Inhalt
1. Einleitung
2. Vorvertraglicher Zustand
3. Dilemma des Naturzustands und Vertragsschluss
4. Nachvertraglicher Zustand
5. Gesamtbeurteilung und Ausblick
6. Literatur
1. Einleitung
Die politische Philosophie der Neuzeit ist auf der Suche nach der Antwort, was die Menschen dazu treibt, sich in Staaten zu organisieren. Im Gegensatz zur Antike ist dabei von Interesse, dass alle Menschen dem Vertrag zur Begründung einer Gesellschaft beistimmen. Im Vordergrund steht also vor allem die Legitimität von politischer Herrschaft und staatlicher Gewalt und, allerdings erst bei Locke, die Frage nach der Machteinschränkung.
Thomas Hobbes und John Locke gehören zu den ersten, die diese Überlegungen formuliert haben. Deshalb ist von besonderem Interesse, die Anfänge der neuzeitlichen politischen Philosophie zu betrachten. Im folgenden sollen die Konzepte der beiden Philosophen entwickelt werden. Dabei werden zur analytischen Betrachtung drei Phasen unterschieden, die für die Argumentation der Vertragstheorien von Hobbes und Locke zentral sind: Vorvertraglicher Zustand, Vertragsschluss und nachvertraglicher Zustand. In jedem Abschnitt werden die grundlegenden Punkte der Autoren vorgestellt und anschliessend diskutiert.
2. Vorvertraglicher Zustand
Die Basis der von Hobbes formulierten Vertragstheorie ist der Naturzustand. Damit ist der vorvertragliche Zustand gemeint, in dem sich die Menschen noch nicht zu einer Gemeinschaft zusammen geschlossen haben. Die vorvertragliche Phase ist gekennzeichnet durch einen permanenten Kriegszustand, was Hobbes (1992: 94f.) anhand seiner Konzeption des Menschenbilds zu erklären versucht. Er geht davon aus, dass kein grosser Unterschied zwischen den Menschen vorhanden ist, was die körperlichen und geistigen Fähigkeiten betrifft. Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb der eine einen Vorteil für sich beanspruchen könnte, den ein anderer nicht auf für sich verlangen darf. Wenn nun aber zwei Menschen dieselben Absichten verfolgen, entsteht eine Konkurrenzsituation - besonders dann, wenn Güter knapp sind und nur einer sein Ziel erreichen kann. Die Anhäufung materiellen Reichtums ist zentral. Gelingt sie nicht, ist die Existenz des Individuums bedroht. Deshalb richtet der Mensch sein Leben in erster Linie auf Selbsterhaltung aus. Der Drang zur Selbsterhaltung ist sozialdarwinistischer Natur: Um einen möglichst grossen Spielraum für die Selbsterhaltung zu haben, gilt es präventiv Macht zu sichern. Macht wird so zum „Mittel zu dem Zwecke, mehr Macht zu gewinnen.“ (Braun/Heine/Opolka 1994: 125). Der beste Weg zur Selbsterhaltung ist, jeden mit Gewalt und List zu unterwerfen, um die eigene Macht auszubauen und die Ausgangslage zu verbessern. Hobbes (1992: 99) versteht diese Freiheit, die eigene Macht nach seinem Willen zur Selbsterhaltung einzusetzen, als natürliches Recht. Wer es nicht nutzt, wird von einem anderen überrannt und geht unter. Dies aber verbietet das auf der Vernunft begründete Gesetz der Natur, das dem Menschen untersagt, sein eigenes Leben zu vernichten. Das Gesetz der Natur veranlasst ihn, strategisch, d.h. unter Gebrauch der Vernunft, zu handeln, die Lebenssituationen jeweils zugunsten der eigenen Vorteile abzuwägen. In diesem Sinne ist der Mensch ein Nutzenmaximierer. Und wenn ihn keine Macht im Zaum hält, verfolgt er unbeirrt seine Interessen.
