Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Biographische und literarische Einflüsse in Bezug auf die Vaterrolle im Drama
3 Der bürgerliche Miller Charkterzüge und Vater - Tochter - Verhältnis
4 Der höfische Präsident Charakterzüge und Vater - Sohn - Konflikt
5 Abschließender Vergleich der beiden Vaterfiguren
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Der Titel der Arbeit lautet „Die Vaterfigur in Schillers Drama ‚Kabale und Liebe’“. Das Stück wurde 1784 von Friedrich Schiller fertiggestellt und ist in die Zeit des Sturm und Drang einzuordnen. Das Verhältnis des bürgerlichen Vaters, dem Musikus Miller, zu seiner Tochter Luise und der Vater - Sohn - Konflikt zwischen dem höfischen Präsidenten von Walter und Ferdinand sollen genau analysiert und erörtert werden. Ziel der Arbeit ist es, die beiden Charaktere nachfolgend einander gegenüber zu stellen, um die deutlichen Unterschiede hervorzuheben.
Im Vorfeld an die speziellen Vaterrollen in dem Bürgerlichen Trauerspiel steht eine kurze Darstellung der Faktoren, die auf Friedrich Schiller einwirkten und Einfluss auf sein Drama nahmen. Hier ist sein leiblicher Vater, Johann Caspar Schiller, zu nennen, sowie die Prägung durch den Aufenthalt in der Karlsschule unter dem Herzog Karl Eugen. Dies soll mögliche Parallelen zu den fiktiven Vätern erkennen lassen. Daran anknüpfend werden die Figuren Miller und der Präsident charakterisiert und die Beziehung zu ihren Kindern herausgestellt. Im Anschluss daran sollen die Charaktere miteinander verglichen werden.
2 Biographische und literarische Einflüsse in bezug auf die Vaterrolle im Drama
Der Originalstoff des Dramas Kabale und Liebe beruht fast ausschließlich auf der Phantasie von Friedrich Schiller, jedoch stellt man bei näherem Betrachten fest, dass diverse Einflüsse, biographischer und literarischer Art, das Werk erheblich geprägt haben. Hier kann man untergliedern in literarische Einflüsse und biographische Einflüsse.
Einzelne Handlungsstränge und Elemente des Stückes kann man in weiteren Bühnendichtungen wiederfinden. Heinrich Leopold Wager schrieb 1775 das Stück ‚Die Reue nach der Tat’, welches inhaltlich dem schillerschen Drama ähnelt. Der Kutscher Walz entspricht hier der Figur Miller. Er ist der Vater der betrübten und verzweifelten Frederike, was eine vergleichende Tochtersituation erkennen lässt. In ‚Kabale und Liebe’ befindet sich Luise ebenfalls in Zwiespälten und verzweifelt nahezu. Die Mutterfigur ‚Millerin’ entspricht der Mutterrolle in dem, vom selben Autor 1776 verfassten Werk, ‚Die Kindermörderin’. Hier wird dem tugend- und ehrenhaften Vater eine einfältige und engstirnige Frau an die Seite gestellt, die es genießt und stolz darauf ist, dass ein adeliger junger Mann an ihrer bürgerlichen Tochter Interesse zeigt. Ebenfalls nimmt das Stück ‚Der deutsche Hausvater’ (1781) von Freiherrn Otto von Gemmingen Einfluss auf Schillers Gedankengänge bezüglich seines Dramas. Der Handlungsstrang des Kennenlernens von Luise durch die Begegnung Ferdinands mit ihrem Vater, der ihn das Flötenspiel lehrt, ist in diesem Stück annähernd wiederzufinden. Hier verehrt der Graf die Tochter eines Malers und beschließt, bei diesem Zeichenunterricht zu nehmen. Parallelen zur Vaterfigur des höfischen Präsidenten
lassen sich in Johann Martin Millers Roman ‚Sigwart, eine Klostergeschichte’ erkennen. Der adelige Vater zwingt die bürgerliche Tochter, das Verhältnis zu seinem Sohn aufzuheben.1In ‚Kabale und Liebe’ setzt der Präsident Luise ebenfalls unter Druck, vgl. zweiter Akt, sechste Szene, indem er versucht sie durch Beleidigungen und Beschimpfungen ihr und ihren Eltern gegenüber, einzuschüchtern und ihr mit härteren Vorgehens-Maßnahmen droht.
