Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die niederdeutschen Sprachperioden
2.1 Die altniederdeutsche Periode
2.2 Die mittelniederdeutsche Periode
3. Zusammenfassung
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die sprachgeschichtliche Entwicklung des Niederdeutschen bis hin zum Ende der mittelniederdeutschen Periode geben. Entstehung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache werden von ihren Anfängen bis hin in unsere Zeit in zahlreichen Abhandlungen der germanistischen Sprachwissenschaft behandelt. Etwas weniger Interesse gilt hingegen der Sprachgeschichte der niederdeutschen Mundarten.
Anhand einiger sprachgeschichtlicher Werke soll die Herausbildung und die Veränderung der niederdeutschen Mundarten zusammengefasst und einige wichtigere Tendenzen der Sprachentwicklung aufgezeigt werden.
Die Sprachgeschichtsschreibung teilt die Geschichte der niederdeutschen Mundarten in drei Hauptperioden ein: in die altniederdeutsche, mittelniederdeutsche und neuniederdeutsche Periode. Durch diese Periodisierung werden jene Mundarten bezeichnet, welche auf Gebieten, die in frühaltsächsischer Zeit durch sächsische Stämme belagert wurden, entstanden sind. Als niederdeutsche Mundart wird auch das Niederfränkische bezeichnet, welche Mundart aber im Verlaufe der Sprachgeschichte als eine westliche Grenzzone des Niederdeutschen und Ausgangssprache des Niederländischen eine Sonderposition einnimmt und welche, die in der vorliegenden Arbeit erläuterten Sprachveränderungen nur teilweise mitgemacht hat. Eine exakte Einteilung und Beschreibung der niederdeutschen Mundarten soll nicht den Aufgabenbereich der vorliegenden Arbeit bilden, deswegen werden nur große Sprachregionen berücksichtigt. Als thematische Grenze soll das Ende der mittelniederdeutschen Periode gelten, weil zu dieser Zeit (Anfang bis Mitte des 17. Jahrhunderts) das Niederdeutsche ihre Funktion als Schriftsprache durch die gebietübergreifende Übernahme des Hochdeutschen als Standardsprache verlor.
Für die sprachgeschichtliche Entwicklung vorgenannter Perioden werden einige Beispiele erörtert, dabei dient weitestgehend die angegebene Fachliteratur als Stütze und für die mittelniederdeutsche Periode folgen einige Belege aus der Chronik des Johann Wassenberch. Die Chronik wurde von Wassenberch in niederdeutscher Sprache abgefasst und beschreibt die Ereignisse der Jahre zwischen etwa 1474 und 1517.
2. Die niederdeutschen Sprachperioden
Zuerst soll der niederdeutsche Raum eingegrenzt werden. Sprachgeographisch liegt das Gebiet des Niederdeutschen nördlich der sog. Benrater Linie (maken/machen) und der Uerdinger Linie (ik/ich), also der Grenze der zweiten Lautverschiebung, bei der, die spätwestgermanischen Fortesplosive zu Fortesfrikativen und Affrikaten verschoben wurden. Dieser Lautwandel ist auf oberdeutschem und mitteldeutschem Gebiet erfolgt. Der sich vom Süden her ausbreitende Lautwandel hat die norddeutschen Gebiete jedoch nicht mehr erfassen können. Eine gewisse gegenseitige Beeinflussung beider großen Sprachgebiete kann jedoch nicht ungeachtet gelassen werden. Die sprachliche Grenze hat sich im Verlaufe der Geschichte bis zu ihrem heutigen Stand des öfteren verschoben.