Diese Umstände lassen Misstrauen, Konkurrenz und Ruhmsucht aufkommen. Der Zustand der Unsicherheit ist kennzeichnend für den Kriegszustand, der nach Hobbes bereits durch die latente Kriegsbereitschaft als solcher bezeichnet werden muss. Die tägliche Furcht des Menschen ist, einen gewaltsamen Tod zu finden. Die Angst ist somit die Antriebskraft für jedes Handeln. Aus diesem Grund ist es für den Menschen auch nicht interessant, mit anderen zusammenzuleben, solange es keine oberste Gewalt gibt, die für Ordnung sorgt (Hobbes 1992: 95).
Der Naturzustand ist für Hobbes also „gekennzeichnet durch das Fehlen jeglicher Ordnung, durch Gewalt, Bürgerkrieg und Mord.“ (Braun/Heine/Opolka 1994: 124) Die Menschen handeln im Naturzustand aber ohne Sünde, da sie keine Gesetze kennen, die ihre Triebe einschränken. Der Krieg ist somit weder gerecht noch ungerecht, jeder kann einen Besitz für sich beanspruchen, so lange er ihn für sich behaupten kann (Hobbes 1992: 97f.).
Auch Locke bedient sich in seiner Argumentation des Begriffs des Naturzustands, den er als Zustand fehlender Rechtsordnung beschreibt. Er ist aber auch ein Zustand der Gleichheit und Freiheit: Jeder soll ohne Unterordnung bzw. Unterwerfung dem anderen gleichgestellt sein (Locke 1977: 201f.). Die Menschen regeln ihre Handlungen nach eigenem Gutdünken und verfügen über ihren Besitz und ihre Persönlichkeit, wie es ihnen am besten scheint. Die Freiheit darf aber kein Zustand der Zügellosigkeit sein, sondern erfährt Einschränkungen: Da alle gleich und unabhängig sind, hat niemand das Recht, sich selbst oder ein anderes Lebewesen zu vernichten, wenn dies zwecks Selbsterhaltung nicht erforderlich ist. Jeder ist verpflichtet, sich selbst und nach Möglichkeit auch die anderen zu erhalten. Locke (1977: 203) bezeichnet diese gegenseitig Anerkennung und Achtung als natürliches Gesetz. Damit nun die Menschen ihre Rechte nicht gegenseitig beeinträchtigen, ist jeder zur Vollstreckung des natürlichen Gesetzes berechtigt. Ein Geschädigter hat das Recht der Bestrafung des Täters und das Recht auf Wiedergutmachung. Dadurch kann jeder Macht über den anderen erhalten, die er aber besonnen ausüben soll. Das Gewissen soll vorschreiben, wie hoch das Strafmass sein soll, damit es der Wiedergutmachung oder der Abschreckung dienen kann. Ein weiteres Recht im Naturzustand ist das Recht auf Eigentum. Jeder kann sich ein herrenloses Gut durch Bearbeitung aneignen und als sein Eigentum nutzen.
Diskussion: Hobbes und Locke gehen von der Gleichheit der Menschen aus. Gleich sind die Menschen bei Hobbes aufgrund derselben Fähigkeiten und der gleichsamen Gefahr jedes Menschen, einen gewaltsamen Tod zu finden. Für Locke führt die Gleichheit der Fähigkeiten zu demselben Recht für alle, Recht zu sprechen. Er führt damit eine menschenrechtliche Gleichheit ein (Kersting 1996: 140). Auch die Freiheit wird unterschiedlich ausgelegt. Bei Hobbes ist sie als natürliches Recht, alles für die Selbsterhaltung zu tun, grenzenlos. Bei Locke hingegen liegt die Bedeutung der Freiheit in der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit (Kersting 1996: 110). Sie wird durch das natürliche Gesetz, niemandem Schaden hinzuzufügen, zurück gebunden.
