu bearbeiten bleibt sind Momente im Leben, Momente wie der Herbstabend, an dessen Himmel Vögel vorüberziehen, Momente, die dem Menschen als Kraft- und Ruhepol im hektischen und kurzen Dasein dienen.
Der folgende Vers verläßt das lyrische Ich wieder und es taucht eine „Amsel“ auf, die, wie oben erwähnt, in der vorherigen Fassung nur als „Vogel“ im Text stand, daraus lässt sich schließen, dass es dem Autor wichtig war, die mehr oder weniger unpersönliche Bezeichnung Vogel zu spezialisieren. Die Amsel ist ein in Europa häufig vorkommender Vogel, der sich in fünfzehn Unterarten aufteilt. Es ist ein tagaktiver Vogel, die Männchen erfreuen den Menschen morgens und abends mit einem vieltönigem Gesang. Die Amsel ist demzufolge ein Vogel, der den Menschen in den Tag begleitet, zum anderen aber auch zur Nacht bettet. Im Vers tritt die Amsel allerdings als klagendes, als leidendes Wesen auf, ein evozierter Verfall der Welt, des Lebens des lyrischen Ichs? Die Amsel begegnet dem Leser als Symbol der Lebensfreude, des Lebens im Allgemeinen und durch das Klagen in den „entlaubten Zweigen“, ein erneuter Faktor zur Erhöhung der Tristesse der Situation, verliert sie an diesen Werten und wird als Symbol des nahenden Endes gebraucht. Der Autor wollte durch die Spezialisierung des Begriffes „Vogel“ in „Amsel“ eine erhöhte Gewichtigkeit, einen erneuten Druck auf die sanfte, ruhige, friedliche Stimmung der ersten acht Verse ausüben. Auch dieser Vers bildet eine in sich abgeschlossene Einheit, indem er als vollständiger Satz in der Mitte des ersten Terzetts ruht. Der folgende allerdings endet mit einem Komma, einer Satztrennung, die sich über die Strophe zum letzten Terzett hinwegsetzt.
In diesem Vers bleibt das lyrische Ich erneut unbeachtet und die Aufmerksamkeit wechselt zu einer Pflanze, einer Pflanze, deren Früchte dem Menschen Ausgelassenheit und Freude bringen, allerdings auch Wahrheit1. Erneut taucht ein der schwebenden Stimmung in sich aufnehmendes Verb auf - „schwankt“ - und lässt den Wein, der im Herbst ein Rot an sich trägt, ein beinah symbolisches Rot - Blut des Lebens und des Sterbens - an „rostigen Gittern“ schwanken, was das zuvor aufgebaute ruhige Bild in eine destruktive, dem Verfall zugeneigte Stimmung taucht. Ein farblich auf dem Höhepunkt stehender Wein schwankt völlig unbeachtet an rostigen Gittern, ein Bild des Gegensatzes, ein Bild, das sich wiederum auf Leben und Tod beziehen lässt. Rost - etwas, das sich an gesundem Eisen ansetzt und es optisch unattraktiv macht, es aber auch zum Zerfall bringt, man könnte es mit dem alter beim Menschen vergleichen, allerdings ist dieser Vergleich sehr gewankt und ich denke nicht standhaft. Ein blühendes Lebewesen schwankt am bereits vom Verfall ergriffenen Gitter, dem eigen Ende bewußt.
Der erste Vers des letzten Quartetts beginnt ebenfalls, mit einem semantischen Überraschungseffekt, denn auch das temporale „Indes“ lässt einen schnellen, plötzlichen Situationswechsel erwarten. Die Bewegung des ersten Terzetts, erschöpft sich im zweiten, die Stimmung wird in ein noch düsteres Bild gedrängt und der „Verfall“ wird immer greif- und spürbarer. Ein „blasser Kinder Todesreigen“ tanzt um „dunkle Brunnenränder, die verwittern“ und im Wind „neigen sich blaue Astern“. Der Verfall hat nun die Führung des Gesamten übernommen und aus dem friedvollen Anfangsbild ist eine düstere, nach Tod riechende Atmosphäre geworden. Der Abend hat sich in finstere Nacht gewandelt, aus Herbst scheint Winter geworden zu sein („fröstelnd blaue Astern“), das lyrische Ich ist nun gänzlich aus dem Geschehen verschwunden und der Verfall ist das handelnde Objekt. Es ist als hielten sich die ersten Quartette nur noch in der Erinnerung, so als wären sie Jahre zurück gelegen, die Terzette haben sich gänzlich in den Vordergrund gedrängt und dem Leser ihre düstere, todesnahe Stimmung nahegebracht, fast aufgezwungen. Allerdings scheint sich durch „um Brunnenränder“ eine Art Kreisbewegung in Zusammenhang mit der Wiederholung der metrischen Einheiten zu bilden, die den Kreislauf des Lebens, wie auch in der Erwähnung der Jahreszeit, die ebenfalls einem Zyklus entnommen ist, darstellt.
