1994 verneint Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben "Ordinatio Sacerdotalis" endgültig die Frage, ob eine getaufte Frau die heilige Weihe empfangen darf. Nur dem getauften Mann bleibt der Weg zum Priesteramt offen. Dieser Beschluss ist bindend für alle Bischöfe der katholischen Kirche. Doch trotz dieser „endgültigen“ Entscheidung verstummen die kritischen Stimmen nicht. Der Ausschluss der Frauen von der Priesterweihe wird als diskriminierend empfunden und der Wunsch nach einem Wandel im Rahmen des Synodalen Wegs wird seither immer größer.
Aber auf welchem Fundament baut die Entscheidung des Lehramts eigentlich auf? Wie begründet die Kirche ihren Entschluss und warum ist er angreifbar? Welche Rolle spielt das Kirchenrecht? Und ist die scheinbar endgültige Entscheidung für einen Ausschluss der Frauen vom Priesteramt tatsächlich unumstößlich?
Andrea G. Röllin analysiert Inhalt und Rechtslage des päpstlichen Schreibens und klärt über Versäumnisse der Kirche auf. Davon ausgehend beleuchtet sie die Reaktionen und Diskussionen, die das Thema in und außerhalb der Kirche entfacht hat. Die Autorin bietet zudem einen Überblick über vorausgehende lehramtliche Erlasse, Bestrafungsvorgänge bei Missachtung der Lehre und mögliche zukünftige Entscheidungen der Kirche.
2.1 Endgültige Entscheidung über die Bevollmächtigung der Kirche zur Frauenordination
2.2 Endgültigkeit infolge Tradition?
2.3 Lehre von Ziff. 4 OS Teil der endgültigen kirchlichen Lehre?
2.4 Endgültigkeit infolge Zugehörigkeit zum Glaubensgut?
2.5 Ordentliches universales Lehramt
2.6 Qualifizierte Endgültigkeit der Lehre von Ziff. 4 OS?
2.7 Entscheid als solcher kein endgültiger Akt
2.8 Endgültige Beachtung der Lehre von Ziff. 4 OS durch alle Gläubigen
2.9 Endgültig einzuhalten statt endgültig zu glauben
2.10 Mit Endgültigkeit verfolgte Absicht
3. Erläuterungen der Kongregation für die Glaubenslehre zu Ordinatio Sacerdotalis
3.1 Nota praesentationis
3.2 Kommentar des Präfekten Kardinal Ratzinger
4. Weiterhin bestehende Zweifel und Diskussion
4.1 Zweifel an der Endgültigkeit der Lehre von Ziff. 4 OS
4.2 Nicht endende Diskussionen
5. Reaktion der Kongregation für die Glaubenslehre
5.1 Responsum vom 28. Oktober 1995
5.2 Erläuterungen zum Responsum
5.3 Begleitschreiben des Kardinalpräfekten Ratzinger vom 8. November 1995 zum Responsum
6. Qualifikation von Ordinatio Sacerdotalis und Responsum aufgrund früherer lehramtlicher Erlasse
6.1 Glaubensbekenntnis und Treueeid von 1989
6.2 Instruktion Donum Veritatis der Kongregation für die Glaubenslehre
7. Änderung der Schlussformel des Glaubensbekenntnisses im Rahmen des Motu Proprio Ad tuendam fidem
