Als ich mir im Sommersemester 2001 Gedanken machen musste, welches Thema ich mir für meine Diplomarbeit wähle, hatte ich zunächst bezüglich des Terminus „Begabungsförderung“ meine Bedenken, da während des ersten „Hineinschnupperns“ in die Literatur der modernen Begabungsforschung zunächst nur die Rede von den sogenannten Genies und Wunderkindern war. Ich konnte mir zu Beginn überhaupt nicht vorstellen, diese Thematik in Bezug zu einer Behinderungsgruppe wie den Schwerhörigen und Gehörlosen zu stellen. Zumal mir zu Beginn der Literatursuche auch kein Glück beschert war, da mir diverse Computersuchmaschinen in den Bibliotheken unter den Suchbegriffen „Behinderung und Begabung“ oder „Begabungsförderung bei behinderten Kinder“ etc. nur eine vernichtende Absage mit dem Satz „Keine Einträge gefunden!“ erteilten. So musste ich für mich einen anderen Weg suchen, um Begabungsförderung im Allgemeinen für behinderte Kinder zu verifizieren.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
1.1) Behinderung und Begabung – ein unüberwindbarer Gegensatz?
2. Begabungsförderung als Wissenschaft
2.1) Was versteht man unter dem Begriff „Begabung“?
2.2) Modelle der Hochbegabung
2.2.1) Das Drei-Ringe-Modell nach Renzulli
2.2.2) Das Triadische Interdependenzmodell nach Mönks sowie dessen Erweiterung
2.2.3) Das Münchner Begabungsmodell
2.3) Begabung, Intelligenz, Kreativität und Motivation
2.3.1) Begabung und Intelligenz
2.3.2) Kreativität und Begabung – lässt sich Kreativität überhaupt beschreiben?
2.3.2.1) Kreativität als universeller Terminus – verschiedene allgemeine Ansätze
2.3.2.2) Kreativität aus evolutionärer Sicht
2.3.2.3) Kreativität aus anthropologischer und humanistischer Sicht
2.4) Weitere Sichtweisen zum Begriff Kreativität
2.4.1) Das 4p – U – Interaktionsmodell
2.4.2) Das Komponentenmodell nach Urban
2.4.3) Kann man Kreativität messen?
2.5) Zusammenfassung und Vorausschau
3. Identifikation von Begabungen
3.1) Der pädagogische „Potential – Ansatz“
3.2) Der dynamische Begabungsbegriffm
3.2.1) Entwicklung von Begabungen in Zusammenhang mit der Vererbungslehre
3.3) Wie kann man Begabungen erkennen und adäquat fördern?
3.3.1) Searching
3.3.2) Screening
3.4) Behinderung und Begabung
3.5) Zusammenfassung und Vorausschau
4. Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit als Formen einer spezifischen Behinderung
4.1) Definition des Begriffs Hörschädigung
4.2) Weitere Begriffsbestimmungen
4.2.1) Schwerhörigkeit
4.2.2) Gehörlosigkeit
4.2.3) Die Gruppe der Hörauffälligen
4.2.4) Hörsprachbehinderte
4.2.5) Menschen, die im Sprachbesitz ertaubt sind
4.3) Der Aufbau des Ohres und der Hörvorgang
4.3.1) Wann sprechen wir von Schwerhörigkeit, wann von Gehörlosigkeit?
4.4) Die Sprach- und Hörentwicklung beim schwerhörigen bzw. gehörlosen Kind
4.4.1) Die normale Sprachentwicklung
4.4.1.1) Die Hör- und Sprachentwicklung im Säuglingsalter
4.4.1.2) Das Kleinkindalter (2. und 3. Lebensjahr)
4.4.1.3) Das jüngere Vorschulkind (4. und 5. Lebensjahr)
4.4.2) Die Hör- und Sprachentwicklung beim hörgeschädigten Kind und die Problematik in der verbalen bzw. nonverbalen Kommunikation
4.3) Zusammenfassung
5. Sprachliche Förderung bei gehörlosen und schwerhörigen Kindern
5.1) Förderung durch Lautsprache
5.2) Der Eltern-Kind-Dialog mit dem hörgeschädigten Kind als Voraussetzung für eine optimale Frühförderung
5.2.1) Fördermöglichkeiten im Alltag
5.3) Entwicklung von Sprechfertigkeiten bei schwerhörigen und gehörlosen Kindern
5.4) Die Rolle des Gedächtnisse bei der Automatisierung von Sprechfertigkeiten
5.5) Frühförderung von hörgeschädigten Kindern
5.5.1) Förderung im Spiel
5.5.1.1) Geräuschspiele
5.5.1.2) Räumspiele
5.5.1.3) Bewegungsspiele
5.5.1.4) Spiele mit Papier, Farbe und Knete
5.5.1.5) Rollenspiele
5.5.1.5) Bücher
5.6) Das Cochlear-Implantat als Zukunftsperspektive für gehörlose Kinder
5.7) Zusammenfassung
6 Gebärden
6.1) Was versteht man unter dem Begriff „Gebärdensprache“?
6.1.1) Arten von Gebärden
6.2) Förderung durch Gebärdensprache
6.2.1) Geschichte der Schwerhörigen- und Gehörlosenpädagogik
6.3) Lautsprache und Gebärdensprache – ein Vergleich
6.3.1) Gebärdensyntax
6.4) Gebärdensprache versus Lautsprache
6.4.1) Hat die Gebärdensprache eine negative Auswirkung auf die Lautsprache?
6.4.2) Zusammenfassung und Vorausschau
7. Begabungsförderung von Gehörlosen und Schwerhörigen in der Schule und im Beruf
7.1) Das Zweisprachenmodell
7.2) Begabungsförderung bei schwerhörigen und gehörlosen Kindern, aber wie?
7.2.1) Das Prinzip der Normalisierung
7.3) Begabungsförderung durch den begabenden Lehrer
7.3.1) Der begabende Lehrer in der Schwerhörigen- und Gehörlosenpädagogik als Helfer zur Identitätsfindung
7.4) Bildung und Erziehung von Schwerhörigen und Gehörlosen in der Schule
7.4.1) Didaktik und Charakterisierung des Unterrichts
7.4.2) Umsetzung im Unterricht durch den begabenden Lehrer S. 116
7.4.2.1) Die Gestaltung des Klassenraums und das Wissen über die auditive Perzeption
7.4.3) Der Einsatz von technischen Hilfsmitteln wie Hörgerät oder Mikroportanlage
7.4.4) Lern- und Sozialformen
7.5) Gesprächsformen im Unterricht und Methoden des Erarbeitens
7.5.1) Das katechisierende Unterrichtsgespräch
7.5.2) Das hermeneutische und heuristische Unterrichtsgespräch
7.5.3) Gesprächstechniken
7.6) Musik und Rhythmik als Erziehungs- und Fördermittel im Schwerhörigen und Gehörlosenunterricht
7.7) Sollen hörgeschädigte besser spezial oder integrativ unterrichtet werden?
7.7.1) Die Essener Schule, eine Erfolgsgeschichte, die für die Spezialschule spricht
7.7.2) Schwerhörige und Gehörlose in Integrationsklassen. Möglichkeiten aber auch Grenzen der Integration
7.7.3) Die Malerschule Baden (Schloss Leesdorf) – ein gelungenes Beispiel für die Integration Gehörloser und Schwerhöriger
7.8) Zusammenfassung
8. Erfahrungsbericht aus dem Blockpraktikum an einer Spezialschule für schwerhörige Kinder
9. Schlusswort
10. Literaturverzeichnis
11. Internetadressenverzeichnis
Vorwort
Als ich mir im Sommersemester 2001 Gedanken machen musste, welches The- ma ich mir für meine Diplomarbeit wähle, hatte ich zunächst bezüglich des Termi- nus „Begabungsförderung“ meine Bedenken, da während des ersten „Hinein- schnupperns“ in die Literatur der modernen Begabungsforschung zunächst nur die Rede von den sogenannten Genies und Wunderkindern war. Ich konnte mir zu Beginn überhaupt nicht vorstellen, diese Thematik in Bezug zu einer Behinde- rungsgruppe wie den Schwerhörigen und Gehörlosen zu stellen. Zumal mir zu Beginn der Literatursuche auch kein Glück beschert war, da mir diverse Compu- tersuchmaschinen in den Bibliotheken unter den Suchbegriffen „Behinderung und Begabung“ oder „Begabungsförderung bei behinderten Kinder“ etc. nur eine ver- nichtende Absage mit dem Satz „Keine Einträge gefunden!“ erteilten. So musste ich für mich einen anderen Weg suchen, um Begabungsförderung im Allgemeinen für behinderte Kinder zu verifizieren.
