Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die industrielle Gesellschaft als Bedingungsfaktor des Sports
2.1. Warum der Sport entstehen musste?
2.2. Die Bedeutung des Sports für die industrielle Gesellschaft
3. Zusammenfassung S.
4. Literatur S.
1. Einleitung
Helmuth Plessner diskutiert in seinem1956 verfassten Text über das Phäno- men Sport und dessen außerordentliche Bedeutung für unsere Zeit. Zur Zeit der Entstehung dieses Textes ist nach Plessner der Sport recht wenig vom soziologischem Blickpunkt beschrieben worden. So ist es ein Versuch Pless- ners, das Entstehen des Begriffes Sportes im Zusammenhang mit der indus- triellen Entwicklung zu verknüpfen. Plessner stellt dar, dass man sich nicht eingestehen will, dass er „ein wesentliches Symptom, eine wesentliche Er- scheinung unseres kulturellen Zustandes unserer modernen Gesellschaft“ (S. 147) ist, der jedoch eher als eine Randerscheinung behandelt wird. Widmet man sich diesem Thema, dann meist nur aus medizinischer Sicht im Sinne von Training, Physiologie, Psychologie oder klinischer Probleme. Dabei ist er aus soziologischer Sicht nicht nur ein „ephemeres Phänomen zur besonderen Ausgestaltung unserer Massengesellschaft“ (S. 147), sondern hängt vielmehr mit der sozialen Struktur und dem täglichen Leben zusammen.
Der Text Plessners versucht dieses Phänomen, im besonderen das Massen- phänomen Sport, den so genannten Massensport, aus soziologischer Sicht zu beschreiben.
2. Die industrielle Gesellschaft als Bedingungsfaktor des Sports
Nach Plessner entwickelt sich der Sport nur in einer industrialisierten Gesell- schaft, die durch die Eigenschaften Technik, weitgehende Arbeitsteilung und Urbanisierung gekennzeichnet ist. Die von England ausgehende Industrielle Revolution sorgte im 18. Jahrhundert für eine starke Veränderung der Gesell- schaft und Arbeitswelt. Neue Maschinen wurden entwickelt, welche die menschlichen Kräfte in großem Maße ersetzten. Dies führte zu den genannten charakteristischen Faktoren, welche im Endeffekt den Sport bedingen, denn im Gegensatz dazu, gibt es auf dem Lande lediglich das Spiel.
Plessner geht darauf ein, dass die Wurzeln des Sports in der vorindustriellen Epoche liegen (der Begriff entwickelte sich aus dem Wort desporter - sich er- holen), sagt aber zugleich, dass die Funktion des industriellen Sports jedoch eine andere ist. Vor allem „aber die Ausbreitung ..., ... Differenzierung ... und ... Popularität läuft doch der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft im wesentlichen parallel.“ (S. 148). Er betont, dass eine Klärung der Bedeu- tung des Sportes für unsere westliche Welt nur unter dem „Phänomen der zu- nehmenden Verstädterung“ (S. 148) zu realisieren ist, welche neben den pro- duktiven Vorteilen viele Probleme für die Menschen mit sich brachte. An die- ser Stelle vernachlässigt er die Klärung des Sports in den vielen anderen Tei- len der Welt (Asien, Südamerika, Afrika), da der Sport dort zu dieser Zeit wahrscheinlich noch nicht so entwickelt war. Heute wäre eine Betrachtung für diese Länder durchaus sinnvoll, wahrscheinlich aber immer noch von der westlichen Welt abzugrenzen.
2.1. Warum der Sport entstehen musste?
Plessner beschreibt in seinem Text drei Hauptmotive, die die Entstehung als Folge der industriellen Entwicklung und den damit einhergehenden Problemen begründete.
Gefühl des gestörten Verhältnisses zum Körper
Eine tiefe Unzufriedenheit, die mit der Verstädterung und der modernen Ar- beit, gekennzeichnet durch Schlagwörter wie Industrialisierung, Spezialisie- rung, Bürokratisierung und Mechanisierung einhergeht, hat den Menschen er- griffen. Verstärkt wird dies durch den Verlust des naturalistischen Elements, sowie den Verlust der alten, handwerklichen, traditionellen und ländlichen Le- bensweise.
