Diese wissenschaftliche Arbeit widmet sich dem Leben und Werk von Vicente Huidobro, einem herausragenden südamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Der Fokus liegt auf seiner literarischen Theorie des Creacionismo, die einen bedeutenden Meilenstein für das Selbstverständnis lateinamerikanischer Literatur darstellt. Ziel ist es, einen Einblick in Huidobros Leben, seine Werke und insbesondere seine creacionistische Theorie zu geben.
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die literarische Landschaft Südamerikas der 1920er Jahre, die maßgeblich durch Modernisten und Avantgardisten geprägt wurde. Vicente Huidobro, einer der bedeutendsten Vertreter dieser Bewegung, wird als Schlüsselfigur vorgestellt, die mit seiner Theorie des Creacionismo neue Wege in der lateinamerikanischen Literatur einschlug.
Im ersten Teil wird Huidobros Leben skizziert, angefangen von seiner Geburt 1893 in Santiago de Chile bis zu seinen literarischen Erfolgen und Reisen nach Europa. Die Einflüsse seiner aristokratischen Herkunft, seine frühe literarische Bildung und sein Kontakt mit anderen Schriftstellern wie Apollinaire prägten seine frühe Karriere.
Der Schwerpunkt liegt auf Huidobros literarischen Werken und seinen publizistischen Aktivitäten, darunter die Gründung von Zeitschriften wie "Musa Joven" und "Azul". Besonders hervorgehoben wird sein Gedichtband "Pasando y Pasando", der kontroverse Reaktionen hervorrief und die Grundlage für seine creacionistische Theorie legte.
Ein wichtiger Wendepunkt war Huidobros Aufenthalt in Buenos Aires 1916, wo er erstmals seine creacionistische Theorie vorstellte. Diese Theorie, die die Schaffenskraft des Dichters betonte, wurde zu einem entscheidenden Beitrag zur lateinamerikanischen Literatur.
Die Arbeit beleuchtet auch Huidobros internationale Aktivitäten, darunter sein Engagement in der literarischen Szene von Paris und Madrid sowie die Gründung der Zeitschrift "Creación". Ein weiteres Thema ist seine persönliche Kontroverse in Chile und seine Rückkehr nach Europa, wo er seine literarische Arbeit fortsetzte und sich neuen Gattungen wie Theater und Erzählung zuwandte.
Der Beitrag von Vicente Huidobro zum literarischen Modernismus und seine creacionistische Theorie werden in dieser Arbeit eingehend untersucht, um sein Erbe in der lateinamerikanischen Literatur zu würdigen und sein Schaffen einem breiteren Publikum näherzubringen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Vicente
Huidobro
II. Der Creacionismo
II.I Die Vorgeschichte des Creacionismo
II.II Die Theorie des Creacionismo
II.II.I Das Gedicht
II.II.II. Das Dichten
II.II.III. Der Dichter
III. Arte
Poetica
III.I. Erste
Strophe
III.II. ZweiteStrophe
III.III. Dritte Strophe
III.IV. Vierte Strophe
Schlussbetrachtung
Bibliographie
Zitatenliste
Einleitung
Das Südamerika heute selbstbewusst auf eine nicht geringe Anzahl herausragender Autoren blickt, trägt seine Wurzeln zu grossen Teilen in der Zeit der 20ger Jahre. Nicht, das Südamerika vorher keine herausragenden Schriftsteller besessen hätte, es hat sich nur in Europa kaum einer dafür interessiert. Und da Europa zu jener Zeit das Mekka grosser Literaten war wurden auch dort die Maßstäbe gesetzt.
Es waren die Modernisten und Avantgardisten, welche, sicher auch durch die Strömungen in Europa animiert, mit den alten Traditionen brachen und eine eigenständige Literatur postulierten. Einer von ihnen war Vicente Huidobro. Seine Theorie des Creacionismo wurde in Südamerika geschaffen und dann erst nach Europa gebracht, wo sie regen Anklang fand. Für das Selbstverständnis lateinamerikanischer Literatur ein Meilenstein in der Entwicklung. Diese Arbeit behandelt kurz das Leben und Werk von Vicente Huidobro und geht im weiteren näher auf seine Theorie des Creacionismo ein.
I. VICENTE HUIDOBRO
Vicente García Huidobro Fernandez wird am 10. Januar 1893 in Santiago de Chile geboren. Eine Stadt, deren wirtschaftliche Entwicklung zu dieser Zeit erheblich durch reiche Kupfervorkommen und ein Salpeter Monopol begünstigt wird, und deren Industrialisierung zur Herausbildung eines nicht unbedeutenden Geldadels führt. Viele dieser Geldadeligen sind
Grossgrundbesitzer, so wie auch die Eltern Huidobros. Jedoch gehören sie nicht der Geldaristokratie, sondern dem königlichen Adel an.