Die Begegnung mit dem Normalisierungsprinzip während eines Seminars bei Prof. Dr. Maria-Luise Braunsteiner eröffnete mir einen neuen Denkansatz, der mir sprichwörtlich auf die Beine half und mir erlaubte, den ersten Schritt auf die- sem langen „Diplomarbeitsweg“ zu gehen. Ausgehend von diesem und der mo- dernen Begabungsforschung hatte ich nun eine Arbeitsgrundlage, auf der ich aufbauen konnte. Frau Dr. Braunsteiner gilt vor allem mein Dank bezüglich der ausgezeichneten Betreuung sowie der wertvollen Tipps, die sie mir für die Arbeit gegeben hat. Der wertvollste von allen war mit Sicherheit der Vorschlag, die Schwerhörigenschule Hammerfestweg im 22. Wiener Gemeindebezirk zu besu- chen, um mir vor Ort ein Bild über die Arbeitsweise mit schwerhörigen Kindern zu machen. In dieser Schule sollte ich dann später auch mein dreiwöchiges Block- praktikum absolvieren.
Weiters gilt mein Dank auch Prof. Dr. Kurt Allabauer, der mich mit sehr viel Litera- tur u. a. auch zum Thema „Behinderung und Begabung“ versorgt hat.
Ein ganz besonders großes Dankeschön möchte ich auch meiner Blockprakti- kumslehrerin Fr. Vl. Petra Zimmermann aussprechen. Ihr tolles Engagement und der herzliche und einfühlsame Umgang mit den Kinder hat in mir eine zusätzliche Motivation bei der Arbeit mit schwerhörigen Kindern entfacht. Nicht umsonst bin ich der Meinung, dass die drei Wochen des Blockpraktikums die besten des ge- samten Semesters und daher ein unvergessliches Erlebnis waren, das ich auf vielen Fotos festgehalten habe.
Gerade das Blockpraktikum stellt für mich eine Zäsur in meinem Leben dar, weil mir die Möglichkeit eröffnet wurde, im kommenden Schuljahr an dieser Schule un- terrichten zu dürfen. Das Vertrauen, das in mich gesetzt wurde, erfüllt mich mit großem Stolz und aus diesem Grund hoffe ich, dass ich diesen Erwartungen auch gerecht werden kann.
Die Erkenntnisse, die ich aus dieser Diplomarbeit gewonnen habe, werden mir si- cher eine große Hilfe sein, wobei ich in der Arbeit mit hörgeschädigten Kindern noch ganz am Anfang stehe und noch einiges zu lernen habe. So habe ich auch ein Bild davon bekommen, wie mein weiterer Ausbildungsweg ablaufen wird, den ich mit Sicherheit mit derselben Begeisterung weiter bestreiten werde.
Wien, am 11. 1. 2002 (Hans-Jörg Rath)
Diese Diplomarbeit ist nach der neuen Rechtschreibordnung geschrieben worden. Das betrifft auch Textstellen, die wortwörtlich aus der Literatur übernommen (zitiert) und noch in der alten Schreibweise verfasst worden sind.
1. Einleitung
1.1) Behinderung und Begabung – ein unüberwindbarer Gegensatz?
Als Lehrer sind wir ständig bestrebt, unsere Schüler nach besten Möglichkeiten indi- viduell und erfolgreich zu fördern. Demnach ist es kein Wunder, dass man nach allen möglichen Begabungen und Talenten sucht, diese erkennen und zum Vorteil des Kindes zur Entfaltung bringen will. Und sie können vielfältig sein: Schüler können kognitiv, akademisch, kreativ, sozial, musisch, sportlich usw. begabt oder sehr be- gabt sein und erstaunliche Leistungen vollbringen. Trotzdem müssen sie gefördert werden, damit sich die Begabungen und Talente der Kinder auch richtig entfalten können. Wie sieht es aber mit der Begabtenförderung in der Sonderschule bzw. bei behinderten Kindern im Allgemeinen aus? Genau hier liegt der Kern dieser Arbeit.
Das Wort Behinderung hat in unserer heutigen „aufgeschlossenen“ Gesellschaft nach wie vor eine negative Bedeutung, sei es die geringe Wertschätzung der Son- derschule oder das fehlende Vertrauen in die Leistungsfähigkeit behinderter Men- schen. Natürlich ist dies auch mit sehr viel Unwissenheit verbunden und deshalb möchte ich zeigen, dass Begabungsförderung auch bei Menschen mit Beeinträchti- gungen möglich sein kann und dass man sie zum Unterrichtsprinzip machen sollte. Da aber der Begriff „Behinderung“ äußerst facettenreich ist und es den Rahmen die- ser Diplomarbeit sprengen würde, habe ich mich entschieden, mich auf schwerhörige und gehörlose Kinder zu konzentrieren. Demzufolge lautet der Titel auch „Bega- bungsförderung bei schwerhörigen und gehörlosen Kindern“.
Warum aber gerade diese Behindertengruppe? Nun offen gestanden hat mich die Schwerhörigen- und Gehörlosenkultur bereits immer fasziniert, da uns diese Men- schen im Gegensatz zu vielen anderen Behinderten sehr oft im Alltag begegnen und wir mit ihnen konfrontiert werden. Ich verwende den Begriff Kultur aus jenem Grund, da sich vor allem Gehörlose offen zu dieser Minderheit bekennen und aufgrund der Gebärdensprache eine eigene Kultur pflegen und erhalten wollen. Gehörlose, die sich zu dieser Kultur bekennen, sehen daher den Verlust des auditiven Systems nicht
als Behinderung an und fühlen sich daher einer sprachlichen Minderheit zugehörig. In der Literatur finden sich diese Gedanken z. B. bei Sachs (1992), auf den ich mich noch öfters beziehen werde. Dieses Kulturbewusstsein hat einen wesentlichen Bei- trag zur Identitätsfindung beigetragen, die ein wesentliches Kriterium in der Bega- bungsförderung ist.
Im Laufe dieser Diplomarbeit wird der wichtigste Aspekt bezüglich der Begabungs- förderung bei schwerhörigen und gehörlosen Kindern diskutiert – die Sprache. In diesem Fall ist zunächst konkret die Lautsprache gemeint. Sie wird zum Ausgangs- punkt der gesamten Begabungsförderung, da sie aber von schwerhörigen und gehör- losen Kindern im Vergleich zu normalhörenden natürlich nicht so leicht gelernt wer- den kann, ist deshalb eine spezielle Förderung notwendig.
Der Terminus Sprache beinhaltet aber nicht nur die verbale, sondern auch die visuel- le Kommunikation. Damit ist in konkreter Linie die Gebärdensprache angesprochen, der aus rationalistischer Sicht der Vorzug gegenüber der Lautsprache gegeben wird. Die Art der schulischen Förderung gipfelt daher in der Frage, ob sie in erster Linie in der Laut- oder Gebärdensprache angeboten werden soll. Hier kommt es zu unter- schiedlichen Standpunkten von Seiten der Pädagogen, die sich in einem mehr als 200 Jahre andauernden Konflikt zeigen.
Ich möchte zeigen, dass es möglich ist, dass unter günstigen Voraussetzungen und optimaler Förderung Begabungen bei schwerhörigen und gehörlosen Kindern er- kannt und entfaltet werden können. Dabei darf aber nicht der Fehler gemacht wer- den, dass diese Schüler stets mit normalhörenden verglichen werden. Ein mittel- bis hochgradig schwerhöriges Kind kann z. B. niemals das Niveau eines normalhören- den Kindes in der Lautsprache erreichen. Ich berufe mich daher auf das Normalisie- rungsprinzip, das besagt, dass Behinderte nicht von der Gesellschaft ausgesondert werden dürfen und dass sie nach ihren Möglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeits- markt einer Beschäftigung nachgehen können. Dies beinhaltet zugleich eine für sie optimal abgestimmte Förderung zur Selbstbestimmung (Individualisierung) sowie auch eine entsprechende Begabungsförderung. Es soll hier die Pädagogik in der Schwerhörigenschule und in den Integrationsklassen beschrieben und mit jener der Begabungsförderung verglichen werden. Mein Interesse gilt primär den Parallelen,
die man daraus ziehen kann und wie man sie für eine Verbesserung in der Förde- rung schwerhöriger und gehörloser Kinder einsetzen kann. Daher möchte ich versu- chen, die folgende Behauptung zu verifizieren:
Begabungsförderung kann auch bei scherhörigen- und gehörlosen Kindern funktio- nieren, wenn man diesen Kindern eine Umwelt zugute lassen kommt, die einen opti- malen Einfluss auf ihre Entwicklung und somit auch auf ihre Begabungen haben kann.
