Diese Forschungsarbeit geht der Frage nach, inwiefern die Studierenden, insbesondere die der Regelschullehrämter, auf Co-Teaching und auf die neuen Anforderungen einer inklusiven Schule vorbereitet werden. Dabei gilt es herauszufinden, ob die Lehrerausbildung den oben genannten Erwartungen gerecht wird und ob im Rahmen des Studiums genügend sonderpädagogische und kooperative Kompetenzen vermittelt werden. Zur Beantwortung dieser Frage wurde an der Leibniz Universität Hannover eine quantitative Studie durchgeführt, bei der 101 Studierende des Regelschullehramtes einen Fragebogen über ihre universitäre Vorbereitung auf einen inklusiven Schulunterricht ausfüllten. Darüber hinaus soll noch ein Blick in die gemeinsame Prüfungsordnung für den Masterstudiengang „Lehramt an Gymnasien“ der Leibniz Universität Hannover geworfen werden, um das Curriculum hinsichtlich sonderpädagogischer und inklusionsrelevanter Themen zu analysieren. Vorab sollen die Vorteile von Co-Teaching für die Realisierung eines inklusiven Unterrichts und die sechs Kooperationsformen nach Friend (2010) näher beleuchtet werden, ehe der Fokus auf die unterschiedlichen Lehramtsprofessionalisierung gelegt wird.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Co-Teaching
2.1 Vorteile von Co-Teaching und multiprofessioneller Zusammenarbeit
2.2 Die sechs Formen von Co-Teaching
3 Die sonderpädagogische Lehramtsprofessionalisierung
4 Analyse der Prüfungsordnung und der Vorlesungsverzeichnisse für angehende Lehrkräfte des Faches Sport
5 Die universitäre Lehramtsausbildung am Beispiel der Leibniz Universität Hannover
5.1 Methodik
5.2 Ergebnisse
5.3 Reflektion
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2009 verpflichtete sich Deutschland dazu, alle öffentlichen Schulen in inklusive Bildungseinrichtungen umzustrukturieren. So wurde beispielsweise in Niedersachsen im März 2012 das Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule verabschiedet, das die Schulen aufforderte, allen Lernenden einen „barrierefreien und gleichberechtigten Zugang“ (Niedersächsisches Kultusministerium, 2015, S. 8) zu realisieren, sodass „Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam erzogen und unterrichtet“ (Niedersächsisches Kultusministerium, 2015, S. 8) werden können.
Die verbindliche Umsetzung der Behindertenrechtskonvention veranlasste die Hochschulen dazu, ihre universitäre Ausbildungspraxis für angehende Lehrkräfte in Hinblick auf die neuen Anforderungen an ein inklusives Schulsystem zu modifizieren. Daher forderte das Niedersächsische Kultusministerium (2013, S. 5), dass alle lehrerbildenden Studiengänge sich intensiver mit den „pädagogischen und didaktischen Basisqualifikationen in den Themenbereichen Umgang mit Heterogenität und Inklusion“ beschäftigen sollen. Zusätzlich sollen sonderpädagogische Ausbildungsinhalte implementiert werden, in denen alle zukünftigen Lehrkräfte sonderpädagogische Grundlagen der Diagnostik sowie Kenntnisse über den didaktischen und methodischen Einsatz von Förder- und Unterstützungsangebote erwerben (Niedersächsischer Verbund für Lehrerbildung, 2014, S. 4).
