Essay I. Kant
Der Naturzustand ist bei Kant, im Unterschied zu Locke und Rousseau, keine unbedingte Voraussetzung, die gegeben sein muss, um schließlich zu einem Staate oder einer Vereinigung der Menschen in einen bürgerlichen Zustand überzutreten. Das zeigt sich darin, dass Kant „seinen“ Naturzustand lange nicht so explizit ausformuliert und beschreibt wie es bei Locke und Rousseau der Fall ist. Dennoch gibt es einige Merkmale, die den Naturzustand bei Kant auszeichnen: Es ist ein Zustand, in dem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, es ist ein Zustand der Rechtlosigkeit - nicht der Ungerechtigkeit - weil, wenn ein Richter erforderlich wäre, keiner zur Verfügung stehen würde, außer einem selbst dann zu richten. Es gibt auch schon „Erwerbung“, also Besitz, welcher aber nur provisorisch ist, weil es noch kein öffentliches Recht gibt und das öffentliche Recht noch nicht durch eine Legislative gesichert ist. Der Naturzustand ist also weniger wichtig. Zudem nimmt der kategorische Imperativ die Menschheit und ein Realum vorweg.
Das Menschenbild Kants ist dem von Rousseau ähnlich. Wie auch Rousseau geht Kant davon aus, dass der Mensch „zweigeteilt“ ist, dass er also einerseits seinen physikalischen Verlangen und Erfordernissen folgt, andererseits aber auch Vernunft besitzt. Diese beiden Aspekte stehen sich gegenüber. Der Mensch ist aufgeteilt in eine physische und moralische Person. Auch geht Kant davon aus, dass der Mensch nach Glückseeligkeit strebt, was dann zur Folge hat, dass der Mensch „von sich aus“ den Naturzustand verlassen will, und in einer friedlichen Vereinigung mit seinen Mitmenschen leben will. Der Naturzustand muss also aufgegeben werden wegen dem äußeren Dasein des Machtrechts (Recht des Stärkeren).
Die Bestimmung der Vernunft durch die Freiheit ist der Grundbaustein für einen in der Idee gedachte Zusammenschluss der Menschen. Die Art des Zusammenschlusses ist eine Kategorie, die den Menschen selbst mit einbezieht. Die Verfassung die es zu begründen gilt, muss so sein, dass sie dem Menschen erlaubt „zweigeteilt“ zu sein. Die Vernunft spielt eine wichtigere Rolle als bei Locke und Rousseau, da die Verfassung Kants einzig aus Vernunftprinzipien abgeleitet ist. Die Verfassung ist also nicht aus der Geschichte und empirisch abzuleiten, sondern dadurch, dass die Gesetze a priori als notwendig erkannt werden. Ein wichtiges Grundprinzip ist der Frieden und die Freiheit. Ein jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, zu jedem Gesetz zuzustimmen und ist nur insofern Untertan, wenn er und alle anderen diesen Gesetzen zugestimmt haben. Hierbei hat sich Kant an dem Rousseau´schen „volonté général“ orientiert. Wobei Kant dieses noch ausdifferenziert in ein moralisches und ein rechtliches Ideal. Der „volonté général“ ist rein formal konzipiert und ist der Maßstab der Legislative. Das bedeutet deren Selbstständigkeit gegenüber der Exekutive. Der Herrscher und die Beherrschten sind gleich und besitzen eine Autonomie. Das heißt, dass jedes Menschsein in dem Vertrag geregelt sein muss, und dass alle diesem zustimmen müssen. Der Verfahrensmodi ist allerdings offengelassen. Es lässt ist allerdings anzunehmen, dass sie Zustimmung zum Vertrag zunächst als reine Idee gedacht wird. Weiter geht Kant davon aus, dass in der Natur des Menschen eine Tendenz zum Fortschritt und zu einer Etablierung der republikanischen Regierungsformen liegt. Das Mittel zum Fortschritt zum besseren ist die staatsbürgerliche Verfassung.
