Die Entfremdung von der Gesellschaft in Swifts Gullivers Reisen und Defoes Robinson Crusoe
Jonathan Swifts Roman Gullivers Reisen, und Daniel Defoes Robinson Crusoe sind die Meisterwerke der zwei Schriftsteller. Beide Werke wurden in der ersten Hälfte des achtzenten Jahrhunderts in der Form eines Ich-Romans geschrieben und beide handeln von Abenteuern, Reisen und gefährlichen Situationen. Die Schilderung der Erlebnisse ist in beiden Romanen vergleichbar. In Anbetracht der Aufgabenstellung ist es unmöglich beide Romane im Detail zu analysieren. Deshalb wird sich der Aufsatz auf die Thematik der Entfremdung von der Gesellschaft, die beiden Romanen zugrunde liegt, beschränken.
Beide Protagonisten werden durch ihre Isolation, Robinson Crusoe auf der Insel und Gulliver bereits zu Beginn des Romans im Land der Lilliputaner, von der Gesellschaft entfremdet. Es ist interessant zu beobachten, wie es beiden Schriftstellern gelungen ist die Entfremdung ihrer Helden von der englischen Gesellschaft des achtzehnten Jahrhunderts zu schildern.
Beide Helden haben das Bedürfnis die Welt zu sehen und infolge dessen wurden sie schiffbrüchig. Deshalb werden Gulliver wie Robinson Crusoe von der Welt der sie bis vor kurzem angehört haben entfremdet als sie auf die Insel, respektive nach Lilliput gelangen. Beide befinden sich in einem fremden Land, also sind sie im literarischen Sinn Fremde. Sie wissen nicht wo sie sich befinden, die Kultur und Umgebung sind ihnen fremd. Sie haben auch keine Möglichkeit nach Hause zu gelangen.. Bis zu diesem Punkt gibt es keinen Unterschied in ihrer gegenwärtigen Situation.
Ein Unterschied zwischen Gulliver und Robinson Crusoe besteht darin, da‚ Gulliver trotz seiner Lage ständig von Geschöpfe umgeben war, die ausgezeichnete intellektuelle Fähigkeiten besa‚en, da Gulliver meistens die Ehre hatte sich mit Königen zu unterhalten. Dagegen lebt Robinson Crusoe in vollkommener Isolation. Gulliver brauchte nur die Sprache des Landes in der er sich befand zu lernen, was ihm dank seiner Begabung nie schwerfiel. Robinson dagegen kann sich lange Zeit mit Niemandem unterhalten. Auch nach Freitags Erscheinung kann man diesen nicht als einen Gesprächspartner bezeichnen, denn er ist und bleibt ihm kulturell unterlagen. Er ist viel mehr eine Art Lehrling und Robinson ist sein Lehrer, denn er übernimmt erzieherische Funktionen. Es ist klar erkennbar, da‚ Robinson Crusoe trotz seiner Einsamkeit die Gesellschaft nicht allzusehr vermisst. Er behauptet folgendes: “it was possible I might be more happy in the solitary candition that I should have been in a liberty of society and in all the pleasures of the world” (S. 124).
Was Robinson Crusoe vermisst ist weniger die Gesellschaft, als viel mehr einen ebenbürtigen Gesprächspartner, aufgrund seines Bedürfnisses zu komunizieren.
Seine Einsamkeit wird vor allem dann deutlich als er bereut, da‚ alle Menschen auf dem Schiff, welches neben seiner Insel schiffbrüchig wurde, gestorben sind “O that there had been but one or two, nay, or but one soul sav’d out of this ship, to have escaped to me, that I might have one companion, one fellow creature to have spoken to me, and to have convers’d with!” (S. 137).
Es gibt viele andere Unterschiede zwischen den Helden, aber der Grö‚te liegt im Ausma‚ der Entfremdung von der Gesellschaft. Am Anfang bleiben beide Helden ihrer kulrurellen Herkunft treu, denn sie haben nichts womit sie sie vergleichen können.