Neben den literarischen Einwirkungen gibt es eine Reihe an biographischen Aspekten aus Schillers Leben zu nennen, die erheblich die Entwicklung und die Thematik des Dramas formten. Bezüglich der Vaterrollen liegt eine Differenzierung in drei Richtungen2vor. In Schillers Leben kann man von drei Vätern sprechen. Sein leiblicher Vater Johann Caspar Schiller, der Herzog Karl Eugen und Gott, sein himmlicher Vater, prägten ihn, gerade in seiner Kindheit und Jugend.
Schiller stammt aus einer bürgerlichen Familie, die nur bedingt reich, jedoch nicht arm war. Johann Caspar Schiller (1723- 1796) war Leutnant und stand in den Diensten des württembergischen Herzogs Karl Eugen. Als sein Leben sesshafter geworden war richtete er eine kleine Baumschule ein und wurde daraufhin zum herzoglichen Leiter der Hofgärtnerei auf der Solitude, dem Sitz des Herzogs, befördert.3Dies spiegelt einige seiner Charakterzüge wider. Er besaß einen unermüdlichen Drang sich weiterzubilden und höher zu steigen. Sein praktischer und klarer Verstand führte dazu, dass die Ehrfurcht Schillers vor seinem Vater erheblich groß war. Schiller reagierte mit hohem Fleißaufkommen, da Johann Caspar sehr viel Wert darauf legte, dass sein Sohn durch Tüchtigkeit mehr im Leben erreicht, als er die Möglichkeit hatte.
Während seiner Kindheit, vor Eintritt in die Karlsschule, blieben Schiller die Hintergründe des Hofes weitgehend verschlossen. Erst als Herzog Karl Eugen (1728- 1793) direkt in sein Leben trat, änderte sich dies abrupt.
Herzog Karl Eugen regierte von 1744 bis 1793 in Württemberg. Er war bekannt für sein aufwendiges und teures Leben. Feste feiern gehörte für ihn zum Alltag und um dieses Vergnügen zu zahlen, musste die Bevölkerung einige der Kosten decken. Schiller kannte dies aus eigenen Erfahrungen, da er unter seiner Herrschaft aufwuchs. Obwohl sein Volk ihn durch Geld unterstützte, bestand keine innere Verbindung zwischen der höfischen und der bürgerlichen Welt. Auf der einen Seite war er als rücksichtsloser Tyrann bekannt, auf der anderen Seite gab es doch landesherrliche Fürsorge. Dies lässt Karl Eugen als zwiespältige Figur erscheinen.41771 gründete er die „Militär- Pflanzschule“ (auch Karlsschule genannt) für begabte Kinder ärmerer Leute. Die Eltern waren verpflichtet ihre Kinder in die Hände des Herzogs zu geben. Auch Schiller wurde von Karl Eugen eingezogen. Sein Vater wies bis zuletzt die Anordnung zurück, da Schiller für eine andere Laufbahn bestimmt war, für die er sich berufen fühlte. Ursprünglich wollte Schiller eine Klosterschule besuchen, weil sein Berufswunsch Pfarrer war. Dafür hatte er jedes Jahr ein Landesexamen an der Lateinschule abgelegt, was Voraussetzung für die Theologie war. Anhand dieses Aspektes lässt sich seine Religiosität verdeutlichen und somit sein Verhältnis zu Gott, den man auch als dritten Vater bezeichnet. Dem leiblichen Vater wurde ein in gewisser Hinsicht Stärkerer und Mächtigerer übergeordnet.
Nach mehrfacher Aufforderung musste der junge Schiller 1773 gegen seinen Willen in das höfische Internat eintreten. Dies bedeutete für Vater und Sohn die endgültige Trennung.
Während seines Aufenthaltes in der Karlsschule von Januar 1773 bis Dezember 1780 stand Schiller unter dem strengen Regiment des Hofes. Die Schüler hatten kein Recht auf Urlaub und wurden von der Familie im Wesentlichen distanziert. Lediglich kurze überwachte Besuche der Eltern durften in seltenen Abständen stattfinden. Somit war die Strenge der Schule unter der Aufsicht von Karl Eugen an die Stelle der heimischen Familie gerückt.5Von nun an musste Schiller sich dem militärischen Drill der Bildungsanstalt fügen und mit der Freiheitseinschränkung zurecht kommen. Über die einzelnen Schüler wurden detaillierte Berichte dem Herzog übergeben, der anhand dieser mit Strafen und Belohnungen agierte und persönlich in die Erziehung der Zöglinge eingriff. Der Aufenthalt Schillers an dieser Schule prägte sein weiteres Leben entscheidend. Herzog Karl Eugen beeinflusste Schiller mehrfach direkt in seiner Laufbahn. Er bestimmte über seinen Studiengang und Schiller fügte sich. Da er sich mit keinem der Studienrichtungen anfreunden konnte, die man ihm auferlegte, begann Schiller sich vordergründig mit seiner Dichtkunst zu befassen.
