Gliederung
A) Inhalte der Werke Frischs
B) Analyse der Textstelle „Vom Sinn eines Tagebuches“ aus dem Tagebuch 1946-1949 (S.21f.) (Max Frisch) nach Inhalt, Form, Sprache, sowie eine Erörterung der Weltsicht und des Menschen- bildes mit Ergänzung von eigenen Gedanken zum Thema
I. Textanalyse
1. Inhalt
2. Form
a) äußere
b) innere
3. Sprache
a) Verben
b) Adjektive/ allgemein
c) Satzbau
d) Spezielle Ausdrücke/Wendungen
e) Indirekte Personifizierung
II. Erörterung
1. Weltsicht
a) Grundstimmung
b) Verantwortung
c) Synthese
2. Menschenbild
3. Der Sinn des Tagebuches
a) Differenzierung
b) Eigene Gründe
c) Erinnerungshilfe
C) Beliebtheit Frischs
Der schweizer Schriftsteller Max Frisch ließ in seinen Werken immer einen gewissen autobiographischen Ansatz erkennen. Somit flossen in seine gesamten Werke persönliche Erfahrungen aber auch aktuelle Ereignisse mit ein. Frisch nahm sich ausführlich der deutschen Nachkriegsgeschichte an, und spiegelte Erfahrungen, Ansichten und Gedanken vor allem in den Werken Nun singen sie wieder (1945), und Tagebuch 1945-1946 (1950) wieder. Im Folgenden soll nun die Stelle „Vom Sinn eines Tagebuches“ aus dem zuletzt genannten Werk analysiert werden. Daran schließt sich eine Erörterung über die aus dem Text ersichtliche Weltsicht und das entsprechende Menschenbild, sowie eine Ergänzung der Gedanken Frischs über den Sinn eines Tagebuches.
Die Textstelle „Vom Sinn eines Tagebuches“ beschäftigt sich mit vier unterschiedlichen Thesen : über das Leben selbst, das Schreiben, die Zeit, sowie die Beziehungen zwischen Bewusstsein, Traum und Dichtung.
Das Leben ist „ein laufendes Band“, das sich nicht mehr zurückdrehen oder im Nachhinein beeinflussen lässt. Wir sind verantwortlich für die Vergangenheit und die Gegenwart (vgl. Z.1-5).
Das Schreiben ermöglicht uns, uns selbst kennen zu lernen. Obwohl dies zu unangenehmen Entdeckungen führen kann, ist dies das einzige Mittel zur vollständigen Selbstfindung.
Die Zeit ist nur ein „Hilfsmittel unsrer Vorstellung“ (Z.35). Dadurch scheint für uns alles allmählich und nacheinander zu geschehen, obwohl es tatsächlich „ein Zugleich“ (Z.37) ist.
Das Bewusstsein, das das Leben in einen zeitlichen Ablauf zerlegt, steht im Gegensatz zum Traum. Dieser bündelt erneut alle Ereignisse. Die Dichtung versucht den Traum nachzuahmen.
Entsprechend dem Inhalt sind diese vier Abschnitte optisch durch Absätze getrennt. Drei davon enden mit einem Gedankenstrich und sollen so Platz für eigene Gedanken und Überlegungen machen.
Geschrieben ist der Text zunächst in der ersten Person Plural; damit soll der Leser persönlich in die Gedankengänge des Autors einbezogen werden. Allerdings wird das Personalpronomen häufig mit der unpersönlichen Form „man“ ersetzt, womit der Autor von der Allgemeinheit weggehen und sich als Einzelperson in den Vordergrund stellen will (indirekte Ichbezogenheit).
Aber nicht nur die grundsätzliche Erzählform des Textes zeigt die Bemühungen Max Frischs, den Leser direkt mit den Ideen und Vorgängen zu konfrontieren und ihn mit darin einzuschließen. Sondern auch der Gebrauch von Verben, die den Leser Aktionen miterleben lassen (verbessern (Z.3), verwerfen (Z.4), wahrnehmen (Z.38), etc.).
