Politikverdrossenheit - Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen
„Politikverdrossenheit“ - ein Stichwort, das schon seit längerem das politische Leben in Deutschland, aber auch in vielen anderen Staaten, zum Beispiel in den USA, prägt. Im Jahr 1992 wurde es von der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ in Wiesbaden zum sog. „Wort des Jahres“ gewählt. Dieser Verband entscheidet sich jährlich für ein „Wort“ und ein „Unwort“ des Jahres, welche als Ausdruck des Zeitgeistes in Deutschland gelten sollen. Merkmale der Politikverdrossenheit in Deutschland sind ein Rückgang der Mitgliederzahlen in politischen Organisationen, vor allem Parteien und Gewerkschaften, sowie sinkende Wahlbeteiligungen sowohl bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Bei den vorletzten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt am 26.06.1994 beteiligten sich nur 54,8%1 der wahlberechtigten Bevölkerung an der Wahl, bei der Landtagswahl in Brandenburg am 05.09.1999 54,3%2. Bei den Europawahlen 1999 haben nur 45,2%3 der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Erklärungen wie „wir konnten unsere Stammwähler nicht mobilisieren“ oder „die Opposition hat eindeutig von der niedrigen Wahlbeteiligung profitiert“ sind häufig genannte Gründe von Parteien für ihr schlechtes Abschneiden bei Wahlen. Auch 60-prozentige Stimmmehrheiten für eine Partei sagen bei einer Wahlbeteiligung von 50% wenig aus. Die Partei wurde dann zwar nur von ca. 30% der wahlberechtigten Bevölkerung gewählt, feiert aber meist ihren „eindeutigen Wahlauftrag“. Um diesen Verdruss bzw. den Missmut gegenüber Politik zu beseitigen bzw. zu verringern, muss man nach deren Ursachen suchen und Maßnahmen finden, erfolgreich gegen dieselben vorzugehen. Im folgenden Text erörtere ich dieses Thema.
Ein Grund, warum sich zunehmend Menschen, vor allem der jüngeren Generation, von der Politik abwenden, ist, dass sich junge Leute nicht mit den Politikern identifizieren können. Dies liegt wiederum daran, dass zum Beispiel das durchschnittliche Alter der Spitzenpolitiker bei über 55 Jahren liegt. Alle Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland waren, als sie ihr Amt antraten, über 50 Jahre alt. Helmut Kohl, geboren 1930 wurde 1982, also im Alter von 52 Jahren Bundeskanzler. Als er 1998 nicht wiedergewählt wurde, war er bereits 68 Jahre. Es ist klar, dass Leute im Alter von 15-35 Jahren sich durch derartig alte Politiker nicht gut repräsentiert fühlen können. Studien belegen, dass für 77% der Jugendlichen und für 70% der 20-30-jährigen die Politiker zu alt sind4. Politiker wie Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, die bereits in jungen Jahren den Sprung in eine Spitzenposition einer großen Partei schaffen, sind die Ausnahme. Die Unterlagen des Bundeswahlleiters bestätigen diesen Sachverhalt. So ist das Durchschnittsalter in der SPD-Fraktion 50,3 Jahre und die Mitglieder der CDU/CSU- Fraktion sind im Durchschnitt mit 51,1 Jahren nur geringfügig älter. Die vergleichsweise jüngste Fraktion stellt mit 43,2 Jahren im Durchschnitt die Fraktion von Bündnis 90/Grüne. Insgesamt liegt der Altersdurchschnitt des Bundestages bei 49,7 Jahren5. Mit Hans Eichel, geb. 1941, und Otto Schily, geb. 1932, sind augenblicklich zwei der mächtigsten Männer der Bundesrepublik über 60, nicht zu vergessen der Bundespräsident Johannes Rau, der kürzlich seinen 75. Geburtstag feierte. Als Grund für diese Entwicklung muss man anführen, dass der politische Weg meist durch die verschiedenen Ebenen der Politik führt, also einer bundespolitischen Karriere meist eine kommunalpolitische bzw. eine landespolitische vorangeht. Außerdem ist es schwierig, in Parteien eine Führungsposition zu erlangen, da diese Mandate beinahe ausschließlich an erfahrene Politiker vergeben werden, die diese dann oft bis zum Ende ihrer politischen Karriere innehaben. Als Kandidaten werden auch fast ausnahmslos entweder die derzeitigen Amtsinhaber von jeweiligen Ämtern aufgestellt, oder die Partei setzt auf beim Volk bekannte und beliebte Persönlichkeiten, anstatt jüngere, aufstrebende Politiker zu nominieren. „Quertreiber“ bzw. Kritiker in den eigenen Reihen haben ohnehin kaum Chancen auf politische Spitzenplätze. Deshalb ist es fast eine logische Konsequenz, dass das Durchschnittsalter der Politiker so hoch ist, und dass sich dadurch junge Menschen nicht gut repräsentiert fühlen, sich nicht mit den Personen identifizieren können, und sich desinteressiert von der Politik abwenden.
Was auch viele junge Leute an den Politikern stört, ist, dass diese auf Fragen der Journalisten, aber auch auf Anfragen des politischen Gegners nicht ehrlich antworten, um beispielsweise ihren Ruf nicht zu schädigen bzw. um keine Wähler mit der Wahrheit zu verärgern. Anstatt das volle Ausmaß eines Fehlers darzulegen, wird häufig nur stückweise die Wahrheit preisgegeben. Ein gutes Beispiel für eine solche Verlogenheit ist der CDU- Spendenskandal. Die in diesen Fall verwickelten Politiker haben zuerst ihre Taten geleugnet, dass es illegale Spenden und ausländische Schwarzgeldkonten gegeben hätte. Als dies jedoch schließlich nicht mehr zu bestreiten war, haben sie doch zugegeben, dass es solche Konten und Spenden gegeben hat, nun jedoch wollte es niemand gewesen sein. Auch das volle Ausmaß, also die Höhen und Anzahl der Spenden wurde nicht sofort bekannt gegeben, sondern nur „stückweise“ von den Betroffenen gestanden. Absichtliche Falschaussagen, also Verlogenheit, ist eine Eigenschaft, die von vielen für das mangelnde Interesse an Politik verantwortlich gemacht wird. Daneben ist natürlich nicht zu vergessen, dass in den meisten Fernsehinterviews Politiker den Fragen der Moderatoren bzw. der Journalisten gänzlich ausweichen und sich geschickt um das Thema herumreden. Das stört die Leute, die wirklich gerne die Antwort auf eine interessante Frage erfahren hätten. Klar ist auf jeden Fall, dass sich keiner von „Lügnern“ repräsentieren lassen möchte, und da sich immer wieder herausstellt, dass Politiker absichtlich die Unwahrheit verbreitet haben, ist dies für viele Leute ein Grund, die Politik als „dreckiges Geschäft“ abzuschreiben und sich nicht mehr dafür zu interessieren.
Neben dem was sie sagen, ist auch die Art wie die Politiker etwas sagen von vielen als zu euphemistisch und umständlich verrufen. Sie denken möglicherweise, je höher ihr sprachliches Niveau ist, je mehr Fremdwörter und umständliche Satzkonstruktionen sie verwenden, desto größer ist ihr Ansehen beim Volk, weil man den Eindruck gewinnen soll, der Redner versteht sein Fach gut und hat eine gepflegte Ausdrucksweise. Erwünscht ist diese komplizierte Sprache beim Volk jedoch nicht. Vor allem die Mittelschicht, der „Normalbürger“, kann sich oft nichts von den eigentlichen Inhalten einer Rede vorstellen, wenn der Politiker massenhaft Fremdwörter, besonders aus dem Lateinischen stammende, verwendet. „Innovation“ wird immer wieder gefordert, was genau ist das aber? Für die Bevölkerung wäre „Erneuerung“ verständlicher. Ein anderes Beispiel ist der Begriff „Globalisierung“, der beinahe täglich in den Medien verwendet wird, von dem aber die wenigsten wissen, was er eigentlich bedeutet. Beschönigende Ausdrücke sind zudem noch eine Eigenschaft, die an der Rhetorik von Politikern beklagt wird. Zum Unwort des Jahres 1999 wurde beispielsweise das Wort „Kollateralschaden“ gewählt, eine Bezeichnung, die von Politikern vor allem während des Kosovokonfliktes zum Ausdruck der Tatsache, dass Menschen bei den Luftangriffen der NATO ums Leben kamen, gebraucht wurde. Ebenso beschreiben die Begriffe „Minuswachstum“ und „Rezession“ den eigentlich völlig unkomplizierten Sachverhalt eines Wirtschaftsrückgangs. Da jedoch in „Minuswachstum“ immer noch das Wort „Wachstum“ vorkommt, und weil „unrichtig“ bzw. „die Unwahrheit sagen“ immer noch besser klingt als „falsch“ bzw. „lügen“ und da „Rezession“ ein Fremdwort ist, hofft man bei der Verwendung dieser Begriffe, dass der Wähler sich dem schlimmen Sachverhalt nicht bewusst wird und bei der nächsten Wahl darüber hinwegsieht und die Regierung wieder wählt. Eigentlich aber ist es genau das, was man nicht von den Politikern will. Dieser Sachverhalt kann einem also ebenfalls die Lust und das Interesse an der Politik nehmen.
