1. Das Leben Senecas:
- vollst. Name: Lucius Annaeus Seneca
- geb. 4 v. Chr. in Corduba1 (Südspanien)
- nach Tacitus, ( „Annales“: bedeutendste Quelle für das Leben Senecas) „aus ritterli- chem Hause“ stammend
- Eltern Senecas:
- Vater : Seneca der Ältere: Redelehrer; „hasste die Philosophie“ schreibt Seneca
- Mutter: Helvia: - großes Interesse an Philosophie;
- Erziehung ihres Sohnes zu philosophischem Denken
- Seneca kommt als Kind mit seiner Tante nach Rom
- 16-22 n. Chr.: Studium der Rhetorik und der Philosophie in Rom:
- Lehrer: Soiton (➔ pythagoreischer Einfluss!)
- Lehrer: Attalos(➔ handfeste stoische Moral!)
⇒Lehrer leiten Seneca zur asketischen Lebensweise an
- Tätigkeit als Sachwalter vor Gericht (Reden2 ➔ verhelfen zu sozialem Aufstieg)
- Ab ca. 30 n. Chr. Aufenthalt in Ägypten
- Zurück in Rom: erfolgreiche politische Karriere: Quästor (34 n. Chr) und Senator
- nach Caligulas Ermordung 41 n. Chr., Verbannung durch Messalina, Frau des neuen Kaisers Claudius, nach Korsika für acht Jahre
- Agrippina, zweite Frau des Claudius, veranlasst anno 49 n. Chr. seine Rückkehr nach Rom und vertraut ihm die Erziehung und Beratung ihres 11jährigen Sohnes Nero an
- Während der fünf Jahre in denen Seneca Nero unterrichtet bleibt er politisch untätig und neutral
- Als Nero 54 n. Chr. Kaiser wird, übernimmt Seneca zusammen mit Burrus3 die Ver- waltung des römischen Reiches
- 56 n. Chr. Konsulat
- 62 n. Chr. zieht sich Seneca aus der Politik zurück, nachdem Nero seine Mutter hat ermorden lassen
- 65 n. Chr. wird Seneca von Nero der Teilnahme an der pisonischen Verschwörung4 beschuldigt und gezwungen sich selbst das Leben zu nehmen (➔ Inszenierung des Selbstmordes nach Art des Sokrates)1
2. Seneca und Nero
2.1 Seneca als praeceptor Neronis
- Agrippina beruft Seneca 49 n. Chr. aus der Verbannung zurück, damit er Lehrmeister ihres Sohnes Lucius Domitius wird
- Studienprogramm des jungen Nero:
- artes liberales2 (Allgemeinbildung)
- Dichtung, Grammatik
- Rhetorik und Einführungen in die Philosophie
- Nero zeigt vor allem im künstlerischen Bereich große Begabung; er dichtet, und singt vor allem so gut, dass Seneca ihn in einem Gedicht, „im Gesang und in der Stimmge- walt“ als dem Apoll gleich, rühmt
2.2 Das Verhalten Senecas und Neros ab dem Regierungsantritt 54 n. Chr.
- Seneca übernimmt die Verwaltung des römischen Reiches zusammen mit Burrus
- Erste politische Tat Senecas nach Jahren der Prinzenerziehung: Verfassen der Grabre- de (laudatio funebris) für Claudius; vorgetragen von Nero
- Ebenfalls verfasst Seneca ein Pamphlet3: „Ludus Senecae de morte Claudii Nero- nis“4 ➔ menippeische5 Satire; dies verhindert die Apotheosis6 des Claudius
- Die Unreife des Nero zu regieren und die Herrschaftsucht seiner Mutter Agrippina ge- reichen Seneca immer mehr zur Besorgnis;
- Zwischen Nero und seiner Mutter entsteht ein Streit; Agrippina droht mit der Einset- zung des Britannicus7 zum Kaiser
- Nero lässt seinen Stiefbruder daraufhin töten (Anfang 55 n. Chr.)
- Die beiden Reichsverweser Seneca und Burrus, unter denen das goldene Quinquenni- um8 der Regierungszeit Neros stattfand, müssen immer wieder versuchen eine Eskalation des Streits zu verhindern
- Hier überreicht Seneca seinem Zögling die staatsphilosophische Schrift „ Ad Neronem Caesarem de Clementia“9
- Der Einfluss Agrippinas auf Nero ist so groß, dass Nero sie töten muss, um selbständig und Herr seiner Entschlüsse zu sein.