Insgesamt zeichnet sich diese Abhandlung durch eine sehr nüchterne, wenig ausgeschmückte Sprache (nur wenige Adjektive) aus, die bloß gelegentlich mit bildhaften Vergleichen ausgestattet ist. Frisch setzt hier die traurige Stimmung der Nachkriegszeit um und passt sich somit -wie alle Epochen und Zeiten- der Umwelt und ihren Einflüssen an. Aber gerade in den begrenzten Sprachgebrauch der damaligen Zeit scheint Frisch eine Herausforderung zu sehen. Mit geradezu einfachen Elementen, setzt er unscheinbar geschickt Akzente.
Syntaktisch gesehen, nimmt die Länge der Sätze mit der Komplexität und Schnelligkeit der Gedanken des Autors zu. Ersichtlich wird dies zum Beispiel an der Ausführung über das Sichtbar-Machen und Bezeugen unsrer jeweiligen Gedanken (vgl. Z.21-27).
Teilweise wird aber auch versucht den Inhalt durch den Satzbau zu verdeutlichen bzw. herauszuheben.
Der Satz „ Man ist, was man ist.“ (Z.13) wird besonders durch die Parallelität von Haupt- und Nebensatz bzw. durch die Wiederholung der Floskel „man ist“ hervorgehoben. So wird auf die Wichtigkeit dieser Aussage hingewiesen.
„...eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben.“ (Z.14/15); hier wird der erste Teil des Satzes mit einer Hilfskonstruktion („...eigentlich sind nicht wir es, die...“) umgeformt, sodass das Verb schreiben nicht aktivisch im Hauptsatz verwendet wird. Dadurch wird vermieden, dass sich der erste und der nachfolgende Teil des Satzes ( „wir werden geschrieben“) inhaltlich bzw. grammatikalisch widersprechen.
Zusätzlich wird die Aussage mit einer vorausgehenden Veranschaulichung verstärkt und erweitert („Man hält die Feder hin wie die Nadel in einer Erdbebenwarte...“).
Metaphorisch steht die Erdbebenwarte für das Leben. Dies soll darauf hinweisen, dass es nur wenige Ereignisse gibt, die herausragen und notiert werden. Die Feder entspricht der Nadel eines Seismographen und somit einer Sache, die nur auf Bewegungen reagiert, auf die niemand Einfluss hat
Doch noch andere Wendungen fallen im Text auf: erstens „die Fensterscheibe“(Z.19); zweitens „die Farben des Lichtes“ (Z.38/39) sinngemäß verbunden mit „das brechende Prisma / die andere Linse“ (Z.41/43). In beiden Fällen muss der Mensch etwas zu Hilfe nehmen um etwas Bestimmtes zu sehen. Für die Selbsterkenntnis benötigt er das Schreiben, für das Verständnis von Leben die Zeit - erzeugt und wieder aufgehoben durch das Bewusstsein und den Traum.
Durchgehend werden im Text Schlüsselwörter wiederholt: Zeit (Z.6/28/30), Traum (Z.42/44), Leben (Z.3/42), Wesen (Z.23/29) und Hoffnung (Z.2/11).
Dabei fällt auf, dass Hoffnung immer als nicht vorhanden bzw. nicht zu erwarten dargestellt ist. Erneut scheint hier die Hoffnungslosigkeit nach dem 2.Weltkrieg durch.
Im gesamten Text wird zweimal der feste Ausdruck „unser Leben“ benutzt. Diese doppelt auftretenden Begriffe umschließen die Termini „unsre Gedanken“, und darauffolgend zweimal „unser Wesen“. Daraus lässt sich schließen, dass für Frisch das Leben das eigene Wesen (wichtiger, weil doppelt genannt) und die eigenen Gedanken beinhaltet.
Des Weiteren ersetzt Frisch die Zeit und den Traum bei wiederholtem Gebrauch durch Personalpronomen, anstatt Demonstrativpronomen zu verwenden. So entsteht eine indirekte Personifizierung, die hier ebenfalls eine engere Beziehung zwischen dem Inhalt und dem Leser herstellen soll.