Diese Kennzeichen der Verstädterung sind Selbstverständlichkeiten geworden und werden sogar als unvermeidbare Formen angesehen, welche zur indus- triellen Gesellschaft gehören. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Mensch trotz der modernen Arbeit (Hand- als auch Kopfarbeit) aus einer leibhaften, körperlichen Gesamtexistenz besteht, welche durch alles Unnatür- liche („einseitige Beanspruchungen, ... zu einseitig spezialisierter Leistung ü- beranstrengt ... bloße Kopfarbeit“ (S. 149)) gestört wird. Diese Störung des Verhältnisses zum Körper durch alle unnatürlichen und einseitigen Beanspru- chungen rufen die Funktion des Sports auf die Tagesordnung. Eine weitere Verstärkung dieses Prozesses erfährt der Mensch durch die Mechanisierung des Verkehrs - durch Auto, Bahn, Rad und Flugzeug - und der damit einher- gehenden Verkümmerung der körperlichen Existenz des Menschen. Wer geht heute noch zu Fuß zu Arbeit? Es lastet ein viel zu großer Zeitdruck auf den Meisten von uns und viel zu einfach ist es, den Autoschlüssel umzudrehen und in kürzester Zeit hinzufahren, wo man will. Selbst viele Stunden im Stau nimmt man auf sich, so bequem ist der Mensch geworden. Es ist unserem Geiste gar nicht möglich, sich den schnellen Fortbewegungsmöglichkeiten an- zupassen, was Plessner mit den Worten „der Geist geht zu Fuß“ (S. 150) be- schreibt. Diese Verschärfung des gestörten Körpergefühls und die zuvor be- schriebenen unnatürlichen und einseitigen Beanspruchungen finden ein Ab- lassrohr im Sport und so beschreibt Plessner ihn als Ausgleichsreaktion für die durch die industrielle Gesellschaft hervorgerufenen Probleme. Er ist heute viel weniger Leibeserziehung nach griechischem Vorbild, sondern eine „künstliche Wiederpflege eines ... vernachlässigten Eigenwertes des leiblichen Daseins“ (S. 150).
Widerstand gegen die Anonymität
Ein zweites Motiv ist nach Plessner der Wunsch der Heraushebung des Ein- zelnen aus der Masse. Im Laufe der Zeit ist die Befriedigung der handwerkli- chen traditionellen Arbeitsweise an einem Ganzen, selbst erschaffenen immer mehr verloren gegangen. Selten erfährt man ein Lob oder Hochachtung für das, was man getan hat, so dass die persönliche Note in der Masse schwin- det. Heute sieht man sich vielmehr als Rad im Getriebe, in dem man irgend- eine hochspezialisierte Teilaufgabe erfüllt. Auch wenn dies eine besondere Aufgabe abverlangt, so geht sie aber an der Person vorbei und es schleicht sich ein Bewusstsein der Auswechselbarkeit ein. Die Messung nach Leistung unabhängig vom Arbeitsstand (Arbeiter, Angestellte, Intellektuelle) hat sich dabei als einziger Maßstab entwickelt, gegen den man sich nicht zur Wehr setzt. Wogegen sich die Menschen wehren ist das Unsichtbarwerden, denn der Druck der Anonymität ist stärker als der Leistungsdruck. Man hat sich dem Druck des ’besser als die Anderen sein’ angenommen, und versucht sich so zu etablieren, eben durch eine individuelle Leistung. So kämpfen die Men- schen trotzdem um Anerkennung, Bewunderung, Achtung und Selbstverwirkli- chung. „Der Mensch will eben gesehen werden, bewundern und bewundert werden.“ (S. 151). Da dies die Arbeit nicht schafft, versuchen die Menschen dies in der heutigen industrialisierten Gesellschaft im Sport durch „die körperli- che Kraft, Gewandtheit, den körperlichen Wettkampf“ (S. 152).
