Seit über 30 Jahren beschäftigen sich Sozialwissenschaftler nun schon mit dem Thema „Kultivierung“. Beeinflusst das Fernsehen das Weltbild seiner Zuschauer? Übernehmen Menschen die sozialen Verhältnisse im Fernsehen für ihre Sicht der realen Welt? Die Kultivierungsforschung geht davon aus, dass gerade das Thema Gewalt und auch die Anzahl der Personen, die zur Verbrechensbekämpfung oder in Krankenhäusern eingesetzt werden, von Fernsehzuschauern für die Realität stark überschätzt werden. Der Grund liegt darin, dass Gewalt und die oben genannten Berufsbilder im Fernsehen im Vergleich zum wirklichen Leben überproportional stark vertreten sind. Die Kultivierungsforschung hat sich bereits intensiv mit Einflussvariablen auseinander gesetzt, die zusätzlich zum Fernsehkonsum die Kultivierung beeinflussen. Darunter fällt zum Beispiel das Involvement während des Fernsehens, die persönliche reale Erfahrung einer Person mit Gewalt oder auch das genrespezifische Nutzungsverhalten des Fernsehzuschauers.
Aber wie stabil sind eigentlich solche Kultivierungsurteile? Sie werden allgemein als Kurzzeiteffekte angesehen, die mit der Zeit nachlassen, wenn der TVKonsum stark zurückgeht. Nur durch Kumulation vieler Einzeleffekte entsteht angeblich ein langfristiger Kultivierungseffekt. Welchen Einfluss nun tatsächlich Unterschiede im TV-Konsum, Involvement oder der persönlichen realen Gewalterfahrung zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten auf die Kultivierung haben, soll diese Untersuchung zeigen. Wir wollen feststellen, wie stabil Kultivierungsurteile sind und wodurch die Stabilität oder Instabilität bedingt ist. Zu diesem Zweck wurden im Winter 2001/2002 im Abstand von vier Wochen zweimal Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen der Universität München befragt. Dabei war es wichtig, in beiden Befragungswellen die gleichen Studenten zu erreichen. Anhand des Paneldesigns konnten sowohl Unterschiede in der Kultivierung exakt verglichen sowie auch überprüft werden, ob diese auf Unterschiede unabhängiger Variablen zu den zwei Messzeitpunkten zurückzuführen sind.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Teil
2.1 Stand der Forschung
2.2 Hypothesen der Untersuchung
3 Empirischer Teil
3.1 Methode
3.2 Deskription der Stichprobe
3.3 Unabhängige Variablen
3.4 Abhängige Variable
3.5 Ergebnisse
3.5.1 Hypothesen zur Kultivierung
3.5.1.1 H1: Je mehr jemand fiktionales Fernsehen sieht, desto höher ist der Kultivierungseffekt
3.5.1.2 H2: Je niedriger das Involvement, je geringer die persönliche Gewalterfahrung und je höher der durchschnittliche TV-Konsum, desto höher der Kultivierungseffekt
3.5.2 Hypothesen zur Stabilität von Kultivierungsurteilen
3.5.2.1 H3: Unterschiede im TV Konsum zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten verursachen instabile Kultivierungsurteile
3.5.2.2 H4: Eine zuvor noch nicht gemachte Gewalterfahrung zwischen zwei Messzeitpunkten führt zu sinkenden Kultivierungsurteilen
3.5.2.3 H5: Unterschiede in der realen Gewalterfahrung über Medien zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten führen zu instabilen Kultivierungsurteilen
3.5.2.4 H6: Unterschiede im Involvement zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten verursachen instabile Kultivierungsurteile
3.5.2.5 H7: Bei Vielsehern und Wenigsehern sind Kultivierungsurteile jeweils über zwei verschiedene Messzeitpunkte stabil
3.5.3 Zusammenfassung
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
6 Abbildungsverzeichnis
7 Anhang
2 Einleitung
Seit über 30 Jahren beschäftigen sich Sozialwissenschaftler nun schon mit dem Thema „Kultivierung“. Beeinflusst das Fernsehen das Weltbild seiner Zuschauer? Übernehmen Menschen die sozialen Verhältnisse im Fernsehen für ihre Sicht der realen Welt? Die Kultivierungsforschung geht davon aus, dass gerade das Thema Gewalt und auch die Anzahl der Personen, die zur Verbrechensbekämpfung oder in Krankenhäusern eingesetzt werden, von Fernsehzuschauern für die Realität stark überschätzt werden. Der Grund liegt darin, dass Gewalt und die oben genannten Berufsbilder im Fernsehen im Vergleich zum wirklichen Leben überproportional stark vertreten sind. Die Kultivierungsforschung hat sich bereits intensiv mit Einflussvariablen auseinander gesetzt, die zusätzlich zum Fernsehkonsum die Kultivierung beeinflussen. Darunter fällt zum Beispiel das Involvement während des Fernsehens, die persönliche reale Erfahrung einer Person mit Gewalt oder auch das genrespezifische Nutzungsverhalten des Fernsehzuschauers.