8. Kanonischrechtliche Qualifikation von Ziff. 4 OS
8.1 Can. 749 CIC/83 bzw. Can. 597 CCEO
8.2 Can. 750 CIC/83
8.3 Can. 752 CIC/83 bzw. Can. 599 CCEO
9. Bestrafung der Leugnung der Lehre von Ziff. 4 OS
9.1 Verwarnung durch die Kongregation für die Glaubenslehre gemäss Can. 1347 § 1 CIC/83
9.2 Strafbefehl der Kongregation für die Glaubenslehre
9.3 Dekret vom 21. Dezember 2002 über die Rekursablehnung
10. Endgültiger Ausschluss der Frauen auch von der Diakonenweihe?
11. Unabänderliche Glaubenslehre?
11.1 ‘Geschlossene Türe’
11.2 Weiterhin offene Fragen
12. Schlussfolgerung
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
2.1 Endgültige Entscheidung über die Bevollmächtigung der Kirche zur Frauenordination
2.2 Endgültigkeit infolge Tradition?
2.3 Lehre von Ziff. 4 OS Teil der endgültigen kirchlichen Lehre?
2.4 Endgültigkeit infolge Zugehörigkeit zum Glaubensgut?
2.5 Ordentliches universales Lehramt
2.5.1 Bereits bestehender Bestandteil dieses Lehramts?
2.5.2 Endgültigkeit infolge Übereinstimmung des Weltepiskopats?
2.5.3 Endgültigkeit infolge der päpstlichen Macht?
2.5.4 Neue Art der päpstlichen Amtsausübung
2.6 Qualifizierte Endgültigkeit der Lehre von Ziff. 4 OS?
2.6.1 Endgültigkeit infolge definitorischem Charakter dieser Lehre?
2.6.2 Endgültigkeit infolge formeller Entscheidung ex cathedra?
2.6.3 Endgültigkeit infolge materieller Unfehlbarkeit dieser Lehre?
2.6.4 Endgültigkeit infolge formaler Entscheidung?
2.7 Entscheid als solcher kein endgültiger Akt
2.8 Endgültige Beachtung der Lehre von Ziff. 4 OS durch alle Gläubigen
2.9 Endgültig einzuhalten statt endgültig zu glauben
2.10 Mit Endgültigkeit verfolgte Absicht
3. Erläuterungen der Kongregation für die Glaubenslehre zu Ordinatio Sacerdotalis
3.2 Kommentar des Präfekten Kardinal Ratzinger
4. Weiterhin bestehende Zweifel und Diskussion
4.1 Zweifel an der Endgültigkeit der Lehre von Ziff. 4 OS
4.2 Nicht endende Diskussionen
5. Reaktion der Kongregation für die Glaubenslehre
5.1 Responsum vom 28. Oktober 1995
5.1.2 Geforderte endgültige Zustimmung
5.1.3 Endgültigkeit infolge des Verweises auf Art. 25 LG?
5.1.4 Endgültiger Ausschluss der freien Diskutierbarkeit der Frauenweihe
5.2 Erläuterungen zum Responsum
5.3 Begleitschreiben des Kardinalpräfekten Ratzinger vom 8. November 1995 zum Responsum
6. Qualifikation von Ordinatio Sacerdotalis und Responsum aufgrund früherer lehramtlicher Erlasse
6.1 Glaubensbekenntnis und Treueeid von 1989
6.2 Instruktion Donum Veritatis der Kongregation für die Glaubenslehre
7. Änderung der Schlussformel des Glaubensbekenntnisses im Rahmen des Motu Proprio Ad tuendam fidem
