In der Masterthesis werden die Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die bundesdeutsche Asylgesetzgebung seit dem Spätsommer 2015 einer wissenssoziologischen Analyse unterzogen und deren Auswirkungen auf die Praxis Sozialer Arbeit vorgestellt.
Zunächst wird die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann erläutert, um diese auf die Konstruktions- und Legitimationsprozesse bezüglich der Asylgesetzgebung anzuwenden. Dazu werden stellvertretend die gegenteiligen Konstruktionen „Willkommenskultur“ und „Flüchtlingswelle“ mit den jeweils dahinterstehenden „Alltagswirklichkeiten“ und ihren Legitimationen erarbeitet.
Von politischer Seite wurde zunächst im Öffnen der Grenze sowie dem viel zitierten Credo „Wir schaffen das!“ der Bundeskanzlerin eine „Willkommenskultur“ praktiziert. Dazu kann festgestellt werden, dass zunächst die „Willkommenskultur“ gesellschaftlich und medial überwog, es aber auch von Anfang an die Konstruktion der „Flüchtlingskrise“ gegeben hatte. Deren Bedeutung nahm allmählich immer mehr überhand, wobei die Ereignisse der Silvesternacht 2015 einen markanter Wendepunkt in der medialen Berichterstattung nach sich zogen. Die Konstruktion der „Krise“ sowie ihre Zunahme in der öffentlichen Meinung spiegelt sich in der Veränderung der Asylgesetzgebung im Sinne einer Verschärfung wider.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann
2.1 Vorstellung der Autoren
2.2 Wurzeln für die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann
2.3 Die Wirklichkeit der Alltagswelt
2.3.1 Gesellschaftliche Interaktion in der Alltagswelt
2.3.2 Sprache und Wissen in der Alltagswelt
2.4 Gesellschaft als objektive Wirklichkeit
2.4.1 Institutionalisierung
2.4.1.1 Organismus und Aktivität
2.4.1.2 Ursprünge der Institutionalisierung
2.4.2 Sedimentbildung und Tradition
2.4.3 Legitimierung
2.5 Gesellschaft als subjektive Wirklichkeit
2.5.1.1 Primäre Sozialisation
2.5.1.2 Sekundäre Sozialisation
2.5.2 Kritik
2.5.3 Zusammenfassung und Überleitung
3 Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die Asylgesetzgebung seit dem Spätsommer 2015
3.1 Übertragung der vier Legitimationsebenen auf die aktuellen Ereignisse
3.2 Historische Wurzeln
3.2.1 Jüdisch-Christliche-Wurzel
3.2.2 Griechische Wurzel
3.3 Vorangestellte Informationen
3.3.1 Fluchtursachen
3.3.2 Definitionen der unterschiedlichen Kategorien Geflüchteter
3.3.2.1 Definition: Asylsuchende
3.3.2.2 Definition: „Flüchtling“
3.3.2.3 Definition: Binnenvertriebene
3.3.2.4 Definition: zurückgekehrte „Flüchtlinge“
3.3.2.5 Definition: zurückgekehrte Binnenvertriebene
3.3.2.6 Definition: Staatenlose
3.3.2.7 Definition: andere von Flucht Betroffene
3.4 Ausgangslage
3.5 Konstruktion: „Flüchtlingswelle“
3.5.1 Länder, in denen sich Geflüchtete befinden
3.5.1.1 Zusammensetzung der von Flucht Betroffenen von 2013–2016
3.5.1.2 Aufnahmeländer
3.5.2 Weltweite Entwicklung der Zahlen der von Flucht betroffenen Menschen
3.5.3 Asylanträge in der BRD
3.5.3.1 Asylanträge von 2008 bis 2016
3.5.3.2 Asylerstanträge von 2015 bis August 2017
3.5.4 Wer von der „Welle“ in Deutschland bleibt
3.5.4.1 Nicht alle bleiben
3.5.4.2 Wartezeiten
3.5.5 Bedeutung für die Konstruktions- und Legitimationsprozesse 1
3.6 Zur Asylgesetzgebung seit dem Spätsommer 2015
3.6.1 Entwicklungen im Vorfeld zum Spätsommer 2015
3.6.1.1 Die Top-Ten-Herkunftsländer der Asylsuchenden von 2007 bis 2016
3.6.1.1.1 Interpretationen zum Verlauf der Asylerstanträge der Top Drei Herkunftsländer
3.6.1.1.2 Krisenhafte Entwicklungen in Syrien
3.6.1.2 Entwicklungen unmittelbar vor der Grenzöffnung
3.6.1.2.1 Geldmangel für syrische Geflüchtete in Flüchtlingslagern
3.6.1.2.2 Fluchtrouten
3.6.1.2.3 Situation in der BRD für Geflüchtete vor „dem Tweet“
3.6.2
3.6.3 Der Tweet des BAMF und seine Folgen
3.6.3.1 Der Tweet
3.6.3.2
3.6.3.3 „Wir schaffen das“
3.6.3.4 Die Öffnung der Grenze
3.6.4 Folgen für die Asylgesetzgebung
3.6.4.1 Folgen für Schengen und Dublin-III
3.6.4.1.1 Das Schengener Abkommen
3.6.4.1.2 Dublin-III-Verordnung
3.6.4.2 Rechtsgrundlagen für die Asylgesetzgebung in der BRD
3.6.4.2.1 Artikel 16a des Grundgesetz
3.6.4.2.2 Das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention)
3.6.4.3 Gesetzesänderungen in der bundesdeutschen Asylgesetzgebung anhand des Asylgesetzes (AsylG)
3.6.4.3.1 Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz
3.6.4.3.2 Das „Köln-Gesetz“
3.6.4.3.3 Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen
3.6.5 Schließen der Fluchtrouten
3.6.6 Bedeutung für die Konstruktions- und Legitimationsprozesse 2
3.6.6.1 Bedeutung für die Gesetzgebung
3.6.6.2 Legitimationen und Handlungskonsequenzen für die Konstruktionen
4 Bedeutung für die Soziale Arbeit mit Geflüchteten
4.1 Konfliktpotenzial: Das „doppelte Mandat“
4.2 Auswirkungen auf die Arbeit mit Geflüchteten
4.3 Interkulturelle Orientierung und Öffnung
4.3.1 Der Kulturbegriff
4.3.2 Interkulturalität
4.3.2.1 Interkulturelle Kompetenz
4.3.2.2 IKÖ und IKO
4.4 Partizipation für Geflüchtete
4.4.1 Partizipation durch Ästhetik
4.4.2 Verwirklichung von Partizipation und anderen Grundsätzen der Sozialen Arbeit innerhalb dieser
4.5 Weitere Folgen für die Soziale Arbeit
4.5.1 Gesetzliche Grundlagen
4.5.2 Arbeit mit Bürger und Bürgerinnen
4.6 Zusammenfassung
5 Fazit und Ausblick
6 Anhang
6.1 Zu: Fluchtursachen (Fluchtursache: Handels- und Wirtschaftsbeziehungen)
6.2 Zu: Asylanträge in der BRD
6.2.1 Asylfolgeanträge von 2015 bis August 2017
6.2.2 Weitere Verfahren
6.3 Zu: Interpretationen zum Verlauf der Asylerstanträge der Top Drei Herkunftsländer
6.4 Zu: Krisenhafte Entwicklungen im Vorfeld zum Spätsommer anhand Syriens
6.4.1 Syrien
6.4.1.1 Vor dem Bürgerkrieg
6.4.1.2 2011: Entwicklung zum Bürgerkrieg
6.4.1.3 Zunahme der Anzahl der Geflüchteten
6.4.2 Afghanistan
6.4.2.1 Afghanistan – zur Vorgeschichte ab 1978
6.4.2.2 Ab 2001
6.4.3 Irak
6.5 Zu: Rechtsgrundlagen in der BRD (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 16a)
6.6 Zu: Gesetzesänderungen in der bundesdeutschen Asylgetzgebung anhand des Asylgesetzes (AsylG)
6.7 Ergänzungsmaterial als weiterer Beleg für die Konstruktionen
7 Literaturverzeichnis
7.1 Literatur
7.2 Sekundärliteratur
7.3 Digital
7.4 Sonstige Quellen
7.5 Digitale Sekundärquellen
7.6 Gesetze und Verträge
Abstract
In der vorliegenden Masterthesis werden die Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die bundesdeutsche Asylgesetzgebung seit dem Spätsommer 2015 einer wissenssoziologischen Analyse unterzogen und deren Auswirkungen auf die Praxis Sozialer Arbeit vorgestellt.
Zunächst wird die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann erläutert, um diese auf die Konstruktions- und Legitimationsprozesse bezüglich der Asylgesetzgebung (s.o.) anzuwenden. Dazu werden stellvertretend die gegenteiligen Konstruktionen „Willkommenskultur“ und „Flüchtlingswelle“ mit den jeweils dahinter stehenden „Alltagswirklichkeiten“ und ihren Legitimationen erarbeitet. Von politischer Seite wurde zunächst im Öffnen der Grenze, sowie dem vielzitierten Credo „Wir schaffen das!“ der Bundeskanzlerin eine „Willkommenskultur“ praktiziert. Dazu kann festgestellt werden, dass zunächst die „Willkommenskultur“ gesellschaftlich und medial überwog, es aber auch von Anfang an die Konstruktion der „Flüchtlingskrise“ gegeben hatte. Deren Bedeutung nahm allmählich immer mehr überhand, wobei die Ereignisse der Silvesternacht 2015 einen markanter Wendepunkt in der medialen Berichterstattung nach sich zogen. Die Konstruktion der „Krise“ sowie ihre Zunahme in der öffentlichen Meinung spiegelt sich in der Veränderung der Asylgesetzgebung im Sinne einer Verschärfung wider.
Das institutionale Wissen einer Fachkraft im Bereich der Sozialen Arbeit ist z.T. konträr zum gesellschaftlichem Wissen; zudem verstärken die Änderungen innerhalb der Asylgesetzgebung das Dilemma des doppelten Mandats. Die vorliegende Thesis mündet schließlich in Anregungen, wie professionelles Handeln angesichts dessen gestaltet werden kann. Die Autorin vertritt diesbezüglich die Meinung, Soziale Arbeit solle auf Politik in ihrem Sinne Einfluss nehmen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zusammensetzung der von Flucht Betroffenen von 2013-2016 nach Kategorien (Quelle: popstats.unhcr.org 2017)
Abbildung 2: Hauptaufnahmeländer der von Flucht betroffenen Menschen im Jahr 2016 (Quelle: unhcr.org 2017)
Abbildung 3: Entwicklung der Asylantragszahlen im 3-Jahresvergleich (2015 bis August 2017) (Quelle: bamf.de (3) 2017: 3)
Abbildung 4: Tweet des BAMF vom 25.08.2015 zur Aussetzung von Dublin-III für syrische Geflüchtete (Quelle: BAMF (8) auf twitter.com 2015)
Abbildung 5: Flüchtlingsrouten nach Europa (Quelle: sueddeutsche.de (2) 2015)
Abbildung 6: Entwicklung der Asylfolgeantragszahlen im 3-Jahresvergleich (2015 bis August 2017) (Quelle: bamf.de (3) 2017: 4)
Abbildung 7: Anzahl der von Flucht betroffenen Syrer und Syrerinnen (Quelle: sueddeutsche.de (5) 2017)
Abbildung 8: Diskussion um Pegida (Quelle: de-de.facebook.com 2015)
Abbildung 9: "Merkel muss weg" (Quelle: berliner-zeitung.de (3) 2017)
Abbildung 10: Streit um die richtige Sichtweise (Quelle: huffingtonpost.de (4) 2015)
Abbildung 11: Unmut über die staatliche „Flüchtlingspolitik“ (Quelle: de.nachrichten.yahoo.com (2) 2017)
Abbildung 12: "Refugees Welcome" (Quelle:vice.com 2015)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Entwicklungen der Asylantragszahlen (Quelle: bamf.de (1) 2017: 10f)
Tabelle 2: Ausreisen 2015 und 2016 (Quelle: Drucksache 18/11112 2017; Drucksache 18/7588 2016)
Tabelle 3: Zuerkennung der unterschiedlichen Schutzstatus 2015 (Quelle: Drucksache 18/7625 2016: 3)
Tabelle 4: Die Top-Ten Herkunftsstaaten der Asylerstanträge von 2007-2016 (Quelle: bamf.de (1) 2017: 19)
1 Einleitung
Die Verfasserin arbeitete bereits mit geflüchteten Menschen, zunächst in Österreich im Rahmen eines praktischen Auslandssemesters als auch später in Deutschland in ehrenamtlichen Strukturen. Ferner erlebte sie selbst das Chaos vor Ort an der deutsch-österreichischen Grenze im September 2015, als etliche Geflüchtete mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) einreisten. Des Weiteren besuchte sie die Refugee Law Clinic1 in Gießen im Wintersemester 2015/16 und erfuhr somit auch die aktuellen Gesetzesänderungen in der Asylgesetzgebung zur Zeit der „Flüchtlingskrise“. Als „Flüchtlingskrise“ wird der Zeitraum vom Spätsommer 2015 bis etwa März 2016 bezeichnet (Ultsch/Prior/Nowak 2017: 6). Dabei stellte der Spätsommer 2015 asylpolitisch gesehen eine Zäsur dar: mehr Schutzsuchende als je zuvor kamen nach Deutschland, es wurden mit einer Million Schutzsuchender gerechnet, weshalb die „Flüchtlingskrise“ mitunter auch als „Flüchtlingslawine“, „Flüchtlingswelle“ bezeichnet wurde. Das Thema schlug hohe Wellen in der Bevölkerung, in den Medien und in der Politik, was sich auch auf die Asylgesetzgebung auswirkte. Die Gesellschaft schien in zwei Pole gespalten zu sein: auf der einen Seite Menschen, die Geflüchtete willkommen hießen und auf der anderen Seite solche, welche die den Zuzug in diesem Ausmaß ablehnten oder zumindest kritisch sahen. Auch das Vorgehen der verantwortlichen Politiker – synonym dafür stand die Bundeskanzlerin Merkel – wurden unterschiedlich bewertet: die eine sahen „die Grenzöffnung“ als notwendigen, humanitären Schritt, die anderen sahen das als verantwortungslos oder gar als Volksverrat an (vgl. dazu die Ausführungen unter dem Kapitel Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die Asylgesetzgebung seit dem Spätsommer 2015).