- Nero inszeniert also einen Selbsmord der Mutter
- Burrus und Seneca decken den Mord, da sie glauben Nero ließe ihnen weiterhin freie Hand in der Politik
- Die pathologischen Eigenschaften in Neros Regierungsstil werden immer deutlicher erkennbar
- Hierauf unterbreitet Seneca Nero ein Entlassungsgesuch und zieht sich auf sein Grundstück in Campanien zurück
- Im Zuge der pisonischen Verschwörung (65 n. Chr.) wird Seneca von Nero der Mit- wisserschaft angeklagt und gezwungen sich das Leben zu nehmen
3. Das Werk Senecas
- Überreiche literarische Produktion
- Große Teile erhalten
3.1 Die Epistulae morales ad Lucilium: Hauptwerk
- Senecas Hälfte einer tatsächlichen, ernsthaften Korrespondenz
- Hauptsächlich ethische Probleme werden behandelt1
- Das Werk ist unvollständig, da der Schluss fehlt
3.1.1 Die sogenannte Diatribe
- Nachbildungen von unsystematischen, allgemeinverständlichen Lehrvorträgen oder Lehrgesprächen über Themen wie Armut und Reichtum, Luxus und Abhärtung, Familie, Kleidung usf., die Zwischenfragen, Witze, Anekdoten, Sentenzen, sogar Verseinlagen enthalten können
- Form der Diatribe ist seit frühhellenistischer Zeit sehr beliebt und seit dem 1. Jahrhun- dert v. Chr. auch ins Lateinische übernommen
- Gerne von Kynikern und anderen Philosphen verwendet, die moralische Probleme oh- ne bestimmte Schullehren erörtern wollten ➔ Seneca mildert die starre stoische Doktrin durch freie Reflexionen, Meditationen und durch praxisbezogenes Denken ab
3.1.2 Zum Adressaten der Briefe
- Vollst. Name: Lucilius Junior➔ Verwalter der kaiserlichen Finanzen auf Sizilien
- Zwischen Seneca und Lucilius bestehen zugleich ein Lehrer-Schüler-Verhältnis und eine gute Freundschaft
- Trotz der höheren Bildung stellt Seneca keinerlei Überlegenheitsansprüche
- Der Leser gewinnt den Eindruck, dass sich zwei gleichstrebende Freunde durch ihren
Dialog fördern wollen
3.1.3 Funktionen der Briefform
- Seneca hat von Anfang an geplant die Briefe zu veröffentlichen
⇒ Seneca wendet sich an den Adressaten und gleichzeitig an eine breite Öffentlichkeit
- Seneca will Leser zu Zeugen eines echten Gedankenaustauschs unter Freunden ma- chen
- Theoretische stoische Maximen werden an praktische Probleme des Alltags angepasst und für sie nach dem Motto:
„medicamenta morbis et temporibus aptanda sunt“ nutzbar gemacht:
- Seneca nimmt durch seine neue Praxisbezogenheit der stoischen Doktrin etwas von ihrer Schärfe, mildert deren Starrheit
- Es werden Reflexion und Meditation über bestimmte ethische Probleme betrieben
- Idee des „Fortschreitens“, proficere:
- Vollkommene Weisheit ist für Seneca in kaum erreichbarer Ferne
- Sein Lebensziel besteht aus dem Weg 2 zur Weisheit
⇒ Seneca aktualisiert stoische Dogmen und schwächt stoischen Rigorismus ab
3.2 Die sogenannten Dialogi
- In diesen, von stoischer Philosophie geprägten, Abhandlungen geht Seneca auf Einzelfragen ein, die ihm von Freunden gestellt worden sind
- De brevitate vitae: ca. 48 n. Chr.
- Hauptaussage: das Leben wäre gar nicht so kurz, wenn man sich nicht ständig mit nutzlosen Dingen beschäftigen würde
- De clementia: 55 n. Chr.
- Verhaltenscodex für Nero
- Senecas Einstellung zur Politik:
- Wie sieht Seneca den idealen Staatsführer
- Richtige Art der Bestrafung
- Milde steht nicht im Gegensatz zu Gerechtigkeit
- De tranquillitate animi: 59 n. Chr.
- „Von der der Seelenruhe“➔ stoische Ideen der Ataraxia, Apathie
- Euthymie, nämlich gleichmäßig heitere, innere Seelenruhe, als Ziel
- De constantia sapientis: 43 n. Chr.
- Hinnahme und Erdulden des durch iniuria zugefügten Leids machen den Weisen gegenüber dem Kränkenden unerreichbar
- De vita beata: 58 n. Chr.