8. Kanonischrechtliche Qualifikation von Ziff. 4 OS
8.1 Can. 749 CIC/83 bzw. Can. 597 CCEO
8.3 Can. 752 CIC/83 bzw. Can. 599 CCEO
9. Bestrafung der Leugnung der Lehre von Ziff. 4 OS
9.1 Verwarnung durch die Kongregation für die Glaubenslehre gemäss Can. 1347 § 1 CIC/83
9.2 Strafbefehl der Kongregation für die Glaubenslehre
9.3 Dekret vom 21. Dezember 2002 über die Rekursablehnung
10. Endgültiger Ausschluss der Frauen auch von der Diakonenweihe?
11. Unabänderliche Glaubenslehre?
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
§ |
Paragraph |
§§ |
Paragraphe |
AAS |
Acta Apostolicae Sedis (Rom) |
Abs. |
Absatz |
Art. |
Artikel |
bzw. |
beziehungsweise |
Can. |
Canon |
CCEO |
Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium von 1990 |
CIC/83 |
Codex Iuris Canonici von 1983 |
ders. |
derselbe |
dies. |
dieselbe |
Fn. |
Fussnote |
Kap. |
Kapitel |
LG |
Dogmatische Konstitution Lumen Gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils vom 21. November 1964 |
Lk |
Evangelium nach Lukas |
OS |
Apostolisches Schreiben Ordinatio Sacerdotalis von Papst Johannes Paul II. vom 22. Mai 1994 |
S. |
Seite(n) |
vgl. |
vergleiche |
z.B. |
zum Beispiel |
Ziff. |
Ziffer |
zit. |
zitiert als |
1. Einleitung
Gemäss Can. 1024 des Codex Iuris Canonici von 1983 (CIC/83) bzw. Can. 754 des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium von 1990 (CCEO) empfängt die heilige Weihe gültig nur ein getaufter Mann. Das Lehramt erachtet die Frage, ob eine getaufte Frau geweiht werden könne, seit dem Apostolischen Schreiben Ordinatio Sacerdotalis vom 22. Mai 1994 (im Folgenden: OS) von Papst Johannes Paul II. (1920-2005) an alle Bischöfe der katholischen Kirche als endgültig in negativer Weise entschieden. Diese Endgültigkeit wird jedoch immer wieder – und immer öfter – bezweifelt, wie derzeit gerade die Diskussionen im Rahmen des sogenannten Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland zeigen. Die Endgültigkeit des Ausschlusses der Frauen von der Weihe wird namentlich als Diskriminierung der Frauen aufgrund ihres Geschlechts betrachtet.
2. Ordinatio Sacerdotalis
2.1 Endgültige Entscheidung über die Bevollmächtigung der Kirche zur Frauenordination
Johannes Paul II. lehrt in Ziff. 4 OS kraft seines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe – und Bischofsweihe (ordinatio sacerdotalis)[1] – zu spenden, und fordert, dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben. Ziff. 4 OS legt somit die Position der katholischen Kirche zur Frauenordination endgültig fest,[2] schliesst deren Möglichkeit endgültig aus[3] und stellt die Debatte um diese mittels einer ‘maximalistischen’ Position als endgültig abgeschlossen dar[4]. Die Entscheidung ist definitiv.[5]
2.2 Endgültigkeit infolge Tradition?
Ziff. 4 OS weist vor der eben erwähnten Endgültigkeitserklärung darauf hin, dass die Lehre über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe von der beständigen und umfassenden Überlieferung der Kirche bewahrt worden ist. Johannes Paul II. begründet die Qualifikation dieser Lehre als endgültig[6] so damit, dass sie in der Tradition der Kirche ständig gehalten, gelehrt und überliefert wurde[7]. OS bestätigt mit der Endgültigkeit – insofern – eine in der Kirche immer gelebte Gewissheit.[8]
In der Tradition findet sich zwar kein Hinweis auf eine endgültige Lehre, welche die stichhaltigen biblischen, historischen und theologischen Argumente, die in jüngster Zeit vorgebracht worden sind, ausschliesst oder anerkennt.[9] Die Aussage in Ziff. 4 OS über den endgültigen Charakter der Lehre von OS stimmt jedoch mit der Tradition überein,[10] da bislang keine gegenteilige Überlieferung bekannt ist. Insofern konnte Johannes Paul II. in OS auf der Grundlage der ununterbrochenen Tradition die Endgültigkeit seiner Entscheidung erklären.[11] Vertiefen Theologen die Weitergabe besagter Lehre in der lebendigen Tradition der Kirche durch die Jahrhunderte, sollte dies demnach – zum jetzigen Erkenntnisstand – nicht einer Infragestellung dieses Charakters gleichkommen,[12] solange eine anderweitige Überlieferung nicht belegt werden kann.
2.3 Lehre von Ziff. 4 OS Teil der endgültigen kirchlichen Lehre?
Ziff. 4 OS begründet die Endgültigkeit ihrer Lehre zudem damit, dass es sich bei ihr um eine Lehre handelt, die vom Lehramt in den Dokumenten der jüngeren Vergangenheit mit Beständigkeit gelehrt worden ist. Dieser Verweis auf frühere Dokumente stellt die in Fn. 12 von OS erwähnte Erklärung Inter Insigniores der Kongregation für die Glaubenslehre vom 15. Oktober 1976[13] zu demselbem Thema als ‘endgültig’ dar[14] und dient damit ebenfalls dazu, die besagte Lehre als endgültig zu qualifizieren[15]. Demnach wird die in OS festgehaltene Lehre bereits vom kirchlichen Lehramt – Papst und Bischöfen – endgültig gelehrt.[16] Der endgültige Charakter dieser Lehre ist somit nicht mit OS entstanden.[17] Die Schlussformel von Ziff. 4 OS stellt indes so OS in die Sphäre des endgültigen Lehramts.[18]