Huidobro ist der Älteste von sechs Geschwistern und seine Mutter sieht für ihn den Titel des Marqués de Casa Real vor1.Er bekommt eine ausgezeichnete Erziehung bei den Jesuiten, und wird durch seine Mutter schon früh literarisch beeinflusst. Als bekannte Schriftstellerin und Feministin unterhält sie in Santiago de Chile einen literarischen Salon der in erster Linie Appolinaire gewidmet ist. Appolinaire ist es auch, der Huidobro im Anfangsstadium seines Schaffens massgeblich prägt . Von ihm übernimmt Huidobro die Kalligramme. Die erste Phase seines dichterischen Schaffens ist vor allem romantisch und modernistisch geprägt.
1912 heiratet er die ebenfalls aus aristokratischem Hause stammende Manuela Portales Bello und leitet die Zeitschrift „Musa Joven“, welche aus sechs Ausgaben besteht. Ihre Nachfolge tritt die Zeitschrift „Azul“ an, welche Huidobro mit Pablo de Rokha ein Jahr später gründet, und die drei Ausgaben hat.
Wiederum ein Jahr später erhebt sein Gedichtband „Pasando y Pasando“ erhebliches Aufsehen. Es handelt sich bei diesem Gedichtband um eine Sammlung bissiger Chroniken und Satiren über seine Gesellschaftsschicht und seine Erziehung bei den Jesuiten. Sein Grossvater, um das Ansehen der Familie besorgt, verbrennt den grössten Teil der Auflage.
Im selben Jahr leitet Huidobro in Santiago de Chile die Konferenz „Non serviam“ und legt somit den Grundstein für die neue Ästhetik.
1916 reist er mit seiner Familie nach Buenos Aires um dort einen Vortrag zu halten. In diesem Vortrag stellt er zum ersten Mal seine creacionistische Theorie vor, „La primera condición del poeta es crear, la segunda crear y la tercera es crear.“23
Während seines Aufenthaltes in Buenos Aires erscheint auch sein Gedichtband „El espejo de Agua“ in welchem sich unter anderen das Gedicht „Arte Poetica“ befindet.4
Nachdem er Buenos Aires verlassen hatte, schifft er mit seiner Familie in Europa ein und lässt sich zunächst in Paris nieder. Von dort aus reist er nach Spanien, wo er zur Bildung der „Ultraístas“ beiträgt.
Zurück in Paris schreibt er 1917 für die Zeitschrift „Nord - Sud“, in welcher er auch Teile von „El espejo de Agua“ veröffentlicht.
1921 gründet er die Zeitschrift „Creación. Revista Internacional del Arte“, welche er in Madrid herausgibt. Zusammen mit dem Franzosen Pierre Ruerdy ist er auf der Suche nach der idealen Verwirklichung seiner creacionistischen Theorie.
Während eines kurzen Aufenthalts in Südamerika erschüttert er die chilenische Bourgeoisie, als er sich in die minderjährige Ximera Amunategui verliebt und mit ihr ein Verhältnis beginnt. Unter Polizeigewalt wird er des Landes verwiesen und kehrt schliesslich wieder nach Europa zurück Er führt in Paris 1929 die Arbeit an seinem Gedichtband „Altazor“ fort, und veröffentlicht bereits einige Fragmente daraus auf Französisch. Der fertige Band erscheint allerdings erst 1931 in Madrid - zusammen mit „Temblar de cielo“.
Von da an beginnt die zweite Periode, in welcher er sich eher mit den Gattungen Theater und Erzählung auseinandersetzt. Seine dichterische Polemik beschränkt sich in dieser Zeit auf vereinzelte Gelegenheitsartikel gegen andere Dichter. In diesen geht es auch weniger um formale oder abstrakte Formen der Dichtkunst, als vielmehr um die Beziehung von Kunst und Künstler zu der sozialen Wirklichkeit.