Schiller verarbeitete diesen Freiheitsentzug in seinem Drama um gegen den Zwang der Obrigkeit zu protestieren und um jenen anzuprangern. Die angesprochenen Erfahrungen ließ er in ‚Kabale und Liebe’ einfließen. So kann man sehen, dass diese Einflüsse die Gestalt des Stückes enorm formten. Die väterlichen Charakterzüge seines leiblichen Vaters werden wahrscheinlich so in die Figur Miller in seiner Vaterrolle eingeflossen sein. Die Aufrichtigkeit, die Strenge, die Frömmigkeit und die Unterwürfigkeit charakterisieren Miller zu gleichen Maßen.
Die Habgier, das Machtstreben und die Ausführung selbiger wird durch den Präsidenten von Walter verdeutlicht. Zwar war in der Historie der Herzog derjenige, der das Land regierte, oftmals wurde die eigentliche Macht aber von dem Präsidenten ausgeübt.
3 Der bürgerliche Miller
Charakterzüge und Vater - Tochter - Verhältnis Den Musikus Miller kann man als Vertreter der Bürgertums sehen, der dem normalen Volk, welches unter der Herrschaft des deutschen Herzogs steht, angehört. Er ist ein selbstbewusster älterer Mann, fast sechzig Jahre alt6, der wegen seiner im Leben erworbenen Erfahrungen einen tatsächlichen Blick für Menschen und Situationen besitzt. Von Beruf ist er Stadtmusikant, der unter anderem privaten Unterricht, insbesondere Flötenstunden für Ferdinand, den Sohn des höfischen Präsidenten, erteilt. In erster Linie ist Miller jedoch Familienvater. Ihn charakterisieren warme menschliche Gefühle, aber trotzdem übernimmt er eine autoritäre Führung in seiner Familie. Er spricht in seinem Haus, wo er der Herr ist, kräftig und bestimmend. „Willst du dein Maul halten? Willst das Violoncello am Hirnkasten wissen?“7. Diese Äußerungen zeigen sein gespaltenes Verhältnis zu seiner Gattin. Sie ist stolz darauf, dass ein Adeliger sich für ihre Tochter interessiert und hat keinerlei Bedenken. In diesem Punkt stimmt Miller mit ihr ganz und gar nicht überein. Er kritisiert ihr einfältiges und dummes Wesen oftmals, da er das Liebesverhältnis von Luise und Ferdinand als ernstes Problem ansieht. Für ihn sind die Standesschranken unumstößlich8. Miller ist der typische Familienvater im Theater. Er ist anständig und kann zugleich auch polternd und aufbrausend sein. Im der ersten Szene des ersten Aktes will er in seiner Aufruhr gegen die Beziehung zum Präsidenten eilen, mit der Absicht, ihn aufzuklären. Er fürchtet ihn nicht und zeigt sich in seiner Person gefestigt und geradlinig, „Du wirst mir meinen roten plüschenen Rock ausbürsten, und ich werde mich bei Seiner Exzellenz anmelden lassen.“9Dazu kommt es jedoch nicht, da der Präsident ihm in dem zweiten Akt, sechste Szene zuvor kommt. Schon hier kann man erkennen, dass seinen machtvollen Worten keine Taten folgen. Eine weitere Charaktereigenschaft ist seine Religiosität. Miller ist sehr fromm. Er verdammt die weltliche Literatur, die Ferdinand Luise geschenkt hat, da diese seiner Meinung nach die Religiöse verdrängt und so die Vollkommenheit der gläubigen Lebensweise abschwächen lässt. Durch Ferdinands Lektüre und die dadurch eventuell resultierende sexuelle Bindung, sieht er den geistlich bewahrten Segen seiner Tochter erheblich gefährdet. „Ins Feuer mit dem Quark. Da saugt mir das Mädel […] überhimmlische Alfanzereien ein, das läuft dann wie spanische Mucken ins Blut und wirft mir die Handvoll Christentum noch gar auseinander […]“.10 Die Frömmigkeit seiner Tochter ist ihm sehr wichtig. Es erfüllt ihn mit Stolz, dass Luise ihm gleicht und sein christliches Denken teilt. „Brav meine Luise - freut mich, dass du so fleißig an deinen Schöpfer denkst.