Das Gedicht zeigt in eindrucksvoller Weise das Leben und seinen düstersten Abend auf. Es wird eine von Frieden und in sich ruhender Energie geladene Atmosphäre durch chaotische, düstere Bildwellen zerstört, das Leben nähert sich dem Ende.
In dem Gedicht sind einige religiöse Elemente aufgetaucht, allerdings wage ich zu bezweifeln, dass diese aus christlich motivierten Anspruch heraus entstanden sind. Es könnte sich hier vielmehr um eine Sehnsucht nach Einigung in einem alten Konflikt sein. Ferner vermisse ich die, da es sich eindeutig um eine todesnahe Situation am Ende des Gedichtes handelt, im christlichen Ton verwendeten Symbole, die sich mit dem Tod verbinden und an denen sich der Mensch zugleich festhält. So kommen zwar in der ersten Hälfte Andeutungen auf Religiosität vor, allerdings, was mir viel eindeutiger erscheinen würde, in der lebensbedrohenderen Situation, in der der Mensch mental stärkende Hilfe brauchen würde, fehlen jegliche Andeutungen auf religiöse Ausrichtungen des Autors. Dies lässt mich vorerst den Schluss einer nicht religiösen Auffassung und Auslebung Georg Trakls ziehen.
Im Folgenden werde ich das Gedicht Verkl ä rter Herbst heranziehen und daran eventuell das Gegenteil dessen, was ich in Bezug auf Religion behauptete, widerlegen können.
Verklärter Herbst- „des Einsamen Gefährten“
Das Gedicht Verkl ä rter Herbst liegt mir nur in einer Version vor, die 1909 in Die Sammlung veröffentlicht wurde. Es handelt sich hierbei um ein dreistrophiges, in je vier Versen aufgebautes Gedicht das sich dem alternierenden Reim bedient. Auffällig sind der Doppelpunkt zu Beginn der zweiten Strophe („Da sagt der Landmann: „), als auch der Gedankenstrich am Ende des dritten Verses der letzten Strophe („reiht - „). Während der Gedankenstrich eine Pause im lesenden Fluß erzwingt, deutet der Doppelpunkt auf eine Aussage beziehungsweise auf eine Verdeutlichung eines Sachverhalts hin. Das Gedicht besitzt einen rhythmischen Fluß, der nur selten unterbrochen wird, es trägt dieselbe ausgeglichene, sanfte Schwingung, die auch in den ersten zwei Quartetten des Gedichtes Verfall besitzt.
Die erste Strophe beginnt mit einem ebenso gewaltigen Einsatz, wie auch der semantische Sinn dem entspricht. Das Wort „Gewaltig“, das zu Beginn des Gedichtes steht, erscheint einem wie ein großer, unbeugsamer Stein, der sich vor einem aufgebahrt hat und den es zu überwinden gilt. Es fällt sowohl optisch, als auch semantisch auf, dass der Einsatz des Gedichtes wie eine drohende Warnung vor dem Leser steht, ein wortgewaltiger Einsatz für ein gewaltiges Ereignis. Das Jahr endet, gewaltig, wuchtig, kraftvoll, man könnte meinen, der Herbst sei ein kräftiger Schlag in die emotionale Gegend des Menschen, jedenfalls stellt sich der erste Vers so dar. Die Schwingung und die Bedeutung wird sogleich in den zweiten Vers durch ein Enjambements genommen und die Wucht des ersten Verses wird durch die Semantik und Metrik des zweiten entsch ä rft. Im zweiten wird ein friedliches, liebliches Bild des Herbstes beziehungsweise einer Momentaufnahme aus dieser Jahreszeit geschaffen, ein Bild, das sich aus „goldnem Wein“ und der „Frucht der Gärten“ zusammensetzt. In diesem Zusammenhang bekommt das zu Beginn thronende „Gewaltig“ einen neuen Sinn, der sich in der Farbintensität und der enormen Sinnes stimulierenden Elemente des Herbstes wiedergeben lässt. Der Herbst ist nun vielmehr ein reines Rendezvous der Sinne, anstatt des gewaltigen emotionalen Schlages, den der erste Vers ohne die Verbindung zum zweiten hervorzurufen scheint.