Kant war jedoch sehr realistisch. Es geht ihm also nicht so sehr darum den idealen Zustand zu begründen, sondern vielmehr um die Prinzipien, die helfen sollen, sich dem Idealzustand anzunähern. Hierzu bedient er sich dem Prinzip der republikanischen Verfassung und im besonderen der Gewaltenteilung. Die Organisation, die praktische Umsetzung seiner Staatsphilosophie lässt eher an Locke als an Rousseau erinnern. Kant lehnt eine „Versammlungsdemokratie“ wie bei Rousseau vielmehr ab. Aber auch das Prinzip von Locke erweitert bzw. grenzt Kant ein. Den Staat definiert Kant als eine Vereinigung von einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen. Er unterstellt die Staatslehre/das Staatsrecht also der Rechtslehre. Es handelt sich hierbei um das öffentliche Recht. Im Rahmen des Staatrechts unterscheidet Kant zwischen der Staatsform und der Regierungsform. Die Staatsform ist die Form der Beherrschung und hierzu gibt es drei Möglichkeiten: die Autokratie (die Herrschaft von einem über alle), die Aristokratie (die Herrschaft von eineigen über alle) und die Demokratie (die Herrschaft aller über alle). Es muss angemerkt werden, dass Kant „Demokratie“ noch im negativen Sinne des klassischen, griechischen definiert. Die Regierungsform betrifft die auf die Konstitution gegründete Art, wie der Staat von seiner Macht gebraucht macht. Diese kann entweder republikanisch oder despotisch sein. Hier führt Kant das Prinzip der (drei) Gewaltenteilung ein, welches die Vermittelbarkeit zwischen Staatsform und Regierungsform erleichtert. Kant erweitert die Gewalten allerdings um eine dritte im Gegensatz zu Locke (und erst recht zu Rousseau). Die drei Gewalten sind: die Herrschgewalt, die Souveränität, in der Person des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt, die Exekutive, in der Person des/der Regierenden, und die rechtsprechende Gewalt, die Judikative, in der Person des Richters. Durch diese drei Gewalten binde und erhalte sich der Staat selbst nach den Freiheitsgesetzen. Außerdem garantiert die Gewaltentrennung die bürgerliche Freiheit innerhalb einer stabilen, gesetzlich normierten staatlichen Verfassung. Zudem sind die drei Gewalten personell unterschiedlich, sowie sich einander untergeordnet. Die Souveränität lässt sich also teilen und übertragen - delegieren und repräsentieren. Kant verteilt also die verschiedenen Gewalten auf verschiedene Personen bzw. Körperschaften und verlangt dabei aber, dass die gesetzgebende Gewalt nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommt. Dies entspricht eher Rousseau und nicht Locke. Es kann also nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein, sofern einer über alle und alle über einen dasselbe beschließen.
Der Regent des Staates ist die moralisch oder physische Person, welche die Exekutive inne hat. Als moralische Person bildet die Regierung ein „Direktorium“, welches aber nicht gesetzgebend sein kann, weil es dann in Despotismus gründen würde. Der Regent kann also nicht gleichzeitig Gesetzgeber sein.
Der Gesetzgeber kann die Regierung ihres Amtes entheben oder in ihre Verwaltungstätigkeit eingreifen, aber die Regierungsmitglieder können nicht bestraft oder verurteilt werden.
Richter werden von einer oder von mehreren politischen Gewalten als Magistrate eingesetzt. Also ist weder das Parlament als Gesetzgeber, noch der Regent als Exekutor Richter. Das Volk richtet sich selber durch seine Mitbürger, die es dafür, durch freie Wahl, eingesetzt hat, und für jeden neuen Akt neu dazu ernannt werden müssen. Durch die vom Volke selbst delegierten Stellvertreter richtet das Volk unmittelbar über jeden angehörigen des Volkes.