2. Begabungsförderung als Wissenschaft
2.1) Was versteht man unter dem Begriff „Begabung“
Wenn wir von Begabungen sprechen, dann kommen uns noch andere Begriffe und Aspekte wie Intelligenz, Intelligenzquotient, Kreativität, gute Schulnoten, Motivation, Genie (Genialität) etc. in den Sinn, die mit der Thematik mehr oder weniger etwas zu tun haben. Leider kommt es aber auch vor, dass diese oft mit Begabung in einen fal- schen Zusammenhang gebracht werden, dies betrifft vor allem die Intelligenz und die Leistungen in der Schule allgemein. Hier zwei Beispiele:
Begabung = gute Schulnoten: Eine solche Behauptung ist eindeutig zu subjektiv. Außerdem geben Zensuren nie einen hundertprozentigen Aufschluss über die tat- sächliche Leistungsfähigkeit des Schülers.
Begabung = Intelligenz, hoher Intelligenzquotient: Laut dieser Behauptung wäre Be- gabung mit Hilfe eines Intelligenztests messbar (vgl. Allabauer u. Pehofer 1999a, S. 6).
Zum Intelligenzquotienten muss gesagt werden, dass dieser nur ein Zahlenwert ist, den man bei Intelligenztests erhält und der nur etwas über den Grad der Intelligenz aussagt und eine bestimmte Leistungsfähigkeit anzeigen kann. Diese wird in Punk- ten gemessen, wobei der Mittelwert („Normalwert“) bei 100 liegt. Werte, die darunter liegen, werden als unterdurchschnittliche Intelligenzleistungen bezeichnet, Werte darüber als überdurchschnittliche. Daher wird oft davon gesprochen, dass Men- schen, die über einen IQ von 130 verfügen, hochbegabt sind (vgl. Oswald o. J., S. 7f).
Da man aber Begabung mit Intelligenz nicht gleichsetzen kann, ist diese Aussage im Grunde nicht haltbar. Wie ist das zu verstehen? Richtig ist, dass in der modernen Begabungsforschung Intelligenz ein Teilaspekt von (Hoch-)Begabung ist, aber als einziges Bestimmungsmerkmal nicht ausreicht. Daher müssen auch andere Kompo- nenten hinzugezogen werden. Zusammengefasst sind für Begabung drei Faktoren entscheidend:
„- Besondere (überdurchschnittliche) Fähigkeiten
- Kreativität
- Motivation, Aufgabenengagement (Einsatzbereitschaft, Ausdauer)“ (Oswald o. J., S. 7)
Um Begabungen zur Entfaltung zu bringen bedarf es daher nicht nur der Förderung des kognitiven Bereichs, sondern auch der Kreativität. Außerdem muss der Schü- ler/die Schülerin ein großes Maß an Motivation mitbringen, damit die Förderung auch Früchte trägt.
Die moderne Begabungsforschung beschreibt Begabung als Interaktion der drei ge- nannten Faktoren. Diese lässt sich auch in Form von Modellen darstellen.
2.2) Modelle der Hochbegabung
Modelle haben den Zweck, komplizierte Sachverhalte zu veranschaulichen. Mit Be- gabungsmodellen lassen sich Verhaltensmerkmale, die als „hochbegabt“ gelten, ver- einfacht darstellen (vgl. Langeneder 1997, S. 24).
Insgesamt lassen sich vier Modellgruppen unterscheiden (zitiert nach Langeneder 1997, S. 25f.):
„a) Fähigkeits- und eigenschaftsorientierte Modelle
In diesen Modellen wird Hochbegabung als eine relativ stabile Eigenschaft be- schrieben, die durch äußere Umstände nur gering beeinflussbar ist. Das in der Kindheit festgestellte hohe Intelligenzniveau, das zu besonderen Leistungen be- fähigt, wird sich in der weiteren Entwicklung nicht wesentlich ändern. Modelle die- ser Art stammen von Autoren wie TERMAN, GARDNER, oder TAYLOR.
b) Kognitive Komponenten-Modelle
Hierbei ist nicht so sehr die hervorragende Leistung vorrangig, sondern die Infor- mationsverarbeitung. Die Qualität der kognitiven Prozesse steht im Vordergrund des Interesses. Hier sind Autoren wie STERNBERG/DAVIDSON, JACKSON und RÜPPEL zu nennen.
c) Leistungsorientierte Modelle
Nach dieser Auffassung kann Hochbegabung nur an Leistungen festgestellt wer- den, wobei aber zwischen potentieller und realisierter Hochbegabung unterschie-
den wird. Nur bei realisierter Hochbegabung können hervorragende Leistungen beobachtet werden. Die Gruppe der potentiell Hochbegabten kann durch Identifi- zierungsmaßnahmen ermittelt werden. Diesem Ansatz stehen Autoren wie REN- ZULLI, GAGNE und MÖNKS nahe.
d) Soziokulturell orientierte Modelle
Die Makrostruktur wirkt wesentlich auf die Hochbegabtenförderung ein. Das bil- dungspolitische Klima, die wirtschaftliche Situation und die öffentliche Meinung bestimmen in hohem Maße, ob Hochbegabung als wissenschaftliches und päda- gogisches Thema relevant ist.“
Im Folgenden möchte ich mich auf die leistungsorientierten Modelle konzentrieren.
2.2.1) Das Drei-Ringe-Modell von Renzulli
In Punkt 2.1) wurde darauf hingewiesen, dass die Intelligenz nicht das einzige Be- stimmungsmerkmal von Begabung sein kann. Erst Renzulli führte in den 70er Jahren aus der gedanklichen „Sackgasse der Intelligenz“ heraus, indem er ein Modell schuf, das die Interaktion zwischen den Faktoren Intelligenz bzw. überdurchschnittliche in- tellektuelle und schulische Fähigkeiten (Above-Average-Ability), Kreativität (Creativi- ty) sowie Motivation und Interesse (Task Commitment) beschreibt (vgl. Langender 1997, S. 26f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 (aus: Oswald 1994, S.27)
Die drei Komponenten können folgendermaßen charakterisiert werden:
- „Überdurchschnittliche intellektuelle und schulische Fähigkeiten (Abo- ve-Average-Ability):
Dieser Bereich umfasst nahezu alle denkbaren Konzepte und Indikatoren kogniti- ver Fähigkeiten: Durch Tests erfasste allgemeine Intelligenz, spezielle Intelligenz- faktoren und Schulleistungen; aber auch anekdotische Berichte und besondere Produkte, beurteilt von Lehrern oder Peers, werden als Informationsquelle akzep- tiert. Ein wesentlicher Punkt liegt auch in der Abkehr von der Termanschen strengen Grenzwertsetzung zugunsten einer jeweiligen Selektionsrate von 15-20
% der Bezugspopulation. Renzulli begründet dies mit verschiedenen Studien, die lediglich einen schwachen Zusammenhang zwischen Testintelligenz und spä- teren außerschulischen Leistungen aufweisen und betont, dass der Wert von In- telligenz- und Schulleistungstests nur darin liegen könne, solche Personen mit unterdurchschnittlicher Leistungsfähigkeit bei der Selektion begabter Kinder aus- zuschließen.
- Motivation und Interesse
Renzulii versteht unter „Task-Commitment“ eine spezielle Form der Leistungsmo- tivation, nämlich die Energie, die eine Person in die Bearbeitung eines speziellen Problems oder einen speziellen Leistungsbereich einbringt. Diese Fähigkeit, sich selbst für einen ausgedehnten Zeitraum vollständig in ein Problem oder ein Ge- biet zu involvieren, sei ein wesentliches Charakteristikum von Personen, die in ih- rem späteren Leben außergewöhnliche Leistungen vollbracht haben.
- Kreativität
Die dritte Komponente umfasst Konzepte, die unter dem Oberbegriff „Kreativität firmieren, ohne dass diese vom Autor näher spezifiziert werden. Renzulli sieht das Problem mangelnder Konstrukt- und Kriteriumsvalidität der vorhandenen Kreativitätstests, führt diese aber auf eine mangelnde Qualität der vorhandenen Verfahren zurück. Dies sollte zur Verwendung alternativer Erfassungsmethoden, etwa Expertenbewertungen oder Selbstberichten führen.“ (Wild 1991, zit. n. Os- wald 1994, S. 27). (Vgl. auch Langeneder 1997).