Aber wie stabil sind eigentlich solche Kultivierungsurteile? Sie werden allgemein als Kurzzeiteffekte angesehen, die mit der Zeit nachlassen, wenn der TV-Konsum stark zurückgeht. Nur durch Kumulation vieler Einzeleffekte entsteht angeblich ein langfristiger Kultivierungseffekt. Welchen Einfluss nun tatsächlich Unterschiede im TV-Konsum, Involvement oder der persönlichen realen Gewalterfahrung zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten auf die Kultivierung haben, soll diese Untersuchung zeigen. Wir wollen feststellen, wie stabil Kultivierungsurteile sind und wodurch die Stabilität oder Instabilität bedingt ist.
Zu diesem Zweck wurden im Winter 2001/2002 im Abstand von vier Wochen zweimal Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen der Universität München befragt. Dabei war es wichtig, in beiden Befragungswellen die gleichen Studenten zu erreichen. Anhand des Paneldesigns konnten sowohl Unterschiede in der Kultivierung exakt verglichen sowie auch überprüft werden, ob diese auf Unterschiede unabhängiger Variablen zu den zwei Messzeitpunkten zurückzuführen sind.
3 Theoretischer Teil
3.1 Stand der Forschung
Vielseherforschung Gerbners
Im Rahmen seiner Studien zur Gewaltdarstellung im Fernsehen entwickelte George Gerbner einen Ansatz, der als Kultivierungsanalyse bekannt wurde. Gerbner ging davon aus, dass der Fernsehkonsum beim Zuschauer ein bestimmtes Weltbild kultiviert, der Rezipient also bestimmte Werte, Ideen oder Meinungen aus der fiktionalen TV-Welt unbewusst zur Konstruktion sozialer Realität verwendet. Um seinen Ansatz zu überprüfen, unterschied Gerbner sogenannte Vielseher (mehr als vier Stunden pro Tag) von sogenannten Wenigsehern (weniger als zwei Stunden pro Tag). Die Ergebnisse zeigten, dass Vielseher tatsächlich dazu neigen, den prozentualen Anteil der Berufe in der Verbrechensbekämpfung im Hinblick auf die reale Berufsverteilung deutlich zu überschätzen. Da im fiktionalen TV diese Berufsgruppe deutlich überrepräsentiert ist, wertete Gerbner dieses Ergebnis als Hinweis für Kultivierungseffekte durch das Fernsehen (Gerbner, 1976). Eine lebhafte Diskussion um methodische Mängel der Studien führte rasch zur Entwicklung differenzierter Modelle und zur Konzentration auf psychologische Prozesse der Informationsverarbeitung und des Informationsabrufs.