Das alles führt die Verfasserin zur vorläufigen Hypothese: Die Gesellschaft scheint gespalten zu sein ob dem Umgang und der Einschätzung zu Geflüchteten, und der Entscheidung die Grenzen im Spätsommer 2015 zu öffnen.
Daraus ergeben sich folgende mögliche Fragestellungen:
Welche Konstruktions- und Legitimationsprozesse gibt es in Bezug auf „die Grenzöffnung“ und den Anstieg der Geflüchteten während der „Flüchtlingskrise“?
Wie wirken sich Konstruktions- und Legitimationsprozesse auf die bundesdeutsche Asylgesetzgebung seit dem Spätsommer 2015 aus und welche Konstruktionen und Legitimationen werden in Bezug auf die Asylgesetzgebung sichtbar?
Welche Handlungen ergeben sich aus den Konstruktionen?
Welche Auswirkungen haben diese Konstruktions- und Legitimationsprozesse und die Asylgesetzgebung auf die Praxis der Sozialen Arbeit?
Theoretisch gäbe es verschiedene Möglichkeiten um diese Fragestellungen zu bearbeiten:
Eine Möglichkeit dazu wäre der radikale Konstruktivismus nach Watzlawick. Watzlawick geht dabei davon aus, dass menschliche Kommunikation eine Grundbedingung des Lebens ist. Im Standartwerk der Kommunikationswissenschaften „Menschliche Kommunikation: Formen Störungen Paradoxien“ werden „die pragmatischen Wirkungen der Kommunikation im zwischenmenschlichen Verhalten und deren Störungen“ (Watzlawick/Beavin/Jackson 2011: Klappentext) ergründet. Zwar ist Kommunikation zentral für Konstruktionen und Legitimationen, aber der Schwerpunkt bei Watzlawicks Kommunikationstheorie liegt – wie der Titel bereits sagt – auf den Formen, den Störungen und den Paradoxien, weshalb es für die Bearbeitung dieser Fragen nicht zielführend wäre mit dieser Theorie zu arbeiten.
Ein weiterer theoretischer Zugang bietet der die Diskursanalyse nach Foucault. Der diskurstheoretischer Ansatz ist bei ihm analytisch; d.h er ist ein Instrument, zur Beschreibung und Ergründung von Vorhandenem. Der Diskurs ist allgegenwärtig. Daher wird permanent Bedeutung durch Sprache zugewiesen. Dies ist also ein andauernder Prozess in welchem sprachlichen Zeichen und Aussagen mit Dingen verbunden werden. Nach Foucault ist das Ergebnis dieses Prozesses Wissen. Dieses Wissen ist fortan fest in der Gesellschaft eingegraben. In Folge dessen gilt es als natürliche (also selbstverständliche) Gegebenheit, d.h. als Wahrheit (vgl. Nonhoff 2014: 64 nach uni-due.de (Die Gleichstellungsbeauftragte) 2013). Foucault geht es dabei um die Dekonstruktion von Diskursen, d.h. um die Frage, wie Wahrheiten durch Machteinwirkungen wurden. Dabei untersucht er Begriffe historisch genealogisch (vgl. uni-due.de 2013: 1; vgl. Ruoff 2007: 126 in uni-due.de 2013: 1; „Die Archäologie des Wissens“ (Foucault 1973) „Über Sprachjustiz, Psychiatrie und Medizin“ (Foucault 1976); „Überwachen und Strafen: die Geburt des Gefängnisses“ (Foucault 2014)). Durch diese Methode werden demnach Machtwirkungen in einer Gesellschaft sichtbar, allerdings macht sie sich an Begriffen fest und konzentriert sich darauf, wie in der Vergangenheit Wahrheiten entstanden sind. Um die oben genannten Fragen zu bearbeiten wird allerdings eine Theorie benötigt, mit welcher aktuelle gesellschaftliche Konstruktionen und Legitimationen sichtbar gemacht werden können.
Die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann schließlich räumt der zwischenmenschlichen Kommunikation einen großen Stellenwert ein, ebenso der Sprache. So entwickeln sie ausgehend von der Vis-à-vis-Situation2 wie Institutionen entstehen und legitimiert werden. Ihre Theorie bietet demnach ein Erklärungsmodell, wie Welten bzw. Sichtweisen konstruiert und legitimiert werden; kurz: Gesellschaft Wirklichkeit konstruiert (vgl. Berger/Luckmann 1996). Daher erscheint diese Theorie als adäquates Instrument um die oben genannten Fragen zu beantworten. Dieses Modell bzw. diese Theorie wird unter dem Kapitel Die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann dieser Arbeit näher erläutert werden.
Unter Beachtung der oben genannten Fragestellungen und des gewählten theoretischen Bezugs lautet daher die Themenstellung dieser Masterthesis „Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die bundesdeutsche Asylgesetzgebung seit Spätsommer 2015 und deren Auswirkungen auf die Praxis Sozialer Arbeit – Eine wissenssoziologische Analyse“.
Um diese Themenstellung zu bearbeiten, wird wie folgt vorgegangen:
Zunächst wird die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann vorgestellt. In einem nächsten Schritt werden mit Hilfe der Wissenssoziologie Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die Bundesdeutsche Asylgesetzgebung seit dem Spätherbst 2015 erarbeitet. Ein Ergebnis wird dabei die Feststellung sein, dass sowohl die Konstruktionen der „Willkommenskultur“ als auch der „Flüchtlingswelle“ Auswirkungen auf die Gesetzesänderungen hatten. Aus den Ergebnissen dieses Arbeitsschrittes werden dann Folgen und Anforderungen für die Soziale Arbeit abgeleitet. Ein Schlusskapitel mit einem
Fazit und einem Ausblick mit der Aufforderung an die Soziale Arbeit, in ihrem Sinne Einfluss auf die Politik und damit auf die Asylgesetzgebung zu nehmen, wird die vorliegende Thesis schließlich abrunden.
2 Die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann
Um die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann zu erarbeiten, wird zunächst auf die beiden Autoren eingegangen. Im nächsten Schritt werden ihre theoretischen Bezugsquellen benannt; im Rahmen dessen erfolgt auch eine Einordnung ihrer Theorie. Schließlich wird ihr Werk in dem Maße vorgestellt, wie es der Verfasserin relevant für die Bearbeitung ihres Themas erscheint (vgl. dazu die Fußnote 7).
2.1 Vorstellung der Autoren
Sowohl Peter L. Berger als auch Thomas Luckmann waren Schüler Alfred Schütz‘, Professor an der New Yorker „New School of Social Research“, wo sie einander kennenlernten.
Berger (geboren 1929 in Wien, gestorben 2017), nach Palästina geflohen vor dem Regime der Nationalsozialisten, hielt sich ab 1946 in den USA auf. Dort studierte er an der „New School“ Theologie, Philosophie sowie Soziologie und promovierte dort. 1966 lehrte er an der New Yorker Stadtuniversität („The City University of New York“), 1967 an der Stätte seiner Promotion, 1970 an der „The State University of New Jersey“ („Rutgers University“) und von 1985 bis 2009 hatte er schließlich an der „Boston University“ die Professur für die oben genannten Fächer inne.
Luckmann (geboren 1927 in Jesenice (im heutigen Slowenien), gestorben 2016), studierte in Wien und Innsbruck Germanistik, Vergleichende Literaturwissenschaften sowie Philosophie und Psychologie. Des Weiteren studierte er Philosophie, Psychologie und Soziologie von 1950 bis 1953 an der „New School“. Dort erwarb er 1956 den Ph.D. in Soziologie. Ferner lehrte er dort von 1960 bis 1965. Von 1965 bis 1970 war er an der „Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt“ (Frankfurt am Main) Professor für Soziologie und 1970 bis 1994 (dem Jahr seiner Emeritierung) übte er die Professur an der „Universität Konstanz“ aus.
Berger und Luckmann verfassten 1966 das Werk „The Social Construction of Reality“, welches den Klassikern der Soziologie zuzurechnen ist. Die deutschsprachige Ausgabe liegt dieser Arbeit zugrunde (vgl. jeweils Treibel 1997: 123; soziologie.de (Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)) 2017; rutgers.edu (Rutgers, The State University of New Jersey)2017; uvk.de o.J.; uni-konstanz.de 2017; wikipedia.org (1) 2017; uni-frankfurt.de 2017).
2.2 Wurzeln für die Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann
Berger und Luckmann geht es darum, aufzuzeigen, wie Gesellschaft Wirklichkeit konstruiert. Dazu stellen sie eine eigene Theorie der Wissenssoziologie auf.
Bevor sie aber ihre eigene Theorie kreieren (vgl. Berger/Luckmann 1996: 19), stellen sie klar, von welchen Theoretikern sie ihre theoretischen Bezüge beziehen und zu welchen sie sich abgrenzen.
Sie distanzieren sich von der Wissenssoziologie Schelers und Mannheims, da sich diese ihrer Meinung nach zu sehr mit theoretischen Gedanken befassen (vgl. ebd.: 16). Stattdessen wollen sie die Wissenssoziologie neu begründen. Sie stellen klar: „ Die Wissenssoziologie muß sich mit allem beschäftigen, was in der Gesellschaft als »Wissen« [3 ; Anm. d. Verf.] gilt“ (ebd.: 16; Hervorhebung im Original). Ihre Fragestellung wurde dabei von Karl Marx ausgelöst, der die These vertrat, Bewusstsein sei schon von vorneherein ein Produkt der Gesellschaft (vgl. ebd.: V). Um zu eruieren, wie Wissen in der Gesellschaft entsteht, folgen Berger und Luckmann der Phänomenologie Edmund Husserls und dessen Fortführung durch Alfred Schütz; wobei letzterer einer der Hauptbezugspunkte der beiden Autoren ist. Zu diesem addieren sie die moderne Humanbiologie und die an ihr orientierte Anthropologie (einer ihrer Hauptvertreter ist Helmut Plessner). Mit diesen beiden Ansätzen als Ausgangslage bilden sie „eine Synthese zwischen der »verstehenden« Soziologie Max Webers, der »positivistischen« Soziologie Durkheims, der Institutionentheorie Gehlens und der Sozialpsychologie […; Kürzung durch d. Verf.]“ (ebd.: VI). In Bezug auf die Sozialpsychologie bedienen sie sich vorrangig der Theorien George Herbert Meads, welche sie in ihrem Konzept weiterentwickeln (vgl. ebd.: Vf). Sowohl Meads als auch Husserls und damit auch Schütz‘ Theorien sind dem interpretativen Paradigma zuzuordnen, ebenso wie schließlich die Wissenssoziologie Bergers und Luckmanns. Somit greifen sie auf den Symbolischen Interaktionismus und die Phänomenologie zurück, um die Wissenssoziologie neu zu begründen.