Obwohl bereits William Stern (1871 – 1938) 1916 in einem Artikel veröffentlichte, dass hohe Intelligenz im Zusammenhang mit einer unterstützenden Umgebung sowie der eigenen Charakterstärke eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung von Hochbegabung sei, ist es Renzulli zu verdanken, dass Begabung nicht mehr mit Intelligenz gleichgesetzt wird (vgl. Mönks 1994, S. 28). Interessant erscheint aber die Tatsache, warum er den Einfluss der Natur ganz außer Acht ließ.
2.2.2) Das Triadische Interdependenzmodell nach Mönks sowie dessen Erwei- terung
Wie jeder andere Denkansatz, hat auch jener von Renzulli eine Verbesserung erfah- ren, indem sein Modell um drei weitere Faktoren erweitert wurde. Das sogenannte
„Triadische Interdependenzmodell“ nach Mönks berücksichtigt nämlich auch den Ein- fluss der Schule, der Familie und der Peergruppe (Bekannten- und Freundeskreis) auf die Entwicklung des Kindes. Renzulli hatte sich nur auf die Komponenten Intelli- genz, Kreativität und Motivation bezogen, hingegen aber den Menschen als soziales Wesen nicht berücksichtigt. Unter dem entwicklungspsychologischen Gesichtspunkt ist für ihn eine gesunde Entwicklung im Umgang und Austausch mit der Umwelt un- abdingbar (vgl. Oswald 1994, S. 27).
Genau hier liegt der Kritikpunkt an Renzulli´s Modell. Mönks meinte, dass es zu sta- tisch sei, da nur Personenfaktoren dargestellt werden. Die Persönlichkeitseigen- schaften, die sich im Laufe der Zeit in der Beziehung mit der Umwelt (Schule, Familie und Peers) entwickeln, wären völlig vernachlässigt worden.
Es sind aber gerade diese, die sich auf die Evolution des Kindes/Jugendlichen förderlich oder hemmend auswirken können (vgl. Langeneder 1997, S. 29).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 (aus Oswald 1994, S. 28)
Mönks führt zu dem Modell näher aus:
„In der praktischen Arbeit erweist sich das dargestellte Mehrfaktorenmodell als sehr hilfreich. Die Dreiergruppe (Triade) auf der Personenseite und die Dreier- gruppe (Triade) auf der Sozialseite stehen in wechselseitiger Abhängigkeit (Inter- dependenz), beeinflussen sich gegenseitig und sind gleichzeitig voneinander ab- hängig. In diesem Modell wird demnach zum Ausdruck gebracht, dass eine posi- tive Verflechtung der beiden Triaden bestimmend ist für eine mögliche „einwand- freie“ Entwicklung von hochbegabten Personen. Da sowohl das Zusammenspiel der Persönlichkeitsfaktoren und der sozialen Umgebungen, gleichzeitig jedoch auch die gegenseitige Abhängigkeit der beiden Triaden betont wird, ist es einfa- cher, störende Faktoren aufzuzeigen. Für Einzel- und Gruppenberatung ist es sehr wichtig, einen Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit zu ma- chen, d. h. was das Kind möglicherweise erreichen kann und was es wirklich zu- stande bringt. Bei einer Erstellung eines vollständigen Bildes müssen Person und Umgebung und die Wechselbeziehungen zwischen beiden möglichst genau er- fasst werden.“ (Mönks in: Oswald/Klement, 1993, zit. n. Oswald 1994, S. 28).
Aber auch Mönks Modell hatte eine Modifikation erfahren müssen, die in einem ähn- lichen Problembewusstwein von Wieczerkowski und Wagner durchgeführt wurde. Sie veränderten die Komponente „task commitment“ mit „Motivation und Umwelt“ und wollten so die als fehlend bemängelte Bezugnahme zu anderen Personen zum Aus- druck bringen. Die gemeinsamen Inhalte „Fleiß und Ausdauer, Ergeiz, emotionale Stabilität, Anerkennung der Umgebung, optimale Förderung“ sollten dadurch verdeut- licht werden. Anstatt des Begabungsbegriffes verwenden Wieczerkowski und Wag- ner den Begriff Talent als übergeordnete Größe (vgl. Oswald 1994, S. 28).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Oft werden die Begriffe Hochbegabung und Talent synonym verwendet. In Langen- der (1997) lässt sich ein interessanter Unterschied nachlesen. Als „hochbegabt“ be- zeichnet man Personen, die auf mehreren Gebieten wie Mathematik, Naturwissen- schaften und Sprachen besondere Fähigkeiten haben. Das Wort „talentiert“ steht mehr für eine außergewöhnliche Befähigung im künstlerischen, musikalischen und dramaturgischen Bereich. Außerdem spricht man von einem Talent, wenn sich die Befähigung nur auf ein Gebiet beschränkt (vgl. Langeneder 1997, S. 22).
Begabungsförderung bedeutet nicht nur die Förderung der intellektuellen Fähigkei- ten. Bereits in Wieczerkowski und Wagner werden die soziale, künstlerische und psychomotorische Begabung berücksichtigt. Auch die vorhandene Förderung sowie das Engagement des Kindes/Jugendlichen sind wichtige Bestandteile zur Beschrei- bung eines Talents.
2.2.3) Das Münchner Begabungsmodell
Das Münchner Begabungsmodell lässt sich mit jenem von Wieczerkowski und Wag- ner gut vergleichen. Parallelen lassen sich ziehen in Bezug auf die Musikalität (damit ist nicht nur der Bereich der Musik gemeint, sondern die Kunst im Allgemeinen), der sozialen Fähigkeiten sowie auch im Bereich der Ethik und Moral. Dazu zählen die Faktoren wie Selbstvertrauen, Ausdauer, Charakterstärke die mitentscheidend sind, welche individuellen Möglichkeiten tatsächlich und in welchem Ausmaß realisierbar sind. Daher hat Begabungsförderung in Anlehnung an das Münchner Begabungs- modell nach Heller und Perleth auf vier Bereiche Rücksicht zu nehmen (vgl. Allabau- er u. Pehofer 1999a, S. 8).
Diese wären:
„- Berücksichtigung von Begabungen aus der Sicht multipler Intelligenzen,
- Umwelteinflüsse, wie das Familienklima, Frühförderung etc.,
- Nicht – kognitive Persönlichkeitsmerkmale in Form der Angst, Stressbewälti- gung, Motivation, Leistungsbereitschaft etc., messbare Leistungserfolge.“ (Allabauer u. Pehofer 1999a, S. 8).
In der Münchner Hochbegabungsstudie wird das Prognosekriterium Leistung als Produkt der Prädiktoren Hochbegabung, Persönlichkeit und Umwelt aufgefasst.
Demnach äußert sich die Hochbegabung im intellektuellen, kreativen, sozialen, mu- sischen und/oder psychomotorischen Bereich (vgl. Klement 1994, S. 52).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abb. 4 aus: Klement 1994, S. 52).
Bei den einzelnen Begabungsdimensionen werden sowohl schulische als auch au- ßerschulische Leistungen berücksichtigt.
- „Die fünf Faktoren der Münchner Hochbegabungsstudie konnten als eigen- ständige Begabungsdimensionen nachgewiesen werden: Die Hypothese, dass es bereichsspezifische Formen der Hochbegabung gibt – die sich an adäquaten Leistungen zeigen lassen -, kann als bestätigt angesehen werden.
- Es ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen hoch- und normalbegabten Schülern in jedem Begabungsbereich. Die intellektuell (oder schulisch) Begab- ten (school house gifted – sensu Renzulli) zeichneten sich durch ihre guten Schulnoten aus; sie waren in ihren Schulleistungen nicht nur besser als die Kreativen (creative-productive – sensu Renzulli), sondern auch als die sozial oder praktisch Begabten.
Die kreativ Begabten hingegen zeigten sich in künstlerischen und literarischen Bereichen, die sozial Begabten im sozialen Bereich als überlegen usw.
- Besonders fähige Schüler stechen in Bezug auf folgende Merkmalsausprä- gungen hervor: Leistungswille, Anstrengungsbereitschaft, Ausdauer, Erkennt- nisstreben, Forschungsdrang, Erfindungsgabe und Erfolgszuversicht. (Kle- ment 1994, S. 52).