Die nächsten zwei Verse bestehen ebenfalls aus nur einem Satz, der durch Enjambement auf zwei Verse verteilt wurde. Die schon im vorangegangenen Vers angedeutete Stimulation der Sinne, insbesondere des Sehens, wird nun fortgesetzt und der Hörsinn wird mit einbezogen - „schweigen“. Das Erlebbare, das Schweigen der Wälder, gibt sich dem lyrischen Ich als eine fast globale, auf alle Fälle aber als eine Erfahrung aus, die sich nicht auf eine bestimmte territoriale Richtung festlegen lässt, denn es wird gesagt: „Rund schweigen die Wälder“, was allerdings auch eine evozierten Zyklus zum Ausdruck bringen könnte, einen, wie bereits im Verfall existenten Zyklus der Jahreszeiten und des Lebens, einen immer wiederkehrenden Rhythmus, ein auf Wiederholungen basierendes Prinzip. Der letzte Vers der ersten Strophe, bringt die Stellung des lyrischen Ichs hervor beziehungsweise beschreibt möglicherweise seine erwünschte soziale Einordnung, die des „Einsamen“, der nur die Wälder als ständigen Begleiter hat, der Einsiedler, der sich fast gänzlich vom sozialen Gefügen unabhängig gemacht hat, ein Heiland seiner selbst. Wobei die Einordnung eines Menschen, der die stillschweigenden Wälder als Gefährten hat, in die Reihe der Einsamen, mir doch etwas seltsam anmutet, denn ein Einsamer hat nichts begleitendes, geschweige denn einen Gefährten an seiner Seite, somit ist die Bestimmung des Wortes einsam für den Autor das unabhängige und der menschlichen Gemeinschaft fernbleibende Leben, sei es nun freiwillig oder nicht, eines Menschen.
Die erste Strophe schafft wie bereits in Verfall die grundlegende Stimmung für das Gedicht, sie bietet den emotionalen Grund, das Basiselement für das Kommende, es wird auch hier ein Andichten durchgeführt, die innere und äußere Situation wird in der ersten Strophe beschrieben.
Im darauffolgenden Vers der zweiten Strophe wird das angedichtete Bild der ersten Strophe in ein Geschehen eingefügt, dem des Landmannes, der nun in den Mittelpunkt der Handlung rückt. Der Sprung von der ersten zur zweiten Strophe wird wie in Verfall durch einen semantischen Überraschungseffekt, denn wiederum taucht das temporale „Da“ zu Beginn des Verses auf und gibt den Impuls einer plötzlichen Situationsveränderung weiter.
Der Landmann sieht die Notwendigkeit des Jahreszeitenwechsels und gesteht sich selbst und seiner Umwelt den Wechsel in den Herbst ein - „Da sagt der Landmann: Es ist gut.“. Der angeführte Doppelpunkt verdeutlicht die Dringlichkeit der Aussage des Landmannes, gibt ihr die Bedeutung und Gewichtigkeit, die sie sich durch die Semantik erschlossen hat. Dieser Druck, der auf der Aussage „Es ist gut“ des Landmannes liegt, wird ebenfalls durch die vollständige Schließung der Aussage, der syntaktischen Einheit, mit einem Punkt am Ende des Verses verstärkt. Somit steht die Aussage des Landemannes als gewaltige Einheit zu Beginn der zweiten Strophe, fast ebenso gewaltig wie der Beginn des Gedichtes. Die nun folgenden zwei Verse geben die Rede des Landmannes wieder, der Landmann nimmt das Geschick der Handlung in die Hand und bestimmt nun den Fortlauf derselben. Wie bereits in Verfall1 kommen auch hier die Glocken, die nun mit dem Zusatz „Abend“ ausgestattet eine genauere Bestimmung erfahren, zum Tragen. Es sind ebenfalls Glocken, die den Abend einläuten, das kommende Dunkel nach einem hellen Tag, in diesem Fall dienen die Glocken dem Einläuten, der akustischen Hinführung zum kommenden Herbst, den der Landmann bereits eingeführt hat. Die Abendglocken klingen „lang und leise“, es ist ein unterschwelliger, fast subtiler Ton, den die Glocken in die Landschaft werfen, den der Landmann empfängt und den er ersehnt hat. In imperativer Form („Gebt“) stellt er seine Forderung an diesen Ton, dieser soll ob der kommenden dunklen und, besonders für einen Landmann Existenz bedrohenden, Jahreszeit noch einmal Mut in die Herzen speisen, wichtig hierbei ist der Zusatz, „frohen Mut“. Der drohenden Dunkelheit soll, zum Abschied der Helligkeit, ein Strahl im Herzen der Menschen entgegengesetzt werden, ein inneres frohes, mutzusprechendes Leuchten, das die Glocken verbreiten. Da die Glocken in einer engen Verbindung mit Religion und Gläubigkeit stehen, ist der verbreitete Mut, um den der Landmann bittet, eine spirituelle Kraft, die durch den Glauben um ein vielfaches gesteigert wird. Es ist also eine Aussage, die sich auf Religion bezieht, allerdings fehlt auch hier, der direkte, eindeutige Bezug zur christlichen Tradition, denn die Glocken allein, auch wenn sie hauptsächlich in christlichen Gotteshäusern ihren dienst verrichten, sind kein Beweis für Christenheit.
