Inhaltsverzeichnis
1. Medien und Selbstkritik
2. Bedeutung und Strukturen des Medienjournalismus
2.1 Knotenpunkt im Infrastrukturnetz der Qualitätssicherung
2.2 Funktionsbereiche und Typologisierung
2.3 Institutionalisierung
2.3.1 Qualitätssicherung im Medienjournalismus
2.3.2 Fachressort ,,Medien"
3. Potenzial und Gefahren des Medienjournalismus
3.1 Rezipientensteuerung
3.2 Medienkritik
3.2.1 Personalisierung und Einzelfallperspektive
3.2.2 Chronisten- oder Kritikpflicht?
3.2.3 Instrumentalisierung
3.2.4 Marktversagen
3.2.5 Publikums(des)interesse
4. Die Zukunft des Medienjournalismus
5. Literatur
1. Medien und Selbstkritik
Immer wieder wird den Medien vorgeworfen, sie seien zu wenig selbstkritisch. Offensichtlich fällt dies gerade jener Instanz schwer, die in anderen Belangen mit Kritik nicht zurückhält. Nicht zu Unrecht stellt Russ-Mohl (1994: 224) fest: ,,Die sogenannte vierte Gewalt entzieht sich öffentlicher Kritik und Kontrolle weit mehr als die drei klassischen staatlichen Gewalten. (...) Glasnost in eigener Sache ist auch heute, unter den Bedingungen verschärften intermedialen und auch internationalen Wettbewerbs grösser werdender Medienkonzerne, noch keine Stärke des Journalismus." Allerdings hat inzwischen ein zögerlicher Lernprozess in Richtung Offenheit und Transparenz begonnen, der in Europa zwar noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in den USA, aber immerhin einmal angerollt ist. (Russ-Mohl 1994: 226)
Die beste Möglichkeit zu einer Selbstreflexion bietet dabei der Medienjournalismus. Dabei drängt sich die Frage auf, wie gut die Medienkritik funktioniert. Welche Möglichkeiten hat sie, auf journalistische Qualität Einfluss zu nehmen? Der nachfolgende Beitrag versucht einen Überblick über das Potenzial des Medienjournalismus zu geben.
2. Bedeutung und Strukturen des Medienjournalismus
2.1 Knotenpunkt im Infrastrukturnetz der Qualitätssicherung
Qualitätssicherung bedeutet ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Infrastrukturen, ein Vollzug im Rahmen eines Netzwerkes von Institutionen und Inititativen wie Weiterbildungs- Einrichtungen, Presseräte, Medienombudsleute, Bürgerinitiativen usw. (Russ-Mohl 1994: 97, 111) Medienjournalismus ist eine dieser Infrastrukturen, und zwar keine unwesentliche: ,,Ohne die Artikulationsmöglichkeiten, die der Medienjournalismus bietet, blieben die anderen Infrastrukturen nahezu wirkungslos oder jedenfalls in ihren Wirkungsmöglichkeiten stark eingeschränkt; sie wären der Chance beraubt, Norm-verstösse und Missstände (zunft)öffentlich anzuprangern, aber auch normsetzende Leistungen des Journalismus angemessen zu würdigen. Der Medienjournalismus ist es letztendlich, der den Diskurs über Journalismus in Gang hält." (Russ-Mohl 1994: 112f)
Mit dieser Aussage weist Russ-Mohl dem Medienjournalismus die Funktion der Medien- kritik zu, also ,,die von den Medien betriebene und in den Medien veröffentlichte gegenseitige Beobachtung der jeweiligen Medienleistungen." (Märki-Koepp zit. nach Wyss 1999: 47) So soll es die Hauptaufgabe der Medienkritiker sein, ,,Transparenz über das Mediengeschehen und den Medienbetrieb herzustellen." (Russ-Mohl 1994: 228)
Krüger / Müller-Sachse (1999: 16) dehnen diese Definition aus. Für sie zählen sämtliche Produkte, die ein ,,inhaltlich - gegenstandsbezogenes Merkmal" aufweisen zum Medienjournalismus. Somit ist ,,jedes journalistische Produkt, das Medien oder Medien betreffende Sachverhalte, Ereignisse, etc. thematisiert", zum Medienjournalismus zu zählen. (ebd.)