Auch sonst ist die Konzeption des Naturzustands verschieden: Während ihn Hobbes als Kriegszustand auffasst, setzt ihn Locke als Zustand der Rechtsunsicherheit fest, aber noch lange nicht als Krieg aller gegen alle (Braun/Heine/Opolka 1994: 140).
Hobbes geht zudem mit seiner Analyse anthropologisch verankerter Verhaltensweisen eher deskriptiv vor, während Locke ein normatives Modell aufstellt, das eine bereits differenzierte Ethik vom Menschen abverlangt - beispielsweise einen Gerechtigkeitssinn bei der Vollstreckung des natürlichen Gesetzes. Hobbes hat - geprägt von den Kriegs- und Bürgerkriegswirren seiner Zeit - ein äusserst negatives Menschenbild in seine Konzeption einfliessen lassen (vgl. Braun/Heine/Opolka 1994: 122f; 136). Die Menschen leben ohne gesellschaftliche Ordnung und die daraus resultierenden Vorteile wie Handel und Gewerbe. Bei Locke verhält dafür die Begründung der Selbsterhaltung nicht. Er führt sie zurück auf Arbeit und Eigentum. In diesem Falle müssten aber alle Arbeit und dasselbe Recht auf Eigentum haben - Knechte könnte es somit gar nicht geben (Braun/Heine/Opolka 1994: 143).
3. Dilemma das Naturzustandes und Vertragsschluss
Hobbes und Locke ist gemeinsam, dass ihre Konzeption des Naturzustandes mit einem Dilemma verbunden sind. Das Dilemma bei Hobbes ist die ständige Furcht und Existenzbedrohung. Von seinem Selbsterhaltungsrecht kann der Mensch wenig Gebrauch machen, wenn ein anderer das Recht auf dieselben Dinge und Handlungen hat. Um sein Leben zu erhalten, versucht der Mensch deshalb, friedenssichernde Verträge zu schliessen. Den Menschen macht also vor allem die Todesfurcht friedfertig, hinzu kommt „das Verlangen nach Dingen, die zu einem angenehmen Leben notwendig sind und die Hoffnung, sie durch Fleiss erlangen zu können.“ (Hobbes 1992: 98). Es ist also erneut die Vernunft, die den Menschen steuert und zum Vertragsschluss veranlasst. Mit dieser Argumentation führt Hobbes konsequent die Zweckrationalität und Nutzenmaximierung des menschlichen Denkens sowie die Logik des natürlichen Gesetzes weiter. Der Frieden scheint der beste Weg zu Erhaltung der eigenen Natur zu sein. Deshalb soll sich jeder darum bemühen, solange Hoffnung dazu besteht (Hobbes 1992: 99). Daraus leitet Hobbes ab, dass jeder auf sein Recht verzichten soll, wenn auch andere dazu bereit sind - vorausgesetzt, der Trieb zur Selbsterhaltung lässt dies zu. Dieser gegenseitige Verzicht auf Rechte - bzw. die wechselseitige Übertragung von Rechten - nennt Hobbes Vertrag. Wirksam können diese Verträge aber erst werden, wenn eine geregelte Macht ihre Einhaltung garantiert. Deshalb versucht Hobbes, eine neutrale Instanz zu finden, die den Frieden garantiert und Streit schlichtet (Braun/Heine/Opolka 1994: 131). Damit diese Instanz ihre Aufgabe ausführen kann, benötigt sie Macht. Die Lösung sieht Hobbes (1992:134) in der Machtmonopolisierung auf einen Körper, dessen Legitimation durch die freiwillige Zustimmung aller erfolgt: „Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, dass du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst.“ Diese zu einer Person vereinte Menge nennt Hobbes Staat. Er ist das Ergebnis einer Übereinkunft der Menschen, die höchste Gewalt einem Körper zu übergeben, damit sie dieser zur Erhaltung des Friedens und der gemeinsamen Verteidigung einsetzt. Der so entstandene Leviathan ist als entpersonalisertes Bild des Staates im Besitze der ganzen Macht. Er ist der Souverän, der für seine Untertanen denkt und handelt. Was er bezüglich Frieden und Sicherheit beschliesst und veranlasst, wird von jeder Person als eigener Wille anerkannt (Hobbes 1992: 134f.).