„En una conferencia que di en el Ateneo de Buenos Aires, en Julio de 1916, decía que toda la historia del arte no es sino la historia de la evolición del Hombre - Espejo hacia el Hombre - Dios, y que al estudiar esta evolución uno veía claramente le tendencia natural del arte a separarse más y más de la realidad preexistente y todo lo que pueda impedir su realización perfecta.“
Entnommen : Luis Navarrete Orta; „Poesia y Poetica en Vicente Huidobro“; S.109
1932 kehrt er nach Chile zurück und beteiligt sich dort aktiv an der Politik. Er sympathisiert mit den Kommunisten und hält regen Austausch mit der jungen literarischen Generation. Für seine 1936 gegründete Zeitschrift „Total“, kann er unter anderem Picasso, Breton, Dalí, Arp und Larrea gewinnen. Die zweite und auch letzte Ausgabe dieser Zeitschrift erscheint zwei Jahre später. Seine letzte Zeitschrift heisst „Actual“ und erscheint 1944.
Am 02. Januar 1948 stirbt Vicente Huidobro an einem Blutgerinnsel im Gehirn, das er sich 1936 im spanischen Bürgerkrieg zugezogen hat.
II. Der Creacionismo
II.I. Die Vorgeschichte des Creacionismo
Die lateinamerikanische Avantgarde war weder zeitlich noch räumlich gesehen eine Verschiebung der europäischen. Dennoch gilt die Kritik der europäischen Avantgarde am bestehenden europäischen Kultursystem auch als Auslöser für die kritische Betrachtung der lateinamerikanischen Avantgarde an ihrem Kultursystem.
Mehr und mehr zeichnet sich auf lateinamerikanischer Seite der Versuch eines eigenen Literaturkonzeptes ab. Der bedeutendste Vertreter dieses Konzeptes war Ruben Darío. Somit wirkt sich zum ersten Mal die Entwicklung der lateinamerikanischen Literatur, nämlich des Modernismus, nachhaltig auf die europäische Literatur aus.
Im Windschatten der darauf folgenden Avantgarde in Europa löst sich die lateinamerikanische Literatur vom dominanten Europa und entwickelt spezifisch eigene Konzepte. So ist auch der Creacionismo ein Konzept, das in Lateinamerika entwickelt und von dort nach Europa exportiert wurde. Wo es vor allem in Spanien und Frankreich grossen Anklang fand.
II.II. Die Theorie des Creacionismo
Der Grundgedanke des Creacionismo ist die Abkehr von der aristotelischen Vorstellung der Dichtung als Abbildung der Realität. Der Autor bricht also mit dem „mimetischen Kontakt“ und weigert sich sein Werk der „[...]realistischen Repräsentation der Wirklichkeit zu verpflichten“5.
In einem Interview 1919 sagt Vicente Huidobro:
„Queremos hacer un arte que no limite ni traduzca la realidad; deseamos elaborar un poema que tomande de la vida sólo lo esencial aquello de que no podemos prescindir, nos presente un conjunto lírico independiente que desprenda como resultado una emoción poética pura“6
Die Dichtung hat nun ihren Sinn in sich selbst und sie kreiert selbst.
„Hemos cantado a la naturaleza (cosa que a ella bien poco le importa) nunca hemos creado realidades propias, como ella lo hace ó lo hizo en tiempos pasados, cuando era joven y llena de impulsos creadores. Hemos aceptado, sin mayor reflexión, el hecho de que no puede haber otras realidades que las que nos quedan, y no hemos pensado que nosotros también podemos crear realidades en un mundo que espera su fauna y su flora propia“7
Der Verzicht auf die Mimesis soll durch neue sprachliche Möglichkeiten umgesetzt werden. Darunter der Verzicht auf logische oder grammatikalische Ordnung, ungewöhnliche Metaphorik, Vermenschlichung von Dingen, das Ungewöhnliche soll präzisiert werden, das Abstrakte wird konkret und das Konkrete abstrakt. Sinnstiftende Funktion übernimmt die visuelle Gestaltung der Gedichte .
So schickt sich der Creacionismo an, den modernistischen Symbolismus durch seinen Anspruch an eine tiefere Dimensionen des Seins zu entschlüsseln und zu überwinden.8
Im Vergleich mit den Dadaisten und den Surrealisten ist der Creacionismo zwar auch ein Bruch mit den Traditionen, aber Vicente Huidobro geht noch darüber hinaus. Er sieht diese Traditionen wieder in das Gedicht mit reintegriert.
Das Neue entsteht also nicht „Creatio ex nihilo“ sondern vielmehr aus Bruchfragmenten des Alten, die zu einem Neuen zusammengefügt werden. So konstituieren Tradition und ihre Kritik gleichermassen den Creacionismo.
