In der vorliegenden Arbeit geht es um die Neue Rechte in Deutschland. Diese verpackt ihre Ideologeme scheinbar wissenschaftlich und hüllt sie in eine "linke" Terminologie ein. Zudem wird statt einer Rückbesinnung auf das 3. Reich verstärkt Kritik an den realen Gegebenheiten der BRD geübt. Über diesen Weg versucht sie, Einfluss auf breite Schichten der Bevölkerung zu nehmen und eine kulturelle Hegemonie zu erringen.
Dargestellt wird das Konzept des Ethnopluralismus, das als Neo-Rassismus entlarft wird.
Im zweiten Teil wird untersucht, inwiefern der Ethnopluralismus eine Gesellschaftsstruktur anstrebt, die man dem autoritären Charakter nach Fromm ua.a. entspricht.
Gliederung
1.1 Die „Neue Rechte“
1.1.1 Zum Begriff der „Neuen Rechten“
1.1.2. Zur Strategie der „Neuen Rechten“ in der BRD
1.2. Das Konzept des Ethnopluralismus
1.2.1. Ideologische Grundlagen
1.2.1.1.Kritik am Universalismus
1.2.1.2.„Biologische Naturgesetze“: Die Instinktbestimmtheit des Menschen
1.2.2. Das Ordnungskonzept des Ethnopluralismus
1.3. Ethnopluralismus als „Neo-Rassismus“
1.4. Autoritär-masochistische Tendenzen im Ethnopluralismus
1.4.1. Der autoritär-masochistische Charakter
1.4.2. Ethnopluralismus und autoritärer Charakter
1.1. Die „Neue Rechte“
Die wissenschaftliche Forschung hat seit Ende der 60er Jahre eine wichtige Veränderung in der Organisation, Struktur und ideologischen Ausrichtung von Teilen des rechtsextremen Lagers in Deutschland beobachtet. Dabei veränderten sich weniger die Grundzüge der Weltanschauung, als eher die Art und Weise ihrer Präsentation und Artikulation. Diese sogenannte Neue Rechte verpackt ihre Ideologeme scheinbar wissenschaftlich und hüllt sie in eine „linke“ Terminologie ein. Zudem wird statt einer Rückbesinnung auf das 3. Reich verstärkt Kritik an den realen Gegebenheiten der BRD geübt. Über diesen Weg versucht sie, Einfluss auf breite Schichten der Bevölkerung zu nehmen und eine kulturelle Hegemonie zu erringen.
Ein Grund für diese Veränderungen war der Generationswechsel innerhalb der rechtsextremen Parteien, Organisationen und Strömungen - vor allem in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) - , der die alten Nationalsozialisten ablöste und so eine Modernisierung rechtsextremer Ideologien ermöglichte.
1972 gründete sich die „Aktion Neue Rechte“ (ANR) als Abspaltungsprodukt der NPD, deren Grundsatzerklärung von Henning Eichberg mitverfasst wurde. Daraus entwickelte sich 1974 die „Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation“ (NRAO), die auf nationale Befreiungsbewegungen ebenso wie auf die Außerparlamentarische Opposition (APO) einwirken wollte. Es kam zu weiteren organisatorischen Ausdifferenzierungen: Lothar Penz u.a. gründeten die „Solidarische Volksbewegung“ (SVB) , die sich später in „Bund deutscher Solidaristen“ (BDS) umbenannte und 1978 am Aufbau der Grünen Liste Umweltschutz beteiligt war und Einfluss auf die Ökologiebewegung gewinnen wollte.
Außerdem entstand von den Anhängern um Eichberg 1974 die „Sache des Volkes/Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation“ (SdV/NRAO), aus der sich später der „Nationalrevolutionäre Koordinierungsausschuss“ (NRKA) bildete und insbesondere Maoisten und National-Kommunisten ansprechen sollte. Die „Politische Offensive“ (PO), die direkte Nachfolgeorganisation des NRKA, orientiert sich wieder stärker an konservativen und neofaschistischen Positionen.
Dieses unübersichtliche und gespaltene Geflecht hat sich bis heute erhalten. Neurechte Positionen sind zudem in verschiedensten politischen Parteien sowie im vorpolitischen Raum zu finden.
1.1.1. Zum Begriff der „Neuen Rechten“
Dieser modernisierte Rechtsextremismus wurde und wird als Neue Rechte bezeichnet. Doch ist der Begriff nicht unumstritten. Als nicht klar abgrenzbarer Raum innerhalb des Rechtsextremismus und ohne klare Trennschärfe zur „Alten Rechten“ erscheint er problematisch, das neue sei nicht oder nur schwer erkennbar. Dies liegt sicherlich auch an der Unübersichtlichkeit einer Vielzahl von Projekten, Kleingruppen, Zirkeln etc., aus denen sich, im Gegensatz zur „Nouvelle Droite“ in Frankreich, nie eine dominierende Organisation herausgebildet hat. Dennoch hat sich der Begriff inzwischen weitgehend durchgesetzt und bezeichnet das Scharnier oder die Grauzone zwischen Rechtsextremismus und Rechtskonservatismus, und zwar sowohl ideologisch als auch organisatorisch. Rainer Benthin hat sogar nachzuweisen versucht, dass die Neue Rechte inzwischen nicht mehr nur als diffuser Teilbereich innerhalb des Rechtsextremismus, sondern als eigenständiger politischer Akteur betrachtet werden muss1, was andere Autoren aber bezweifeln.2 Zuerst wurde der Begriff ab 1967/68 als Selbstbenennung verschiedener intellektueller Zirkel im rechten Lage benutzt.
Wollte man die ideologischen Grundlagen der Neuen Rechte bestimmen, ließe sich folgendes feststellen3:
Die klassisch rechtsextremen Weltanschauungen werden auch von der Neuen Rechten geteilt. Dazu zählen z.B. „Antiliberalismus, elitäre Ideologie der Ungleichheit, Staatsautoritarismus, Homogenitätsstreben, Freund-Feind-Politikverständnis und völkischer Nationalismus“4.
Zum anderen lassen sich spezifisch neurechte Ideologiemuster erkennen, welche die Differenz zur Alten Rechten untermauern. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die Art der Herleitung und Begründung der neurechten Konzepte, bei der sie sich auf Repräsentanten des italienischen Faschismus sowie der „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik beziehen.5 Zu nennen sind dabei vor allem Edgar J. Jung, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Ernst Jünger, Ernst Nieckisch und der Staatsrechtler Carl Schmitt, deren politische Mentalität von der Neuen Rechten übernommen wird.
Das Ziel ist dabei u.a., den Rechtsextremismus von Hitler zu befreien.6 Die (positive) Bezugnahme auf den Nationalsozialismus vermeidet die Neue Rechte, teilweise distanziert sie sich sogar von ihm. Der völkische Nationalismus soll unter Umgehung der deutschen Vergangenheit rehabilitiert werden als ein Selbstbestimmungsrecht der Völker, also auch des deutschen Volkes, gegen die „Fremdherrschaft der Wodka-Cola-Kultur“ der USA und der damaligen UdSSR, die die „nationale Identität“ der Völker gefährde. Statt eines dumpfen Rassismus nutzt die Neue Rechte unter Bezugnahme auf den von Carl Schmitt apostrophierten „Pluriversalismus“ den Ethnopluralismus zur Verbreitung ihrer rassistischen Inhalte. Der Staat wird nicht mehr als Selbstzweck, sondern als Instrument zu Durchsetzung „volkspolitischer“ Ziele betrachtet. Innenpolitisch meint das die Besetzung des Multikulturalismus-Diskurses mit ethnopluralistischen Inhalten7, nach außen die Unterstützung von völkischen Unabhängigkeitsbewegungen und die Konzeption eines starken Mitteleuropas unter deutscher Hegemonie.
1.1.2. Zur Strategie der „Neuen Rechten“ in der BRD
Was die Neue Rechte besonders auszeichnet, ist jedoch vor allem die Strategie, ihre Ideologien im politischen Raum zu installieren. Im Grunde handelt es sich um die Übernahme der Theorie Gramscis, dass vor der Erringung politischer Herrschaft die Erlangung kultureller Hegemonie stehen müsse. Vertreter der Neuen Rechten versuchen deshalb Einfluss auf Subkulturen zu erlangen, und über die Normalisierung der Beziehung zu bürgerlich- demokratischen Politikern, Wissenschaftlern und Publizisten gesellschaftliche Diskurse und zentrale Politikbegriffe (auch im linken Spektrum) mit ihren Inhalten zu besetzen. So werden schleichend rechtsextreme Denk- und Argumentationsmuster eingeführt und zur Normalität, auch und gerade durch die Auseinandersetzung mit vordergründig „unpolitischen“ kulturellen Themen.