Der letzte Vers der zweiten Strophe greift ebenfalls das Motiv der dahinziehenden Vogelschar, ein „Vogelzug“, der sich auf die Reise begibt. Die Vögel, einen Zug bildend, wie in Verfall, wo allerdings der eindeutige Vergleich mit einem Pilgerzug gezogen wird, der hier fehlt, stehen hier erneut für Freiheit, für die Sehnsucht des Menschen, der kommenden Dunkelheit und Kälte zu entfliehen. In Verbindung mit den Glocken der vorangegangenen Verse lädt sich hier ein religiöses Bild auf, das allerdings keine neuen Motive bringt. Der eindeutige Bezug zur Religion kann zwar hergestellt werden, ohne jedoch eine Spezialisierung derselben vornehmen zu können. Es sind die Symbole des friedlichen abends, der „fromm“ mit den Sinnen zuträglichen Bildern aufwartet und den Menschen in eine religiös gelöste Sphäre versetzten, eine fast klostergleiche Ruhe, die sich über das gesamte Gedicht legt.
Der schwebende Ausklang der zweiten Strophe schwingt sich sanft in den Beginn der letzten Strophe. Auch wenn der Winter eine drohende Gefahr darstellt, so ist der Herbst die „milde Zeit der Liebe“, eine Zeit, die den Menschen in eine emotionale Bindung zu anderen Menschen stürzt, eine Zeit, die die kommende Not durch den zwischenmenschlichen Kontakt zu unterbinden sucht. Ein „Kahn“ schwankt „den blauen Fluß hinunter“, ein Bild des wellenförmigen Daseins, sei es das menschliche, als auch das der Natur, beide sind von einem stetigen auf und Ab geprägt. Der „Kahn“, der auf einen farblich schimmernden Fluß hinunter schwankt erzeugt die Sukzession des Bildes eines Menschen auf dem Fluß des Lebens, der zuweilen klar und rein, zuweilen aber auch stark getrübt sein kann. Der Kahn steht hier für einen Menschen, der sich auf dem Fluß des Lebens dahin bewegt, schwanken ruhig in die Zeit tragen lässt. Eine Andeutung auf das unausweichliche Schicksal, das jedem Menschen (von Gott) vorbestimmt worden ist, ein Ausdruck der Schwere, die sich in dieser Sichtweise des Lebens verbirgt. Der nächste Vers mutet beinahe wie ein Ironisierung der ganzen Szenerie an, denn der Einsatz „wie“ deutet auf einen Vergleich hin, der sich in „Bild an Bildchen“ verliert. Hier kommt die klare Sinnesreizung des Herbstes zum Ausdruck, ein Bild jagt das nächste, immer intensiver werden die Eindrücke, der Mensch verliert sich zunehmend in diesem riesigen Bild des Herbstes. Dieser Vers endet mit den anfangs bereits erwähnten Gedankenstrich, der eine längere Pause suggeriert, denn der letzte Vers bildet den abschließenden Satz, man könnte fast meinen es sei eine Zusammenfassung der vorangegangenen Verse. Dieser letzte Vers drückt in eindeutiger Weise die Stimmung des ganzen Gedichts aus, nämlich ein mit Bildern der Ruhe und des Schweigens, aber auch des drohenden Endes aufgeladenes Gedicht.
