Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Max Weber und seine Zeit
2. Webers Klassenmodell in „Wirtschaft und Gesellschaft“
2.1 Klassen
2.2. Stände
2.3. Klassenkampf
3. Weber versus Marx
3.1. Gemeinsamkeiten
3.2. Marxens Methode
3.3. Weber
Bibliographie
Einleitung
Max Weber gehört zu den wichtigsten Soziologen in Deutschland. Seine Arbeit hat die Soziologie als eigenständige Wissenschaft in Deutschland weit voran gebracht. Aber gerade in neuerer Zeit scheint das Interesse an Weber wieder zu steigen:
„Leben und Werk Max Webers erfreuen sich seit einigen Jahrzehnten einer Konjunktur, die ihresgleichen sucht. Die Gesamtausgabe seiner Schriften, Reden und Briefe wird mit einem Aufwand betrieben, wie er bislang in der deutschen Sozialwissenschaft nicht bekannt gewesen ist; die Berufung auf Max Weber gehört zum guten Ton der politischen Sonntagsrede; und die in Frage oder auch nicht in Frage kommenden wissenschaftlichen Disziplinen scheuen keinen rhetorischen Kraftakt, um Weber als einen der Ihren zu reklamieren.“1 Es mag mehrere Gründe für das Comeback der Ideen Webers geben. Sehr wichtig ist wohl zum einen die zunehmende soziale Ungleichheit nach einem Vierteljahrhundert weltweiter neoliberaler Politik. In Deutschland ist die Zahl der Vermögensmillionäre auf 1,5 Millionen gestiegen. Dabei leben drei Millionen Menschen von der Sozialhilfe, eine Million davon sind Kinder.2Auch Oskar Lafontaine, ehemaliger Finanzminister, SPD - Linker und heute Unterstützer der Organisation ATTAC nimmt auf Weber bezug, um prekäre Arbeitsverhältnisse in Deutschland anzuprangern.3
Zum anderen wurde Max Webers Gesellschaftsanalyse auch immer als Alternative zu Marx herangezogen, oder wie es Mommsen ausdrückt:
„In gewissem Sinne kann Max Webers Soziologie als ein Versuch betrachtet werden, mit den Erkenntnismethoden des Soziologen eine Alternativposition zu formulieren, die im Einklang mit seinen bürgerlich -liberalen Ideen stand, ohne doch die sozialistische Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft einfach beiseite zu schieben.“4
Gerade nach dem Zusammenbruch der staatskapitalistischen Systeme in Osteuropa, in denen marxistische Begrifflichkeiten zur Legitimation einer Klassenherrschaft und Diktatur verwendet wurden, ist es eine verständliche Reaktion, wenn Alternativen zu Marx gesucht werden. Deshalb wundert es auch nicht, das neue Impulse der Weberforschung gerade aus Osteuropa kommen.
„(...) eine ganz neue Qualität gewann die Deutung und Nutzung seines Werkes dann in der Zeit der Perestroika und der daraus sich ergebenden (und bis in die Gegenwart fortdauernden) Freisetzung der wissenschaftlichen undöffentlichen Kontroversenüber die Lage und die Zukunftsperspektiven der Politik,Ökonomie, Gesellschaft und Kultur Rußlands“5
Hier wird Marxismus zum einen immer noch in Verbindung der Diktaturen gebracht, zum anderen haben sich nach der politischen Wende ab Mitte der 80er Jahre bis heute die sozialen Widersprüche nicht gelöst, sondern im Gegensatz noch verschärft.
Die vorliegende Arbeit untersucht das von Max Weber entwickelte Klassenmodell. Im ersten Teil soll es eine Einführung in die Zeit Webers geben, um seine Ideen im Kontext der politischen und sozialen Entwicklungen seiner Zeit zu erklären. Der zweite Teil betrachtet das Klassenmodell Webers auf Grundlage seiner Ausführungen in seinem Buch „Wirtschaft und Gesellschaft“. Außerdem wird erklärt, welches Verständnis Weber vom Klassenkampf hatte. Der dritte Teil der Arbeit vergleicht Webers Modell mit dem von Marx. Dazu wird es noch eine kurze Einführung in die Methodik Karl Marx geben, um unterschiedliche Positionen besser zu verstehen.