2.4 Endgültigkeit infolge Zugehörigkeit zum Glaubensgut?
Aus Ziff. 4 OS geht ferner hervor, dass ihre Endgültigkeitserklärung eine bedeutende Angelegenheit betrifft, welche die göttliche Verfassung der Kirche selbst anbelangt. Die besagte Lehre ist demgemäss eine Wahrheit, die endgültig zu dieser Verfassung gehört,[19] sprich: eine göttliche Sache oder Handlung Christi ist[20] und auf dem geschriebenen Wort Gottes beruht[21]. Ziff. 4 OS erklärt auf diese Weise nicht nur eine Lehre, die bereits zum Glaubensgut gehört, als endgültig,[22] sondern auch endgültig, dass diese Lehre zum Glaubensgut gehört[23]. Insofern diese Lehre in Sachen des Glaubens aber in endgültiger Weise vorgelegt wird, ist sie eine Lehre, die erforderlich ist, um das eigentliche Glaubensgut zu hüten und getreu darzulegen.[24] Da diese gemäss OS als Glaubenssache von der Tradition und vom Kollegium der Bischöfe authentisch gelehrt wird, ist sie endgültig verpflichtend.[25]
Vertiefen Theolog(inn)en die Verbindung der Aussage von Ziff. 4 OS mit der Offenbarung – namentlich der göttlichen Verfassung der Kirche –, sollte dies demnach nicht einer Infragestellung des endgültigen Charakters dieser Lehre gleichkommen,[26] solange sie von Papst und vom Bischofskollegium als endgültige Glaubenssache betrachtet wird und keine abweichende Tradition nachgewiesen ist.
2.5 Ordentliches universales Lehramt
2.5.1 Bereits bestehender Bestandteil dieses Lehramts?
OS macht offenkundig, dass die in OS enthaltene Lehre von Papst und Bischöfen ‚schon längst‘ einmütig als endgültig verpflichtend gelehrt wird.[27] In Übereinstimmung mit dem früheren Lehramt hat diese Lehre endgültigen Charakter.[28] Indem Johannes Paul II. diese von der Kirche immer gelehrte Lehre in endgültiger Weise vorlegte,[29] führte er diese indes auf das ordentliche und universale Lehramt zurück[30], ohne freilich ausdrücklich zu bestätigen, dass diese Lehre bereits von diesem endgültig vorgelegt wurde[31]. Diese Zuordnung zeigt sich daran, dass die in OS verwendete Sprache ‘endgültig einzuhalten’ zu diesem Lehramt gehört.[32] Durch seine Erklärung verdeutlicht der Papst also den endgültigen Charakter jenes ordentlichen und universalen Lehramtes der Kirche, das die Grundlage ist, auf der seine Qualifikation beruht.[33] Die endgültige Bindung an diese Lehre erwächst somit aus der Überlieferung dieses Lehramtes.[34]
2.5.2 Endgültigkeit infolge Übereinstimmung des Weltepiskopats?
Aus Analyse des Textes von Ziff. 4 OS geht überdies hervor, dass es die Lehre des zerstreuten Bischofskollegiums ist, die ‘endgültig eingehalten’ werden soll.[35] Johannes Paul II. erklärte die Endgültigkeit jedoch nicht in Ausübung des gewöhnlichen universalen Lehramts des gesamten Bischofskollegiums,[36] sondern in Ausübung seines eigenen (dazu unten in Kap. 2.5.3 f.). Eine solche Lehramtsausübung würde zumindest den Nachweis umfangreicher, offener Konsultationen mit den Bischöfen erfordern, um festzustellen, dass sich das gesamte Kollegium in seinem Urteil tatsächlich darüber einig ist, dass diese Angelegenheit endgültig entschieden werden muss.[37] Francis A. Sullivan ist zwar der Ansicht, dass die Bischöfe insgesamt sogar heute dieselbe Lehre als endgültig zu halten lehren.[38] Dies trifft allerdings nicht zu. So bestätigten beispielsweise weder die kanadischen noch die belgischen Bischöfe in ihren gemeinsamen Erklärungen zu OS die Klausel ‘endgültig einzuhalten’.[39] Mehrere deutsche Bischöfe äussern nunmehr gar ausdrücklich, dass die Lehre von OS nicht endgültig sein könne.[40] Ob der Weltepiskopat einmütig die besagte Lehre vertritt, ist mithin fraglich.
