Jaspers, Lindemann, Dichgans - drei Kritiker des Grundgesetzes
I. 1966: Dr. jur. Helmut Lindemann (deutscher Journalist und Publizist)
Kritik am "oktroyierten" Föderalismus:
- Verfälschung des föderalistischen Prinzips (Subsidiarität)[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Beispiel: Der Kulturföderalismus war nur gewollt wegen der Gleichschaltung der Kultur durch die Nazis; aber erst sind sie an die Macht gekommen, dann wurde zentralisiert, nicht umgekehrt!
- Föderalismus hat die Machtergreifung der Nazis eher gefördert als gebremst (Thüringen als wichtigster Standpunkt)
- trotz Art. 29 GG unsinnig gegliedertes Bundesgebiet
- Festsetzung der Mitbestimmung der Länder in Art. 79 GG verhindert eventuelle Umwandlung des Bundesrats in einen Senat
- Zu großer Einfluß der Parteien durch Bundesratslösung[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Wahlen der Länderregierungen nun auch Sache der Bundespolitik[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]als Folge Überlastung der Minister
- Vermischung von legislativen und exekutiven Befugnissen im Bundesrat
- Die Zusammenarbeit der Länder untereinander ist zu stark, nicht im GG vorgesehen und somit ein Hinweis, daß diese Themen Bundesangelegenheit sein sollten
- ABER: Bundesrat funktioniert dennoch gut, notwendig als Kontrollorgan mangels plebiszitärer Elemente
Forderungen
- Neuordnung der Länder
- Schaffung einer echten zweiten Kammer (Senat)
- Schaffung eines Länderrats (Ausdruck föderalistischer Grundordnung)
- Abschaffung nicht privilegierter Kompetenzen (z.B. Kultur)
- Kompetenzverteilung: Grundsatzentscheidungen beim Bund, Einzelentscheidungen bei den Länder € Abbau der Bundesverwaltung zugunsten der Länderverwaltung € Ausbau der Ermessensspielräume der Gemeinden
Der starke Kanzler:
- Richtlinienkompetenz (kommt nur zur Geltung, wenn entsprechende Mehrheit im BT vorhanden)
- Schwer absetzbar durch konstruktives Mißtrauensvotum
- Entscheidung über Berufung und Entlassung von Ministern (Minister in Selbständigkeit beschränkt)
- Stärke des Kanzleramtes kommt nur durch starke Persönlichkeit des Kanzlers zur Ausdruck; schwacher Kanzler verursacht Funktionsstörungen im System[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]GG kennt keine Faktoren, die ein derartiges Vakuum ausgleichen könnten
Das schwache Parlament
- Wahlverfahren nicht im GG verankert und durch einfaches Gesetz änderbar[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Überlegungen, die Änderung des Wahlverfahrens zur Beeinflussung der Mehrheiten zu mißbrauchen[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Vorschlag: Mehrheitswahl mit Zwang zur Nachwahl
- Konstruktives Mißtrauensvotum erschwert Absetzbarkeit im Falle einer arbeitsunfähigen Regierung[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Vorschlag: "bedingtes Mißtrauensvotum" (baldige, nicht sofortige Neuwahl)
- BT nicht durch das Volk absetzbar
Die (nicht sehr) repräsentative Demokratie (reine Form der repräsentativen Demokratie)
- Parlament nie vollständig repräsentativ wegen unterschiedlichen Engagements verschiedener Bevölkerungsschichten
- Fraktionszwang verhindert die Vertretung der Interessen aller[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Verbot des imperativen Mandats wegen Wertepluralismus jedoch sinnlos
- rein repräsentatives System nicht mehr zu vertreten[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Erwägung einer neuen Mischform Forderungen
- Einführung der Wahlpflicht
- Nachwahl zum BT, Verlängerung der Legislaturperiode
- Absetzbarkeit des BT durch das Volk
- Recht des Bürgers auf Gesetzesinitiative
- Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht
Der Bundespräsident
Nur wenig Zuständigkeiten nach eigenem Ermessen[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]starke Auslegungsmöglichkeiten
- Umrisse hätten klarer gezeichnet werden müssen
- stärkere Betonung seiner Funktion durch neues Wahlverfahren
Verfassungsschutz
- Bundesverfassungsgericht
] Große Machtbefugnisse, weil Verfassungsgericht in Weimar versagt hat
- Sicherungen im GG (Art. 79 GG):
] Gefahr der Erstarrung verfassungsmäßiger Zustände
] GG im Widerspruch zu sich selbst (Präambel: "Provisorium")
Forderungen
- Schaffung eines Ombudsman (einen je Land und einen für den Bund)
- Schaffung des im GG vorgesehenen Obersten Bundesgerichts
- Schaffung eines einheitlichen Rechtspflegeministeriums € Vereinheitlichung der Rechtsprechung
- Richterwahl des BVG durch einen Wahlausschuß anstatt durch das Parlament
- Verfassungsänderungen mit 3/4 Mehrheit in BT und BR Parteien
- Parteien agieren nicht mehr im Auftrag des Volkes, sondern als Teil des Staates
- Innere Ordnung: Vermeidung innerparteilich-oligarchischer Führungsgremien und Herabsetzung der Mitglieder zu Gefolgsleuten[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Präzisierung der Formulierung "muß demokratischen Grundsätzen entsprechen" (Art. 21 GG)
- "Rechenschaft ablegen" (Art. 21 GG) wird von Parteien vermieden[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Neuregelung der Parteienfinanzierung
- 5%-Klausel verhindert Splitterparteien und Integration aller Meinungen ins Parteiensystem
Bundeswehr
- Gefahr der Machtverschiebung in Richtung Militär
- Widersprüchlichkeit der Institution: Armee in einem Territorialstaat, Trägerin nationalstaatlicher Tradition, übernationales Kommando
- Wiederaufrüstung war überstürzt[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Verachtung des Militär in der Gesellschaft
- Stärkung des Wehrbeauftragten, stärkere Information des BT über die Lage der Bundeswehr
Interessenverbände werden trotz ihrer real starken Stellung in der Verfassung zu wenig berücksichtigt
Vorschlag: offizielle Anhörung von Verbandsmitgliedern im Parlament, Schaffung eines Verbandsgesetzes mit Rechten und Pflichten, Möglichkeit der Einberufung von Mitgliedern unter Angabe der Verbandszugehörigkeit etc.
- Arbeit zitieren
- Isabel Lamotte (Autor:in), 1999, Jaspers, Lindemann, Dichgans - drei Kritiker des Grundgesetzes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104428
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