2.1 Die altniederdeutsche Periode
Zu frühaltsächsischer Zeit, also vor der Zeit der zweiten Lautverschiebung bestand bereits eine Sprachscheide zwischen den nördlichen und südlichen Gebieten Deutschlands. Durch die südliche Ausbreitung sächsischer Stämme und deren Zusammenschluss in einen Staatsverband bildete sich die südliche Siedlungsgrenze sächsischer Stämme wegen dem starken Gegensatz zwischen Sachsen und Franken zu einer Sprachscheide ersten Grades1, die dann höchstwahrscheinlich auch als Grund für das starke Widersetzen der nordischen Stämme gegen die zweite Lautverschiebung und andere hochdeutsche Spracherscheinungen sein dürfte. Wegen des fehlenden direkten Sprachzeugnisses frühaltsächsischer Zeit wird jedoch die sprachwissenschaftliche Charakterisierung der frühaltsächsischer Periode gemieden. Sogar Überlieferungen aus altsächsischer Zeit bedeuten für die Forschung ein Problem, einerseits, weil die Schriftlichkeit dieser Zeit nicht entwickelt war, dh. die Schriftlichkeit erst im 9. Jh. mit der Christianisierung Fuß zu fassen begann; die Schreibdenkmäler, wie die Namenüberlieferungen und die Merseburger Glossen einen archaischeren nsg. Lautstand aufweisen, als die eigentlichen literarischen Denkmäler ‚Heiland’, ‚Genesis’ und die kirchliche Zweckprosa.2 Andererseits, lässt sich vermuten, dass die verwendeten Schriftzeichen keine gebietübergreifende Gültigkeit hatten und zur differenzierten Erfassung der lautlichen Werte des Altsächsischen keineswegs ausgereicht haben dürften. Obwohl die niederdeutschen Mundarten durch die Sprachscheide und politischen Gegensätzen zum Süden hin versperrt waren, war der Einfluss südlicher Formen nicht ganz auszuschließen werden. So hat das Altsächsische einige mittel- und oberdeutsche Formen übernommen, wie auch die niederdeutschen Mundarten die hochdeutsche Sprache beeinflusst haben dürften.
Die Charakterisierung diesen Sprachzustandes wird durch den Vergleich des Altsächsischen mit anderen nordseegermanischen Mundarten möglich. Das Formensystem des Altsächsischen wird in der Nominalflexion durch die Überformung des alten nordseegermanischen-osdes Nom. Plur. dera-undja-Stämme auf den Akk. Plur. (as.dagos, hirdios) charakterisiert. Diese Form wurde neben der as. Endung -a, welche höchstwahrscheinlich dem Fränkischen entnommen wurde gebraucht. Die- osForm lebt bis in das 12. Jh. in der abgeschwächten Form-as, -esweiter und taucht auch im Mittelniederdeutschen auf.3
Ein anderes Beispiel für den hochdeutschen Einfluss auf das Altsächsische lässt sich in der Morphologie des Verbs erkennen. Die nordseegermanische Form *biu‚ich bin’ , welche im ae.bêovorliegt, lautet im Altsächsischen durch die Kreuzung mit der althochdeutschen Formbim > bium.4
Zu dieser Zeit lässt sich, neben einigen Verlusten älterer Formen ein bedeutender lexikalischer Zuwachs durch Neubildungen, Lehnübersetzungen und Lehnwörter verzeichnen. Wie bereits erwähnt, spielte die Christianisierung eine wichtige Rolle in der Ausbildung der Schriftlichkeit des Altsächsischen. Eine nicht minder bedeutende Rolle kommt ihr auch bei den lexikalischen Neubildungen zu, welche erforderlich waren, um die neu entstandenen, vor allem abstrakte Sachverhalte des christlichen Lebens zu bezeichnen. So etwa:dôpisli‚Taufe’, irrislo‚Ketzerei’. Aber nicht nur Neubildungen im Bereich des christlichen Wortschatzes bereicherten den Wortschatz des As., auch Lehnübertragungen wurden auch durch das Ae., wiehêlag‚heilig’, godspell ‚Evangelium’, helliwîtiund das Ahd., wiealtari, anst‚Gnade’, diubal, engil, fern‚Hölle’ eingebracht.
