Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr
Ich möchte euch heute etwas über den Truppenübungsplatz Grafenwöhr erzählen, über seine Entstehungsgeschichte und seine Gegenwart.
Im Jahre 1868, also vor etwa 130 Jahren, hatte Bayern 2 Armeen. Sie übten auf den Truppenübungsplätzen Hammelburg nördlich von Würzburg und auf dem Lechfeld bei Augsburg.
Um 1900 faßte das Königlich-Bayerische Kriegsministerium den Entschluß, ein 3. Armeekorps aufzustellen und suchte gleichzeitig einen Übungsplatz dafür.
Es sollte sich um ein siedlungsarmes Gebiet handeln, damit die Zahl der abzusiedelnden Personen möglichst gering gehalten werden konnte. Dadurch sollten Unruhen unter der Bevölkerung vermieden und - es ging ja auch ums Geld - die Ablösesummen für die einzelnen Hof- und Hausbesitzer verringert werden.
Nachdem auf geheimen Befehl „unauffällige Beobachtungen“ möglicher Landstriche durchgeführt worden waren, wurden dem Kriegsministerium 12 mögliche Plätze in Bayern benannt, von welchen nach genauer Prüfung sich das Gebiet zwischen Grafenwöhr und Vilseck als am besten geeignet erwies.
Die Gründe dafür waren, daß man dort nur 5 Dörfer und 5 Weiler mit 300 Bewohnern ablösen mußte und sich 80% der Waldgebiete sowieso schon im Staatsbesitz befanden.
Dieser Truppenübungsplatz war etwa 90 km² groß. 1906 erteilte Prinzregent Luitpold von Bayern die Genehmigung für das Vorhaben und von 1910 an stürmte die Kavallerie durch die Gegend und Kanonen übten sich im scharfen Schuß. Für den ersten Artillerieschuß auf dem Platz wählte man eine 15 cm-Feld-Haubitze, deren Granate allerdings schon 800m vor dem Ziel den Geist aufgab. Diesem „Treffer“ hat man sogar ein kleines Denkmal errichtet.
Auf dem Kasernengelände nahe der Stadt Grafenwöhr entstanden bis 1915 etwa 250 Gebäude für etwa 9000 Soldaten und fast 4000 Pferde.
Damals herrschte noch ein strenger Ton und die Soldaten sprachen bald von „Strafenwöhr“. Was während des 1. Weltkrieges in Grafenwöhr geschah, darüber gibt es kaum Berichte. Die meisten schriftlichen Unterlagen wurden bei den Bombenangriffen im April 1945 vernichtet. Dies gilt auch für die Unterlagen aus dem 2. Weltkrieg 1939 - 1945.
Wie ihr alle wißt, hat Deutschland den 1. Weltkrieg verloren und mußte nach Unterzeichnung des Versailler Vertrages das Heer auf 100.000 Mann mit leichten Waffen abrüsten. Somit tat sich auf dem Platz bei Grafenwöhr bis 1933 kaum etwas.
Im Jahre 1933 kam Adolf Hitler an die Macht, der sich wenig um den Versailler Vertrag scherte und sogleich die allgemeine Wehrpflicht anordnete. Die Armee wuchs auf 3 Millionen Mann und mit der raschen Zunahme an Soldaten wurde auch der Truppenübungsplatz Grafenwöhr wieder lebendig. Es wurden viele neue Gebäude errichtet und bald stellte sich heraus, daß durch die steigende Anzahl der Soldaten, durch die vermehrte Motorisierung der Truppe und durch die größere Reichweite moderner Geschütze der Platz zu klein geworden war.
Man beschloß, ihn nach Westen zu erweitern.
In den Jahren 1936 - 1938 begann das Kriegsministerium mit der Beschlagnahme und Absiedlung von 57 Ortschaften, die bekanntesten darunter hießen Pappenberg, Haag und Hopfenohe.
Die Größe des Platzes beträgt seitdem 23.300 ha.
1938 ließ Adolf Hitler auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr die Bunker des Westwalls von Frankreich nachbauen, damit die Soldaten daran üben konnten, wie man sie bekämpfen oder sprengen konnte.