Widerstand gegen die Entfremdung
Die eben benannten Probleme der Selbstverwirklichung bedingen wiederum das dritte Motiv, warum der Sport so unabdinglich ist und eben in der indust- rialisierten Gesellschaft entstehen musste. Um die Leistung und damit einher- gehend die erwünschte Bewunderung zu erzielen und sich somit überhaupt erst aus der Masse herausheben zu können, sozusagen zu profilieren, muss es ein Maß geben, an dem sich jeder messen kann. Die sportliche Leistung findet sich hier als Standardisierungsmaß einer durchweg standardisierten Welt. Dies geht wiederum mit der industriellen Epoche einher, da in der Zeit davor eine gottgewollte und natürliche Trennung nach Ständen und Kasten vorlag. Erst durch die „offene Klassengesellschaft [des] freien Wettbewerbs“ (S. 152) wurde es überhaupt möglich, sein Können zu zeigen und sich von der vorherbestimmten Gradierung zu distanzieren. Doch wurde dies im Arbeitsle- ben immer mehr erschwert. Die industrielle Gesellschaft ist dabei durch die Wissenschaft und deren erfinderischen Geist geprägt. Der Mensch forscht und entwickelt und lässt dabei so viele Neuerungen entstehen, die uns heute als lebensnotwendig erscheinen. Jedoch basiert die Verwissenschaftlichung nicht nur auf praktischen, sondern vor allem auf theoretischen Erweiterungen, die immer längere Ausbildungswege bedingen. Da dies alles einen dynamischen Prozess darstellt und das System der Leistung ständigen Umbildungen unter- liegt, entstehen immer neue Berufe und es findet eine Art Entfremdung durch die Intellektualisierung statt, „der das gegenseitige Sichnichtmehrverstehen vertieft“ (S. 153). Somit ist das Können im Beruf über einen Zeitabschnitt hin schwer messbar und der Mensch sucht nach einer Integration des Wettstreits „jenseits der Trennung in Fächer und Fachberufe, jenseits der Zerklüftung in konfessionelle oder partei-politische Lager“ (S. 153). So flüchten sie einerseits vor dem Wettstreit im Beruf, stellen sich aber selbigem im Sport, um die ge- wünschte Selbstbestätigung zu finden. Und nur der Sport kann sie in der Wei- se erfüllen, dass sie den Menschen auch glücklich machen, denn er strebt nach Öffentlichkeit.
Sieht man auf diese drei Hauptmotive zurück, so kommt Plessner zu dem Schluss, dass der Sport „eine Ausgleichsreaktion“ (S. 153) ist. Er ist ein Ter- rain der Integration von Wünschen und Bedürfnissen (Erholung, sozialer Kon- takt, Aggression, Spiel, Selbstbestätigung) der Städter, sprich der Menschen, die der industriellen Entwicklung erlegen sind, sich der Versklavung in Wohn- silos, der so genannten Urbanisierung ergeben mussten. Für sie soll er die Lösung aller Probleme darstellen, egal ob durch einseitige Belastungen und zu wenig Bewegung, die wie man heute weiß eine Unzahl von Zivilisations- krankheiten hervorgerufen haben, die psychischen Probleme einhergehend mit dem verloren gehen in der Masse, was viele Menschen zu teils krausigen Taten und Selbstversklavung im Fernsehen führt, aber auch als Mittel sich dem ständigen Druck des immer weiter um sich greifenden Gebietes der Wis- senschaft und den damit einhergehenden Bildungsprozesses zu entziehen. Die Urbanisierung scheint sich als zukünftige Lebensform durchgesetzt zu ha- ben, ob es der Sport als Lösung der damit einhergehenden Probleme schafft, wird sich zeigen. Welche Bedeutung er für die Menschen und vor allem im Hinblick auf deren Zusammenleben hat, versucht Plessner im zweiten Teil seines Textes zu zeigen.
2.2. Die Bedeutung des Sports für die industrielle Gesellschaft
Wiederum greift Plessner auf drei Stützen für seine Theorie zurück, um die einzigartige Bedeutung und dessen Popularität für den Menschen zu klären.
