Zusammenfassung
In vorliegender Seminararbeit wird die Theorie sozialer Entscheidungsschemata, social decision scheme theory, im Folgenden auch kurz als die SDS bezeichnet, nach Davis (1973), d.h. in ihrer ursprünglichen Form behandelt. Die SDS hat in der wissenschaftlichen Nachfolgezeit Erweiterungen und Differenzierungen erfahren. Ich werde auf diese erweiterten Theorien in der Seminarberbeit nur ansatzweise eingehen.
Einleitend wird eine Übersicht über den Inhalt der SDS gegeben in Bezugnahme auf das übergeordnete Thema des Seminars, Gruppen als informationsverarbeitende Systeme. Grundlage ist die Theorie in ihrer ursprünglichen Fassung nach Davis (1973). In dem Seminar wurde anhand Stasser (1999) die Theorie vorgestellt als auch deren Weiterentwicklung und Einbettung in den sozialpsychologischen Forschungsbereich Gruppenproblemlösen aufgezeigt. Der Ansatz der Theorie ist ein streng formaler. Dadurch grenzt sich die SDS von benachbarten Forschungsansätzen ab. Die Seminararbeit abschließend werden sowohl die Vorteile als auch die Nachteile der Theorie diskutiert.
Social Decision Scheme Theory
Im Rahmen des Seminars „Gruppen als informationsverarbeitende Systeme“ wurde anhand Stasser (1999) die s ocial decision scheme theory nach Davis (1973) vorgestellt (Theorie der sozialen Entscheidungsschemata) und diskutiert. Durch Bezugnahme zu anderen Theorien, die im Seminar behandelt wurden, wurde die SDS in den Kontext des Seminars gestellt, in dem es ganz allgemein um Gruppenproblemlösen ging. Untersucht wurde im Seminar u.a., inwieweit diese Gruppen als informationsverarbeitende Systeme definiert sind und in welchem Kontext und nach welchen Kriterien Leistungen einer Gruppe gemessen werden können. Es wurden einzelne Theorien vorgestellt, die differenziert den Prozess der Gruppenentscheidung untersuchen, welche Faktoren diesen Prozess beeinflussen (Minoritäteneinfluss, groupthink etc.). Zuletzt wurden Theorien vorgestellt, die sich als übergreifende Erklärungsansätze verstehen, d.h. die den gesamten Prozess einer Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppe thematisieren, ausgehend von dem einzelnen Mitglied bis hin zur endgültigen Entscheidung der Gesamtgruppe. In diesem Zusammenhang steht auch die SDS.
Untersuchungsgegenstand der SDS sind also Gruppen, die eine Entscheidung treffen müssen. Das können Gruppen sein, die sich hauptsächlich in eben diesem Sinne definieren und zusammen finden (z.B. Arbeitsgruppen). Aber auch jede andere gesellschaftlich mögliche Gruppe, wenn sie denn eine Entscheidung treffen muss, fällt in den Untersuchungskontext der SDS. Außerhalb dieses Kontextes greift die SDS nicht. So müssen z.B. Fussballfans, die zusammen auf ein Spiel gehen, primär keine Entscheidung treffen. Mithin trifft die SDS für Fussballfans, die sich als Gruppe aus anderen Gründen und zu anderen Zwecken als der der Entscheidungsfindung zusammen finden, keine Aussagen, solange sie sich nicht in einer Situation einer Entscheidungsfindung befinden.
Jede Gruppe kommt im oben genannten Sinne ausschließlich als ein informationsverarbeitendes System zu einer Entscheidung. Praktisch und sinnnigerweise fällt keine Entscheidung einer Gruppe aus purem Zufall, ohne dass sich die Gruppe zusammengefunden und miteinander Informationen verarbeitet hätte. Innerhalb jeder Gruppe spielen sich also Prozesse im Sinne einer Entscheidungsfindung ab. Je nach Gruppe mag dieser Prozess anders ausfallen. Die SDS untersucht und beschreibt diesen Prozess der Entscheidungsfindung und trifft Vorhersagen bezüglich der Gruppenentscheidung für eine einzelne Gruppe.