Die Versuche der Neuen Rechten, sich in gesellschaftliche Debatten einzuklinken, sind vielfältig. Im Gegensatz zur alten Rechten, deren Ziel immer die Erringung politischer Macht war, konzentriert sich die Neue Rechte nicht auf die Parteiarbeit. Sie versucht, als „Scharnier“8 zwischen Rechtsextremen und Neo-Konservativen, Nationalliberalen und „Linken“ zu wirken, und das auf personeller wie auf Organisationsebene. Diese Beziehungen und Überschneidungen laufen über Zeitungen und Zeitschriften, über Lesezirkel, Buchverlage, Hochschulen, Tagungen in Stiftungen und Studienzentren und studentische Burschenschaften.
Zu nennen wäre dabei beispielsweise die Wochenzeitung „Junge Freiheit (JF)“, die auflagenstärkste und wichtigste Wochenzeitung der Rechten in Deutschland. Sie erscheint seit 1986 und versucht, einen Dialog zwischen alten Rechten, neuen Rechten, Konservativen und National-Liberalen aufrecht zu erhalten. Die MacherInnen des Blattes haben sich vorgenommen, „unabhängig“, „provokant“, „nonkonform“ und anderen Strömungen gegenüber offen zu sein. Im Lauf der Zeit gründeten sich in verschiedenen Städten JF- Lesekreise.
Andere wichtige Zeitschriften sind:
- „Criticon“, ein von Armin Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing ins Leben gerufenes nationalchauvinistisches Diskussionsforum und Sammelbecken konservativer Kräfte mit dem Ziel der Schaffung einer konservativen Theorie als Waffe gegen die Linke;
- „Nation und Europa“, die versucht, „rechtskonservative Politikkonzepte mit den theoretischen Positionen der Neuen Rechten zusammenzubringen“;9 Die beiden Leitmotive der Zeitschrift - Rassismus und Antikommunismus - werden inzwischen in neurechtem Gewand präsentiert, Autoren wie Eichberg, Meinrad, Waldmann und Joß fanden hier eine publizistische Plattform.
- „Wir Selbst - Zeitschrift für nationale Identität und internationale Solidarität“, ein nationalrevolutionäres Blatt, das massiv versucht, über den Gebrauch von traditionell „linker“ Rhetorik rechtsextreme Positionen z.B. in die Ökologiebewegung einzubringen; Verknüpft werden rechter Nationalismus und linker Internationalismus mit der Frage nach der „nationalen Identität“.10
- die Theoriezeitschrift „Aufbruch“, ebenfalls nationalrevolutionär, jedoch mit eindeutig nationalbolschewistischer Ausrichtung; Getragen wird „Aufbruch“ von der Gruppierung „Politische Offensive“, der Nachfolgeorganisation des NRKA. Die wichtigsten Themen sind neben der Beschäftigung mit den historischen Vorläufern in der Weimarer Republik, der Regionalismus/Befreiungsnationalismus und Sozialismus/Klassenkampf/ Gewerkschaftsfragen.11
- die rechtsextreme und fremdenfeindliche Publikation „Europa Vorn“ (Nachfolgepublikation: „Signal“) um Manfred Rouhs; sowie verschiedene kleinere Druckwerke.
Einer der wichtigsten rechtsextremen intellektuellen Zirkeln in der BRD ist das eng mit der „Nouvelle Droite“ in Frankreich verbundene „Thule-Seminar e.V. - Arbeitskreis für die Erforschung und das Studium der europäischen Kultur“ um Pierre Krebs. Krebs orientiert sich stark an dem neurechten Vordenker Alain de Benoist und trat u.a. bei der Burschenschaft Danubia, beim Studentenbund Schlesien, beim Gesamtdeutschen Studentenbund, bei der Gesellschaft für freie Publizistik, der Thomas-Dehler-Stifung und dem Hoffmann-von- Fallersleben-Bildungswerk auf. Das Seminar gibt seit 1986 unregelmäßig die Zeitschrift „Elemente“ sowie die Schriftreihe „Thule Forum“ heraus.
Auch das Studienzentrum Weikersheim spielt eine wichtige Rolle im neurechten Organisationsgeflecht, auch weil es mit unterschiedlichen Veranstaltungen immer wieder Wissenschaftler, Faschisten und Konservative zusammen bringt. Es wurde 1979 auf Initiative des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Karl Filbinger gegründet. Neben so honorigen Referenten wie dem früheren Bundespräsidenten Karl Carstens, Wolfgang Schäuble oder Ministerpräsident Erwin Teufel traten und treten auch immer wieder Personen dort auf, die eine rechtsextreme Gesinnung und Verbindung nicht leugnen können (und wollen): Wolfgang Strauss, Redaktionsmitglied von „Nation und Europa“, Hans-Ulrich Kopp, Ex-Bundesvorstandssprecher der „Republikaner“ und führendes Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Danubia, Hans Dietrich Sander, Herausgeber der rechtsextremen „Staatsbriefe“ und Hans-Helmuth Knütter, Politikprofessor aus Bonn, der sich dem „Anti-Antifaschismus“ verpflichtet fühlt, um nur einige zu nennen.12
Nach internen Unstimmigkeiten zur „Nouvelle Droite“ gründete Robert Steuckers, Theoretiker der belgischen Neuen Rechten, 1993 das Intellektuellennetzwerk Synergies Européennes (SE), dessen deutsche Sektion, das Synergon Deutschland, 1995 entstand.
„Criticon“ - Begründer Armin Mohler gilt als einer der führenden Köpfe der Neuen Rechten in Deutschland. An seiner Person lässt sich beispielhaft die Rolle des Mediators zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus und zwischen Politik und Hochschule beobachten. Mohler war von 1949 bis 1953 Privatsekretär Ernst Jüngers. Er tritt der CSU bei, wird stellvertretender Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Geschäftsführer der Carl- Friedrich-von-Siemens-Stiftung, später Berater von Franz Schönhuber und Mitglied des Deutschlandrates sowie Kuratoriumsmitglied der Republikaner-Stiftung Carl-Schurz. Zeitweise war Mohler Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Heute schreibt er nicht nur für verschiedene rechtsextreme Publikationen, sondern auch regelmäßig für „Christ und Welt“, die „Welt“ und „Welt am Sonntag“, sowie für den „Bayernkurier“.
Auch an den Universitäten fanden und finden neurechte Ideologien Möglichkeiten der Darstellung. Neben dem „Nationaldemokratischen Hochschulbund“ (NHB) - der Hochschulliste der Republikaner - und verschiedenen Burschenschaften (insbesondere die „Deutsche Burschenschaft“ (DB)) sind es vor allem Hochschulprofessoren, die neurechtes Gedankengut verbreiten. Beispielhaft zu nennen wären dabei der Bochumer Politik-Professor Bernhard Willms, der neurechte Historiker Michael Stürmer, der zeitweise Kanzlerberater Dr. Kohls war, sowie Hans-Dietrich Sander, der vor allem zur „nationalen Frage“ publiziert hat. Zudem kann die Neue Rechte auf verschiedene Verlage zurückgreifen, wie z.B. den Arndt- Verlag, den Grabert-Verlag (in dem das Thule-Seminar veröffentlicht), den Orion-Heimreiter Verlag sowie den Hohenrain-Verlag, teilweise stoßen neurechte Autoren auch in nicht explizit rechtsextremen Verlagen auf offene Türen, u.a. in so traditionsreichen Verlagen wie Herbert Fleissners Langen-Müller/Herbig Gruppe. Fleissner trat beispielsweise als Verleger Schönhubers hervor.
Auch wenn die Neue Rechte zahlenmäßig als gering einzuschätzen ist, ist ihr Einfluss beträchtlich. Er reicht bis in die Redaktionen bürgerlich-konservativer Zeitungen wie die „Welt“ oder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), aber auch in die politischen Parteien, sei es in Beraterfunktion oder als Stichwortgeber.
1.2. Das Konzept des Ethnopluralismus
Ein entscheidender Teil in der Ideologie der „Neue Rechten“ ist die Propagierung eines völkischen Nationalismus. Anders als im Nationalsozialismus tritt jedoch eine rein biologistischen Argumentationsweise in den Hintergrund; statt dessen versucht die „Neue Rechte“ unter Bezug auf anthropologische, ethnologische und psychologische Forschungen die Objektivität einer Vielfalt und Ungleichheit der Völker zu beweisen. Dieser sogenannte „Ethnopluralismus“ sei unbedingt zu erhalten. Artikuliert wird dieses Gedankengebäude dabei häufig mit Hilfe kulturalistischer Argumentationsmuster wie der Unvergleichlichkeit und Unantastbarkeit der verschiedenen Kulturen und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Aus diesen Prämissen leitet die „Neue Rechte“ ein europäisches und globales Ordnungsmodell ab, das die apostrophierte Ungleichheit der Völker berücksichtigen und erhalten soll.