Immer wieder hat man versucht aus Huidobros Manifesten ein Modell zur creacionistischen Schreibweise zu finden, aber selbst die von Huidobro vereinzelt aufgeführten Beispiele tragen nicht zu der Herauskristalisierung eines Modells bei.
Huidobro selbst sagt dazu:
„El creacionismo no es una escuela que yo haya querido imponer a alguien, el creacionismo es una teoría estetica general“9
Ausserdem riefe ein Modell automatisch zur Nachahmung auf und eben genau das ist laut Huidobro im Creacionismo ausgeschlossen.
Am ehesten kommt man dem Creacionismo noch auf die Spuren indem man den Dichter das Gedicht und das Dichten einzeln für sich betrachtet.
II.II.I. Das Gedicht
Für ein Gedicht, so Huidobro, kann es nicht ausreichen in eine herkömmliche Schreibweise einfach nur neue Motive einzuführen oder aber poetischen Topoi ein anderes Aussehen zu geben. Seine Vorstellung von der „neuen Ästhetik“ grenzt sich ganz klar von den alten Formen der Nachahmung der Natur ab.
Und zwar sowohl im klassischen Sinne, also der „imitatio natural“, als auch vom wirklichkeitsabbildenden Diapositiv des Realismus.
Vielmehr sollten Dichter und Natur gleichberechtigt nebeneinander auf der selben Bühne spielen.
„Hacer una poema como la naturaleza hace un arbol“10
So wie natürliche Dinge die Form eines autonomen Gegenstandes annehmen, so soll dies auch die Bedeutung des Textes tun. Das Gedicht stellt folglich seinen Gegenstand selbst her und verweist nur auf sich selbst und auf seine Bedeutung.
„El hombre nunca estuvo más cerca de la naturaleza que ahora que ya no busca imitarla en sus apariencias, sino hacer lo mismo que ella, imitándola en el plano de sus leyes constructivas.“11
Wenn das Gedicht nicht die Nachahmung der Natur zum Gegenstand hat, sondern ihr Gleichberechtigt ist, so gilt für beide auch das selbe Recht der Definition als Schöpfung, folglich für den Dichter die Definition als Schöpfer. Die Grundlage dieser Schöpfung besteht drin „[...]Wortkombinationen zu entwerfen, die sich zur Alltagslogik querstellen“12.
Von dieser „Ars combinatoria“ ausgehend erstellt Huidobro eine Analogie von Schöpfung und Erfindung. Erfindung ist gleich Kombination; De - und Rekombination grundlegend für den Creacionismo.
De - und Rekombination erfolgen bei der Einfügung von Bruchstücken des Alten in das Vorhandene statt. Diese Erneuerung der Poesie ist eines der Kennzeichen von Huidobros „hecho nuevo“ oder „poema creado“. Das wichtigste Kennzeichen ist jedoch das Ungewöhnliche, welches hier mit dem Begriff der Schönheit gleichgesetzt wird.
Ein „hecho nuevo“ ist jedoch nur in soweit neu, als das „die Dinge“ auf neue Weise miteinander kombiniert werden.
Dazu Huidobro:
„Crear una poema sacando de la vida sus motivos y transformandolos para darlos una vida nueva e independiente.“13
Weiter unterscheidet Huidobro im Gedicht zwei Wahrheiten.
„Hay dos verdades, una verdad de la vida y otra del arte, ó sea la copia de la realidad y la creación de una nueva realidad fuera de la otra. Hasta ahora los poetas han escrito sus poemas poetizando la realidad y yo quiero hacer los míos creando una verdad espíritu, una verdad dentro del arte“14
Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Wahrscheinlichkeiten oder Kodierungen. Die „verdad de la Vida“ zielt „[...] pragmatisch auf intersubjektive Kommunikation“15und die „verdad del arte“ hinterfragt die unhinterfragten Voraussetzungen dieser Kommunikation, indem sie Muster in den Text baut, die zwar die Bedeutung des Textes regeln, aber von konventionellen Mustern abweichen.
II.II.II. Das Dichten
Am Surrealismus kritisiert Huidobro vor allem die automatische Schreibweise. Zwar stimmen die Ergebnisse dieser mit seinen Vorstellungen überein, doch wehrt er sich gegen das Ausschalten des bewusst kontrollierten Arbeitens des Dichters.
„El artista obtiene sus motivos y sus elementos del mundo objetivo, los transforma y combina y los devuelve al mundo objetivo bajo la forma de nuevos hechos“16
Anstatt dessen formuliert Huidobro ein Modell dichterischer Produktion, welches im Folgenden dargestellt werden soll.