“11Jedoch kann Luise ihre Gefühle nicht so recht mit ihrem Glauben vereinen. Sie steht im Zwiespalt mit der Religiosität und ihrer Liebe zu Ferdinand. „O ich bin eine schwere Sünderin, Vater […]“12Dieses Denken kann Miller als Vater nur bedingt verstehen, was sich als väterliche Schwäche beuten lässt. Er unterstellt Ferdinand unredliche Absichten und Luise ist ihm als einiges Kind zu kostbar für ein Abenteuer. Zudem hat er Angst, dass seine Tochter aufgrund dessen auf dem Heiratsmarkt nicht mehr gefragt sein würde „[…] und das Mädel ist verschimpfiert auf ihr Leben lang, bleibt sitzen […]13. Diese Sorge zeigt die intensive Verbindung zu Luise. Im ersten Akt, zweite Szene wird die Rolle als besorgter Vater, der auf das Wohl seiner Tochter bedacht ist, deutlich. Bei der Begegnung mit Wurm, der um Luises Hand anhalten möchte, zeigt sich seine Vorstellung der freien Partnerwahl, d.h. der Liebesheirat. „Ich zwinge meine Tochter nicht.“14 Seine Beschreibung einer bedingungslosen ehrlichen Liebe ähnelt sehr einer Beschreibung Ferdinands, was eine Vorausdeutung des tragischen Ende darstellen könnte. „[…] Das nenn ich einen Kerl! Das heißt lieben!“15Jedoch empfindet er eine Heirat, die über die ständischen Schranken hinaus geht als unvernünftig. Er betrachtet die Situation nüchtern, denn er weiß was möglich und was nicht möglich ist. Als in der sechsten Szene des zweiten Aktes der Präsident von Walter ins bürgerliche Haus eindringt, ist Miller machtlos. Hier zeigt sich wieder die Angst um die zerstörbare Ehre seiner Tochter und seine mangelnde Tatkraft. Er schreitet energisch ein, als der Präsident Luise erheblich beschimpft und beleidigt und somit auch seine Familie gedemütigt wird. Seine Selbstsicherheit gerät beachtlich ins Schwanken „(Miller) der bis jetzt furchtsam auf der Seite gestanden, tritt hervor in Bewegung, wechselweis’ für Wut mit den Zähnen knirschend und für Angst damit klappernd“16. Er versucht wütend dem Adeligen mit Bestimmtheit und Wortgewandtheit entgegenzusetzen und ihn in seine Schranken zu weisen. Er sei in seinem Haus der Herr und untersage es Eindringlingen, seine Familie herabzuwürdigen. Auf die Warnung von Walter hinaus zu werfen, was er jedoch nicht durchsetzt, reagiert der Präsident mit entbrannter Wut. Er ist entsetzt über die Widerworte des Bürgerlichen und droht mit der Verhaftung des Vaters und der Hinrichtung von Mutter und Tochter. Miller ist letztlich ausgeliefert und kann sich dem nicht widersetzen. Hier wird die Schwäche des bürgerlichen Mannes bzw. des Bürgertums offensichtlich. Die starke emotionale Bindung zwischen Vater und Tochter wird auch im dritten Akt, vierte Szene erkennbar. Im Gegensatz zu Ferdinand akzeptiert und toleriert sie die Autorität ihres Vaters und die ständischen Schranken als etwas von Gott Gewolltes entsagend an. Sie ist bereit auf die Liebe zu Ferdinand zu verzichten. Neben dem religiösen Aspekt spielt die Vaterbindung eine erheblich Rolle. Sie entsagt dem Fluchtangebot Ferdinands, aus Sorge um ihren mittelosen und alleingelassenen Vater. „Ich habe einen Vater, der kein Vermögen hat als diese einzige Tochter“17Dies lässt auf eine außerordentliche Unterordnung Luises bezüglich ihres Vaters schließen. Abgesehen davon fürchtet sie den Fluch seines mächtigen Vaters. In der Vaterbindung sieht sie die Begründung für ihren Liebes- und Fluchtverzicht vereint.18Trost schenkt ihr nur die Hoffnung auf eine Vereinigung ihrer Liebe im Jenseits. Dies kann man als „stummes Drama der Luise Millerin“19 bezeichnen. Sie nimmt ihre tragische Situation bescheiden hin und wird nicht selbst tätig.