Die SDS gilt innerhalb der sozialpsychologischen Forschung mit Schwerpunkt Gruppenproblemlösen aufgrund ihrer streng formalen Methodik als ein „baseline- Modell“. Als baseline-Modell insofern, als dass sie wenig differenzierte Aussagen über einzelne Phänomene macht, die den eigentlich Prozess der Entscheidungsfindung begleiten oder bestimmen können, d.h. alles was während der Entscheidungsfindung sowohl innerhalb der Gruppe als auch innerhalb eines jeden Mitgliedes der Gruppe passieren mag. Die SDS in ihrer ursprünglichen Form (Davis, 1973) spart diesen Prozess größtenteils aus oder erklärt ihn für nicht relevant im Sinne der Entscheidungsvorhersage. Derartige Prozesse mögen zwar durchaus vorhanden sein, aber für die Vorhersage einer Entscheidung reichen zwei Faktoren aus: Das sind zum einen die Meinungen aller Mitglieder vor der Diskussion und zum anderen die Annahme einer Regel, nach der sich die Gruppe gemeinhin entscheidet. (Ich werde in der Zusammenfassung der Theorie auf die eigentliche Methode der SDS genauer eingehen.) Mehr braucht man für die Vorhersage einer Entscheidung nicht. Alles weitere, was während der Entscheidungsfindung stattfinden und die Entscheidung der Gruppe beeinflussen mag, ist für die SDS nicht relevant. Damit steht sie im Gegensatz zu anderen sozialpsychologischen Ansätzen, die wir im Seminar diskutiert haben und die sich näher mit einzelnen Faktoren innerhalb des Entscheidungsprozesses wie z.B. groupthink, Minoritäteneinfluss, hidden profile etc. beschäftigen. Das alles berücksichtigt und braucht die SDS nicht. Lediglich in den Entscheidungsregeln mögen sich Ansätze zu einer Interpretation einzelner, die Entscheidung bestimmender Faktoren finden. In dieser methodologischen Reduzierung liegt zum einen die Stärke der Theorie als auch zu manchen Teilen ihre Unzulänglichkeit begründet, wie wir im Seminar diskutiert haben. Meine Seminararbeit wird in der Diskussion diesen Punkt aufgreifen. Idealerweise trifft die SDS Vorhersagen für Kleingruppen. Theoretisch lässt sich die SDS auch auf Großgruppen anwenden. Aufgrund der mathematischen Vorgehensweise ist eine Vorhersage, d.h. eine Berechnung der Gruppenentscheidung für Großgruppen jedoch sehr umfangreich.
Zusammenfassung der Theorie
Ausgangspunkt der Theorie ist die Verteilung der Meinungen, Präferenzen der Einzelmitglieder in der Gruppe vor der Diskussion. Aus diese Anfangsverteilung der einzelnen Meinungen in der Gruppe leitet das Modell die Gruppenentscheidung ab. Als modifizierende Variable nennt das Modell oben angesprochene Entscheidungsregeln („decision schemes, pattern of group influence, social combination rules“ Stasser, 1999, S.3).
Die anfängliche Gruppenverteilung erkennt man daran, welche Meinung wie oft vertreten wird. Das läßt sich vorab bei jedem einzelnen Mitglied der Gruppe erfragen, dann kennt man die genaue Zusammensetzung. Oder man schätzt ab: Aus einer Vergleichs-, bzw. Gesamtpopulation, deren Zusammensetzung der Meinungen man kennt oder als Erfahrungswerte vorliegen hat, und aus der man die spezielle (Klein-)Gruppe gewonnen hat, lässt sich eine mögliche, grobe Verteilung der Meinungen dieser speziellen (Klein-)Gruppe vor der Diskussion ausmachen. In diesem Falle (also bei nicht bekannter Verteilung der Meinungen) geht die Variable π in die Berechnung der Entscheidung mit ein.