Das Gedicht Verkl ä rter Herbst gesellt sich eindeutig zu den düsteren Herbstgedichten der deutschen Lyrik1, es wird hier ein in sich ruhendes Bild gestaltet, das nicht wie in Verfall durch chaotische Bilderwellen zerstört wird, sondern sich durch die drei Strophen aufrechterhaltend zieht. Der Herbst wird hier als Vorbote der kommenden Jahreszeit Winter, als das letzte leuchtende Aufbegehren der Natur, bevor sie in Ruhe und Schweigen unterzugehen scheint. Der Landmann übernimmt hier stellvertretend die Rolle des klagend in die Zukunft schauenden Menschen.
Die Religiosität Trakls - ein in sich zerfallendes Bild?
Der Vergleich beider Gedichte hat gezeigt, dass es sich zwar in Ansätzen um religiöse Symbolik und Metaphorik handelt, allerdings sind dabei keine klaren christlich motivierten Absichten zu erkennen. Die in beiden Gedichten auftauchende Bildhaftigkeit der Symbole Glocken und Pilgerz ü gen zeigt eine Verbundenheit mit der religiösen Metaphysik, ohne diese jedoch komplett in sich aufzunehmen, es scheint als streife der Autor in seinen Gedichten behutsam die Religion, bleibt dabei jedoch so profan, als dass man meinen könnte, er bediene sich der Symbolik aus rein künstlerisch - schaffenden Beweggründen und nicht aus einem innerlich angetriebenen wahren Glaubensbekenntnis heraus. Er verdeutlicht die Aussagekraft der Bilder, indem er die Symbolgewalt der religiös aufgeladenen Elemente in den Bildfluss einarbeitet und somit eine Verbindung der Bilder mit der Religion herstellt. Es entsteht also eine direkte Beziehung des Herbstes, des nahenden Dunkel und der Existenz bedrohenden Unfruchtbarkeit der Felder und Äcker, mit den Mut und Freude spendenden Ton der Religion. Der Mensch findet in ihnen Halt und Kraft für das Unerwartete, das Kommende. Die Religion wird also als Schutz und Rettungsanker im menschlichen Zyklus aufgegriffen, den eigentlichen Sinn der Religion, sie wird als das gezeigt, was sie ist - ein ins Dunkel geworfenen Licht, das den Menschen durch quälende Lebenstage führen soll.
Die eindeutige Zuordnung Trakls in eine religiöse Richtung hat sich auch in der Bearbeitung des zweiten Gedichtes nicht gezeigt und es bleibt bei einer für diese zwei Gedichte zutreffenden Aussage: Georg Trakls Religiosität spielt sich auf dem Boden des künstlerischen Anspruchs ab, der Anspruch der Verbreitung eines gewissen religiösen Ideals im Sinne der bekannten Ideale der Kirchen bleibt aus. Die Religiosität in den Gedichten ist eine spirituelle Zuneigung den verfallenden Elementen des existentiellen Zykluses, den dunklen Abschnitten im menschlichen Leben, das Aufzeigen der Abgründe zu, ein reines expressives Erleben der emotionalen Bildhaftigkeit des Verfalls. Es steckt eine gewisse spirituelle Romantik in den Gedichten, ein Hineinziehen des Eigenen in den Strom, der nicht aufzuhalten ist.
Trakls Religiosität ist in diesen Gedichten nicht auf dem, wie oft behauptet, christlichen, beinahe urkatholischen, Idealismus basiert sondern zieht sich vielmehr in die Nische der eigenen, sich selbst in der Umwelt auflösenden Religion, die Kraft als auch Mut spenden kann, jedoch bleibt eine stille Verbindung zur alten und überall existenten Religion nicht aus. Diese Verbindung lässt sich auch durch die Zeit, in der die Gedichte entstanden sind, erklären, denn die Nähe zur christlichen Religion war anfangs des letzten Jahrhunderts noch allgegenwärtig und in den sozialen Schichten sehr präsent und einflussreich. So konnte sich auch Trakl diesem Einfluss nicht entziehen und die Symbolik dessen, was seine Erziehung ihn lehrte, floß in seinen Werken ein. In zahlreichen Gedichten werden diese Symbole aufgegriffen und verarbeitet, allerdings ohne den direkten christlichen Bezug herzustellen.