17 „El mundo subjetivo“ steht für das, was den Autor interessiert, Huidobro bezeichnet es auch als den „Kreativen Akt „. Dieser wird zum einen beinflusst durch alles, was dem Autor von Aussen, also der objektiven Welt, her angeboten wird. Die Vermittlung zwischen dem Aussen und dem Innen heisst „Sistema“. Zwischen dem Ergebnis, also was der Autor hinterher, nach dem kreativen Akt, schliesslich der objektiven Aussenwelt präsentiert und dem Autor mit seinem zur Verfügung stehenden Material, steht die Instanz „Técnica“.17
Während die Avantgarde eine radikale Kritik an der Vernunft, nicht nur bezogen auf die Literatur, formuliert, zeigt sich bei Huidobro immer wieder der Versuch den Beitrag der Vernunft an der Dichtung herauszustellen. Dennoch streitet er das Vorkommen des Unbewussten, wie im Surrealismus, nicht vollkommen ab, wenn gleich er ihm auch einen anderen Namen gibt.
„Sé que el automatismo entra en gran medida en la producción de las obras de arte; pero éste no es el automatismo del impulso que proclamaís sino el de la inspiración.“18
Die Inspiration oder die Muse versetzt den Dichter in einen euphorischen Zustand des Besessenseins. Diesen Zustand kennzeichnet Huidobro als „Delirio Poetico“ oder „superconciencia“, er ermöglicht dem Autor erst das Hervorbringen seines Werkes.
Trotz Delirium gibt es aber auch noch eine Vernunft. Diese ist mit der
platonischen „razón fría“ nicht zu vergleichen, vielmehr verbindet sie sich mit der Einbildungskraft und wird als „vernünftiges Delirium“ gedeutet.
II.II.III. Der Dichter
„La poesía ha de ser creada por el poeta, con toda la fuerza de sus sentidos más despiertos que nunca. El poeta tiene un papel activo y no pasivo en la composición y el engranaje de su poema.[...]El poeta no tiene en su vida ningún otro placer comparable al estado de clarividencia de las horas de producción.“19
Für Ruben Darío waren die Dichter die „Torres de Dios“; Huidobro geht noch weiter und stellt den Dichter auf dieselbe Stufe wie Gott („El Poeta es un pequeno Dios“). Diese Aussage resultiert aus einer Analogie, die Huidobro zwischen der realen Natur des Schöpfers und der vom Dichter geschaffenen Welt herstellt.
„Esta idea de artista como creador absoluto, del Artista - Dios, me la sugirió un viejo poeta indígena de Suramérica (aimará) que dijó: „El poeta es un dips; no cantes a la lluvia, poeta haz llover“. A pesar de que el autor de estos versos cayó en el error de confundir al poeta con el mago y creer que el artista para aparecer como creador debe cambiar las leyes del mundo, cuando lo que ha de hacer consiste en crear su propio mundo, paralelo e independiente de la naturaleza.“20
Nun meint Huidobro mit seinem „kleinen Gott“ keine Tatsache, sondern vielmehr das Ideal eines kommenden Dichters. Dieses Ideal wäre dann der wahre Dichter oder der „Hombre - Dios“ und gleichsam das Ende der künstlerischen Evolution.
Sein Creacionismo versteht er als Vermächtnis für eine kommende Dichtergeneration, die dann diesem Ideal entsprechen wird.
„He aquí, en estas páginas acerca del creacionismo, mi testamento poético. Lo lego a los poetas del manana, a los que serán los primeros de esta nueva especie animal, el poeta, de esta nueva especie que habrá de nacer pronto, según creo“21
In den Widersprüchen von Mensch und Umwelt übernimmt der Dichter die Vermittler - und Versöhnungsrolle. Er verkörpert, was das menschliche Wesen begehrt und nicht erreichen kann, jedoch als Potentialität in sich trägt. In dem Moment der Darstellung identifiziert sich der Dichter mit dem Text in derselben Weise, wie im christlichen Glauben Gott mit der Schöpfung identifiziert wird.
III. Arte Poetica
Que el verso sea como una llave Que abre mil puertas. Una hoja cae; algo pasa volando; Cuanto miren los ojos creado sea, Y el alma del oyente quede temblando. Inventa mundos nuevos y cuida tu palabra; El adjetivo, cuando no de vida, mata, Estamos en el cielo de los nervios, El músculo cuelga, Como recuerdo, en los museos; Mas no por eso tenemos menos fuerza; El vigor verdadero Reside en la cabeza. Por qué cantáis la rosa, Oh poetas! Hacedla florecer en el poema; Sólo para nosotros Viven todas las cosas bajo el Sol. El poeta es un pequeno Dios.22
III.I. Erste Strophe
Huidobro benutzt in der ersten Strophe das Präsenz Subjuntivo, wenn er schreibt „[...]sea una llave“ und [...]abra mil puertas“ , um den Wunsch auszudrücken, die Poesie wandle sich in ein Instrument um die Welt zu enthüllen. Sie soll ein Mittel sein Mensch und Umwelt miteinander zu verbinden.