1. Max Weber und seine Zeit
Der Nationalökonom und Soziologe Max Weber6begann seine wissenschaftliche Laufbahn mit dem Eintritt in das Studium in einer Zeit, in der der Kapitalismus seinen ersten Dämpfer bekam. Nach den Gründerjahren 1872
- 1873 folgte eine Zeit der langsameren Expansion des Kapitals. Zeitgenossen sprechen von der „großen Depression“. Sie findet erst 1896 ihr Ende in einem erneuten Aufschwung, der bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges anhält. Aber der Kapitalismus ist ab 1896 ein anderer. Und auch der Aufschwung ist nicht mit dem vor 1873 zu vergleichen. Der Kapitalismus der freien Konkurrenz ist dem Kapitalismus der wachsenden Monopole gewichen.
„Die einst von Karl Marx prognostizierte Entwicklung zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals setztesich durch; die Veränderungen der Produktionstechnik förderten sie. Im Deutschen Reich z.B. wurde dieElektroindustrie von zwei Konzernen (AEG und Siemens-Schuckert), die chemische Industrie ebenfalls von zweiGruppen, die untereinander ebenfalls wieder durch zahlreiche Patentabkommen verbunden waren, und dieEisen- und Stahlindustrie von wenigen in Kartellen zusammengefaßten Familienkonzernen beherrscht, das Bankwesen wurde durch fünf Großbanken fast vollständig kontrolliert.“7
Gleichzeitig machten Arbeiter in dieser Zeit die Erfahrung, daß soziale Errungenschaften durchgesetzt werden konnten. Und dies teilweise auch ohne „klassenkämpferische“ Mittel. Dazu war eine Massenorganisation wie die der SPD notwendig:
„The Present of the Social Democratic Party (SPD), with a mass workingclass base and a substantial bloc ofdeputies, both created pressure for democratic reforms and suggest to the German ruling class, that surrending to this pressure would be dangerous“8
Diese Entwicklungen, zum einen die Konzentrationstendenz des Kapitalismus die zum Imperialismus führte, als auch die Reformen unter Bismarck waren sehr wichtig bei der Entstehung seines Weltbildes. Aber wichtig war wohl auch seine liberale, humanistische Erziehung durch seine Eltern. Sein Vater war Abgeordneter der Nationaliberalen Partei und seine Mutter religiös. Jedenfalls fühlte er sich eher „als ein Mitglied der bürgerlichen Klassen“9als daß er sich auf die Seite kämpfender Arbeiter stellte.
Max Weber verteidigte die bürgerliche Klasse. Gleichzeitig kritisierte er die kapitalistische Konzentration und Bürokratisierung die als scheinbar unvermeidliche Entwicklung stattfand:
Er sah die dunklen Schatten kommender Unfreiheit, die der universale Prozeßder Bürokratisierunghervorzubringen im Begriff war,überscharf vor sich.“10
In den Jahren 1891-92 bearbeitete er im „Verein für Socialpolitik“ eine soziologische Studie über Landarbeiter in den Gebieten östlich der Elbe. Wie Marx begann er soziologische Beobachtungen von Klassen und Schichten auf eine ökonomische Grundlage zu stellen:
„Webers writings of the 1890s reflect both Marx´s influence and the distance between the two men. Webersresearches into ancient economis history, which immediately preceded his study of prussian agriculture, already showed an analytical interest in distinguishing between types of economic structure -‚natural‘or bartereconomy (...), the basis of feudalism; slave society, wich permitted the limited development of commerce; and modern capitalism with roots in free wage - labour.“11
Die Ideen von Marx und Nietzsche spielten eine große Rolle bei der Entwicklung seines Weltbildes. Er meinte 1920 einmal, daß die Welt in der wir heute geistig und intellektuell leben, eine Welt ist, die von Marx und Nietzsche geprägt wurde.12In seiner Abhandlung über Stände und Klassen im Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ findet man sowohl einen Verweis auf Marx „Das Kapital“13wie auch auf Nietzsche14. In Bezug auf seine Beziehung zu Nietzsche bemerkt Mommsen:
„Es ist symptomatisch, daßWeber an entscheidenden Stellen seiner Schriften immer wieder direkt oder indirekt auf Nietzsche bezug genommen hat.“15
Und tatsächlich finden wir bei Ihm sowohl Elemente des Einen als auch des Anderen. Zum einen teilt er mit Marx eine Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft. Zum anderen führt sein bürgerlicher Standpunkt dazu, daß er eine große Portion des bürgerlichen Pessimismus übernimmt, der für Nietzsche so typisch war:
„Der moderne industrielle Kapitalismus erschien ihm nicht nur als unvermeidliches Schicksal, sondern auch als ein gesellschaftliches System, in dem ein Optimum an individueller Aktivität und persönlicher Freiheit möglichsei. Jedoch war Weber ganz frei von dem naiven Fortschrittsoptimismus, der frühere Generationen des liberalen Bürgertums beseelt hatte.“16
Weber hofft daher auf einen friedlichen Ausgleich der Klassen. Nach dem ersten Weltkrieg ist er deshalb sogar bereit in die SPD einzutreten, da er in ihr eine Möglichkeit dieses Ausgleiches sieht.17
2. Webers Klassenmodell in „Wirtschaft und Gesellschaft“
Eines hat er mit Marx und Nietsche auch noch gemeinsam, nämlich das seine Ideen je nach Interessenlage und Zeit unterschiedlich ausgelegt wurden.18 Zum Teil hat er mit seinem Werk auch selbst mit beigetragen. Das Kapitel zu Stände und Klassen in „Wirtschaft und Gesellschaft“ z.B. ist sehr knapp gehalten und nur teilweise in ganzen Sätzen geschrieben. Und seine Frau, Marianne Weber, meint im Vorwort der ersten Auflage:
„Die Herausgabe dieses nachgelassenen Hauptwerkes des Verfassers bot naturgemäßmanche Schwierigkeiten. Für den Aufbau des ganzen lag kein Plan vor. [...] Einige Abschnitte sind unvollendet und müssen so bleiben.“19
2.1 Klassen
Der moderne Kapitalismus hat nach Weber neue Klassen hervorgebracht, die neben den älteren Klassen und Ständen existieren.
„Furthermore, modern rational capitalism - as Weber conceives it- contains a number of contradictions, caused by the existence of classes and status groups.“20
Als Klasse definiert er Gemeinschaften von Menschen, die aufgrund ihrer spezifischen Leistungen oder ihres Besitzes alle ungefähr gleiche materielle Lebensbedingungen haben:
„Wir wollen da von einer„Klasse“reden, wo 1.) die Mehrzahl von Menschen eine spezifische ursächlicheKomponente ihrer Lebenschancen gemeinsam ist, soweit 2.) diese Komponente lediglich durchökonomische Güterbesitz- und Erwerbsinteressen und zwar 3.) unter den Bedingungen des (Güter- oder Arbeits-) Marktes dargestellt wird (Klassenlage).“21
Die Lage eines Menschen innerhalb einesMarktes, ob über Besitz oder Erwerb definiert, drückt seine Klassenlage aus. Nur wenn ein Markt existiert, kann man von Klassen sprechen: „„Klassenlage“ist in diesem Sinn letztlich„Marktlage““22
„Eine Vielfalt von Menschen dagegen, deren Schicksal nicht durch die Chance der eigenen Verwertung auf dem Markt bestimmt wird - wie z.B. die Sklaven- , sind im technischen Sinn keine„Klasse“(sondern:„Stand“)“23 Wie für Marx sind auch für Weber Klassen geschichtlich erwachsen. Zwei grundsätzlich verschiedene Klassenverhältnisse werden bei ihm beschrieben. Zum einen die sogenannten Besitzklassen zum anderen die Erwerbsklassen. Das Klassenverhältnis der Besitzklassen stützt sich auf (teils traditionelle) Besitzunterschiede. Das Klassenverhältnis der Erwerbsklassen dagegen auf Unterschiede des Erwerbs oder des Einkommens. In jedem Klassenverhältnis stehen sich jeweils zwei Klassen gegenüber, n ämlich die „positiv privilegierten“ und die „negativ privilegierten“.
Zu den positiv privilegierten Besitzklassen gehören unter anderem: Sklavenbesitzer, Junker (Bodenbesitzer), andere Arten von „Rentnern“. Ihnen stehen die negativ Privilegierten Besitzklassen gegenüber: Leibeigene, Verschuldete, Arme.
Zu den positiv privilegierten Erwerbsklassen gehören zum Beispiel: Unternehmer, Bankiers, Händler Ihnen stehen die negativ privilegierten Erwerbsklassen gegenüber: die Arbeiter.