2.3) Begabung, Intelligenz, Kreativität und Motivation
Intelligenz, Kreativität und Motivation sind Anlagefaktoren und als solche in verschie- den starker Prägung beim Kind vorhanden. Eine Begleitung und Förderung von Sei- ten der sozialen Umgebung ist daher unbedingt notwendig. Eine Förderung, die nicht den wirklichen (intellektuellen) Bedürfnissen des Kindes entspricht, erschwert oder verhindert eine optimale Entwicklung. D. h., es kann auf einem Niveau stehen blei- ben, das nicht sein eigenes ist. Von einer Hochbegabung kann erst dann gesprochen werden, wenn die Faktoren „Überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten“, Kreati- vität und Motivation so ineinander greifen, dass sich eine harmonische Entwicklung vollziehen kann (vgl. Langeneder 1997, S. 31).
Im Folgenden soll näher auf die Begabungskomponenten Intelligenz, Kreativität und Motivation eingegangen werden, um die vorher beschriebene Interaktion noch bes- ser darstellen zu können.
2.3.1) Begabung und Intelligenz
Es ist bereits angesprochen worden, dass Intelligenz nur ein Aspekt von Begabung und somit nicht mit ihr gleichzusetzen ist. Sie kann aber gemessen werden und Auf- schluss über die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen geben.
Im Anschluss an die darwinistische Evolutionstheorie mit dem ihr zugrunde liegenden Prinzip der natürlichen Selektion, machten sich einige Forscher daran, Intelligenz zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen zu machen. Francis Galton (1822
– 1911) versuchte Intelligenz auf wissenschaftlicher Basis zu messen und ermöglich- te so die Entwicklung der ersten Intelligenztests (vgl. Allabauer u. Pehofer 1999a, S. 11).
1905 entwickelte Alfred Binet (1857 – 1911) gemeinsam mit dem französischen Schularzt T. Simon den ersten Intelligenztest für Kinder. Dieser wurde dann vom amerikanischen Intelligenzforscher Lewis M. Terman (1877 – 1956), Professor an der Stanford Univeristy, für die USA und Amerika standardisiert. Der Stanford-Binet-Test war für ihn das Hauptinstrument, um gut 1500 ausgezeichnete Schüler zwischen sechs und zwölf Jahren mit einem Intelligenzwert von 135 und höher für seine zu Beginn der zwanziger Jahre gestartete Längsschnittstudie auszuwählen. Die Längs- schnittstudie wird noch heute durchgeführt und ist äußerst ergiebig im Hinblick auf Lebenslaufdaten von (intellektuell) hochbegabten Personen (vgl. Mönks 1994, S. 27f.).
Der Konstrukteur eines Intelligenztests muss sich auch überlegen, ob er einen Sub- test in den jeweiligen Intelligenztest aufnimmt. Dieser gibt einen zusätzlichen Auf- schluss über die Dimensionen „Gedächtnis“, „Wortverständnis“, „Wortflüssigkeit“,
„Wahrnehmungsgeschwindigkeit“ oder „Gestalterfassung“ und ist demnach keine uninteressante Komponente. Wenn jemand z. B. kein gutes Gedächtnis hat, dann wird sich das schlechte Ergebnis des Subtests negativ auf das Gesamtergebnis des Intelligenztests auswirken. Beinhaltet er einen solchen nicht, wird das Endresultat natürlich besser ausfallen. Demzufolge können Menschen bei den unterschiedlichs- ten Intelligenztests auch ganz verschieden abschneiden. Die Subtests haben dabei den großen Vorteil, dass sie Defizite sehr gut prüfen (vgl. Olechowski 2000, S. 32f.).
Die Intelligenztests haben aber den großen Nachteil, dass sie keinen Aufschluss über die praktische Anwendung und Umsetzung von Intelligenzmaßen geben. Dem- zufolge hat man versucht, sich auch auf diesem Gebiet einen Überblick zu verschaf- fen. Die Erkenntnis, dass es verschiedene (multiple Intelligenzen) gibt, hat dazu ge-
führt, dass der Begriff Intelligenz sehr differenziert anzusehen ist. Unter diesem Ge- sichtspunkt ist vor allem Howard Gardner zu nennen, der Intelligenz in acht vonein- ander zu unterscheidende Kategorien eingeteilt hat.
„(1) Körperlich – kinästhetische Intelligenz
Kinder, die auf diesem Gebiet begabt sind, lernen am besten durch schöpferische Bewegung, Drama, Rollenspiel und sportliche Aktivitäten
(2) Zwischenmenschliche (soziale) Intelligenz
Diese Kinder lernen durch Tun von und mit anderen. Sie können sich gut mittei- len, vermitteln oft bei Konflikten und zeigen Verständnis für die Gefühle anderer.
(3) Intrapersonale Intelligenz
Kinder, die ein starkes Selbstbewusstsein haben. Diese Kinder brauchen die Freiheit, ihre eigenen Interessen zu verfolgen oder ihre eigenen Aktivitäten zu entwicklen.
(4) Linguistische (sprachliche) Intelligenz
Kinder mit hoher linguistischer Intelligenz lernen schnell durch Zuhören, Spre- chen und Lesen. Sie werden von Büchern und Wortspielen motiviert, beteiligen sich oft an Diskussionen und schreiben gerne.
(5) Logisch – mathematische Intelligenz
Kinder, die stark auf diesem Gebiet sind, denken konzeptionell. Sie erforschen Muster und Beziehungen durch Experimentieren mit ihrer Umgebung. Oft findet man hier Kinder, die an Logikrätseln arbeiten, Schach spielen oder sich mit philo- sophischen Fragestellungen beschäftigen.
(6) Musikalische Intelligenz
Kinder, die musikalisch begabt sind, lernen gut durch Rhythmus und Melodie. Sie verstehen schneller, wenn etwas gesungen wird, rhythmisch ist oder auf einem Instrument gespielt wird.
(7) Räumliche Intelligenz
Kinder mit räumlicher Intelligenz denken visuell. Sie lernen durch Bilder, Farbe und Metapher.
(8) Naturalistische Intelligenz
1996 von Gardner hinzugefügt: Sammeln von Daten in Flora und Fauna, Katego- risieren, Auswerten, Beobachten.“ (Allabauer u. Pehofer 1999a, S. 12).
In seiner Publikation „Creative Minds“ illustrierte Gardner 1993 die genannten (da- mals noch sieben) Intelligenzen anhand einer bedeutenden historischen Persönlich- keit.
(1) linguistische Intelligenz: T. S. Eliot (1888 – 1965), bedeutender Dichter, Essayist und Kritiker, der die europäische Dichtung stark beeinflusst hat.
(2) logisch – mathematische Intelligenz: Albert Einstein (1879 – 1955), deutsch- amerikanischer Forscher und Begründer der Relativitätstheorie.
(3) räumlich – visuelle Intelligenz: Pablo Picasso (1881 – 1973): Spanischer Maler, Graphiker, Keramiker und Plastiker, der gleichzeitig mit George Braque (1908) die ersten Bilder des Kubismus schuf.
(4) musikalische Intelligenz: Igor Strawinsky (1894 – 1965), russischer Komponist.
(5) motorisch – kinästhetische Intelligenz: Martha Graham (1894 – 1965): Amerikan- siche Tänzerin und Choreographin, die eine völlig neue Tanzform schuf.
(6) intrapersonale Intelligenz: Sigmund Freud (1856 – 1939), österreichischer Ner- venarzt, der die Pychoanalyse begründete.
(7) interpersonale Intelligenz: Mahatma Gandhi (1869 – 1948). Er entwickelte eine Form des gewaltlosen Widerstandes, der Indien die Unabhängigkeit von Großbritan- nien brachte (vgl. Mönks 1994, S. 24f.).
Eine Umsetzung und Förderung dieser multiplen Intelligenzen kann auch im Unter- richt erfolgen:
(1) Visuell/räumliche Intelligenz:
Verwendung von Diagrammen, Karten, Bildern, Videos, Übersichten oder Plakaten.
(2) Musikalisch/auditive Intelligenz:
Lieder singen, Musikspiele oder Geschichte. Zu diesem Bereich gehört auch die rich- tige Betonung.
(3) Kinästhetische Intelligenz:
Hier sollen Lernvorgänge mit Aktivitäten und Bewegung verbunden werden. Rollen- spiele in den Unterricht einfließen lassen.
(4) Interpersonale Intelligenz:
Wenn man am besten durch Interaktion mit anderen lernt, sind Projekte Partner- und Gruppenübungen die besten Unterrichtsformen.