Das interpretative Programm und damit die darin versammelten Ansätze sind den mikrosoziologischen Theorien4 zuzuordnen. In den Ansätzen des interpretativen Programms geht es vornehmlich darum, Interaktionsprozesse zu analysieren. Eine Interaktion ist eine Wechselwirkung, an welcher mindestens zwei Personen beteiligt sind. Diese Personen beziehen sich mit ihrem Verhalten aufeinander. Ein Verhalten sind z.B. Blicke. Innerhalb des interpretativen Paradigmas gilt: Menschen, die sich in einer Interaktion befinden interpretieren permanent. Demnach ist Interpretation eine Grundannahme hinsichtlich menschlichen Verhaltens. Eine Interaktion kann ferner von außen durch die Wissenschaft interpretiert werden; somit ist die Interpretation eine wissenschaftliche Methode. Daher kommt der Interpretation eine doppelte Bedeutung zu.
Wesentlich für eine Interaktion sind Mitteilungen. Mitteilungen werden sowohl direkt, als auch indirekt, bewusst wie auch unbewusst kommuniziert. Dies trifft jeweils auch auf die Sprache, den Tonfall, die Mimik und die Gestik zu und auch auf das erwartete Vorwissen des Gegenübers und seiner erwarteten Reaktion. Insgesamt wird immer mehr mitgeteilt, als das was durch Stimme und Körpersprache artikuliert wird. Die Mitteilungen der unterschiedlichsten Art treffen schließlich auf das Gegenüber, auf seine Erwartungen und Erfahrungen. Die richtige Interpretation seinerseits ist der Schlüssel zum Verständnis.
Innerhalb des interpretativen Paradigmas gelten Individuen und ihr Handeln als autonom. Ihr soziales Handeln ist sowohl symbolvermittelt5 als auch theoriegeleitet und bezieht sich wechselseitig auf das Handeln anderer Individuen, welches (d.h. das Handeln der anderen) als Orientierung gilt und welches interpretiert wird. Demnach existiert soziale Wirklichkeit nicht von sich aus, sondern durch soziales Handeln. Dieser Form des Handelns gilt das Interesse der interpretativen Wissenschaft. In der interpretativen Perspektive will die Wissenschaft die Welt erkennen, wie sie durch die Handelnden erlebt wird. Dazu wollen sie mit einer spezifischen soziologischen Sichtweise herangehen, welche alltagsnah und dennoch zugleich wissenschaftlich ist. Zentrale Fragen dabei sind: „Wie ist das Handeln der an einer Interaktion Beteiligten aufeinander bezogen? Wie kommt Interaktion überhaupt zustande?“ (Treibel 1997: 109; Hervorhebung im Original). Wie das im Einzelnen ausgestaltet werden kann, wird in der Monografie Bergers und Luckmanns (welche dieser Thesis zu Grunde liegt und noch genauer betrachtet werden wird) anschaulich.6
Insgesamt kann im interpretativen Programm zwischen drei Ansätzen unterschieden werden: dem Symbolischen Interaktionismus, der Phänomenologie und der Wissenssoziologie (vgl. Treibel 1997: 108-110).
2.3 Die Wirklichkeit der Alltagswelt
Bergers und Luckmanns Ziel besteht in der soziologischen Analyse der Alltagswirklichkeit, genauer gesagt des Wissens, durch welches das Verhalten in der Alltagswelt reguliert wird (vgl. Berger/Luckmann 1996: 21).7 8
Zunächst fragen sie sich, was das Wesen der Wirklichkeit der Alltagswelt ist. Dazu erklären sie: „Die Alltagswelt breitet sich vor uns aus als Wirklichkeit, die von Menschen begriffen und gedeutet wird und ihnen subjektiv sinnhaft erscheint“ (ebd.: 21). Somit wird die Alltagswelt nicht nur „als wirklicher Hintergrund subjektiv sinnhafter Lebensführung von jedermann hingenommen, sondern sie verdankt jedermanns Gedanken und Taten ihr Vorhandensein“ (ebd.: 21f). Die beiden Autoren vermerken, die Objektivationen bilden die Grundlage des Wissens in der Alltagswelt. Die Objektivationen beziehen sich auf subjektiv als sinnvoll empfundene Vorgänge, aus welchen die intersubjektive Welt, d.h. die (soziale) Alltagswelt entsteht. Um herauszufinden, wie die Objektivationen entstehen, wollen sie phänomenologisch und damit deskriptiv vorgehen. Sie halten fest, Bewusstsein ist immer intentional, d.h. ist immer das Bewusstsein von etwas, also einem Objekt. Das gilt unabhängig davon, ob das Objekt der physischen Welt angehört oder der inneren subjektiven Wirklichkeit. Sie führen weiter aus, dass die Objekte im Bewusstsein eines Subjekts Bestandteile verschiedener Wirklichkeitsbereiche bzw. Wirklichkeiten sind.9 Das Subjekt ist sich dieser verschiedenen Wirklichkeiten bewusst, beachtet sie in unterschiedlichem Maße in seinem Bewusstsein und kann sich zwischen ihnen bewegen. Nach den beiden Autoren ist die Wirklichkeit der Alltagswelt die Wirklichkeit schlechthin. Diese wird von einem Individuum mit vollem Bewusstsein erlebt, weshalb es diese Wirklichkeit als Wirklichkeitsordnung erlebt. „Ihre [d.h. die der Alltagswirklichkeit; Anm. d. Verf.] Phänomene sind vor-arrangiert nach Mustern, die unabhängig davon zu sein scheinen, wie ich [d.h. eine beliebige Person; Anm. d. Verf.] sie erfahre“ (ebd.: 24). Darüber hinaus legen sie sich über Erfahrungen eines Subjekts, welches dieses von ihnen hat. Damit scheint die Wirklichkeit der Alltagswelt objektiviert, also bereits durch Objekte und ihre Anordnung festgelegt, bevor ein Subjekt die Wirklichkeit der Alltagswelt betritt. Ebenso wurden diese Objekte davor schon zu Objekten deklariert. Durch die Alltagssprache wiederum wird ein jedes Subjekt über die Objektivationen und in welcher Ordnung sie sinnvoll sind, in Kenntnis gesetzt.10 Ebenso lassen sich durch die Sprache die menschlichen Beziehungen, in welchen das Subjekt lebt, regeln. So erlebt ein Individuum die Alltagswelt, in der es sich bewegt, als sinnhaft (vgl. ebd.: 22-24).
Berger und Luckmann führen weiter aus, dass sich die Wirklichkeit der Alltagswelt „um das „Hier“ meines Körpers und das „Jetzt“ meiner Gegenwart angeordnet [ist; Anm. d. Verf.]“ (ebd.: 25). Dabei sind das „Hier“ und „Jetzt“ der Punkt, von denen aus ein Individuum die Welt wahrnimmt. Was es in diesem Punkt in der Alltagswelt wahrnimmt ist das Reale seines Bewusstseins. Die Phänomene der Alltagswelt sind jeweils sowohl räumlich also auch zeitlich unterschiedlich gegenwärtig. Für gewöhnlich gilt: Je weniger gegenwärtig es ist, desto geringer ist das Interesse daran (vgl. ebd.: 25).
Ferner ist die Alltagswirklichkeit die Wirklichkeit, die ein Subjekt mit anderen teilt (d.h. die Alltagswirklichkeit ist intersubjektiv): Es findet ein ständiges Verhandeln und Verständigen über sie statt; ein Subjekt weiß, dass andere seine Sicht der Dinge teilen, wenngleich ihr „Jetzt und Hier“ nicht deckungsgleich mit seinem sind (vgl. ebd.: 25).
Ein Subjekt hält die Alltagswirklichkeit für wirklich und wehrt Zweifel ab, die dieses Wissen in Frage stellen, damit es seine Routine aufrechterhalten kann. Allerdings sind Wirklichkeitsaspekte in unterschiedlichem Maße (un-)problematisch: Es gibt unproblematische Ausschnitte der Alltagswelt, die routiniert begriffen werden können und problematische, auf die das nicht zutrifft. In unproblematischen Ausschnitten können Probleme auftauchen, die routiniert werden können; somit wird die Routine dieses Aspekts der Alltagswelt nicht durchbrochen bzw. aufgehoben. Problematisch wird es, wenn das nicht gelingt, weil es die Grenzen der Alltagswirklichkeit überschreitet (vgl. ebd.: 26-28).
Neben der Wirklichkeit der Alltagswelt, oder besser gesagt in ihr, gibt es andere Wirklichkeiten, die im Vergleich zur Wirklichkeit der Alltagswelt als Sinnprovinzen, d.h. als Enklaven erscheinen, die fest umrissen sind von Bedeutungs- und Erfahrungsweisen.11 Das Individuum kann zwischen den Sinnprovinzen und der Alltagswirklichkeit wechseln. Aber die Alltagswirklichkeit wird immer die stärkere Gewichtung haben, da sich jedes Subjekt nicht nur in der Wirklichkeit der Sinnprovinz, sondern auch in der Alltagswirklichkeit bewegt und seine Erlebnisse in der Sinnprovinz mit der Sprache der Alltagswelt auszudrücken versucht und sie dadurch in gewisser Weise verzerrt (vgl. ebd.: 28-29).
Nach Berger und Luckmann ist die Alltagswelt (und damit auch das Leben eines Menschen) sowohl räumlich als auch zeitlich strukturiert. Zur räumlichen Strukturiertheit vermerken sie lediglich, dass es zu einer Überschneidung von Handlungen verschiedener Individuen kommen kann. Relevanter ist für sie die zeitliche Strukturiertheit. Jeder Mensch ist sich seines individuellen Zeitflusses bewusst. Jedoch gibt es auch die Standartzeit, d.h. die Zeit des Alltags. Das Individuum muss seine Zeit an diese anpassen. Eine völlige Überschneidung ist nicht möglich, was z.B. im Warten zum Ausdruck kommt.
Die Zeit strukturiert nicht nur, wann und in welcher Reihenfolge ein Subjekt was zu tun hat, sondern ist auch mit einem „Ort“ verknüpft, wodurch die Situation eines Menschen Gestalt annimmt (vgl. ebd.: 29-31).12
2.3.1 Gesellschaftliche Interaktion in der Alltagswelt
In diesem Unterkapitel gehen Berger und Luckmann der Frage nach, wie Subjekte andere Subjekte in der Alltagswelt erleben. Sie halten fest, dass es verschiedene Formen der Erfahrung gibt, wobei die Vis-à-vis-Situation der Prototyp einer jeglichen gesellschaftlichen Situation ist, von welcher jede andere Interaktionsform abgeleitet ist.
In einer Vis-à-vis-Situation fallen das „Hier und Jetzt“ zweier Subjekte zusammen,13 sodass ein permanenter Austausch von Ausdrücken stattfindet, wobei sich die Subjekte am jeweils anderen orientieren. In einer solchen Situation ist das andere Individuum völlig wirklich, womöglich sogar wirklicher als man selbst, da es kontinuierlich wahrgenommen wird. Eine weitere Besonderheit der Vis-à-vis-Situation ist, dass in ihr Schablonen bzw. Typisierungen aufbrechen, mit welchen man sonst Mitmenschen bedenkt und auch das Gegenüber in einer Vis-à-vis-Situation erfasst. Umgekehrt gilt: Je ferner eine Situation von einer Vis-à-vis-Situation, also je anonymer sie (die Situation) wird, desto leichter ist es Typisierungen aufrechtzuerhalten, bzw. Menschen einem bestimmten Typen zuzuordnen. Berger und Luckmann sprechen von Mitmenschen in einer Vis-à-vis-Situation als Mitakteuren und von anderen als Zeitgenossen.14 Dabei unterscheiden sie die Zeitgenossen zwischen solchen, mit welchen es bereits eine Vis-à-vis-Situation gegeben hat, solchen, mit welchen es wieder zu einer solchen Situation kommen wird und solchen, mit denen es nie eine solche Situation geben wird. Des Weiteren unterscheiden die beiden Autoren in Bezug auf Zeitgenossen von welcher Intensität und von welchem Interesse die Beziehung zu jenen geleitet ist: Je vertrauter, desto individueller wird eine Person gesehen. Die Autoren merken an, die „Anonymität wird schließlich nahezu total in Typisierungen, die gar nicht individualisiert sein sollen“ (ebd.: 35). Ein Beispiel dafür wäre „die öffentliche Meinung in Deutschland“.