Außerdem kritisieren viele, dass Politik zu komplex, also zu undurchsichtig, umfangreich und kompliziert sei. Politische Themen wie zum Beispiel das Einwanderungsrecht oder Steuerrecht können nur wenige Spezialisten ganz durchleuchten und nur ein geringer Teil der Bevölkerung behält den Durchblick, was sich beispielsweise daran zeigt, dass viele ihre Steuererklärung nicht selbst anfertigen, sondern einen Steuerberater, also einen Spezialisten beauftragen. Schlagwörter wie „Steuerreform“ und „Gesundheitsreform“ werden zwar häufig gebraucht, oft ist es aber so, dass eigentlich niemand weiß, was reformiert wird bzw.
was genau geschehen soll. Man kennt sich zu wenig in den komplizierten Themen aus und sogar die Politiker müssen sich auf bestimmte Bereiche spezialisieren, weil ein Gesamtüberblick kaum möglich ist. „Jeder Politiker hat drei oder vier Bereiche, in denen er sich wirklich gut auskennt, und wo er sich dann an der Ausschussarbeit beteiligt“, erklärte uns MdB Girisch (CSU) im Rahmen einer politischen Studienfahrt nach Berlin. „Einfache Lösungen gibt es nicht“, äußerte Otto Schily, der derzeitige Innenminister in der ARD- Sendung „Sabine Christiansen“ vom 2.11.2001 auf die Frage, warum Politik so kompliziert sei. „Es gibt zu viele Faktoren, die man beachten muss.“ Die Komplexität der politischen Themen wird auch dadurch klar, dass beinahe alle Politiker von Beratern umgeben sind, weil sie sich selbst auch nicht gut genug auskennen. Zur Verwirrung trägt außerdem bei, dass der Bürger in den Medien oft nicht ausreichend über bestimmte Themen informiert wird. In vielen Fernsehbeiträgen, vor allem in den Nachrichten, werden beispielsweise nur knapp der Inhalt eines Gesetzentwurfes geschildert und die Reaktion der Opposition, über die Auswirkungen des Gesetzes auf sich selbst und über die bisherige Gesetzeslage bleibt der Zuschauer jedoch häufig uninformiert. Unverständliche Gesetzestexte und zu viele Gesetze tragen zusätzlich zur Verwirrung der Leute bei. Für etwas, das man nicht versteht, kann man sich jedoch auch schwer interessieren, und deshalb ist die schwere Verständlichkeit der politischen Themen ein wichtiger Punkt, der zur Politikverdrossenheit beiträgt.
In Bezug auf die Komplexität und schwere Durchschaubarkeit der Politik dürfen auch die nicht leicht zu verstehenden politischen Entscheidungsprozesse nicht vergessen werden. Das Wahlsystem in der Bundesrepublik ist eines der kompliziertesten in Europa, wo überwiegend entweder nach reiner Verhältniswahl (zum Beispiel Italien) oder Mehrheitswahl (zum Beispiel Großbritannien) gewählt wird. Man nennt das bundesdeutsche Wahlprinzip „personalisierte Verhältniswahl“, wobei dieses System eine Mischung aus relativer Mehrheitswahl in den Stimmkreisen und Verhältniswahl über die jeweiligen Landeslisten darstellt. Deshalb muss der Bürger bei der Bundestagswahl auch zwei Stimmen, eine Erst- und eine Zweitstimme abgeben. Die nicht geringe Anzahl an ungültigen Stimmen belegt immer wieder, dass vor allem alte Menschen sich dadurch irritiert fühlen. Denn das Wahlsystem ist auf den verschiedenen politischen Ebenen und sogar in verschiedenen Bundesländern auch noch unterschiedlich. In Bayern beispielsweise erhält man auf der Landesebene zusätzlich die Möglichkeit, die Reihenfolge der Landeslisten zu verändern, indem man einen einzelnen Kandidaten auf der Landesliste wählt. Das Gesamtergebnis errechnet sich bei der bayrischen Landtagswahl, im Gegensatz zur Bundestagswahl, aus der Summe der Erst- und Zweitstimmen. Auf kommunaler Ebene wiederum besteht in Bayern zusätzlich die Möglichkeit des Kumulierens, das bedeutet, man kann Kandidaten mehrere, maximal drei Stimmen, geben und die verschiedenen Verrechnungsmöglichkeiten, die auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, sorgen ebenfalls für Unklarheit. So kann es geschehen, dass nach dem Verrechnungsverfahren nach Hare-Niemeyer eine Partei weniger Mandate erhält, als nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren. Manchmal führen auch ungerechte Wahlsysteme für Verdruss, ein gutes Beispiel hierfür sind die Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr in den Vereinigten Staaten. Obwohl sich die Mehrheit der Wähler für den Kandidaten der Demokraten „Gore“ entschieden hat, heißt der derzeitige Präsident „G.W. Bush“, da er vom alten amerikanischen Wahlsystem profitierte, wonach der Präsident von Wahlmännern aus den Bundesstaaten gewählt wird. Das ungerechte an diesem System ist, dass in den einzelnen Bundesstaaten alle Stimmen für den Verlierer in diesem Bundesstaat verloren gehen. Dies hat bei vielen Amerikanern zur Verärgerung und Kritik am Wahlsystem geführt. Schwer durchschaubare, oder gar ungerechte politische Entscheidungsprozesse, vor allem Wahlsysteme, aber auch umständliche Gesetzgebungsverfahren, können also definitiv zur Verwirrung und zur Politikverdrossenheit der Wähler beitragen.
Eine wichtige Rolle in Bezug auf Politik spielen natürlich auch deren Akteure - die Politiker. Man müsste meinen, dieselben sollten als Vorbilder und Repräsentanten der gesamten deutschen Nation gelten. Wenn man aber die verschiedenen Skandale in letzter Zeit betrachtet, will man sich lieber nicht mit diesen Personen vergleichen. Der CDU- Spendenskandal hat die gesamte deutsche Nation erschüttert, da er zeigte, dass auch in der Politik mit illegalen Mitteln gehandelt wird. Die CDU hatte im Jahr 1999, bevor die „schwarzen Konten“ und die nicht rechtmäßig im Rechenschaft angeführten Spenden in Millionenhöhe an die Öffentlichkeit gedrungen waren, bei einigen Landtagswahlen hervorragend abgeschnitten. In Hessen konnte sogar ein Regierungswechsel geschafft werden, als Roland Koch Hans Eichel als Ministerpräsidenten ablöste und in Sachsen und Thüringen wurden die Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf bzw. Bernhard Vogel jeweils mit einer absoluten Mehrheit in ihr Amt wiedergewählt. Nachdem die Affäre aufgedeckt wurde, schnitt die CDU in Brandenburg und Schleswig-Holstein trotz namhafter Kandidaten wie Volker Rühe schlecht ab. Bei den Wahlen in Brandenburg am 5. 09. 1999 erreichte sie nur 26,6%6 der Stimmen. Obwohl dies einen deutlichen Zuwachs im Vergleich zur vorhergegangenen Landtagswahl bedeutete, wäre das Ergebnis vor der Spendenaffäre deutlich besser ausgefallen. Demoskopen hatten der CDU zwischenzeitlich 40% der Stimmen vorausgesagt. Gleichzeitig sind auch die Wahlbeteiligungen seit der Spendenaffäre zurückgegangen. Dies zeigt deutlich, dass durch derartige Skandale die Wähler kein Vertrauen mehr in die gesamte Politik haben, nicht nur zur betroffenen Partei, denn bei anderen Parteien hört man auch von „Flugaffären“. So sollen zum Beispiel auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement oder der Verteidigungsminister Scharping (beide SPD) Privatflüge aus der Staatskasse finanziert haben. Eine Umfrage von Infratest dimap auf die Frage "Glauben Sie, dass politische Entscheidungen in Deutschland käuflich sind?“ weist folgendes Ergebnis auf: „Gibt es häufig - meinen 49 Prozent, kommt nur in Ausnahmefällen vor 41 Prozent und kommt überhaupt nicht vor 4 Prozent."7 Also immerhin 49 % glauben, dass es häufig vorkommt, dass politische Entscheidungen sozusagen eingekauft worden sind. Ich selbst kenne einige Leute, die inzwischen die Politik wütend als „schmutziges Geschäft“ bezeichnen und das Interesse daran verloren haben.
