Die Gewalt der Jeunes des Cités rückte spätestens in den 80er Jahren seit den Unruhen in den Vororten von Lyon in den Mittelpunkt des medialen Interesses. Doch auch die aktuelle Pandemie macht die sozialen Benachteiligungen wieder sichtbar. Alltagskriminalität wie Drogenkonsum und Vandalismus sind allgegenwärtig. Jugendsprache in den Pariser banlieues: Am Rande der Gesellschaft?
Dieser Essay befasst sich mit der Jugendsprache in den banlieues, wobei zunächst auf den soziologischen Hintergrund eingegangen werden soll, bevor es um die Jugendsprache in ebenjenen gehen wird.
1. EINLEITUNG
Die Gewalt der Jeunes des Cités rückte spätestens in den 80er Jahren seit den Unruhen in den Vororten von Lyon in den Mittelpunkt des medialen Interesses. Doch auch die aktuelle Pandemie macht die sozialen Benachteiligungen wieder sichtbar. Alltagskriminalität wie Drogenkonsum und Vandalismus sind allgegenwärtig. Jugendsprache in den Pariser banlieues: Am Rande der Gesellschaft?
Dieser Essay befasst sich mit der Jugendsprache in den banlieues, wobei zunächst auf den soziologischen Hintergrund eingegangen werden soll, bevor es um die Jugendsprache in ebenjenen gehen wird.
2. HAUPTTEIL
2.1. Soziologischer Hintergrund
Die soziale Situation in den französischen banlieues ist aufgrund der jahrelang versäumten Integrationspolitik sehr problematisch. Rund um die Metropolregionen wurden Plattenbauten errichtet, die zum Mittelpunkt der sozialen Brennpunkte wurden: Arbeitslosigkeit, Probleme wie Drogenkonsum und hohe Kriminalität sind Alltag in den französischen Vororten. „Eine trostlose Gegend. (...) Egal, wo man in diesem Dschungel hinschaut, überall präsentiert sich das gleiche Bild: kaputte Türen, kaputte Fenster, kaputte Briefkästen, kaputte Treppen“ (Lamine 2005: 1). Die Jugendlichen der Vororte sind in einer besonders schwierigen Lage, da sie zumeist schlecht ausgebildet sind, was dazu führt, dass sie keinen Arbeitsplatz bekommen. Zudem gibt es kaum Angebote zur Freizeitgestaltung, sodass die jungen Erwachsenen nicht von der Straße geholt werden und dadurch häufig im die Kriminalität abrutschen, um sich die Zeit zu vertreiben (vgl. Lamine 2005: 1). In diesem Zusammenhang ist der Begriff der „Exklusion“ einzuführen, worunter „die mangelnde oder blockierte Zugangsmöglichkeit zu Gütern, Positionen und Beteiligungschancen“ (Loch 2005: 45) verstanden wird, also der fehlende Zugang zu ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Kontexten der Gesellschaft. Die Ursprünge der Marginalisierung von Hochhausgebieten in den banlieues liegen insbesondere in der Urbanisierungspolitik, die durch schnelle Errichtung sowie die zentrale homogene Steuerung gekennzeichnet ist. Die Segregation der Stadtteil wurde somit politisch und städtebaulich eingeleitet (vgl. Kühr 2001: 79ff.). Für die GastarbeiterInnen, die systematisch nach dem 1. Weltkrieg nach Frankreich geholt wurden, um die französische Wirtschaft wieder aufzubauen, mussten Unterkünfte geschaffen werden. Die Wohnungen in den riesigen grands ensembles hatten zunächst ein positives Image und stellten gegenüber der bidonvilles, die regelrechte Slums waren, eine Verbesserung dar. Zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Vierteln wurde eine sozialpolitische Stadtpolitik (Politique de la Ville) eingeleitet, jedoch merkte man nach erfolgloser Stadtpolitik, dass nach wie vor strukturelle Barrieren den Alltag der Menschen bestimmen. Die zwei Extrema der französischen Gesellschaft können durch die Oppositionen reich und gut ausgebildet auf der einen Seite, auf der anderen Seite arm und immigriert charakterisiert werden (vgl. Maurin 2004: 22).