Um der Heterogenität einer inklusiven Schule gerecht zu werden, wird empfohlen, die Unterrichtsform des Co-Teaching1 in den Unterricht zu integrieren (Arndt & Gieschen, 2013, 41; Idel et al., 2012, 9; Werning, 2011, 7). Hierbei handelt es sich um eine kooperative Lehrmethode, in der zwei Lehrkräfte, darunter eine Regelschullehrkraft und eine Lehrkraft der Sonderpädagogik, multiprofessionell zusammenarbeiten und gemeinsam die Verantwortung für den Unterricht übernehmen (Friend et al., 2010, S. 11). Co-Teaching bzw. multiprofessionelle Kooperation wird als zentraler und gewinnbringender Faktor für die Entwicklung inklusiver Schulen angesehen. Ohne diese Form der Kooperation seien nach Koch (2015, S. 157) „inklusive Schulen [...] nicht zu realisieren.“
Aufgrund des hohen Potentials von Co-Teaching beschloss die Hochschulrektoren- und Kultusministerkonferenz (2015, S. 3), dass für den professionellen Umgang mit Diversität und Vielfalt auch kooperative Basiskompetenzen, die das Unterrichten in multiprofessionellen Teams ermöglichen, ausgebildet werden müssen:
Empfehlenswert sind daher multiprofessionelle Teams, um den komplexen beruflichen Aufgaben beim Umgang mit Vielfalt sowie der Zusammenarbeit [...] gerecht zu werden. Eine professionelle Haltung zu den Grenzen der eigenen Kompetenz, die Kenntnis der Potentiale anderer Professionen und die Bereitschaft zur kollegialen Kooperation sind wesentliche Elemente des Lehrerberufs, die zusätzlich an Bedeutung gewinnen und auch von den an Hochschulen Lehrenden vorbildhaft berücksichtigt werden sollten. Damit die mit der Lehrerbildung für einen inklusiven Unterricht verbundenen Erwartungen von den Hochschulen erfüllt werden können, sollten auch die Hochschul- und Fakultäts- bzw. Fachbereichsleitungen dem Thema die nötige Priorität einräumen.“ (Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz, 2015, S. 3).
Diese Forschungsarbeit geht der Frage nach, inwiefern die Studierenden, insbesondere die der Regelschullehrämter, auf Co-Teaching und auf die neuen Anforderungen einer inklusiven Schule vorbereitet werden. Dabei gilt es herauszufinden, ob die Lehrerausbildung den oben genannten Erwartungen gerecht wird und ob im Rahmen des Studiums genügend sonderpädagogische und kooperative Kompetenzen vermittelt werden. Zur Beantwortung dieser Frage wurde an der Leibniz Universität Hannover eine quantitative Studie durchgeführt, bei der 101 Studierende des Regelschullehramtes einen Fragebogen über ihre universitäre Vorbereitung auf einen inklusiven Schulunterricht ausfüllten. Darüber hinaus soll noch ein Blick in die gemeinsame Prüfungsordnung für den Masterstudiengang „Lehramt an Gymnasien“ der Leibniz Universität Hannover geworfen werden, um das Curriculum hinsichtlich sonderpädagogischer und inklusionsrelevanter Themen zu analysieren. Vorab sollen die Vorteile von Co-Teaching für die Realisierung eines inklusiven Unterrichts und die sechs Kooperationsformen nach Friend (2010, S. 12) näher beleuchtet werden, ehe der Fokus auf die unterschiedlichen Lehramtsprofessionalisierung gelegt wird.
2 Co-Teaching
2.1 Vorteile von Co-Teaching und multiprofessioneller Zusammenarbeit
Aufgrund der Umgestaltung in inklusive Schulen sind die Lehrkräfte immer komplexer werdenden Herausforderungen ausgesetzt, die nur in Form von Teams bewältigt werden können (Röder, 2017, S. 30). Durch die multiprofessionelle Zusammenarbeit von Regelschul- und sonderpädagogischen Lehrkräften kann ein Synergieeffekt entstehen, von dem sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden profitieren können. Regelschullehrkräfte sind in ihren Fächern fachwissenschaftlich und fachdidaktisch gut ausgebildet. Um jedoch einen binnendifferenzierten Unterricht zu gestalten, bedarf es zusätzlich an diagnostischen, erzieherischen, sonderpädagogischen und inklusiven Kompetenzen, die besonders Sonderpäda- goginnen und Sonderpädagogen aufweisen.
Dadurch, dass zwei Lehrkräfte zusammen unterrichten, können zum einen differenzierte Inhalte, Methoden und Lernzugänge angeboten werden. Zum anderen ist es möglich, in flexiblen Kleingruppen niveaudifferenziert zu arbeiten. Durch die Anwesenheit von zwei Lehrkräften und durch den Einsatz kleinerer Gruppen können die Lernenden deutlich mehr Zuwendung und individuelle Unterstützungen als bei einer einzigen Lehrkraft erhalten. Somit kann gewährleistet werden, dass auf die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler professionell eingegangen werden kann und dass daraus resultierend alle Lernenden einen Zugang zu einem gemeinsamen Lerngegenstand erhalten können. Beide Lehrkräfte können unterschiedliche Ideen und Impulse in den Unterricht einbringen, sich gegenseitig anregen und ergänzen. Dies kann eine Intensivierung, Dynamisierung sowie eine Vertiefung von Unterrichtsgesprächen und somit eine steigende Unterrichtsqualität zur Folge haben (Johnson, 2014). Des Weiteren können objektivere Bewertungen und qualitativ hochwertigere Feedbacks zustande kommen, sofern sie von beiden Lehrkräften als Team durchgeführt werden (Kricke & Reich, 2016, S. 62-63).