Doch nicht nur derartige Affären und Skandale führen zur Verärgerung an der Politik. Auch das Auftreten der Politiker im gegenseitigen Umgang miteinander wird kritisiert. Bei Debatten im Bundestag werden oft unsachliche Ausdrücke verwendet und häufig beschimpfen sich die Politiker gegenseitig als „unfähig“ oder „inkompetent“ und weichen dabei vom eigentlichen Thema ab, wodurch sie erreichen wollen, dass der Wähler den Eindruck gewinnt, sie bzw. die jeweilige Partei seien - im Gegensatz zur gegnerischen Partei- auf diesem Gebiet kompetent. Auch die unfaire Darstellung des politischen Gegners auf Plakaten wird in letzter Zeit häufig als Wahlkampfmittel eingesetzt, um das Interesse beim Volk zu wecken und die anderen Parteien lächerlich zu machen. Ein Beispiel für eine solche Darstellung ist das Plakat der CDU anlässlich der Rentenreform, auf dem der Bundeskanzler Gerhard Schröder, wie für Verbrecher üblich, auf einem Fahndungsplakat zu sehen war, also von allen Seiten abfotografiert. Selbst nachdem die Aktion auf Grund von heftiger Kritik auch aus den Reihen der CDU/CSU eingestellt worden war, verteidigte Laurenz Meyer, Generalsekretär der CDU, die Aktion als „nötige Provokation“8. Scheinbar kann man also auf derartige Methoden im Wahlkampf nicht verzichten und Sachthemen in den Vordergrund stellen. Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth wertete die Aktion als elementaren Verstoß gegen den Stil der parlamentarischen Auseinandersetzung. "Der dadurch angerichtete Schaden fällt nicht nur auf die Partei zurück, die so etwas zulässt, sondern vergiftet das Klima in unserem Land auf gefährliche Weise", sagte sie dem Tagesspiegel8. Sie bestätigt also die Ansicht, dass derartige Methoden gegen andere Parteien bzw. andere Politiker vorzugehen, sich bei den Wählern negativ auswirken, da sie die Politiker und auch die Politik nicht mehr als seriös und sachlich betrachten. Ein weiteres Beispiel für eine unfaire bzw. lächerliche Darstellung der Gegner ist das Plakat, auf dem Roland Koch als „Pinocchio“, also mit langer Nase auf Grund von Lügen, entstellt war. Derartige Mittel erhalten wenig Zustimmung bei der Bevölkerung und lassen das Ansehen an und damit auch das Vertrauen zu Politikern sinken und Zweifel an der Seriosität der Politik aufkommen.
Manche Leute stört außerdem an den Politikern, dass diese häufig ihre Positionen und politischen Ämter bzw. die Politik ausnutzen, um sich selbst zu bereichern. Neben den Diäten, über deren Höhe der Bundestag selbst abstimmt, kassieren sie zusätzliche Gelder durch Tätigkeiten in Aufsichtsräten oder Vorständen von Verbänden etc. oder auch durch Medienauftritte zum Beispiel in Talkshows. Experten sehen in der Mitwirkung in Aufsichtsräten beispielsweise in Automobil- bzw. Treibstoffkonzernen auch den Grund für langsameren Fortschritt, zum Beispiel bei der Entwicklung günstigerer Treibstoffe und energiesparenderen Autos. „Zahlreiche Regierungsmitglieder in Bund und Ländern gehören außerdem gleichzeitig Parlamenten an und das Nebeneinkommen aus dem Abgeordnetenmandat beschert Ministern und Regierungschefs Zuschläge in sechsstelliger Höhe. Das Amtsgehalt des bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) von 323 327 Mark wird dadurch auf 531 167 Mark im Jahr erhöht,“ berichtet die Süddeutsche Zeitung.9 Die Landtagsparteien in Bayern CSU, SPD und Grüne haben im November 1999 ihre Mitarbeiterpauschale von bis zu 5535 DM auf 8110 DM , also um ca. 47%, erhöht10. Der „Münchner Merkur“ berichtet, dass der ehemalige EU-Kommissar Martin Bangemann (FDP) trotz eines „Millionenjobs in Spanien 17000 DM Pension im Monat“11 erhält. Es ist nicht verwunderlich, dass durch das Bekanntwerden solcher Sachverhalte und Affären die Meinung beim Volk entsteht, Politiker würden sich bereichern. Bei manchen Politikern führen außerpolitische Tätigkeiten sogar dazu, dass sie ihre politische Karriere beenden, da ihnen in der freien Wirtschaft, also dort, wo sie schon in Aufsichtsräten gewesen sind, höher dotierte Arbeitsstellen angeboten werden. Michael Naumann, ehemaliger Staatsminister für Kultur, gab dieses Amt auf und wechselte in die Chefetage der Zeitung „Die Zeit“, wo er weitaus mehr Geld verdient als vorher. Nach nur einem Jahr und 274 Tagen im Amt des Staatssekretärs erhält er ab dem 8.12.2001, wenn er 60 Jahre alt wird, eine Pension von 2840 DM monatlich, schreibt der „Münchner Merkur“. Auf Grund derartiger Beispiele verwundert es nicht, dass das Volk den Politikern persönliche Bereicherung und Geldgier vorwirft, also eine weitere mögliche Ursache für die Politikverdrossenheit.
Neben Affären, Beschimpfungen und Selbstbereicherung leidet das Ansehen und auch das Vertrauen der Politiker unter der Tatsache, dass zuweilen im Wahlkampf Dinge in Aussicht gestellt werden, die nach der Wahl nicht eingehalten werden, also „falsche Wahlversprechen“. „Wir bringen die Arbeitslosigkeit unter 3,5 Millionen!“ verkündete Gerhard Schröder noch vor den Bundestagswahlen 1998. Die Wahl hat er mit diesem Versprechen gewonnen, doch bis jetzt ist die Arbeitslosenzahl nur geringfügig zurückgegangen und SPD-Politiker räumten vor kurzem ein, dass man auf Grund der „Konjunkturflaute“ und der negativen Einwirkungen der Weltpolitik dieses Ziel wohl nicht erreichen werde. Häufig vor Wahlen in Aussicht gestellte Steuersenkungen fallen zumeist niedriger als geplant aus, von Steuererhöhungen wird im Allgemeinen nicht gesprochen, da dadurch die Chance auf einen Wahlsieg sinken würde. Die Wähler der Partei Bündnis 90/Grüne können mit der Politik der derzeitigen Bundesregierung nicht in vollem Maße zufrieden sein. Noch vor 6 Jahren haben auch Jürgen Trittin und Joschka Fischer (beide Bündnis 90/Grüne) gegen Atommülltransporte aktiv demonstriert, und nun, da sie Umwelt- bzw. Außenminister sind, haben beide anlässlich eines Atommülltransportes von der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Zwischenlager Gorleben im Frühjahr 2001 an die Gegner der Aktion appelliert, Verständnis dafür zu haben und den Transport nicht durch Demonstrationen aufzuhalten. Auch der Atomkonsens, der in dieser Legislaturperiode mit den Kraftwerksbetreibern ausgehandelt wurde, kann die Grünen- Wähler nicht zufrieden stellen, da sie für einen kurzfristigeren Atomausstieg gekämpft hatten. Die Sozialversicherungsbeiträge wollte Gerhard Schröder auf unter 40% senken, also auf mindestens 39,9%. Tatsächlich liegt der Wert heute bei 40,9 %, wobei ein Prozentpunkt eine Entlastung der Bevölkerung von rund 17,5 Milliarden DM bedeutet. Allerdings wurde auch die Mehrwertsteuer im April 1998 um einen ganzen Prozentpunkt erhöht und 1999 die sog. „Ökosteuer“ eingeführt, deren Stufen je am 1. Januar der Jahre 1999, 2000 und 2001 in Kraft traten, und deren Gelder nicht - wie zu erwarten - für die Umwelt, sondern für die Defizite in der Rentenkasse verwendet werden. Diese Erfahrung der nicht eingehaltenen Wahlversprechen hat der Wähler nicht nur einmal gemacht, nicht nur unter der Regierung Schröder, sondern auch unter Helmut Kohl. Er beteuerte immer, „die Renten sind sicher“, heutzutage klafft in der Rentenversicherung eine riesige Lücke. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ - Dieser Satz symbolisiert passend die Einstellung vieler Politiker. Keiner von ihnen scheint gänzlich ohne Wahlversprechen auszukommen und vieles ist später auch wegen der politischen Opposition oder dem knappen Staatshaushalt nicht realisierbar bzw. finanzierbar. Aus diesem Grunde resignieren viele Wähler und enthalten sich am Wahltag der Stimme.