2.2 Funktionsbereiche und Typologisierung
Krüger / Müller-Sachse (1999: 16f) sehen im Medienjournalismus drei Funktionsbe-reiche, die sich aus den Adressierungsmöglichkeiten an unterschiedliche Rezipienten ableiten lassen:
1. Die Fachöffentlichkeit besteht vorwiegend aus zielgruppenspezifischen Printmedien mit geringen Auflagen. Dazu gehören Pressedienste, Fachzeitschriften, wissenschaftliche Periodika, Branchenblätter der Medienwirtschaft, Verbands- und PR-Publikationen.
2. Die Medienberichterstattung der Universalmedien richtet sich hingegen an die allgemeine Öffentlichkeit.
3. Die Programmpresse adressiert sich an das Fernsehpublikum und versteht sich als Dienstleister bzw. als Informationsquelle über die Programmangebote der Veranstalter.
In der Art der Medienberichterstattung lässt sich folgende Typologisierung vornehmen (Krüger / Müller-Sachse 1999: 77ff):
1. Kontextorientierte Berichterstattung, die sich mit den Akteuren befasst, die den Mediensektor politisch, wirtschaftlich oder administrativ steuern." (Krüger / Müller-Sachse 1999: 78)
2. Programmbezogene Berichterstattung, die sich auf Programmhinweise und -kritik konzentriert
3. Programmservice, die sich auf Programmankündigungen beschränkt.
2.3 Institutionalisierung
2.3.1 Qualitätssicherung im Medienjournalismus
Es ist nicht sinnvoll, vom Potenzial des Medienjournalismus für eine journalistische Qualitätssicherung zu sprechen, ohne dabei seine Infrastruktur zu thematisieren. Die Leistungsfähigkeit von Medienkritik hängt nicht zuletzt von ihrer eigenen Qualität ab, verweist also auf ihre eigenen Netzwerke, Informationsquellen, normativen Standards, redaktionelle Routinen und Ausbildungsinstitutionen.
Zentrale Elemente des Netzwerks sind Informationsquellen (Pressedienste, Agenturen, Fachmedien, um den Mediensektor angesiedelte Institutionen und Verbände, Kongresse, Tagungen, Messen, Preisverleihen und personale Verbindungen) sowie Aus- und Weiterbildung. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 40ff) Da es aber kein definiertes Berufsbild ,,Medienjournalismus" gibt, sind auf dem Ausbildungssektor auch kaum Angebote dafür zu finden. Es sind zwei Zugangstypen denkbar: ,,Berufspraktische Journalistenausbildung als Ausgangsqualifikation plus medienkundliche Zusatz-qualifikation" oder ,,nicht- berufsqualifizierendes Medien-Studium als Grundqualifikation und (...) berufspraktische Zusatzqualifikation." (Krüger / Müller-Sachse 1999: 45)
2.3.2 Fachressort ,,Medien"
Medienberichterstattung konzentriert sich hauptsächlich auf die Presse und dürfte im öffentlich-rechtlichen Hörfunk (und im privat - kommerziellen wohl erst recht) eine verschwindend geringe Rolle spielen. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 39) Dasselbe gilt für das Fernsehen. Schwierigkeiten für die Medienberichterstattung dürfte es dann geben, ,,wenn es darum geht, ein medienpolitisches Thema zu bebildern." (Kochner zit. nach Krüger / Müller- Sachse 1999: 211)
Aus diesem Grund haben sich Krüger / Müller-Sachse (1999: 25f) auf eine Analyse der Tageszeitungen konzentriert, in der sie vier Hauptformen der Redaktionsstruktur unterscheiden:
1. Keine fest definierte Zuständigkeiten für Medienthemen
2. Definierte Zuständigkeit für Medienthemen (meist in der Kulturredaktion oder im Ressort Politik)
3. Definierte Fernsehredaktion mit der Hauptaufgabe der Erstellung der Programminformationsseiten
4. Eigenständiges Ressort mit dem Thema Medien
Eigenständige Ressorts lassen sich nur selten ausmachen, vorwiegend in überregionalen Tageszeitungen und grossen Regionalzeitungen an grossen Medienstandorten. Kleinere lokale Blätter verzichten häufig ganz auf Medienjournalismus. Es lässt sich also sagen, dass der Medienjournalismus als Fachressort schlecht institutionalisiert ist, auch wenn ein unbestreitbarer Bedeutungszuwachs vorhanden ist. Die organisatorischen und redaktionellen Rahmenbedingungen sind alles andere als optimal. (Mangel an Ressourcen wie Personal, Qualifikationen, Redaktionsetat, Platzmangel, Zeitdruck, u.a.) (Krüger / Müller-Sachse 1999: 204)
3. Potenzial und Gefahren des Medienjournalismus
Um die Leistungsfähigkeit des Medienjournalismus beurteilen zu können, ziehe ich die zentralen Befunde aus der quantitativen Presseanalyse von Krüger / Müller-Sachse (1999) bei. Auch wird ihre qualitative Fallanalyse um die Affaire Michael Born berücksichtigt, auf die ich später eingehen werde. Aus den Befunden haben sich zwei Potenziale bzw. Funktionen des Medienjournalismus heraus kristalliert: Die Rezipientensteuerung sowie die Selbstkontrolle und -kritik der Medien.