Während es im deutschsprachigen Raum kaum repräsentative Forschungsergebnisse über die Auswirkungen von Co-Teaching gibt (Arndt & Gieschen, 2013, S. 41-42), weisen internationale empirischen Forschungen positive Effekte von multiprofessioneller Zusammenarbeit nach: Carless und Walker (2006) konnten mithilfe einer qualitativen Fallstudie, bei der sie einen auf Co-Teaching basierten Englischunterricht einer weiterführenden Schule in Hongkong beobachteten und anschließend mit den Lernenden Interviews durchführten, eine Steigerung der Motivation und erhöhtes Schülerinnen- bzw. Schülerengagement im Unterricht belegen. Jang (2006) untersuchte in einem Quasi-Experiment, die Mathematikleistungen in vier taiwanischen Klassen der achten Jahrgangsstufe. Dabei war der Mathematikunterricht zweier Klassen durch den Einsatz zweier multiprofessionellen Lehrkräfte in Form von Co-Teaching geprägt. Die anderen zwei Klassen, die als Kontrollgruppen dienten, wurden traditionell von einer Lehrkraft unterrichtet. Nach intensiven Unterrichtsbeobachtungen, Interviews mit Lernenden und Lehrkräften, Fragebögen und mathematischen Leistungstests, die die Schülerinnen und Schüler absolvierten, konnte Jang eine Verbesserung der Mathematikleistungen belegen, wenn die Lernenden zuvor von zwei Lehrkräften im Co-Teaching unterrichtet wurden.
Auch die empirischen Untersuchungen von Lee und Smith (1996) sowie Hang und Rabren (2009) bestätigen, dass multiprofessionelle Zusammenarbeit die Unterrichtsqualität, das Selbstvertrauen und die Lernleistungen der Lernenden positiv beeinflussen können.
Arndt & Gieschen (2013) untersuchten erstmals im deutschsprachigen Raum die Perspektive von Schülerinnen und Schülern auf die multiprofessionelle Kooperation zwischen Lehrkräften der allgemeinen Schulen und der Förderschulen. Dafür führten sie an zwei integrierten Gesamtschulen in Hannover mit 22 Schülerinnen und Schülern Interviews. Die Probanden besuchten jeweils eine Klasse der 5. bis 7. Jahrgangsstufe, in denen Co-Teaching stattfand. Aus den Interviews ging überwiegend eine positive Bewertung der Lernenden von CoTeaching hervor. Insbesondere hoben die Lernenden die schnellere und individuellere Unterstützung durch den Einsatz zweier Lehrkräfte positiv hervor. Die Schülerinnen und Schüler betonten, dass sie den Lehrkräften mehr Fragen stellen konnten, die schnell und intensiv beantwortet wurden. Die Lernenden nahmen darüber hinaus eine Leistungsdifferenzierung wahr, die als vorteilhaft beschrieben wurde. Durch die Aufteilung der Klasse war es möglich, dass eine Lehrkraft den Leistungsschwächeren den Lerninhalt kleinschrittig und langsamer erläutern konnte, während die anderen Schülerinnen und Schüler selbständig weiterarbeiten konnten. Zusätzlich zeigte die Studie, dass Co-Teaching zu einer Verbesserung der Arbeitsatmosphäre und des Lernzuwachses führen kann. Die Lernenden fanden beim Co-Teaching einen Unterricht, in dem sie konzentrierter und besserer lernen konnten. Die ruhigere Unterrichtssituation, die individuelle Förderung und die umgesetzte Binnendifferenzierung führten zu einem subjektiv empfundenen höheren Lernfortschritt (Arndt & Gieschen, 2013, S. 48-50).