Die zentrale mathematische Aussage des Modells lautet: P = π * D
P gibt die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Gruppenentscheidung bei verschiedenen möglichen Entscheidungsalternativen an,
π gilt, wenn man die genauen Präferenzen der Einzelmitglieder vor der Diskussion nicht kennt, und gibt als Variable an, wie hoch unter Berücksichtigung der Gesamtpopulation, aus der die (Klein-)Gruppe gewonnen wurde, die Wahrscheinlichkeit ist, dass jede theoretisch mögliche Zusammensetzung von Entscheidungspräferenzen der Einzelmitglieder in dieser speziellen (Klein-)Gruppe tatsächlich vorkommt,
D ist die Entscheidungsregel, nach der die Gruppe zu einer Entscheidung kommt, für die Berechnung des Modells dargestellt in Form einer Matrix. Die Gruppe kann sich einer Entscheidungsregel bewusst sein. Als Instrument einer raschen Entscheidungsfindung kann sie auch durchaus explizit definiert sein. Wenn Gruppen oft Entscheidungen fällen müssen, ist es sinnvoll, eine Regel anzusetzen, nach der entschieden wird. In diesem Fall ist die Regel bekannt. Sie kann aber auch unbewusst innerhalb der Gruppe wirken. Manche Regeln etablieren sich unausgesprochen über die Zeit. Gänzlich ohne Regel ist keine Entscheidung möglich. „Gruppen, die zu einer Entscheidung gelangen, müssen irgendeine implizite Entscheidungsregel besitzen, es sei denn, alle Beteiligten wären von vornherein einer Meinung gewesen“ (Crott, 1979, S.100).
Davis (1973) führt fünf verschiedene Entscheidungsregeln an:
1. Einstimmigkeit. Die Gruppe muss nach dem Prinzip der Einstimmgkeit zu einer Entscheidung gelangen, d.h. alle Gruppenmitglieder stimmen (öffentlich) für dieselbe Entscheidung.
2. Mehrheitsentscheidung. Die Mehrheit der Gruppenmitglieder entscheidet. Die Entscheidung gilt dann für die Gruppe als Ganze. Diese Regel ist uns aus dem Alltag sicherlich die vertrauteste. Intuitiv wird sie am meisten angewendet („demokratische Entscheidung“).
3. „Wahr gewinnt“. Wenn die „wahre“ Alternative (Lösung) von einem Mitglied vertreten wird und diese den anderen Gruppenmitgliedern, die vielleicht anfangs anderer Meinung sind, klar aufgezeigt werden kann, setzt sie sich aufgrund ihres Wahrheitsgehalts als Gruppenentscheidung durch. Diese Entscheidungsregel kommt vor allem bei Problemstellungen zum Tragen, bei denen eine eindeutige Lösung, bzw. Entscheidung möglich ist.
4. Zweidrittel Mehrheit. Nur bei einer zweidrittel Mehrheit gilt die Gruppenentscheidung. Diese Regel ähnelt der Mehrheitsentscheidung.
5. Erster Wechsel einer Meinung gilt („first shift“). Sobald ein Mitglied seine eigene Meinung zugunsten einer anderen Alternative ändert, wird dieser Wechsel von den anderen auch angenommen und betreffende Alternative als allgemeine Entscheidung akzeptiert. Diese Regel kann vor allem in sehr kleinen Gruppen auftreten, wenn keine klaren Mehrheiten vorhanden sind, z.B. bei vier Personen mit vier verschiedenen Meinungen. In solchem Kontext ist beobachtbar, dass, um sich aus einer vielleicht festgefahrenen Diskussion mit jeweils erfolglosem Beharren auf seiner eigene Meinung zu befreien, eine gänzlich andere, von allen akzeptierbare Alternative als Entscheidung angenommen wird.
Zum besseren Verständnis der Vorgehensweise der Theorie dient folgendes Schaubild:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Meinungen jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe (p, individual preferences) ergeben als Gesamtpaket eine bestimmte Verteilung, bzw. Zusamensetzung der Meinungen in der Gruppe (r, group composition). Wie oben engesprochen gibt die Variable π an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass jede mögliche Zusammensetzung der einzelnen Meinungen in dieser (Klein-) Gruppe nun tatsächlich vorkommen kann. Diese Variable π multipliziert man als Vektor mit der Matrix eines sozialen Entscheidungsschemas, D. Im Zweifelsfall wendet man verschiedene Entscheidungsschemata an (mit jeweils anderen Werten in der Matrix). In der Fassung von Davis (1973) gibt es fünf verschiedene Entscheidungsschemata. Als jeweiliges Produkt ergibt sich die erwünschte Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Gruppenentscheidung, P.