Staatsbürger sind die zur Gesetzgebung vereinigten Glieder der Gesellschaft. Staatsbürger ist, wer berechtigt ist, seine Stimme abzugeben. Hierbei unterscheidet Kant zwischen dem aktiven und passivem Staatsbürger. Der aktive ist ein Besitzender von Boden, bzw. Land. Der Besitz ist individuell. Nur der aktive Bürger darf wählen. Frauen und Dienstleister, die keinen Besitz haben sind passive Bürger. Sie dürfen zwar gebildet sein, zählen aber dennoch nicht zu den aktiven Bürgern. Doch den passiven Bürgern ist die Möglichkeit offen, ob sie sich „hinauf“ arbeiten wollen und können, und dann zum aktiven Staatsbürger zu werden. Diese Unterteilung lässt die Vermutung zu, dass Kant hier den Besitzbürgertum begründet hat. Diese Unterscheidung der Bürger ist ähnlich der von Locke, welcher auch Unterscheide aufstellt, entspricht aber nicht der von Rousseau. Aber die Volkssouveränität ist nicht als die unmittelbare und direkte Gesetzgebung zu verstehen, sondern als die Gesetzgebungsgewalt des Parlamentes, dessen Mitglieder von den Staatsbürgern gewählt werden. Nichtsdestotrotz haben die Staatsbürger sog. „unabtrennliche Atribute“, welche sind: Erstens die gesetzliche Freiheit - keinem anderen Gesetz zu gehorchen außer dem, dem man zugestimmt hat; Zweitens die bürgerliche Freiheit - keinem anderen im Volke als höher zu erkennen, Reziprozität; Drittens die bürgerliche Selbstständigkeit - keinem anderen im Volke untertänig zu sein.
Die Staatsbürger, oder Untertanen im allgemeinen, besitzen kein Recht zum Widerstand/Aufstand/Aufruhr, da sie sich ja dem allgemeingesetzgebenden Willen unterworfen haben, durch welcher ein rechtlicher Zustand erst möglich ist. Würde ein Recht auf Widerstand bestehen, so wäre die Verfassung an sich schon unbrauchbar, da sie dann nicht mehr unbedingt und verbindlich wäre. Allerdings dürfen sich die Untertanen schriftlich Beschwerde einreichen. Dies dient auch dazu, die Regierung auf evt. Missstände aufmerksam zu machen und ggf. Reformen in Gang zu setzen. Dieses Recht wiederum impliziert ein Recht auf freie Meinungsäußerung, also Presse- und Meinungsfreiheit. Das Recht auf Widerstand und Meinungsfreiheit ist sowohl bei Locke als auch bei Rousseau vorhanden. Wenn dann aber doch eine Revolution gelungen ist, so müssen sich die Bürger auf jeden Fall der neuen Ordnung unterwerfen. Eine Gegenrevolution ist dann illegitim, wenn die eine Revolution schon gelaufen ist. Die Rechtmäßigkeit der Verhältnisse ist wichtig. Dieser Aspekt deckt sich nicht mit den Annahmen von Locke. Bei Rousseau wird eine Revolution und die Gegenrevolution nicht mit in Betracht gezogen. Die Bürger haben aber bei Kant das Recht der Religionsfreiheit - es gibt keine Staatsreligion. Das unterscheidet ihn zu Rousseau, aber nicht zu Locke. Um Beamter des Staates zu werden bedarf es einer bestimmten Qualifikation. Die Tatsache, dass man ggf. adelig ist, berechtigt einen nicht, auch gleich ein Staatsamt zu übernehmen. Auch hat das Staatsoberhaupt kein Recht, die Beamten nach seinem Willen wieder abzusetzen. Dass berufen und abberufen dürfen nur die aktiven Staatsbürger.
Des weiteren sind die Bürger auch dazu verpflichtet Steuern zu zahlen. Nicht nur weil der Staat „Obereigentümer“ aller Ländereien im Staatsgebiet ist, sondern auch, weil er indirekt die Pflicht hat, die Erhaltung des Volkes zu gewährleisten. Gerade dieser Aspekt, dass zur Erhaltung des Volkes Abgaben erhoben werden können, legt nahe, hier von einem „Sozialstaat“ zu sprechen. Die Regierung ist dazu verpflichtet die Bürger, die nicht vermögend genug sind zu unterstützen, durch Abgaben der Vermögenden. Es ist eine Zwangsfürsorge des Staates und diese muss nach den richtigen Prinzipien erfolgen. Steuern werden bei Locke auch erwähnt, allerdings nicht in diesem Ausmaß. Bei Rousseau wird die Abgabe von Steuern nicht weiter thematisiert. Das Strafrecht wird bei Kant noch einmal in einem Anhang behandelt, jedoch wurde es weder bei Locke noch bei Rousseau so stark thematisiert. Es beinhaltet Regelungen über das Ausmaß der Strafe, wer strafen darf (Gerichte) und über die Möglichkeit des Begnadigungsrechts. Alle weiteren Regelungen über die Ehe, Familie und Erziehung sowie andere werden nach Kant unter dem Privatrecht behandelt.
