Seit der Bildungsreform der 60er-Jahre ist Koedukation in vielen Fächern als Grundlagenprinzip des Schulunterrichts verankert. Während die Kultusministerkonferenz gemeinsames Sporttreiben der Geschlechter in den 1980ern als generell möglich einstufte, konnten sich dichotome Strukturen im Schulsport bis heute halten. In einem Zeitalter, in dem der Heterogenitätsgedanke allgegenwärtig ist, muss sich jedoch die Frage gestellt werden, ob die partielle Geschlechtertrennung eine zeitgemäße Alternative zur Koedukation darstellt. Vielmehr scheint dies den Aufbau von Geschlechterstereotypen weiter zu fördern beziehungsweise der Geschlechtergerechtigkeit entgegenzuwirken.
Seit der Bildungsreform der 60er Jahre ist Koedukation in vielen Fächern als Grundlagenprinzip des Schulunterrichts verankert. Während die Kultusministerkonferenz gemeinsames Sporttreiben der Geschlechter in den 1980ern als generell möglich einstufte, „wenn er pädagogisch, sportfachlich und schulorganisatorisch vertretbar ist“ (Kultusministerkonferenz, 1985, S. 4), konnten sich dichotome Strukturen im Schulsport sowohl in Bayern als auch in Baden-Württemberg bis heute halten. In einem Zeitalter, in dem der Heterogenitätsgedanke allgegenwärtig ist, muss sich jedoch die Frage gestellt werden, ob die partielle Geschlechtertrennung eine zeitgemäße Alternative zur Koedukation darstellt. Vielmehr scheint dies den Aufbau von Geschlechterstereotypen weiter zu fördern, beziehungsweise der Geschlechtergerechtigkeit entgegenzuwirken.
Wenn wir uns mit dem Thema Heterogenität beschäftigen, müssen wir klären, welche Funktion die Dimension Geschlecht in der Gesellschaftsebene einnimmt. Im Fokus steht das gesellschaftliche Strukturierungsprinzip (Sturm, 2016). Bezogen auf den Sport werden dabei häufig spezifische Geschlechtermerkmale durch biologische Grundlagen deduziert und so als „natürlich“ beziehungsweise „natürlich ungleich“ eingestuft (Hartmann-Tews et al., 2003). Die Kategorisierung findet laut Stanat et al. (2018) aber nicht nur durch körperliche Voraussetzungen, sondern auch durch psychosoziale Faktoren statt. So werden gerade bei der Suche nach der eigenen Identität Interessen und Eigenschaften dem jeweiligen Geschlecht zugeordnet (Sturm, 2016). Individuen in Schubladen zu ordnen scheint in unserer Gesellschaft daher allgegenwärtig.
Welche Auswirkungen das gesellschaftliche Denken in Kategorien auf die Individuen hat, wurde die letzten Jahre intensiv untersucht. Studien konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass die Bedürfnisse und Interessen von Mädchen und Jungen im Sportbereich tatsächlich in frühem Alter voneinander abweichen (Mutz & Burrmann, 2014; Frohn, 2004). Sie entsprechen bereits vor Schuleintritt, infolge von Verstärkung und Bestrafung der Gesellschaft, den Geschlechterstereotypen (Hannover 2008; Stanat et al., 2018; Sturm, 2016). Während Jungen kraft- und körperbetonte Aktivitäten mit Wettkampfcharakter bevorzugen, präferieren Mädchen weniger robuste Sportarten ohne Leistungsorientierung (Mutz & Burrmann, 2014). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Differenzen zwischen den Geschlechtern vorwiegend sozial konstruiert werden und geschlechtsspezifische Rollenvorstellungen bei Schülerinnen und Schülern bereits beim Eintritt in die Sozialisationsinstanz Schule fest verankert sind.
Das Bildungssystem greift im Schulsport aus diesem Grund auf die äußere Differenzierung nach Geschlechtern zurück. Geschlechtsmilieugeprägte Erfahrungen und Präferenzunterschiede betreffen jedoch nicht nur Kinder, sondern sind auch bei Lehrkräften erkennbar. Während Sportlehrer Spielsportarten bevorzugen, wird der Fokus bei den Sportlehrerinnen auf Gerätturnen und Tanzen gelegt (Gramespacher, 2008). Die Konnotationen von „männlichen“ und „weiblichen“ Sportarten und die damit einhergehende Reproduktion von Stereotypen und Geschlechterrollen wird jedoch von den Lehrkräften nicht wahrgenommen (Mutz & Burrmann, 2014).
Im monoedukativen Sportunterricht gehört die Lehrkraft dem entsprechenden Geschlecht an. Da diese maßgeblich für die Umsetzung des Unterrichts verantwortlich ist, fließen deren Präferenzen mit in die Gestaltung ein. An diesem Punkt ansetzend konnte beispielsweise gezeigt werden, dass nicht die fehlerhafte Technik von Mädchen im Spielsport den Spielfluss stört, sondern ein Drittel nie ein richtiges Verhältnis zu Bällen erlernt hat (Bähr et al., 2020). Infolgedessen wird deutlich: In der Schulsportpraxis werden stereotype Rollenbilder reproduziert und zur Handlungsgrundlage nachfolgender Generationen gemacht.