Die zweite Arbeitswelt mit Spielcharakter
Nach Plessner gibt die offene Klassengesellschaft jedem die Chance aus sei- ner Schicht aufzusteigen und kommt somit zum Schluss, dass „Die Begeiste- rung für den Sport ... innerlich mit der modernen Sozialverfassung zu tun ha- ben.“ (S. 154) muss. „Er ergreift alle“ (S. 155) und so nimmt er wiederum auch Einfluss auf die industrialisierte Gesellschaft. Sie stellen also ein in sich geschlossenes gegenseitiges Bestimmungsgefüge dar. Bestimmt wird das heutige Leben im besonderen durch den Arbeitscharakter unserer industriali- sierten Gesellschaft, der durch Spezialisierung und Organisation geprägt ist und letztendlich in einer Mechanisierung mündet. Das Arbeitsprinzip hat sich voll durchgesetzt und schaffte im Laufe der Zeit die Leistungsgesellschaft, welche mittlerweile jedes andere „Selektions- bzw. Wertungsprinzip“ (S. 155) verdrängt hat. Plessner geht jedoch noch weiter, indem er die „vergesellschaf- tete Gesellschaft“ (S. 155), mit all ihren immer komplizierter werdenden Orga- nismen und dem damit einhergehenden Siegeszug der Arbeit beschreibt, der „das karg bemessene Restphänomen der sogenannten Freizeit“ (S. 156) ent- stehen lässt. In ihr soll man sich erholen und auf die Arbeit wiederum vorberei- ten. Geprägt wird diese Freizeit jedoch durch den Rhythmus der Arbeit, dem man sich nicht entziehen kann, was neben Urlaub und Kunst auch bis in den Sport hineinreicht. Dadurch geprägt ist unsere heutige Gesellschaft viel inten- siver geworden. Diese offene Klassengesellschaft, gekennzeichnet durch den Wegfall standesmäßiger und religiöser Abgrenzungen, ermöglicht jedem Chancengleichheit. Geebnet ist der Weg für den Tüchtigen, der sich durch Er- folg durchsetzt. Dies führte zum freien Wettbewerb und so versucht jeder sich ständig weiter zu entwickeln, weiter zu spezialisieren, besser zu organisieren und zu strukturieren, in einer Welt ohne Grenzen. Es ist eine Rastlosigkeit des Überbietens geworden, wo eine statische Gesellschaftsordnung jeden An- spruch verloren hat. Was bleibt ist eine dynamische Gesellschaft mit dem ein- zigen Gesetz der Leistung, was bis in die Freizeit reicht. Die Menschen wollen sich von ihrer durch Leistung bestimmten Arbeitswelt zurückziehen, sich von ihr erholen, finden sich dann aber in einer Welt vor, in der wiederum die Leis- tung zählt, doch ohne Arbeitscharakter. Der Sport gibt die Möglichkeit, dies i- deal zu verbinden und die Bedürfnisse zu decken, natürlich unter den Aspek- ten „Höchstleistungen, Überwindung von selbstgewählten künstlichen Schwie- rigkeiten, Entspannung durch Ablenkung“ (S. 157). Der Sport bildet eine Brü- cke zwischen Freizeit und dem ständigen Leistungsdruck der Gesellschaft, dem sich heute kaum jemand mehr entziehen kann. Er ist eine Abreaktion der angestauten Triebe, der Nichtverwirklichung im Beruf. Diese Form der Erho- lung integriert also die „zu kurz gekommenen Bedürfnisse [des Menschen] nach harmonischer Beherrschung des Leibes, nach Selbstbestätigung und Überbietung des anderen“ (S. 157). Nach Plessner schafft er sozusagen eine zweite Arbeitswelt, die durch den Spielcharakter geprägt ist.