Zum Schluss sei an dieser Stelle noch vermerkt, dass es neben den Mitakteuren und Mitakteurinnen und Zeitgenossen und Zeitgenossinnen noch die Vor- und die Nachfahren gibt, die ebenfalls mit Typisierungen bedacht werden (vgl. ebd.: 31-36).
2.3.2 Sprache und Wissen in der Alltagswelt
Sprache objektiviert menschliches Handeln und macht es dadurch über eine Vis-à-vis-Situation, in der das Handeln unmittelbar erfasst wird, fassbar. So kann bspw. der Zorn und die damit verbundenen Handlungen einer Vis-à-vis-Situation mit einem Messer objektiviert werden, dessen Bedeutung bzw. subjektive Intention, in einem entsprechenden Kontext allen, denen die Bedeutung der Objektivation bekannt ist,15 deutlich ist. Die Alltagswelt wiederum ist voll von solchen Objektivationen bzw. besteht aufgrund dieser (vgl. ebd.: 36-38).
Nach Berger und Luckmann sind Zeichen eine besondere Form von Objektivationen, die ausdrücklich dazu da sind, auf einen subjektiven Sinn hinzuweisen. Diese Zeichen können mitunter in Zeichensystemen gebündelt werden: z.B. gestische und mimische. Beide, sowohl Zeichen als auch Zeichensysteme, lassen sich von einer Vis-à-vis-Situation lösen, wenngleich auch in unterschiedlichem Maße. Besonders trifft das für die Sprache zu, das komplizierteste System von allen und für die beiden „das wichtigste Zeichensystem der menschlichen Gesellschaft“ (ebd.: 39). Es ist für sie wichtig, das Phänomen „Sprache“ zu verstehen, da sich dadurch die Wirklichkeit der Alltagswelt verstehen lässt. Denn Objektivationen (deren Bedeutung allgemein in einer Gesellschaft geteilt wird) „leben“ primär durch ihre Versprachlichung. Das Wissen um sie wird schließlich in der Sprache bewahrt und kann somit an künftige Generationen weitergegeben werden (vgl. ebd.: 39).
Für Sprache gilt, dass sich das Hervorbringen vokaler Zeichen in der Kommunikation gleichzeitig mit subjektiver Intention der Sprechenden vollzieht: Sprechen und Denken wird in einem vollzogen. Man hört sich und den anderen sprechen, was einen reziproken Zugang zueinander gewährleistet, welcher während der Vis-à-vis-Situation andauert. Da man sich selbst Sprechen hört, wird man für sich selbst „wirklicher“ (ebd.: 40), weil man sich selbst reflektieren und damit auch objektivieren kann (vgl. ebd.: 39f).
Laut Berger und Luckmann entspringt Sprache der Alltagswelt und bezieht sich in erster Linie auf diese. Durch sie trifft ein Individuum auf Objektivationen, die sich auf dieses zwingend auswirken: Sprache zwingt in Muster. Ferner typisiert Sprache, was eine Anonymisierung zur Folge hat. Zudem kann durch Sprache das „Hier und Jetzt“ umgangen werden und andere Phänomene können vergegenwärtigt werden. Zusätzlich können sich Individuen über Phänomene aufgrund der Sprache unterhalten, sogar über Zeiten hinweg oder ein Mensch kann dank ihr Selbstgespräche führen, da die Sprache auch ohne Mitakteure und Mitakteurinnen Bestand hat. Außerdem können auch Erlebnisse aus Sinnprovinzen versprachlicht werden und damit in die Alltagswelt geholt werden (s.o.). In den Sinnprovinzen kann eine eigene Sprache entstehen – sogenannte Symbole. Wenn sie allerdings auch nur erwähnt werden erinnern sie daran, welche Bedeutung sie für die Allerweltserfahrung (bzw. die Alltagswirklichkeit) haben können. Somit werden Symbole zurück in die Alltagswirklichkeit geholt. Daher lebt der Mensch in einer Welt mit Zeichen und Symbolen (vgl. ebd.: 40-42).
Zudem geht Sprache mit der Herstellung semantischer Felder oder Sinnzonen einher, welche wiederum durch die selbige abgegrenzt werden, wobei man über diese Grenzen Bescheid weiß. Z.B. wird dadurch dem Subjekt vermittelt, was privater und was öffentlicher Raum ist und wie es sich dabei jeweils zu verhalten hat, welchem Bereich es angehört, was es wissen muss und was es vergessen kann. Jedes Individuum ist mit Wissen für die ihm relevanten Bereiche ausgestattet. Es kann davon ausgehen, dass sein Wissen von anderen bis zu einem gewissen Grad ebenfalls gewusst wird und andere auch wissen, dass es selbst über das Wissen verfügt. Das (potenzielle) Teilen eines Wissensvorrates wiederum ist ein Faktor, welcher eine Interaktion in der Alltagswelt mitbestimmt (vgl. ebd.: 42f).
Ferner verfügt ein Menschen über Rezeptwissen über die für ihn relevanten Objektivationen (seien es Dinge, Menschen oder Beziehungen) und zwar in dem Maße, wie es für ihn relevant ist – aufgrund der eigenen gesellschaftlichen Situation. Dieses Rezeptwissen ist für den gesellschaftlichen Wissensvorrat von besonderer Bedeutung, da Motive der Zweckmäßigkeit maßgeblich für die Alltagswelt sind. Zudem liefert der gesellschaftliche Wissensvorrat Typisierungen (für alle Ereignisse und Erfahrungen), die für die (Haupt-)Routinen der Alltagswelt von Nöten sind. So ist dieser Wissensvorrat der Hintergrund, von welchem aus der Alltag erlebt und strukturiert wird. Darüber hinaus wird aufgrund des Routinewissens der Alltag und damit die Welt eines Individuums aufrechterhalten. Aber das gesellschaftliche Wissen versorgt ein Individuum nicht nur mit Wissen darüber, wie etwas zu sein hat, sondern ermöglicht auch das Eingliedern des eigenen Sonderwissens in das Selbige (vgl. ebd.: 44-47).
Laut Berger und Luckmann garantieren Menschen sich selbst und anderen die Gültigkeit ihres Wissens bis Probleme auftauchen, die nicht mit ihrem bisherigen Wissen gelöst werden können. Zwar werden durchaus Zweifel zugelassen, aber nur solange das Alltagswissen dadurch nicht Gefahr gebracht wird. Ferner weisen die beiden Autoren darauf hin, dass in der Alltagswelt nicht alles gewusst werden kann und die unterschiedlichen Wirklichkeiten einem Individuum in unterschiedlichem Maße vertraut sind, je nach eigenen Relevanzstrukturen. Diese können sich mit denen anderer in unterschiedlichem Maße überschneiden. Die Tatsache, dass unterschiedliches Wissen für unterschiedliche Individuen einer Gesellschaft relevant ist, ist nicht nur auf dieser Ebene auszumachen, sondern gilt auch auf der Ebene der Gesellschaften: Für unterschiedliche Gesellschaften ist unterschiedliches Wissen relevant. Zum Schluss dieses Kapitels vermerken die beiden Autoren schließlich, dass Wissen in einer Gesellschaft unterschiedlich verteilt ist: Wissen wird in unterschiedlichem Maße geteilt. Für sie ist das Wissen „ wie der gesellschaftlich zugängliche Wissensvorrat verteilt ist“ (ebd.: 48; Hervorhebung im Original) mit das wichtigste Wissen in diesem Wissensvorrat. Meistens wissen die Einzelnen auch, welche Typen über welches Wissen verfügen sollten (vgl. ebd.: 46-48).
2.4 Gesellschaft als objektive Wirklichkeit
2.4.1 Institutionalisierung
2.4.1.1 Organismus und Aktivität
Im Gegensatz zu Tieren, hat der Mensch keine artspezifische Umwelt (sowohl geografisch als auch biologisch)16 ; somit lebt er nicht wie diese in geschlossenen Welten mit festgelegten Strukturen sondern in weltoffenen Beziehungen zu seiner Umwelt. Zwar hat der Mensch Instinkte bzw. Triebe, aber diese sind in hohem Maße ungerichtet wie auch unspezialisiert. Durch die Weltoffenheit und die Formbarkeit des Instinktapparats werden dem Menschen sozio-kulturelle Möglichkeiten eröffnet und zugleich werden sie wieder beschränkt, da dadurch gesellschaftliche Ordnungssysteme entstehen, die wiederum eine relative Weltgeschlossenheit mit sich bringen.17 In den Kulturen, die dadurch entstehen, reproduziert der Mensch seine eigene Natur bzw. sich selbst, was als gesellschaftlicher Vorgang zu verstehen ist. Das ist dadurch möglich, da beim Menschen nach dem Verlassen des Mutterleibes bedeutsame Entwicklungen der Organe stattfinden – im Gegensatz zu Tieren, bei welchen diese bereits pränatal abgeschlossen sind. Um es mit den Worten Bergers und Luckmanns auszudrücken: „Der Vorgang der Menschwerdung findet in Wechselwirkung mit einer Umwelt statt“ (ebd.: 51). Dabei ist die Umwelt eine besondere natürliche und zugleich auch eine besondere menschliche (d.h. von und mit Menschen erschaffene) Umwelt (die menschliche Umwelt beinhaltet die jeweilige gesellschaftliche und kulturelle Ordnung). Diese wird dem jungen Menschen in der Sozialisation durch „signifikante Andere“ (ebd.: 51; vgl. ebd.: 139ff) vermittelt, die nicht nur seine Existenz sichert, sondern ihn auch in seiner (gesamten) Entwicklung gesellschaftlich determiniert prägt und sein menschliches Selbst – inklusive seines subjektiven und seines objektiven Erlebens – entstehen lässt (vgl. ebd.: 50f, 53). Die beiden Autoren vermerken, dass die „generelle Entwicklung von Organismus und Selbst […; Kürzung durch die Verf.] mit der einzigartigen Beziehung zwischen beiden zusammen [hängt; Anm. d. Verf.]“ (ebd.: 53). Diese Beziehung bezeichnen sie als „exzentrisch“ (ebd.: 53). Das bedeutet, der Mensch ist auf der einen Seite sein Körper, hat aber auf der anderen Seite auch einen Körper. Dabei merkt er: Sein Körper ist nicht das Wesen, als welches er sich erfährt, vielmehr kann er über einen Körper verfügen; so lebt er in der Spannung von „Körper-Sein und Körper-Haben“ (ebd.: 53). Um menschliche Phänomene verstehen zu können ist es wichtig, beides mit einzubeziehen. Nur so ist sein Benehmen im jeweiligen Umfeld und sein Entäußern von subjektiv gemeintem Sinn zu verstehen. Dadurch wird wiederum sichtbar, dass menschliche Phänomene gesellschaftliche sind : „Das spezifische Menschliche des Menschen und sein gesellschaftliches Sein sind untrennbar verschränkt“ (ebd.: 54).
Die Frage, wie gesellschaftliche Ordnung entsteht, lässt sich allgemein damit beantworten, dass sie ein Produkt menschlichen Tuns ist, ein Produkt vergangenen menschlichen Handelns, das solange Bestand hat, wie es (re-)produziert wird. Über die biologischen Konstanten hinaus liefert laut Berger und Luckmann die Theorie der Institutionalisierung Gründe für das Entstehen, den Bestand und das Überliefern einer Gesellschaftsordnung (vgl. ebd.: 49-56):
2.4.1.2 Ursprünge der Institutionalisierung
Habitualisierung ist die Grundlage der Institutionalisierung. Sie geschieht dadurch, dass menschliche Handlungen – sowohl persönliche, als auch gesellschaftliche – zur Gewohnheit werden, eine feste Bedeutung zugewiesen bekommen. Durch dieses Richten des Instinktapparats werden Kräfte für neue Ideen frei, auch auf gesellschaftlicher Ebene (wodurch schließlich Arbeitsteilung möglich wird) (vgl. ebd.: 56-58, 61).