Die Arbeitslosenquote in den zones urbaines sensibles lag 2007 bei 17,9% und damit bei mehr als doppelt so hoch als der nationale Durchschnitt (8,1%). Junge Erwachsene im Alter von 15 bis 24 Jahren sind dabei zu mehr als 30% arbeitslos, dies liegt vor allem daran, dass bei gleicher Qualifikation Bewohner der zone urbaine sensible doppelt so häufig arbeitslos sind als Menschen von außerhalb (vgl. Hillebrand/Kreuder-Sonnen 2009: 2). Mit dem Programm ‚ La France – une chance pour tous‘ versucht Emmanuel Macron seit Beginn seiner Amtsperiode gegen die Chancenungleichheit zu kämpfen. Mit der Einführung der Vorschule soll von Anfang an dieselbe Startchance geschaffen werden und auch Angebote in den Bereichen Kultur und Sport sollen dazu beitragen die Kinder von den Straßen zu holen (vgl. Frankreich – Hilfe zur Selbsthilfe in den banlieues).
Diese äußeren Einflüsse zeichnen sich auch auf sprachlicher Ebene aus. Durch die verschiedenen Kulturen in den banlieues kommt es zu einer Mischung der Herkunftssprachen einerseits. Andererseits wirkt sich auch die Umwelt der Jugendlichen, die größtenteils durch Emotionen wie Aggression und Trostlosigkeit sowie dem niedrigen Bildungsstand gefärbt ist, in Form von Expressivität, Emotionalität und der Abgrenzung durch eben eine schockierende Sprache auf die Standartsprache aus.
2.2. Jugendsprache
Jugendsprache ist nach Neuland ein „mündlich konstruiertes, von Jugendlichen in bestimmten Situationen verwendetes Medium der Gruppenkommunikation“ (Neuland 2009: 45). Eine eindeutige Definition ist jedoch nicht möglich, da Jugendsprache bereits von SprecherIn zu SprecherIn variieren kann. Aussagen werden „meist aus dem Einfühlungsvermögen heraus getätigt“ (Zimmermann 2008: 205), um sich vor allem von der Erwachsenenwelt abzugrenzen. Durch das Abgrenzen entsteht ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl, welches wesentlich zur Förderung der Individualität und des Selbstbewusstsein beiträgt. Die Jugendsprache hat im Französischen ein niedriges Prestige und wird deshalb auch dem français vulgaire zugeordnet. Goudailler bezeichnet ebenjene deshalb als „français contemporain des cités“ (Goudailler 2002: 10).
Durch die Heterogenität an Kulturen in den banlieues kommt es in der Jugendsprache zu einer Mischung der verschiedenen Herkunftssprachen. Das Wort kiffer kommt beispielsweise aus dem Arabischen kif ‚Mischung aus Tabak und Cannabis‘ und wird synonym mit aimer verwendet. Das Beispiel zeigt auch, wie sich ehemalige Entlehnungen in die französische Sprache integrieren, denn kiffer ist bereits im Grand Robert als französische Umgangssprache eingegangen. Dem Verb wurde – der französischen Grammatik gemäß – die Endung /-er/ versehen und wird auch wie ein französisches Verb konjugiert. Generell sind viele Entlehnungen eine großes Feld und nicht nur Arabismen sondern vor allem auch Anglizismen integrieren sich in die Sprache.
Ein weiteres Merkmal ist die Jugendsprache ist die Vulgärsprache. Wörter, die in der Gesellschaft als obszön betrachtet werden, spielen in der Jugendsprache eine bedeutende Rolle, um sich von nicht gruppenangehörigen Personen abzugrenzen: „Sprechen als ‚Spiel mit Sprache, kulturellen Mustern und Werten‘ ist für Jugendliche auch ein ‚Spiel mit Grenzen‘. Da kann Sprache sexistisch, rassistisch und persönlich angreifend sein, ohne dass dies mit Konsequenzen verbunden ist“ (Schlobinski 1993: 147). Diese Abgrenzung gibt es auch unter Jugendlichen untereinander. So nennen sich Jugendliche, die sich der culture de la rue verhaftet sehen, racaille ‚Gesindel‘. Wohingegen Jugendliche, die eben keine große Affinität zur culture de la rue haben, abwertend als bouffon/ne ‚Clown‘ bezeichnet wird. An diesem Beispiel kann zudem erkannt werden, dass Metaphern ein spezielles rhetorisches Mittel nicht nur in den banlieues ist, sondern ein typisches Merkmal aller Jugendsprache ist (vgl. Zimmermann 2008: 207).
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- Anonymous,, 2020, Jugendsprache in den Pariser banlieues: Am Rande der Gesellschaft?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064585