Alltagssprachlich ausgedrückt: Die SDS schaut, wie die Verteilung der Einzelmeinungen vor der Diskussion aussieht (wenn diese nicht bekannt ist, werden Erfahrungsdaten vergleichbarer Populationen herangezogen) und welche Entscheidungsregel in dieser speziellen Gruppe herrscht. Das alleine reicht aus, um Vorhersagen treffen zu können betreffs der endgültigen Gruppenentscheidung. Wie gesehen auch für Gruppen, deren Zusammensetzung der Präferenzen oder Meinungen der Mitglieder vor der Diskussion nicht genau bekannt ist, was praktisch meistens der Fall sein dürfte. Kennt man zudem die Regel nicht, nach die Gruppe entscheidet, unterstellt man vorab eine Regel. Weicht nun die errechnete Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Entscheidung signifikant von der tatsächlichen, beobachtbaren Entscheidung der Gruppe ab, muss eine andere Entscheidungsregel rückwirkend unterstellt werden. Durch Abgleichung verschiedener Entscheidungsschemata an die tatsächliche Entscheidung lässt sich nun die geeigneteste Entscheidungsregel gewinnen, die sodann als Erfahrungswert für andere (vergleichbare) Gruppen vorliegt oder die direkt in eine weitere Berechnung einer anderen Entscheidungsfindung dieser Gruppe in der Zukunft einfließen kann. Stasser (1999) bringt auf den Punkt: „A central premise in SDS theory is that knowing where a group starts (its distinguishable distributions) foretells where it is likely to end up (its collective response)“ (S.6).
Wie gezeigt liegt dem Modell eine mathematische Methodik zugrunde. In diesem Sinne versteht es sich als ein baseline-Modell im Gruppenploblemlösebereich, das ohne psychologische Interpretationen einzelner Prozesse auskommt, die innerhalb der Gruppe während der Entscheidungsfindung entstehen und/ oder diese beeinflussen mögen.
Diskussion
Vorteile
Wie oben angesprochen finden sich aufgrund der mathematischen Ausrichtung dieser Theorie Vorteile gegenüber anderen Theorien, die den Prozess der Entscheidungsfindung differenzierter untersuchen. Indem die SDS diesen Bereich größtenteils ausspart, verliert sie sich nicht in gruppenpsychologischen Erklärungen oder Mutmaßungen, was alles innerhalb der Gruppe auftreten und den Entscheidungsprozess beeinflussen könnte. Solche interaktiven Phänomene sind naturgemäß tatsächlicher empirischer Auswertung schwer zugänglich. Die SDS bezieht sich auf oder behandelt nachweisbaren Faktoren, was im Sinne einer jeder wissenschaftlichen Vorgehensweise zu begrüßen ist, das sind die Präferenzen oder Meinungen der Mitglieder vor der Diskussion. Zudem ist die Regel, nach der die Gruppe zu einer Entscheidung gelangt, objektivierbar, auch wenn sie unbewusst innerhalb der Gruppe wirkt. So gehen so wenig wie möglich unbekannte und unsichere Faktoren in die Berechnung mit ein. In diesem Sinne ist die SDS ein baseline-Modell. Und in diesem Sinne reicht ihr eine geringe Anzahl an Erklärungen für bestimmte Entscheidungen von Gruppen: Aus einer quantitativen Auswertung der anfänglichen Meinungen gelangt sie unter Berücksichtigung verschiedener Entscheidungsregeln zu einer Wahrscheinlichkeitsaussage für die Gruppenentscheidung. Verfehlt eine Entscheidungsregel und mit ihr die Berechnung die Wirklichkeit, bleibt die Berechnung als solche und damit die Kernaussage des Modells, die eine mathematische ist, jedoch unangetastet. Die Stringenz der Theorie bleibt in diesem Sinne bestehen, auch wenn die Entscheidung eine andere ist als die vorhergesagte.