1.2.1. Ideologische Grundlagen
Ich gehe nun zunächst der Frage nach, was die theoretischen und philosophischen Grundlagen des Ethnopluralismus sind. Dabei wird deutlich, dass hinter der kulturalistischen Rhetorik und - auf den ersten Blick - nicht-rassistischen Argumentation ein rechtsextremes Ideologiegebilde steckt, das biologistische Grundlagen hat und in seiner Konsequenz die Überlegenheit der „weißen Rasse“ propagiert.
Die Neue Rechte greift in ihrer Argumentation wissenschaftliche Forschungen auf und adaptiert sie, teilweise durchaus von den Wissenschaftlern gewollt, für ihre Ideologien. Sie kann sich dabei insbesondere auf ethnologische (z.B. von Lorenz und Eibl-Eibesfeld) und psychologische Forschungen (z.B. von Eysenck und Jensen) beziehen.
1.2.1.1. Kritik am Universalismus
Die Neue Rechte greift einen Jahrhunderte alten Disput zwischen Nominalisten und Universalisten auf. Während es für die Universalisten Allgemeines (Universalien) gibt, das dem Einzelnen vorausgeht und es umschließt, bestreiten Nominalisten, dass universelle Begriffe eine Realität wiedergeben, sondern nur nachträgliche Namen (Nomina) sind. Sie behaupten beispielsweise, es gebe nicht „die Menschheit“, sondern nur einzelne Menschen. Der Begriff der „Menschheit“ habe lediglich zoologische Bedeutung.
Die Neue Rechte übernimmt diese Kritik am Universalismus, um ihren Kampf gegen die Moderne und alle Universalismen, insbesondere christliche Ethik, Marxismus und die Ideale der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) zu führen. Diese „universalistischen Ideologien“ leugneten die Vielfalt der Welt, seien ethnozentristisch und wirkten gleichmacherisch. Die Gleichheit der Menschen zu behaupten sei aber biologisch widersinnig und gefährlich. Die Menschen seien von Geburt auf, durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur, verschieden, deshalb müssten auch verschiedene Wertesysteme gelten:
„Eine ‚universelle Logik’, die für alle Menschen als vernünftige Wesen gültig wäre, gibt es nicht.“ Und: “Universelle Wertsysteme sind zu verwerfen: Etwas ist gut, wahr, schön nur für den Menschentyp, dessen ‚ethnischem Substrat’, psychischem Zustand, genetischer Zusammensetzung sowie sozialer und rassischer Umwelt es entspricht[...]. Jedem ‚ethnischem Substrat’ entspricht eine eigene Logik, eine eigene Weltsicht.“13
Und:
„Der auf Gleichheit gerichtete Humanitarismus verschlingt die Einzelpersönlichkeit -oder das Einzelvolk -, um es in dem anonymen Individuum - oder der Masse - aufgehen zu lassen. Es ist dies ein Humanitarismus der Gleichmacherei und daher der Entfremdung, letztlich der Entwertung; ein Humanitarismus, der vermengt und dabei zersetzt, der entwurzelt und daher zerstört.“14
Anstelle der universellen Ethik sollen neue Werte gesetzt werden, die sich als die alten herausstellen: so wird die Wiedererweckung arisch-keltischer Wertekultur oder heidnischer und esoterischer Religionen in Europa als Befreiung vom „christlich-jüdischen Egalitarismus“ gepriesen.
Während der Nominalismus in seiner gesellschaftlichen Konsequenz zu radikalem Individualismus würde, wird jener von der Neuen Rechten als Vorstufe des Universalismus begriffen. Bezugspunkt der Neuen Rechten ist dementsprechend nicht der Einzelne, sondern das Volk, das sich im Lauf der Geschichte durch die Evolution herausgebildet habe. Die Völker (wahlweise auch die Ethnien) werden als „Schicksalsgemeinschaften“ begriffen, als „Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit, die sich im Laufe der Geschichte geprägt“15 und die eine spezifische, letztlich genetisch bedingte Kultur hervorgebracht haben. Die Völker Europas müssten sich deshalb auf die Prinzipien der indioeuropäischen Rasse16 wie Hierarchie, Anti-Individualismus und Reinrassigkeit besinnen. Die Völker hätten sich unabhängig voneinander in ihrem je eigenen Lebensraum entwickelt, deshalb seien die jeweiligen Wertesysteme und Kulturen nicht universalisierbar, sondern an die Völker und deren Heimat und Territorium gebunden.
„Wir dagegen sprechen von den volklichen Identitäten und den Vaterländern. Unser Humanitarismus gründet auf der Freiheit der Völker, sie selbst zu sein. Auf dieser Grundlage bringt er den Geist und das Leben, die Kultur und die Menschen wieder in Übereinstimmung.“17
Vordergründig wird hier eine Kritik an Ethno- bzw. Eurozentrismus vertreten; Kolonialismus und Imperialismus seien genauso wie christliche Mission oder Entwicklungshilfe eine Einmischung in fremde Kulturen zum Zweck der Universalisierung der Welt. Auch den Verteidigern universeller Menschenrechte wird vorgeworfen, andere Kulturen durch den Export westlicher Werte zu zerstören.
Denkt man diese Argumentation konsequent zu Ende, erkennt man deren Folgen: So lehnt die Neue Rechte beispielsweise Entwicklungshilfe für arme Länder kategorisch ab. Wenn dabei Armut und Sterblichkeit zunehmen, sei das ein natürlicher Vorgang zur Auslese der Stärksten. Ebenso wie (lokal begrenzte) Kriege (in die sich der Westen nicht einmischen dürfe) ist demnach Hungertod ein legitimes Mittel zur Verringerung der (angeblichen) Überbevölkerung und zur Behebung der „Raumnot“.
1.2.1.2. „Biologische Naturgesetze“: Die Instinktbestimmtheit des Menschen
Bei der biologischen Rechtfertigung der neurechten Ideologie bezieht sich die Neue Rechte u.a. auf Oswald Spengler. Dieser meint, der Mensch sie im Grunde ein Tier, das glaubt über der Natur zu stehen. Dieser Kampf Mensch gegen Natur, den nur die Natur gewinnen könne, sei der Beginn der Tragödie.
Das menschliche Dasein ist nach Ansicht der Neuen Rechten, insbesondere nach Arnold Gehlen, geprägt und vorbestimmt durch die biologische Evolution, Rasse und Instinkte. Dabei wird davon ausgegangen, dass nicht nur die körperlichen Merkmale genetisch determiniert sind, sondern auch die meisten der nichtkörperlichen Eigenschaften. Der Mensch schafft sich zwar eine Kultur, ist dabei aber an die Grenzen seiner biologischen Konditionierung gebunden. Da die Natur stärker sei als der Mensch (s.o.), sei eine Loslösung des Menschen von der Natur nicht möglich. Der Mensch habe nur die Möglichkeit, sich innerhalb der biologischen Vorraussetzungen eine Kultur zu schaffen. Entspreche diese Kultur nicht den „biologischen Naturgesetzen“, führe das zu destruktiver Gewalt, psychischen Störungen und Kriminalität.
Unter Bezugnahme auf Forschungen von K. Lorenz, Robert Ardrey u.a. wird behauptet, dass das menschliche Verhalten geprägt sei durch verschiedene Triebe, wie z.B. den Aggressions- oder den Territorialtrieb. Diese Triebe seien allen Menschen gemeinsam und hätten sich im Laufe der Evolution nur in geringem Maße an die soziokulturelle Umwelt angepasst.
Der Territorialtrieb beispielsweise strukturiere die Menschen in Kleingruppen, die Sicherheit schaffen, indem es innen zur Ausbildung einer Hierarchie und nach außen zu einer Verteidigung des Territoriums und zu Distanz zu Fremdem komme. Dieser „Raumanspruch“ (Lorenz) finde im Nationalismus seine moderne Ausdrucksform und wird auf dies Weise als „genetisch vorbestimmt“ gerechtfertigt und als überlebensnotwendig dargestellt.
Überbevölkerung und die daraus entstehende Raumnot seien mit der menschlichen Natur unvereinbar und führten zu psychischen Störungen. Daraus begründet die Neue Rechte ihre Forderung nach einer qualitativen Bevölkerungspolitik, sprich nach repressiver Geburtenkontrolle und Eugenik.
Auch die Einwanderung von Ausländern nach Europa widerspreche den Naturgesetzen, da sie einerseits die MigrantInnen ihrem natürlichen Lebensraum entwurzele und andererseits durch Migration die „biologische Substanz der Völker“18 gefährdet werde. Krebs sagt das so: „Im egalitären Willen zur Rassenmischung sprießen in der Tat die Wurzeln der Entfremdung und des Völkermordes.“19 Einwanderung sei grundsätzlich etwas ablehnenswertes, da sie die Reinheit der Völker gefährde, die wiederum Garant für die Stärke der Völker sei. Ein Volk, das sich dauerhaft mit Menschen anderer Kulturen mische, werde langfristig sterben.