Der Öffentlichkeitscharakter des Sports
Der Drang des Menschen nach Publikation scheint ins unermessliche zu wachsen. Menschen, die sich im Fernsehen versklaven, Kinohelden und an- dere Personen, die in Zeitungen bis ins letzte Detail verfolgt werde. Der Sport bietet auch diese Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hier hat der „poor man“ (S. 159) die einzigartige Chance, sich abseits des Fernse- hens zu verwirklichen. Auch wenn das Glück nur kurzlebig sein mag, so scheint es doch als ein erstrebenswertes Ziel. „Einen Augenblick gelebt im Pa- radies ist nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt.“ (S. 159). Hier kommt es zur In- tegration der sozialen Masse im Sport und der Weg ist frei in die Popularität. Die Anonymisierung und Vereinsamung der Stadt findet hier eine Integration in eine große durch „echte Kameradschaft“ (S. 159) geprägte Gruppe (der „Kreis, der ihn achtet und auf ihn zählt, dem er etwas bedeutet, und zwar durch die Qualitäten, die im Alltag verborgen bleiben.“ (S. 159)) Die Qualitäten des einzelnen Individuums, die es erst zu einem besonderen Mitglied der Ge- sellschaft macht, können im Sport hervorgehoben werden. Es reicht oft schon aus, für einen Verein zu spielen, obwohl selbst in niederen Klassen der Drang nach Perfektionierung und Leistung immer noch vorzufinden ist, teilweise ver- bunden mit Kampfgeist und übertriebener Härte. Die hoch-spezialisierte Ge- sellschaft mit ihren anonymisierenden, intellektualisierenden und leistungsbe- tonten Mechanismen machen es dem Einzelnen nicht leicht, seine Persönlich- keit öffentlich darzubieten. Die Möglichkeiten, die die Demokratie auf der ei- nen Seite bietet, verschließt sie auf der anderen und zwar durch den freien Wettbewerb. „Zu viele stehen am gleichen Start, ... das Ziel bleibe ihnen doch vorenthalten...“ (S. 160). So schafft es der Mensch trotz der Möglichkeiten, die ihm die offene Klassengesellschaft bietet, sich nicht öffentlich zu verwirkli- chen. Durch den Sport wird dies möglich. Hier findet man Anerkennung in ei- ner sozialen Gruppe, abseits des beruflichen Daseins.
Das Bedürfnis nach Aggression
Die moderne Gesellschaft staut doch sehr viele unbefriedigte Triebe, unerfüllte Träume und vernachlässigte Wünsche auf. Dem täglichen Kampf des freien Wettbewerbs ausgesetzt, braucht der Mensch einen Weg diese Aggressionen abzulassen. Auch wenn die Quelle dieser Aggressionen teils der Uraggressivi- tät entspringt, so ist allein ausschlaggebend der vorhandene Impuls und die Verstärkung durch die immer komplizierter werdenden Mechanismen der heu- tigen Gesellschaft. Die uns offenbarte Chancengleichheit und der freie Wett- bewerb bedingen Frustration, Hemmungen, Insuffizienzen, Minderwertigkeits- gefühle. Der angestaute Druck wird im Arbeitsleben nicht abgebaut, sondern nur verstärkt. Als Abflussrohr dient der Sport, wofür früher das Kampfspiel zu- ständig war. Doch Kriege in der westlichen Welt verstummen immer mehr, was einen weiteren Anstieg der Aggressivität mit sich bringt. Plessner sieht die Olympien als Ausdruck des modernen Nationalismus sowie als moderne Krie- ge der westlichen Welt. Auf der