Neben dem eben erläuterten Ansehens- und Vertrauensverlust der Politiker ist auch das mangelnde Mitspracherecht der Bevölkerung in der Politik ein entscheidender Faktor für deren Desinteresse. Selbst wenn man sich, zumindest in Deutschland, aktiv in einer Partei beteiligt, hat man kaum die Möglichkeit, in die Politik dieser Partei einzugreifen. Die Richtlinien werden vom Parteipräsidium vorgegeben, in welches man als Normalbürger bzw. „Freizeitpolitiker“, also als kein Berufspolitiker, nicht gewählt wird, da er bei den großen Parteien nur aus einem kleinen Kreis von Spitzenpolitikern besteht. Dieser geringe Einfluss zeigt sich auch bei der Kandidatennominierung, an der nur wenige beteiligt sind, wobei ohnehin nur Einfluss auf die Wahl des Direktkandidaten im eigenen Wahlkreis und auf die Aufstellung der Landesliste ausgeübt werden kann. Die Bestimmung des Kanzlerkandidaten jedoch erfolgt hingegen in der Regel ohne Befragung der Parteimitglieder durch das Präsidium. Am Beispiel der CSU in Bayern möchte ich dieses geringe Mitspracherecht bei der Kandidatennominierung näher begründen. Ihre Satzung sieht folgendes Auswahlverfahren für Kandidaten bei der Bundestagswahl vor:
„4.2 Bundestagswahlen
§ 31 Delegiertenversammlung im Bundeswahlkreis
(1) Die "Delegiertenversammlung im Bundeswahlkreis" setzt sich aus 120 Delegierten zusammen. Diese werden anteilmäßig von den Kreishaupt- bzw.
Kreisvertreterversammlungen gewählt.
(2) Den beteiligten Kreisverbänden bzw. Teilen von Kreisverbänden stehen dabei so viele Delegierte zu, wie sich aus dem v.H.-Verhältnis der im Gebiet des einzelnen Orts- bzw. Kreisverbandes zu den im Gebiet des Bundeswahlkreises für die CSU abgegebenen Zweitstimmen der vorhergehenden Bundestagswahl errechnen.
[...]
(7) Aufgaben der Delegiertenversammlung im Bundeswahlkreis sind:
a) die Wahl der Wahlkreisbewerberin oder des Wahlkreisbewerbers,
b) die Wahl von sechs Delegierten und Ersatzdelegierten in die Landesdelegiertenversammlung.“12
Dieses Verfahren bestimmt also, dass nur 120 Leute die Wahl des Direktkandidaten für einen Bundeswahlkreis vornehmen, die von den Kreisverbänden entsandt werden. Die Anzahl der Delegierten in einem Kreisverband ermittelt sich wiederum durch das Verhältnis der für die CSU bei der vergangenen Bundestagswahl in diesem Kreisverband abgegebenen Stimmen und der Gesamtzahl der Stimmen der CSU in diesem Wahlkreis. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein CSU-Mitglied bei der Wahl teilnehmen kann ist also dementsprechend gering, vor allem wenn man in einem Wahlkreis wohnt, in dem die Partei bei den vorhergehenden Bundestagswahlen schlecht abgeschnitten hat. Noch schlechter ist jedoch die Einflussnahme des einzelnen auf die Kandidaten der Landesliste:
„§ 32 Landesdelegiertenversammlung zur Bundestagswahl
(1) Die "Landesdelegiertenversammlung zur Bundestagswahl" besteht aus:
a) je sechs Delegierten der Bundeswahlkreise,
b) den Mitgliedern des Präsidiums, den CSU-Bezirksvorsitzenden, den Landesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise, jeweils mit beratender Stimme.
[...]
(3) Aufgabe der Landesdelegiertenversammlung ist die Aufstellung der Landesliste zur Bundestagswahl.“12
Nur 6 entsandte Delegierte eines Wahlkreises haben also neben dem Parteipräsidium und den Bezirks- und Landesvorsitzenden das Recht, bei der Aufstellung der Landesliste mitzuwirken. Verärgerung über die falschen Kandidaten und Missmut gegenüber der geringen Mitwirkungsmöglichkeit bei der Kandidatennominierung können daher ebenfalls zur Politikverdrossenheit beitragen.
Vor allem Jugendliche unter 18 Jahren haben politisch überhaupt kein Mitspracherecht. Sie dürfen nicht an Wahlen teilnehmen und fast niemand beachtet ihre Ansichten oder geht auf ihre Wünsche ein. „Für uns tun die gar nichts“, so äußerten die meisten Jugendlichen anlässlich der Shellstudie13 1997. Viele gaben auch an, dass sie den Eindruck haben, von Politikern nicht ernst genommen zu werden und als noch zu jung um mitreden zu können abgestempelt werden. Einige äußerten den Wunsch, dass sie selbst gerne ihre Vorschläge einbringen würden. Die wichtigste Einflussmöglichkeit, außer selbst Politik zu betreiben, ist jedoch nun einmal die Wahl. Durch sie kann man über die politische Arbeit der Regierung während der letzten Legislaturperiode urteilen und sie, falls nötig, absetzen. An Wahlen dürfen Jugendliche jedoch nicht teilnehmen, woraus schließlich folgt, dass sie sich auch nicht für Kandidaten, Wahlprogramme oder andere politische Inhalte interessieren.
Ein weiterer Punkt, den es zu beachten gilt, ist, dass die Öffentlichkeit neben der geringen Einflussmöglichkeit bei der Kandidatennominierung von politischen Entscheidungen, vor allem aus dem Gesetzgebungsverfahren, gänzlich ausgeschlossen sind. Unsere Staatsform ist eine repräsentative Demokratie, das soll heißen, Vertreter der Menschen, also Politiker, repräsentieren den Staat nach außen und erstellen Gesetze im Interesse und im Namen des Volkes. Dies wird allerdings oft nicht getan. Es ist natürlich klar, dass bestimmte Gesetze nie im Interesse der Bevölkerung sein werden, jedoch für die Erhaltung des Staates notwendig sind, beispielsweise Steuererhöhungen. Ließe man das Volk über eine anstehende Steuererhöhung abstimmen, so gilt es als sicher, dass sich kaum jemand dafür aussprechen würde. Aber besonders Entscheidungen wie die einst umstrittene Frage „Berlin oder Bonn - welche Stadt soll die Hauptstadt Deutschlands sein?“ wären eventuell vom Volk anders getroffen worden, da viele schon im voraus die immensen Kosten, die durch einen Umzug der politischen Institutionen entstehen würden, sahen. Das Volk ist also den Entscheidungen der Politiker ausgeliefert, sofern das Bundesverfassungsgericht nichts einzuwenden hat. Für Auslandseinsätze der Bundeswehr, zum Beispiel für den Einsatz in Mazedonien 2001, ist die Zustimmung des Bundestages, also der Repräsentanten der Bevölkerung, notwendig. Ob jedoch die Abgeordneten so wie das deutsche Volk es wollte entscheiden bzw. entschieden haben, ist ungewiss. Fraktionszwang wird häufig über die Freiheit des Gewissens gesetzt. Deshalb wünschen sich viele Deutsche, bei politischen Entscheidungsprozessen, zumindest in gewissen Themenbereichen, besser mitwirken zu können. Das an die Politiker „ausgeliefert Sein“ und die Tatsache, zumindest auf Bundesebene nicht in Entscheidungsprozesse eingreifen zu können, ist damit ebenfalls ein Grund, weshalb Verdruss gegenüber Politik entsteht.