Auch der Rassismus wird erklärt: er sei eine verständliche Reaktion der heimischen Bevölkerung auf „das Fremde“, die in einer natürlichen Abwehrhaltung wurzle. Zur Überwindung des Rassismus müssten deshalb zunächst die Kulturen voneinander getrennt werden.
Robert Ardrey liefert der Neuen Rechten die Argumentationshilfen bezüglich der Ungleichheit der Menschen, indem er behauptet, das genetische Erbe verschiedener Rassen sei in wesentlichen Punkten verschieden. Diese Verschiedenheit drücke sich nicht nur in der Hautfarbe, sondern auch in unterschiedlichen Fähigkeiten aus. Zu weiten Teilen seien Begabungen sowie intellektuelle und physische Möglichkeiten genetisch vorbestimmt. Eine Gleichheit der Menschen sei deshalb unerreichbar, angestrebt werden könne lediglich eine „Gleichheit der Möglichkeiten“, bei der jeder Mensch sich gemäß seiner genetischen Disposition und Begabung entwickeln könne. Daraus leitet die Neue Rechte auch die Notwendigkeit einer Elitenbildung ab, da manche Menschen natürlicherweise zum führen, andere zum gehorchen besonders begabt seien. Hier wird bereits sichtbar, was Neue Rechte unter einer „Gleichheit der Möglichkeiten“ verstehen: die biologische Klassifizierung der Menschen in „Herrscher“ und „Beherrschte“, in „Anständige“ und „Kriminelle“, in „Volkszugehörige“ und „Ausländer“ etc. Auch Männer und Frauen werden als genetisch verschieden und ungleich beschrieben: bestimmte Verhaltensweisen und Instinkte seien ihnen angeboren. Die Konsequenz: Frauen sollen das tun, was sie qua Genetik am besten können: kochen, Kinder großziehen und ansonsten zu Hause bleiben. Männer dagegen seien selbstverständlich zur Politik geboren. Diese uralte patriarchalische Zweiteilung kommt lediglich im neurechten Gewand daher, indem es heißt, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten anerkannt werden müssten.
Wiederum wird dieses Argumentationsmuster auch auf die Ebene der Völker und der Rassen übertragen: durch die unterschiedlichen genetischen Vorraussetzungen der Völker hätten sich diese unterschiedlich entwickelt und je spezifische Fähigkeiten herausgebildet, was insbesondere am Beispiel der Intelligenz nachgewiesen wird. Die Vertreter der Neuen Rechten gehen davon aus, dass Intelligenz vererblich ist und beziehen sich auf Studien von Cyril Burt, Hans Jürgen Eysenck und Arthur Jensen, mit Hilfe derer behauptet wird, dass Menschen mit schwarzer Hautfarbe weniger Intelligenz und dafür eher praktische Fähigkeiten besitzen. Von der Unterschiedlichkeit der Rassen zu einer quasi „natürlichen“ Hierarchie und der Rechtfertigung der im Kapitalismus damit verbundenen Ausbeutung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Denn obwohl die Neue Rechte antiimperialistische Begriffe und Argumentationsfragmente übernommen hat, stellt sich dieser Kampf gegen die Ausbreitung einer Einheitskultur über den Globus als ein Bestehen-lassen der vorhandenen sozialen Ungleichheit auf der Welt heraus. Mit dem Argument, man dürfe fremde Kulturen nicht zerstören, sollen diese dem sozialdarwinistischen Schicksal des „Rechts des Stärkeren“ überlassen werden.
1.2.2. Das Ordnungskonzept der Neuen Rechten
Mit dem Ethnopluralismus verbindet sich ein europäisches Ordnungsmodell, das im Folgenden vorgestellt werden soll.
Ausgangspunkt der Argumentation ist wiederum die Behauptung, die Nichtbeachtung biologischer Tatsachen und materialistisches Gleichheitsdenken führten zu einer einheitlich genormten Welt. Diese Vereinheitlichung der Kulturen sei lebensfeindlich und hätte Überbevölkerung, Naturzerstörung und wirtschaftliche Krisen zur Folge.
Der Ethnopluralismus gilt deshalb auch als Konzept des Zusammen- oder besser: Nebeneinanderlebens der entscheidenden Subjekte der Geschichte: der Kulturen oder Rassen. Denn:
“...die Lehre vom Menschen, seinen biologischen Ursprüngen und Beweggründen, entzieht jedem fremdem Herrschaftsanspruch die Grundlage. Sie führt automatisch zu nationalem Selbstbewusstsein und schließlich zu revolutionärem Unabhängigkeitsstreben. Sie bedroht die Welthegemonie der liberalistischen und kommunistischen Materialismus.“20
Da sowohl Einwanderer wir das Einwanderungsland unter Migration zu leiden hätten, gibt die Neue Rechte vor, gemeinsam mit AusländerInnen und in deren Interesse für den Erhalt der kulturellen Identitäten zu kämpfen. Organisiert werden müsse ein geordnetes Nebeneinander der Völker, das eine Entwicklung nach Maßgabe der jeweiligen ethnischen Besonderheit ermöglichen solle. Nur das gewährleiste auch eine fruchtbare Konkurrenz der Völker.
In der praktischen Konsequenz bedeutet dies entweder die Vertreibung aller „AusländerInnen“ aus Deutschland oder, was durchaus auch gefordert wird, eine Apartheidpolitik.
Zur Durchsetzung ihrer europapolitischen Vorstellungen stützt sich die Neue Rechte auf den „Befreiungsnationalismus“. Diese Revolutionstheorie richtet sich gegen alle, die die Eigenheit der Völker nicht respektierten. Dabei geriert sich die Neue Rechte internationalistisch: Internationalist könne nur sein, wer eine klare nationalistische Position habe. Dabei sehen sich die Vertreter dieser Position durchaus in der Tradition der nationalsozialistischen Waffen-SS, die - im Gegensatz zur NS-Politik - international gewesen sei. Gelegentlich wird auch behauptet, die Nicht-Beachtung der europäischen Bedeutung habe zur Niederlage Deutschlands beigetragen.
Die Befreiungsnationalisten suchen also nach der nationalen Identität im europäischen Rahmen. Ziel ist „’die Schaffung einer an Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung orientierten Völkerordnung’ auf der Grundlage des ‚Ethnopluralismus’“21. Dieses Ziel ist gerichtet gegen jede „Fremdherrschaft“ in Europa, also gegen die Supermächte USA und - bis zu ihrem Ende 1989/90 - die UdSSR, die die Freiheit der Völker durch ihre egalitaristischen Ideologien (Liberalismus und Kommunismus) bedrohen. Heidegger schreibt: „Russland und Amerika sind beide, metaphysisch gesehen, dasselbe; dieselbe trostlose Raserei der entfesselten Technik und der bodenlosen Organisation des Normalmenschen.“22
Alle Völker müssten sich gegen jede Art der Besetzung wehren. Die Völker Europas werden in diesem Sinne als „Dritte-Welt-Länder“ bezeichnet, weil sie sich genau wie diese gegen die „modernen Kolonisatoren“ und „Imperialisten“ zur Wehr setzen müssten, um nationale Unabhängigkeit zu erreichen. Die Neue Rechte spricht in diesem Zusammenhang von „antiimperialistischer Solidarität“, die bereits von Ernst Niekisch vertreten wurde: „Anknüpfung von sei es offenen, sei es geheimen Beziehungen mit allen Völkern, die gleich dem deutschen Volk unter der Unterdrückung durch die imperialistischen Westmächte leiden.“23. Die Deutschen hätten allerdings - durch die Teilung - am meisten unter den Großmächten zu leiden gehabt.
Die Forderung nach einer Vertreibung „raumfremder Mächte“ aus Europa soll in einer „Nation Europa“ - vom Atlantik bis zum Ural - gipfeln, die ein optimales Zusammenspiel der „europiden Völker“ gewährleisten soll. Nur ein starkes Europa, frei von Fremdherrschaft, könne nationale Identität entfalten und so international voll zur Geltung kommen, ohne zwischen den Großmächten zerrieben und von fremdländischen Menschen überschwemmt oder fremden Kulturen vereinnahmt zu werden:
„Erst wenn Europa auf dem uralten Grund seiner Denkweise und Geschichte, seiner Götter und Mythen wieder Fuß fasst, wird es neue eigene Werte freimachen, die den Herausforderungen unserer Welt und unserer Zeit gerecht zu werden vermögen.“24
Der Nationalismus wird dabei gesehen „...nicht mehr als selbstüberhebliches Gegeneinander, sondern als ein neues Ordnungsprinzip, das der Schicksalsgemeinschaft Europa wieder zu der ihr historisch zustehenden Stellung in der Welt verhelfen sollte“25. Europa stehe vor der Entscheidung, entweder unterzugehen oder sich selbst zu befreien und eine Machtposition in der Welt einzunehmen.