Der vereinende Schlüssel mehrerer Universen, soll dazu dienen, dass das Auge des Poeten das Herzklopfen des Lebens wahrnimmt, es in eine Kreation transformiert und zu einer Seele kommt.23
Die Poesie („el verso“) soll ein Instrument sein („la llave“), welches Welten
entdeckt („mil puertas“) und die Realität („la hoja que cae, lo que pasa volando“) durchdringt und wahrnimmt („cuanto miren los ojos“).
Diese Realität wird wiederverarbeitet und transformiert („creado sea“)und dem Rezipienten („el oyente“) so erzählt, dass es ihn emotional berührt („el alma temblando“).
III.II. Zweite Strophe
Die zweite Strophe besteht aus zwei überschreibenden Sätzen, einem Befehlenden und einem Aussagenden. Im Gegensatz zu den vorherigen Sätzen schlagen sie dem Dichter nicht mehr vor wie er vorzugehen hat, sondern fordern es von ihm.
Neue Welten zu erfinden heisst die Mission des Dichters zu erfüllen zu kreieren. Also die zentrale Idee des „Non serviam“ und des „Prefacio“ a Adán zu verifizieren. „El poeta es el unico sabio verdadero; sólo él nos habla de cosas nuevas“24
Die Worte zu pflegen heisst, die potentielle Kraft der Sprache als Instrument der Kommunikation und Expression sowie ihren Wert zu würdigen. Das Bewusstsein der Sprache zu entdecken, ihre Konsequenzen und die Notwendigkeit, dass alle kreative Arbeit sich aus ihr entwickelt, war sicher eine der wichtigsten Entwicklungen dieser Zeit.
Der nächste, zweite Satz beinhaltet eine verbreitete Attacke der Modernisten. Die Aversion gegen Adjektive, oder auch die Adjektivisierung wie sie viel von den Romantikern gebraucht wurde.
Das Adjektiv beschreibt und umschreibt und nimmt somit dem Dichter wie dem Rezipienten die Möglichkeit neue Welten in seinem Kopf zu formen. Das Adjektiv tötet also die Fähigkeit des Kreierens.
III.III. Dritte Strophe
Die dritte Strophe besteht aus zwei aussagenden Sätzen („estamos en el cielo de los nervios“ und „ El músculo cuelga,/ como recuerdo, en los museos“), die verknüpft werden durch einen gegensätzlichen Satz („Más no por eso tenemos menos fuerza“) mit zwei weiteren Aussagesätzen, die in dieser Strophe einen abschliessenden Charakter haben („El vigor verdadero / reside en la cabeza“). Die vier ersten Sätze haben ein gemeinsames Thema, das Physisch - Organische („nervios“ - „músculo-fuerza“). Dieses Thema steht kontradiktorisch zum Thema der beiden letzten Sätze - dem Intellekt. Huidobro zeigt hier ein zentrales Element seiner Dichtung; Die Überlegenheit des Intellektes über das Gefühl. Diese analytische Reduktion erlaubt es ihm eine ausschliessliche Situation zu schaffen in welcher von zwei Alternativen immer nur eine gewählt werden kann. Er flüchtetet hier in eine intellektuelle Konzeption, die sich auch schon in früheren Arbeiten zeigt. Doch auch wenn dieser Prozess die Sinnlichkeit, die Sentimentalität und die Vitalität als Stütze poetischen Schaffens ablehnt, so kann man nicht ausser Acht lassen, dass, beim Eintritt in das Spiel der Gegensätze, das Natürliche und die Umwandlung von Leben in Kreation in eine Art absurdes Nichts fallen und sich dort von der reinen Intellektualität entfernen. In der Poesie überwindet der Dichter jedoch das Theoretische.
III.IV. Vierte Strophe
Die vierte Strophe führt den belehrenden Ton der vorherigen fort und begi9nnt mit einer rhetorischen Frage in deklamierendem Tonfall („Porqué cantáis la Rosa Oh Poetas!“) und endet in einer Feststellung, die gleichzeitig die Antwort auf die vorhergehende Frage ist („ Hacedla florecer en el poema“). Schliesslich gipfelt alles in einem zweiten Aussagesatz („Sólo para nosotros viven las cosas bajo el sol“).