Die Schlüsselszene für die Beziehung zwischen Miller und Luise ist die erste Szene des fünften Aktes. Hier wird das Verhältnis ganz deutlich dargestellt. Miller tritt ins Zimmer ohne Luise zu bemerken. „Gott! Gott! Wenn ich mein Herz zu abgöttisch an diese Tochter hing?“20Er empfindet zu Luise eine empfindliche, innige Liebe, weil sie für ihn die Unschuld und die
Ehrlichkeit verkörpert.21 Im vertrauten Gespräch mit Luise äußert sie ihre Selbstmordgedanken. Miller ist zu tiefst bestürzt. Er versucht ihr die Augen zu öffnen und sie von dem Gedanken abzubringen. Obwohl er bis zu dieser Situation zu keinem Zeitpunkt Herr der Lage war (vgl. die Konfrontation mit dem Präsidenten), bewährt sich gegenüber Luise seine väterliche Macht. Er versucht sie vor dem Freitod zu schützen, indem er offen über die Verbindung mit Gott spricht und ihr die Tat als Sünde und Grässlichkeit vorhält. Der einzige Halt im Leben sei die Ehrfurcht vor Gott und seinen Gesetzen.22Hinzu kommen plötzlich Eigenansprüche für seine Person. Seine Äußerungen verraten plötzlich eine possessive egoistische „Besitzliebe“23, die vorher nicht sichtbar war. Miller sieht das Verhältnis zu seiner Tochter als eine Art Wirtschaftsverhältnis24 das als Altersvorsorge dienen soll. „Auch ich hab alles zu verlieren. […] Die Zeit meldet sich allgemach bei mir, wo uns Vätern die Kapitale zustatten kommen, die wir im Herzen unsrer Kinder anlegten - Wirst du mich darum betrügen? Wirst du dich mit dem Hab und Gut deines Vaters auf und davon machen?25Er versucht auf diese Weise das Gewissen und die Pflicht in Luise zu wecken. Somit wird Luise nicht nur durch ihren Liebsten in ihrer personalen Freiheit eingeschränkt, sondern auch von ihrem Vater unterdrückt, obwohl er sogleich auf ihr Seelenheil bedacht ist. Als Miller zuletzt ratlos keinen Ausweg mehr findet, sagt er sich vor Gott von seinen väterlichen Pflichten los. „Jetzt weiß ich nichts mehr- stehe dir, Gott Richter!“26Luise ist hilflos und gerührt. Sie entsagt abermals, diesmal dem Tod, durch den sie sich befreien wollte. Die Situation kann man unter anderem als tragischen Konflikt zwischen Vater und Tochter bezeichnen. Miller hat das Recht auf die Unterstützung seiner Tochter aufgrund seines Alters. Dies trifft auf das Recht der Tochter, auf ein eigenes freies Leben, auf einen Mann und eigene Kinder.27Miller gelingt es seine Tochter zurück ins Leben zu führen. „Um einen Liebhaber bist du leichter, dafür hast du einen glücklichen Vater gemacht.“28Das Glück Millers ist jedoch nur von kurzer Dauer. Schlussendlich versagt er als Vater kläglich in der letzten Szene des fünften Aktes, als Luise stirbt. Als der junge von Walter ihm den Lohn für seine Flötenstunden auszahlen will, lehnt er zunächst ab, da Materielles für ihn nicht wichtig ist. Schließlich lässt er sich von dem Gold blenden, das er für Luise anlegen will und nimmt zu spät wahr, dass er damit Luise an den Sohn des Präsidenten verkauft hat. Auch erkennt er nicht die Andeutungen von Ferdinand bezüglich des Planes, Luise zu vergiften. „Auch seine Luise ist nicht unsterblich.[…] Hör Er - Ich sag Ihm, sie ist nicht unsterblich.“29Er scheitert daran, dass er Luise im entscheidenden Moment im Stich lässt und sie nicht retten kann.