Im 2. Weltkrieg war es wieder ziemlich still auf dem Übungsgelände. Alle Soldaten waren an der Front. Nur im sogenannten Westlager bei Bernreuth wurden weiterhin Soldaten ausgebildet, darunter auch Spanier und übergelaufene Russen.
Im April 1945 übernahmen die einmarschierten Soldaten der US-Armee den Truppenübungsplatz und funktionierten das Westlager um in ein Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten, hauptsächlich SS-Angehörige. Dann sprengten die Amerikaner in ihrem Übereifer erstmal sämtliche Bunker auf dem Truppenübungsplatz und auch alle Großgeschütze der Deutschen Wehrmacht. Darunter befand sich auch die DORA, das bis heute größte Geschütz der Welt, das zum Transport zwei Bahngleise benötigte und ein Kaliber von 80 cm hatte.
Später stellte die US-Armee fest, daß sie vorschnell gehandelt hatte. Der Gedanke war aufgekommen, den Truppenübungsplatz, der immerhin der größte in Europa war, selbst zu nutzen. Die Bunker hätten sie für ihre künftigen Übungen nutzen können und die DORA wäre in den USA in jedem Museum ein Kassenschlager gewesen.
Ab sofort nutzten die Amerikaner den Platz als Übungsgelände für ihre eigenen Truppen. Zunächst unter dem Deckmantel der Friedenssicherung in Deutschland, später als militärischen Stützpunkt im kalten Krieg gegen Rußland.
Anfang der 50er Jahre herrschte immer noch große Arbeitslosigkeit in Deutschland und viele angrenzende Bewohner verdienten sich ein Zusatzbrot durch das verbotene Sammeln von Munitions- sprich Metallteilen im TrÜbPl. In Unkenntnis der amerikanischen Munition verloren damals etwa 30 Menschen ihr Leben, weil sie Sachen aufhoben, welche sie besser liegenlassen hätten sollen. Von zwei Auerbacher Sammlern fand man nur noch eine Kopfhaut und ein Ohr.
Nach dem politischen Zusammenbruch der UdSSR gab es für die US-Streitkräfte eigentlich keinen Grund mehr, das deutsche Gebiet im Raum Grafenwöhr zu besetzen. Hierbleiben wollten sie aber trotzdem, wie gesagt, es handelt sich hier um den größten TrÜbPl in Europa, und den will man nicht so schnell aufgeben. Seitdem wird die Bundeswehr mehr und mehr in die Nutzung des Platzes einbezogen, um der gegenwärtigen Politik entgegenzukommen. So entstand z.B. die Range 301 bei Ernstfeld, auf der Panzer ihre Übungen mit 120 mm - Kanonen abhalten, auf der Range 213 bei Nitzlbuch beschießen Schützenpanzer mit 20- und 25mm Schützenkanonen Feinde aus Sperrholz und Kunststoff, und auf dem Feuerpunkt 176 bei Sackdilling schießen die deutschen Soldaten ihre MARS-Raketen in die sogenannte „Impact-Area“.
Insgesamt gibt es ca. 40 Schießbahnen für bewaffnete Fahrzeuge und Handwaffen, 2 Sprengplätze und eine Waldkampfbahn.
Krisenzeiten wie Kosovo kann man auf dem Truppenübungsplatz im Vornherein erahnen. Wenn plötzlich massenhaft Kampfhubschrauber auftauchen oder pro Tag ein Dutzend Kampfflugzeuge F 16 oder F 18 aus Richtung Westen in den Platz einfliegen, weiß der angrenzende Bewohner, es steht wieder ein größerer ernsthafter Einsatz bevor.
Durch diese Einsätze mit scharfen Raketen und Granaten kommt es besonders im Sommer immer wieder zu Bränden. Manchmal brennt es dreimal am Tag auf dem Übungsgelände, aber Forstamt und US-Armee haben sich darauf eingestellt, die Brände werden immer sofort gelöscht.
Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr hat in den letzten ca. 100 Jahren seine Bedeutung nicht verloren. Er war und ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für unsere Gegend. Zeitweilig arbeiteten bis zu 3500 einheimische Bewohner dort als Schreiner für Schießscheiben, Maurer für Gebäude, Maler, KfzMechaniker usw. In letzter Zeit besinnt sich die US-Armee zwar mehr auf die eigenen Leute und der Arbeitsstand ist auf etwa 2000 deutsche Beschäftigte gesunken. Dennoch profitiert die heimische Wirtschaft nach wie vor von der Gegenwart der Amerikaner.