Das führt dazu, dass die SDS in der Praxis des Problemlösebereichs umfassend anwendbar ist. Die SDS ist nicht an bestimmte Gruppentypen gebunden. Theorien, die bestimmte Gruppenmerkmale in ihren Aussagen implizieren oder nur für diese Merkmale Aussagen treffen (vgl. Antecedens-Bedingungen, bei denen groupthink zum Tragen kommt), sparen eben gerade dadurch Gruppen aus, die nicht in den Kontext der Theorie fallen. Wenn eine Theorie hauptsächlich „psychologisch“ Gruppenentscheidungen erklärt und bei einer derartigen Theorie das psychologische Muster widerlegt wird, nach dem die Gruppe der Theorie zufolge zu einer Entscheidung gelangt, ist die Theorie ihrer Kernaussage beraubt. Die SDS hingegen setzt keine Bedingungen an Gruppen und an deren Untersuchung.
Desweiteren bietet die SDS aufgrund ihrer mathematischen Methode auch ein deduktives Instrument für die Praxis. Zum Beispiel lassen sich gezielte Vorhersagen treffen in Bezug auf Auswirkungen unterschiedlicher Gruppengrößen auf die Entscheidung, da Gruppengröße als diskrete Variable direkt in die Berechnung einfließen kann. So ist z.B. bei gleichbleibender Entscheidungsregel „wahr gewinnt“ in großen Gruppen die Wahrscheinlichkeit höher, dass zumindest ein Mitglied die korrekte Lösung kennt. Oder ergeben Berechnungen , dass „Gruppenlösungen aufgrund von Mehrheitsregeln ... bei schwierigen, nicht sebst-evidenten Problemen eher schlechter als individuelle Lösungen“ (Crott, 1979, S.106) sind. Ebenso lassen sich unterschiedliche Entscheidungsregeln in einer Berechnung miteinander vergleichen. Beide Merkmale, Gruppengröße wie auch Entscheidungsregel, lassen sich so für eine zukünftige Entscheidungsfindung im Sinne einer besseren Effizienz der Gruppe gezielt regulieren. Das Ausnützen dieses Vorteils im Sinne einer gezielten Manipulation liegt in der Praxis allerdings nahe: Wenn man als Leiter einer Gruppe vorab per unterschiedlicher Entscheidungsregel die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Entscheidungsalternativen errechnet, lässt sich gezielt durch eine angeordnete Entscheidungsregel die gewünschte Entscheidung herbei führen.
Ein Beleg für die Popularität der SDS zeigt sich in der Davis (1973) nachfolgenden, immer noch andauernden wissenschaftlichen Diskussion. Stasser (1999) führt an, dass in unterschiedlichen Weiterentwicklungen des Modells von Davis (1973) weitere Entscheidungsregeln aufgestellt und dem Modell einschränkende, modifizierende Variablen und Erklärungsansätze beigegeben wurden.
Davis (1973) spricht im Grundmodell von fünf verschiedenen social decision schemes (s. S.6). Hinsz (1990, nach Stasser 1999, S.15) erweitete das Modell zu 16 social decision schemes. Hinsz (1990, nach Stasser 1999) testete in einem Experiment Erinnerungs- und Erkennungsleistungen von zuvor gesehenen Videosequenzen in Gruppen. Im Durchschnitt kamen Gruppen zu einem 85% korrekten Ergebnis. Im Gegensatz dazu kamen einzelne Personen nur zu einem 68% richtigen Ergebnis. Hinsz (1990, nach Stasser 1999) fand u.a. heraus, dass unter 16 verschiedenen gegeneinander getesteten Entscheidungsschemata das Entscheidungsschema „Pluralität-korrekt“ („plurality-correct“) die besten Vorhersagen betreffs Gruppenleistungen in diesem Zusammenhang lieferte. Es reichte nicht aus, wenn nur einer die korrekte Antwort kannte. Unklar bleibt allerdings aus Stasser (1999), inwiefern sich dieses Entscheidungsschema von dem von Davis (1973) „majority wins“ (Mehrheiteregel) unterscheidet.