4 Der höfische Präsident
Charakterzüge und Vater - Sohn - Konflikt Der Präsident von Walter ist der erste Minister und eigentlicher Herrscher im Land. Er übernimmt als studierter Verwaltungs- fachmann die Vertretung des Herzogs, d.h. er hat das Recht frei über das Volk zu bestimmen, ohne jemanden vorher um Erlaubnis bitten zu müssen. Sein hartherziger Charakter ist durch rücksichtslose Unterdrückung und mangelnde Scheu vor grausamen und illegalen Taten und Methoden gekennzeichnet, was später an den Intrigen verdeutlicht werden kann. Ihm ist jeglicher Weg recht, um seinen Willen durchzusetzen; so ist seine Laufbahn mit Blut gezeichnet30, als er nicht vor Missetaten zurückschreckte, um das Amt des Präsidenten übernehmen zu können. Er tötete seinen Vorgänger, und übernahm seine Stellung. „Wem hab ich durch die Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht […]“31Er schämt sich nicht für seine Taten, sondern spricht offen mit Ferdinand, für den er das angeblich alles getan hat, über seine Verbrechen. Innerlich ist seine Person jedoch nicht gefestigt, sondern eher zwiespältig. Je nach Situation plagen ihn Unruhen seines Gewissens wegen früheren Taten, was ein Zeichen dafür ist, dass seine Vergangenheit ihn erneut einholen könnte. Über seine Anfänge vor dem Präsidentenamt weiß man nichts. Seine Frau wird nicht erwähnt, was darauf schließen lässt, dass er wahrscheinlich verwitwet ist. Ebenfalls ist sein Alter unklar. Eine weiteres Merkmal ist seine enorme Sucht nach Macht. So beschließt er, seinen Sohn mit Lady Milford, der Mätresse des Herzogs, zu verheiraten, um sich seinen Einfluss auf den Fürsten zusichern und dadurch begünstigt zu werden.32Zumal ist er sich seiner Sache sehr sicher. „Wenn ich auftrete, zittert ein ganzes Herzogtum.“33Er duldet keinen Widerstand und keine Widerrede, was in der sechsten Szene des zweiten Aktes in Bezug auf Miller deutlich wurde. Um seine Intrigen zu planen und auszuführen, benötigt er fremde Hilfe. Bei seiner Intrige gegen das Liebesverhältnis von Luise und seinem Sohn, ist Wurm, sein Sekretär, sein Helfer. Auch in der bürgerlichen Familie kann man Angst und Resignation spüren. Die Untertanen fürchten seine Wut und seinen Jähzorn, da der geringste Grund ihn wütend werden lässt. Nicht nur wegen seiner Schreckenstaten, sondern auch wegen seiner Worte gilt er als unsittliche Person. Der Rufmord Luises und die Beschimpfung der ganzen Familie als „Gesindel“ und „Brut34“ im zweiten Akt, sechste Szene, spiegelt seinen gewissenlosen und kalten Charakter wider. Seine Rechtschaffenheit in der Schlussszene fällt überaus dürftig aus. Er versucht seine Schuld vollständig auf Wurm abzuschieben, was als Feigheit charakterisiert werden kann. Im Grunde weiß er, dass er an dem Tod von Luise und Ferdinand schuldig ist. Seiner Meinung nach ist die Partnerwahl durch den Stand bestimmt. Die höfische Moral orientiert sich an der sexuellen Freiheit. Im adeligen Stand, ist es üblich eine Mätresse zu haben, und so wird bei der Liebe nur an das Körperliche gedacht und die Frauen dafür ausgenutzt. Aus diesem Grunde kann der Präsident nicht verstehen, dass sein Sohn vollkommen anderen Zielen entgegen strebt. Die Vaterbindung ist einseitig, da keine Mutter das Verhältnis beeinflusst. Ein anderer Grund für die Spannung ist die Fremdheit der beiden. Ferdinands Erziehung fand fern von zu Hause in „Akademien“35statt und so war die Voraussetzung für eine innige freundschaftliche Beziehung nicht gegeben. Im ersten Akt in Szene 7 treffen Ferdinand und sein Vater das erste Mal aufeinander. Schon zu Beginn der Szene wird die Distanz der beiden zueinander deutlich. „Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater-“36 Die Haltung des Präsidenten lässt im Verlauf der Szene den mangelnden Respekt dem Sohn gegenüber sichtbar werden. Er nennt ihn nicht beim Namen, sondern betitelt ihn höhnisch als „junger Mensch“, „junger Herr“, „Junge“37. Der Generationskonflikt, die Dominanz der Vater - Sohn - Beziehung steigert sich im Laufe des gesamten Stückes. Ferdinands Verhalten entspricht nicht den Vorstellungen seines Vaters. Im Gegenteil, er verweigert sich allen geebneten Wegen für eine außerordentlichen Karriere. Er legt darauf keine Wert, zumal er die gewalttätigen und frevelhaften Taktiken verabscheut. Seinen Standpunkt vertretend wird er vorlaut. „Feierlich entsag ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert.38Darauf hin kontert sein Vater mit dem Vorwurf, er würde es zu nichts im Leben bringen und dass man ihn zu seinem Glück zwingen müsse. Für ihn bedeutet Glück Einfluss und Macht. Auf Ferdinand macht die hohe Stellung des Hofes keinen Eindruck. Er hat andere Vorstellungen von seinem Leben, „Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht die Ihrigen sind- […] In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben-“39und vertritt vielmehr die bürgerlichen Ansichten. Um seinem Widerstand entgegenzuwirken, entschließt sich der Präsident, eine korruptere Taktik anzuwenden. Als Ferdinand die Ehe mit