Auch auf Seiten der Lehrkräfte wird Co-Teaching positiv wahrgenommen. Während Wessel (2005, S. 101-102) eine Entlastung sowie eine Arbeitserleichterung der Regelschullehrkräfte durch die Zusammenarbeit mit Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen beschreibt, erfahren nach einer Studie von Jacobs (2005, S. 234) Lehrkräfte beider Professionen CoTeaching als eine Unterrichtsform, in der sie sich persönlich, pädagogisch und didaktisch weiterentwickeln können. Findet nach dem Unterricht regelmäßig eine Reflexion statt, in der die Lehrkräfte sich gegenseitig ein Feedback geben, können mögliche Schwächen beseitigt und der Unterricht optimiert werden. Darüber hinaus können Formen des Co-Teaching zu intensiveren und besseren Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen beitragen (Clauß- Cordes & Wester, 2009, S. 9-10).
2.2 Die sechs Formen des Co-Teaching
Bezüglich der multiprofessionellen Zusammenarbeit von Regelschullehrkräften und Sonder- pädagoginnen sowie Sonderpädagogen stellen Friend et al. (2010, S. 12) sechs effektive Formen des Co-Teaching vor, die in der deutschsprachigen Literatur vielfältig rezipiert wurden:
1. One teach, one observe
2. Station teaching
3. Parallel teaching
4. Alternative teaching
5. Teaming
6. One teach, one assist
Bei der Kooperationsform One teach, one observe übernimmt eine Lehrkraft den Unterricht, während die andere Lehrperson die Rolle als Beobachterin bzw. Beobachter einnimmt. Der Beobachtende hat die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf ihre Bedürfnisse und Schwächen zu diagnostizieren, sodass aus diesen pädagogischen und diagnostischen Erkenntnissen entsprechende Unterstützungsmaßnahmen für die nächsten Unterrichtsstunden angeboten und ein schülerzentrierter sowie differenzierter Unterricht gestalten werden kann (Harting, 2014, S. 59).
Im Stationsunterricht bzw. Station teaching wird der Lerninhalt auf unterschiedliche Stationen aufgeteilt. Dabei planen die Lehrkräfte arbeitsteilig zwei oder mehrere Lernstationen und übernehmen die Verantwortung für die Lernenden, die an ihrer Station tätig sind. An den Stationen können verschiedene Unterrichtsaktivitäten, Lernmethoden und Medien angewendet und unterschiedliche Inhalte differenziert bearbeitet werden. Darüber hinaus können die Schülerinnen und Schüler, deren Arbeits- und Lernprozess von der Lehrkraft beobachtet wird, individuell durch geeignete Hilfestellungen gefördert werden (Werning, 2015, S. 116-118).
Bei der Form des Parallel teaching wird die Lerngruppe nach bestimmten Kriterien (z. B. nach dem Lerntyp, dem Leistungsstand etc.) in zwei Gruppen geteilt, die jeweils von einer Lehrkraft unterrichtet werden. Nach Friend et al. (2010, S. 12) werden in beiden Lerngruppen die gleichen Unterrichtsinhalte thematisiert, wobei jedoch unterschiedliche Materialen und Methoden zum Einsatz kommen. Bei dieser Kooperationsform können die Lernenden sich aktiver in den Unterricht einbringen, während sich die Lehrkraft aufgrund der kleineren Lerngruppe intensiver mit den Fragen und Problemen der Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen kann (Johnson, 2015).
Alternative teaching ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Lehrkraft die Mehrheit der Klasse unterrichtet und die andere Lehrperson mit einer kleinen Gruppe an einem extra gestellten Tisch arbeitet. Dieses Konzept ermöglicht einen niveaudifferenzierten Unterricht, bei der ein Thema auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus und Methoden erschlossen wird. Besonders bei der kleineren Gruppe erhalten die Lernenden individuelle Unterstützung und Betreuung (Harting, 2014, S. 65-66).
Wenn beide Lehrkräfte aktiv den Unterricht für die gesamte Lerngruppe leiten und zusammen an der Unterrichtsgestaltung mitwirken, spricht man von teaming bzw. Team teaching (Friend et al., 2010, S. 12). Dieser Ansatz „betont stärker die Gemeinsamkeit und weniger die individuelle Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler (Harting, 2014, S. 67).“ Die beiden Lehrkräfte können jeweils verschiedene Ideen und Impulse in den Unterricht integrieren und sich gegenseitig ergänzen (Harting, 2014, S. 67). Gleichzeitig profitieren die Lernenden von der didaktischen und pädagogischen Expertise zweier Lehrkräfte. Dabei können die Lehrerinnen und Lehrer unterschiedliche Vermittlungsstrategien anwenden und eine Vielzahl von Lerntypen ansprechen, aus der eine Erhöhung der kognitiven Aktivierung der Schülerinnen und Schüler resultieren kann (Werning, 2015, S. 117-118).