Werden habitualisierte Handlungen durch Typen Handelnder reziprok in Vis-à-vis-Situationen typisiert, findet Institutionalisierung statt. Typisierungen benötigen als Rahmen „eine dauerhafte gesellschaftliche Situation“ (ebd.: 61), Typisiert wird das, was für Handelnde in der geteilten Situation von Bedeutung ist. So stehen Institutionalisierungen am Anfang jeglicher gesellschaftlicher Situation. Die daraus entstehenden Typisierungen und die damit einhergehenden Rollen werden jeweils Institutionen und damit Allgemeingut;18 d.h. sie sind für jedes Gesellschaftsmitglied einsehbar und überdauern die gesellschaftliche Situation, in welcher sie entstanden sind. Die Institution macht schließlich aus individuell Handelnden (also Akteuren und Akteurinnen) und aus individuellen Handlungen (also Akten) jeweils Typen. Infolgedessen verlangen die Institutionen – z.B. die Institution des Gesetzes –, dass eine Handlung eines bestimmten Typus durch einen Handelnden, eine Handelnde eines bestimmten Typus durchgeführt wird (z.B. dass Predigen Geistlichen obliegt) (vgl. ebd.: 58-62).
„Institutionen setzen weiter Historizität und Kontrolle voraus“ (ebd.: 58). Das bedeutet, sie sind das Ergebnis ihrer bisherigen Geschichte, geschrieben durch Handelnde und ferner üben sie allein durch ihr Sein Kontrolle über Handelnde aus, indem sie Handeln in eine bestimmte Richtung drängen; das ist die soziale, die primäre Kontrolle der Institutionen (Institutionen sind heutzutage Kollektive, die viele Menschen mit einbinden). Die sekundäre Kontrolle der Institutionen besteht in den Zwangsmaßnahmen, die zu deren Stütze initiiert worden sind oder werden (vgl. ebd.: 58f).
Stoßen nun Dritte auf die „institutionale Welt“ (ebd.: 62) zweier Individuen, wird diese an Dritte weitergereicht, womit sich die Institutionalisierung nach Berger und Luckmann vollendet. Dabei ist diese Welt für Dritte aufgrund der Historizität jener Welt objektiv: Diese Welt war schon da, bevor sie hinzugestoßen sind. Somit wird mit dem Vorgang der Weitergabe an Dritte die Welt zweier Personen objektiviert (zuvor war die Objektivität sehr schwankend). Erst bei einer objektivierten Welt kann „von einer gesellschaftlichen Welt im Sinne einer in sich zusammenhängenden, gegebenen Wirklichkeit [gesprochen werden;19 Anm. d. Verf.], die dem Menschen wie die Wirklichkeit der natürlichen Welt gegenübersteht“ (ebd.: 63; vgl. ebd.: 66). Nur als objektivierte Welt bzw. Wahrheit kann ein soziales Gebilde an andere weitergegeben werden, wobei die weitergebenden Personen bei der Weitergabe darin bestärkt werden, dass ihre Welt wirklich ist. Zudem erweisen sich Institutionen als Faktum, ob sie verstanden werden oder nicht (vgl. ebd.: 62-64). Insgesamt gilt also: „Die institutionale Welt ist vergegenständlichte menschliche Tätigkeit, und jede einzelne Institution ebenso“ (ebd.: 65). Externalisierung und Objektivation sind dabei wesentlich und mit der Internalisierung in der Sozialisation bei der Weitergabe an eine dritte Generation vollendet sich der Kreis der Institutionalisierung (vgl. ebd.: 65f). Ab diesen Zeitpunkt benötigt die institutionale Welt (in sich schlüssige) Legitimationen, sprich Erklärungen bzw. Rechtfertigungen, um den ursprünglichen Sinn einer Institution vermitteln zu können. Die Legitimationen, die in der Sozialisation internalisiert werden, bilden schließlich ein Dach über die weiter wachsende Institutionalisierung (vgl. ebd.: 66).
Neben den Legitimationen werden dann auch soziale Kontrollmechanismen in Form von Sanktionen notwendig, um Abweichungen entgegenzuwirken und um die Autorität einer Institution gegenüber des oder der Einzelnen zu bewahren. Zu der Notwendigkeit dafür vermerken Berger und Luckmann, dass Personen dazu neigen eher von „Programmen“ (ebd.: 66) abzuweichen, die sie nicht selbst mit entwickelt haben. Die beiden Autoren führen zu den institutionell Verhaltensweise weiter aus: „Je mehr Verhaltensweisen institutionalisiert sind, desto mehr Verhalten wird voraussagbar und kontrollierbar“ (ebd.: 67) Ist die Sozialisation erfolgreich können Zwangsmaßnahmen kalkuliert eingesetzt werden; ferner handeln Menschen scheinbar „spontan“ (ebd.: 67) wie gewünscht und das entsprechende Verhalten erscheint wenige oder keine Alternativen zu haben (vgl. ebd.: 67).
Theoretisch kann jedes Verhalten institutionalisiert werden. Im Alltag laufen viele solcher Prozesse zeitgleich ab. Dabei müssen die Verhaltensweisen und Regeln nicht Teil eines logisch zusammenhängenden Systems sein sondern, sie können auch unabhängig voneinander existieren (oder auch nacheinander vollzogen werden). Allerdings neigen Institutionen dazu „zusammenzuhängen“ (ebd.: 68). Das liegt darin begründet, dass manche Verhaltensbereiche für mehrere Typen relevant sind. Zudem reflektieren Menschen über Institutionen und messen einer Institution einen Sinn bei, sodass die Institution bzw. deren Ordnung durch die Logik des reflektierenden Bewusstseins überlagert wird. Die Sprache wiederum stellt diese gesellschaftliche Welt auf ein logisches Fundament und zum gesellschaftlich zugänglichen Wissensbestand gehört das Wissen, bzw. die Gewissheit dieser Logik. Infolgedessen sieht man tatsächlich ein Ganzes, das ineinander greift: Institutionen die integriert sind. Das gilt auch für einzelne Handlungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens nacheinander vollzieht. So kann Integration einer institutionalen Ordnung allerdings nur aufgrund von „Wissen“ analysiert werden, das Mitglieder jener Ordnung darüber haben. Theoretisches Wissen ist nur ein kleiner Teil des gesamtgesellschaftlichen Wissens. Überlegte Legitimationen sind zu bestimmten Zeiten der Institutionsgeschichte relevant. Dieses Primärwissen wie Werte, Mythen etc., eben alles, „was jedermann weiß“ (ebd.: 70) ist vortheoretisch und die Integration dieser Wissensstände braucht eine enorme geistige Kraft. Auf dieser vortheoretischen Ebene jedoch werden Verhaltensvorschriften einer Institution mit Inhalt, also mit Rezeptwissen versorgt (vgl. ebd.: 67-70).
2.4.2 Sedimentbildung und Tradition
Im Bewusstsein wird lediglich ein geringer Teil der Totalität menschlicher Erfahrungen gespeichert. Das, was behalten wird, sind Sedimente, d.h. Erfahrungen, welche zu Erinnerungen erstarrt und dadurch zu fassbaren Entitäten geworden sind. Sedimente sind notwendig, damit ein Mensch weiß, wie er zu dem wurde, was er heute ist. Es kann auch zu intersubjektiven Ablagerungen kommen, und zwar dann, wenn Menschen gemeinsame Erfahrungen20 gesammelt haben und diese Teil eines gemeinsamen Wissensbestandes werden. Intersubjektive Ablagerungen können nur dann gesellschaftlich genannt werden, wenn sie durch ein Zeichensystem (z.B. Sprache) objektiviert worden sind. Durch eine Objektivation erhält die Ablagerung Anonymität und sie kann über Generationen weitergereicht werden: eine Tradition ist entstanden. Dadurch, dass die Ablagerung nun „ein allgemein faßliches Wissensobjekt“ (Berger/Luckmann 1996: 73) ist, kann die Tradition in einen umfassenderen Vorrat an Traditionen eingegliedert werden und Sprache wird somit zu einem riesigen Speicher an Sedimenten, deren Rekonstruktion (wie die Traditionen sich gebildet haben) nicht notwendig ist. Wenn der eigentliche Ursprung schließlich unwichtig geworden ist, können Traditionen andere Ursprünge erdichten. Legitimationen können daher „aufeinanderfolgen und die abgelagerten Erfahrungen einer Gesellschaft mit neuen Erfahrungen anreichern“ (ebd.: 74).
Auf der Ebene des sedimentierten Sinnes bilden sich Routinen und es wird trivialisiert. Das sind die selben Prozesse wie bei der Institutionalisierung. Somit wirken Institutionen fort, da sie gesellschaftlich als ein „permanentes“ Lösen „permanenter“ Probleme anerkannt werden. Dadurch können Menschen typisiert werden – ohne eine direkte Relevanz zu einer bestimmten Institution.21 Wichtig ist, dass der institutionalisierte Prozess durch Erziehung systematisch potenziellen Akteuren und Akteurinnen vermittelt wird; dazu sind die oben erwähnten Routinebildungen und die Trivialisierungen notwendig.
Der objektivierte Sinn institutionaler Handlungen wird schließlich als „Wissen“ angesehen und als „Wissen“ weitergegeben. Manches davon ist für alle relevant, anderes nur für bestimmte Typen. Ferner werden Individuen typisiert in Wissende und Nichtwissende. Darüber hinaus wird zwischen Vermittlern, Vermittlerinnen und Empfängern, Empfängerinnen unterschieden. Außerdem wird die Art und Weise der Wissensweitergabe typisiert.
Je nach Wichtigkeit für die Gesellschaft und je nach Schwierigkeit stehen dem Träger, der Trägerin eines bestimmten „Wissens“ (also einem bestimmten Typus) entsprechende Symbole oder symbolische Handlungen zu. Diese dienen zur Absicherung. Berger und Luckmann vermerken dazu, dass jegliche Weitergabe institutionalen Sinnes Kontrolle und Legitimation benötigt, beide Teil einer Institution sind und durch Personen, welche Wissen vermitteln, verwaltet wird (vgl. ebd.: 72-76).22
2.4.3 Legitimierung
Legitimation ist ein Prozess, der als „»sekundäre« Objektivation von Sinn“ (ebd.: 98) bezeichnet werden kann.
Es gibt vier Legitimationsebenen (Voraussetzungen für diese sind jeweils eine gemeinsame Sprache zu sprechen und zu verstehen):
Erstens die vortheoretische Ebene: Diese beinhaltet Versicherungen wie „So ist es eben“ (ebd.: 101) und „Das macht man so“ (ebd.: 101). Sie sind in der primären Sozialisation Antworten auf die „Warum-Fragen“ der Kinder und dienen als Grundlage des „Wissens“ schlechthin, da spätere Theorien auf ihr aufgebaut werden (vgl. ebd.: 101).
Die zweite Ebene sind „theoretische Postulate in rudimentärer Form“ (ebd.: 101). D.h. sie sind verschiedene Schemata, welche Sinngefüge miteinander verknüpfen und mit konkretem Tun verbinden wie man es u.a. in Lebensweisheiten und Volksmärchen findet (vgl. ebd.: 101).
Die dritte Ebene sind explizite Legitimationstheorien. Diese dienen der Rechtfertigung eines institutionalen Ausschnitts durch einen differenzierten Wissensbestand, d.h. mehr oder weniger geschlossene Bezugssysteme für den jeweiligen Handlungsausschnitt. Des Weiteren sind sie aufgrund ihrer Komplexität einem bestimmten Personenkreis anvertraut, welcher das Wissen bzw. die Legitimationstheorien in formalisierten Inititionsriten weitergibt. Diese Theorien können feststehende Bräuche, Pflichten und Rechte beinhalten. Der spezialisierte Personenkreis – nach Berger und Luckmann in der Regel Senioren eines Clans, welche nichts mehr zur Wirtschaft beitragen können – wird tätig bei bestimmten Problemen. Vor allem wenn sich jener Personenkreis aus hauptamtlichen Legitimatoren und Legitimatorinnen zusammensetzt, kann es beim Theoretisieren dazu kommen, dass Legitimationen nicht mehr nur zur Verwendbarkeit in der Praxis dienen, sondern zu „reiner“ Theorie werden. Dadurch erlangen jene Legitimationen Autonomie gegenüber den Institutionen, welche sie legitimieren und werden selbst institutionalisiert (vgl. ebd.: 101f).
