Diese Hausarbeit, die aus dem Seminar „Dionysos und Eros. Nietzsche und Bataille“ im Sommersemester 2002 hervorgegangen ist, beschäftigt sich mit der 1957 erstmals erschienenen Schrift „L´Érotisme“ (dt. Die Erotik) des französischen Schriftstellers Georges Bataille, die in Deutschland zunächst unter dem Titel „Der heilige Eros“ erschien. Die Thematik des Buches hat mich fasziniert, da das Buch die verschiedensten Blickwinkel auf ein Phänomen richtet, das in jedem menschlichen Leben vorhanden ist. Nicht zuletzt besitzt Bataille gerade in diesem Jahr eine ganz besondere Aktualität, da der Künstler Thomas Hirschhorn eigens für ihn im Rahmen der Documenta 11 ein Kunstwerk in der Kasseler Nordstadt errichtet hat. Meine Arbeit soll einen Überblick über den ersten Teil von „Die Erotik“ geben1, da ich es schwer finde, nur einen einzelnen Aspekt des Buches in einer Hausarbeit zu behandeln. Vielmehr ist es sinnvoll, „Die Erotik“ als Gesamtheit zu betrachten. Dazu werde ich, nach einem kurzen biographischen Abriß über das Leben des Autors, chronologisch zunächst Batailles Einführung in sein Werk und anschließend die wichtigsten Aspekte der einzelnen Unterkapitel abhandeln. Anschließend werde ich meine Erkenntnisse in einer kurzen Schlußbetrachtung zusammenfassen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Biographische Anmerkungen
3. Die Erotik - Einführung
3.1. Batailles Fragestellung
3.2. Batailles Einführung in sein Werk
4. Erster Teil: Verbot und Überschreitung
4.1. Erotik und innere Erfahrung
4.2. Das mit dem Tod verbundene Tabu
4.3. Das mit der Fortpflanzung verbundene Tabu
4.4. Die Verwandtschaft von Fortpflanzung und Tod
4.5. Die Überschreitung
4.6. Tötung, Jagd und Krieg
4.7. Tötung und Opfer
4.8. Vom religiösen Opfer zur Erotik
4.9. Die sexuelle Plethora und der Tod
4.10. Die Überschreitung in der Ehe und in der Orgie
4.11. Das Christentum
4.12. Das Objekt des Verlangens: die Prostitution
4.13. Die Schönheit
5. Schlußbetrachtung
Literaturhinweise
1. Einleitung
Diese Hausarbeit, die aus dem Seminar „Dionysos und Eros. Nietzsche und Bataille“ im Sommersemester 2002 hervorgegangen ist, beschäftigt sich mit der 1957 erstmals erschienenen Schrift „L´Érotisme“ (dt. Die Erotik) des französischen Schriftstellers Georges Bataille, die in Deutschland zunächst unter dem Titel „Der heilige Eros“ erschien. Die Thematik des Buches hat mich fasziniert, da das Buch die verschiedensten Blickwinkel auf ein Phänomen richtet, das in jedem menschlichen Leben vorhanden ist. Nicht zuletzt besitzt Bataille gerade in diesem Jahr eine ganz besondere Aktualität, da der Künstler Thomas Hirschhorn eigens für ihn im Rahmen der Documenta 11 ein Kunstwerk in der Kasseler Nordstadt errichtet hat.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Meine Arbeit soll einen Überblick über den ersten Teil von „Die Erotik“ geben[1], da ich es schwer finde, nur einen einzelnen Aspekt des Buches in einer Hausarbeit zu behandeln. Vielmehr ist es sinnvoll, „Die Erotik“ als Gesamtheit zu betrachten. Dazu werde ich, nach einem kurzen biographischen Abriß über das Leben des Autors, chronologisch zunächst Batailles Einführung in sein Werk und anschließend die wichtigsten Aspekte der einzelnen Unterkapitel abhandeln. Anschließend werde ich meine Erkenntnisse in einer kurzen Schlußbetrachtung zusammenfassen.