Obwohl Frisch inhaltlich die Zeit nur als unwesentlich und als Hilfsmittel herunterspielt, kehren Wörter aus dem Themengebiet „Zeit“ immer wieder: Augenblick (Z. 3/10), Damals/Heute (Z. 4/5), übermorgen (Z.12), Allgegenwart (Z.31), Zugleich (Z.37). Die Zeit scheint somit doch ein wesentlicher Teil von allem zu sein.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Frisch sich um eine enge Leser-Text- Beziehung bemüht und durch geschickte Konstruktionen (sowohl sprachlich als auch syntaktisch) den Inhalt zu verdeutlichen sucht. Die Nachkriegszeit kommt deutlich in der stark rationalisierten Sprache zur Geltung, aber auch die positiven Ansätze für die Zukunft finden sich in den genannten Vergleichen und Teilausdücken.
Die Weltsicht, die Frisch hier gestaltet, zeigt sich insgesamt eher pessimistisch. Der Satz „Man ist, was man ist.“ (Z.13) folgt einer negativen Aussage , sowie die Wendungen „...selten ein reines Vergnügen...“(Z.16) „...erschrickt auf Schritt und Tritt...“(Z.17) und „...man ein Griesgram ist...“(Z.20) von einer eher düsteren Ansicht zeugen. Die Grundstimmung des Schreibers erscheint als mut- und bedingt hoffnungslos.
Der Autor fühlt sich gleichsam für die Vergangenheit und die Gegenwart verantwortlich, fordert folglich Offenheit gegenüber dem 2.Weltkrieg und die Ergreifung der Chance einen Neuanfang zu wagen und die Lage zu verbessern. Frisch sieht das Leben als eine Synthese aus allem, als ein „Urganzes“(Z.43), das durch Bewusstsein und Traum eine Aufspaltung und eine erneute Bündelung erlebt; somit wird Zeit relativ.
Das Menschenbild, das Frisch in diesem Textausschnitt zeichnet, ist das einer Person, die zwar Vorstellungen vom Leben hat, aber nur wenig über sich selbst weiß. Um dies zu ändern, muss man schreiben. Dies soll eine Reise in die Seele und die Grundlagen der Gedanken sein, die auch die unangenehmen, verdrängten Erlebnisse nicht ausspart. Aber nichts verändert ein Individuum grundlegend. Es kann nur bereits Bestehendes verändert oder weiterentwickelt werden. Der Mensch selbst ist unfähig. Zu allem benötigt er gewisse Hilfsmittel. Er darf seine Vergangenheit nicht verleugnen und muss sich der Gegenwart bewusst sein.
Bei dem Begriff Tagebuch muss man differenzieren: erstens kann es dazu genutzt werden, sich allgemeine Notizen über das aktuelle Zeitgeschehen zu machen und dieses zu kommentieren; zweitens kann es eine Aufzeichnung persönlichster Erfahrungen, Probleme und Gedanken sein.
Frisch unterstützt mit seinem „Sinn vom Tagebuch“ die erste Form und weiß schon im Vorhinein, dass seine Aufzeichnungen für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Wenn ich ein Tagebuch führe, dann zu dem Zweck, mein Innerstes zu Papier zu bringen, es mir vor Augen zuhalten und es dann objektiv betrachten zu können. So kann ich etwas Distanz gewinnen und bei Problemen leichter zu einer Lösung gelangen.
Bei beiden Formen kann ich mir Geschehenes wieder zurück ins Gedächtnis rufen, wobei bei der ersten Form es eher eine Reise in die ehemalige Umwelt und deren Umstände wird, beim Zweiten allerdings ein Blick in die Vergangenheit der Emotionen.
Auch in diesem Text von Max Frisch zeigt sich, dass er ein immer aktuell bezogener Schriftsteller war. Mit akribischen Überlegungen flocht er den Geist seiner Zeit in seine Schriftstücke mit ein und scheute keine Kritik an diesem. Vielleicht gerade wegen des Mutes sich von Normen und den Vorstellungen seiner Leser zu lösen und wegen der durchgehend ohne große Umständlichkeit auftretenden Sprache, ist Frisch ein auch heute noch beliebter Autor. Trotzdem gelingt es dem Leser nur selten, sich mit den Gedanken und Hauptpersonen der einzelnen Werke bedingungslos zu identifizieren.
- Citation du texte
- Niepmann Juliane (Auteur), 2001, Frisch, Max - Tagebuch 1946-1949 - Erschließung der Stelle aus Tagebuch 1946-1949 (S.21f)+ Erörterung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104708
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