3.1 Rezipientensteuerung
Rezipientensteuerung findet vor allem in der Programmpresse statt, die sich vorwiegend der Information über Programmangebote und diversen Serviceleistungen hingibt. Dass ihr eine wirkungsmächtige Steuerungsposition zukommt, lässt sich schon aus der hohen Anzahl an Programmangebot und - service schliessen, die zusammen 63 % der gesamten Medienberichterstattung ausmachen. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 74) Zugleich liefert die starke Konzentration der Berichterstattung auf das Medium Fernsehen ,,einen Hinweis auf das Potential, das zur Steuerung der Rezeption von seiten der Anbieter angewendet wird." (Krüger / Müller-Sachse 1999: 66)
Diese massive Beeinflussung bezüglich dem Programmangebot elektronischer Medien ist problematisch, weil die Beiträge überwiegend Fremdleistungen sind, die den Redaktionen von nahezu allen Rundfunk- und Fernsehveranstalter durch einen eigenen Programmpressedienst in Form von ,,Programmfahnen" zugeliefert werden. Hier wächst hauptsächlich die Gefahr der Instrumentalisierung. So ist es nicht verwunderlich, dass die Sender in den Tageszeitungen überdurchschnittlich hoch bewertet werden - schliesslich kommt der grösste Teil des Inputs vom Anbieter selbst, stammt also direkt aus dessen PR-Küche. Es überrascht somit nicht, dass es mehr Vor- als Nachkritiken gibt, die zugleich tendenziell besser ausfallen. Nachkritiken sind viel ausgewogener, was daran liegen dürfte, dass es sich vorwiegend um journalistische Eigenleistungen und nicht mehr um PR - Material handelt. (Krüger / Müller- Sachse 1999: 101ff)
Solange diese Symbiose zwischen Programmpresse und Programmveranstalter anhält, darf man sich nicht über ein ,,reduktionistisches Verhältnis von Medienkritik" wundern. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 21) Das niedrige Kritikpotenzial der Programmpresse wird den von Russ-Mohl eingeforderten Funktionen des Medienjournalismus nicht gerecht. Es ist deshalb sinnvoller, sich der Auswertung des kontextbezogenen Medienjournalismus zu widmen.