- Gemäß dem Stil der Diatribe tritt ein Hedonist auf, der sich hauptsächlich auf die Lehre des Kepos beruft und die Tugend mit der Lust vereinen will
- Seneca widerspricht dessen sturem Luststreben, indem er betont, dass Epi- kur mit Lust vor allem die Vermeidung der Unlust gemeint habe; keines- wegs die permanente Überbefriedigung sämtlicher Genüsse, wie sie der Hedonist postuliert
- Die Tugend darf nur um ihrer selbst willen betrieben werden!
- Seneca nähert in diesem Werk die Lehren der „Konkurrenzschule“, des Kepos, stoischen Maximen1 an
- De beneficiis: 62-65 n. Chr.
- „Über die Wohltaten“
- Thema: Das richtige Schenken
- Man soll Schenkungen an Gute, oder an solche, die man damit gut machen kann, richten
- Um dies zu erreichen bedarf es genauester Überlegung, wer würdig ist be- schenkt zu werden
- Schenkungen sollen nach Prinzip der Subsidiarität getätigt werden
- De ira: 39-42 n. Chr.: 3 Bücher
- Zorn ist für Seneca ein mit der Menschennatur nicht zu vereinbarendes Phänomen (Seneca wehrt sich hier gegen die Lehre des Aristoteles)
- Zorn muss auf die Vernunft hören
3.3 Weitere Werke
- Trostschriften:
- Ad Helviam matrem de consolatione: 42 n. Chr.
- Während seines Exils in Korsika tröstet Seneca seine Mutter, indem er betont er sei dort nicht unglücklich und, indem er ihr mögliches Un- glück, gemäß der stoischen Werteordnung, als nur vermeintliche Übel entlarvt
- Ihre Sehnsucht nach ihm solle sie mit philosophischen Studien lindern, aber sie solle sich auch durch die große Familengemeinschaft trösten
- Senecas Frauenbild im Gegensatz zu dem seines Vaters!
- Consolatio ad Polybium: ca 43 n. Chr.
- Consolatio ad Marciam: ca 38 n. Chr.
- Naturales quaestiones: 62-65 n. Chr.
- Über die stoische Physik
- De otio: ca. 62 n. Chr.
- „Von der Zurückgezogenheit“
- Gegensatz von vita activa und vita contemplativa
- Seneca rechtfertigt philosophische Reflexion und geistige Schau der Welt gegenüber Anhängern der stoischen Lehre, die ein Leben für den Staat bis zum letzten Atemzug fordern
- Reden: vor allem als Sachwalter vor Gericht: leider nicht erhalten
- Tragödien: ca 50-60 n. Chr.
- 9 Stücke➔ durchweg Bearbeitung griechischer Mythen der attischen Klassiker
- Satire: 54 n. Chr.: menippeische Satire
- „Ludus Senecae de morte Claudii Neronis“ auch Apokolokyntosis genannt
➔ Name hergeleitet von griechischem Wort für Kürbis;
- der Historiker Cassius Dio deutet durch diesen Neologismus, der etwa mit „Verkürbissung“ zu übersetzen wäre, die misslungene Konsekration des Claudius an
ENDE
[...]
1 Heutiges Cordoba
2 Reden nicht erhalten
3 Prätorianerpräfekt 62 n. Chr. gestorben
4 Verschwörung des C. Calpurnius Piso und anderen hochrangigen Staatsmännern gegen Kaiser Nero
1 Lehrer, Erzieher
2 „Künste des freien Mannes“: sprachliche und mathematische Fächer
3 Schmähschrift
4 siehe Seite 5 Kapitel 3.3
5 Prosa-und Verspartien wechseln sich ab
6 in Rom übliche, postume Vergöttlichung der Kaiser
7 rechtmäßiger Nachfolger, Sohn, des Claudius; Nero nur Stiefsohn!
8 anfänglich Blütezeit von 5 Jahren unter der Herrschaft Neros
9 siehe Seite 4 Kapitel 3.2
1 Ethik ist das Hauptgebiet der Philosophie Senecas und der Stoa; weitere Teilgebiete: Logik, Physik (inkl. Theo- logie)
2 Seneca mildert hierdurch das strenge dualistische Denken der alten Stoiker ab, in deren Weltbild es nur Tor und Weisen gab; er praktiziert eine Annäherung an den idealen Weisen
1 ein Leben in Übereinstimmung mit der eigenen Natur, Durchhaltevermögen, Standhaftigkeit, Unabhängigkeit von materiellen Gütern, Furchtlosigkeit, Freiheit von jeglich Begierden
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