Das Dilemma des Naturzustandes bei John Locke (1977: 209) ist, dass das Naturgesetz der Komplexität des Lebens nicht gerecht wird. Als Problem erweist sich besonders die Rechtsunsicherheit. Obwohl der Mensch im Naturzustand ein Recht hat, ist er fortwährend den Übergriffen anderer ausgesetzt. Sein Eigentum ist deshalb unsicher. So ist die Erhaltung des Eigentums der Hauptgrund für einen Vertragsschluss. Eine Vereinigung zum gegenseitigen Schluss sichert Leben, Freiheit und Vermögen. Dem Naturzustand hingegen fehlen drei Dinge, um diese Funktion zu erfüllen: Erstens fehlt ein geordnetes und bekanntes Gesetz, zweitens anerkannte und unparteiische Richter und drittens eine Gewalt, die den Gesetzen Rückhalt gibt (Locke 1977: 278f.). Gerade die Vollstreckung der Gesetzte durch jeden einzelnen ist bedroht durch Parteilichkeit. Da im Naturzustand jeder Richter in eigener Sache ist, ist die Gefahr der verhältnislosen Rechtsprechung aufgrund ungenügender Distanz und starken Emotionen gross. Um diese Mängel zu beheben, wird ein Gesellschaftsvertrag eingegangen. Die so entstandene Gemeinschaft setzt nun die Normen fest. Die Parteilichkeit und die Gewalttätigkeit der Menschen wird also vom Staat in Schranken verwiesen (Locke 1977: 207). Der Vertragsschluss geht somit einher mit einer Abgabe von Rechten. Während die primären Rechte - Recht auf Freiheit und Eigentum - weitgehend unangetastet bleiben1, wird das sekundäre Recht der Verteidigung der primären Rechte vollständig abgegeben. Es wird dem Staat übergeben, der es treuhänderisch verwaltet und nun als Rechtsgarant auftritt. Er setzt Strafmasse fest, hat die Gewalt zur Bestrafung von Unrecht und ist jene Autorität, die die Menschen in Streitfällen anrufen können. Diese allen bekannte Autorität ist das Mittel, die Unzuträglichkeit des Naturzustands zu lösen. Wo keine solche gemeinsame Berufungsinstanz besteht, befindet sich eine Gesellschaft noch im Naturzustand. Die bürgerliche Gesellschaft nach Locke ist somit nicht verträglich mit der absoluten Monarchie. Der absolute Fürst, der die legislative und exekutive Gewalt in einer Person vereinigt, kann kein unparteiischer Richter sein. Der Monarch - auch nur ein Mensch - ist befangen und fehlbar. Damit befindet sich die Monarchie im Naturzustand - schlimmer noch, ein Naturzustand ohne Freiheit (Locke 1977: 207, 254ff.). Es gibt also nur dort eine politische Gesellschaft, wo jedes einzelne Mitglied seine natürliche Gewalt aufgegeben hat (Locke 1977: 253).
Diskussion: Die Gründe, die zum Zusammenschluss der Menschen führen, sind verschieden. Locke sieht den Übergang vom Naturzustand zur Gesellschaft in der beständigen Sicherung des Eigentums begründet. Die Bereitschaft, freiwillig Rechte abzugeben - jene der Vollstreckung - wird dafür aufgebracht. Bei Hobbes wird diese Bereitschaft durch Angst vor dem Tod hervorgerufen. Fraglich ist, wie es bei Hobbes überhaupt zu einer Vertragseinigung kommen kann: Wenn im Naturzustand jeder dem anderen misstraut, wird er sich hüten, ein Kooperationsopfer aufzubringen und Rechte abzugeben. Er muss ja davon ausgehen, dass sich der andere nicht gleich verhält. Geht man aber davon aus, dass der Naturzustand fiktiv ist, ist der Einwand unbegründet: In diesem Fall ist die Frage nicht, wie der Naturzustand überwunden, sondern wie das Eintreten des Naturzustands verhindert werden kann (Kersting 1996: 81f.).