Lernprozesse nach Hawkins und Pingree
Hawkins und Pingree wiesen darauf hin, dass Kultivierungseffekte nicht unbedingt von der Dauer des Fernsehkonsums abhängen. Da die Rezipienten eher selektiv als habitualisiert vorgehen, müssten vor allem die rezipierten Inhalte betrachtet werden. Um den Prozess der Kultivierung besser verstehen zu können, nahmen sie einen Lernprozess an. Der Rezipient nimmt beim Fernsehkonsum zunächst eine Fülle von Informationen auf. Erst in einem zweiten Schritt konstruiert er daraus eine soziale Realität. Die einzelnen Schritte unterliegen dabei jeweils dem Einfluss mehrerer Variablen. Besonders der Lernprozess, also die Aufnahme von neuen Informationen, ist determiniert durch den Grad an Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung und Involvement, den der Rezipient aufweist. Der Prozess der Realitätskonstruktion wird unter anderem von den kognitiven Fähigkeiten, dem sozialen Umfeld und den Nutzungsgewohnheiten des Rezipienten beeinflusst. (Hawkins & Pingree, 1981).
Subprozesse durch Potter
W. James Potter differenzierte diesen Lernprozess und unterschied dabei zwei Ebenen von Kultivierungseffekten: Die Konstruktion sozialer Realität kann sich einerseits in der Einschätzung von Fakten zeigen, wie etwa die geschätzte Häufigkeit von Berufen (first order beliefs). Andererseits können sich Kultivierungseffekte auch auf Meinungen, beispielsweise über die Moral der Menschen, auswirken (second order beliefs).
Darauf aufbauend geht Potter von drei Subprozessen aus, die in ihrem Zusammenwirken ein Realitätskonstrukt bilden: Zunächst erhält der Rezipient aus dem Fernsehen Informationen (first order beliefs) und Meinungen (second order beliefs) über die TV-Welt (learning). Diese können sich im Rahmen der Realitätskonstruktion jeweils in Einschätzungen und Meinungen über die Wirklichkeit übertragen (construction). Zusätzlich können die first order beliefs, sowohl in der TV-Welt als auch in der konstruierten Realwelt, auf die Meinungen Einfluss nehmen (generalization) (Potter, 1991).
Prozess der Urteilsbildung
L.J. Shrum unterzog die Methodik der „empirischen Befragung“ in der Kultivierungsforschung, die vor allem subjektive Einschätzungen abfragt, einer kritischen Betrachtung. Er vermutete, dass vor allem durch die Befragungssituation die Urteilsbildung verfälscht wird. Um die Auswirkungen situativer Bedingungen zu beschreiben, bemühte er Ansätze der sozialen Kognitionstheorie.
Bei der Untersuchung von Kultivierungseffekten werden oft sogenannte „Set-Size Judgements“ abgefragt, das sind quantitative Einschätzungen etwa über die Häufigkeitsverteilung bestimmter Berufe. Dabei kann die Urteilsbildung unterschiedlich erfolgen. Der Befragte geht systematisch vor, wenn er alle verfügbaren Erfahrungen zur Fragestellung mit einbezieht und sein Urteil quasi mathematisch abwägt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Befragte heuristisch vorgeht, besonders da er bei einer Befragung in der Regel ein geringes Involvement aufweist und unter gewissem Zeitdruck steht. In diesem Fall richtet sich eine Urteilsbildung vor allem nach den Erfahrungen, die der Befragte als erstes und am leichtesten abrufen kann. Die Erinnerung an bereits gemachte Erfahrungen ist demnach bestimmt von ihrer Verfügbarkeit (accessibility), die von vier Faktoren abhängt:
- Regelmäßigkeit und Zurückliegen (frequency & recency)
- Lebhaftigkeit (vividness)
- Außergewöhnlichkeit (distinctiveness)
- Vertrautheit mit dem Thema (relation to accessible constructs)
Je stärker die einzelnen Faktoren ausgeprägt sind, desto schneller und leichter kann der Befragte die Erfahrung ins Gedächtnis rufen und sie in seine Urteilsbildung einfließen lassen (Shrum, 1995).