Lady Milford eingehen soll, verrät er durch Verwirrungen, dass sein Herz schon einer anderen Frau gehört. Er besitzt einen gewaltigen Freiheitsdrang, wozu gehört, dass er sich seine Zukünftige selbst aussuchen will. Trotzdem übt der Vater weiter Druck auf ihn aus, indem er ihn zwingt, der Lady einen Besuch abzustatten. Daraufhin führt er den Befehl aus, widersetzt sich jedoch gegen den Verzicht auf Luise. Eine dramatische Szene ist, wie oben erwähnt, die sechste Szene im zweiten Akt. Das Aufeinandertreffen der beiden Stände lässt Ferdinand auf die Seite des Bürgertums wechseln. Er achtet von Walter als seinen Vater, aber verachtet ihn als Präsidenten, da er über die falsche Karriere Bescheid weiß. „Es gibt eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist-“40Der Konflikt zwischen Ferdinand und seinem Vater erlebt seinen Höhepunkt, als er seinen Vater erpresst, dessen Vergangenheit publik zu machen „[…] unterdessen erzähl ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird.“41. Vorerst muss sich der Präsident in seiner mächtigen Position geschlagen geben. Die hier auftretenden Charakterzüge Ferdinands, wie Jähzorn und Reizbarkeit, lassen doch eine genetische Vererbung des Vaters auf den Sohn schließen.42Ferdinand hat jegliche Scheu vor seinem Vater verloren, als er den Degen gegen ihn richtet und sein Verhältnis zu ihm kündigt. „Vater! Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fordern - Es ist bezahlt. Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt zerrissen da-“43 Im folgenden Kapitel liegt der Bruch der Vaterbindung im Frevel beschlossen „Der Sohn wird den Vater in die Hände des Henkers liefern“ „Es ist erlaubt, einen Räuber zu plündern[…]44. Ferdinand ist zum Handeln gegen den Präsidenten bereit. Jedoch wird Ferdinand Anfang des vierten Aktes Opfer der Intrige seines eigenen Vaters. Er lässt sich blenden und fällt in der Krise leicht in das höfische Denken und Handeln zurück. Das Ziel seines intriganten Vaters ist vorläufig erreicht. Als sein Sohn jedoch in der Schlussszene zu spät von Luise über die falschen Geschehnisse aufgeklärt wird, wendet sich erneut das Blatt. Die endgültige Entzweiung steht bevor. Ferdinand will sich rächen. „Mörder und Mördervater! - Mit muss er, dass der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase.“45Die Vater - Sohn - Beziehung findet ihr tragisches Ende als Ferdinand stirbt. Selbst in der Sterbestunde seines Sohnes, ist der Präsident nicht ehrlich und versucht das Schrecknis von sich zu weisen. Als er seinem Vater am Ende die sterbende Hand reicht, fasst dieser die Geste als Vergebung auf. Er wird von seinem Gewissen getroffen und stellt sich als Gefangener.
5 Abschließender Vergleich der beiden Vaterfiguren
Als der Präsident von Walter und der Musikus Miller in der sechsten Szene des zweiten Aktes aufeinandertreffen, werden die Differenzen ihrer Charaktere sichtbar. Die standesbewusste Selbstabgrenzung des Bürgers vom höfischen Adel kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck, als in dieser Konfrontation. Sie sind ein sehr ungleiches Väterpaar46, die Skrupellosigkeit des Präsidenten setzt sich der Rechtschaffenheit Millers entgegen. Die überlegende Macht des Adeligen weist den kleinen bürgerlichen Mann in seine Schranken. Trotz der großen Unterschiede im Hinblick auf Stand und individuellen Charakter, lassen sich Parallelen zwischen Miller und dem Präsidenten in ihrer Vaterrolle erkennen. Sowohl Miller, als auch sein Gegenspieler, haben das Leben der eigenen Kinder, zu ihren Zwecken und Annehmlichkeiten, verplant. Ferdinand dient als Funktionsträger einer Idee von Machterhaltung der Familie47 und Luise unter wirtschaftlichen Aspekt als Lebensvorsorge. Eine Heirat der beiden würde die geltende Ordnung stören und den Vätern ihre Kinder, ihr Kapital, entziehen. Dem Präsidenten ist Ferdinand genauso bedeutsam, wenn auch nicht direkt vergleichbar. wie für Miller seine Tochter. „Im Bruch der notwendigen Vaterbindung liegt der Frevel beschlossen, nicht im Überspringen der Standesgegensätze an sich.48Die beiden Väter können nicht etwas durchsetzen, was für sie zugunsten wäre, wenn dadurch die Kinder nicht mehr als Subjekte geschätzt werden, sondern nur als Werkzeug fungieren.49Schlussendlich scheitern beide Männer an ihren Kindern. Sie haben durch ihre Habgier und ihren Egoismus dazu beigetragen, dass Luise und Ferdinand verzweifelt, dem Leben ein Ende setzen. Schon in der dritten Szene des ersten Aktes ist Luise derart hoffnungslos, dass sie der Liebe für dieses Leben entsagt.50Im Gang der Handlung erwägt sie ihren Freitod. Auch Ferdinand wird durch die heimlichen Einflüsse seines Vaters und die gleichermaßen anwesenden, unüberschreitbaren Standesgesetze in die Enge getrieben und bringt sich in der letzten Szene mit Luise um. Dem Präsidenten wird bewusst, dass er durch sein Handeln genau das Gegensteil von dem erreicht hat, was er erreichen wollte. Seine Pläne seinen Sohn für sich zu nutzen, sind mit Ferdinands Ableben nichtig. Ebenfalls kommen Millers Vorstellungen zu Fall.