Der meiner Meinung nach größte Vorteil für unsere Umgebung aber liegt, so paradox es auch klingt, im Bereich Naturschutz.
In der Nachkriegszeit um 1950 bis 1970 haben übermütige GI’s oft auf wehrlose Häuser und Kirchen geschossen, die Überbleibsel von den abgelösten Dörfern dieser Gegend. Die Panzer durchwühlten Biotope und legten kräftemessend alte Bäume um, explodierende Granaten löschten jedes Leben in den Weihern aus.
In den letzten Jahren hat sich dies gewandelt. Mit den deutschen Forstämtern wurde ein Übereinkommen getroffen, bestimmte Gebiete zu schonen bzw. nicht mehr anzufahren oder zu beschießen.
Man muß sich das so vorstellen:
Seit über 60 Jahren wohnt dort niemand mehr. Für Spaziergänger ist das ganze Gelände gesperrt. Es gibt keine Menschen, die dort Blumen pflücken, angeln oder das Wild aufscheuchen. Die Pflanzenwelt konnte sich ungestört entwickeln und halten, dort wachsen heute Orchideen und Wollgras, das sind Pflanzen, welche im übrigen Deutschland als ausgestorben gelten.
Außerdem gab es dort keine Flurbereinigung, welche in den 70er und 80er Jahren, vorangetrieben durch die CSU, weite Teile der Natur in Deutschland zerstörte. Im Platz verschwanden keine Hecken und keine Feldraine. Aus diesem Grund gibt es dort auch z.B. noch den Neuntöter, der als fast ausgestorben gilt, und den Wanderfalken.
Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr weist eine Biotop- und Artenvielfalt auf, die von herausragender Bedeutung für den Erhalt zahlreicher seltener Pflanzen und Tiere ist. Das ist hauptsächlich den Mitarbeitern des Bundesforstamtes zu verdanken, welche auch besonders auf die Erhaltung von Horst- und Höhlenbäumen sowie die Sicherung alter Felsenkeller als Fledermausquartiere achten.
Von den ehemaligen Dörfern im Platz ist kaum mehr etwas zu sehen. Es stehen aber immer noch die alten Obstbäume, welche damals zu jedem Haus gehörten. Auch sie werden von den Forstleuten gepflegt. Zum einen deshalb, weil es sich um alte und fast ausgestorbene Sorten handelt, zum anderen, weil das im Herbst herabfallende Obst eine willkommene Zusatznahrung für die Tiere darstellt.
Das Wild hat sich längst an die Schußgeräusche gewöhnt und die Scheu vor Menschen zum Teil verloren, weil es selten Menschen sieht. Die Förster behaupten sogar, das Wild könne mittlerweile zwischen dem Schußknall eines M 16 - Gewehres der amerikanischen Soldaten und dem Knall einer Jägerbüchse unterscheiden. Der eine Schuß läßt sie unbeeindruckt, der andere veranlaßt sie zur Flucht.
Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr ist das wildreichste Gebiet in Bayern, im letzten Jahr wurden dort über 1100 Stück Rotwild und 600 Stück Schwarzwild erlegt, ohne daß die Population darunter leidet. Für den bayerischen Staat ein gutes Geschäft. Er verlangt z.B. von Gastschützen für den Abschuß eines Hirsches je nach Geweihgröße bis zu 6.000 DM.
Natürlich wird auch der Wald wirtschaftlich genutzt, wenn das Holz auch durch den „Metallgehalt“, sprich Einschüssen, weniger Geld einbringt als die Stämme aus einem normalen Wald.
Es gibt zwar Pläne der Amerikaner, in Polen größere Truppenübungsplätze zu schaffen, da Ihnen der Grafenwöhrer Platz von der Größe her nicht mehr ausreicht. Dennoch kann man davon ausgehen, daß der derzeit größte Truppenübungsplatz der Amerikaner in Europa wohl für immer eine verbotene Zone sein wird.
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- Andreas Kugler (Author), 2001, Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104709