In Bezug auf die internationale Politik, also das Verhältnis der einzelnen Staaten zueinander, geht Kant noch weiter als Locke. Bei Locke werden zwar auch einige Aspekte des Krieges und der Eroberung getroffen, jedoch wird der Aspekt des Völkerrechts bei Kant viel intensiver diskutiert. Kants Völkerrecht umfasst Staaten die zueinander im Naturzustand stehen und betrifft weiter das Recht zum Krieg, im Krieg und das Recht, aus dem Kriegszustand wieder auszutreten, also den Frieden. Kant formuliert hierzu sechs Präliminarartikel, sowie zwei Definitivartikel und zwei Zusätze. Die Präliminarartikel unterteilen sich noch einmal unter drei strenge, also unbedingte Artikel und drei, die auf eine längerfristige Entwicklung angelegt sind. Der erste Präliminarartikel ist unbedingt und beinhaltet, dass kein Friedensschluss gemacht werden soll, der mögliche weitere Kriege mit einschließt, denn dann wäre es ein bloßer Waffenstillstand. Der zweite Präliminarartikel kann verzögert vollzogen werden und beinhaltet, dass es einem Staat untersagt ist, einen anderen Staat durch Vererbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erwerben kann. Der dritte Präliminarartikel ist nicht unbedingt und beinhaltet, dass stehende Heere mit der Zeit abgeschafft werden sollen. Der vierte Präliminarartikel ist ebenfalls nicht unbedingt und beinhaltet, dass ein Staat keine Staatsschulden zur Führung von Staatshändeln machen darf. Der fünfte Präliminarartikel ist unbedingt und beinhaltet, dass sich kein Staat gewalttätig in die Regierung eines anderen einmischen darf. Der sechste Präliminarartikel ist auch ein unbedingter und beinhaltet, dass gewisse Feindseeligkeiten/Kriegspraktiken (Meuchel- oder Giftmord) nicht zu gebrauchen seinen, da sie einen zukünftigen Frieden ausschließen.
Die drei folgenden Definitivartikel stellen die eigentlichen Bedingungen dar, die erfüllt werden müssen, damit ein dauerhafter Friedenszustand existieren kann. Die Vorgabe hierzu ist der Naturzustand, indem zwar nicht permanent Krieg herrscht, aber doch eine ständige Bedrohung vorhanden ist. Der erste Definitivartikel definiert zunächst seine Republik, die durch drei Prinzipien gekennzeichnet ist. Erstens durch die Freiheit der Menschen als Glieder einer Gesellschaft, zweitens durch die Abhängigkeit aller von einer einzigen Gesetzgebung und drittens durch die Gleichheit aller innerhalb einer gestifteten Verfassung. Der zweite Definitivartikel besagt, dass das Völkerrecht auf einen Föderalismus freier Staaten begründet sein soll. Und der dritte Definitivartikel beinhaltet das Weltbürgerrecht, und besagt, dass ein Besuchsrecht der Bürger einzelner Staaten untereinander besteht, was dem Kennenlernen und dem Abbau von Mistrauen dienen soll. Der erste Zusatz handelt dann von der Garantie der Natur zum Frieden beizutragen. Und der zweite Zusatz, der geheime Artikel, besagt, dass die Philosophen zu Rate gezogen werden sollen, wenn es um politische Verhandlungen und den Frieden geht. So will Kant aber nicht die Vereinigung der Völker in einem Weltstaat, sondern eben vielmehr die Vereinigung zu einer Föderation als einen rechtlichen Zustand mit einem gemeinschaftlich verabredeten Völkerrecht, welches dem Krieg ein Ende setzt.
Abschließend lässt sich sagen, dass der Kant´sche Zusammenschluss der Freiheiten auf der Annerkennung der äußeren Handlungsfreiheit und ihrem „nebeneinander bestehen können“ beruht. Auch der nicht abzustreitende Vorrang der Freiheit, welche eben einer a priori gesetzgebenden Vernunft entspricht ist wichtig. Die Werke (Kritik der reinen, praktischen Vernunft) haben die Voraussetzungen für das Werk „Mataphysik der Sitten“ und „Zum ewigen Friede“ gesetzt. Der kategorische Imperativ ist die Voraussetzung schlechthin für Kant.
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- Johanna Lehmann (Autor), 2001, Kant, Immanuel - im Vergleich zu J.Locke und J-J.Rousseau, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104833
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