Zwischen diesen Hauptklassen befinden sich die Mittelklassen, z. B. Beamte, Bauern, Handwerker.24
Weber sieht diese zwei Klassenverhältnisse auch untereinander sich gegenüberstehend. Es sind nicht nur Klassenverhältnisse sondern auch zwei Arten des Wirtschaftens. Besitzklassengesells chaften die zum Beispiel auf Feudaleigentum basierten wären in der Vergangenheit verbreitet gewesen. Heute dominieren zwar Erwerbsklassen, die auf profitorientierter Wirtschaft basieren, es wäre aber nicht ausgeschlossen, daß durch die kapitalistische Entwicklung durch Konzentration und Zentralisation andere Besitzklassen einen Comeback haben könnten.25
Traditionelle Wirtschaft, auf Besitz und Profit orientierte Wirtschaft Leih basierend Einkommen der Lehn (basierend auf Besitz) Profit (basierend auf Kapitalbesitz oder - herrschenden Klasse kontrolle) Klassenverhältnis Besitzklassen ( z.B. Junker - Unfreier) Erwerbsklassen (z.B. Unternehmer - Arbeiter)
2.2. Stände
Bei den Ständen, die nach Weber Gemeinschaften von Menschen sind, die auf Grund gemeinsamer
Eigenschaften sowie charakteristischer Gemeinsamkeiten des Denkens und Handelns eine spezifisch positive oder negative Einschätzung erfahren, spielt die Ehre bzw. das Prestige die Hauptrolle. Merkmale eines bestimmten Standes sind zum Beispiel
- eine feine Sozialisation;
- ein dem Stand entsprechender Beruf; · eine ehrenvolle Herkunft;
- und die Verfügung über eine Herrschaftsposition.
„Im Gegensatz zur reinökonomisch bestimmten Klassenlage wollen wir als„ständische Lage“bezeichnen jede typische Komponente des Lebensschicksal von Menschen, welche durch eine spezifische , positive oder negative , soziale Einschätzung der„Ehre“bedingt ist, die sich an irgendeine gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft.“26
2.3. Klassenkampf
Unter den sich direkt gegenüberstehenden Klassen kann es zu Verteilungskämpfen kommen. Dies war in der Geschichte so und setzt sich auch in der modernen kapitalistischen Gesellschaft fort. Gemeinsames Klassenhandeln und „Klassenkampf“ findet nicht permanent statt, sondern nur zu bestimmten Zeiten:
„Eine universelle Erscheinung ist das Herauswachsen einer Vergesellschaftung(damit ist z.B. die Gründung einer Gewerkschaft gemeint. K.H.)oder selbst eines Gemeinschaftshandelns aus der gemeinsamen Klassenlage keineswegs.“27
Die Ursachen, das Unrecht und die Auswirkungen der Klassenlage müssen zuerst klar erkennbar sein; jenes muß für eine breite Masse ähnlich gelten; Zusammenschlüssen darf sich nichts entgegenstehen und ein Interessengegner muß eindeutig definiert worden sein:
„Der Grad, in welchem aus dem Massenhandeln der Klassenzugehörigen ein„Gemeinschaftshandeln“undeventuell„Vergesellschaftungen“entstehen, ist an allgemeine Kulturbedingungen, besonders intellektueller Art, und an den Grad der entstandenen Kontraste, wie namentlich an die Durchsichtigkeit des Zusammenhangs zwischen den Gründen und den Folgen der Klassenlage gebunden.“28
„Nicht der Rentner, Aktionär, Bankier ist es, welcher vom Groll der Arbeiter getroffen wird - obwohl doch gerade in seine Kasse teils mehr, teils„arbeitsloser“Gewinn fließt als in die des Fabrikanten oder des Betriebsdirektors- sondern fast ausschließlich dieser selbst, als der direkte Preiskampfgegner“29
Webers Auffassung vom Klassenkampf ist wohl der Knackpunkt beim Vergleich mit Marx. Für Weber sind Klassenkämpfe nur Begleiterscheinungen einer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung nicht aber wie bei Marx zentral in der Frage, wohin sich die Geschichte entwickelt.