Dazu sei es auch nötig, den „Staatsnationalismus“ zu überwinden. Europa müsse die entscheidende Bezugsgröße für jeden Nationalisten sein. Im Anschluss müsse Europa nach ethnischen Kriterien neu geordnet werden.
Hier schließ sich das Regionalismus-Konzept der Neuen Rechten, das u.a. von Henning Eichberg vertreten wird, an. Danach seinen die Regionen die organische Verwurzelung der weißen europäischen Völker im Boden und daher Keimzelle der zu schaffenden Nation Europa.
Dies ist auch eine scheinbare Annäherung an linke Positionen, da suggeriert wird, nicht die Nation, sondern der regionale Zusammenhang sei der entscheidende Bezugspunkt. Das entspricht aber nicht den Intentionen der Neuen Rechten, da die Region als ethnische Einheit innerhalb einer übergeordneten Nation gesehen wird.
Für Deutschland bedeutete das die Vereinigung Deutschlands mit Österreich und den ehemaligen deutschen Ostgebieten, gleichsam als Vorraussetzung für die Einigung Europas. Deutschland komme durch seine Mittellage und durch die angeblich herausragende deutsche Fähigkeit zur Machtpolitik eine besondere Funktion zu, die in der Hegemonie Deutschlands in Europa ihren Ausdruck finden solle. „Antifaschismus“ und „Antigermanismus“ werden darum als Hemmschuh auf dem Weg zu einem selbstbewussten Europa betrachtet und seien dadurch „identitätshemmend“. Die Neue Rechte versteht sich demgegenüber als „antiimperialistisch“ und „antitotalitär“ in ihrem Kampf gegen die beiden Totalitarismen Liberalismus und Kommunismus und kann sich in dieser Logik als antifaschistisch bezeichnen.
In Teilen der Neuen Rechten - insbesondere der Nouvelle Droite und ihrer deutschen Anhänger - soll der deutsche Führungsanspruch mit Frankreich geteilt werden, u.a. um darüber Zugang zu Atomwaffen zu erhalten.
1.3. Ethnopluralismus als „Neo-Rassismus“
Das Aufgreifen von kulturalistischen, antiimperialistischen und antirassistischen Begriffen hat das Ziel, Denkblockaden und Berührungsängste abzubauen und rechtsextreme Argumentationslinien in politische Diskurse einzuführen. Zu diesem Zweck grenzen sich Vertreter der Neuen Rechten immer wieder öffentlich vom NS-Faschismus ab und betonen ihre Nähe zu den Protagonisten der „konservativen Revolution“ der Weimarer Republik. Dass diese wesentlich mitbeteiligt waren an der Verbreitung antidemokratischer, staatsautoritärer und antisemitischer Auffassungen und damit dem Nationalsozialismus ideologisch den Weg bereitet haben, wird dabei bewusst verschwiegen oder verleugnet. Auch durch die Unwissenheit vieler bürgerlich-demokratischer Kräfte in dieser Sache hat die Neue Rechte die Möglichkeit, die konservativen Revolutionäre (und damit auch sich selbst) als Gegner oder sogar Opfer der NS-Diktatur dazustellen.
Hinzu kommt eine (bereits oben dargestellte) vordergründige Abgrenzung von Ethnopluralismus und Rassismus. Einer der wichtigsten und gewandtesten Publizisten auf diesem Gebiet ist Alain de Benoist.
Benoist (Jahrgang 1943) gilt als Kopf der französischen „Nouvelle Droite“ und ist Herausgeber des Theorieorgans „Elements“ (seit 1973) sowie Protagonist des Intellektuellenzirkels GRECE.
Benoist spitzt die Argumentationslinien der Neuen Rechten zu und stellt diese als antirassistisch dar. Der „traditionelle“ Antirassismus, wie er von links vertreten werde, habe seinen Ursprung im Universalismus, der durch die Behauptung der Gleichheit aller Menschen Unterschiede einebne und somit den Kulturen ihre Identität nehme: Der „universalistische Antirassismus“
„...führt mittelbar zum gleichen Ergebnis wie der Rassismus, den er verurteilt. Er ist nämlich ebenso allergisch gegen Unterschiede, erkennt in den Völkern nur ihre gemeinsame Zugehörigkeit zur Art und neigt dazu, ihre besonderen Identitäten als vorübergehend oder nebensächlich zu betrachten.“26
Der „differentielle Antirassismus“ (de Benoist) dagegen achte die Verschiedenheit der Völker und versuche, sie zu erhalten.
Balibar27, Taguieff28 u.a. haben dieses Phänomen untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass sich ein „Rassismus ohne Rassen“ gebildet habe, eine Transformation der biologistischen in kulturalistische Argumentationsmuster. Balibar beschreibt den Umstülpungsprozess (Retorsionseffekt) der antirassistischen Argumentation29: Die Neue Rechte übernimmt die Auffassung, Verhalten ergebe sich nicht direkt aus den Genen, sondern aus der Kulturzugehörigkeit und leitet daraus sowohl die Unterschiedlichkeit, wie auch die Gleichwertigkeit der Kulturen ab.
„Auf diese Weise wurde die ‚Wert-Norm’ der Differenz, die seit den fünfziger Jahren im Zentrum der antirassistischen Argumentation stand, integriert und ‚verkehrt’, um zu einer der Speerspitzen des gegenwärtigen Neorassismus zu werden.“30
Die Neue Rechte vertritt jedoch in der Konsequenz die Auffassung, Kulturvermischung führe zum geistigen Tod der Menschen („kultureller Ethnozid“).
Dieser Neorassismus oder differentialistische Rassismus setzt weder einen biologischen Determinismus noch eine Hierarchisierung der Rassen voraus, Positionen, die wissenschaftlich diskreditiert sind. Stattdessen bezieht er über die Inanspruchnahme antirassistischer Postulate eine politische Legitimation. Zuerst schwingt er sich zur Verteidigung der kulturellen Identitäten auf, die dann zu einer „Verherrlichung (éloge) der Differenz“31 führt, einer Differenz die absolut gesetzt und positiv beurteilt wird. Diese Verabsolutierung der Unterschiede beinhaltet eine Unvereinbarkeit der Kulturen. Während der Schutz der kulturellen Identitäten gefordert wird, stellt der differentialistische Rassismus im selben Atemzug die Assimilationsunfähigkeit der Anderen fest. Die Feststellung einer Differenz bedeutet dann nicht mehr nur, die Ungleichheit (und gar nicht mehr die Ungleichwertigkeit) der Völker zu behaupten, sondern die Separation oder Vertreibung der so fundamental anderen zu fordern (Einhaltung „natürlicher Distanzen“). Die Begründung dieser Forderung scheint jedoch durch die Übernahme der gesellschaftlich akzeptierten Norm des Pluralismus’ weniger brutal zu sein, gleichwohl sie die selben Konsequenzen hat wie der genetisch begründete Rassismus nationalsozialistischer Prägung. Der differentialistische Rassismus kann „als eine Generalisierung der modernen Judeophobie bezeichnet werden“32, da die Juden auch im Nationalsozialismus nicht als eine Rasse im biologischen Sinn, sondern als „geistige Rasse“ angesehen wurden. Gleichwohl galten sie als diejenige Gruppe, die kulturell unter keinen Umständen assimiliert werden konnte. Was früher expliziert für Juden galt, wird heute auf alle „Ethnien“ und Kulturen übertragen.
Auf ein weiteres Merkmal des differentialistischen Rassismus weist Taguieff hin: „...den Übergang zu einem indirekten Diskurs und einen systematischen Rückbezug auf implizit Bleibendes“.33 In gesellschaftlichen Diskursen äußert er sich nicht mehr aggressiv-frontal, sondern unterschwellig und symbolhaft. Gemeinsam mit dem Bezug auf heterophobe Aussagen (Recht auf Differenz) erschließt sich dadurch die Möglichkeit, auch in einer kritischen Öffentlichkeit rassistische Thesen platzieren zu können. Festmachen lässt sich das u.a. auch an der scheinbaren Aufgabe der Hierarchisierung der Rassen, die in der Konsequenz dadurch wiederhergestellt wird, dass die Ungleichheit der Kulturen eben auch zu einer ungleichen Verteilung von Reichtum und Herrschaft führe.