Das im 8. Jh. noch andauernde Vordringen der Sachsen in südliche Gebiete mag dazu beigetragen haben, dass der altsächsische Wortschatz ein südliches Gepräge aufweist. Zentrale Bestandteile des bäuerlichen Wortschatzes sind z.B. durch südwestgermanische Bildungen verdrängt worden: die ehemalige Getreidebezeichnung *bari, die das Ae. inbær-lic, eng. barleybewahrt, lautet im As. gersta. Auch die Bezeichnung des Roggens zeigt den südlichen Einfluss, das Ae. hat die Formrygeerhalten, das As. verwendet hingegen bereits die dem Ahd. entsprechende Formroggo.Der größte Zuwachs in der Lexik des As. stammt trotz allem überwiegend aus dem Lateinischen. Die lateinischen Entlehnungen sind als Einwirkungen südlicher und südwestlicher Mundarten und deren Wortschatz auf das As. zu werten. Das lateinische Wortgut, wurde nach Frings zum größten Teil durch das Rheinische vermittelt. Folgenden Bereichen gehören die Entlehnungen hauptsächlich an:
Staats- Militärwesen:kêsur, kastel, degmo Handel:bekkîn, bikeri, kεtil, pund, sômari Landwirtschaft und Fischerei:muscula , fruht, furka, flegil, kampSteinbau:estrik, kalk, kellari, têgala Medizin:fêvar, sark, plâstar Kirche:alamôsna, altari, biscop, diuval5
Die Lehnwörter zeigen sich als sehr gute Wegweiser in der Erforschung der Stammesgeschichten. Wanderwege, Herkunftsorte oder einfach eine Teilung des niederdeutschen Raumes können an Hand der Lehnübertragungen nachgewiesen werden. So lässt sich eine nord-südliche und eine west-östliche Teilung der niederdeutschen Raumes belegen. Die nord-südliche Teilung kann auf Grund der fehlenden Quellen nur an Hand der Ortsnamen beschrieben werden. Anders steht es mit dem west-östlichen Gegensatz, bei dem auch die Lehnwörter zu Hilfe gerufen werden können. Romanisches Wortgut ist an zwei Teilen Deutschlands in das deutsche Sprachgebiet eingedrungen, diese sind der Niederrhein und das Oberrhein-Donau Gebiet. Für unsere Untersuchung ist vor allem der Niederrhein relevant. Die übertragenen Lehnwörter sind zum Teil nicht in das östlichere Niederdeutschland vorgedrungen, teilweise sind diese durch thüringische, ostfränkische und oberdeutsche Entlehnungen zurückgedrängt worden. Als Beispiel sollen die Bezeichnungenkolterundseckfür das Vorschneidemesser der Pflugschar dienen. Die lateinische Formculterlebte im Galloromanischen und wurde über den niederländisch-rheinischen Raum dem Westfälischen übermittelt. Im Osten wurde die Formkolterdurch die vom Süden in das Ostfälische vordringende Formsek(e) verdrängt, welche von der zweiten Lautverschiebung aus lat.*secum, *secaentlehn worden war.6
Selber die jüngste Lehnwortschicht, die christliche zeigt eine Spaltung des Wortschatzes. Im Westfälischen wurde für ‚Opfer’ und ‚opfern’ die dem Ndl. und dem Eng. entsprechende as. Formoffar(lat.offerre) entlehnt, bis im Ostfälischen den im Erzbistum Mainz geltenden Typusoppernübernommen wurde.
Es ist jedoch nicht nur Wortgut aus dem kirchlichen Bezirk, das durch die [fränkischen und angelsächsischen] Missionare verbreitet wurde, sondern auch weltliches.7Z.B.: ndl.
-wijk,nd.-wiekin Ortsnamen wieKatwijk, Brunswic > Braunschweig.Die Endung-seder nd. Bildungen (11. Jh.)beckersa‚Bäckerin’, meesterse‚Meisterin’fusst auf weibl. Bildungen wie afrz.Enchenteresseund ihrer vulgärlat. Grundlage.8
2.2 Die mittelniederdeutsche Periode
Die mittelniederdeutsche Periode zeichnet sich vor allem durch eine starke Veränderung des niederdeutschen Gebietes aus. Im 12.-14. Jahrhundert wurden die ostseeslawischen Gebiete von niederländischen und niederdeutschen Siedlern besiedelt und mit dem Dichterwerden der Siedlungen wurden die slawischen Reste von dem wirtschaftlich, politisch und kulturell überlegenen Deutschtum größtenteils verdrängt. Die deutsche Sprache, sowohl die des nördlichen, als auch die des südlichen Deutschlands trägt einige Elemente slawischen Sprachgutes (Jauche <poln. juchaist ein Wort des md. und nd. Ostens)9.
Auch andere Sprachgebiete, wie das des Friesischen wurden von dem Niederdeutschen unterdrückt. Der Ausweitung des niederdeutschen Gebietes steht der Verlust des südöstlichen sächsischen Gebietes gegenüber, das im regen Handel mit Thüringen stand und so zugunsten des Mitteldeutschen die niederdeutsche Sprache gänzlich aufgegeben hat.