3.2 Medienkritik
Die Ergebnisse der Presseanalsye haben bereits gezeigt, dass journalistische Selbstkontrolle, also die Selbstthematisierung, zumindest quantitativ sehr marginal vertreten ist. Dies wird durch ein starkes Gefälle im Spektrum der Presse verstärkt, da nur überregionale und grosse Regionalzeitungen eine intensive Medienberichterstattung betreiben. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 111f) Häufig wird Medienjournalismus nur als Querschnittsaufgabe aufgefasst und vollzieht sich unter ungünstigen Voraussetzungen wie Platzmangel, Zeitknappheit und niedrigem Professionaliserungsniveau. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 18f) Um einen Eindruck über die qualitative Dimension des Medienjournalismus zu erhalten, wird nun auf die Fallanalyse über die Berichterstattung über den Fälschungsskandal um Michael Born eingegangen, der über Jahre gefälschte bzw. fingierte Reportagen und Berichte an diverse Fernsehveranstalter (v.a. Stern-TV und SF DRS) verkauft hat. Hier müsste am ehesten eine kontextbezogene Berichterstattung statt finden, die auf (Selbst-)Kritik und - reflexion beruht. Einer Medienkritik, die zur Sicherung der journalistischen Qualität beitragen könnte, stellen sich aber folgende Probleme in den Weg:
3.2.1 Personalisierung und Einzelfallperspektive
Der Fall Born ist grösstenteils aus der Einzelfallperspektive geschildert worden, aus der der Angeklagte als Sündenbock hervorgeht. Der Skandal wurde als personalisierbare Regelverletzung dargestellt und als Ausnahmeerscheinung (individueller Betrug) abgetan. Die ,,Pars-pro-toto-Perspektive", die ,,den Fall als symptomatischen Verweis auf eine fallübergreifende Problematik" interpretiert, wurde kaum diskutiert. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 139) Nur wenige Stimmen suchten Erklärungen für den Vorfall in der strukturellen Entwicklung im kommerziellen Fernsehen oder problematisierten das Versagen institutioneller Kontrollmechanismen. Die wenigen kritische Initiativen, die an die journalistische Berufsnormen appellierten oder auf die Folgenlosigkeit medien-ethischer Debatten hinwiesen, vermochten keine öffentliche Diskussion initiieren. ,,Die selbstreflexive Debatte über Notwendigkeiten und Möglichkeiten von Medienkritik, die dieser Fall nahelegt, hat nicht stattgefunden." (Krüger / Müller-Sachse 1999: 142)
3.2.2 Chronisten- oder Kritikpflicht?
Offensichtlich verstehen sich Medienjournalisten in erster Linie als Chronisten und sehen ihre Hauptfunktion nicht in der Selbstthematisierung der Medien. Wie eine Befragung von Kreitling (1997: 123ff) ergeben hat, wird Medienkritik häufig nicht einmal als Bestandteil des Medienjournalismus gesehen. Im Fall Born beschränkte sich die Berichterstattung vielerorts auf den Prozessverlauf. Inhaltliche und zeitliche Komplexität sind dadurch reduziert, lediglich partielle Teilereignisse abgebildet worden. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass eine Mehrheit der Journalisten nicht an die Leistung der Medienkritik glauben. Ihre Folgen, so wird häufig argumentiert, blieben auf individueller Ebene und könnten höchstens zur Selbstreflexion beitragen, einen direkten Einfluss auf ihre Arbeit könne die Medienkritik aber nicht ausüben. (Wyss 1999: 81) Eine solche journalistische Aufgabenbewältigung leistet keinen grossen Beitrag zur Qualitätssicherung. Nicht zuletzt läuft eine Berichterstattung nach dem Prinzip des Chronistenselbstverständis Gefahr, Spielball von beabsichtigten Veröffentlichungen - sprich Instrumentalisierung - zu werden.