Eine Entstehungstheorie des Rassismus als angeblich natürliche Abwehrreaktion gegenüber Fremden wird gleich mitgeliefert. Allein die Anwesenheit von Mitgliedern anderer Völker reicht nach dieser Argumentation aus, um rassistisches Verhalten seitens der Mehrheitsbevölkerung herauszufordern. Eine fatale Verkehrung der Opfer und Täter, die diesen jede Verantwortung an ihrem Handeln abspricht und der Natur zuweist. Balibar bezeichnet das als „Meta-Rassismus“, der „nicht die rassische Zugehörigkeit, sondern das rassistische Verhalten zu einem natürlichen Faktor“ erklärt34.
1.4. Autoritär-masochistische Tendenzen im Ethnopluralismus
Im folgenden Abschnitt wird die These untersucht, inwieweit der Ethnopluralismus autoritärmasochistische Charaktere (nach der Definition von Fromm, Adorno u.a.) besonders anspricht und welche Elemente in der ethnopluralistischen Ideologie autoritäre Züge haben.
1.4.1. Der autoritär-masochistische Charakter
Eine erste Theorie des autoritär-masochistischen Charakters hat Erich Fromm verfasst35, der die Psychoanalyse von Freud mit dem historischen Materialismus verband. Später bezogen sich andere Anhänger der kritischen Theorie (z.B. Adorno) auf seine Thesen und entwickelten sie weiter.
Danach kann die Dynamik eines gesellschaftlichen Prozesses nur verstanden werden, wenn man die Dynamik der psychologischen Prozesse begreift, die sich im Individuum abspielen. Nach Freud ist der Charakter nicht die Summierung von Einzelzügen, sondern besitzt eine ganz bestimmte Struktur. Diese Triebstruktur passt sich den gesellschaftlichen Bedingungen an, „...indem durch Sublimierung und Reaktionsbildung die Triebimpulse zu Charakterzügen im Ich erscheinen“.36
Auf dieser Basis untersuchten die Wissenschaftler der kritischen Theorie die Fragen, welche Triebtendenzen und seelischen Mechanismen den unterschiedlichen Einstellungen zur Autorität zu Grunde liegen, und warum Unterordnung in vielen Fällen Lust bereitet.
Das „autoritäre Syndrom“37 entsteht demnach durch die Auflösung des Ödipuskomplexes auf sadomasochistische Weise. Die äußere gesellschaftliche Repression geht mit innerer Verdrängung von Triebregungen zusammen. Damit das gelingt, nimmt die Haltung gegenüber der Autorität und ihrer psychologischen Instanz, dem Über-Ich, einen irrationalen Zug an.38
Zum autoritären Charakter gehören notwendigerweise immer masochistische und sadistische Tendenzen, wobei in einem Fall mehr die masochistischen, im anderen mehr die sadistischen verdrängt sind und die jeweils anderen im Verhalten stärker zum Ausdruck kommen. Keine der beiden Seiten kann jedoch vollends verschwinden, sondern taucht an anderen Stellen, oft verdeckt, wieder auf.
Diese Charakterstruktur entsteht, wenn sich im Einzelnen Gefühle der Ohnmacht und Minderwertigkeit entwickeln. In der bürgerlichen Gesellschaft und insbesondere in autoritären Gesellschaften steht der Mensch einer Welt gegenüber, „...die er weder durchschauen noch beherrschen kann, der er hilflos ausgeliefert ist“.39 Je größer die Widersprüche sind, denen die Menschen ausgesetzt sind, je mächtiger und willkürlicher die gesellschaftlichen Mächte sind und je mehr Katastrophen wie Krieg oder Arbeitslosigkeit das Leben der Menschen überschatten, desto eher kann sich eine sadomasochistischen Charakterstruktur entwickeln und durchsetzen.
Die masochistischen Strebungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Unabhängigkeit der eigenen Persönlichkeit weitgehend aufgegeben wird, was von Gefühlen der Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit begleitet ist. Die Schwäche des Eigenen wird kompensiert durch die Identifikation und Verschmelzung mit irgend jemand oder irgend etwas anderem. Die Lust an der Unterordnung ist tief in der Triebstruktur verankert und erfüllt dort - wenn auch unbewusst - den Zweck der Befriedigung. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit von äußeren Gewalten (z.B. von anderen Menschen, Institutionen oder der Natur). Die völlige Hingabe an die Macht, die den Verzicht auf individuelles Glück beinhaltet (und in pathologischen Fällen bis zum Erleiden körperlicher Schmerzen geht), verschaffen Lust und Befriedigung. Situationen und Strukturen, die Gehorsam erfordern und in denen individuelle Freiheiten eingeschränkt und durch den Zwang zur Unterordnung ersetzt werden, werden deshalb vom masochistischen Charakter gesucht und aufrecht erhalten.
Auf der anderen Seite stehen die sadistischen Strebungen, die im wesentlichen darauf gerichtet sind, andere zu unterdrücken, zu beherrschen und zu Instrumenten des eigenen Willens zu machen. Das geht immer mit der Tendenz einher die anderen zu bestehlen, auszubeuten und auszunutzen, in schweren Fällen sogar ihnen körperliche Schmerzen zuzufügen.
Fromm spricht vom autoritären Charakter, da eine bestimmte Einstellung zur Autorität charakteristisch ist:
Generell wird zwischen Mächtigen und Machtlosen unterschieden, wobei sich der autoritäre Charakter aggressiv gegen Schwache und empathisch gegenüber Starken verhält. Macht wird beinahe automatisch verehrt, und die Unterordnung unter sie und unter Befehle verschaffen Lust. Dabei ist das - meist unbewusste - Grundgefühl gegenüber der Autorität Angst, aus der sich dann Liebe, Bewunderung und Ehrfurcht entwickeln. Ambivalent dazu entstehen Gefühle des Hasses und des Neides, die aber in der Regel verdrängt werden und erst dann zum Ausdruck kommen, wenn die Macht Zeichen der Schwäche zeigt. Allerdings besteht die Auflehnung dann in der Regel nicht in einem Widerstand gegen jedwede Autorität, sondern lediglich in einer Art Trotz. Solange die Unterwerfung unter die Autorität funktioniert, richtet sich der Hass und die Aggression des autoritären Charakters gegen andere, fremde Autoritäten, die als „böse“ definiert werden (z.B. die Führer fremder Religionen, das „jüdische Finanzkapital“ etc.). Oft wird dieser Hass von der „geliebten“ Autorität gefördert, einmal, um ihn von sich selbst abzulenken und um ihn gegen Autoritäten zu richten, die mit Hilfe der Untergebenen bekämpft werden sollen.
Der autoritäre Charakter ist davon überzeugt, dass sein Leben von Mächten bestimmt wird, die außerhalb seiner Interessen und Wünsche liegen. Das Gefühl der Ohnmacht ist daher bestimmend und wird begleitet von der tatsächlich mangelnden Fähigkeit zum selbstständigen Handeln. Dieses Gefühl wird aber verdräng und durch die freiwillige und lustvolle Unterwerfung unter das „Schicksal“ ersetzt. Dabei entsteht wiederum Hass, der sich aber im Unterschied zum Hass, der sich aus der Angst entwickelt, nicht gegen Autoritäten richtet, sondern gegen Schwächere. Dieser Hass kann genossen und ausgelebt und muss nicht verdrängt werden
Autoritäre Gesellschaftsstrukturen schaffen eine Umgebung, in der sadomasochistische Charakterstrukturen sowohl entstehen und gedeihen als auch Befriedigung finden. Das geschieht durch die Installation einer strengen Hierarchie. Jedes Glied in der Hierarchie kann seine sadistischen und masochistischen Tendenzen befriedigen, die masochistischen durch die Unterordnung unter Befehle, die sadistischen durch die autoritäre Führung der Untergebenen. Indem alle in diese Hierarchie integriert sind und ihre Befehle sich von der höchsten Instanz ableiten (z.B. dem Führer, dem Gott), können sie an deren Glanz teilhaben. Die Autorität unterstützt auch inhaltlich diese Tendenzen, indem sie den Hass auf fremde und „böse“ Autoritäten (z.B. Religionen, Staaten/Staatsformen etc.) fördert und indem sie eine masochistische Grundeinstellung propagiert, die eine Unterwerfung unter die höhere Gewalt des Schicksals fordert. So werden nicht nur wirtschaftlicher Erfolg oder Misserfolg, sondern auch Kriege und die Tatsache, dass ein Teil der Menschen von einem anderen beherrscht wird, als schicksalhafte „Naturgesetze“ gesehen. Die Vergangenheit wird verehrt, während alles, was neu ist, verwerflich ist. Mut und Aktivität des autoritären Charakters leiten sich nur aus dem Bestreben ab, der Autorität und dem Schicksal zu dienen. Die Hingabe an die Autorität wird zur Tugend und bildet gleichzeitig den Kitt, der autoritäre Gesellschaftsstrukturen zusammenhält. Sie schafft ein Sicherheitsgefühl, das die Menschen hilft, Angst und Ohnmacht zu vergessen, aus denen sich der autoritäre Charakter entwickelt hat. Denn Ohnmacht ist für den autoritären Charakter ein Zeichen von Unrecht oder Minderwertigkeit.