Eine weitere Form der Zusammenarbeit stellt der Ansatz One teach, one assist dar. Bei diesem Modell, bei dem keine gemeinsame Unterrichtsplanung und -vorbereitung nötig ist, leitet eine Lehrkraft hauptverantwortlich den Unterricht, während die andere Lehrperson als Unterstützer bzw. Assistent fungiert und einzelnen Lernenden in den Arbeitsphasen individualisierte Hilfestellungen gibt. Ein großer Vorteil dieser Methode besteht in der Flexibilität der assistierenden Lehrkraft, da diese dort unterstützen und eingreifen kann, wo gerade Bedarf besteht (Harting, 2014, S. 60-61).
3 Die sonderpädagogische Lehramtsprofessionalisierung
Eine inklusive Schule ist „durch die Zusammenarbeit der Lehrkräfte der allgemeinen Schule und der Förderschule“ (Waje & Wachtel, 2013, S. 282) gekennzeichnet. Aus diesem Grund betont die Kultusministerkonferenz in ihrem Beschluss über die „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ (2011, S. 19), dass „Lehrerinnen und Lehrer mit unterschiedlichen Lehrämtern und Ausbildungen [...] gemeinsam für die unterrichtlichen Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote verantwortlich [sind]. Dies kann eine gemeinsam durchgeführte und verantwortete Diagnostik, die Planung und Realisierung des unterrichtlichen Lernangebots, angemessene Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote, Leistungsmessung und -bewertung und die Vergabe von Abschlüssen, bis hin zur Kooperation mit weiteren Partnern im Umfeld der Schule und der Region umfassen.“
Diese multiprofessionelle Zusammenarbeit, die sich im Unterricht an den Kooperationsformen des Co-Teaching bedienen soll (Waje & Wachtel, 2013, S. 282), bringt neue Anforderungen und ein verändertes Tätigkeitsprofil sonderpädagogischer Lehrkräfte mit sich.
Nach Reiser (1998, S. 48) ist die traditionelle Arbeit an Förderschulen durch eine organisatorische separierende Service-Leistung geprägt, die sich dadurch auszeichnet, dass die Förderschullehrkräfte Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, die aus den allgemeinen Schulen herausgenommen wurden, im eigenen Unterricht auf Grundlage einer Diagnostik individuell fördern. An inklusiven Schulen erbringen die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen eine institutionalisierte systembezogene Service Leistung. Diese umfasst, dass alle Kinder zusammen mit Regelschullehrkräften individuell gefördert werden. Hierbei übernimmt die sonderpädagogische Lehrkraft gleichberechtigt die Verantwortung für den Unterricht und für alle weiteren schulischen Tätigkeitsbereiche (Lütje-Klose & Miller, 2017, S. 106). Anstatt einer frühzeitigen Spezialisierung auf den didaktischen und methodischen Unterricht für Kinder mit bestimmten Förderschwerpunkten (Papst 2015, S. 144-145) verlagert sich das Aufgabenprofil in inklusiven Settings auf die multiprofessionelle Zusammenarbeit in Teams (Brand, Rischke & Ziemlich, 2015, S. 117), Beratung, Diagnostik, Schulentwicklung (Lütje-Klose & Miller, 2017, S. 107) und besonders auf administrative Aufgaben (Melzer & Hillenbrand, 2013, S. 197). In Bezug auf das Aufgaben- und Rollenverständnis betonen Lütje-Klose & Miller (2017, S. 107), dass der Aspekt des Unterrichts in der sonderpädagogischen Literatur bzw. in Studien zwar benannt wird, jedoch im Vergleich zu den anderen Bereichen nicht mehr „die zentrale Rolle spielt“.