2.5.3 Endgültigkeit infolge der päpstlichen Macht?
Johannes Paul II. fordert die endgültige Einhaltung seiner Entscheidung in Ziff. 4 OS – konsequenterweise – kraft seines Amtes, die Brüder [im Glauben[41]] zu stärken (vgl. Lk 22,32). Er spielt hier auf eben dieses Amt an, das Petrus von Jesus empfangen hat, und auf sein Handeln als Nachfolger des Petrus.[42] Johannes Paul II. übt hier somit jenes Amt wie Petrus aus,[43] als Arzt und Oberster Hirte der Kirche[44]. Dabei ist der Kommunikationsablauf komplementär: Der Papst ‚erklärt‘ den Bischöfen gegenüber seine autoritative Entscheidung (quasi) als endgültig,[45] unter Berufung auf seine lehramtliche Autorität als Bischof von Rom[46]. Diese Lehre soll als endgültig bestätigt werden.[47] Die Endgültigkeit dieser Lehre ist das autoritative und qualifizierte Zeugnis des Papstes.[48] Dadurch kann allerdings der Eindruck entstehen, diese Endgültigkeit gründe im (authentischen) ordentlichen päpstlichen Lehramt.[49] Deren Erklärung wird in der Literatur denn auch diesem Lehramt zugeordnet.[50] Dass der Papst in Ausübung des gewöhnlichen päpstlichen Lehramts eine Lehre vorlegt, die ‘endgültig einzuhalten’ ist, ist freilich ungewöhnlich.[51] Die endgültige Bindung an diese Lehre erwächst nicht aus der päpstlichen Bekräftigung[52] und kann nicht aus ihr erwachsen.
2.5.4 Neue Art der päpstlichen Amtsausübung
Der Endgültigkeitsanspruch, den Ziff. 4 OS für die in ihr enthaltene Lehre erhebt, ist noch nie zuvor für ein Dokument der ordentlichen Lehre des Papstes erhoben worden[53] und damit neu[54]. Dabei scheint OS eine neue Lehrkategorie des Lehramtes vorauszusetzen: die endgültige Vorlage einer Lehre durch das ordentliche päpstliche Lehramt.[55] Ziff. 4 OS stellt demnach eine neue Art der Ausübung dieses Lehramtes dar,[56] ohne dass dies aber ausdrücklich aus OS hervorgeht. Damit stellt sich die Frage nach der weiteren Qualifikation der Endgültigkeit.
2.6 Qualifizierte Endgültigkeit der Lehre von Ziff. 4 OS?
2.6.1 Endgültigkeit infolge definitorischem Charakter dieser Lehre?
Da die in Ziff. 4 OS gelehrte Lehre von allen Gläubigen in endgültiger Weise angenommen werden soll, kommt sie einer (dogmatischen) Definition nahe[57], ja gar gleich[58]. Ob es sich in der Tat um eine Definition handelt, ist indes umstritten.
Laut Lino Piano kann diese Lehre nur eine Definition sein, da ein endgültiger Akt zu einer Lehrfrage zur Debatte stehe.[59] Ziff. 4 OS erfülle alle Voraussetzungen einer Definition gemäss Art. 25 Abs. 2 LG, das heisse eines endgültigen Aktes über eine bestimmte Lehre.[60] Ansgar Santogrossi ist sogar der Ansicht, dass Johannes Paul II. die Lehre definiert habe, indem er ihr ‘endgültig einzuhalten’ beigefügt habe.[61] Declaramus et definimus und declaramus ... esse definitive tenendam seien gleichwertige Ausdrücke.[62]
Wolfgang Beinert ist dagegen der Meinung, dass der endgültige Akt von Ziff. 4 OS keine Definition sein wolle[63] und sei[64]. Nach Brian Edwin Ferme beinhaltet diese Ziffer keine neue dogmatische Definition, da Ziff. 4 OS eine bereits endgültig gelehrte Lehre bestätige oder bekräftige.[65] In OS werde zwar eine Lehre, die notwendigerweise mit der Offenbarung verbunden sei, als endgültig einzuhalten vorgelegt. Dies bedeute jedoch nicht unbedingt, dass diese Lehre unter der Führung des Heiligen Geistes rechtzeitig als göttlich offenbart definiert werden könnte.[66]