2. Biographische Anmerkungen
Georges Bataille wurde am 10. September 1897 in der Auvergne geboren, wo er als Sohn reicher Bauern aufwuchs. Im Jahr 1917 trat er ins École des Chartes, eine Akademie für Archivare und Historiker ein, bevor er seinen Dienst an der Bibliotheque Nationale in Paris begann. Da er sich zuvor für längere Zeit in Spanien aufhielt, war er zeitlebens fasziniert vom spanischen Stierkampf, was sich auch in seinen Werken widerspiegelte[2]. Die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts waren geprägt von politischen Engagement. So schloß sich Bataille beispielsweise dem Cercle Communiste Démokratique oder der linksintellektuellen Gruppe Contre Attaque an. Ebenfalls in diesem Zeitraum gründete er mit Roger Caillois, Michel Leiris und Jules Monnerot die Société Secrète, anschließend das Collège de Sociologie, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, eine „Soziologie des Heiligen“ zu entwickeln. 1942 wurde Georges Bataille aufgrund einer schweren Lungenkrankheit aus dem Bibliotheksdienst entlassen, was dazu führte, daß er sich nun ganz seiner Autorentätigkeit widmen konnte. Er veröffentlichte seit dieser Zeit kontinuierlich seine Werke. 1949 nahm Bataille die Arbeit in der Bibliothek erneut in Carpentras, später auch in Orléans, auf. Die bedeutendsten Schriften stammen aus den Jahren 1950 bis 1960, unter anderem auch das Buch, um welches es in der folgenden Hausarbeit gehen soll: Die Erotik. Georges Bataille starb am 9. Juli 1962 nach seiner Rückkehr nach Paris.
3. Die Erotik – Einführung
3.1. Batailles Fragestellung / Zielsetzung
In seinem Vorwort beschriebt Bataille zunächst die Gründe für die Auswahl der Thematik der Erotik für sein Buch[3]. Bereits lange Zeit vor dem Erscheinen seines Werkes hörte das Thema „Erotik“ auf, in der Gesellschaft totgeschwiegen zu werden. Man sprach darüber ausführlich, ohne in Verruf zu geraten. Bataille wollte nun alle Fakten, die mit der Erotik einher gehen zusammenfassen und einen Zusammenhang zwischen Erotik und den verschiedensten Lebensbereichen des Menschen schaffen. Seiner Meinung nach ist es nicht möglich, die Betrachtung der Erotik zu vollziehen, ohne die Geschichte der Arbeit und der Religion ebenfalls zu betrachten, da diese Bereiche in besonderem Maße mit dem Begriff der Erotik zusammenhängen. Bataille versteht sein Buch als eine Gesamtansicht des menschlichen Lebens. Er betrachtet Aspekte des Lebens aus der Sichtweise der Erotik.
3.2. Batailles Einführung in sein Werk (S. 13 – 27)
Die Einführung, die Bataille seinem Werk „Die Erotik“ voranstellt, soll zunächst einige Begriffe klären und deutlich machen, was der Autor unter der Thematik der Erotik überhaupt versteht. Er handelt nacheinander die verschiedenen Arten der Erotik ab: die Erotik des Körpers, die Erotik des Herzens und die sogenannte heilige Erotik. Während er später noch genauer auf die körperliche und die heilige Erotik eingehen wird, findet die Erotik der Herzen nur eine kurze Erläuterung.
Als Ausgangspunkt für seine Ausführungen dient die Aussage, daß Erotik als das Jasagen zum Leben bis in den Tod bezeichnet werden kann. Entgegen der gängigen Definition von Erotik als Zeugungstätigkeit geht Bataille davon aus, daß Erotik und Tod nicht weit voneinander entfernt sind[4].
„Es gibt kein besseres Mittel, sich mit dem Tod vertraut zu machen, als ihn mit dem Gedanken einer Ausschweifung zu verbinden.[5]“
Dieses Zitat von Sade scheint diese Meinung zu bestätigen. Es scheint also einen direkten Zusammenhang zwischen sexueller Erregung und Tod zu bestehen. Als Beispiel führt Bataille an, daß bei einem psychisch kranken Menschen der Gedanke an einen Mord durchaus sexuelle Erregung auslösen kann.
Obwohl der erotische Genuß und der zweckmäßige Akt der Fortpflanzung getrennt betrachtet werden müssen, kann man die Fortpflanzung auch als Schlüssel zum Verständnis des Zusammenhangs zwischen Erotik und Tod verstehen. Fortpflanzung ist, oberflächlich betrachtet, etwas diskontinuierliches. Die gezeugten Wesen unterscheiden sich von denen, aus denen sie hervorgegangen sind[6]. Zwischen allen beteiligten Wesen liegt ein Abgrund, denn sie agieren unabhängig voneinander und sind selbst für ihr Leben (und ihren Tod) verantwortlich. Auch der Tod ist wie ein solcher Abgrund. Man fürchtet sich vor ihm, ist aber gleichermaßen fasziniert von der Thematik.