Im ersten Teil seines Werkes gelingt es Swift durch Gullivers Berichte über Lilliput, in Analogie ein kritisierendes Miniaturbild der englischen Gesellschaft zu schaffen. Im zweiten Teil jedoch führt Gulliver zahlreiche Gespräche mit dem König der Riesen, der am Schlu‚ davon überzeugt ist, da‚ die Engländer eine unvolkommene Rasse sind. Er beschreibt sie als “the most pernicious race of little vermin that nature ever suffered to crawl upon the surface of the globe” ( S. 132). Trotz der defamierenden Kritik des Königs, ist Gulliver froh wieder nach Hause zurückkehren zu können, denn noch vermisst der seine Familie und sein kulturelles Herkunftsland. Dasselbe trifft auch für seine Reise nach Laputa zu, in der er die englische Gesellschaft noch einmal parodistisch verspottet. Auch wenn Swift die Gesellschaft immer wieder angreift bleibt das Ausma‚ der Entfremdung bis zum vierten Teil gering. Eine sichtbare Veränderung in Gullivers Charakter wird erkennbar, als er die Houyhnhnms besucht. Während senes Aufenthaltes verliert er seinen Glauben an die menschliche Zivilisation. Er vergleicht beide Gesellschaften und wird in diesem Vergleich zwischen Mensch und Tier zum Menschenfeind. Dadurch ist seine Entfremdung von der menschlichen Gesellschaft, die er ganz verdorben und degeneriert findet, vollkommen. Die totale Umwertung alles Menschlichen im vierten Teil des Buches ist so fundamental, da‚ Gulliver nie wieder unter Menschen leben will. Als er gezwungen wird wieder unter Menschen zu leben, betrachtet er es als eine harte Strafe und wünscht er wäre lieber tot.
“ I was struck with the utmost grief and despair …death would have been to great a happiness”(S. 291). Er fügt auch folgendes hinzu: “how could I think with temper of passing my days among Yahoos, and relapsing into my old corruptions, for want of examples to lead and keep me within the paths of virtue?” (S.292) Dieser Abschnitt beweist noch einmal da‚ die Rückkehr nach England, das Letzte ist, was Gulliver sich wünschte. Nachdem er sich nach sechs Jahren wieder in England befindet kann er nicht einmal seine eigene Familie ausstehen “ I could not endure my wife and children in my presence”. (S. 303) Er sieht alle Fehler und Defekte der Gesellschaft, der er so lange angehört hat und er entfremdet sich von ihr vollkommen, weil er nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Seine Entfremdung findet freiwillig statt, während Robinson Crusoes Entfremdung zwangsläufig ist.
Robinson Crusoe beschäftigt sich am Anfang kaum mit Gedanken über die Gesellschaft, denn er mu‚ zuerst um sein Überleben kämpfen: “My thoughts were now wholly employed about securing myself”. (S. 64) Sowohl Robinson als auch Gulliver, brauchen eine Weile bis sie einsehen, da‚ sie eigentlich die Gesellschaft als solche, nicht vermissen. Im Gegensatz zu Gulliver, behält Robinson seinen Zivilisationsoptimismus. Bei seiner Rückkehr hat er keine misantropischen Gefühle. Man könnte eigentlich das Gegenteil behaupten, denn er heiratet und bekommt drei Kinder.
Die Entfremdung von der englischen Gesellschaft des achtzehnten Jahrhunderts findet bei Gulliver und Robinson Crusoe über einen langen Zeitraum statt. Während Robinson Crusoe auf seiner Insel Zeit zur Meditation und Reflektion hat erkennt er, da‚ er auch ohne der Gesellaschft auskommen kann. Er instrumentalisiert seine Entfremdung indem er die Wildnis kultiviert und aus seine eigenen Fehlern lernt. Robinson Crusoe entfremdet sich, weil er auf der Insel geistig reift und sich einen höheren Zustand der Zivilisation schafft. Gulliver besucht fremde Orte und sammelt auf diesen Reisen eine Vielfalt von Eindrücken über andere Völker und Länder, die zum Teil seiner Gesellschaft überlegen sind. Seine Entfremdung wird daher, im Gegensatz zu der Robinson Crusoes, von höher gestellten Kulturen ausgelöst.
Beide Protagonisten verändern sich, aber ihre Entfremdung findet im unterschiedlichen Ausma‚ statt. Gullivers Entfremdung rerultiert in Menschenha‚, Robinson Crusoes dagegen in Zivilisationsoptimismus.
1120 Worte
Bibliographie
Defoe, Daniel. Robinson Crusoe and A Journal of the Plague Year. New York: Random House Inc, 1948.
Swift, Jonathan. Gulliver’s Travels. New York: Dodd, Mead & Company, 1950.
- Arbeit zitieren
- Dalmein, Jo (Autor:in), 2001, Die Entfremdung von der Gesellschaft in Swifts "Gullivers Reisen" und Defoes "Robinson Crusoe", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104375
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