Die Studie von Brand et al. (2015) ging der Frage nach, ob die Studierenden in der sonderpädagogische Lehrerbildung für das Fach Sport auf das oben beschriebene neue Tätigkeitsfeld an inklusiven Schulen vorbereitet werden. Dafür führten sie systematisierende Experteninterviews mit wichtigen Ausbildungsverantwortlichen durch, die an unterschiedlichen Universitätsstandorten in Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen tätig sind. Aus der Untersuchung ging hervor, dass das Sportstudium zwar auf inklusionsbezogene Thematiken eingeht, jedoch sei „eine fachbezogene Neujustierung sonderpädagogischer Professionalität bislang [...] kaum erfolgt“ (Brand et al., 2015, S. 123). Kooperative Aspekte, wie z. B. Teamarbeit mit Lehrkräften anderer Professionen im inklusiven Unterricht, werden im Sportstudium vernachlässigt. Zusätzlich findet eine strikte Trennung beider Professionen statt. Die Studierenden beider Lehrämter studieren isoliert voneinander und werden jeweils als Einzelkämpfer ausgebildet.
Darüber hinaus postulieren Brand et al. (2015, S. 122-123), dass die Studierenden generell nicht ausreichend auf ihre Rolle als Lehrkraft an inklusiven Schulen ausgebildet werden. Zum einen werden viele Praktika nicht an inklusiven Schulen absolviert, wodurch nicht alle Studierende praktische Erfahrung über inklusiven Unterricht sammeln können. Zum anderen werden Praktika, die trotzdem in einem inklusiven Bildungssystem stattfinden, nicht fachspezifisch betreut. Zusätzlich gäbe es kaum Veranstaltungen, die die Studierenden in Hinblick auf einen inklusiven Sportunterricht und auf die unterschiedlichen Förderschwerpunkte vorbereiten. Eine weitere Problematik bestände darin, dass aufgrund eines Mangels an Personal mit entsprechender förderschulpädagogischer Expertise und einer geringen Anzahl an Studierenden im Förderschulbereich mit dem Unterrichtsfach Sport kaum adressatenspezifische und förderschuldidaktische Seminare angeboten werden können.
4 Analyse der Prüfungsordnung und der Vorlesungsverzeichnisse für angehende Lehrkräfte des Faches Sport
Das Curriculum für das Fach Sport an der Leibniz Universität Hannover sieht das Pflichtmodul „Heterogenität im Schulsport“2 (Leibniz Universität Hannover, 2018, S. 68-69) vor, das aus den Veranstaltungen Anfängerschwimmen, Psychomotorische Bewegungsförderung sowie Helfen und Sichern besteht. Während bei der Psychometrischen Bewegungsförderung sonderpädagogische Handlungskompetenzen vermittelt werden sollen, um allen Kindern eine Entwicklungsförderung durch unterschiedliche Körper- und Bewegungserfahrungen zu ermöglichen, wird bei einem Blick in die Seminarpläne der anderen beiden Lehrveranstaltungen deutlich, dass der Fokus nicht auf die Qualifizierung inklusiver und sonderpädagogischen Kompetenzen gelegt wird: Anstatt Diversität und Heterogenität wird bei Helfen und Sichern die allgemeine Sicherheit von Sportstätten, der angemessenen Umgang mit Sportgeräten, der situationsangemessene Einsatz von Hilfe- und Sicherheitsmaßnahmen thematisiert. Hier steht insbesondere das „Erlernen von Basisfertigkeiten zum Helfen, Bewegungsbegleiten und Sichern“ (siehe Anhang, S. 25) im Fokus. Beim Anfangsschwimmen lernen die Studierenden die methodische und didaktische Herangehensweise zur Wassergewöhnung und -bewältigung für Nichtschwimmerinnen und Nichtschwimmer kennen. Inklusiver bzw. integrativer Anfängerschwimmunterricht, der sich mit dem Anfangsschwimmunterricht für Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen beschäftigt, steht allerdings nicht im Vordergrund und wird lediglich nur kurz angeschnitten (siehe Anhang, S. 26). Somit zeigt sich, dass zwar ein Pflichtmodul für alle Studierenden existiert, das den Umgang mit Heterogenität vorschreibt, aber inklusive Themen unberücksichtigt lässt. Inklusionsrelevante und sonderpädagogische Veranstaltungen werden überwiegend vom Arbeitsbereich Sport und Erziehung angeboten und können nur in den Modulen Fachdidaktik (bestehend aus drei Seminaren), Vertiefung Erziehungs-, sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Sporttheorie (drei Seminare) und Wahlvertiefung Sporttheorie (ein Seminar) belegt werden. Beim Modul Fachdidaktik müssen alle drei Veranstaltungen dem Arbeitsbereich Sport und Erziehung zugeordnet werden. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Vertiefung Erziehungs-, sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Sporttheorie um eine einzige verpflichtende Veranstaltung, die aus diesem Arbeitsbereich gewählt werden muss. Darüber hinaus hat man in diesem Modul noch die Möglichkeit, ein weiteres Seminar aus dem Fachbereich Sport und Erziehung zu besuchen. Bei dem Modul Wahlvertiefung Sporttheorie haben die Studierenden die Wahl, ob sie an einem Seminar aus dem Bereich Sport und Erziehung, Sport und Gesellschaft, Sport und Training oder aus Sport und Gesundheit teilnehmen (Leibniz Universität Hannover, 2018, S. 68-70). Somit hat man im Laufe des Studiums vier verpflichtende sporterzieherische Veranstaltungen, die optional durch gezieltes Auswählen auf insgesamt sechs Seminare erhöht werden können, in denen inklusive und sonderpädagogische Inhalte im Fokus stehen.