Einer der Hauptgründe, warum sich Desinteresse an der Politik verbreitet, ist auch, dass es genügend Beispiele gibt, in denen die Politik gescheitert ist, sozusagen „versagt hat.“ Das Problem der Arbeitslosigkeit belastet schon seit vielen Jahren den deutschen Arbeitsmarkt, keine Bundesregierung hat jedoch trotz unzähliger Versuche ein wirksames Mittel gegen sie entwickeln können. Fast vier Millionen Deutsche haben derzeit keine Arbeitsstelle. Es ist vielleicht eine der schlimmsten Situationen für einen Menschen, ohne Einkommen leben zu müssen, angewiesen auf das Arbeitslosengeld. Sogar Studenten mit Universitätsabschluss finden nicht alle Arbeit. Die immense Bedeutung der Entwicklung der Arbeitslosigkeit kann man am Wählerverhalten der Leute beobachten, sie beeinträchtigt die Wählerstimmung deutlich. Gelingt es einer Regierung, Erfolge auf diesem Gebiet zu erzielen, so wird sie erfahrungsgemäß meistens wiedergewählt, steigt sie jedoch an, so ist das einer der beim Volk am häufigsten genannten Gründe für die Wahl der Opposition. Viele Wähler sind auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit wütend auf die Politiker, die sie auch nicht selten als „Versager“ bezeichnen. Derartige Beobachtungen kann man auch im Schulalltag machen: Schüler, die in der Schule keinen Erfolg haben, verlieren meist das Interesse daran. Ähnlich ist dies auch in der Politik. Da es den Politikern nicht gelingt, die Hauptprobleme, die die Bevölkerung am meisten bewegen, wie eben die Arbeitslosigkeit, zu beseitigen, die Politik also scheitert, interessiert sie die Leute nicht mehr und deshalb gehen sie möglicherweise nicht mehr zur Wahl.
Ein weiterer, vielleicht der wichtigste Bereich, in dem die Politik auch zu scheitern droht bzw. bereits gescheitert ist, sind politische Krisen und Konflikte oder Kriege. Die Erfahrungen, die in den Kriegen der Weltgeschichte, vor allem jedoch im Ersten und Zweiten Weltkrieg gemacht wurden, müssten vermuten lassen, dass man endlich aus der Geschichte lernt. Dies ist jedoch nicht so. Jüngste Konflikte, wie zum Beispiel der Kosovokonflikt, aber auch der noch nicht allzu lang zurückliegende Golfkrieg, widerlegen diese Vermutung. Durch Krieg kamen so viele Millionen Menschen um, und dennoch lehrte die Geschichte der Politik einmal mehr nichts: In Afghanistan ist anlässlich der Bombenangriffe auf das World Trade Center vom 11. September 2001 ein neuer Krieg ausgebrochen, Politiker selbst sprechen vom „Krieg gegen den Terrorismus“, der sich aber hauptsächlich auf das Aufenthaltsland des mutmaßlichen Anstifters der Anschläge Bin Laden, Afghanistan, begrenzt. Auf Seiten der Amerikaner wurden bereits Opfer beklagt. Auf Grund dieser ständigen Konflikte muss es einem zwangsläufig so vorkommen, dass die Politik derartige Krisen immer noch nicht durch Diplomatie, sondern nur durch Waffen, lösen kann, also wiederum scheitert. Die Angst vor einem Krieg ist eine der schlimmsten Befürchtungen der Deutschen, das ist allgemein bekannt und von unzähligen Umfragen bestätigt und erneute Anzeichen darauf lassen Menschen die Politik als unfähig und gescheitert betrachten.
Um dieser Reihe von Ursachen entgegenzutreten wird immer wieder diskutiert, wie man erreichen kann, dass sich die Leute wieder für politische Inhalte interessieren bzw. wie man die Politikverdrossenheit beseitigen oder zumindest vermindern kann. Eine mögliche Gegenmaßnahme, die vor allem durch die Medien durchgeführt werden kann, ist Werbung. Hinreichend ist bekannt, dass Werbung ein gutes Mittel ist, dem Volk etwas näher zu bringen, wieso soll dies nicht auch mit Politik möglich sein? Man sollte sich darunter nicht Werbespots für Politik vorstellen. Der Auftritt von Guido Westerwelle in der RTL-Sendung „Big Brother“ war in gewisser Weise auch Werbung für Politik, die gezielt auf Jungendliche gerichtet war. Die FDP wollte damit erreichen, dass bei der Nachwuchsgeneration nicht der Eindruck entsteht, Politiker seien nur ernst und langweilig und der Fernsehauftritt wurde zumindest von den Jugendlichen begrüßt. Die von vielen an diesem Auftritt geübte Kritik, die besagt, seine Kompetenz und das vom Volk entgegengebrachte Vertrauen würden geschädigt, wies er zurück, indem er seinen Auftritt in „Big Brother“ folgendermaßen rechtfertigte:
"Man muss die Leute auch ein bisschen für Demokratie, für Politik interessieren, damit sie nicht weggucken, sondern dass sie dabei sind, wenn so was passiert. [...] Wenn wir die Millionen Jugendlichen erreichen wollen, die sich noch nicht so für Politik interessieren, dann müssen wir dahin gehen, wo sie sind."14
Er ist also ebenfalls der Ansicht, dass die Politiker auch solche, von vielen verpönte, Werbemaßnahmen unternehmen müssen, um beim Volk, besonders den Jungendlichen, Interesse an der Politik zu wecken. Gerhard Schröder hat im Wahlkampf 1998 auch so gehandelt, sein Auftritt in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ war auch Werbung für Politik. Doch auch durch Plakatwerbung könnte man das politische Interesse der Bevölkerung wieder wecken. Neulich sah ich ein Werbeplakat mit folgender Aufschrift: „Wenn Sie nicht zur Wahl gehen, machen andere ihr Kreuz!“ Darunter war ein Hakenkreuz abgebildet. Dieses Plakat soll also aufzeigen, dass es, um rechtsradikalen, neonazistischen Parteien keine Chance zu geben, wichtig ist, dass möglichst viele Leute zur Wahl gehen und ihre Stimme abgeben. Durch derartige Werbung wird dem Wähler wirklich bewusst, dass auch seine Stimme wichtig ist. Deshalb ist Werbung ein wirksames Mittel gegen politisches Desinteresse.
Zudem wäre von Seiten der Medien noch die Möglichkeit gegeben, durch eine bessere und auch verantwortungsbewusstere Berichterstattung das Interesse an Politik wieder herzustellen. Häufig wird kritisiert, dass das Maß an Information überschritten ist, zu viel Berichterstattung nervt den Zuschauer. Selbst drei Tage nach dem 11. September 2001 gab es in den Nachrichten kein anderes Thema als die Terrorangriffe auf die USA und beinahe die gesamte Sendezeit wurde mit Sondersendungen zu diesem Thema gefüllt. Für die meisten Leute war dies zu viel. Eine Anforderung an die Medien wäre also, anstatt eine im Übermaß „informative“, eher eine „explizite“ Berichterstattung: dass beispielsweise nicht nur Sachverhalte dargestellt werden, sondern diese auch hinreichend und verständlich erklärt und mögliche Ursachen dargelegt werden. Es wäre auch ratsam für die Presse, nicht ständig in der Vergangenheit von Politikern oder im Privatleben nach Fehlern zu forschen, wie beispielsweise bei Joschka Fischer, dem derzeitigen Außenminister, denn für die Leute sind nicht diese Fehler wichtig, sondern die Qualität der Politik, die der jeweilige Politiker betreibt. Durch Sensationsberichterstattung wird die Politik enorm geschädigt und deshalb sind die Medien aufgerufen, verantwortungsbewusster zu berichten und zu informieren.