Bataille versucht im Folgenden zu zeigen, daß bei der Fortpflanzung ein Übergang von der Diskontinuität zur Kontinuität geschaffen wird[7]. Wenn ein Spermium und eine Eizelle, zwei ihrem Wesen nach diskontinuierliche Dinge, sich vereinigen, entsteht eine Kontinuität zwischen ihnen, indem sie ein neues Wesen schaffen. Das geht allerdings auch mit dem „Tod“, dem Verschwinden von Spermium und Eizelle einher. Wir, die Menschen, sind ebenfalls diskontinuierliche Wesen, die voneinander unabhängig agieren und sich nach Kontinuität sehnen, die wir in der sexuellen Vereinigung erfahren können[8].
Das Gebiet der Erotik ist, so Bataille, auch Gewaltsamkeit und Vergewaltigung[9]. Diese Begriffe, die in unserer heutigen Gesellschaft nur allzu leicht mißverstanden werden können, versteht er als ein Herausreißen des Wesens aus seiner Diskontinuität. Das erotische Verlangen, welches dadurch ausgelöst wird, löst unsere diskoninuierliche Ordnung auf.
Im Moment der Entblößung und Nacktheit öffnen wir uns der Kontinuität, empfinden aber auch das Gefühl von Obszönität, d.h. Verwirrung mit dem Wunsch, seinen Körper zu verbergen[10]. Wenn sich ein Individuum einem anderen „entblößt“, geschieht eine „Enteignung“ des eigenen Körpers, man verliert seine Individualität.
„In der Erotik geht es immer um die Auflösung konstituierter Formen.[11]“ Der Mensch sehnt sich nach Selbstverlust.
Im Folgenden geht Georges Bataille auf die Erotik der Herzen ein[12]. Diese Form der Erotik ist, im Gegensatz zur Erotik der Körper, auf die Bataille bereits kurz eingegangen ist, freier. Leidenschaft ist hier der zentrale Begriff. Voraussetzung dafür ist eine Vereinigung zweier Individuen auf Ebene geistiger Sympathie, sie geht folglich aus gegenseitiger Zuneigung hervor. Ziel der Leidenschaft ist es, Diskontinuität durch eine „wunderbare Kontinuität“ zwischen zwei Liebenden zu ersetzen. Wenn zwei Liebende miteinander „verschmelzen“, werden sie zu einem einzigen Wesen. Das ist zumindest der Wunsch, der bei der Erotik der Herzen im Vordergrund steht. Deshalb ist dieser Form der Erotik auch ein Besitzdenken eigen. Auch hier ist ein Bezug zum Tod erkennbar, vielleicht sogar deutlicher als bei den Beispielen, auf die Bataille bei der körperlichen Erotik zurückgriff. Wenn der Liebende das geliebte Wesen nicht besitzen kann, denkt er daran, es möglicher Weise zu töten. Vielleicht, damit es auch kein anderer besitzen kann, möglicherweise aber auch, weil er die Einsamkeit ohne das geliebte Wesen nicht ertragen könnte. Oft genug hören wir in den Medien von Morden aus Leidenschaft oder Eifersucht. In anderen Fällen wählt der liebende Mensch aus Verzweiflung selbst den Tod als Ausweg. Man sieht, daß zwischen Liebe, Erotik und Tod immer eine enge Verbindung besteht. Die Erotik der Herzen ist immer der Wunsch nach einer Vereinigung zwischen zwei Wesen. Die Liebenden möchten ineinander übergehen und zu einem Wesen verschmelzen, was zur Kontinuität zweier diskontinuierlicher Individuen führen würde. Leidenschaft strebt, bei genauerer Betrachtung, nach etwas, was dem Menschen unmöglich ist. Deshalb ist ein Leiden unumgänglich, was dem Wort „Leidenschaft“ eine völlig neue Bedeutung verleiht. Was die Leidenschaft kennzeichnet ist, so Bataille, die Aura des Todes, denn sie schließt immer Leiden und Tod mit ein. Nicht umsonst nahm die Liebe bei Shakespeare nie ein gutes Ende, denken wir nur an Romeo und Julia oder an Hamlet.
Der Tod würde ein Wesen augenblicklich von der Diskontinuität in eine Kontinuität des Seins „befördern“. Er bringt diese Kontinuität an den Tag. Bataille sieht diese Tatsache und den Wunsch danach, sein eigenes Überleben zu sichern, als den Ursprung des religiösen Opfers. Das Opfer wird getötet und die von ihm ausgehende Kontinuität, die nach dem Tod eintritt, geht auf die Anwesenden über. Das Opfer offenbart seinen Tod und somit das „Heilige“. So schafft Bataille den Übergang zur dritten Form der Erotik – die heilige Erotik, wie er es nennt.