einen Seite fürchtet und verabscheut man Kriege, findet aber in den Olympien, den so genannten modernen Kriegen, zugleich Erfüllung der „ritterlichen und friedlichen“ (S. 162) Sehnsucht. So wird in der modernen Gesellschaft Ritterlichkeit dem Begriff Sportivität gleichge- setzt, einer Ethik ohne Standes- und Klassentrennung. Die so gefundene ethi- sche Perspektive, das sportiv sein (fair play innerhalb der Regeln, „wenn er vor allen Dingen verlieren kann“ (S. 162)), hat somit durch Tugenden wie Teamgeist, Mut und Ausdauer eine positive Rückwirkung auf die Arbeitswelt. Der Sport hat damit begonnen, „die Arbeitswelt nach seiner Gesinnung umzu- stilisieren“ (S. 162). Beruf und Arbeit werden zum Sport, was durch den Plura- lismus der heutigen Gesellschaft bedingt wird, der kein über-geordnetes Wer- tesystem mehr kennt. Er lässt im Grunde nur ein neutrales, ein indifferentes Echo formaler Haltungen zu, das auf allen Inhalt verzichtet. Das tägliche Le- ben ist durch den ständigen Agon in Beruf und Wissenschaft gekennzeichnet. Der Sport konnte sich nur entwickeln, da er gewisse Charakterzüge der Ar- beitswelt übernommen hat, bestimmte Pflichten des Alltages jedoch ausspart. Wie schon vorher angesprochen, ist in unserer heutigen Gesellschaft keine Wertschätzung ohne Leistungsgedanken mehr möglich. Sie kennt nur noch den „Leistungswillen“ und die „Rekordsucht“ (S. 164), Leistung als Maß aller Dinge. Diese negativen Seiten des Dualismus Industrialisierung und Sport stellen ein sich gegenseitige verstärkendes Bestimmungsgefüge dar. „die a- gonale Gesinnung des Sports wirkt sich auf die Gesellschaft zurück und lenkt sie von sich ab, so dass sie sich selber nur noch als Wettkampf versteht“. Und da die industrialisierte Gesellschaft selbst erst den Sport begründet, stellt die- ses einen Kreislauf dar, in dem die Menschen immer mehr Aggressionen anstauen, sie aber nicht vollends im Sport loswerden können.
3. Zusammenfassung
Plessner fürchtet in seiner Ausführung, den Sport zu negativ betrachtet zu ha- ben. Er will aber klarstellen, dass er keine düstere Diagnose des Sports ablie- fern wollte, und nicht „dem sogenannten Ungeist des Sports mit Abneigung gegenübersteht, sondern gibt das genaue Gegenteil wieder, „der Sport kann seine entlastende Entspannung, befreiende und erfrischende Funktion für die vielen, die im Schlagschatten des Fortschritts leben - und wer wäre das von uns nicht - nur in Form erfüllen, die er unter dem Andrang der modernen Ge- sellschaft entwickelt hat.“ (S. 165)
Außerdem erkennt Plessner, dass der Sport einen großen Nebeneffekt hat. Er wirkt entkomplizierend, erzieherisch und nimmt „Einfluss auf die Gesundheit der Völker“ (S. 166).
Plessner kommt zu der Schlussfolgerung, „der Sport ist nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaftsordnung, der er entstammt und für die er einen Ausgleich darstellt“ (S. 166).
Blickt man auf diesen Text zurück und versucht es mal aus dem eigenen Standpunkt zu betrachten, der Funktion des Sports für einen selber, so erkennt man doch immerhin fast 50 Jahre später, noch immer die selben Tendenzen, wahrscheinlich sogar in einer gesteigerten Form.