Um die Geschlechtergerechtigkeit in diesem Kontext einordnen zu können, bedarf es eines kurzen definitorischen Exkurses. Betrachtet man die Gerechtigkeit als Gleichheit, ist damit laut Budde et al. (2008) das Ziel verbunden, den Geschlechtern gleichwertige Möglichkeiten, Zugänge und Chancen zu bieten. Mit diesen Faktoren geht außerdem die Beseitigung von Stereotypen einher (Budde et al., 2008). Bewertet man die zuvor genannten empirischen Ergebnisse nach beschriebener Definition, scheint der monoedukative Unterricht der Geschlechtergerechtigkeit entgegenzuwirken.
Koedukativer Unterricht kann hingegen mit einem breiteren Spektrum des Kompetenzerwerbs beider Geschlechter einhergehen. Jungen können, anders als in der Monoedukation üblich, häufiger auch ausdrucks- und körperbezogene Aktivitäten ausführen, soziale Kompetenz verbessern und disziplinierte Verhaltensweisen schulen (Mutz & Burrmann, 2014). Mädchen haben hingegen einen gleichberechtigten Zugang zu den „maskulin“ bewerteten Eigenschaften, wie Durchsetzungsvermögen und Ehrgeiz, die auch für die zukünftige Berufslaufbahn einen Vorteil mit sich bringen (Mutz & Burrmann, 2014). Somit sind zwar Disparitäten im Kompetenzerwerb außerschulisch noch denkbar, werden jedoch im Unterricht weitestgehend reduziert.
Budde et al. (2008) beschreibt allerding noch eine andere Ansicht der Gerechtigkeit, in der es darum geht, den spezifischen Eigenschaften der Geschlechter gerecht zu werden. Kann auch das durch Koedukation gewährleitet werden?
Studienergebnisse konnten in diesem Kontext zeigen, dass koedukativer Unterricht in der jetzigen methodisch-didaktischen Form die geschlechterspezifischen Erwartungen nicht gleichermaßen erfüllt. Hiernach werden im Unterricht vor allem Mädchen systematisch benachteiligt (Bräutigam, 2011). Sie empfinden Schulsport negativer, werden schlechter benotet und entwickeln ein negativeres Selbstkonzept (Mutz & Burrmann, 2014). Bevor der Gedanke der Koedukation an dieser Stelle abgehackt wird, sollten auch Untersuchungen des geschlechtergetrennten Unterrichts betrachtet werden. Datenerhebungen ergaben, dass trotz Gruppentrennungen Vergleichsprozesse erhalten bleiben und so das Selbstkonzept negativ beeinflusst werden kann (Vock & Gronostaj, 2017). Bei der Geschlechtertrennung werden bestimmte Sportarten aus dem Grund oft vermieden und mit weniger Anstrengung verfolgt. Infolgedessen stagnieren Kompetenz und Lernentwicklung in dem jeweiligen Bereich (Voss, 2002).
Trotz oder gerade aufgrund der durch Sozialisation erzeugten Geschlechterdifferenzen sollten wir uns also Gedanken darüber machen, wie koedukativer Unterricht umzusetzen ist. Es konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Schülerinnen und Schüler von Feedback, welches auf der individuellen Bezugsnorm beruht, profitieren (Vock & Gronostaj, 2017). Außerdem sollte koedukativer Unterricht laut Brodtmann (1984) durch modellhaftes LehererInnenverhalten geprägt sein. Was soll schon passieren, wenn in Zukunft eine Lehrerin die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler im Fußball weiterentwickelt? Selbst wenn es für den Anfang ungewohnt ist, scheint dies dabei zu helfen, Sportarten weniger durch das Geschlecht zu definieren und die Einschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten zu reduzieren.
Koedukation bringt jedoch nicht nur Vorteile für die Arbeitswelt mit sich. Auch eine veränderte Sicht auf den Breiten- und Wettkampfsport ist durch mehr Geschlechtergerechtigkeit denkbar. In vielen Sportarten werden Frauen schlichtweg ausgeschlossen oder das Regelwerk stark verändert. Softball als Vereinfachung des Baseballs wird dabei nicht einmal mehr als Sport, sondern nur noch als Spiel bewertet (Penkwitt, 2009). Im Gegensatz dazu konnten Untersuchungen die positive Wirkung von Frauenfußball auf jüngere Mädchen zeigen (Sinning, 2014).
Wenn ein breiteres Angebot von Handlungsoptionen das Interesse von einigen Schülerinnen und Schülern weckt, eine geschlechteruntypische Sportart auszuführen, könnten sie daher als positive Rollenvorbilder in der sportbezogenen Öffentlichkeit und den Massenmedien rückwirkend einen Einfluss auf die Geschlechterstereotypen nehmen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass ein koedukativer Sportunterricht eine Chance für mehr Geschlechtergerechtigkeit im Schulkontext sein kann. Dennoch stehen Schulen vor der Herausforderung, dies optimal umsetzen zu können, da die Sozialisation durch die Gesellschaft Kinder und Jugendliche von Geburt an in Geschlechterrollen drängt. Während stereotypisiertem Geschlechterdenken durch Koedukation entgegengewirkt werden kann, muss sich jedoch über die methodisch-didaktische Umsetzung Gedanken gemacht werden, um keine Benachteiligung hervorzurufen. Doch nicht nur die Gesellschaft hat Auswirkungen auf die vorherrschenden Geschlechterstereotypen und deren Einfluss auf den Sportunterricht. Gelingt es der Instanz Schule in Zukunft den institutionellen Unterschied aufzuheben und so einen Teil zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beizutragen, kann auch die Ebene Gesellschaft maßgeblich beeinflusst werden.
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- Arbeit zitieren
- Pia Frischknecht (Autor:in), 2021, Koedukation im Schulsport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1059054
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