Wichtig ist auch, dass man versucht, besonders Mittel gegen die Politikverdrossenheit bei Jungendlichen zu finden, da sie die Politiker von morgen sind und da einmal entstandene Vorurteile gegenüber der Politik äußerst schwer zu beseitigen sind. Eine notwendige Maßnahme dabei ist, die Politik zu verjüngen. Man könnte vor allem von Seiten der Parteien jüngere Kandidaten für Wahlen nominieren und den Jugendorganisationen mehr Mitspracherecht gewähren. Denn wie bereits erörtert fühlen sich viele Jugendliche nicht gut von alten Politikern repräsentiert. Eine Verjüngung könnte man beispielsweise dadurch erlangen, dass man, ähnlich wie in den USA, eine Höchstanzahl von Amtszeiten vorschreiben würde. Der amerikanische Präsident darf nur einmal wiedergewählt werden, was bei einer Dauer von 4 Jahren einer Legislaturperiode bedeutet, dass keiner länger als 8 Jahre dieses Spitzenamt innehaben kann. Dadurch könnte wiederum vermieden werden, dass, wie zum Beispiel Konrad Adenauer, Politiker mit über 85 Jahren erst zurücktreten. Man wäre dadurch gezwungen, mehr junge Leute, mehr politischen Nachwuchs zu integrieren, da Politiker ein Amt nicht mehr so lange ausführen dürfen und somit andere für sie kandidieren müssen. Allgemein sollten die Parteien ihren Jugendverbänden, wie zum Beispiel den „Jusos“, der „JU“ oder den „Julis“ mehr Mitspracherecht bei Entscheidungen innerhalb der Partei geben und eventuell auch eine gewisse Anzahl an Kandidaten aus diesen Vereinigungen aufstellen, um jüngere Leute in die Parlamente zu bringen, mit denen sich auch Jungendliche identifizieren können.
Zudem könnten die Parteien ihr Jugendangebot ausweiten und ihre Jugendorganisationen attraktiver machen. Denn die Nachwuchsarbeit wird allgemein als mangelhaft angesehen. "Die Nachwuchsarbeit hat man hier regelrecht verschlafen", klagt Sabrina Klingenberg, Vorsitzende der Jusos in Bremen-Nord. „Für Neue fühlt sich niemand zuständig.“15 Verbessern könnte man diesen Zustand, indem die Jugendorganisationen der Parteien ein interessanteres Angebot an Aktivitäten anböte. Dabei denke ich besonders an Veranstaltungen, wie zum Beispiel thematische Abende, zum Beispiel Autorenlesungen, Filmabende bzw. Kinobesuche, Gruppenfahrten und Diskoveranstaltungen. Die JU in meinem Wohnort Grafenwöhr veranstaltet jedes Jahr das sog. „Waldbadfestival“ als Großveranstaltung, ein Open-Air-Fest im städtischen Waldbad, zu dem in den vergangenen Jahren über 1500 Leute kamen, außerdem werden noch zusätzliche Aktionen durchgeführt, wie Ausflüge nach Regensburg, nach München in den bayrischen Landtag, aber auch Fahrten zu Fußballbundesligaspielen. Das Angebot wird von den Jugendlichen positiv angenommen und die Mitglieder des Ortsverbandes steigen kontinuierlich. Wenn schließlich Leute schon in einem Jugendverband von Parteien Mitglied sind, so werden sie auch später meistens Mitglied in der jeweiligen Partei. Man könnte also dadurch Parteienverdrossenheit und somit auch die Politikverdrossenheit bei Jugendlichen vermindern.
Neben einer Verjüngung der Politik und einem attraktiveren Angebot der politischen Jugendorganisationen wäre auch eine ausgeprägtere Behandlung aktueller politischer Themen im Unterricht denkbar. Denn wie bereits erläutert sind politische Prozesse und Inhalte komplex und schwer durchschaubar. Obwohl der Lehrplan in der 10. Jahrgangsstufe der Gymnasien in Bayern 1,5 Wochenstunden im Durchschnitt Sozialkunde enthält (eine Wochenstunde im ersten Halbjahr und zwei im zweiten Halbjahr), ist dies zu wenig Zeit, um auf aktuelle politische Ereignisse einzugehen. Im Eiltempo werden die Grundprinzipien der Verfassung und Gesellschaft, das Gesetzgebungsverfahren und das Wahlrecht durchgenommen, für viele Schüler viel zu schnell, so dass sie das Wahlsystem zumeist nicht begreifen. Man sollte also auf jeden Fall die Anzahl der Wochenstunden Sozialkunde erhöhen und auch in den anderen Jahrgangsstufen dieses Fach eventuell schon einführen bzw. in der elften Klasse fortsetzen. Mit Sicherheit würden daraufhin mehr Schüler das Wahlverfahren verstehen und dessen Vorteile schätzen lernen. Man hätte dann auch genügend Zeit, um auf das augenblickliche politische Geschehen einzugehen, beispielsweise Gesetzesentwürfe zu erklären, oder auch auf regionale, nicht nur bundespolitische Politik, Bezug zu nehmen. Im Rahmen des Sozialkundeunterrichts wären auch zusätzliche Studienfahrten, wie beispielsweise nach Berlin, ein Mittel, um Schüler dem politischen Geschehen näher zu bringen. Viele Schulen, auch das Gymnasium Eschenbach, führen bereits derartige Exkursionen durch, doch besonders in Hauptschulen werden solche Fahrten nicht angeboten, wo das Fach Sozialkunde ohnehin nur in Kombination mit den Fächern Geschichte und Erdkunde unterrichtet wird. Man nennt dieses Schulfach GSE. Dass am Angebot von Politik im Rahmen der Schule durchaus Interesse besteht, lässt sich an meiner Schule am Erfolg des Wahlkurses PuZ - Politik und Zeitgeschichte, an dem ich selbst teilnehme, erkennen. In diesem Kurs werden aktuelle politische Ereignisse und auch regionale Politik besprochen und außerdem Exkursionen wie beispielsweise zu Ausstellungen und Museen unternommen.
Eine der effizientesten Maßnahmen gegen Politikverdrossenheit bei Jugendlichen wäre vermutlich eine Herabsetzung des Wahlalters. Experten halten einen derartigen Schritt schon lange für notwendig und schlagen als neues aktives Wahlalter 16 Jahre vor, das passive sollte man von 21 auf 18 Jahre senken. Auch wenn es auf Bundesebene nicht realisierbar ist, wäre es für Kommunalwahlen auf alle Fälle denkbar und zu verwirklichen. Denn auf der Kommunalebene kennen sich die Jugendlichen besser aus und müssen sich hauptsächlich für Personen entscheiden, deren politische Arbeit sie auf Grund der Tatsache, dass sie von ihr und ihrer Auswirkungen stärker betroffen sind, besser als gut bzw. schlecht einschätzen können. Einige Bundesländer haben ein solches kommunales Wahlrecht ab 16 bereits eingeführt: Bei der Kommunalwahl am 15. September 1996 in Niedersachsen durften erstmals 16- und 17-jährige Vertreter in den Gemeinderäten, Stadträten und Kreisräten, sowie Bürgermeister wählen und inzwischen gibt es dieses Wahlrecht auch in Hessen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Nordrhein- Westfalen. Von den Jugendlichen wird dieses Angebot, wie sich gezeigt hat, positiv angenommen und Befürchtungen, Jugendliche würden vor allem rechte Parteien wählen, haben sich nicht bewahrheitet. Also wäre es auch für die anderen Bundesländer ein sinnvoller Schritt, auf kommunaler Ebene das Wahlalter zu senken. Als es im Jahr 1970 von 21 auf 18 herabgesetzt wurde, gab es auch zuerst heftige Kritik, letztendlich hat sich dieser Schritt jedoch als wichtig und richtig erwiesen und wird heute als selbstverständlich angesehen. Insgesamt würde den Betroffenen dadurch das Gefühl vermittelt, dass ihre Ansicht ernst genommen wird und dass es sich für sie lohnt, am politischen Geschehen Anteil zu nehmen, da sie die Möglichkeit haben, auf dieses durch ihre eigene Stimme Einfluss zu nehmen.
Auch die Politiker können einen großen Teil zum Abbau des Desinteresses beitragen. Besonders ihre komplizierte Ausdrucksweise, von Fremdwörtern und euphemistischen Ausdrücken geprägt, könnten sie verbessern. Eine einfachere Darstellung der Dinge würde es dem Volk erleichtern, politische Sachverhalte zu verstehen und zu bewerten. Denn wie gezeigt ist auch die schwere Verständlichkeit von politischen Themen eine der Ursachen, weshalb sich viele nicht für Politik interessieren und besonders Jugendliche sich abgeschreckt fühlen und distanzieren. Die Politiker sollten sich Gedanken machen, ob es denn unbedingt notwendig ist, so umständlich zu sprechen und versuchen, bei Fernsehauftritten und Reden sich unkomplizierter auszudrücken. Die Reden würden dann auch weniger monoton und langweilig wirken. Die bereits angeführten beschönigenden Ausdrücke wie „Kollateralschaden“ sollte man direkter beschreiben, um Unklarheiten beim Volk zu vermeiden, und keine falschen Eindrücke über Sachlagen, wie in diesem Fall den Kosovo-Krieg, entstehen zu lassen. Das Volk würde mit Sicherheit wieder interessierter zuhören und den Politikern für die bessere Verständlichkeit danken.