(5) Intrapersonale Intelligenz:
Dies ist die Fähigkeit durch Reflexion Dinge zu begreifen. Für diese muss aber auch genug Zeit zur Verfügung gestellt werden.
(6) Survival Intelligenz:
Aus Fehlern lernt man bekanntlich. Eine unterstützende Lernumgebung sowie der Schutz der Gruppe fördern die Sicherheit, aus Fehlern zu lernen. Außerdem wird die Risikobereitschaft erhöht, neue Dinge auszuprobieren.
(7) Emotionale Intelligenz:
Eine kommunikative Gruppenarbeit sowie das Feedback, das aus dieser Gruppe kommt, ermöglichen dem Kind, mit Emotionen umgehen zu lernen und die Bedürf- nisse anderer zu erkennen.
(8) Naturalistische Intelligenz:
Die Kinder sammeln im Unterricht Daten über die verschiedensten Themen. Weiters soll man als Lehrer Aufzeichnungen über das Wetter, den Schulgarten etc. ermögli- chen (vgl. Allabauer u. Pehofer 1999a, S. 13).
Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Intelligenz vielfältig ist und daher nicht auf ei- nen Nenner gebracht werden kann. Wie sieht es aber mit dem zweiten großen Fak- tor, der Kreativität aus?
2.3.2) Kreativität und Begabung – lässt sich Kreativität überhaupt beschrei- ben?
Zunächst wird man sich die Frage stellen, was man unter diesem Begriff überhaupt versteht. Kreativität kann als die schöpferische Fähigkeit des Menschen bezeichnet werden. Phantasie, Originalität, Einfallsreichtum, Denken in neuen Kombinationen usw. können sie aber nur annäherungsweise beschreiben (vgl. Oswald o. J, S. 8).
Eine allgemeingültige Definition für Kreativität gibt es im Grunde nicht. Oswald (1994) ist der Meinung, dass man Kreativität nicht beschreiben kann und dass nur eine An- näherung möglich ist.
„Wer Kreativität auch nur beschreiben will, läuft bereits Gefahr, sie festzuschrei- ben; manche tun das – unbekümmert von „des Un-Gedankens Blässe“, der die Buntheit des Denkmöglichen aussperrt.“ (Oswald 1994, S. 30).
Er meint, dass Kreativität weder gelernt, noch eingerichtet, aber angeregt werden kann. In der Schule wären das z. B. Experimente, die das Kind während des freien Lernens in der Klasse durchführt. Erkenntnisse, die daraus gezogen werden (vgl. Versuch-Irrtum, AHA-Erlebnis), werden leider oft als sogenannte „Geistesblitze“ be- zeichnet. Die neu gewonnenen Ideen und Kenntnisse sind praktisch aber das Pro- dukt einer hervorragenden Problemlösungsstrategie. Die geernteten Früchte sind nicht nur anregend, sondern auch nutzbringend (vgl. Oswald 1994, S. 31).
Daraus ergibt sich aber auch die Problematik, was man als nutzbringend erachtet und was nicht. Zwei Zitate sollen dies verdeutlichen:
„Eine Idee wird in einem sozialen System als kreativ akzeptiert, wenn sie in einer bestimmten Situation neu ist oder neuartige Elemente enthält und wenn ein sinn- voller Bezug zu einer Problemlösung gesehen wird. (...) Nur dann kann man ei- nen Prozess (einer Person, einer Gruppe...) kreativ nennen, wenn er durch das Hervorbringen eines kreativen Produktes beobachtbar wird.“ (Preiser o. J., zit. n. Langender 1997, S. 41).
„Was wir als kreativ erachten, kann großen Variationen unterworfen sein: ein neuer Lösungsweg für ein logisches Problem, ein neues Werkzeug, ein neuer chemischer Prozess, eine musikalische Komposition, ein Gedicht oder ein Ro- man, ein Gemälde, eine neue Denkmöglichkeit in der Jurisprudenz, der Philoso- phie oder Religion, eine neue Betrachtungsweise eines sozialen Problems, Diag- nose- und Behandlungsmöglichkeiten für eine Krankheit. Kreatives Vorgehen ist originell, zweckdienlich, zutreffend und auf irgendeine Weise elegant oder einfach richtig.“ (Gage u. Berliner 1986, zit. n. Oswald 1994, S. 31).
Kreativität ist daher sehr breit gefächert und oft auch sehr subjektiv bestimmt. Sie kann aber auch wie die Intelligenz mit Hilfe von Tests gemessen werden.
Bezüglich Oswalds Aussage (1994), die meint, dass eine Beschreibung von Kreativi- tät beinahe schon eine Festschreibung dieser ist, möchte ich mich auf Urban (1994) beziehen, der drei Sichtweisen für Kreativität anführt und zwar aus universeller, evo- lutionärer sowie aus anthropologischer und humanistischer Sicht.
Mir erscheint diese Darstellungsform insofern wichtig, da der Begriff Kreativität im Grunde noch breiter gefächert ist als jener der Intelligenz.
2.3.2.1) Kreativität als universeller Terminus – verschiedene allgemeine Ansätze
Urban beschreibt Kreativität als einen universellen Begriff und Gegenstand für Über- legungen, die aus den unterschiedlichsten Richtungen und Bereichen kommen. Die- ser scheint sozusagen (vogel-) frei für Kommentare aus allen möglichen akademi- schen und nicht akademischen Wissensgebieten zu sein. Kreativität ist unwiderspro- chen nützlich und hilfreich in und für alle Bereiche menschlicher Aktivität. Sie ist die Kraft, die menschlichen Fortschritt aufrecht erhält, in größeren historischen Zusam- menhängen ebenso wie in lokalen Micro – Welten und täglichen Ereignissen (vgl.
Urban 1994, S. 108).
2.3.2.2) Kreativität aus evolutionärer Sicht
Kreativität ist der spezifisch menschliche Beitrag zur Weiterentwicklung des Planeten Erde mit all seinen organismischen Ressourcen und Möglichkeiten. Urban (1994) bezeichnet sie als höchste Form der menschlichen Evolution und meint, dass Kreati- vität generell zu dieser führt. Er kritisiert aber auch, dass manche neue (kreative) I- deen und Produkte im Bereich der Technologie, der Medizin, der Naturwissenschaf- ten etc. aus evolutionärer Sicht nicht immer positiv zu bewerten sind. Daher sind hohe ethische Standards erforderlich, damit die Entwicklung nicht in umgekehrter Richtung verläuft, d. h. zu einer Devilution wird (vgl. Urban 1994, S. 108f.).
2.3.2.3) Kreativität aus anthropologischer und humanistischer Sicht
Aus dieser Perspektive wird im kreativen Schaffen eine der höchsten Formen des Menschseins verwirklicht. Der Zweck ist, Bedeutung und Sinn zu finden um die Welt verstehbar zu machen. Dies bezieht sich aber nicht nur auf die physische und biolo- gische Natur, sondern auch auf das menschliche Denken, Reflektivität, auf Geschich- te, Vergangenheit und Zukunft, auf Phantasie und Imagination, auf Zivilisation und Kultur. Kreativität gibt die Chance, Sinn und Bedeutung neu zu schaffen, dies gilt auch für die humanistische Sichtweise, um sich selber zu entdecken, für Selbstaktua- lisierung und – Realisierung (vgl. Urban 1994, S. 109f.).
2.4) Weitere Sichtweisen zum Begriff Kreativität
Kreativität wird meist nur aus kognitiver Sicht gesehen, wobei oft nur das divergente Denken berücksichtigt wird. Bezüglich dieses Vorwurfs, hat man versucht, andere Sichtweisen für Kreativität zu finden und diese ähnlich wie bei der Beschreibung von Begabung in Form von Modellen darzustellen.
2.4.1) Das 4P – U – Interaktionsmodell
Dieses geht auf Klaus K. Urban zurück und möchte die dynamische, interaktive Struktur der Faktoren Problem, Person, Prozess, Produkt und Umwelten beim/im kreativen Handeln und Denken verdeutlichen. Die ökologischen Bedingungen haben eine besondere Bedeutung (vgl. Urban 1994, S. 113f.). Urban meint dazu:
„Faktoren der Meta-Umwelt beinhalten evolutionäre und (sozio-) historische Ent- wicklungen, die Makro-Umwelt mit ökonomischen, natürlichen, materiellen, kultu- rellen und politischen Bedingungen wie auch Faktoren der Mikro-Umwelt, wie der sozio-ökonomische Status der Familie und regionale und lokale Einflüsse, deter- minieren die Breite, Reichweite und Existenz bzw. Erkennbarkeit möglicher Prob- leme, die kreativ zu lösen wären. So haben z. B. während eines besonderen Zeit- intervalls spezifische gesellschaftliche und historische Bedingungen sehr viel hochkreative, bedeutende und berühmte Komponisten in deutschsprachigen Ländern hervorgebracht als zu allen anderen Zeiten oder in anderen Ländern.“ (Urban 1994, S. 114).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abb. 5 aus: Urban 1994, S. 115).