In Bezug auf das beobachtbare Phänomen, dass Gruppenleistungen im Durchschnitt besser sind als jede Leistung der einzelnen Mitglieder im Durchschnitt zusammen, führte Davis (1973) das Entscheidungsschema „truth-wins“ an. Wenn einer in der Gruppe die korekte Antwort kennt und sie den anderen klar machen kann, gelangt die ganze Gruppe zu dieser korrekten Antwort. In Realität stimmen allerdings oftmals die Erbgebnisse mit dieser Vorhersage nicht überein. In diesem Zusammenhang führen Laughlin & Ellis (1986, nach Stasser, 1999, S.15) differenziertere Erklärungsmuster als Voraussetzung an, damit die Entscheidungsregel „truth-wins“ erst zum Tragen kommt. So muss z.B. die Lösung von allen Mitgliedern der Gruppe kognitiv erfassbar sowie diejenigen, die die Lösung kennen, genügend motiviert sein, die Lösung den anderen auch aufzuzeigen. Laughlin & Ellis (1986, nach Stasser, 1999) führen noch zwei weitere Erklärunsansätze an. In diesem Sinne verabschieden sich Laughlin & Ellis (1986) ein wenig von einer ausschließlich formalen Ausrichtung der SDS, indem sie sich einzelnen Faktoren zuwenden, die den Entscheidungsprozess beeinflussen können.
Auch bei Stasser selbst finden sich detailliertere Erklärungsansätze im Rahmen der Entscheidungsregeln. Stasser, Kerr & Davis (1989, nach Stasser 1999, S.5), gehen z.B. genauer darauf ein, warum denn Majoritäten einen größeren Einfluss in der Gruppe nehmen (Mehrheitsregel): Zum einen sei ein informationeller, zum anderen ein normativer Faktor dafür verantwortlich. Eine größere Anzahl von Mitgliedern, die für eine Entscheidungsalternative plädieren, wissen aufgrund ihrer Majorität in der Summe einfach mehr als die Gegenpartei. So finden sich mehr Argumente für deren Position in der gemeinsamen Gruppendiskussion. Auf der anderen Seite übt eine größere Gruppe an Mitgliedern innerhalb der Gesamtgruppe auch einen größeren normativen Einfluss auf die entsprechende kleinere „Gegen“- gruppe aus, sich nicht gegen die Mehrheitsmeinung zu stellen. In diesem Sinne lassen sich innerhalb der Entscheidungsregel „Mehrheitsregel“ dieser Regel tiefer zugrunde liegende Prozesse finden. Davis (1973) geht in seinem ursprünglichen Modell über die bloße Feststellung einer eher oberflächlichen Regel und deren mathematischen Anwendung nicht hinaus.
Oben genannte Beispiele mögen u.a. ein Beleg für eine andauernde wissenschaftliche Diskussion in der Folgezeit nach Davis (1973) sein, die in der Tradition der social decision schemes theory steht.
Nachteile
Die SDS in ihrer ursprünglichen Fassung nach Davis (1973) vermeidet mittels der Methodik, „psychologischen Ballast“ in der Untersuchung mit zu berücksichtigen. Die Theorie geht von dem aus, was „objektiv“ da ist wie den Meinungen der Mitglieder der Gruppe. Allerdings wertet die SDS diese Meinungen lediglich aus, ohne tatsächlich erklärend Bezug auf sie und den Einzelnen zu nehmen. Was mit dem einzelnen Mitglied im Laufe der Entscheidungsfindung passiert, blendet das Modell gänzlich aus. Das mag im Sinne eines ganzheitlichen sozialpsychologischen Ansatzes unbefriedigend sein. In diesem Sinne hat das ursprüngliche Modell (Davis 1973) Erweiterungen erfahren: So sind z.B. die sog. sozialen Transformationsschemata formuliert worden, die genauer auf den Einzelnen der Gruppe eingehen; d.h. sie untersuchen die Entwicklung von einzelnen Mitgliedern über die Zeit der Entscheidungsfindung wie z.B. deren Präferenzverhalten für die ein oder andere Entscheidungsalternative.