Dass an vier bzw. sechs sporterzieherische Seminare teilgenommen wird, impliziert jedoch nicht, dass die Studierenden automatisch mit inklusiven und sonderpädagogischen Fragestellungen konfrontiert werden. Bei einer Analyse der Vorlesungsverzeichnisse der letzten zehn Semestern (Wintersemester 14/15 bis Sommersemester 2019) im Fach Sport wird ersichtlich, dass insgesamt 96 Veranstaltungen aus dem Arbeitsbereich Sport und Erziehung angeboten wurden, wovon nur 11 Seminare (=11,5%) ihren Schwerpunkt auf Inklusion und 12 Kurse (=12,5%) auf sonderpädagogische Fragestellungen setzten. Des Weiteren zeigte die Analyse, dass Co-Teaching nur bei zwei Kursen (=2,1%) inhaltlicher Schwerpunkt war (Institut für Sportwissenschaft, 2019).3 Die geringe Anzahl an sporterzieherischen Pflichtveranstaltungen, die Unterrepräsentation von inklusiven sowie sonderpädagogischen Inhalten und ein Losverfahren, das über die Platzvergabe entscheidet, tragen dazu bei, dass Studierenden nur an wenigen derartigen Seminaren teilnehmen können und sich somit im ganzen Studium kaum inklusive, kooperative und sonderpädagogische Kompetenzen aneignen können.
Nach Moser & Demmer-Dieckmann (2012, S. 159) muss jede Lehrkraft in der Lage sein, den Lerngegenstand auch für Lernenden mit Förderschwerpunkten und Behinderungen differenziert zu vermitteln. Für das Fach Sport wird daher eine Verknüpfung sportbewegungswissenschaftlicher und sonderpädagogischer Ausbildungsinhalte benötigt. Sowohl die theoretischen Seminare als auch die einzelnen Praxiskurse, wie z. B. Tischtennis, Fußball etc., müssen daher zum Ausdruck bringen, wie ein Sportunterricht konzipiert werden kann, der auch behinderte Schülerinnen und Schüler mit einbezieht. Für die Analyse wurden beispielhaft acht Seminarpläne (siehe Anhang, S. 27-33) von Praxiskursen herangezogen, die im Hinblick auf sonderpädagogische und inklusive Themen untersucht wurden. Dabei fiel auf, dass, obwohl Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ebenfalls an diesen praktischen Lehrveranstaltungen teilnehmen, nur drei von acht Praxisveranstaltungen in jeweils einer Doppelstunde einen inklusionsspezifischen Zugang zum Erlernen von bestimmten Bewegungen und Sportarten wählten. Eine Implementierung sonderpädagogischer Inhalte in den Sportkursen findet somit nur in einem geringen Maße statt.
In Bezug auf praktische Erfahrungen in inklusiven Settings lässt sich positiv hervorheben, dass die angebotenen Praktika hauptsächlich an inklusiven Schulen durchgeführt werden, in denen Co-Teaching und multiprofessionelle Zusammenarbeit im Unterricht integriert ist (z. B. IGS Garbsen, IGS List). Aus diesem Grund werden bei den meisten Praktika die „Bereitschaft zum Co-Teaching mit Studierenden des Studienziels Lehramt für Sonderpädagogik [...] erwartet“ (Institut für Sportwissenschaft, 2018, S. 45). Allerdings muss hierbei betont werden, dass die Studierenden aufgrund einer kurzen Praktikumsdauer von fünf Wochen nicht viele eigenverantwortliche Unterrichtsstunden in Form von Co-Teaching halten können.