Der Anfang der mittelniederdeutschen Periode lässt sich etwa auf das 13 Jh. setzen, hier hat die mittelniederdeutsche Sprache nach einem Ausfall von ca. 150 Jahren an niederdeutschen schriftlichen Belegen, das mit der Verwendung des Lateinischen als Schriftsprache zusammenhängt wieder eingesetzt. Das Sprachsystem ist dadurch gekennzeichnet, dass, bei Erhaltung einer eigenen niederdeutschen Sprachstruktur, der nordseegermanische (ingowänische) Charakter des Altniederdeutschen weithin zurückgetreten ist.10
Die Schriftlichkeit der niederdeutschen Sprache setzt im 13. Jh. mit der höfischen Dichtung wieder ein. Die gegenseitige Beeinflussung beider Sprachgebiete, sowohl des Mitteldeutschen auf das Niederdeutsche, als auch des Niederdeutschen auf das Mitteldeutsche kann selber im heutigen Sprachzustand nachgewiesen werden. Die Diminutivform bzw. die Diminuierung war dem Niederdeutschen so gut wie unbekannt, sie ist Folge dessen aus dem mitteldeutschen bzw. aus dem oberdeutschen Raum nach
Norden vorgedrungen, auch wenn die Diminutivendungen im heutigen Sprachgebrauch verschieden sind. (obd.-līnmd.-chīnnd.-kīnund ihre Varianten)11 Als Beispiel des niederdeutschen Einflusses dient die nhd. FormHeld,sie ist aus dem Nd. im 12 Jh. nach Süden aus der as. Formheliþvorgedrungen.12Die niederdeutschen Formen wurden bei dem Vordringen nach Süden gelegentlich den dortigen Lautverhältnissen angeglichen. Der niederfränkische Raum (Niederrhein), wie bereits in der altniederdeutschen Periode spielt auch in dieser Periode eine bedeutende und das Nd. wie auch das Gesamtdt. beeinflussende Rolle. Die Nähe des niederrheinischen Gebietes zum nördlichen Frankreich und dessen Ritterkultur erheben die niederfränkischen Gebiete zum Vorbild binnendeutscher Ritterlichkeit und höfischer Dichtung. Von dieser hohen Stellung zeugt auch der Wortschatz des Gesamtdt. So wurden auch mndl. Wörter, die keine Verbindung zum frz. Wortgut haben in den deutschen Sprachgebrauch übernommen. So z.B.: mndl.wāpenfür hd.wāfen.13Die md. bzw. hd. höfische Literatur hat jedoch bis zum Verfall der ritterlichen Kultur die Schriftlichkeit in Niederdeutschland überwiegend bestimmt.
Die Schaffung einer eigenen Schriftlichkeit ist durch das literarische Werk des Ostfalen Eike von Repgow und seinen beiden monumentalen Prosawerken, dem ‚Sachsenspiegel’ (1221-24) und der ‚Sächsischen Weltchronik’ (1230-31) gekennzeichnet. Der hochdeutsche Einfluss ist jedoch immer noch so stark, dass die Vorrede zu seinem früheren Werk dem ‚Sachsenspiegel’ in Hochdeutsch abgefasst wurde.
Die Schriftlichkeit des Niederdeutschen in seiner mittleren Periode wird hauptsächlich durch die Rolle der sog. Hansestädte und derer Sprachverwendung bestimmt. Gegen Mitte des 12. Jahrhunderts wird die Ostseeküste besiedelt und die Stadt Lübeck 1158-59 neu gegründet. Der Welthandel wird zu dieser Zeit größten Teils über die Ostsee abgewickelt, so bedeutet die Herrschaft über diesen Raum eine bestimmende und zentrale Rolle für Norddeutschland, und die einzelnen Händler gewinnen immer mehr an Macht, schließlich schließen sich die handelnden Städte zu einem Handelsbund zusammen. In dieser erlangt Lübeck die führende Rolle, und die führende Rolle unter den Hansestädten, also im Handel bringt zugleich die politisch-rechtlich bestimmende Rolle mit sich. Lübeck ist der Oberhof der lübischen Stadtrechtsfamilie und etwa 100 Städte an der Ostseeküste sind von Lübeck unmittelbar abhängig. Dies verursacht die Verbreitung der normierten lübischen Schriftsprache, als Hansesprache zuerst an der Nordseeküste, später im größten Teil des niederdeutschen Sprachraumes. Der Geltungsbereich der Hansesprache beschränkt sich nicht auf den niederdeutschen Raum. Die im Welthandel interessierten Staaten sind größtenteils gezwungen ihren Schriftverkehr mit niederdeutschen Händlern in der Hansesprache zu führen.