Zum Schluss lässt sich beurteilend sagen, dass die Väter letztlich versagt haben. Die Vaterbindung endet tragisch, da sie den Rechten und Freiheiten der Kinder entgegen gesetzt ist.
6 Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Schiller, Friedrich:Kabale und Liebe, Stuttgart, 1993 Sekundärliteratur Grenzmann, Wilhelm:Der junge Schiller, Die Räuber - Kabale und Liebe, Paderborn, 1964
Guthke, Karl S.:Kabale und Liebe, in: Hinderer, Walter (Hg.), Schillers Dramen- Interpretationen, Stuttgart, 1992, S.105 -156
Herrmann, Hans Peter / Martina:Friedrich Schiller: Kabale und Liebe, Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas, Frankfurt am Main, 1983
Leibfried, Erwin:Schiller, Notizen zum heutigen Verständnis seiner Dramen, Aus Anlass des 225. Geburtstages gedruckt, Frankfurt am Main, 1985
Liewerscheidt, Dieter:Die Dramen des jungen Schiller, Einführende Untersuchung, 1. Aufl., München, 1982
Loohuis, Wilhelmus J. M.:Analyse von „Kabale und Liebe“ und „Hermann und Dorothea“, Interpretation für die Praxis, 1. Aufl., Bad Honnef, 1977
Müller- Seidel, Walter:Das stumme Drama der Luise Millerin (1955), in: Berghahn, Klaus L. / Grimm, Reinhold (Hg.), Schiller
- Zur Theorie und Praxis der Dramen, Darmstadt, 1972, S. 131 - 147
Oellers, Norbert:Schiller, Stuttgart, 1993
Schafarschik, Walter (Hg.):Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart, 1980
Struck, Hans- Erich:Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, 1. Aufl., München, 1994
Zeller, Berhard:Schiller, Eine Bildbiographie, München, 1958
[...]
1vgl. Schafarschik S. 67ff
2vgl. Oellers S. 16
3 vgl. Zeller S. 9
4 vgl. Zeller S. 10f
5 vgl. Zeller S. 16
6vgl. Schiller S. 59
7Schiller S. 9
8vgl. Struck S. 38
9Schiller S. 7
10Schiller S. 7
11Schiller S. 12
12 Schiller S. 12
13Schiller S. 6
14Schiller S. 10
15Schiller S. 11
16 Schiller S. 44
17Schiller S. 59
18vgl. Liewerscheid S. 70
19vgl. Müller-Seidel S. 135
20 Schiller S. 86
21vgl. Loohuis S. 59
22vgl. Schiller S. 89
23vgl. Herrmann S. 66
24vgl. Struck S. 52
25Schiller S. 89
26 Schiller S.90
27vgl. Leibfried S. 160
28Schiller S. 91
29 Schiller S. 98
30vgl. Grenzmann S. 49
31 Schiller S. 21
32vgl. Schiller I,5-7
33Schiller S. 25
34 Schiller S. 45
35Schiller S. 49
36Schiller S. 21
37Schiller S.22 ff
38Schiller S. 22
39 Schiller S. 22
40Schiller S. 45
41Schiller S. 48
42vgl. Loohuis 57f
43 Schiller S. 44
44Schiller S. 58f
45 Schiller S. 107
46vgl. Liewerscheid S.74
47vgl. Struck S. 55
48vgl. Müller-Seidel in: Leibfried S. 167
49 vgl. Liebfried S. 167
50 vgl. Schiller S. 13
- Citation du texte
- Stefanie W. (Auteur), 2001, Schiller, Friedrich von - Kabale und Liebe - Die Vaterfigur im Drama, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106429
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