2.6.2 Endgültigkeit infolge formeller Entscheidung ex cathedra?
Die vom Ersten Vatikanischen Konzil (1869-1870) vorgesehenen Bedingungen für eine päpstliche Verlautbarung ex cathedra (Universalität, Endgültigkeit, lehrmässiger Charakter der Verlautbarung und materia de fide vel moribus) sind zwar in Ziff. 4 OS alle für sich allein betrachtet in einem positiven Verständnis gegeben.[67] Denn der letzte Satz von Ziff. 4 OS enthält den päpstlichen Willen, eine Glaubenslehre für alle Gläubigen in endgültiger Weise zu bekunden.[68] Insofern ist dieser Satz für sich allein betrachtet eine Entscheidung ex cathedra[69] und ist es auf den ersten Blick schwierig, die Endgültigkeit der Ziff. 4 OS zu erklären, ohne eine solche Entscheidung vorauszusetzen[70].
Das eben genannte Konzil liess sich aber von einem diametral entgegengesetzten Anliegen als OS leiten, und zwar so sehr, dass es sich verpflichtete, ausdrücklich festzulegen, dass die päpstlichen Definitionen ex cathedra unwiderruflich ex sese, non ex consensu ecclesiae sind. Johannes Paul II. fällt in Ziff. 4 OS hingegen ein Urteil, das endgültig, aber nicht ex sese sein will.[71] Bei OS bestand nicht die Absicht, eine dogmatische Definition ex cathedra zu verlautbaren, die ein im absoluten Sinn verstandenes endgültiges Festhalten am theologischen Glaubensakt erfordert.[72] Ziff. 4 OS ist also trotz der Erklärung einer endgültigen Lehre kein feierlicher Text ex cathedra.[73] Die Verwendung des Begriffs ‘endgültig’ durch Johannes Paul II. bedeutet mithin nicht, dass er diese Entscheidung ex cathedra festgelegt hat.[74] Wenn er hier aber nicht ex cathedra gelehrt hat, kann die Lehre von OS auch nicht wegen damit verbundener Unfehlbarkeit endgültig vorgelegt sein.[75]
Die Ansicht, dass die Lehre von OS nicht ex cathedra definiert worden sei, wird also nicht einfach angeführt, um zu vertreten, dass die Lehre von OS nicht endgültig sei.[76] Vielmehr ist die Endgültigkeit nicht auf eine Erklärung ex cathedra zurückzuführen. Das päpstliche Lehramt hat sich hier indes, wenngleich nicht ex cathedra, so doch endgültig geäussert.[77]