Zu einem vermehrten Interesse an Politik würde auch mehr Dialog zwischen den Politikern und der Bevölkerung beitragen. So könnten Politiker beispielsweise regelmäßig Treffen, nicht nur Parteitage und Regionalkonferenzen, veranstalten, wo sie über ihre Pläne und Entscheidungen beim Volk Rechenschaft ablegen. Sicher ist es so, dass sie sehr wohl den Dialog mit dem Volk pflegen, größere Städte werden regelmäßig besucht, um Kundgebungen bzw. Reden zu halten. Wenn Politiker bei einer Veranstaltung jedoch reden, dann läuft es meist so ab, dass sie wegen einem zu engen Terminkalender nur ihre Ansprache halten, dann aber aus Zeitmangel nicht mehr für Fragen der Zuschauer zur Verfügung stehen. Als beispielsweise 1997 Volker Rühe (CDU), damals noch Verteidigungsminister, Grafenwöhr besuchte, landete er auf dem Flughafen des Truppenübungsplatzes, besuchte anschließend Streitkräfte bei der Übung und hielt schließlich ein kurze Rede auf dem Marktplatz. Nachdem er diese beendet hatte, musste er sofort wieder weg und beantwortete nicht die Fragen der Grafenwöhrer, die gerne Auskunft über die Zukunft der Arbeitsstellen im Truppenübungsplatz erhalten wollten. Dies sollte man bei diesen Veranstaltungen anders gestalten. Die Politiker sollten beim Dialog mit dem Volk auf Fragen des Publikums eingehen, für dessen Wünsche offen stehen und vor allem keine Versprechen machen, die nicht einhaltbar sind, bzw. ehrlich sein und nicht versuchen, durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ein falsches Bild von einem Sachverhalt entstehen zu lassen. Ehrlichkeit sollte den Politikern bei Fragen bzw. beim Dialog mit dem Volk also vor allem wichtig sein. In Bayern gibt es auf kommunaler Ebene bereits eine von der bayrischen Verfassung vorgeschriebene Einrichtung, wo Kommunalpolitiker für Fragen der Leute zur Verfügung stehen und über ihre politische Arbeit des letzen Jahres Rechenschaft ablegen: die Bürgerversammlung. Sie ist für die Gemeinden mindestens einmal jährlich einzuberufen. Die Vorschläge und Wünsche, die dabei eingebracht werden, müssen, sofern sie sinnvoll sind, verpflichtend im Markt-, Stadt-, bzw. Gemeinderat diskutiert und abgestimmt werden. In Grafenwöhr ist diese Veranstaltung jedes Jahr gut besucht und ich selbst war auch bereits dort. Insgesamt würde der Dialog mit den Politikern also sicher mehr politisches Interesse bei der Bevölkerung hervorrufen.
Durch eine aktivere Teilnahme am politischen Geschehen und mehr Partizipation kann Politikverdrossenheit jedoch zweifellos am besten abgebaut werden. Eine mögliche Maßnahme, gegen sie vorzugehen, wäre also auch, dem Bürger mehr Einfluss auf politische Entscheidungen zu geben. Eine Reform des ohnehin zu komplizierten Wahlrechts wäre eine Möglichkeit dafür. Die Wahl von wichtigen Ämtern könnte beispielsweise auch durch das Volk vorgenommen werden. Bei einer Wahl mit Zweitstimmen kann der Wähler nicht über den Kandidaten sondern nur über die Parteien abstimmen. Als Willy Brandt 1969 beispielsweise zum Bundeskanzler gewählt wurde, hatte die CDU mehr Stimmen für sich gewonnen, aber die SPD schloss noch in der Wahlnacht eine Koalition mit der FDP, und dadurch wurde die CDU und ihr Spitzenkandidat in die Opposition gedrängt, obwohl dies das Volk durch den Wahlauftrag eigentlich nicht beabsichtigte. Ähnlich war die Situation auch bei der Landtagswahl in Hamburg 2001. Obwohl die SPD die stärkste Partei wurde, schlossen die neu gegründete Schillpartei, die CDU und die FDP eine Koalition und der SPD-Kandidat wurde nicht zum Ministerpräsidenten. Durch eine Direktwahl der Kandidaten können derartige Situationen, die auch zu Politikverdrossenheit führen können, verhindert werden und der Wähler hat gleichzeitig mehr Einfluss auf die Politik. Experten fordern vor allem, dass direkte Wahl bei der Wahl des Bundespräsidenten, einer der beiden wichtigsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, eingeführt wird, da durch eine Direktwahl des Bundeskanzlers das gesamte Regierungssystem zusammen brechen würde. Zudem würde eine direkte Wahl von Kandidaten ermöglichen, dass nicht nur Zugehörige der großen Parteien, sondern auch Parteilose oder Leute von kleineren Parteien, die gut dafür qualifiziert sind, politische Spitzenpositionen erreichen können. Dass das System durchsetzbar ist, zeigt sich in Frankreich, wo der Staatspräsident vom Volk direkt gewählt wird. Die Grünen fordern außerdem, dass bei den Bundestagswahlen dem Wähler ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden sollte, die Reihenfolge auf den Landeslisten zu verändern, indem er den einzelnen Listenkandidaten Stimmen gibt. Dadurch würden keine Leute in den Bundestag kommen, die das Volk gar nicht will, sondern nur auf Grund ihrer Zugehörigkeit und ihrer Funktion in einer Partei ein Mandat erhalten, indem ihnen ein guter Listenplatz gegeben wird. Als Grund führen die Grünen an, dass „das Prinzip der Persönlichkeitswahl gegenüber rein partei-internen Auswahlverfahren gestärkt werde“16. Insgesamt würde durch derartige Veränderungen des Wahlsystems das Interesse des Volkes an Wahlen stärken und somit Politikverdrossenheit vermindern.
Mehr Einfluss auf die Politik würde man zusätzlich erlangen, wenn nicht nur das Volk die Kandidaten direkt wählt, sondern indem man zusätzlich eine Vorwahl der Kandidaten einführt, bei der alle Parteimitglieder, nicht nur, wie oben gezeigt, ein äußerst geringer Anteil, über die Nominierung eines Kandidaten abstimmen. Dieses System gibt es beispielsweise in den USA, wo die relative Mehrheit der Parteimitglieder für die Kandidatur eines Bewerbers erforderlich ist, um ihn zum Kandidaten zu küren, und hat sich dort bewährt, wie sich an der großen Beteiligung an diesen Vorwahlen feststellen lässt. Durch eine derartige Vorausscheidung hätte also der einzelne Angehörige einer Partei mehr Mitspracherecht in derselben und es würden keine Kandidaten aufgestellt, die die Mehrzahl der Parteimitglieder gar nicht will. Das Parteipräsidium könnte also nicht mehr eigenständig und ohne Befragung der Parteibasis Kandidaten zum Beispiel für das Amt des Bundeskanzlers aufstellen. Dieses vermehrte Mitspracherecht würde deshalb auch dazu führen, dass nicht mehr so viele Leute aus Parteien austreten, weil sie denken, keinen interessiert ihre Meinung. Vielleicht gibt es sogar vermehrt Eintritte in Parteien, da die Leute sehen, jetzt kann man aktiv bei der Kandidatenaufstellung mitwirken und die Kandidaten bestimmen, von denen man sich gerne repräsentieren lassen möchte. Denn schließlich ist es häufig so, dass bei einer Wahl nur zwei Kandidaten zur Auswahl stehen, vor allem bei den Bundestagswahlen, von denen einem eigentlich keiner sympathisch oder geeignet erscheint, aber jedoch zwangsläufig einer Bundeskanzler wird. Das könnte man durch eine Vorwahl bereits durch die Kandidatennominierung vermeiden, sofern man sich in einer politischen Partei engagiert. Experten sind sich einig, dass dies zweifellos ein Mittel wäre, um Parteien- und Politikverdrossenheit zu bekämpfen.