3. Weber versus Marx
3.1. Gemeinsamkeiten
Max Webers Klassenmodell gilt als wichtige Kritik an Marxens Auffassung der Klassengesellschaft. In einem Soziologie - Lexikon heißt es:
„Als wichtigste Kritik der marxistischen Theorie der Klassengesellschaften gilt Max Webers Betonung kultureller und geistiger Faktoren gegenüber denökonomischen Klassenkämpfen als historischer Triebkraft.“30 Dabei sind die Unterschiede zwischen Weber und Marx in ihren Auffassungen über die Klassengesellschaft, zumindest auf den ersten Blick gar nicht so groß. Im Vergleich ergeben sich erstaunliche Gemeinsamkeiten: 1. Beide, Weber und Marx gehen von verschiedenen Klassenverhältnissen aus, die sich auf Basis verschiedener Produktionsverhältnisse herausbilden. Beide unterscheiden zwischen Feudalismus und dem aus ihm hervorgehenden Kapitalismus. Der Feudalismus, für Weber die traditionelle auf Besitz basierende Wirtschaft, ist gekennzeichnet durch das Besitzklassenverhältnis; der Kapitalismus, für Weber profitorientierte Wirtschaft, trägt in sich das Erwerbsklassenverhältnis. Marx macht hier nur einen Unterschied: Er meint, daß in der antiken Sklavenhaltergesellschaft ein drittes historisches Produktionsverhältnis mit eigenen Klassenverhältnissen existierte.
2. Beide sind der Ansicht, daß jedes Klassenverhältnis einen für sich typischen Klassengegensatz enthält. Bei Marx stehen sich Feudalherr und Leibeigener gegenüber, bei Weber „positiv privilegierte Besitzklassen“ und „negativ privilegierte Besitzklassen“. Entsprechend im modernen Kapitalismus Kapitalist und Arbeiter, oder wie Weber sagt: „positiv privilegierte Erwerbsklassen“ und „negativ privilegierte Erwerbsklassen“. 3. Klassen hat es in der Geschichte schon gegeben, der Charakter des Klassenkampfes hat sich im Laufe der Geschichte geändert31
4. Manchmal ist zu lesen, daß sich Marx im Gegensatz zu Weber nur auf den Gegensatz zwischen Arbeitern und Kapitalisten beschränkt hätte. In einer soziologischen Hausarbeit über das Klassenmodell Webers steht:
„Max Webers differenziertere Aufteilung in Hinsicht zu Marx stellt eine erfolgreiche Weiterführung dar, insbesondere, da er nicht von einer politischen Sicht geblendet worden war, da er für die Objektivität von Erkenntnissen und die Wertfreiheit von Wissenschaften eintrat“32Aber: entgegen der Meinung vieler Kritiker sprach Karl Marx niemals davon, daß es nur zwei Klassen gäbe. Auch er ging immer von einem vielschichtigen Gesellschaftssystem aus: „Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern.“33Er meint nur, daß es neben den verschiedenen Schichten und Klassen zwei wirtschaftlich entscheidende gibt. Im Zuge der Konzentration des Kapitals gibt es die Tendenz, daß Teile des Mittelstandes verschwinden oder „proletarisiert“ werden.34
Zum Glück ist Weber eine wesentlich interessantere Person, als man nach dem Zitat Dirk Kalusas aus der Hausarbeit annehmen würde. Er hatte durchaus politische Vorstellungen, Sichtweiten und ein eigenes Weltbild. Bei aller Nähe zu Marx ging Weber immer seinen eigenen Weg. Die entscheidenden Unterschiede liegen in der Methode, wie die Beiden Klassenverhältnisse beschreiben. Hier zeigt sich die Schwäche des weberschen Klassenmodells. Um diese Unterschiede darzustellen, wird im Folgenden noch einmal auf die marxsche Methode eingegangen.