In diesen beiden ersten Versen bezieht er sich auf die bereits in „Non serviam“ entwickelte Theorie, dass der Dichter seine eigene Realität, eine neue Realität kreieren und sich nicht mit dem blossen Besingen dieser zufrieden geben soll.
In der objektiven Wirklichkeit ist die Rose ein Teil der Natur, sie lebt, ob der Dichter sie sieht oder nicht, in sich und für sich. Doch der Dichter sieht sie, er erfreut sich an ihr, er riecht und fühlt sie und er kann auch über sie schreiben
oder sie erwähnen. Huidobro, so Luis Navarrete Orta, geht mit seinen Forderungen jedoch darüber hinaus. „Huidobro propone ir más allá: algo así como poner en funcionamiento toda la fuerza germinal de la poesía, accionar los jugos nutricios del poema para que en su jardín florezca una especie nueva, que se nutra de las esencias mismas de la arquitectura ideal que la sostiene y que sólo obdezca a las leyes de su propio universo.25
Die Verse enthalten in der vierten Strophe noch eine weitere wichtige Vorstellung. Der Dichter ist vorbestimmt eine Figur zu sein, ohne welche die Dinge in der Welt für den Menschen keinen Sinn ergeben würden. Sie wären lediglich vorhandene Dinge. Doch ohne die Figur des Dichters wären sie keine für das Leben brauchbaren Dinge. Die Aufgabe des Dichters in der Gesellschaft ist also in erster Linie etwas zu Kreieren, was alles in der Realität bereits existierende durchdringt und dessen Grenzen überschreitet.
„[...]la de crear „la rosa“ que haga trascender el valor de cada una de las rosas que existen en la vida real.“26
Das Gedicht endet mit einem Satz der dem Leser wie eine Peitsche ins Gesicht schlägt und die zentrale Idee des Dichters als Schöpfer und nicht als Imitator auf den Punkt bringt („El poeta es un pequeno Dios“). So kann man sich vorstellen, dass Gott die Welt mit ihren Kreaturen und den Menschen geschaffen hat, unter den es die Art der Dichter gibt, die wiederum Schöpfer sind. So kann auch der Dichter wie ein kleiner Gott erschaffen und Leben einflössen. Er bietet dem Menschen etwas, das wir Gedicht nennen; verbale Werke, die ebenfalls eine Singularität besitzen und insofern sich selbst genug sind, als dass sie nichts gleichen was schon existiert. Zwar kann es ähneln, wie das Pferd dem Elefanten ähnelt oder der Mensch dem Affen, doch verliert es dadurch seine Einzigartigkeit nicht.
Die dichterische Schöpfung ist für Huidobro äquivalent zur universalen, absoluten Schöpfung. Eine neue Realität zu kreieren heisst, die Sprache die sie erst möglich macht, zu rekreieren und der Welt, die uns umgibt, einen neuen Sinn zu geben.
VI. Schlussbetrachtung
Die Begeisterung die Huidobros Theorie vor allem später im avantgardistischen Europa hervorgerufen hat, scheint heute kaum nachvollziehbar. In einer Zeit in der alles erlaubt ist, in der nur extreme Situationen den Mensch noch aufregen und somit zum Nachdenken anregen, ist es schwer zu verstehen, dass die Behauptung der Dichter könne gleichfalls ein Gott sein, als sonderbar, neu oder gar verwegen verstanden werden könnte. Heute werden tagtäglich werden Dinge erschaffen, von denen man gestern noch glaubte sie wären reine Phantasiegespinste, warum sollte nicht auch ein Dichter neue Realitäten erschaffen können. Die neuen Schreibweisen der Avantgarde, die neue visuelle Verarbeitung, die neue Metaphorik, alles scheint heute schon mal dagewesen und so mancher fragt sich nach der Grenze die noch überschritten werden soll, um neue Wege aufzuzeigen. Wenige lassen sich heute noch von Literatur oder Kunst im alten Verständnis leiten. Wieder mal sind wir an einem Punkt angekommen, wo etwas neues geschaffen werden muss, damit Literatur und Kunst wieder aufwecken und aufzeigen können. Und so wie damals Huidobro als Teil der Avantgarde mit dem Alten radikal gebrochen hat, so wird seine oder besser ihre Arbeit heute vielleicht unterbewusst den Weg zu einem neuen Neuen zeigen. Das Internet ist vielleicht ein Vorbote dieses neuen Literatur- und Kunstverständnisses, das dem Menschen wieder aufzeigt, wie und warum die Welt sich dreht.