Die wirkungsvollste Maßnahme in Bezug auf die Vergrößerung der Einflussmöglichkeit des Volkes auf die Politik wäre jedoch, was auch schon lange von vielen gefordert wird, die Einführung eines Volksentscheides auf Bundesebene. Eine Forsa-Umfrage vom Januar 1999 besagt, dass 70% der Bevölkerung den bundesweiten Volksentscheid wollen. Vor allem in den Bereichen der Rechtschreibreform, des Euros oder bei der Entscheidung über die deutsche Hauptstadt, hätte das Volk gerne mitgesprochen. Im Art. 20,2 steht: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Und weiter: „Das Volk übt seine Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen aus.“ Dieses Abstimmungsrecht ist jedoch bis heute nicht vollständig geregelt, zumindest nicht auf der Bundesebene. Auf Landesebene gibt es die Einrichtungen „Volksbegehren“ und „Volksentscheid“ bereits in allen Bundesländern, auch wenn es bisher nur in drei Bundesländern zu Abstimmungen kam, da sehr hohe Kriterien erfüllt werden müssen. Besonders SPD-Politiker haben sich in letzter Zeit vermehrt für eine Einrichtung des Volksentscheides auch auf Bundesebene ausgesprochen und der SPD- Vorstand hat am 19. März 2001 einen Entwurf für den „Ausbau der Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Bundesebene“17 beschlossen, in dem er die Einführung einer „Volksinitiative“ und eines „Volksbegehrens“ und „Volksentscheides“ auf Bundesebene vorsieht:
„Die SPD schlägt die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid als Instrumente vor, die von der Einführung der Volksinitiative unabhängig initiiert werden können, um den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar mehr verantwortliche Mitentscheidungsrechte in wichtigen Sach- und Grundsatzfragen einzuräumen.“17
Die Anforderungen und die Bereiche, in denen es einen Volksentscheid überhaupt geben kann, sollen ferner im Bundestag geklärt werden. Auch einige Unionspolitiker sind für Volksentscheide auf Bundesebene, so zum Beispiel der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der ein Referendum für die Osterweiterung der EU fordert:
"Ich würde es begrüßen, die Ergebnisse der nächsten europäischen Regierungskonferenz 2004, mit der sich Europa fit machen will, vor allem für die Osterweiterung, den Bürgern in Deutschland in einem Referendum zur Zustimmung vorzulegen", sagte er am 8. November 2001 in der Bayrischen Landesvertretung in Berlin.18
Durch derartige Abstimmungen wird den Leuten die Chance gegeben, sich an der Lösung und Diskussion von Problemen zu beteiligen und somit mehr Einfluss auf die Politik, von der sie ja selbst die unmittelbar Betroffenen sind, auszuüben, nicht nur alle 4 Jahre bei den Wahlen. Denkbar wäre auch, dass die Entscheidung der Bevölkerung bei Verfassungsänderungen erforderlich wird, wie es zum Beispiel in Bayern nach Art. 75,2 der bayrischen Verfassung geregelt ist, damit das Volk auch auf die Grundlagen verändernden Gesetze Einfluss hat.
Ich persönlich bin der Auffassung, dass man beim Thema Politikverdrossenheit nicht übertreiben darf. Man wird es nie erreichen können, die gesamte Bevölkerung für Politik zu interessieren oder gar zu begeistern und dafür zu sorgen, dass alle aktiv mitwirken und dass es Wahlbeteiligungen über 90% gibt. Außerdem ist es nicht zwingend, dass man, wenn man nicht zur Wahl geht, sich nicht für Politik interessiert. Es gibt durchaus interessierte Leute, die sich bewusst ihrer Stimme enthalten. Insgesamt denke ich, dass bereits Schritte in die richtige Richtung unternommen werden, zum Beispiel der angeführte Beschluss der SPD, in welchem sie sich für Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene ausspricht. In meinem Heimatort, Grafenwöhr, ist das Angebot der Jugendorganisationen der Parteien, vor allem der JU und der Jusos, gut und ausreichend und es engagieren sich viele Jugendliche bei ihren Aktionen. Klar muss natürlich auch sein, dass man Politikverdrossenheit nicht von einem Tag auf den anderen bekämpfen kann, schließlich ist sie auch nicht plötzlich aufgetreten, sondern nur durch eine Vielzahl von Maßnahmen langsam verringern kann, vor allem im Bereich der Jugend. Wenn man sich für die Jugendlichen einsetzt und endlich lernt, das Volk nicht zu hintergehen und auf die Wünsche und Interessen der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen und nicht willkürlich Gesetze beschließt, dann bin ich sicher, dass es möglich ist, Politikverdrossenheit langfristig zu verringern und dass das Wort „Politikverdrossenheit“ als „Wort des Jahres“ nicht mehr zur Wahl anstehen wird.
[...]
1 Quelle: Internetseite „http://www.stala.sachsen-anhalt.de/lw98/e_lw_1.htm“ des Landeswahlleiters von Sachsen-Anhalt vom 14.10.1990, Titel: „Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990 und 26. Juni 1994“, aufgerufen am 11.11.01
2 Quelle: Internetseite „http://www.brandenburg.de/wahlen/wahlen/landtag/landt1.htm“ vom Landeswahlleiter Brandenburgs (ohne Erscheinungsdatum), Titel: „Landtagswahlen - Landesergebnisse 1990, 1994 und 1999“, aufgerufen am 11.11.01
3 Quelle: Internetseite „http://www.destatis.de/wahlen/euro99/d/t/bun.htm“ des Bundeswahlleiters vom 13. Juni 1999, Titel: „Europawahlen 1999“, aufgerufen am 11.11.2001
4 Quelle: Emnid-Umfrage, Mai 1995
5 Quelle: Internetseite „http://www.bundestag.de/aktuell/bp/1998/bp9804/9804006.html” des deutschen Bundestags vom 4. November 1998, Titel: „Stühlerücken im Plenarsaal“, aufgerufen am 11.11.2001
6 siehe Seite 3, Fußnote 2
7 Quelle: Infratest dimap, vgl. Internetseite „http://www.br-online.de/politik/ard-report/2000/report_0131/gespraech_weidenfeld2.html“ des bayrischen Rundfunks (ohne Titel, ohne Autor) vom 31.01. 2001, aufgerufen am 12.11.01
8 Quelle: Internetseite http://www2.tagesspiegel.de/archiv/2001/01/24/ak-po-in-11001.html des Tagesspiegel, ohne Autor, Titel: „CDU-Wahlwerbung“ vom 25.01.2001, aufgerufen am 11.11.01
9 Quelle: Süddeutsche Zeitung, 26.1.2001, S.8 (ohne Autor )
10 Quelle: Süddeutsche Zeitung, 25.November 1999, S.10 (ohne Autor)
11 Quelle: Münchner Merkur, 7.Juli 1999, S.4 (ohne Autor)
12 Quelle: Satzung der CSU, Abschnitt 4, Fassung vom 18. November 2000, vgl. auch Internetseite „http://www.csu.de/DiePartei/satzung.htm“ der CSU, Fassung vom 18. November 2000, aufgerufen am 12.11.01 11
13 Das Jugendwerk der Deutsch Shell AG beauftragt jährlich führende Forschungsinstitute mit der Erstellung von Jugendstudien 12
14 Quelle: Internetseite „http://www.br-online.de/politik/ard-report/2000/report_1023/medienpolitiker.html“, Bericht von Christian Nitsche vom 23.10.2001, Titel: „Politiker in den Medien“, aufgerufen am 13.11.01
15 Quelle: taz Bremen Nr. 6457 vom 29.5.2001, Seite 21, Titel: „Politikverdrossenheit bei Jugendlichen“, ohne Autor 15
16 Beschluss der 14. Ordentl. Bundesdelegiertenkonferenz 17.-19. März 2000, Karlsruhe, Schwarzwaldhalle
17 Quelle: Internetseite „http://www.spd.de/events/demokratie/beteiligungsrechte.html“ der SPD vom 19.03.01 (ohne Autor und Titel), aufgerufen am 17.11.01
18 Quelle: Internetseite „http://www.spiegel.de/politik/europa/0,1518,166758,00.html“ des Spiegels (ohne Autor), Titel: „Stoiber will Bürger über Europa abstimmen lassen“ vom 08.11.01, aufgerufen am 15.11.01
- Quote paper
- Fabian Brunner (Author), 2001, Politikverdrossenheit - Ursachen und Gegenmaßnahmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105613
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