3.2. Marxens Methode
„DieÖkonomen erklären uns, wie man unter den obigen gegebenen Verhältnissen produziert; was sie uns aber nicht erklären, ist, wie diese Verhältnisse selbst produziert werden, d.h. ihre historische Bewegung, die sie ins Leben ruft.“35
„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“36
Für Marx war, anders als für Weber, der Kapitalismus nicht nur nicht das beste Gesellschaftssystem, sondern auch nicht das endgültige in der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Genauso wie der Feudalismus kann auch der Kapitalismus nur ein temporäres Produktionsverhältnis sein. Jedoch ist damit noch nicht gesagt in welche Richtung sich die Menschheit entwickelt. Der subjektive Faktor, der entscheidet, ob die Entwicklung in einer revolutionären Umgestaltung endet oder in die Barbarei zurück fällt, ist der Kampf zwischen Klassen, der nicht nur ein Verteilungskampf ist, sondern auch ein Kampf zwischen verschiedenen Produktionsverhältnissen.37 Das ist die Kernaussage von Karl Marx. Er wendet hier einfach die hegelsche Dialektik auf gesellschaftliche Entwicklungen an. Diese Methode beruht auf drei Prinzipien: Totalität - Widersprüche - Entwicklung: Die gesellschaftliche Entwicklung entspringt aus den gesellschaftlichen Widersprüchen. Um das Wesen der Entwicklung, und damit der Welt zu erkennen muß man deshalb die Welt in ihrer Totalität betrachten. Nur aus dem Blickwinkel der Totalität werden die gesellschaftlichen Widersprüche sichtbar. Wissenschaftlich reicht es also zum Beispiel nicht aus, die Arbeiterklasse rein nach ihren ökonomischen Umständen (z.B. welches Einkommen ein Arbeiter hat), getrennt von ihrer Rolle in der Gesellschaft zu beurteilen. Die Arbeiterklasse gäbe es ohne die kapitalistische Klasse nicht. Ebenso andersherum. Andererseits hat sich die kapitalistische Produktionsweise aus dem Feudalismus heraus entwickelt. Dieser Blick der Totalität erlaubt es, die Entwicklung der Klassenverhältnisse zu verstehen, das heißt aus der bloßen Beobachtung der Verhältnisse, die Verhältnisse auch zu analysieren. Georg Lukács schreibt:
„Nicht die Vorherrschaft derökonomischen Motive in der Geschichtserklärung unterscheidet entscheidend den Marxismus von der bürgerlichen Wissenschaft, sondern der Gesichtspunkt der Totalität“38 Dieser Satz bringt die Unterschiede zwischen bürgerlicher und marxistischer Methode auf den Punkt. Während die bürgerlichen Wissenschaften die Tendenz besitzen, die Welt in ihren Modellen zu zerstückeln, legt die marxistische Methode Wert darauf Beobachtungen zusammenzubringen, die Beziehungen zwischen den Einzelaspekten zu verallgemeinern.
Lukács besteht darauf, die dialektische Methode als richtige Forschungsmethode anzuerkennen. Und dies nicht, um einer bestimmten Ideologie nachzulaufen, sondern im Gegenteil. Nur diese Methode erlaubt es, das Wesen der Welt zu erkennen und nicht einem scholastischen Glauben zu verfallen:
„Denn angenommen - wenn auch nicht zugegeben -, die neuere Forschung hätte die sachliche Unrichtigkeitsämtlicher Aussagen von Marx einwandfrei nachgewiesen, so könnte jeder orthodoxe Marxist alle diese neuen Resultate bedingungslos anerkennen, sämtliche einzelnen Thesen von Marx verwerfen - ohne für eine Minute seine marxistische Orthodoxie aufzugeben.“39
„Daßaber aller Versuche, sie(die dialektische Methode K.H.)zuüberwinden oder zu„verbessern“nur zur Verflachung, Trivialität, zum Elektrizismus geführt haben und dazu führen mußten.“40
3.3. Weber
Weber hat sich wiederholt von der Dialektischen Methode und vom historischen Materialismus distanziert.: „Nach Weber gibt es keine objektiven Gesetze in der sozialen Wirklichkeit. Es ist bestenfalls möglich, mit Hilfevon Idealtypen gesetzesähnliche Theorien von gesellschaftlichen Prozessen zu konstruieren, die dann als Maßstab dafür dienen können, den Grad des Abweichens bestimmter Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit von solchen nomologischen Modellen zu bestimmen.“41
Sein bürgerlicher Standpunkt erlaubt es ihm nicht, über den „Tellerrand“ der bürgerlichen Wissenschaft zu schauen. Weil er keine Alternative zum Kapitalismus sieht, glaubt er, daß „der historische Prozeßfür sichgenommen sinnlos sei und sich, vom Standpunkt eines beliebigen Beobachters als ein mehr oder weniger chaotisches Geschehen darbiete“42
Max Webers Klassenmodell wirkt wie eine Fotografie. Er betrachtet die gesellschaftliche Wirklichkeit. Er teilt die Gesellschaft in Klassen ein, aber er bleibt mit dieser Methode eine wirkliche Analyse schuldig. Es gelingt ihm dadurch nicht, allgemeine Entwicklungen der Klassenverhältnisse zu beschreiben, zum Beispiel die Entwicklung der Mittelklassen. Zum einen kritisiert er die zunehmende Bürokratisierung (vgl. oben), zum anderen weigert er sich, allgemeine Gesetze über die Dynamik des Kapitalismus anzuerkennen. Seine Kritik an kapitalistischen Widersprüchen kann daher nicht rational, sondern höchstens „individuell“ sein. Er fordert von der Wissenschaft „wertfrei“ zu sein. Doch ist diese Forderung überhaupt wertfrei, in einer Welt, in denen sich soziale Widersprüche verschärfen? So macht er aus den Unzulänglichkeiten seiner Methode ein Gesetz. Das Gesetz nämlich, daß es keine Gesetzte in gesellschaftlichen Entwicklungen gibt.