Für mich ist ein Leben ohne Sport nicht mehr denkbar, was wohl vor allem daran liegt, dass ich seit frühester Kindheit mit dem Sport aufgewachsen bin. Hier trifft der Ausspruch Plessners voll ins Schwarze. Der Sport ist nicht bes- ser ... als die Gesellschaftsordnung der er entspringt. Er kann, wie man am Beispiel der ehemaligen DDR sieht, sogar als Machtinstrument in einem kal- ten, nicht mit den herkömmlichen Waffen geführten Krieg sein. Doch heute bin ich froh, den Sport als einzigartiges Mittel der Ablenkung von den Problemen des gesellschaftlichen Lebens so früh kennengelernt zu haben. Egal ob Beruf oder Beziehung, Studium oder Familie. Er ermöglicht es, sich für einen Mo- ment den Problemen zu entziehen, sich davon abzulenken und distanziert darauf zu blicken. Man lernt seine körperlichen Grenzen kennen und stärkt gleichzeitig seine Gesundheit. Das Durchhaltevermögen und der Wille üben sich positiv auf Beruf und Studium auf. Man weiß, das man als Sportler etwas erreicht, wenn man sich zusammenreißt, durchhält und nur beständig genug ist. Dies kann man dann auf die Leistungsorientierte Gesellschaft überneh- men. Immer nach dem Vorsatz, wenn ich etwas will, dann schaffe ich das auch. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich dem Leistungstreben der Gesell- schaft unterlegen bin, es mich sogar reizt, sich darin zu profilieren. Für mich ist der Sport eher weniger der Versuch mich abseits vom Alltag zu profilieren, als davon für einen Moment loszukommen. Er stärkt eher mein Selbstwertgefühl in der Hinsicht, den eigenen Körper und dessen Grenzen kennenzulernen, in sich hineinzuhorschen und zu sehen, was verschiedene Belastungen bewir- ken und wie der Körper darauf reagiert. Dabei ertappe ich mich wieder bei ge- sellschaftlichen Tugenden unserer Zeit. Die Welt erobern zu wollen, alles ken- nenzulernen und zu sehen. Bei mir ist es die Welt des Sports, mit all seinen Möglichkeiten und verschiedenen Ausprägungen, ohne in einer Sportart wirk- lich gut zu sein.
Doch will ich von meiner Person nicht auf die gesamte Menschheit schließen. Für viele Treffen diese Aussagen Plessners auch 50 Jahre später noch zu. Er bietet den Menschen die Möglichkeit, sich abseits des Berufes zu beweisen, durch Kommunikation sich mit anderen Menschen über Gefühle und Erfah- rungen auszutauschen und so in Kontakt zu treten. Er gibt Selbstbewusstsein, wenn man merkt, dass man anerkannt wird und persönliche Erfolge verzeich- nen kann. Gerade im sogenannten Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssport suchen die Menschen ihre Entspannung und den Ausgleich zum Alltag. Eine andere Rolle spielt er hingegen im heutigen Leistungssport, bei dem kein Weg ausgelassen wird, das Rekordstreben zu erfüllen. Sport als Beruf, als Marke- tinginstrument und als eigener Wirtschaftszweig. Das Doping dient dabei im- mer neue Rekorde zu erzielen, die die Sportler besser vermarkten lassen.
Dass es dabei immer wieder zu Unfällen und auch Toten kommt, scheint nicht so die Rolle zu spielen. Der Drang des Menschen, der dem Leistungstreben in der Gesellschaft unterlegen ist, scheint ihm auch im Sport unterlegen zu sein und so den Sieg um jeden Preis in Kauf zu nehmen. Erschreckend welche Bedeutung er heute erlangt hat. Nicht nur Ausgleich und Spiel, wie es Pless- ner beschreibt, sondern vielmehr Mittel zur Machtausübung und -erlangung, für die Schwierigkeiten im Leben gewappnet zu sein. Fraglich bloß, ob das der Sinn des Lebens ist. Stellt die Erlangung von Macht und Ruhm die Schwierig- keiten des Lebens dar. Wenn es nach Boris Becker geht anscheinend schon. Seine Vorstellung zur Funktion des Sports in der Schule beschreibt er in fol- gender Aussage. „Sport zählt bei uns nicht zu den Grundwerten der Schul- ausbildung. Dabei fördert er den Teamgedanken, die Fitness und bereitet die Kinder auf den Wettbewerb im Leben vor.“ Der Wettbewerb im Leben, dem wir uns ergeben haben und aus dem wir nicht mehr ausbrechen können. Es bleibt abzuwarten, ob der Sport mit der Entwicklung der Gesellschaft mithalten kann und einen Ausgleich dazu stellt oder ob er verstärkt zum Mittel der Erlangung gesellschaftlicher Ziele wie Geld, Macht und Popularität wird.
4. Literatur
- Helmuth Plessner: Gesammelte Schriften X, „ Die Funktion des Sports in der industriellen Gesellschaft“, 1956
- Fremdwörterlexikon
- Quote paper
- Henry Heilemann (Author), 2001, Helmuth Plessner: Die Funktion des Sports in der industriellen Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104673
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