Abschließend möchte ich nochmals erwähnen, dass ich keine repräsentative Aussage zu treffen suchte, denn mein Blick fiel nur auf zwei Gedichte aus dem Schaffen Trakls, und anhand diesen zwei Gedichten lässt sich Trakls Religiosität nur insofern ablesen, als dass er sich der Symbolik bedient, allerdings einen eigenen, fern den bekannten Motiven der existenten Religionen , Spiritualismus aufbaut, der sich dem Leser als religiös zu offenbaren scheint. Hier greift Heideggers Aussage, dass „weder die Begriffe der metaphysischen noch diejenigen der kirchlichen Theologie zureichen“ -Trakl baut in diesen Gedichten sein eigens Verständnis von Religion auf. Trakls Religiosität entspricht also einem Bild, das entsteht, je tiefer es aber in den Betrachter dringt, desto zerfallender erscheint der Anfangseindruck.
Bibliographie
Benn, Gottfried: Essays, Reden, Vorträge (=Gesammelte Werke in vier Bänden, erster Band), Wiesbaden: Limes Verlag, 1959.
Heidegger, Martin: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges 1910-1976 (=Gesamtausgabe, Bd.16), Frankfurt/M: Klostermann, 2000.
Laske-Schüler, Else: Die Gedichte.1902-1943, Frankfurt/M: Suhrkamp, 1997.
Werke, Entwürfe, Briefe. Hrsg. von Kemper, Hans-Georg/Max, frank Rainer, Stuttgart: Reclam, 1984.
Wetzel, Heinz: Klang und Bild in den Dichtungen Georg Trakls, zweite, durchgesehene und ergänzte Ausgabe, Göttingen, 1972.
Martin, Hans-Jürgen, Drosseln (Turdinae), www.tierundnatur.de, 27.03.2002.
[...]
1 Basil, Otto: Trakl. mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 17. Auflage, Hamburg: Rowohlt, 1999.
2 laut Basil zählen dazu ebenfalls: Benn, Chagall, Heym, Kafka, Musil, Picasso, Wittgenstein u.a.
3 ebd.
4 Heideggers Rede auf der Bühlerhöhe: „Georg Trakl, eine Erörterung seines Gedichtes“
1 Werke, Entwürfe, Briefe. Hrsg. von Kemper, Hans-Georg/Max, Frank Rainer, Stuttgart: Reclam, 1984.
2 Die einzigen lebenden Individuen in diesem Gedicht sind Raben, die allerdings eine begleitende Aufgabe, das Verstärken der Bedrohlichkeit des Vergehens/Verwehens, der Zeitlichkeit, besitzen.
1 Verbreitet, und wahrscheinlich auch zu Trakl gelangt, ist diese Form des Sonetts, aus Frankreich, durch Baudelaire und Rimbaud, deutsche Dichter haben sich dieser Form angenommen, was sich in den Werken von Trakl und Rilke klar ablesen lässt
1 Gemeint ist hier und im fortlaufenden Text, die Gesamtheit der fünf Weltreligionen: das Christentum, das Judentum, der Islam, der Buddhismus und der Hinduismus. Eine Vereinigung aller existenten Religionen anzustreben beziehungsweise diese zu fordern ist schier unmöglich und bleibt bis dato Absurdität.
2 Gottfried Benn in seiner Rede „Probleme der Lyrik“. Unter Andichten versteht er die zu Beginn eines Gedichtes stehende Erläuterung zur inneren und äußeren Befindlichkeit der Situation im Gedicht selbst.
1 das Paradies, das Adam und Eva, die ersten Menschen, betreten haben und ihnen von Gott als Ort, als Umgebung und Umwelt des zukünftigen Seins aller Menschen geschaffen wurde
1 vgl. Wetzel, Heinz: Klang und Bild in den Dichtungen Georg Trakls, zweite, durchgesehene und ergänzte Ausgabe , Göttingen, 1972.
1 Bezugnehmend auf das lateinische Sprichwort: „In vino veritas“.
1 im ersten Vers des ersten Quartetts: „Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,“.
1 Vergleichend dazu sollten die Herbstgedichte Rainer Maria Rilkes herangezogen werden, die fast identische Motive aufweist, diese allerdings in lebensfroher Art und Weise in die Gedichte setzt.
- Arbeit zitieren
- Jan Theuerl (Autor:in), 2002, Religion des Verfalls? Georg Trakls Verfall und Verklärter Herbst im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106508
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