Wenn man die prä- und periprozessualen Effekte der verschiedenen Umwelten be- rücksichtigt, ist der kreative Prozess abhängig von personalen und kognitiven Merk- malen sowie den Dispositionen. Aus einer kognitiven Perspektive schlägt Urban (1994) eine prozessorientierte Definition von Kreativität vor (vgl. Urban 1994, S. 114).
„Kreativität bedeutet daher:
1. die Schaffung eines neuen, ungewöhnlichen und überraschenden Produkts als einer Lösung eines einsichtsvoll und sensitiv wahrgenommenen Problems oder eines gegebenen Problems, dessen Implikationen sensitiv wahrgenom- men worden sind;
2. auf der Grundlage und mit Hilfe einer sensiblen, einsichtigen und breiten Wahrnehmung und Verarbeitung existierender, verfügbarer und offener Daten ebenso wie von Informationen, nach denen offen, absichtsvoll und zielgerich- tet gesucht wird;
3. durch Analyse, durch lösungsorientierte, aber gleichzeitig hochflexible Verar- beitung und Verwendung ungewöhnlicher Assoziationen und neuer Kombina- tionen dieser Informationen und mit Unterstützung von Daten der eigenen breiten und umfassenden Wissensbasis (Erfahrungen) und /oder von imagi- nierten Elementen;
4. durch Synthese, Strukturierung und Komposition dieser Daten, Elemente und Strukturen zu einer neuen Lösungsgestalt (dabei können die Prozesse 3 u. 4 partiell simultan auf unterschiedlichen Verarbeitungs- und Bewusstheitsebe- nen ablaufen);
5. zu einer neuen Lösungsgestalt, die als Produkt bzw. in einem Produkt, in wel- cher Form auch immer elaboriert wird;
6. und die schließlich über Kommunikation von anderen direkt über die Sinne oder über symbolische Repräsentation erfasst und erfahren werden kann als bedeutungsvoll und signifikant.“ (Urban 1994, S. 115f.).
Der kreative Prozess verläuft aber nicht Schritt für Schritt, er ist eher ein multidimen- sionaler, teilweise simultan auf verschiedenen Ebenen verlaufender Prozess, der abhängig ist von Persönlichkeitsvariablen wie Motivation, als auch von den Umwelt- bedingungen wie materiellen Ressourcen, sozialen Bedingungen usw. (vgl. Urban 1994, S. 116).
Diese Faktoren finden sich auch in den zuvor beschrieben Begabungsmodellen. Beim „4 P – U Modell“ ist dies genauso, da das Maß, das Niveau und der Wert von Kreativität nicht durch die prozeduralen und faktoriellen Charakteristika alleine defi- niert wird, sondern durch das kreative Endprodukt und die Qualität seiner neuen Gestalt (vgl. Urban 1994, S. 116).
2.4.2) Das Komponentenmodell nach Urban
Da Urban das „4 P – U Modell“ als zu kognitiv orientiert erschien, entwickelte er ein weiteres, das sowohl die kognitive Seite (a) und die Persönlichkeitskomponenten (b) miteinander verband. Dieses setzt sich insgesamt aus sechs Komponenten zusam- men, wobei jeweils drei immer eine Seite repräsentieren:
a) Kognitive Seite
(1) divergentes Denken und Handeln,
(2) allgemeine Wissens- und Denkgrundlage,
(3) spezifische Wissensbasis und bereichsspezifische Fertigkeiten.
b) Persönlichkeitsseite
(4) Focussierung und Anstrengungsbereitschaft,
(5) Motivation und Motive,
(6) Offenheit und Ambiguitätstoleranz (vgl. Urban 1994, S. 121f.).
(Abb. 6 aus: Urban 1994, S. 121)
Urban beschreibt das Modell folgendermaßen:
„Die sechs Komponenten wiederum setzen sich aus unterschiedlichen Subkom- ponenten, wie in der Abbildung beschrieben, zusammen. Keine einzige Kompo- nente kann allein für den kreativen Prozess ausreichend oder verantwortlich sein; sie bilden zusammen ein funktionelles System. In sehr unterschiedlicher Weise wirken sie im kreativen Prozess mit, bestimmen ihn in unterschiedlichem Ausma- ße, mit unterschiedlichen und wechselnden Subkomponenten. Die jeweiligen komponentiellen Strukturen oder „unterschiedlichen Kreativitäten“ hängen von solchen Faktoren ab, wie z. B. der Art des Problems, der Stufe oder Phase des kreativen Prozesses, der Art des Prozesses in Abhängigkeit von der Art des Problems, den jeweiligen Bedingungen von Mikro- und Makro-Umwelt“. (Urban 1994, S. 120).
Die Integration der Gegensätzlichkeiten drückt sich vor allem durch die Komponenten 1 versus 2 (oder 3) ebenso wie durch die Komponenten 4 versus 6 aus. Diese wer- den auch differenziert im Detail durch die verschiedenen Subkomponenten ausge- drückt. Für jede gilt: Sie ist immer Voraussetzung, Ergänzung und Ergebnis der an- deren (vgl. Urban 1994, S. 120).
Kreativität zu beschreiben ist sicher kein leichtes Unterfangen. Anhand der Aussage Oswalds (1994) müsste de facto eigentlich die Gültigkeit dieser Modelle hinterfragt werden. Diesbezüglich relativiert er aber seine Aussage indem er davon spricht, dass es notwendig, nützlich und möglich wäre, einen Versuch zu unternehmen, um eine Arbeitsdefinition dessen zu schaffen, worüber man eigentlich spricht (vgl. Oswald 1994, S. 33).
2.4.3) Kann man Kreativität messen?
Diese Frage kann bereits vorweg mit einem Ja beantwortet werden. Ähnlich wie bei der Feststellung von Intelligenzwerten, hat man auch zur Messung der Kreativität einen solchen Test entwickelt. Der „Test zum Schöpferischen Denken – Zeichnerisch (TSD – Z)“ geht auf Klaus K. Urban und Hans G. Jellen zurück und ist als Screening- Instrument gedacht (vgl. dazu Kapitel „Identifiktation von Begabungen“). Dieser er- möglicht eine erste grobe, einfache und ökonomische Einschätzung des kreativen Potentials einer Person zwischen 5 und 95 Jahren. Der Test lässt sich sowohl zur Identifizierung besonders hoher schöpferischer Fähigkeiten als auch zur Erkennung förderbedürftiger Individuen mit (weit) unterdurchschnittlich entwickelten kreativen
Fähigkeiten einsetzen. Dies gilt gerade für Personen, bei denen man entweder hohe oder wenig entwickelte produktiv schöpferische Kräfte z. B. angesichts ihrer sonsti- gen Lern- und Leistungsfähigkeit nicht vermuten würde. Die Zeichnung als Aus- drucksmittel soll ein hohes Ausmaß an Kultur-Fairness garantieren, das bei verbalen Kreativitätstests nicht gegeben ist (vgl. Urban 1994, S. 126).
Gerade dieser Aspekt ist für meine Arbeit von besonderer Bedeutung, da bei hoch- gradig schwerhörigen und gehörlosen Kindern aufgrund der eingeschränkten oder fehlenden akustischen Wahrnehmung die Lautsprache ein besonderes Handicap ist. Die Abb. 7 zeigt uns das Testblatt zum Kreativitätstest TSD – Z:
(Abb. 7 aus: Urban 1994, S. 127).
Urban schreibt auch, dass sich der TSD-Z im Sonderschulbereich zur Aufdeckung lang nicht erkannter oder anerkannter Potentiale besonders eignet. Dies gilt sowohl in der Schule für Lernbehinderte und Sprachbehinderte sowie auch in den Einrich- tungen für verhaltensauffällige Schüler (vgl. Urban 1994, S. 129f.).