Die vierte Ebene sind schließlich symbolische Sinnwelten. Darunter verstehen die beiden Autoren „synoptische Traditionsgesamtheiten, die verschiedene Sinnprovinzen integrieren und die institutionale Ordnung als symbolische Totalität überhöhen“ (ebd.: 102).23 Mit dieser Legitimationsstufe ist der Bereich zur praktischen Verwendung überschritten. Infolgedessen werden Legitimationen mit symbolischen Gesamtheiten begründet. Diese Legitimationsebene umfasst alle Ausschnitte einer institutionalen Ordnung (vgl. ebd.: 102-104).
Schließlich dienen Legitimationen dazu Institutionen zu rechtfertigen, die Richtigkeit des Eigenen zu untermauern und Fremdes abzuwehren.
2.5 Gesellschaft als subjektive Wirklichkeit
Sozialisation bedeutet nach Berger und Luckmann die Internalisierung der Gesellschaft, der Identität und der Wirklichkeit im Rahmen eines dialektischen Prozesses (vgl. ebd.: 144, 148). Die beiden Autoren unterscheiden zwischen der primären und der sekundären Sozialisation. Die primäre ist dabei die grundlegende Sozialisation, durch welche der Mensch Teil einer Gesellschaft wird. Durch die sekundäre Sozialisation wird eine Person in einen (spezifischen) Ausschnitt einer Gesellschaft eingeführt (vgl. ebd.: 141):
2.5.1.1 Primäre Sozialisation
Teil der Gesellschaft zu sein bedeutet, an deren dialektischen Prozess zu partizipieren. D.h., das eigene Sein wird in die Gesellschaft hinein externalisiert, während zugleich Sinnstrukturen der Gesellschaft internalisiert werden. Da der Mensch nicht als Mitglied einer Gesellschaft geboren wird, aber eine Disposition für diese mitbringt, kann und muss er durch Internalisierung in diese eingeführt werden.24 Demnach ist Internalisierung die Voraussetzung und Grundlage um Mitmenschen und die Welt als sinnhafte und gesellschaftliche Wirklichkeit zu erfassen.
Die Welt zu erfassen bedeutet eine Welt zu „übernehmen“, in welcher andere schon (vor einem selbst) leb(t)en. Die „übernommene“ Welt kann dabei in unterschiedlichem Maße schöpferisch abgewandelt werden. Entscheidend ist jedoch, dass nicht nur die augenblicklichen subjektiven Vorgänge im Anderen, in der Anderen „verstanden werden“, sondern auch seine bzw. ihre Welt. Diese wird dann zur eigenen Welt. Dazu ist es notwendig, ausreichend Zeit gemeinsam zu verbringen und eine umfassende Perspektive (die Sozialisation) zu haben. Dadurch versteht man dann nicht nur, wie der oder die Andere eine Situation bestimmt, sondern die Individuen können infolgedessen wechselseitig die Situation füreinander bestimmen. Dadurch ist nun eine ständige wechselseitige Identifikation möglich. So lebt man nicht nur in derselben Welt, sondern hat Teil am Sein der anderen Person. Ab diesem Internalisierungsgrad ist ein Individuum Teil der Gesellschaft (vgl. ebd.: 139-141).
Entscheidend für die primäre Sozialisation sind für ein Kind „signifikante Andere“. Aufgrund dieser wird ein Mensch „nicht nur in eine objektive Gesellschaftsstruktur hineingeboren, sondern auch in eine objektive gesellschaftliche Welt“ (ebd.: 141). Infolgedessen wird für das Kind die Gesellschaft doppelt gefiltert (vgl. ebd.: 141).25
Ferner ist eine Gefühlsbindung, eine emotionale Identifikation mit signifikanten Anderen Voraussetzung für eine erfolgreiche Internalisierung. Nur so, kann ein Kind Einstellungen und Rollen signifikanter Anderer übernehmen und nur durch diese Identifikation wird es fähig, sich mit sich selbst zu identifizieren und eine Identität zu gewinnen. Der Prozess der Identitätsbildung ist dialektisch: Es ist ein Zusammenspiel von „Identifizierung durch Andere und Selbstidentifikation, zwischen objektiv zugewiesener und subjektiv angeeigneter Identität“ (ebd.: 142).
Mit der Übernahme der Einstellungen signifikanter Anderer übernimmt das Kind zugleich deren Welt. Somit finden Identifizierung und Identifikation in einer bestimmten sozialen Welt statt (vgl. ebd.: 142f). Berger und Luckmann vermerken dazu: „Das Kind lernt zu sein, was man es heißt“ (ebd.: 143).26
In der primären Sozialisation werden außerdem die Einstellungen und Rollen signifikanter Anderer zu denen generalisierter Anderer abstrahiert. Dadurch kann sich das Kind nun auch mit der Gesellschaft, der Allgemeinheit der Anderen und ihrer „etablierten objektiven Wirklichkeit“ (ebd.: 144) identifizieren. Infolgedessen wird seine Selbstidentifikation fest und dauerhaft und kohärent. Von da an sind die verschiedenen Einstellungen und Rollen in einer nun kohärenten Identität vereinigt. Mit dem Bewusstwerden des generalisierten Anderen ist die primäre Sozialisation beendet (vgl. ebd.: 143f, 148).
Ferner etabliert sich mit dem Bewusstwerden des generalisierten Anderen, eine Symmetrie zwischen der gesellschaftlichen und der eigenen Wirklichkeit.27 Diese werden jedoch nie deckungsgleich sein, weil nur Stücke der objektiven Wirklichkeit internalisiert werden können (denn schließlich ist Wissen unterschiedlich in der Gesellschaft verteilt und abhängig von den signifikanten Anderen)28 und Teile der subjektiven Wirklichkeit nicht auf Sozialisation zurückgeführt werden können (wie z.B. das Sein im eigenen Körper). So erlebt sich ein Mensch immer als ein Wesen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gesellschaft. Dabei muss das Verhältnis der objektiven und der subjektiven Wirklichkeit im Handeln stets produziert und zugleich reproduziert werden (vgl. ebd.: 144f).
In jeder Gesellschaft müssen andere Inhalte in der primären Sozialisation internalisiert werden. Was überall internalisiert werden muss ist u.a. die Sprache. Diese ist nicht nur der wichtigste Inhalt, sondern auch das wichtigste Instrument dieses Prozesses. Damit können unterschiedliche institutionell festgelegte Legitimations- und Auslegungszusammenhänge verinnerlicht werden. Dadurch bekommt ein Kind Schemata für das alltägliche Leben mit institutionalisierten Programmen. Einige kann es schon in der Kindheit verwenden, während andere späteren Lebensphasen vorangehen (vgl. ebd.: 144-146).
In der primären Sozialisation wird mit Lernsequenzen gearbeitet, welche gesellschaftlich festgelegt sind. Diese Sequenzen bzw. Programme werden in Abhängigkeit gesetzt zu gesellschaftlichen Festschreibungen in Bezug auf Reife und Differenzierungen, Vorstellungen von Lebensstadien, Ansichten über die Kindheit, den zu vermittelnden Wissensvorrat und Anforderungen an für die Allgemeinheit verbindlichen institutionalen Ordnungen (vgl. ebd.: 147f).
Internalisierung dauert ein Leben lang. Im folgenden Unterkapitel werden die sekundären Sozialisationsprozesse erläutert:
2.5.1.2 Sekundäre Sozialisation
Sobald in einer Gesellschaft differenziertes Wissen vorhanden ist, ist eine sekundäre Sozialisation notwendig. Sekundäre Sozialisation bedeutet Internalisierung institutionaler „Subwelten“. Demnach führt die sekundäre Sozialisation zu Rollenwissen sowohl mit entsprechendem rollenspezifischem Vokabular, verbunden mit entsprechenden Bildern, als auch entsprechenden Affektnuancen und Wertbestimmungen (vgl. ebd.: 148f).
Wie die „Grundwelt“ brauchen auch die Subwelten (wenigstens Grund-) Elemente eines Legitimationsapparats. Diese sind oft mit Symbolen materieller oder ritueller Art verbunden. Damit verbundene Internationalisierungsprozesse verlangen eine Identifikation mit einer Rolle und den dazugehörenden Normen. Der dazugehörende Sinnvorrat kann durch Legitimationen einfacher Maximen bis zu komplexen mythologischen Konstruktionen gestützt werden. Schließlich kann es repräsentative, liturgische Zeremonien mit entsprechenden Kultobjekten geben. Insgesamt jedoch ist der Charakter einer sekundären Sozialisation abhängig vom Status des Wissensbestandes in der symbolischen Sinnwelt. Berger und Luckmann vermuten, dass Legitimationen, falls sie überhaupt für notwendig erachtet werden, vermutlich zur Kompensation dienen. Je nach Gesellschaft werden diese unterschiedlich gestaltet (vgl. ebd.: 149f).
Ferner kann zu Internalisierendes in der sekundären Sozialisation in Widerspruch zu in der primären Sozialisation Internalisiertem stehen. Somit sind in der sekundären Sozialisation theoretische Konstruktionen nötig, mit welchen isolierte Wissensbestände einverleibt werden können (vgl. ebd.: 150f).
Im Gegensatz zur primären Sozialisation dienen Lernsequenzen in der sekundären primär zum Wissenserwerb. Was für eine Rolle gewusst werden muss wird von außen festgelegt. Manches zu erlernende Wissen dient dabei zur Erhöhung einer Position oder zu Abgrenzung von anderen. Weitere Unterschiede sind die Bedeutungszunahme biologischer Grenzen und ein Auskommen ohne emotionale Identifikation bei Internalisierungsprozessen. Sozialisationsprozesse sind dann gefühlsgeladen, wenn die subjektive Wirklichkeit einer Person umgekrempelt werden soll. Des Weiteren werden wissensvermittelnde Personen in der sekundären Sozialisation im Gegensatz zu denen in der primären Sozialisation als „Funktionäre“ betrachtet. Die Rollen dieser Funktionäre können leicht vom Träger, der Trägerin gelöst werden; das Wissen eines bestimmten Typs kann auch von Funktionären desselben Typus gelehrt werden. Die Rollen sind somit in einem hohen Maß anonym (vgl. ebd.: 151f).
2.5.2 Kritik
Berger und Luckmann formulieren, der Prozess der Institutionalisierung ist mit der Weitergabe an Dritte abgeschlossen. Dazu betonen sie die Weitergabe an die nächste Generation (vgl. ebd.: 62-64). Die Verfasserin würde (angesichts des Themas dieser Thesis) jedoch ergänzen, dass eine Institutionalisierung auch dann zum Abschluss kommt wenn sie z.B. an Zugewanderte weitergeben wird.
Treibel schließlich stellt fest, dass Berger und Luckmann in Bezug auf die Konstruktion der Wirklichkeit in eine feminine und in eine maskuline Konstruktionsweise unterscheiden. Diese Denkweise – so Treibel – wird für gewöhnlich mit Biologie begründet und nicht weiter reflektiert, jedoch in den neueren Ansätzen des interpretativen Paradigmas ebenfalls als gesellschaftliche Konstruktion verstanden (vgl. Treibel 1997: 125; vgl. Berger/Luckmann 1996: 179ff).