Bibliographie
Grossmann, Rudolf; „Geschichte und Probleme der lateinamerikanischen Literatur“; Max Huber Verlag München; München , 1969.
Hopfe, Karin; „Vicente Huiodobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; Gunter Narr Verlag Tübingen; Tübingen, 1996.
Huidobro, Vicente; „Antología Poética“; Editorial Castalia, S.A.; Madrid, 1990.
http://www.uchile.cl/cultura/huidobro/cronologia_huidobriana2.htm
Navarrete Orta, Luis; „Poesia y Poetica en Vicente Huidobro (1912 - 1931)“; Fondo Editorial Humanidades y Educación Universidad Central de Venezuela; Caracas, 1988.
Pizarro, Ana; „Sobre Huidobro y las Vanguardias“; Editorial de la Universidad de Santiago de Chile; Santiago de Chile, 1994.
Strosetzki, Christoph; „Kleine Geschichte der lateinamerikanischen Literatur 20. Jahrhundert“; Verlag C.H. Beck München; München, 1994.
[...]
1Siehe auch: Pizarro, Ana; „Sobre Huidobro y las Vanguardias“; S.95
2Zitiert nach einer Äusserung Huidobros in seinem Vortrag 1916 im Ateneo in Buenos Aires; entnommen: Strosetzki, Christoph; “ Kleine Geschichte der lateinamerikanischen Literatur im 20.Jahrhundert“; S. 201
3Der Text seiner Rede ist nicht mehr erhalten, aber einen Teil hat Huidobro später in seinem Manifest „La creación pura“ wieder aufgegriffen. So schreibt er dort:
4Siehe auch diese Arbeit S. 10
5Zitiert nach: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 67
6Zitiert nach einem Interview Huidobros aus dem Jahre 1919, entnommen: Strosetzki,
Christoph; “ Kleine Geschichte der lateinamerikanischen Literatur im 20.Jahrhundert“; S. 201
7Zitiert nach: Vicente Huidobro; „Non serviam“- Obras completas II,175 aus der Einleitung von Hugo Montes in: Huidobro, Vicente „Antología Poética“, S. 19
8Siehe auch: Strosetzki, Christoph; “ Kleine Geschichte der lateinamerikanischen Literatur im 20.Jahrhundert“; S. 201
9Zitiert nach: Vicente Huidobro; “El Creacionismo“ aus Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 68
10Zitiert nach: Vicente Huidobro; „ Horizon carré“- Einleitung; entnommen: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 36
11Zitiert nach: Vicente Huidobro; „ El Creacionismo“; entnommen: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 37
12Zitiert nach: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 38
13Zitiert nach: Vicente Huidobro; „El Creacionismo“; entnommen: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 38
14Zitiert nach einem Brief Vicente Huidobros; entnommen: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 41
15Zitiert nach: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 41
16Zitiert nach: Vicente Huidobro; „La creación pura“; entnommen: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 45
17Entnommen: Hopfe, Karin; “Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“; S. 46
18Zitiert nach: Vicente Huidobro „Manifestos de manifestos“ aus Hopfe, Karin „Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“, S.47
19Zitiert nach: Vicente Huidobro „Manifestos de manifestos“ aus Hopfe, Karin „Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“, S. 54
20Zitiert nach: Vicente Huidobro „La creación Pura“ aus Hopfe, Karin „Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“, S. 55
21Zitiert nach: Vicente Huidobro „El creacionismo“ aus Hopfe, Karin „Vicente Huidobro, der Creacionismo und das Problem der Mimesis“, S. 55
22Entnommen: Vicente Huidobro; „Antología Poética“; S. 40
23Siehe auch: Luis Navarrete Orta; „Poesia Y Poetica en Vicente Huidobro“; S. 103
24Zitiert nach: Vicente Huidobro;“ „El prefacio“ a Adán “; aus: Luis Navarrete Orta; „Poesia Y Poetica en Vicente Huidobro“; S. 104
25Zitiert nach: Luis Navarrete Orta; „Poesia y Poetica en Vicente Huidobro“; S. 107,Z.8-13
26Zitiert nach: Luis Navarrete Orta; „Poesia y Poetica en Vicente Huidobro“; S. 107/108, Z.23
- Citar trabajo
- Janna Plote (Autor), 2001, Vicente Huidobro, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104470
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