Die einzelnen regionalen Varianten des Niederdeutschen bleiben von der Verbreitung der normierten Hansesprache ebenfalls nicht unberührt. Ein Unterschied niederdeutscher Mundarten kann aber nachgewiesen werden. Zuerst aber sollen einige charakteristischen Züge der normierten mittelniederdeutschen Sprache mit Hilfe des Formensystems beschrieben werden.
Die Nomina können auf Grund ihrer Pluralbildung in 5 Klassen14und schließlich eine Klasse ohne Pluralendung eingeteilt werden.
1. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung-e.(alle dage15, Wagen perde)
2. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung-emit umgelautetem Stammvokal (Drij houfft stede)
3. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung-s(drij kirspels)
4. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung-er(myt tween kinderen, X dorper, swerder)
5. Die Klasse der Nomina mit der Pluralendung-en(hoichgebraen fursten)
6. Die Nomina, die ihre Pluralform ohne eine Pluralendung haben. (van den eyrberen burgeren)
In der starken Adjektivflexion sind die as. Doppelformen ausgeglichen worden. Die as. mask. Dat. Sg. Endung-emu/-emolautet in der mittelniederdeutschen Zeit-emeund wird in der Sprechsprache zu >-enabgeschwächt. (van eynen burger16) Die as.
Endungen-an -anafür den mask. Akk. Sg. sind im Mnd. zu Gunsten von-an > -en ausgeglichen worden.
In der Verbalflexion lauteten die frühmnd. Personalendungen des Pl. Präs. Ind.-et(as. -ad, -iad, -od), wobei die Endungen des Konj. Präs. und die Präterito-Präsentien auf-en ausgingen. Dieser Unterschied wurde im Westnd. zu-et in der Pluralbildung ausgeglichen, das Ostnd. machte einen entgegengesetzten Ausgleich. Hier setzte sich die Endung des Optativs und der Präterito-Präsentien-enauch im Präs. Ind. durch. Unter dem Einfluss der lübischen Norm, wurde diese Form in der Schriftsprache übernommen.17Der starke Einfluss des Optativs auf den Plur. Prät. Ind., der im Mnd. vielfach zum Umlaut des Stammvokals im Prät. Plur. Ind. der starken Verben führte ist für das Niederdeutsche kennzeichnend. Im Laufe des 14. Jhs. wurde in der IV. und V. Ablautreihe das indikativischeâdurch den Stammvokalêdes Optativs ersetzt. (gaf : gâvenwurde zugaf : gêven). Die Indikativform hat sich im Westfälischen am längsten gehalten: hier stand noch im 15/16 Jh.nâmenundgâvenneben den Formennêmen undgêven. Etwa zur gleichen Zeit wurden auch die II. und VI. Ablautreihen entsprechend umgestaltet (flôch : flögen).18
Bei derseinKonjugation setzt das Mnd. die Verwendung der as. Kreuzungsformbiumnicht weiter fort. Hier wird gänzlich die hochdeutsche Formbinübernommen, teilweise bereits zu der Zeit zubüngerundet.19
3. Zusammenfassung
Die niederdeutsche Sprache hat bis zum Ende der mittelniederdeutschen Zeit, eine wichtige und keineswegs dialektale Rolle im heutigen Sinne gehabt. Mit der Hansesprache wurde eine gebietübergreifende niederdeutsche Schriftsprache geschaffen, die sich bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts gehalten hat. Der Anfang der neuniederdeutschen Periode wird meistens um 1600-1650 angesetzt, dieser Zeitpunkt bedeutet nämlich die Übernahme des Hochdeutschen als Standardsprache. Jedoch sind bis Mitte des 17. Jahrhunderts (letzte Ausgabe 1621) viele niederdeutschen Ausgaben der Bibel von Luther und seiner Schriften erschienen und die Sprache der Kanzleien Niederdeutschlands, die auch die ersten mittelniederdeutschen Sprachbelege geliefert hat, hielt sich im allgemeinen bis ins 17. Jh., so enthält das Lübecker Oberstadtbuch bis 1809 nur niederdeutsche Einträge20. Die niederdeutsche Sprache hielt sich als mündliche Umgangssprache der gebildeten Kreise Norddeutschlands ebenfalls bis Anfang des 19.Jh’s.