2.5.3 Zusammenfassung und Überleitung
Insgesamt kommt die Wissenssoziologie zu dem Ergebnis, dass die menschliche Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert ist (vgl. ebd.: 200f). Für die Bearbeitung der Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die bundesdeutsche Gesetzgebung seit dem Spätsommer 2015 erscheinen der Verfasserin dabei folgende Inhalte der Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann als besonders bedeutsam:
Die Alltagswelt bzw. -wirklichkeit ist historisch gewachsen, somit auch die Institutionen in ihr (wie z.B. die Asylgesetzgebung). Es gibt demnach auch (institutionelle) Wissensbestände, wie mit bestimmten Typen (wie z.B. Asylsuchenden) umgegangen werden soll. Schließlich gibt es Legitimationen auf verschiedenen Ebenen, die zur Rechtfertigung all dessen dienen. Im Folgenden sollen daher zunächst die vier Legitimationsebenen nach Berger und Luckmann auf die Institution der Asylgesetzgebung übertragen werden. Darauf wird ein Aufriss über die historischen Wurzeln der Asylgesetzgebung folgen. Anschließend werden – primär ausgehend von der Konstruktion der „Flüchtlingskrise“ bzw. der „Flüchtlingswelle“ und anderen synonymen Wortkombinationen mit dem Wort „Flüchtling“ – die Konstruktions- und Legitimationsprozesse seit dem Spätsommer 2015 erarbeitet:
3 Konstruktions- und Legitimationsprozesse in Bezug auf die Asylgesetzgebung seit dem Spätsommer 2015
3.1 Übertragung der vier Legitimationsebenen auf die aktuellen Ereignisse
Die vier Legitimationsebenen können wie folgt auf die aktuellen gesellschaftlichen Legitimationsprozesse in Bezug auf die Verhandlungen über Geflüchtete seit dem Spätsommer 2015 übertragen werden:29
Die erste „vortheoretische“ (Berger/Luckmann 1996: 101) Ebene, lässt sich in der primären Sozialisation finden (ebenso beim Durchstöbern der Kommentare unter Online-Nachrichten zu Geflüchteten): Eltern versichern Kindern auf ihre „Warum-Fragen“ Wahrheiten ihrer Lebenswelt. Nach der Frage zur Begrüßung andersfarbiger Mitmenschen können Eltern beispielsweise versichern „Man grüßt alle Menschen!“ oder „Pass bei Ausländern auf!“
Als Beispiel für die zweite Ebene, der Ebene der theoretischen Postulate in rudimentärer Form, können Lebensweisheiten wie die goldene Regel in negativer Form genannt werden: „Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg auch keinem andern zu!“ (ethik-werkstatt.de 2008:1) oder „Wie du mir, so ich dir“. Übertragen auf den Umgang mit Geflüchteten könnte das z.B. heißen: Wenn du nicht möchtest, dass du als Geflüchteter, Geflüchtete ungerecht behandelt wirst oder mit Rassismus gedemütigt wirst: Tue es auch nicht!
Die dritte Ebene ist die Ebene der expliziten Legitimationstheorien, welche „einen institutionalen Ausschnitt an Hand eines differenzierten Wissensbestandes rechtfertigen“ (Berger/Luckmann 1996: 101). Solch eine Theorie kann das Prinzip der Demokratie sein, das mit seinen „Rechten, Pflichten und Bräuchen“ (ebd.: 101) die Handhabung des institutionalen Ausschnitts „Asylgesetzgebung“ (als Teil der Institution „Gesetze“) regelt. Demnach sind gewählte Vertreter und Vertreterinnen des Volkes (also Politiker und Politikerinnen), legitimiert durch den „feststehenden Brauch der Wahlen“, dazu berechtigt, Gesetze zu erlassen, wobei sie dazu an die Verfassung gebunden sind.30 31 Zahlen über Geflüchtete, Informationen über die Herkunftsstaaten der Geflüchteten,32 können dabei als differenzierte Wissensbestände betrachtet werden, wodurch Politiker und Politikerinnen aufgrund der Demokratie dazu gewählt werden, sich „im Namen des Volkes“ im Rahmen der Asylgesetzgebung darum zu kümmern (d.h. sie müssen sich eine entsprechende Expertise erarbeiten und entsprechende Gesetze erlassen).
Zudem treten Politiker und Politikerinnen als Experten und Expertinnen auf, „wann immer sich praktische Schwierigkeiten ergeben“ (Berger/Luckmann 1996: 101); so mussten bspw. im Rahmen der „Flüchtlingskrise“ politische Lösungen bezüglich der Knappheit an Erstaufnahmeeinrichtungen und Integrationskurse geschaffen werden (vgl. das Kapitel „Wir schaffen das“).33
Für die vierte Ebene, der Ebene der symbolischen Sinnwelten können z.B. das jüdisch-christliche oder das humanistische Weltbild genannt werden, auf welche das eigene Handeln und das anderer bezogen wird, wobei auch Gesetze darauf bezogen werden können. Des Weiteren können aber auch Verschwörungstheorien genannt werden oder (rassistische) Ideologien. Sie alle sind „Brillen“, welche jeweils von mehreren Menschen geteilt werden. Durch diese „Brillen“ sehen diese die Welt und setzen Geschehnisse in einen Zusammenhang.
3.2 Historische Wurzeln
Für die Bundesrepublik Deutschland können, wie für Europa – siehe die Präambel des Lissabonner Vertrags – (vgl. Aktion Europa 2010 publiziert durch Europe Direct Lüneburg o.J.: 18),34 zwei historische Wurzel ausgemacht werden:
Erstens, die jüdisch-christliche Tradition (vgl. Mangalwadi 2015; vgl. dazu den Diskurs um die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland;35 vgl. Parteiprogramme36 ),37 zweitens, die antiken (griechischen und römischen) Wurzeln durch Renaissance und Aufklärung, welche jeweils eine Rückbesinnung auf das antike Menschenbild bedeuten, verknüpft mit den Werten der Bildung und der Vernunft und der Begründung der Moderne (was das Ende des Mittelalters bedeutete) (vgl. jeweils: planet-wissen.de (1) 2017; arte.de 2017; Ackner/Fischbach o.J.).
Auf diesen Wurzeln fußen nicht nur im Allgemeinen das Menschenbild und die Gesetzgebung der BRD, sondern auch im Speziellen deren Asylgesetzgebung. Im Folgenden werden die Wurzeln vorgestellt und in Bezug zueinander und dem heutigen Asylrecht Deutschlands gestellt:38
3.2.1 Jüdisch-Christliche-Wurzel
Das Christentum entspringt dem Judentum (vgl. Römerbrief 11,16ff; vgl. zeit.de (1) 2017), deshalb ist von einer „Jüdisch-Christlichen Wurzel“ die Rede.
Im Judentum gibt es das Bewusstsein, Gäste bzw. Fremde vor Gott auf Erden zu sein (vgl. 1. Chronik 29,15). Dies vermittelt, dass der (gläubige) Mensch nicht nur fremd ist auf Erden, sondern auch, dass er sein Leben in Verantwortung vor Gott lebt. Diese Gedanken finden sich auch im sogenannten Neuen Testament wieder (vgl. z.B. Hebräer 13,1-17).
Darüber hinaus sind Juden und Jüdinnen angehalten zu bedenken, dass sie Fremde in Ägypten waren; dies wurde mit dem Gebot verknüpft, Fremde nicht zu unterdrücken sondern zu lieben und wie Angehörige des eigenen Volkes zu betrachten (vgl. Exodus 23,9; vgl. Levitikus 19,33f). Daraus ergibt sich für Fremde im antiken Israel: Fremde dürfen sich im Land der Israeliten, der Israelitinnen aufhalten und sollen dabei mit Würde behandelt werden.39 Dies lässt sich in der BRD durch die Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention wiederfinden: Fremde in Form von Schutzsuchenden dürfen sich in bundesdeutschem Gebiet aufhalten (zumindest für die Zeit ihres Asylverfahrens), ihnen stehen Rechte zu und eine Gleichbehandlung im Vergleich zu Einheimischen.
Ein weiterer Strang aus dem sogenannten Alten Testament in Bezug auf die heutige Praxis des Asyls in der BRD ist der der Zufluchtsstädten. Diese waren sechs der Levitenstädte,40 welche als Zufluchtsorte für Totschläger bestimmt worden waren (vgl. Numeri 35; vgl. Deuteronomium 19,3; Josua 20).
Auch in Bezug auf die Zufluchtsstädten wurden Fremden ohne Bürgerrecht41 das selbe Recht wie den zum Volk gehörenden eingeräumt; wie diese durften sie im Falle einer begangenen Bluttat in diesen Städten vor dem Bluträcher.42 Zuflucht suchen, bis ein Gericht ein Urteil über die betroffene Person gefällt hat. Wurde sie des Totschlags für schuldig befunden, muss sie nach dem Gesetz getötet werden. Gelangte das Gericht jedoch zur Überzeugung, dass kein Totschlag beabsichtigt wurde, wurde die (betroffene) Person wieder in den Zufluchtsort zurückgeführt, um vor dem Bluträcher sicher zu sein. Dort musste sie bis zum Tod des aktuell amtierenden Hohen Priesters verbleiben. Falls sie den Ort vorzeitig verließ und der Bluträcher sie dann tötete, war jener unschuldig an ihrem Tod. Für das Gerichtsurteil schließlich bedurfte es mindestens zweier Zeugen. Ferner durfte kein Lösegeld angenommen werden, damit die beschuldigte Person vor dem Tod des Hohen Priesters in ihren Heimatort zurückkehren konnte (vgl. Numeri 35,9-34; vgl. dazu auch Josua 20 und die Auslegung zu dieser Bibelstelle durch Forbes 2014).
Zu späterer Zeit schließlich flohen Menschen, die sich etwas zu Schulden kommen ließen und den Zorn des Königs befürchteten, zu den Hörnern des Altars der Stiftshütte (vgl. 1. Könige 1,50f; 2,28-30).
Im Gegensatz zu damaligem Recht geht es im heutigen Asylrecht nicht um einen Schutzraum bei Straftaten bis zu deren Überprüfung, sondern um Schutz für Menschen, die in ihrer Heimat bedroht bzw. verfolgt werden und dort nicht mehr (oder vorübergehend nicht mehr) leben können.
[...]
1 Die RLC ist ein interdisziplinäres und praxisbezogenes Ausbildungsangebot für Studierende. Die Ausbildung beinhaltet theoretische als auch praktische Inhalte. Die Verfasserin besuchte die Vorlesung „Deutsches, europäisches und internationales Flüchtlingsrecht“ (vgl. RLC Gießen 2017).
2 Dieser Begriff stammt von Berger/Luckmann.
3 Berger und Luckmann setzen die Begriffe „Wissen“ und „Wirklichkeit“ jeweils in Anführungszeichen, was die Verfasserin von ihnen übernimmt (des Weiteren wird die Verfasserin in Bezug auf das weitere Setzen von Anführungszeichen folgender Begriffe jeweils dem Original folgen). Die beiden Autoren sehen sich als gewissenhafte Soziologen verpflichtet, diese Satzzeichen zu verwenden. „Wirklichkeit“ definieren sie als eine Qualität von Phänomenen. Ein Phänomen ist wirklich – unabhängig vom Wollen – und hat bestimmte Eigenschaften. „Wissen“ wiederum ist für sie die Gewissheit: Phänomene sind wirklich und haben bestimmte Eigenschaften. Beide Begriffe werden sowohl von der Philosophie als auch dem Mann der Straße verwendet. (Berger und Luckmann verwenden für „den Mann auf der Straße“ auch den Begriff „jedermann“ und meinen damit jeden Menschen, der eine Alltagswelt bewohnt, welche für ihn in unterschiedlichen Graden „wirklich“ ist und von der er in unterschiedlichem Maße weiß, wie sie beschaffen ist.) Im Gegensatz zum jedermann hinterfragt der Philosoph, die Philosophin, die Begriffe „Wirklichkeit“ und „Wissen“ (vgl. ebd: 1f).
4 In der Mikrosoziologie geht es um die sozialen Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen sowie um das Verhältnis zwischen einzelnen Akteuren und Akteurinnen und der Gesellschaft. Dabei setzt die Analyse auf der Ebene der Akteure und Akteurinnen an. Von besonderem Interesse sind dabei Familien, Sozialisierungsprozesse und soziale Netzwerke. Die Mikrosoziologie widmet sich den sozialen Beziehungen zwischen Personen und Gruppen. Der Gegenbegriff zur Mikrosoziologie ist die Makrosoziologie (vgl. soziologieheute.wordpress.com (Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V.) 2009).
5 Symbole sind Objektivationen. D.h.: Es gibt eine Übereinkunft welche das Individuum und die Gesellschaft teilen, welchem Sachverhalt, welcher Handlung usw. welche Bedeutung zukommt. So kann z.B. ein Messer an der Wand über einer Person oder ein X an ihrer Tür bedeuten, dass jemand jene Person töten möchte. Symbole können in unterschiedlichem Maße abstrakt sein. Besonders abstrakt ist das Zeichensystem der Sprache (vgl. Berger/Luckmann 1996: 36-43).