2.6.3 Endgültigkeit infolge materieller Unfehlbarkeit dieser Lehre?
Mehrere US-Bischöfe hielten ‘endgültig einzuhalten’ in Ziff. 4 OS für wichtig, weil eine andere Formulierung bedeutete, dass OS als ‘nicht unfehlbar’ angesehen würde und somit möglichen Änderungen unterworfen wäre.[78] Nach der Veröffentlichung von OS wurde denn auch sogleich spekuliert, ob mit ‚endgültig einzuhalten‘ in Ziff. 4 OS allerhöchste Verbindlichkeit gemeint, sprich: ein unfehlbares Dogma instauriert worden sei.[79] Kardinal Joachim Meisner (1933-2017) war gar der Ansicht, dass durch die Verwendung des Ausdrucks ‚endgültig‘ offenkundig sei, dass es um eine unfehlbare Lehre gehe.[80]
Johannes Paul II. hatte in der Tat die Absicht, unfehlbar zu lehren. Dies zeigt sich in Ziff. 4 OS in der Aussage, dass eine geoffenbarte Lehre endgültig eingehalten werden müsse.[81] Diese Formel suggeriert nämlich, dass die Lehre von OS – sofern sie tatsächlich als unfehlbar zu betrachten ist – zu dem gehört, was die Manualisten den sekundären Gegenstand der (päpstlichen) Unfehlbarkeit nannten, also zu jenen Lehren, die selbst nicht göttlich offenbart, aber notwendig sind, um die göttliche Offenbarung zu bewahren.[82] Wenn die Lehre von OS aber unfehlbar ist, muss sie endgültig eingehalten werden[83] und ist sie endgültig eine unfehlbare Lehre[84]. Das ‘endgültig einzuhalten’ von Ziff. 4 OS wird daher in der Literatur teils als unfehlbar vorgelegt interpretiert.[85] Johannes Paul II. hätte mit der besagten Formel somit den Gegensatz, welcher zwischen der Frauenordination und dem der Kirche geoffenbarten Glaubensgut besteht, als unfehlbar qualifiziert.[86] Wenn die Lehre von Ziff. 4 OS indessen tatsächlich mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit vorgetragen worden wäre, wäre sie endgültig als geoffenbart vorgelegt worden und somit ‚Dogma‘ im Sinn der gängigen Diktion in der systematischen Theologie.[87]
Die Lehre von OS kann freilich nur dann als unfehlbar gelten, wenn sie noch heute von den Bischöfen der katholischen Kirche nachweislich als endgültig gelehrt wird.[88] Denn diese Lehre ist nicht durch einen besonderen Lehrakt bzw. durch eine päpstliche Entscheidung ex cathedra im Sinn von Can. 749 § 1 CIC/83 bzw. Can. 597 § 1 CCEO unfehlbar, sondern sie ist, wenn schon, dann deshalb unfehlbar, weil alle Bischöfe das gleiche endgültig verpflichtende Urteil vertreten (Can. 749 § 2 CIC/83 bzw. Can. 597 § 2 CCEO; dazu näher in Kap. 8.1), das der Papst in OS öffentlich bekannt gegeben hat.[89] Es genügt nämlich nicht, sich auf die Vermutung zu berufen, dass OS das Lehramt aller zum Ausdruck bringe: denn der Papst kann sehr wohl ein Urteil sprechen, das ohne Berufung und ohne Überprüfung an eine solche Vermutung bindet, und zwar in der Form der an sich unfehlbaren, endgültigen Verlautbarung ex sese, nicht aber ex consensu ecclesiae. Diese Form wird hier jedoch ausgeschlossen.[90] Ein Nachweis, dass bis heute sämtliche Bischöfe die in OS enthaltene Lehre als endgültig lehren, fehlt indes bislang. Ziff. 4 OS, die alle Gläubigen der Kirche endgültig bindet, ist mithin nicht unfehlbar.[91]
Ob die Formel ‘endgültig einzuhalten’ den Anspruch auf Unfehlbarkeit der Lehre von OS enthält, bleibt allerdings unklar.[92] Die Unsicherheiten in Bezug auf den Grad der Verbindlichkeit von OS sind insbesondere Folge der bislang ungeklärten Verwendung des Begriffs der Endgültigkeit, namentlich in Bezug auf sein Verhältnis zur Unfehlbarkeit.[93] Offen sind besonders die Fragen nach der Natur und dem Status der ‘endgültigen Lehre’, nach deren Beziehung zur unfehlbaren Lehre[94] und nach der Möglichkeit, zwischen dem ‘endgültigen’ und dem ‘unfehlbaren’ Lehramt zu unterscheiden[95].
Jedenfalls signalisiert das lateinische definitive eine sehr hohe Verbindlichkeit – gewissermassen knapp unterhalb einer Dogmatisierung –[96] und wurde die Lehre von OS unter anderem durch die besagte Formel in den Bereich des unfehlbaren Lehramtes gerückt[97].