„Das Heilige ist eben die Kontinuität des Seins, die denen offenbart wird, die ihre Aufmerksamkeit in einem feierlichen Ritus auf den Tod eines diskontinuierlichen Wesens richten. Durch den gewaltsamen Tod wird die Diskontinuität eines Wesens gebrochen: das, was bleibt und was in der eintretenden Stille die angstvollen Seelen spüren, ist die Kontinuität des Seins, der das Opfer zurückgegeben wurde.[13]“
Durch die Tötung eines Opfers, die in Form einer feierlichen Zeremonie ausgeführt wird, wird die Kontinuität des Seins geschaffen, an der alle an der Opferhandlung beteiligten Personen teilhaben.
Bataille vergleicht in seinen weiteren Ausführungen das Heilige in primitiven Kulturen mit dem Göttlichen in höher gestellten Religionen, denn aus allen Religionen sind Opferrituale bekannt. Der Tod in Form eines rituellen Opfers ist also ein Bestandteil von Religion. Doch wo genau liegt der Zusammenhang zwischen Religion und Erotik? Gegenstand der heiligen Erotik ist in diesem Fall die Verehrung eines heiligen Elements. Bataille verdeutlicht diese Aussage, indem er von der Liebe zu Gott spricht. Das Göttliche ist folglich identisch mit dem Heiligen. Die heilige Erotik findet man in der mystischen Erfahrung, die durch ihre Objektlosigkeit gekennzeichnet ist. Das Heilige ist zu komplex und nicht in einen Begriff faßbar, weshalb es nicht möglich ist, es genau zu bestimmen.
4. Erster Teil: Verbot und Überschreitung
4.1. Erotik und innere Erfahrung (S. 31-41)
In seinem Kapitel über das Verbot und dessen Überschreitung thematisiert Bataille zunächst die Erotik als unmittelbare innere Erfahrung, die sich von der animalischen Sexualität grundlegend unterscheidet. Im ersten Unterpunkt seines Buches soll der Aspekt des inneren Lebens, des religiösen Lebens, des Menschen abgehandelt werden.
Obwohl Erotik im Allgemeinen stets mit äußerlichen Reizen in Verbindung gebracht wird, handelt es sich dabei um einen Aspekt des menschlichen Innenlebens. Die Wahl eines Objekts hängt immer von den persönlichen Vorlieben eines Menschen ab, die meist nicht einmal genau bestimmbar sind, weil sie im Inneren verankert sind.
„Die Erotik ist im Bewußtsein des Menschen das, was das Sein in ihm in Frage stellt.[14]“
Diese Tatsache ist das, so Bataille, was unsere Erotik von der Sexualität der Tiere unterscheidet. Die sexuelle Aktivität eines Menschen ist nur dann erotisch, wenn sie nicht animalisch ist.
Doch wodurch unterscheiden sich Mensch und Tier? Nach Batailles Ansicht ist das Element, was uns unterscheidet, die Arbeit. Menschen stellten seit Urzeiten Werkzeuge her, um ihr Überleben zu sichern. Gleichzeitig erlegten sie sich Verbote auf, die den Tieren ebenfalls unbekannt sind. Hier wäre es angebracht, Batailles Ansicht, was die Arbeit betrifft, leicht zu kritisieren, denn schon seit längerem ist bekannt, daß auch beispielsweise Schimpansen Werkzeuge bauen, um an Nahrung zu gelangen.
Verbote bezogen sich früher hauptsächlich auf das Verhalten gegenüber Toten, doch ist es nicht ausgeschlossen, daß es auch bereits damals sexuelle Verbote gegeben hat.
[...]
[1] Georges Bataille: Die Erotik, München 1994, S. 9-139.
[2] Beispiel: „Die Geschichte des Auges“, erschienen erstmals 1928 in Paris.
[3] Vgl. Bataille, Georges: Die Erotik, S. 9 – 12.
[4] Vgl. Bataille, S. 13.
[5] Bataille, S. 14.
[6] Vgl. Bataille, S. 15.
[7] Vgl. Bataille, S. 16.
[8] Vgl. Bataille, S. 17.
[9] Vgl. Bataille, S. 19.
[10] Vgl. Bataille, S. 20.
[11] Bataille, S. 21.
[12] vgl. Bataille, S. 22.
[13] Bataille, S. 24
[14] Bataille, S. 31.
- Arbeit zitieren
- Pamela Sommer (Autor:in), 2002, Georges Bataille - Die Erotik: Erster Teil: Verbot und Überschreitung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10596
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