6 Nach Berger besteht das soziologische Problem darin, „zu verstehen, was an gesellschaftlicher Aktion hier und dort vor sich geht“ (Berger 1977:46 in Treibel 1997: 109). Diesem Anliegen gehen Berger und Luckmann in „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie“ nach. Darin analysieren sie auch die Konstruktionen anhand der Wissenssoziologie (vgl. Berger/Luckmann 1996).
7 Bei den Ausführungen zur Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann werden nur die Ausschnitte vorgestellt werden, welche für die Verfasserin zum Bearbeiten des Themas von Relevanz sind und auf welche sie sich beim Erarbeiten der Konstruktions- und Legitimationsprozesse beziehen wird. Ebenso wird auf die primäre und sie sekundäre Sozialisation eingegangen werden, um aufzuzeigen, wie die Wirklichkeit schließlich intentionalisiert wird.
8 Die Theorien bzw. die Theoretiker, auf welche sich die beiden Autoren beziehen, werden bei den einzelnen Punkten jeweils nicht nochmals genannt werden.
9 Berger und Luckmann nennen an dieser Stelle als Beispiele die Wirklichkeit eines Mitmenschen, dem man im Alltagsleben begegnet und die „körperlosen Gestalten“ (ebd.: 24) der eigenen Träume.
10 Die beiden Autoren nennen als Bsp. hierfür u.a. dem Gebrauch von Büchsenöffnern (vgl. ebd.: 24). Um bei diesem Bsp. zu bleiben: Durch Sprache wird mir vermittelt, wie und wann ihn jemand zu gebrauchen hat, und dass dieser jemand z.B. erst die Dose öffnet und dann den Inhalt in einen Topf gibt um ihn dann zu kochen und den Inhalt nicht in einer Dose kocht, um sie dann zu öffnen.
11 Berger und Luckmann nennen als Bsp. dafür Träume, die Welt der theoretischen Physik, Kunst und Religion.
12 Die beiden Autoren führen als Bsp. dafür eine Person während des Bankencrashs auf, welche in den 20ern geboren ist, in dem Jahr als der Vater der Person sein ganzes Vermögen verloren hat.
13 Berger und Luckmann formulieren so, als ob sie von einem Zwiegespräch ausgehen würden. Die Verfasserin ist jedoch der Ansicht, dass sich auch mehr als zwei Personen an einem Vis-à-vis-Gespräch beteiligen können und würde daher ein „mindestens“ vor „zweier Subjekte“ setzen.
14 Die beiden Autoren bzw. die Übersetzung verwenden lediglich das maskuline Genus.
15 Es spielt dabei keine Rolle, ob man den Menschen gekannt hat, der eine entsprechende Objektivation verwendet hat. Mitunter sind die Intentionen einer Person in einer Objektivation erkennbar, obwohl der Mensch in ferner Vergangenheit gelebt hat. Darin sehen Berger und Luckmann einen Beweis für die „Macht und Hartnäckigkeit menschlicher Objektivationen“ (ebd.: 38).
16 D.h. er ist nicht an einen bestimmten Ort gebunden und die Biologie regelt rudimentär seine Beziehungen zur Umwelt (vgl. ebd.: 49f)
17 Nach Berger und Luckmann bietet sich durch die Biologie des Menschen nicht nur die Möglichkeit, Gesellschaften zu produzieren, sondern der Mensch ist durch seine Biologie auch dazu gezwungen, sich eine stabile Umwelt, d.h. eine gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, was ein Ausrichten und Spezialisieren seiner Triebe zur Folge hat. Dies ist notwendig, damit er leben kann (vgl. ebd.: 56).
18 Zu den Rollen vgl. ebd.: 76-98.
19 Im Original steht „zu sprechen“, was durch die Verfasserin mit „gesprochen werden“ ersetzt wurde. Dies wird für eine verständliche Lesbarkeit nur in der Fußnote vermerkt.
20 Berger und Luckmann sprechen hier von einem „gemeinsamen Lebenslauf“ (Berger/Luckmann 1996: 72).
21 Die beiden Autoren nennen als Beispiel dafür die Typisierungen der Menschen als „groß“, „klein“ usw. (vgl. ebd.: 74).
22 Schließlich betonen Berger und Luckmann nochmals, dass es keine Übereinstimmung oder funktionalen Zusammenhänge zwischen der jeweiligen Institution und der angewandten Form der Wissensvermittlung geben muss.
23 Zur Erinnerung: „Symbolische Vorgänge“ bedeuten Verweise auf Wirklichkeiten außerhalb der Alltagserfahrung.
24 Dazu braucht ein Mensch einen (signifikanten) Anderen, eine (signifikante) Andere, damit es Objektives, das einen Sinn vermittelt und subjektive Vorgänge zum Ausdruck bringt (Berger und Luckmann nennen „lachen“ als Bsp.) erfassen und auslegen, also mit einem Sinn belegen kann. So kann bspw. jemand erfassen, dass sein Gegenüber lacht und das als Zeichen dafür werten, dass es sich über den Witz amüsiert, den jenes gerade gemacht hat. Es ist dabei unwichtig, ob das Gegenüber missverstanden wurde, sein Lachen also falsch interpretiert wurde und sein Sinn damit nicht mit dem eigenen zusammen gefallen ist. Wichtig ist, dass einem das Subjekt des oder der Anderen objektiv zugänglich wurde und man selbst es als sinnhaft erfuhr.
25 Die objektive Gesellschaftsstruktur betrifft z.B. die Schicht, in die jemand hineingeboren wird. Die objektive gesellschaftliche Welt erfährt ein Individuum durch signifikante Andere, z.B. seine Eltern. So erlebt ein Kind einer unteren Schicht die Welt anders, als ein Kind einer oberen Gesellschaftsschicht, erlebt seine Welt aber auch nochmals anders als ein anderes Kind seiner Schicht (vgl. ebd.: 141).
26 Dazu bekommt das Kind einen Namen. Hinter einem Namen steht „ein ganzer Sprachbereich“ (ebd.: 143), der auf einen festumrissenen gesellschaftlichen Ort verweist. Demnach bedeutet eine Identität zu bekommen, einen bestimmten Platz in der Gesellschaft, in der Welt zugewiesen zu bekommen (vgl. ebd.: 143).
27 Die Sprache ist dabei das wichtigste Mittel objektive Wirklichkeit in subjektive zu „übersetzen“ und umgekehrt (vgl. ebd.: 144).
28 Da die signifikanten Anderen festgelegt sind, ist auch die Welt festgelegt, mit der sich das Kind identifizieren muss. Infolgedessen ist das, was in der primären Sozialisation internalisiert wurde viel tiefer im Bewusstsein eingegraben, als andere Welten, welche in der sekundären Sozialisation verinnerlicht werden. Darüber hinaus wird das, was in Wirklichkeit Zufälle sind, in der primären Sozialisation als Notwendigkeiten vorgestellt. Außerdem wird die Wirklichkeit der primären Sozialisation als zweifellose Wirklichkeit mit nomischen Strukturen, denen es vertrauen kann, ebenso wie den signifikanten Anderen. Ihre besondere Wirklichkeit bleibt selbst im Rückblick erhalten. Erst wenn der Mensch älter wird, kann er sich Zweifel erlauben (vgl. ebd.: 145f). Nach einer primären Sozialisation können Krisen auftauchen wie z.B., die Entdeckung, dass die vermeintlich eine Welt nur eine von vielen ist, und dass diese obendrein von anderen geringschätzig betrachtet wird (vgl. ebd.: 152).
29 Die im Folgenden angeführten Übertragungen werden weiter in den folgenden Kapiteln ausgearbeitet.
30 „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Artikel (Art.) 38 Grundgesetz (GG)).
31 Zur Verfassungsgebundenheit vgl. Steffani 1980: 167.
32 Es obliegt dem Bundesnachrichtendienst, die Bundesregierung mit Informationen zu verschiedenen Ländern zu versorgen (vgl. bnd.bund.de (1) o.J. (ohne Jahresangabe); vgl. bnd.bund.de (2) o.J.).
33 Berger und Luckmann weisen schließlich darauf hin, dass die Legitimationen die Institutionen, die sie legitimieren sollen, übersteigen können, sodass sie selbst zu institutionale Züge erhalten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Legitimatoren, Legitimatorinnen Hauptamtliche sind. Als Beispiel dafür kann der Weg der Gesetzgebung herangezogen werden: Damit ein Gesetz Gültigkeit erlangt, wird die entsprechende Mehrheit im Bundestag, die Zustimmung im Bundesrat, die Unterschrift des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin und die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt benötigt, wodurch das neue Gesetz verkündet wird und schließlich in Kraft tritt (vgl. bundestag.de (1) o.J.; vgl. bundesrat.de 2004).
34 Es gibt verschiedene Ausführungen des Lissabonner Vertrags (vgl. Auswärtiges Amt o.J.; vgl. Amtsblatt der Europäischen Union 2012 VERTRAG ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION (KONSOLIDIERTE FASSUNG) publiziert durch EUR-Lex 2012).
35 Der Diskurs, ob der Islam zu Deutschland gehört zeigt sich z.B. an der Diskussion um die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Deutschlands, Christian Wulff, zum Tag der Deutschen Einheit 2010, der Islam gehöre zu Deutschland, sowie das erneute Aufgreifen seiner Auffassung durch die aktuelle Bundeskanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf für den neuen Bundestag 2017 (vgl. jeweils zeit.de (9) 2010; deutschlandfunk.de (1) 2011; spiegel.de (4) 201; welt.de (5) 2017).
36 Vgl. das geplante Regierungsprogramm der CDU/CSU für die Legislaturperiode 2017-2021 unter dem Punkt „ Christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften “ (CDU/CSU 2017: 73; Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.) und der Verknüpfung mit dem christlichen Menschenbild, von welchem die Würde des Menschen abgeleitet wird (vgl. ebd.: 7); vgl. das Grundsatzprogramm der CSU u.a. zu dem Unterpunkt „Wir stehen zu unserer christlichen Prägung“ (csu-grundsatzprogramm.de o.J.: 9; Hervorhebung im Original, sowie Angabe der Seitenzahl nach dem Backup der Verfasserin; Anm. d. Verf.).
37 Dieses Begriffspaar wird durchaus kritisch gesehen (vgl. Stein/Zimmermann 2017; vgl. zeit.de (9) 2010).
38 Zu den erwähnten Vergleichspunkten aus der aktuellen Handhabung vgl. jeweils die Ausführungen unter den Abschnitten Rechtsgrundlagen für die Asylgesetzgebung in der BRD und Gesetzesänderungen in der bundesdeutschen Asylgesetzgebung anhand des Asylgesetzes (AsylG).
39 Im Bibeltext findet man dabei keine Unterscheidung der Fremden in (Arbeits-)Migranten bzw. Migrantinnen und Schutzsuchenden.
40 Die Levitenstädte waren Wohnorte der Leviten. Leviten waren Nachkommen Levis, eines Sohnes Jakobs. Die Leviten stellten die Priester und Diener im Heiligtum (von der Zeit Moses bis zu König David war das Heiligtum die Stiftshütte, ab König Salomo war es ein Tempel. Salomos Tempel wurde bei der Wegführung des Volkes ins babylonische Exil verbrannt; der nachexilische Tempel wurde von Herodes dem Großen umgebaut und durch Rom zerstört (vgl. zum Heiligtum bzw. Tempel jeweils: Exodus 33,7; 1.Könige 6; 2. Könige 25,9; Esra 3,8-6,22; Bibelwissenschaft.de o.J.; vgl. zu den Nachkommen Levis und zum Dienst am Heiligtum durch die Leviten jeweils: Exodus 32,26-29; Levitikus 8; Numeri 3 und 4)).
41 Die Bewohner ohne Bürgerrecht waren Beisassen. Das sind Fremde, welche vorübergehend oder über einen längeren Zeitraum hinweg unter dem Volk Israel wohnten (vgl. Anmerkung zu „Bewohner ohne Bürgerrecht“ auf bibleserver.com unter der oben angegebenen Bibelstelle).
42 Herbräisch: goel. Bluträcher kann auch mit Löser übersetzt werden. Der Bluträcher war der nächste männliche Verwandte (vgl. Anmerkung zu „Bluträcher“ auf bibleserver.com unter der oben angegebenen Bibelstelle). Es war die Aufgabe des Bluträchers die des Totschlags beschuldigte Person zu töten (vgl. Numeri 35,19; vgl. bibleserver.com).
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