Gemeinsam ist beiden Autoren, dass sie sich an einem Schiedsrichtermodell orientieren: Der Naturzustand ist bei beiden erst überwunden, wenn ein letztinstanzliches Entscheidungsverfahren etabliert ist - sei es nun der Leviathan oder ein unparteiischer Richter (Kersting 1996: 124f.). Und letztlich geht es beiden um die Existenzsicherung, in radikaler Ausprägung bei Hobbes, gemässigter aber auch bei Locke.
4. Nachvertraglicher Zustand
Wie sieht nun der Hobbsche und der Locksche Staat aus? Bei Hobbes wacht ja der Leviathan als Souverän über die Einhaltung des Vertrags. Er ist eingesetzt, um ihn durchzusetzen und die Gesellschaft zu überwachen. Damit dies aber gelingt, müsste im Grunde genommen jeder einzelne kontrolliert werden. Gerade in einer Gesellschaft, die aus lauter Nutzenmaximierer besteht, ist dies unerlässlich. So ist doch auch hier noch immer jeder auf seinen Vorteil bedacht und wird jede Gelegenheit nutzen, ihn wahrzunehmen. Um die Grenzen klar abzustecken, wäre deshalb ein Polizeistaat notwendig. Tatsächlich ist es auch die Furcht des Menschen vor den Sanktionen der höheren Gewalt, die ihn abschreckt, gegen das Gesetz zu verstossen. So kennt Hobbes (1992: 108) nur zwei Mittel zur Verstärkung der Verträge. Zum einen die Furcht vor den Folgen eines Wortbruchs, zum anderen das Gefühl des Ruhms oder Stolzes. Letzteres bezeichnet Hobbes als äusserst seltener Fall, während für ihn die Furcht vor der Macht der Menschen sehr ausgeprägt ist. Angst ist also - wie im Naturzustand - weiterhin ein bestimmendes Thema.
Die absolute Macht des Leviathan stellt die Gesellschaft aber noch vor ein anderes Problem: Da er erst durch den Vertragsschluss eingesetzt worden ist, kann er selbst nicht Vertragspartner sein. Damit wird der Vertrag unkündbar. Wäre er Vertragspartei, könnte er in einem Streit zwischen den Vertragsparteien nicht schlichten. Dem Souverän ist also nicht Macht auf Zeit übertragen worden, er ist vielmehr die Macht. Er bewegt sich in einem rechtsfreien Raum und ist - da nicht eingeschränkt durch Normen - unfehlbar. Damit rechtfertigt Hobbes den Absolutismus, insbesondere das englische Königtum seiner Zeit. Er greift Louis XIV. vor, der mit der Formel „L’état c’est moi“ sämtliche Macht in einer Person vereinigt (Braun/Heine/Opolka 1994: 135f.; Kersting 1996: 97f.)