Genauso wenig geht die SDS auf Prozesse ein, die in der Gruppe während der Entscheidungsfindung ablaufen mögen. Darüber macht das Modell nur insofern Aussagen, als dass jeder Gruppe Regeln unterstellt werden, nach denen die Gruppe als Ganze zu ihrer Entscheidung gelangt. Dadurch schränkt sich das Modell aber naturgemäß in seiner Aussagekraft ein: Entscheidungsschemata gelten wiederrum nur für die Gruppe als Ganze. Wie oben angedeutet bleibt der Einzelne außen vor. Doch auch in diesen Regeln selber lassen sich nur ansatzweise Erklärungen widerfinden, die sich auf interaktive Merkmale oder Prozesse der Gruppe beziehen. Die SDS stellt ja lediglich fest, dass nach einer Regel entschieden wird. Darüber hinaus geht sie nicht. Was sagt die Regel „Mehrheit entscheidet“ über den Umgang der Gruppenmitglieder miteinander aus, außer dass eben die Mehrheit entscheidet? Genauso bleibt z.B. unklar, warum eine bestimmte Regel in einer bestimmten Gruppe existent ist, wie sich (neue) Regeln etablieren oder wie sich ein und dieselbe Regel auf unterschiedliche Mitglieder der Gruppe auswirken kann. Dafür interessiert sich die SDS im Sinne der Vorhersage einer Entscheidung nicht. Weicht die beobachtbare Entscheidung der Gruppe von der vorhergesagten ab, wird eine andere Regel unterstellt, nicht jedoch versucht zu erklären, warum die Regel scheiterte. Dieser Rückzug auf eine eher deskriptive Ebene anstelle von tieferen Erklärungen kann gegenüber der SDS als Vorwurf formuliert werden. Dass sie nämlich als sozialpsychologische Theorie, als die SDS sich versteht, die Gruppeninteraktion zu wenig zu ergründen versucht.
Ein weiterer Vorwurf findet sich in der Umgehensweise oder Verarbeitung der SDS mit den Meinungen/ Präferenzen der Gruppenmitglieder, von den ausgehend die SDS zu einer Vorhersage der Gruppenentscheidung gelangt. Meinungen stellen zweifelsohne komplexe menschliche, psychologische Phänomene dar. Als Voraussetzung einer quantitativen Auszählung gemäß der SDS liegt aber die Annahme zugrunde, dass Meinungen oder Entscheidungsalternativen vor der Diskussion konkrete Einheiten darstellen: „... in the notation by Davis (1973), let a denote a finite set of discrete and mutually exclusive response options,...“ (Stasser, 1999, S.5). Diese Behauptung ist äußerst fraglich. Wenn aber Meinungen komplexe psychologische Phänomene sind, reicht eine reine Auszählung dieser Meinungen ungenügend aus, um Aussagen treffen zu können, die über einen rein statistischen Aussagewert hinausgehen. Für die SDS ist dieser Umstand keine relevante Einschränkung der Theorie. Sie interessiert sich in diesem Sinne ja nicht für die Meinung als psychologisches Untersuchungsgegenstand per se. Sondern lediglich für die Entscheidung der Gruppe, wie sie sich aus den anfänglichen Meinungen ergibt. Im Seminar haben wir diese mathematische Schlussfolgerung, ausgehend von einem Zustand vor der Diskussion auf einen Zustand nach der Diskussion, sowie die Auslassung von Erklärungen, was dazwischen passiert, als unbefriedigend und zu eingeschränkt erlebt. Stasser (1999) selbst schränkt ein: „However, social influence may not be simply a matter of numbers" (S.6).