3.2.3 Instrumentalisierung
Von Instrumentalisierung war bereits bei der Rezipientensteuerung die Rede. Der Medienjournalismus befindet sich in einem Dilemma, da er einerseits Aufklärung leisten soll, andererseits als PR-Strategie instrumentalisiert werden kann. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 12) Zwar ist kontextbezogene Medienberichterstattung nicht von Programmfahnen abhängig, aber auf andere Informationsquellen angewiesen, die unter Umständen eigene Interessen verfolgen. Gerade für den Medienjournalismus stellt dies ein besonderes Problem dar, schliesslich soll er zur Qualitätsverbesserung beitragen. Und für Infrastrukturen der Qualitätssicherung ist charaktersierend, ,,dass sie in den Prozess der massenmedialen Nachrichtenproduktion in der Regel nicht direkt involviert sind, aber indirekt das Ergebnis beeinflussen." (Russ-Mohl 1994: 111) Gerade hier ergibt sich eine Art Zwitterrolle: Einerseits ist Medienjournalismus ,,Teil massenmedial vermittelten Nachrichten-Produktion", andererseits eben solch ein Knotenpunkt, der die journalistische Professionalität und Autonomie sichern soll. (Russ-Mohl 1994: 112) Da kann es durchaus vorkommen, dass ein Medienjournalist in einen Konflikt mit seiner eigenen Redaktion gerät. Denn die Frage, inwieweit seine Arbeit im Dienst seiner Zeitung steht, ist nicht einfach zu beantworten. Beteiligt sich sein Verlag an verschiedenen Medientypen (z.B. bei einem privat - kommerziellen Fernsehanbieter) könnte es durchaus sein, dass der Journalist wegen dem Cross-Ownership die Verlagsinteressen wahren bzw. begünstigen muss. (Krüger / Müller- Sachse 1999: 113) Im Fall Born ist jedenfalls aufgefallen, ,,dass bestimmte Printmedien auf dem Hintergrund eines interessenspezifischen Involvements in den Konflikt nicht in erster Linie an einer öffentlichen Auseinandersetzung mit den medienkritischen Implikationen des Falles interessiert waren, sondern an publizistischer Skandalbegrenzung und Deproblematisierung." (Krüger / Müller-Sachse 1999: 146)
3.2.4 Marktversagen
Der Markt nimmt nicht nur im Zusammenhang mit Cross-Ownership Einfluss auf den Medienjournalismus. Die öffentliche Legitimation der Medien ist durch die Marktakzeptanz ersetzt worden. Handlungsdruck entsteht dadurch erst, wenn Rezipienten und Werbekunden Konsequenzen aus journalistischen Fehlleistungen ziehen. Daraus liesse sich folgern, dass der Wettbewerb an die Stelle der Kritik getreten ist, und sich folglich die Medien selbst regulieren und kontrollieren. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 129, 238) Wenn aber der Kostenwettbewerb den Qualitätswettbewerb verdrängt, hat auch der Medienjournalismus einen schweren Stand. So diagnostiziert Jürgen Heinrich (1996: 167ff) eine mangelnde Qualitätstransparenz für die Rezipienten. Wenn diese Qualität nicht erkennen können, lohnt es sich für die Anbieter auch nicht, nach diesem Kriterium zu produzieren. Einer solchen produktiven Effizienz könnte der Medienjournalismus zum Opfer fallen. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, dass ein "sich verschärfender Wettbewerb und ausgeprägte Eigeninteressen entscheidende Motoren für eine Intensivierung der Berichterstattung (Information und Kritik) über Medienthemen sein" werden. (Jarren zit. nach Wyss 1999: 48)
3.2.5 Publikums(des)interesse
Als weiteres Hindernis für den Medienjournalismus erweisen sich vielleicht auch die Rezipienten. Medienkritische Themen wie der Fall Born dürften aufgrund der Theorie der Nachrichtenwerte beim Publikum ankommen, zumindest eine oberflächliche Abhandlung des Themas könnte auf Interesse stossen. Andere Themen aber, z.B. die Fusion zweier Mediengiganten, werden wohl keine allzu hohen Wellen schlagen - allein wegen der Komplexität der Materie. Die Folge ist, dass die Medienberichterstattung im Medienbetrieb selbst intensiver wahrgenommen wird, obwohl sie an ein allgemeines Universalpublikum adressiert ist. Das Publikumsinteresse beschränkt sich möglicherweise sogar lediglich auf die programmbegleitende Berichterstattung. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 205)
Es fragt sich also, an wen sich Medienjournalismus richten soll. Das allgemeine Medienpublikum wird Insiderblätter, die den Anforderungen einer medienkritischen Öffentlichkeit genügen, kaum lesen wollen. Und richtet sich diese Art des Journalismus an den Medienbetrieb selbst, ist es fraglich, ob er zu einer Verbesserung der Qualität beitragen kann oder nur als Selbstbestättigung oder als Öffentlichkeitsarbeit zu bewerten ist.