Quellenvergessen
In der Regel unterscheiden Rezipienten sehr wohl zwischen fiktionaler TV-Welt und Realität. Trotzdem treten Kultivierungseffekte auf. Shrum vermutet, dass die Information selbst länger erinnert wird als die Quelle, von der sie stammt. Dies gilt insbesondere bei geringem Involvement. Demzufolge dienen Genres wie Soaps, die nicht extensiv verarbeitet werden, häufiger zur Konstruktion sozialer Realität als Genres, die mit erhöhter Aufmerksamkeit rezipiert werden.
Stabilität von Kultivierungsurteilen
Die vorliegende Studie soll nun untersuchen, unter welchen Bedingungen sich Kultivierungseffekte instabil zeigen. Die oben beschriebenen unterschiedlichen Ansätze und Erkenntnisse zur Kultivierung wurden in einem Modell zusammengefasst, das die verschiedenen Aspekte, die Einfluss auf die Kultivierungsurteile haben, aufzeigt:
1) Tabelle: Kultivierungsmodell
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wir gehen davon aus, dass eine Person Informationen bzw. Erfahrungen einerseits aus dem fiktionalen TV bezieht, und andererseits aus der realen Welt. Dabei sind für uns Erfahrungen aus der realen Welt auf vielen Wegen und in unterschiedlicher Intensität denkbar. Am stärksten wirken sicherlich Erfahrungen, die aus persönlichen Erlebnissen resultieren. Vieles erfahren wir aber auch durch interpersonale Kommunikation oder Medien. Die aufgenommenen Informationen werden mit der Quelle, aus der sie stammen, unterschiedlich stark in Verbindung gebracht. Je höher die Aktivität und das Involvement bezüglich der neuen Informationen ausgeprägt sind, desto eher wird auch die Quelle erinnert. Wird eine Person explizit darauf hingewiesen, dass sie Informationen aus fiktionalem Fernsehen bezogen hat, wird sie diese bei einer Urteilsbildung bewusst nicht mit einbeziehen.
3.2 Hypothesen der Untersuchung
Wie oben in dem Modell dargestellt, spielt neben dem Konsum von fiktionalem TV auch die reale Welterfahrung, die sowohl persönlich, über interpersonale Kommunikation wie auch real-medial vermittelt werden kann, eine große Rolle. Aus diesen persönlichen und medialen Erfahrungen, wobei jeweils nicht nur die Information, sondern auch die Quelle gelernt wird, konstruiert die Person schließlich ihr Weltbild. Starken Einfluss auf den Lernvorgang haben dabei das Involvement und die Aktivität einer Person während des Fernsehens.
Wir nehmen an, dass Kultivierungsurteile instabil sind, wenn sich einzelne Einflussvariablen des Modells ändern.
Bevor wir uns aber der Stabilität von Kultivierungsurteilen zuwenden, soll zunächst einmal die Kultivierung an sich untersucht werden. In Anlehnung an Shrum und O´Guinn (1993) gehen wir davon aus, dass bei schwierigen Fragen auf Heuristiken zurückgegriffen wird, das heißt auf das, was einem als erstes einfällt, ohne lange darüber nachzudenken. Schätzurteile, die im Sinne der Kultivierung abgefragt werden, basieren auf dem, was einem am leichtesten in den Sinn kommt. Vielseher, denen durch ein ständiges Updating die Informationen aus dem Fernsehen leichter zugänglich sind, sollten deswegen höhere Kultivierungsurteile abgeben als Wenigseher. Daraus lässt sich unsere erste Hypothese ableiten:
H1: Je mehr jemand fiktionales Fernsehen sieht, desto höher ist der Kultivierungseffekt.
Neben dem TV-Konsum spielen aber auch das Involvement einer Person beim Fernsehen und ihre persönliche Gewalterfahrung eine große Rolle bei der Bildung von Kultivierungseffekten.