Je schlechter die materiellen und ökonomischen Bedingungen sind, desto eher verlangen die sadistischen Tendenzen nach Befriedigung. Wenn die vorhandenen Objekte, zu denen auch Frauen, Kinder und Tiere zählen, nicht mehr ausreichen, müssen neue geschaffen und zur Verfügung gestellt werden (z.B. Sklaven, Minoritäten).
1.4.2. Ethnopluralismus und autoritärer Charakter
Inwiefern strebt der Ethnopluralismus eine Gesellschaftsstruktur an, die man als autoritär bezeichnen könnte und die sowohl sadistische als auch masochistische Tendenzen befriedigt?
Der Ethnopluralismus transportiert ein klares Freund-Feind-Denken, ganz in der Tradition von Carl Schmitt. Die „bösen universalistischen Ideologien“ - Liberalismus, Judentum, Christentum, Marxismus - stehen als übermächtige Autoritäten gegen die kleinen Völker der „Dritten Welt“ (zu der die Neue Rechte auch das „besetzte“ Europa zählt). Das Schwarz- Weiß-Denken ist in der Regel verknüpft mit Stereotypen und Vorurteilen, als Folge von Rationalisierungen und Vereinfachungen. Die Welt erscheint übersichtlich und einfach, Komplexität wird reduziert durch die scheinbar einfache Logik der Verhältnisse. Ein autoritärer Charakter fühlt sich zu einer solchen Autorität, die gleichzeitig eine Erklärung der Verhältnisse und eine eindeutige Lösung der (angeblichen) Probleme bietet, hingezogen, da so Gefühle der Ohnmacht und Minderwertigkeit reduziert werden können. Analog zum autoritären Charakter gibt es auch für die Ethnopluralisten nur zwei Geschlechter: die Mächtigen und die Machtlosen. Da sie sich selbst zu den Unterdrückten zählen, dienen sie sich einer anderen Macht an, in deren Schein sie glänzen und an deren Stärke sie partizipieren können: die Natur. Sie wird dargestellt als alldurchdringende Kraft, die nicht nur für die körperlichen, sondern auch für die geistigen und seelischen Erscheinungen des Menschen verantwortlich ist. Kultur, Fortschritt, der gesamte menschliche Lebenszusammenhang habe sich nach den „Regeln“ der Natur zu ordnen.
Wie jede faschistische Ideologie beinhaltet auch der Ethnopluralismus die Unterordnung der Individuen unter das „Volk“, das verwurzelt ist im Boden. Auch wenn viele Vertreter das nicht explizit sagen, so deutet doch vieles darauf hin, z.B. indem die Völker (oder die Rassen) als Subjekte und entscheidende Macher der Geschichte beschrieben werden. Einzelne Individuen haben sich den Interessen des Volkes unterordnen, was sich insbesondere auch in der Haltung zum Individualismus ausdrückt, der als Vorstufe des Universalismus begriffen und daher abgelehnt wird.. Individuelle Freiheiten und persönliches Glück spielen daher in der ethnopluralistischen Ideologie keine Rolle, wichtigstes Ziel ist die „Reinheit des Volkes“, der Ausschluss der Nicht-Assimilierbaren:
„So war auch der völkische Begriff ‚Verwurzelung’ einer, der im Gegensatz zu seinem Wortlaut weniger die Verankerung der Deutschen in ihrer heimatlichen Scholle meinte, sondern in dessen Zentrum vielmehr die Vertreibung der ‚Entwurzelten’ stand“.40
Auch die Übertragung der Darwinschen Gesetze der Auslese auf den Menschen, die zu einer Herrschaft der Fähigsten und Besten führen soll, zeigt in diese Richtung. Denn die Forderung nach einer Auswahl der Besten und Stärksten durch den Überlebenskampf, sowohl in der nationalen wie der internationalen Hierarchie, fordert auf der anderen Seite Opfer unter den „Schwachen“. Diese haben sich den angeblichen Regeln der Natur zu unterwerfen. Demokratische Entscheidungsstrukturen sind demnach widernatürlich und führten zur Ausbildung einer Kaste von Politikern, die sich nicht um die Nöte des Volkes, sondern nur um ihren persönlichen Erfolg kümmern. Die Wissenschaften, insbesondere Ethnologie, Psychologie und Anthropologie, avancieren dabei zu Verkündern der Wahrheiten der Natur. Ihre Forschungen, mit denen die Neue Rechte die Ungleichheit der Kulturen beweisen zu können glaubt, stellen einen wichtigen Bezugspunkt in der ethnopluralistischen Ideologie dar. So kann man dem Ethnopluralismus durchaus eine masochistische Grundstimmung nachweisen: Neben der Unterwerfung unter die behaupteten Naturgesetze und die daraus abgeleiteten Hierarchien steht die Neue Rechte ganz in der Tradition der „Konservativen Revolution“, in der die (freiwillige) Unterordnung unter das Schicksal gefordert wird. Oswald Spengler schrieb 1933:
Die „Logik des Schicksals hat nie von menschlichen Wünschen Kenntnis genommen. (...) Es ist die große Aufgabe des Geschichtskenners, die Tatsachen seiner Zeit zu verstehen und von ihnen aus die Zukunft zu ahnen, zu deuten, zu zeichnen, die kommen wird, ob wir sie wollen oder nicht.“41 [Hervorhebung von mir]
Aber es soll nicht nur die Erkenntnis sein, dass das Schicksal nicht zu ändern ist. Mit allen Kräften und mit voller Überzeugung wollten die Konservativen Revolutionäre, ganz im Sinne von Nietzsches „amor fati“, ihr Schicksal erfüllen, es fröhlich und inbrünstig bejahen. Die Neue Rechte greift genau das auf, indem sie, analog zu Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“, eine (schicksals)entscheidende Wende fordert: wenn die Menschen nicht aufhören, gegen die Regeln der Natur zu leben, werden sie untergehen. Mit vollem Einsatz für das Schicksal müsse dieser Kampf geführt werden, egal um welchen Preis. Dieses Heldentum bestimmt Fromm als ein Merkmal des autoritären Charakters: „Sich dem Schicksal fügen ist der Heroismus des Masochisten“.42
Damit wird zugleich jede Einschränkung der individuellen Freiheit gerechtfertigt. Masochistische Charaktere, die Situationen der Unfreiheit und des Gehorsams schätzen, fühlen sich durch diese antidemokratischen Bestrebungen angezogen. Auch die Unterordnung unter und Identifikation mit der (zukünftigen, durch Auslese entstandenen) Autorität wird selbstverständlich vorausgesetzt, da ja die so zustande gekommene Führungselite im Stande sei, das Volk bestmöglich zu leiten (ganz im Gegensatz zu demokratischen Regierungen).
Auch sadistische Tendenzen würden in einer ethnopluralistisch organisierten Gesellschaft Befriedigung finden. Die Etablierung einer strengen Hierarchie nach angeblich genetischen Kriterien gewährleistet „das doppelte Vergnügen, anderen zu befehlen und selbst dem Chef angenehm zu sein“43. Die Ausbeutung und Unterdrückung der Natur und anderer Menschen (insbesondere Frauen und Kinder, die, wie Fromm sagt, in der autoritären Gesellschaft oft als Objekte der sadistischen Triebbefriedigung dienen) wird als natürlich gerechtfertigt und kann damit ohne schlechtes Gewissen oder Zweifel brutal weitergeführt und verstärkt werden. Die - ideologisch verschleierte - Bindung der Frauen an Kinder und Herd steht im Dienste einer Wiederbelebung patriarchalischer Strukturen in der Gesellschaft. Indem die Neue Rechte die sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten und die globalen und nationalen Ausbeutungsverhältnisse als naturgegeben und erhaltungswürdig definiert, enttarnt sie damit die vermeintlich antiimperialistische Rhetorik als Anbiederung an bestehende gesellschaftliche Diskurse und Verschleierung der wahren Argumentation. Gerade der Kampf gegen den vermeintlichen Kulturimperialismus der USA (und der ehemaligen UdSSR) kann auch als Reaktionsbildung auf den übermächtig gewordenen Wunsch gesehen werden, sich dem Feind zu unterwerfen. Denn bei dem Glauben, gegen die Coca-Cola-Kultur agitatorisch zu Felde ziehen zu müssen, handelt es sich anscheinend um eine Projektion nicht geduldeter Wünsche auf die Außenwelt, da niemand zum Konsum amerikanischer Kultur gezwungen wird; es würde also genügen, sie nicht mehr zu konsumieren.