Locke hingegen legt den Grundstein für die bürgerliche Freiheitsbewegung. Er führt das Mehrheitsprinzip ein. Wenn sich Menschen dazu entschlossen haben, eine Gemeinschaft zu bilden, so seine Begründung, haben sie sich gleichzeitig in ihr einverleibt, d.h. sie bilden einen einzigen politischen Körper. Nur die Mehrheit kann hier das Recht haben, zu handeln und die anderen mitzuverpflichten, denn da „sich ein einziger Körper auch nur in einer einzigen Richtung bewegen kann, so muss sich notwendigerweise der Körper dahin bewegen, wohin die stärkere Kraft ihn treibt.“ (Locke 1977: 260) Nur die Übereinkunft der Mehrheit kann als Beschluss für die Gesamtheit gelten. Die Zustimmung jedes einzelnen im Sinne einer Konsensfindung ist extrem umständlich, sogar unmöglich: Schon an der räumlichen Präsenz dürfte dies scheitern, von den verschiedenen Meinungen der Individuen ganz zu schweigen. Die Mehrheit bestimmt also die Ordnung und setzt zu deren Einhaltung die Regierung ein. Deren wichtigste Funktion ist somit die Gewährleistung des Vertrags bzw. die Ausübung des übertragenen Bestrafungsrecht, und zwar durch Abschreckung nach innen und nach aussen (Braun/Heine/Opolka 1994: 149). Dies ermöglicht dem Menschen die Ausübung seiner primären Rechte: die Wahrnehmung der Freiheit und die Verfolgung des Privatinteresses an Besitz.
Die Kompetenzen des Staates werden aber genau geregelt. Ihm sind vertragliche Verpflichtungen auferlegt worden, die den legitimen Aufgabenbereich beschreiben. Die Macht des Souveräns ist somit begrenzt und wird kontrolliert. Ein wichtiges Instrument dazu ist die Gewaltenteilung in eine Legislative und Exekutive. Missbrauchen diese Instanzen ihre Funktionsmacht, beispielsweise durch Missachtung der natürlichen Rechte der Bürger, ist die politische Gesellschaft berechtigt, der Regierung Widerstand zu leisten (Widerstandsrecht).
Diskussion: Der grundlegendste Unterschied zwischen der Staatskonzeption von Hobbes und Locke ist die Regierungsform. Für Hobbes ist ein Mehrheitsprinzip nach Locke undenkbar: Der einmal geschaffene Staat ist absolut und besitzt nicht teilbare Macht (Braun/Heine/Opolka 1994:148). Der politische Körper wirkt daher erschreckender als bei Locke. Ihm werden sozusagen alle Rechte anvertraut, bei Locke bleibt das primäre Recht in den Händen des Individuums. Dadurch wird Hobbes zum Rechtspositivist. Recht ist, was der Staat als Recht anschaut. Sein Recht ist von anderen Normen, Religion und Göttlichkeit abgekoppelt, andere Richtlinien und Verhaltensregeln gelten nicht. Seine Regierungsform erhält damit totalitäre Züge. Der unfehlbare Leviathan trifft die politische Entscheidungen, das Volk unterwirft sich seinen Beschlüssen. Anders hingegen Lo>erster Linie das Naturgesetz, nicht nur das staatliche Recht. Bei Locke findet so eine Abkehr von Gottesgnadentum und Absolutismus statt. Er wendet sich in Richtung einer bürgerlichen Gesellschaft. Er konstituiert durch die Einschränkung der exekutiven Gewalt einen Verfassungsstaat und manifestiert den bürgerlichen Liberalismus. Während bei Hobbes der Gesellschaftsvertrag unkündbar ist, kann er bei Locke beendet werden, wenn die Regierung gegen die Rechte der Bürger verstösst.