4. Die Zukunft des Medienjournalismus
Medienjournalismus ist offensichtlich noch kein wirksames Instrument, das zur journalistischen Qualitätssicherung beitragen könnte. Seine mangelhafte Institutionalisierung deutet zumindest darauf hin; ebenso seine Themenstruktur, die zum grössten Teil durch programmbezogene Berichterstattung und Programmservice gekennzeichnet ist, welche lediglich ein Potenzial zur Rezipientensteuerung aufweisen. Kontextorientierte Berichterstattung ist spärlicher vertreten. Zudem schwindet ihr medienkritisches Potenzial wegen tendenzieller Personalisierung, chronologischer Berichterstattung oder Instrumentalisierung, sowie wegen Marktversagen und dem Desinteresse des Publikums. Krüger / Müller-Sachse (1999: 132) fordern deshalb ,,einen medienkritischen Ansatz, der weiter greifen muss als eine partielle Kritik einzelner Medien oder Medienangebote." Schliesslich ist der Medienjournalismus ,,unabdingbare Grundvoraussetzung für den Bestand einer im weiteren Sinne medienkritischen und medienpolitischen Öffentlichkeit", die mittels produktbezogener Kritik das Bewusstsein für journalistische Normen und Qualitätsstandards wachhalten sollte. (Krüger / Müller-Sachse 1999: 115)
Die wenigen Medien, die sich regelmässig der Medienkritik hingeben, werden diesen Anforderungen nur teilweise gerecht, indem sie als Leitmedien die Qualitätsdebatte überhaupt einmal öffentlich machen. Dazu gehörte auch die publizistische Begleitung der Medienforschung. Dies bedeutete einerseits, Erkenntnisse aus der Wissenschaft potenziellen Nutzern zugänglich zu machen, damit auch aus dem ,,Elfenbeinturm" etwas zur Öffentlichkeit durchsickert. Der Medienjournalismus könnte dabei einen Beitrag leisten, die mangelnde Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kommunikations-wissenschafter zu kompensieren. Andererseits wäre aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Erträgen aus der Medienforschung nötig. (Russ-Mohl 1999: 234, 249ff) Ob der Medienjournalismus künftig solche Aufgaben übernehmen kann, bleibt ungewiss.
Lutz Hackmeister, Medienpublizist, zeigt sich jedoch optimistisch: ,,Es gibt inzwischen Journalisten, die für Fernsehen, neue Medien, Multimedia ausgebildet sind und in diesem Bereich auch arbeiten wollen und auf der anderen Seite gibt es eine Leserschaft, die sich dafür interessiert. Insofern bildet sich ein Ressort heraus, so wie sich einstmals der Kulturteil oder das Feuilleton als ein eigenständiges Ressort herausgebildet hatte." (zit. nach Krüger / Müller- Sachse 1999: 211) Eine solche Entwicklung wäre sicher notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für einen Beitrag zur journalistischen Qualitätssicherung. Ein eigenes Ressort sagt schliesslich nichts aus über die Effektivität der Berichterstattung. Hier sind kontinuierliche Evaluationen gefordert. Um das Potenzial des Medienjournalismus besser beurteilen zu können, müsste aber nebst der Aussageforschung mit der Inhaltsanalyse als Instrument auch vermehrt die Wirkungsforschung hinzu gezogen werden.
5. Literatur
Heinrich, Jürgen: Qualitätswettbewerb und/oder Kostenwettbewerb im Mediensektor? In: Rundfunk und Fernsehen, 2/1996, S.165-184.
Kreitling, Holger: Das neue Ressort. Medienberichterstattung im bundesdeutschen Vergleich - ein Überblick. In: Wessler, Hartmut u.a. (Hrsg.): Perspektiven der Medienkritik. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit öffentlicher Kommunikation in der Mediengesellschaft. Opladen 1997, S. 123-134.
Krüger, Udo Michael / Müller-Sachse, Karl H.: Medienjournalismus. Strukturen, Themen, Spannungsfelder. Opladen 1999.
Russ-Mohl, Stephan: Der I-Faktor. Qualitätssicherung im amerikanischen Journalismus. Modell für Europa? Zürich 1994.
Wyss, Vinzenz: Journalistische Qualität und Qualitätssicherung in der
Kommunikatorforschung. Vorlesungsskript. Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. 1999.
- Arbeit zitieren
- Michel Wenzler (Autor:in), 1999, Das Potenzial des Medienjournalismus als Infrastruktur zur Qualitätssicherung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105653
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