Überheblicher Nationalismus und die daraus entstehende Unterdrückung anderer Menschen, z.B. durch Kriege werden zwar vordergründig abgelehnt. Wenn es aber dazu kommt, dürfe man dennoch nicht eingreifen, um die Entfaltung der „Kulturen“ nicht zu gefährden. Wenn also ein Großeuropa nach den Vorstellungen der Neuen Rechten nach der Weltherrschaft greifen würde, dann würde das die natürliche Überlegenheit, den Willen und die Fähigkeit zur „Führung“ des europäischen Volkes demonstrieren. Und auch wenn sich Vertreter der Neuen Rechten einen antirassistischen Anstrich zu geben versuchen, der Hass und die Verachtung des Fremden spiegelt sich doch in den meisten ihrer Publikationen wider und kann so zu einem Ventil für die eigene Ich-Schwäche werden. Selbst die Forderung Benoists’ nach einem Dialog der Kulturen enttarnt sich spätestens, wenn Kulturvermischung oder -angleichung, jedenfalls ein gegenseitiges, gleichberechtigtes Lernen ausgeschlossen werden. Sadistische Charaktere hätten in einer nach ethnopluralistischen Vorstellungen organisierten Gesellschaft genug Möglichkeiten, ihre Triebe zu befriedigen.
Literaturliste:
Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt a. M. 1973.
AQuadrat: Patrioten, Pfaffen und Politiker. Das Studienzentrum Weikersheim - zwischen Nationalkonservatismus und Faschismus, ohne Datum. Online im Internet: http://www.nadir.org/nadir/archiv/Antifaschismus/Themen/szw/seiten/szw.html [10.01.2001]
Balibar, Etienne: Gibt es einen „Neo-Rassismus“?, in: Balibar, Etienne/Wallerstein, Immanuel: Rasse, Klasse, Nation, Hamburg/Berlin 1990.
Bartsch, Günter: Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten, Freiburg im Breisgau 1975.
Benoist, Alain de: Aufstand der Kulturen, Berlin 2000.
Benthin, Rainer: Die Neue Rechte in Deutschland und ihr Einfluss auf den politischen Diskurs der Gegenwart, Frankfurt a.M. 1996.
Cremet, Jean u.a.: Jenseits des Nationalismus. Ideologische Grenzgänger der „Neuen Rechten“ - Ein Zwischenbericht, Münster 1999.
Dudek, Peter /Jaschke, Hans-Gerd: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, Band 1, Opladen 1984.
Feit, Margret: Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik. Organisation - Ideologie - Strategie, Frankfurt/New York 1987.
Fetcher, Iring (Hg.): Neokonservative und “Neue Rechte”. Der Angriff gegen Sozialstaat und liberale Demokratie in den Vereinigten Staaten, Westeuropa und der Bundesrepublik, München 1983.
Fromm, Erich: Der autoritär-masochistische Charakter, in: Fromm, Erich: Gesamtausgabe, Band 1: Analytische Sozialpsychologie, Stuttgart 1980, S.168-189.
Gessenharter, Wolfgang /Fröchling, Helmut: Neue Rechte und Rechtsextremismus in Deutschland, in: Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch Deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S.550-569.
Greß, Franz u.a.: Neue Reche und Rechtsextremismus in Europa, Opladen 1990.
Hafeneger, Benno: Rechte Jugendliche. Sechs biographische Studien, Bielefeld 1993.
Heidegger, Martin: Einführung in die Metaphysik, Tübingen 1966.
Jäger, Uli/Seeboth, Annette: Eine (r)echte Provokation. Der Rechtsextremismus und sein Umfeld, in: Verein für Friedenspädagogik Tübingen e.V. (Hg): Materialien zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Bd. 1, Tübingen 1990.
Koelschtzky, Martina: Die Stimmer ihrer Herren. Die Ideologie der Neuen Rechten, Köln 1986.
Krebs, Pierre: Die europäische Wiedergeburt. Aufruf zur Selbstbesinnung, Tübingen 1982.
Meinrad, Michael: Das Prinzip Nationalismus, in: Junge Kritik Heft 3/1973, S.7-18. Müller, Jost: Rassismus und Nationalismus der „Neuen Rechten in der Bundesrepublik. Die Aktualisierung der „Konservativen Revolution“ im Kontext des Neo-Rassismus, in: Das Argument Heft 95/1992, S.723-731.
Paetel, K.O.: Versuchung oder Chance?, Berlin 1965.
Pohrt, Wolfgang: Stammesbewusstsein, Kulturnation. Pamphlete, Essays, Feuilleton, Berlin 1984.
Spengler, Oswald: Jahre der Entscheidung. Erster Teil. Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, München 1933
Stöss, Richard: Die extreme Rechte in der BRD, Opladen 1989.
Strauss, Wolfgang; Wer Hitler verteidigt, verliert seine Glaubwürdigkeit. Über die Pläne des deutschen Diktators zur Versklavung der Völker Osteuropas, in: Signal, H , S.
Taguieff, Pierre-André: Die ideologischen Metamorphosen des Rassismus und die Krise des Antirassismus, in: Bielefeld, Uli: Das Eigene und das Fremde, Hamburg 1992, S.221- 263.
[...]
1 Benthin 1996
2 so z.B. Cremet u.a. 1999, S. 17: Die Neue Rechte sei politisch und ideologisch so inhomogen, dass unter diesem Etikett „kein eigenständiges politisch-ideologisches System zusammengefasst werden“ könne.
3 nach: Gessenharter/ Fröchling 1996, S. 555ff.
4 ebd., S.555.
5 siehe dazu: Müller 1992
6 vgl. beispielsweise Strauss : Darin reduziert der Autor den „Rassenwahn“ auf Hitler und Himmler und bezieht sich positiv auf „Verschwörer“ wie Gehlen und Stauffenberg, die in den slawischen Völkern keine zu unterjochenden Sklaven, sondern „Bundesgenossen“ gesehen hätten, die vom Bolschewismus „befreit“ werden wollten.
7 siehe z.B. Ulbrich 1991: In diesem Band stehen Autoren wie Alain de Benoist, Marcus Bauer (publiziert u.a. für „Europa Vorn“, „wir selbst“ und die „Junge Freiheit“) und Claus Wolfschlag, der den Ethnopluralismus als einzigen Ausweg aus der „multikulturellen Misere“ preist, neben Heiner Geißler (CDU) und Dr. Beate Winkler (SPD).
8 Müller 1992, S.560
9 Dudek/Jaschke 1984, S.51
10 Greß u.a. 1990, S.270ff
11 Greß u.a., S.272ff
12 AQuadrat: Patrioten, Pfaffen und Politiker. Das Studienzentrum Weikersheim - zwischen Nationalkonservatismus und Faschismus, ohne Datum. Online im Internet: http://www.nadir.org/nadir/archiv/Antifaschismus/Themen/szw/seiten/szw.html [10.01.01]
13 Le Gallou, Jean-Yves: La sémantique générale et les méthodes d’évaluation non aristotéciennes, in : Nouvelle Ecole, Heft 16, S.55, zitiert nach : Moreau, Patrick : Die neue Religion der Rasse. Der neue Biologismus und die kollektive Ethik der Neuen Rechten in Frankreich und Deutschland, in: Fetcher 1983, S.119
14 Krebs 1982, S. 27
15 Benoist 2000, S.12
16 Die Bezeichnungen „Rasse“, „Volk“, „Kultur“ und „Ethnie“ werden nicht einheitlich benutzt. Meist vermeiden neurechte Publizisten das Wort Rasse, da es immer noch mit einem unangenehmen Beigeschmack behaftet ist, und benutzen stattdessen die Begriffe Volk oder Kultur. Aus „rassischer Vielfalt“ wird so „ethnischer Plualismus“.
17 Krebs 1982, S.30
18 Moreau, Patrick: Die neue Religion der Rasse, in: Fetcher 1983, S. 132
19 Krebs 1982, S.30
20 Meinrad 1973, S.15
21 Feit 1987, S.125
22 Heidegger 1966, S. 28
23 Niekisch 1930, zit. nach: Paetel 1965, S.282
24 Krebs 1982, S.62
25 Meinrad 1973, S.8
26 Benoist 2000, S.15
27 Balibar 1990
28 Taguieff 1992
29 Balibar 1990, S.29ff
30 Taguieff 1992, S.242
31 ebd., S.236
32 ebd., S.246
33 ebd., S.243
34 Balibar 1990, S.30
35 Fromm 1980
36 ebd., S.171
37 Adorno 1973, S.322
38 ebd., S.323
39 Fromm 1980, S.178
40 Pohrt 1984, S.27
41 Spengler 1933, S.7
42 Fromm 1980. S. 177
43 Adorno 1973, S.324
- Citar trabajo
- Andreas Beisbart (Autor), 1999, Das Konzept des Ethnopluralismus in der "Neuen Rechten", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106082
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