Bibliographie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
1Gregor Schöllgen, Max Weber, S. 158
2Armutsbericht 2000 der Bundesregierung
3vgl. Oskar Lafontaine, Das Herz schlägt links, S. 269
4Wolfgang Mommsen, Max Weber: Gesellschaft Politik und Geschichte S.144
5 Johannes Weiß, Max Weber in Rußland: Einige Überlegungen aus Anlaß der Max Weber - Vorlesungen von J.N. Davydov und P.P. Gaidenko in: Anton Sterbling/Heinz Zipprian (Hrsg.), Max Weber in Osteuropa, S. 98
6Max Weber (1864-1920): geboren in Erfurt, Sohn eines bekannten nationalliberalen Reichstagsabgeordneten und des Preußischen Landtags; studiert von 1882 an Jura in Heidelberg, Berlin und Göttingen; 1888 Eintritt in den Verein für Socialpolitik; 1894 Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg; 1897 Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Heidelberg; leidet ab 1898 an einem Nervenzusammenbruch, 1903 Aufgabe der Professur; 1905 „Die Protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ 1911 Beginn der Arbeit an „Wirtschaft und Gesellschaft“; 1919-20 Professur für Nationalökonomie in München; 1920 Tod.
7Wolfgang Abendroth, Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung, S. 67
8Alex Callinicos, Social Theory: A Historical Introduction, S.149
9 Wolfgang Mommsen, Max Weber, S. 21
10ebd., S. 21
11Alex Callinicos, Social Theory: A Historical Introduction, S.149
12vgl. Wolfgang Mommsen, Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte, S. 146
13Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 179
14ebd. S. 537
15Wolfgang Momms en, Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte, S. 15
16ebd. S. 21
17 vgl. Gregor Schöllgen, Max Weber, S. 79
18vgl. Alex Callinicos, Social Theory: A Historical Introduction, S.146
19Marianne Weber, Vorwort zur ersten Auflage in: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. XXXII
20Richard Swedberg, Max Weber and the Idea of Economic Sociology, S. 51
21Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 531
22ebd. S.532
23 ebd. S.532
24vgl. ebd. S. 177-180
25vgl. Richard Swedberg, Max Weber and the Idea of Economic Sociology, S. 52
26 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S.534
27ebd. S.532
28ebd. S.533
29 ebd. S.534
30Harald Kerber, Arnold Schmieder; Handbuch Soziologie: Zur Theorie und Praxis sozialer Beziehungen, S. 283
31vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 534
32Dirk Kalusa, Max Weber und seine Gesellschaftsaufteilung in Klassen, Stände und Parteien
33 Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei in: Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften, Band I , S. 33
34vgl. ebd , S. 31und S. 33
35Karl Marx, Das Elend der Philosophie
36Karl Marx, Thesen über Feuerbach in: Karl Marx/ Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften, Band II, S. 372
37 vgl. Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei in: Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften, Band I , S. 24
38Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, S.94
39Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, S.58
40ebd. S. 59
41Wolfgang Mommsen, Max Weber, S. 147
42 ebd. S. 148
- Quote paper
- Klaus Henning (Author), 2001, Max Webers Klassenmodell im Vergleich zu Karl Marx, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105236
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