Je mehr sich eine Person mit dem im Fernsehen Gesehenem auseinander setzt, desto besser lernt sie die Inhalte und desto leichter kann sie sich vor allem auch die Quelle merken. Bei Schätzungen der sozialen Realität wird diese Person berücksichtigen, dass ihr Wissen auf Informationen aus dem fiktionalem Fernsehen beruht. Kultivierungseffekte sind gering. Allerdings wird auch bei hohem Involvement die Quelle nach längerer Zeit vergessen, somit können wiederum Kultivierungseffekt entstehen.
Die gleiche Tendenz wie bei hohem Involvement weisen Kultivierungseffekte auf, wenn die Person bereits persönliche Erfahrung mit einem bestimmtem Thema gemacht hat, wobei wir uns in unserer Untersuchung auf Gewalterfahrungen beschränken. In dem Fall muss sie für Schätzungen nicht auf Fernsehinhalte zurückgreifen, sondern kann ihre Urteile bewusst auf reale Daten basieren lassen.
Eine Kombination der Einflüsse von TV-Konsum, Involvement und persönliche Reale-Welt-Erfahrung auf die Kultivierungseffekte lassen sich in der folgenden Hypothese zusammenfassen:
H2: Je niedriger das Involvement, je geringer die persönliche Gewalterfahrung und je höher der durchschnittliche TV-Konsum, desto höher der Kultivierungseffekt.
Im zweiten Teil der Untersuchung wenden wir uns nun der Stabilität von Kultivierungsurteilen zu.
Wenn der TV-Konsum einen Einfluss auf den Kultivierungseffekt besitzt, dann müssen Kultivierungsurteile unterschiedlich ausfallen, wenn sich der TV-Konsum in der Zwischenzeit ändert. Nimmt der TV-Konsum zwischen zwei Messzeitpunkten zu, so muss auch der Kultivierungseffekt steigen. Nimmt der TV-Konsum hingegen zwischen zwei Messzeitpunkten ab, so sinkt der Kultivierungseffekt. Der Kultivierungseffekt ist ein Kurzzeiteffekt, der mit der Zeit nachlässt, wenn nicht durch ständiges Updating ein kumulativer Effekt aus vielen Einzeleffekten entsteht.
H3: Unterschiede im TV Konsum zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten verursachen instabile Kultivierungsurteile.
Solange eine Person keine persönliche Erfahrung mit Gewalt gemacht hat, ist der Kultivierungseffekt relativ hoch. In diesem Fall sind ihr Informationen aus dem Fernsehen am leichtesten zugänglich und werden als Basis für Urteile verwendet. Sobald die Person aber persönliche Erfahrung mit Gewalt gemacht hat, wird sie ihre Urteile darauf stützen. Der Kultivierungseffekt sinkt. Wir gehen in unserer Untersuchung nur von dieser Entwicklung aus. Die andere Möglichkeit, dass eine Untersuchungsperson vor der ersten Welle eine persönliche Gewalterfahrung erlebt hat, dann aber bis zur zweiten Welle keine mehr und somit der Kultivierungseffekt steigt, halten wir für unwahrscheinlich. Wir denken, dass eine persönliche Erfahrung mit Gewalt nicht so leicht vergessen wird, die Kultivierungsurteile in dem Falle also nicht ansteigen würden. Aus diesem Grund vernachlässigen wir diese Situation in unserer Untersuchung. Unsere Hypothese lautet demnach wie folgt:
H4: Eine zuvor noch nicht gemachte Gewalterfahrung zwischen zwei Messzeitpunkten führt zu sinkenden Kultivierungsurteilen.