2.6.4 Endgültigkeit infolge formaler Entscheidung?
Johannes Paul II. verleiht in Ziff. 4 OS seiner dort festgelegten Lehre formell endgültigen Charakter,[98] indem er sie in einer formellen Erklärung als endgültig qualifiziert[99]. Gemäss diesem autoritativen und qualifizierten Zeugnis wird diese Lehre von der Kirche als endgültig vorgelegt.[100] Der Begriff ‘endgültig’ bezieht sich hier indes eindeutig darauf, wie die Lehre von den Gläubigen eingehalten werden soll, und nicht darauf, wie sie vom päpstlichen Lehramt aufgestellt wird.[101] Johannes Paul II. bestätigte bzw. bekräftigte in OS nicht in feierlicher Form eine Lehre, die endgültig zu halten ist.[102] Bloss die Deklarationsformeln als solche haben einen endgültigen Charakter.[103]
2.7 Entscheid als solcher kein endgültiger Akt
Johannes Paul II. hat die Lehre von OS nicht in einem endgültigen Akt vorgelegt,[104] sondern deren endgültigen Charakter ‚lediglich‘ offenkundig gemacht und so förmlich bekräftigt[105]. Der endgültige Charakter dieser Lehre entspringt demnach nicht OS.[106] Folglich ist die in Ziff. 4 OS getroffene Entscheidung als solche kein endgültiger Akt und kann die Endgültigkeit nicht aus ihm abgeleitet werden.
2.8 Endgültige Beachtung der Lehre von Ziff. 4 OS durch alle Gläubigen
Die Schlussworte von Ziff. 4 OS, ‘dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben’, sprechen indessen die Konsequenz aus der in dieser Ziffer enthaltenen Lehre von OS aus.[107] Aus der in Ziff. 4 OS festgeschriebenen Endgültigkeit folgt somit eine weder örtlich noch zeitlich noch personell eingeschränkte Verpflichtung, die für alle, allerorts und endgültig besteht.[108] Ziff. 4 OS nimmt hier ausdrücklich alle Gläubigen – alle Christen aller Zeiten und Orte,[109] also auch die Theolog(inn)en[110] – in Pflicht.[111] Sie sind an die besagte Lehre endgültig gebunden[112], haben an ihr endgültig festzuhalten[113], sie als endgültig anzunehmen[114], zu beachten[115], einzuhalten[116] und zu vertreten[117]. Ihnen wird gesagt, dass sie so denken müssen, und zwar endgültig,[118] in Form eines ‘Machtworts’[119]. Ziff. 4 OS bezeugt damit die endgültige Verbindlichkeit der in ihr festgehaltenen Lehre.[120] In diesen Schlussworten wird der implizite Appell des Papstes, ihm in dieser Angelegenheit zu folgen und zu gehorchen, in die Form des einseitigen autoritativen Dekretes aufgenommen und von ihr überlagert.[121] Sie paraphrasiert aber nur die Konsequenz der in Ziff. 4 OS festgehaltenen Endgültigkeit.[122]
2.9 Endgültig einzuhalten statt endgültig zu glauben
Johannes Paul II. verwendet in Ziff. 4 OS nicht den Ausdruck ‘endgültig zu glauben’, sondern ‘endgültig einzuhalten’.[123] Johannes Paul II. hat den aus der Tradition erwachsenden Anspruch nicht als fide divina et catholica credenda gekennzeichnet.[124] Ziff. 4 OS verlangt daher keine endgültige Zustimmung des Glaubens,[125] die einer göttlich offenbarten Lehre geschuldet sein sollte[126]. OS entspricht der üblichen Sprache der lehramtlichen Dokumente, die, wenn sie von einer Lehre sprechen, die sie unwiderruflich gelehrt, aber nicht geoffenbart wissen wollen, diese als ‘endgültig einzuhalten’ und nicht ‘endgültig zu glauben’ vorlegen.[127] Überprüft ein Adressat von OS die in Ziff. 4 OS getroffene Annahme auf ihre Wahrheit hin, muss er demnach zwar ‘irgendwie’ eine Antwort des endgültigen Festhaltens geben, aber auf einer anderen Ebene als der des theologischen Glaubensaktes.[128]
- Citation du texte
- Andrea G. Röllin (Auteur), 2021, Die Endgültigkeit des Ausschlusses der Frauen von der Priesterweihe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1045260
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