Der Machtverlust des Hansabundes, die Ausbreitung des Römischen Rechtes, der allgemeine Ausbau des Bildungswesens bedeutete die Ablösung der niederdeutschen Sprache als Schriftsprache durch das Hochdeutsche. Der bis dahin in niederdeutscher Sprache abgewickelte Schriftverkehr musste nun in hochdeutsch erfolgen. Dies betrifft vor allem die fürstlichen Kanzleien, bis der innere Schriftverkehr meistens noch nd. bleibt.
Wie ausgeführt, hatte die mittelniederdeutsche Periode einen bedeutenden Einfluss auf die Ausbildung des Hochdeutschen, wie auch die niederdeutsche Sprache von vielen angrenzenden Sprachgebieten beeinträchtig wurde. Die als typisch platt genannten Erscheinungen erweisen sich in diachroner Betrachtung oft als ganz atypische Formen des Niederdeutschen.
Die Untersuchung des Werdeganges der neuniederdeutschen Mundarten erscheint als eine ebenso wichtige Aufgabe, als die genauere Betrachtung der vorgehenden Perioden, um die deutsche Sprache und ihre Geschichte kennen zu lernen.
4. Literaturverzeichnis
- Foerste, William - Geschichte der niederdeutschen Mundarten, in: Deutsche
Philologie im Aufriss, 2. überarbeitete Auflage - unveränderter Nachdruck, Erich Schmidt Verlag, Berlin 1966
- Peters, Robert - Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des
Mittelniederdeutschen, in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Peters, Robert - Die Rolle der Hanse und Lübecks für die mittelniederdeutsche
Sprachgeschichte, in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Gesenhoff, Marita / Reck, Margarete - Die mittelniederdeutsche Kanzleisprache und
die Rolle des Buchdruckes in der mittelniederdeutschen Sprachgeschichte in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Niebaum, Hermann - Phonetik und Phonologie, Graphetik und Graphemik des
Mittelniederdeutschen, in: HSK Sprachgeschichte, Bd. 2.2
- Socin, Adolf - Schriftsprache und Dialekte im Deutschen, Verlag von Gebr.
Henninger, Heilbronn 1888
- Devantier, Franz - Über die Lautverschiebung und das Verhältnis des
Hochdeutschen zum Niederdeutschen, Verlag von Carl Habel, Berlin 1881
- Joachim Schildt - Abriss der Geschichte der deutschen Sprache, Akademie Verlag,
Berlin 1976
- Hutterer, Claus Jürgen- Die germanischen Sprachen, Ihre Geschichte in
Grundzügen, Albus im VMA-Verlag, 4. ergänzt. Aufl., Wiesbaden 1999
- Behagel, Otto - Geschichte der deutschen Sprache, Verlag von Karl J. Trübner,
Strassburg 19113
- Ahrend Mihm, Hrsg - Die Chronik des Johann Wassenberch, Mercator Verlag,
Duisburg 1981
- Bach, Adolf - Geschichte der deutschen Sprache, Quelle & Meyer, Heidelber 1961
[...]
1Foerste, William - Geschichte der niederdeutschen Mundarten, S. 1731
2Foerste S. 1739
3Foerste, S. 1744
4ebd. S. 1745
5Diese und vorgehende Beispiele stammen von Foerste, S. 1747ff.
6Foerste - S. 1755 f.
7Bach - Geschichte der deutschen Sprache, S. 94
8ebd. S. 97.
9Bach - Geschichte der deutschen Sprache
10Peters, Robert - Soziokulturelle Voraussetzungen und Sprachraum des Mittelniederdeutschen in: HSK Sprachgeschichte, S. 1211
11Bach - Geschichte der deutschen Sprache, S. 144
12ebd.
13Bach - G.d.dt.Spr. S. 152
14Foerste, S. 1781f.,
15Die Chronik des Johann Wassenberch, S.13, nachfolgende Beispiele in der Aufstellung aus gleicher Quelle
16Die Chronik des Johann Wassenberch, S. 16
17Foerste - S. 1787
18ebd.
19Ebd. S. 1788
20Bach - G.d.dt.Spr. S. 215.
- Citation du texte
- Gergely Takács (Auteur), 2001, Ein Einblick in die Sprachgeschichte des Niederdeutschen bis zum Ende der niederdeutschen Periode, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106445
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