Zusätzlich werden im Forschungsmodul im Durchschnitt alle zwei Semester Veranstaltungen angeboten, in denen Studierenden Projekte in inklusiven Settings initiieren und reflektieren (z. B. Digitale Medien im inklusiven Sportunterricht, Inklusion und Integration im Kontext von Erziehung und Bildung). Dabei beschäftigen sich die Teilnehmenden u. a. mit sportpädagogischen Grundlagen für einen gelingenden Sportunterricht in heterogenen Gruppen und mit der Rolle der Lehrkraft im inklusiven Sportunterricht. Von 38 Projektveranstaltungen, die in den letzten zehn Semestern zur Auswahl standen, konnten nur bei fünf Seminaren (=13%), Projekte in inklusiven Settings durchgeführt werden (Institut für Sportwissenschaft, 2019). Da Studierende nur ein Projektseminar im Rahmen ihres Studiums besuchen müssen, ist auch hier die Wahrscheinlichkeit groß, dass viele in diesem Modul keine inklusiven Erfahrungen sammeln werden.
Studierende des Master of Education sind verpflichtet, zwei Pflichtmodule der Erziehungswissenschaften und ein Modul der Psychologie zu belegen. Im Bereich der Erziehungswissenschaften müssen die Studierenden im Modul Pädagogisches Handeln in der Schule (EW 1) das Seminar Unterrichten im Kontext der Lerngruppe besuchen (Leibniz Universität Hannover, 2018, S. 15). Hierbei wird insbesondere der Umgang mit heterogenen Lerngruppen und die Planung von Unterricht, die die Vielfalt und die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, thematisiert. Die anderen Veranstaltungen der Erziehungswissenschaft und die der Psychologie, die ihren Fokus auf die Steigerung der Motivation sowie der Unterrichtsqualität und auf das erfolgreiche Führen von Leh- rer-Schüler-Interaktionen legen, ziehen inklusionsspezifische und sonderpädagogische Themen nicht in Betracht. In der Psychologie beschäftigen sich zwar einige Kurse mit der Diagnostik und Beratung. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um sonderpädagogische, sondern um psychologisch-pädagogische Grundlagen der Diagnostik (Institut für Erziehungswissenschaft, 2019; Institut für Psychologie, 2019).
Im Fächerübergreifender Bachelor müssen zusätzlich zwei Lehrveranstaltungen in dem Modul Schlüsselkompetenzen absolviert werden. Dabei muss ein Seminar aus dem Bereich Allgemeine Kompetenzen zur Förderung der Berufsfähigkeit stammen, in den mehrere Veranstaltungen zu den Themen Teamarbeit und Diversität angeboten werden (Leibniz Universität Hannover, 2019, S. 79). Jedoch handelt es sich hierbei um keine Pflichtveranstaltungen. Die Studierenden können je nach Interesse oder nach individuellen Zeit- bzw. Stundenplanvorstellungen andere Kurse wählen, die andere Themenschwerpunkte aufweisen.
Um sich intensiver für die multiprofessionelle Zusammenarbeit und für inklusiven Unterricht mit heterogenen Lerngruppen zu qualifizieren, bleibt den Studierenden nichts anderes übrig, als an außercurricularen Veranstaltungen der Universität teilzunehmen.
[...]
1 Der Begriff Co-Teaching wird von vielen Autorinnen und Autoren oft synonym zu dem Begriff Teamteaching verwendet. Allerdings unterscheiden sie sich in der Zusammensetzung der Lehrkräfte. Während beim CoTeaching eine Regelschullehrkraft und eine Lehrkraft der Sonderpädagogik gemeinsam den Unterricht gestalten, ist es beim Teamteaching egal, aus welchem Professionalisierungsbereich die Lehrkräfte kommen.
2 Sport ist die einzige Fachwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover, die dieses Modul in ihrem Curriculum etabliert hat.
3 Die Daten wurden aus den einzelnen Vorlesungsverzeichnissen des Instituts für Sportwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover gewonnen.
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- Tobias Schlüter (Autor), 2019, Co-Teaching und multiprofessionelle Zusammenarbeit als Gelingensbedingung inklusiver Schulen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1045299
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