Dazu kommt, dass manche der Davis (1973) nachfolgenden SDS- Entwicklungen einen im Unklaren lassen, auf welchem Wege sie die Werte der Matrix (Entscheidungsregel) hergeleitet haben. Dieser Vorwurf wiegt meiner Meinung nach schwer. Zum Beispiel führt Stasser (1999, S.7 f) im Zusammenhang mit Juries, wie sie aus der amerikanischen Rechtssprechung bekannt sind, als möglichen Gruppentyp ein Beispiel an, dessen Entscheidungsregel Stasser (1999) „majority wins with leniency“ nennt. Das heisst, diese Gruppe ist in ihrer Rechtssprechung eher milde im Sinne des Angeklagten. In dieser Gruppe setzt sich schneller eine relative Mehrheit durch, die für nicht schuldig plädiert, als eine Mehrheit, die für schuldig plädiert. Erst und nur wenn die Mehrheit für „schuldig“ signifikant größer ist, entscheidet sich die Gesamtgruppe auch tatsächlich für „schuldig“. Stasser (1999, S.8) stellt gemäß der SDS diese Entscheidungsregel in einer Matrix dar. Allerdings ist nicht ersichtlich, wie die konkreten Werte dieser Matrix zustande gekommen sind. Den Werten liegt keine tatsächliche Gruppenentscheidung zugrunde, aus der sich die Werte logisch ergeben hätte. Für genannten Typ, in dem sich die Gruppenentscheidung leicht verzerrt in Richtung milder Urteile spiegelt, setzt Stasser (1999) zwar plausible, letztlich aber willkürliche Werte in der Matrix an. Stasser (1999, S.8) an anderer Stelle: „For example, we could conceive of a pattern of evidence or a radical `law and order´ culture for which the jury process would tilt toward conviction. For such a case, we could use the label `conviction-supported wins´“. Unklar bleibt auch hier, inwiefern Stasser eine Berechtigung sieht, ein „label“ als Entscheidungsregel zu konkretisieren. Das heisst dieses label, mit dem ein theoretisch möglicher Typ einer Gruppe kurzerhand getauft wurde, daraufhin als Matrix mit konkreten Werten auszufüllen (und erneut: woher kommen diese Werte?). Zuletzt stelle ich die Frage nach einem tatsächlichen Gewinn dieses Modells in der Praxis. Die SDS gibt an, im Gruppenproblemlösebereich Vorhersagen betreffs Entscheidungen treffen zu können. Kennt man die Regel, nach der die Gruppe gemeinhin entscheidet, gelangt man rasch zu dem Ergebnis, d.h. die Entscheidung lässt sich einigermaßen gut berechnen und damit vorhersagen. Schwieriger wird es, wenn man die Regel nicht genau kennt. Dann unterstellt man vorab in jeweiligen Berechnungen unterschiedliche. Offen bleibt, ob diese Vorgehensweise, nämlich unterschiedliche Entscheidungsregeln gegeneinander zu testen, in der Realität nicht zu aufwendig ist. Nicht ganz klar ist zudem auch, was im Sinne einer Vorhersage die SDS einem damit liefert. Anhand des Ergebnisses, d.i. die Entscheidung, ist man sich rückwirkend der Regel nun bewusst, nach der die Gruppe zu vorliegender Entscheidung gelangte. In diesem Fall sinkt aber der praktische Wert der SDS: Dann hat man ja die Entscheidung der Gruppe vorliegen, die man eigentlich vorhersagen möchte. Dieses Vorgehen genügt dem Anspruch der social decision theory nur bedingt, Gruppenentscheidungen auch in unbekannten Untersuchungsbereichen vorhersagen zu können, d.h. bei Gruppen, deren Entscheidungsregeln man nicht kennt.
Literaturverzeichnis
Crott, H. (1979). Soziale Interaktion und Gruppenprozesse. Stuttgart (u.a.): Kohlhammer.
Davis, J.H. (1973). Group decision and social interaction: A theory of social decision schemes. Psychological Review, 80, 97-125.
Stasser, G. (1999). A primer of social decision scheme theory: Models of group influence, competitive model-testing, and prospective modeling. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 80, 3-20.
- Citation du texte
- Felix Pfeiffer (Auteur), 2000, Social Decision Scheme Theory, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105386
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