Beim TSD-Z werden im Unterschied zu den verbalen Kreativitätstests, die rein quan- titativ messen, und zwar in der Regel lediglich einen Teilfaktor des divergenten Den- kens, nämlich die Flüssigkeit der Ideen (fluency), auch die qualitativen Merkmale kreativer Leistungen berücksichtigt. Auf dem Testblatt erkennt man einige spezielle figurale Fragmente, die zum Weiterzeichnen in einer freien, nicht festgelegten Weise einladen sollen. Das fertige Endprodukt wird anhand von 14 Evaluationskriterien mit
Punkten bewertet, die zugleich das Testkonstrukt repräsentieren (vgl. Urban 1994, S. 126). Die Kriterien lauten folgendermaßen:
1. „ Weiterführung (Wf): Jede Weiterführung der vorgegebenen 6 figuralen Fragmente
2. Ergänzungen (Eg): Zusätzliche Ergänzungen, Komplettierungen der verwen- deten weitergeführten Figuren.
3. Neue Elemente (Ne): Neue Figuren und Elemente
4. Verbindungen, zeichnerisch (Vz): Verbindungen zwischen Elementen und Figuren durch gezeichnete Linien usw.
5. Verbindungen, thematisch (Vth): Elemente oder Figuren, die thematisch miteinander in Beziehung stehen oder kompositorisches Ganzes.
6. Begrenzungsüberschreitung, figur-abhängig (Bfa): Verwendung des au- ßerhalb des Rahmens befindlichen kleinen, liegenden „U“.
7. Begrenzungsüberschreitungen, figur-unabhängig (Bfu)
8. Perspektive (Pe): Versuch dreidimensionaler Darstellung.
9. Humor und Affektivität/Expressivität (hu): Humor, Spaß, Lächeln auslö- sende oder Affektivität/Emotionalität oder starke expressive Kraft wiederspie- gelnde Zeichnungen.
10. Unkonventionalität, a (Uka): Unkonventionelle Manipulation des Materials;
11. Unkonventionalität, b (Ukb): Surrealistische, fiktionale und/oder abstrakte Zeichnungen/Themen;
12. Unkonventionalität, c (Ukc): Verwendung von Zeichen oder Symbolen;
13. Unkonventionalität, d (Ukd): Nicht stereotypische Verwendung der vorgege- benen Fragmente.
14. Zeitfaktor (Zf): Punktabstufungen je nach benötigter Zeit oberhalb eines be- stimmten Punktniveaus.“ (Urban 1994, S. 126ff.).
Die erreichten Punkte werden zusammengezählt und ergeben dann den TSD-Z- Gesamtwert. Dieser gibt dann eine grobe Einschätzung des kreativen Potentials; der Gesamtwert kann verglichen werden mit Werten in Normtabellen, welche die Ergeb- nisse verschiedener Populationen (z. B. gleichen Alters, gleicher Klassenstufe) wie- derspiegeln. Für den Test liegen zwei Formen A und B vor, die üblicherweise hinter- einander vorgegeben werden. Er ist im Einzel- oder Gruppenversuch einsetzbar mit Personen zwischen 5 und 95 Jahren. Die Durchführung beträgt jeweils 15 Minuten (oder weniger) pro Form (vgl. Urban 1994, S. 128).
Neben der Sonderschule lässt sich der TSD-Z Test natürlich auch in jeder anderen Schule oder Schulform (auch in der Vorschule) durchführen und findet auch Verwen- dung bei der pädagogischen und psychologischen Beratung, in klinisch – therapeuti- schen Praxen oder auch für Selektionsentscheidungen im beruflichen Bereich (vgl.
Urban 1994, S. 129f.).
2. 5) Zusammenfassung und Vorausschau
Die moderne Begabungsforschung hat erkannt, dass die Interaktion von Intelligenz, Kreativität und Motivation in Verbindung mit den exogenen Einflüssen durch die Um- welt maßgebend dafür ist, in welchem Ausmaß ein Kind eine (oder mehrere) Bega- bung(en) besitzt oder nicht. Leider wurde das erst relativ spät in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zum ersten Mal von Renzulli (abzüglich der Umweltfakto- ren) bestätigt. Auch wenn sein Modell von anderen Wissenschaftlern weiterentwi- ckelt wurde, wird von vielen Leuten nach wie vor fest angenommen, dass Intelligenz das einzige Kriterium für Begabung sei.
Für den Bereich der Schule ist es daher wichtig, dass man bei der Förderung auf die Begabungsfaktoren Rücksicht nimmt. Das wird uns vor allem bei den verschiedenen Lernformen wieder begegnen, wo wir es mit konvergenten und divergenten Denkstra- tegien zu tun bekommen. Um diese herauszufinden kann man die Kinder z. B. wäh- rend des freien Lernens mit altersadäquaten Problemstellungen konfrontieren, für die es entweder einen Lösungsweg oder sogar mehrere Lösungsmöglichkeiten gibt.
Das nächste Kapitel wird sich in erster Linie mit der Identifikation von Begabungen sowie mit der in der Einleitung gestellten Frage auseinandersetzen, ob Behinderung und Begabung ein unüberwindbarer Gegensatz ist oder nicht.
3. Identifikation von Begabungen
3.1) Der pädagogische „Potential – Ansatz“
Leopold Kratochwil (1994) behauptet in Anlehnung an Renzulli´s Drei – Ringe – Mo- dell, dass Kinder zu den „potentiell Begabten“ zählen. Neben den drei Begabungs- faktoren sind für die Begabung – wie für die menschliche Entwicklung überhaupt wei- tere drei Faktoren entscheidend:
a) Die „Erbwelt“ bzw. die Anlage, das genetische Potential als endogener Faktor.
b) Die Umwelteinflüsse mit ihren Lernangeboten (dazu zählen auch das Lebens-, Lern- und Arbeitsklima sowie das Milieu vor allem in Familie, Schule und Peergroup.
c) Vom aktiven Ich-Selbst. Die Art und Intensität der individuellen Selbststeue- rung ist ein wesentliches Kriterium (vgl. Kratochwil 1994, S. 120f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abb. 8 aus: Kratochwil 1994, S. 121).
Nach Kratochwil sind Kinder potentiell begabt („potentially gifted“) und Erwachsene manifest („mainfestly giftet“). Beim „Potential – Ansatz“ sind nicht nur die bereits er- brachten Leistungen der Maßstab für die Förderung, sondern auch die zugemute- ten/zumutbaren Leistungen, was die Annahme von Dispositionen (Bereitschaften) und Potentialen als Grundlage für Kompetenzen (Fähigkeiten) bedeutet (vgl. Kra- tochwil 1994, S. 121).
Hier lässt sich die Parallele ziehen zum traditionsreichen Begriff der „Bildsamkeit“, wobei es aber auch Grenzen der Entfaltung und der Entwicklung gibt, und zwar sol- che, die im Individuum selbst liegen, wie das genetische Potential, Eigenwille, Eigen- initiative, Eigenentscheidung und Selbstbestimmtheit. Weiters zählen dazu noch die fehlenden soziokulturellen Anregungen sowie verständnislose und ungeschickte Er- zieher (Lehrer, Eltern etc.). Die Begabung eines Menschen entwickelt sich daher in einem lebenslangen komplexen Interaktionsprozess im Spannungsfeld von „Begabt- sein“, „Begabt-werden“ und „Begabend-sein“ (vgl. Kratochwil 1994, S. 121).
Aus dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung ergibt sich für Kratochwil:
- „Begabung ist nicht gleichzusetzen mit Intelligenz oder Kreativität. Aber hohe Intelligenz ist ein wesentlicher Teilfaktor der „überdurchschnittlichen“ Lernbe- reichs-Fähigkeiten.
- Begabung gibt es grundsätzlich in allen Bereichen menschlichen Wirkens bzw.
Handelns.
- Jede Begabungsentwicklung bedarf auch persönlichkeitsbezogener Stützfak- toren wie etwa Wissbegier, Ausdauer oder Fleiß, die zur Motivationskompo- nenete gehören.
- Begabung ist - wie Bildung – ein Prozess und das jeweilige Ergebnis bzw.
Produkt dieses Prozesses.
- Die Höhe der Begabung hängt vom Ausprägungsgrad der drei einander wechselseitig beeinflussenden Begabungsfaktoren ab.“ (Kratochwil 1994, S. 122).
Hiermit wäre wieder ein Beweis dafür erbracht, dass nur die Interaktion der Bega- bungsfaktoren mit allen endogenen wie auch exogenen Einflüssen maßgeblich dafür ist, wie sich eine Begabung entfalten kann. Was bedeutet das aber für die Identifika- tion von Begabungen?
Gerade der Gedanke des pädagogischen „Potential – Ansatzes“ führt uns zum dy- namischen Begabungsbegriff, der ebenfalls von diesem Ansatz ausgeht.
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