Unter medial vermittelter Realer-Welt-Erfahrung versteht man Informationen, die man aus dem Fernsehen, der Zeitung oder anderen Medien erhalten hat, die aber nicht fiktionaler sondern realer Natur sind. Darunter fallen vor allem die Nachrichten. Wir gehen davon aus, dass eine Zunahme an real-medialer Gewalterfahrung vom ersten Messzeitpunkt zum zweiten eine Senkung der Kultivierungseffekte nach sich zieht. Eine Abnahme der realen Fernsehgewalt vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt hingegen sollte einen Anstieg der Kultivierungsurteile bewirken. Der Grund liegt wieder darin, dass Personen sobald sie reale Erfahrungen mit Gewalt gemacht haben, diese als Basis ihrer Urteile verwenden, statt der Informationen aus dem fiktionalem Fernsehen.
H5: Unterschiede in der realen Gewalterfahrung über Medien zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten führen zu instabilen Kultivierungsurteilen.
Eine Person, die sich neben dem Fernsehen noch mit anderen Dingen beschäftigt und die Information somit nur unbewusst wahrnimmt, wird die Quelle sehr bald vergessen. Bei der Fällung von Urteilen, wird sie sich ohne zu realisieren, woher sie ihr Wissen hat, auf das stützen, was ihr als erstes in den Sinn kommt. Das wäre in dem Falle die Fernsehinformation. Ein niedriges Involvement suggeriert also ein hohes Kultivierungsurteil. Sollte die gleiche Person vor dem nächsten Messzeitpunkt jedoch sehr bewusst ferngesehen haben, sich vielleicht sogar noch über das Gesehene unterhalten haben, wird sie diesmal die Glaubwürdigkeit der Quelle bei ihren Urteilen mit einfließen lassen. Das Kultivierungsurteil muss geringer ausfallen. Im umgekehrten Fall, also zuerst hohes, dann niedriges Involvement, wird das Kultivierungsurteil vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt ansteigen.
H6: Unterschiede im Involvement zu zwei verschiedenen Messzeitpunkten verursachen instabile Kultivierungsurteile.
Wie bereits weiter oben angesprochen, führt das ständige Updating bei Vielsehern zu kumulativen Effekten. Aus diesem Grund fallen Kultivierungsurteile bei Vielsehern höher aus als bei Wenigsehern. Da Vielseher sowohl vor dem ersten Messzeitpunkt wie auch vor dem zweiten Messzeitpunkt viel fernsehen, es also keine Unterschiede im TV-Konsum gibt, gehen wir davon aus, dass die Kultivierungsurteile bei Vielsehern stabil sind. Das Gleiche muss natürlich auch bei konstanten Wenigsehern gelten.
H7: Bei Vielsehern und Wenigsehern sind Kultivierungsurteile jeweils über zwei verschiedene Messzeitpunkte stabil.
4 Empirischer Teil
4.1 Methode
Die Datenerhebung erfolgte anhand einer Befragung. Auf die Methode der Inhaltsanalyse der rezipierten Sendungen, die in der Kultivierungsforschung üblich ist, wurde verzichtet. Da speziell die Stabilität von Kultivierungsurteilen untersucht werden sollte, war es nicht unbedingt nötig, alle rezipierten Sendungen nach typischen Themen der Kultivierungsanalyse wie Gewalthaltigkeit oder Altersverteilung der Personen zu untersuchen. Um die Stabilität von Kultivierungsurteilen über einen Zeitraum hinweg untersuchen zu können, wurde ein Paneldesign mit zwei Erhebungszeitpunkten gewählt. Durch die zweimalige Befragung der gleichen Personen können Veränderungen über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht nur auf aggregiertem Niveau festgestellt werden, sondern auch intraindividuell. Dadurch sind sehr viel konkretere Aussagen etwa über intervenierende Variablen möglich. Um ein Panel mit möglichst geringer Mortalität gewährleisten zu können, wurden die Befragungen in Seminaren der Ludwig-Maximilian-Universität in München nach vorheriger Absprache mit den Dozenten durchgeführt. Die Seminare eigneten sich durch ihren festen Teilnehmerkreis und Veranstaltungszeitpunkt.
Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Befragungen war durch die semesterorientierte Planung auf vier Wochen festgelegt. Die Befragungen wurden jeweils dienstags (11.12.01 und 15.01.02) durchgeführt. Dabei wurde bewusst der Dienstag gewählt, da zum einen an Dienstagen viele Seminare stattfinden. Zum anderen sollte das gesehene Fernsehprogramm vom vorhergehendem Werktag abgefragt werden. Störende Einflüsse eines Wochenendes, an dem Fernsehprogramm und Nutzungsverhalten sich deutlich von denen eines Werktages unterscheiden, wurden somit vermieden.
Als Erhebungsinstrument kam ein standardisierter Fragebogen zum Einsatz. Da es vor allem um die subjektiven Meinungen und Einschätzungen der Befragten ging, wurden die interessierenden Werte durch Itembatterien mit vorgegebenen Aussagen erhoben. Die Befragten sollten auf einer sieben-stufigen Likertskala jeweils den Grad ihrer Zustimmung zu den gemachten Aussagen von „trifft gar nicht zu“ bis „trifft völlig zu“ ankreuzen.
Der Fragebogen beginnt mit einer dreiteiligen Itembatterie zum Mean-World-Index. Der Grad an Zustimmung zu Aussagen wie „Die meisten Leute nützen ihre Mitmenschen aus, wenn sie dazu Gelegenheit haben“ gibt Auskunft darüber, wie die Befragten die Welt sehen.
Der zweite Block bezieht sich mit vier Aussagen zum individuellen Sicherheitsbedürfnis auf einen allgemeinen Kultivierungsindex. Typisch dafür sind Aussagen wie „Ich meide aus Sicherheitsgründen bestimmte Stadtviertel“.
Eine vierteilige Itembatterie prüft zusätzlich die allgemeine Einstellung zu Verbrechen und deren Bekämpfung durch Aussagen wie „Letzten Endes werden die Schuldigen eines Verbrechens doch gefunden“.
Die Werte in diesen drei Bereichen wurden erfasst, um sie als mögliche intervenierende Variablen kontrollieren zu können. Dabei wurden die vorgelegten Aussagen an bewährte Fragebögen von Gerbner angelehnt (Gerbner, 1978).
Mit vier „first-order-beliefs“-Fragen zum Thema Kriminalität wurde anschließend das Ausmaß der Kultivierung der befragten Personen erhoben. Bei Fragen, die eine prozentuale Schätzung forderten, ist jeweils der höhere der beiden angegebenen Prozentsätze übertrieben und weist – sofern er angekreuzt wird – auf Kultivierungseffekte hin. Eine typische Schätz-Frage ist z.B.: „Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe einer beliebigen Woche direkt oder indirekt in eine Gewalttätigkeit verwickelt zu werden, liegt bei etwa 0,05 Prozent oder etwa 0,5 Prozent?“. Bei einer weiteren Frage sollen die Befragten einschätzen, ob Gewalttätigkeiten eher zwischen Fremden oder zwischen Verwandten und Bekannten geschehen. Hier gilt die Annahme „zwischen Fremden“ als Hinweis für Kultivierung, da sie nur für die fiktionale TV-Welt gilt und keine Entsprechung in der Realität findet. Die vier Fragen wurden ebenfalls einer Studie von Gerbner entnommen. (Gerbner, 1978)
Entsprechend dem zugrundeliegenden Modell zur Stabilität von Kultivierungsurteilen wurde anschließend erhoben, ob die Befragten in den vergangenen zwei Wochen mit realer Gewalt konfrontiert worden sind. Dabei wurde unterschieden, ob die Gewalterfahrung persönlich gemacht wurde, durch interpersonale Kommunikation oder real-medial vermittelt. Wenn eine Gewalterfahrung gemacht worden ist, sollte jeweils auf einer siebenstufigen Skala angegeben werden, als wie schlimm das Erlebnis empfunden wurde.
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