Der gesellschaftliche Vertrag ist bei Locke allerdings ein Begunstvertrag für die Reichen, der den ohnehin schon benachteiligten nicht viel nützt. Ungleiche Verteilung von Kapital und Produktionsmitteln werden nicht hinterfragt, sie resultieren vielmehr aus dem Bestreben der Kapital- und Besitzakkumulation (Braun/Heine/Opolka 1994: 145). Das Privateigentum ist für Locke unantastbar - und damit auch die Frage nach der gerechten Verteilung der Güter.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt sowohl bei Hobbes als auch bei Locke betrifft die Repräsentativität der Regierung. Einmal ins Amt gehoben, schaltet und waltet der Leviathan bei Hobbes nach Gutdünken ohne Rücksprache mit seinen Untertanen. Ihre Meinung wird nicht eingeholt, impliziert wird, dass sie ohnehin dieselben Ansichten wie der Souverän haben - sonst hätten sie ihn ja nicht eingesetzt. Nicht berücksichtigt wird der Gedanke, dass sich der Souverän von den Anliegen des Volks entfernen kann - besonders, wenn er keinen Kontroll- und Sanktionsorganen unterworfen ist. Dies ist bei Locke besser, der mit der Gewaltenteilung die Macht der Regierung zurück bindet. Bedenklich ist bei ihm dafür die Macht der Mehrheit, die über die Minderheiten bestimmt. Minderheitenschutz scheint ein unbekannter Begriff für Locke zu sein. Er fordert die bedingungslose Anpassung an den Mehrheitsentscheid und berücksichtigt nicht, dass dieser auch fehlbar sein kann. Eine solche Auffassung ist kollektivistisch, rationale Diskurse und kommunikatives Handeln wie bei Habermas finden nicht statt.
5. Gesamtbeurteilung und Ausblick
Letztlich kann festgestellt werden, dass die aristotelischen Fragen nach der besten Staatsform und dem glücklichen Leben in den Hintergrund rücken. Im Interesse steht bei Hobbes lediglich die Friedenssicherung als zentrale Aufgabe des Staats. Sie dient dem ökonomischen Fortschritt und der Sicherung des Privateigentums (Braun/Heine/Opolka 1994: 136; Kersting 1996: 59f.).
Bei Locke stehen dafür die Bedingungen und Möglichkeiten einer weitgehenden Entfaltung der bürgerlichen Produktion im Vordergrund. Das besitzende Bürgertum sollte ein Höchstmass an politischer Freiheit und Autonomie zugesprochen bekommen (Braun/Heine/Opolka 1994: 137). Der Staat hat also lediglich die Funktion, die Kapitalinteressen der Bürger zu vertreten.
Im Vordergrund stehen sowohl bei Locke als auch bei Hobbes jeweils die Interessen des Einzelnen. Der Ausbau von Gemeinschaftsrechten interessiert nicht. Dies bemängeln Hegel und Marx in ihrer Kritik am bürgerlichen Liberalismus ebenso wie das Menschenbild des isolierten Individuums, das eine gesamtgesellschaftliche Perspektiv vernebelt. So kann Locke vorgeworfen werden, „Verdenker der politischen Emanzipation eines Bürgertums [zu sein / MW], dem Eigentum über alles geht und das andererseits nur ein begrenztes Interesse an einer revolutionären Umwälzung bestehender Verhältnisse hat.“ (Braun/Heine/Opolka 1994: 153).
Man denke hier nur an die ungleiche Verteilung von Gütern, die Rousseau später stark kritisiert. Lockes Verdienst ist es dafür, über den Herrschaftsbegründungsvertrag von Hobbes hinauszugehen und zusätzlich einen Herrschaftsbegrenzungsvertrag zu entwickeln (Kersting 1996: 96).
Es ist aber erkennbar, dass von Hobbes zu Locke ein Demokratisierungsprozess eingesetzt hat, der die kommenden Jahrhunderte unaufhaltsam fortschreitet und in den Konzepten von Habermas, Rawls und anderen Autoren Verfeinerungen erfährt.
6. Literatur
Braun, Eberhard / Heine, Felix / Opolka, Uwe (1994): Politische Philosophie. Reinbeck.
Hobbes, Thomas (1992): Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Frankfurt a.M.
Kersting, Wolfgang (1996): Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags. Darmstadt.
Locke, John (1977): Zwei Abhandlungen über die Regierung. Frankfurt a.M.
[...]
1 Sie werden allerdings durch die Gesetze der Gesellschaft geregelt.
- Arbeit zitieren
- Michel Wenzler (Autor:in), 2000, Rechtfertigung politischer Herrschaft und staatlicher Gewalt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105515
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