Diese Arbeit soll Eigenschaften und Besonderheiten der historischen Jugendbünde der deutschen Jugendbewegung in den Kontext heutiger Jugendarbeit stellen. Dabei werden die pädagogischen und sozialpädagogischen Einflüsse noch existierender Bünde auf ihre jugendlichen Mitglieder geprüft und die Vorzüge dieser – sich selbst kontrollierenden – Jugendbünde im Vergleich zur staatlich geförderten Jugendarbeit und kommerziellen Freizeitangeboten diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Stand der Forschung und Eingrenzung des Themas
1.2 Gliederung
2 Jugendbewegung und Wandervogel: Geschichte und Definitionsversuch
2.1 Geschichte
2.1.1 Die Anfänge der deutschen Jugendbewegung
2.1.2 Exkurs: Nest und Jugendburg
2.1.3 Der Hohe Meißner 1913
2.1.4 Von 1914 bis 1945
2.1.5 Nachkriegszeit – Wiederaufbau, Neustrukturierung
2.2 Was ist das Wesen der deutschen Jugendbewegung?
2.2.1 Definitions- und Zuordnungsversuch
2.2.2 Erfahrungen und Begriffsbestimmung des Autors
2.3 Existierende Bünde und Abgrenzung zu den Pfadfindern
2.3.1 Der Nerother Wandervogel
2.3.2 Der Zugvogel – deutscher Fahrtenbund
2.3.3 Mädchenwandervogel Solveigh
2.3.4 Weinbacher Wandervogel
2.3.5 Abgrenzung zu den Pfadfindern
3 Das pädagogische Potenzial des Wandervogel
3.1 Praktische Beispiele
3.1.1 Praktische Fertigkeiten
3.1.2 Soziale Fähigkeiten
3.1.3 Interkulturelles Lernen
3.1.4 Wissens- und Bewusstseinsbildung
3.1.5 Forderung und Förderung
3.2 Die Gruppe
3.2.1 Abgrenzung
3.2.2 Der Gruppenführer
3.3 Verwandte pädagogische Konzepte
3.3.1 Reformpädagogik
3.3.2 Erlebnispädagogik
3.3.3 Projektunterricht
3.3.4 Bewährung/Herausforderung nach Hartmut von Hentig
4 Die Vorteile jugendbewegter Gruppen im Vergleich zu anderen Formen der Freizeitgestaltung
4.1 Spannungsfelder der Jugendarbeit
4.1.1 Freiwilligkeit – Verbindlichkeit
4.1.2 Erziehung – Selbsterziehung/Selbstentfaltung
4.1.3 Vertrauen – Respekt
4.1.4 Kollektiv – Individuum
4.2 Jugendbewegte Gruppen als optimale Freizeitgestaltung
4.3 Systematischer Überblick
5 Ausblick
5.1 Elemente der Jugendbewegung als Vorbilder von Schülerprojekten und Klassenreisen
5.1.1 Stadtteilschule Winterhude
5.1.2 Evangelische Schule Berlin
5.2 Abschließende Worte
Anhang:
Quellenverzeichnis
Vorwort
In Studiengängen der Pädagogik taucht der Begriff ‚Jugendbewegung’1 gelegentlich kurz auf und ebenso schnell wieder ab. Manchmal begleitet ihn der Begriff ‚Wandervogel’. Übrig bleibt dann meist der Begriff ‚Reformpädagogik’. Dabei rückt die Tatsache in den Hintergrund, dass ein Großteil heutiger Pädagogikrichtungen von der deutschen Jugendbewegung beeinflusst wurde. In gewisser Weise bin auch ich von der Jugendbewegung beeinflusst worden, denn ich bin Mitglied eines der letzten Wandervogelbünde, die noch an der Tradition der deutschen Jugendbewegung festhalten. Während meines Studiums wurde mir langsam bewusst, wie gehaltvoll meine Zeit mit den Wandervögeln war und wie viel ich mit ihnen für das Leben gelernt habe. Besonders deutlich wurde dies bei der akademischen Auseinandersetzung mit Jugendarbeit und Sozialisation. Durch mein neuerworbenes Wissen über Sozialpädagogik und Entwicklungspsychologie, sowie praktische Erfahrungen als Jugendleiter, in meinem Nebenjob in der Kita und als Praktikant in der Berufsschule wurde mir bewusst, dass meine Qualitäten im Umgang mit Kindern und Jugendlichen nicht von ungefähr kommen. Die Zeit im Wandervogel förderte nicht nur meine persönliche Entwicklung, sondern auch meine Stärke im Umgang mit Gruppen. Die Reflexion meiner ‚jugendbewegten’ Vergangenheit brachte mich nun dazu, mich auch auf wissenschaftlicher Basis mit der Jugendbewegung zu befassen, um dem, was ich von ihr gelernt habe, einen Namen zu geben und um der Aktualität selbsterzieherischer Gruppen Anerkennung zu zollen.
Aus rechtlichen Gründen wurde die Abb. entfernt (Anm. d. Red.) Der Autor 2010 in Aleppo, Syrien (Foto: Jan Franke).
1 Einleitung
Diese Arbeit soll Eigenschaften und Besonderheiten der historischen Jugendbünde der deutschen Jugendbewegung in den Kontext heutiger Jugendarbeit stellen. Dabei werden die pädagogischen und sozialpädagogischen Einflüsse noch existierender Bünde auf ihre jugendlichen Mitglieder geprüft und die Vorzüge dieser – sich selbst kontrollierenden – Jugendbünde im Vergleich zur staatlich geförderten Jugendarbeit und kommerziellen Freizeitangeboten diskutiert.
1.1 Stand der Forschung und Eingrenzung des Themas
Die deutsche Jugendbewegung – in Hermann Nohls Worten „die merkwürdigste und tiefgreifendste Erscheinung der pädagogischen Gegenwart“2 – ist in ihrer Geschichte einzigartig und in ihrer Komplexität nur schwer greifbar. Aber ohne Frage hat sie seit Beginn des 20. Jahrhunderts deutliche Spuren in vielen pädagogischen und kulturellen Bereichen – nicht nur in Deutschland – hinterlassen. Eng verbunden ist sie mit dem Entstehen des ‚Wandervogel’, der im Zentrum dieser Arbeit steht. Kern des Wandervogellebens wiederum ist die Kleingruppe von 7-15 Jugendlichen. Pross nennt sie eine „epochale Erfindung“3. Was diese Erfindung in seinen Augen so epochal macht, hat vor rund sechzig Jahren Karl Seidelmann in seinem Werk: „Bund und Gruppe“ begeistert beschrieben.
Weil es die umfassendste Veröffentlichung unmittelbar zu meinem Thema ist, wird hier mehrfach auf sie Bezug genommen; denn auch in dieser Arbeit stehen die sozialpädagogischen Qualitäten von Jugendgruppen nach dem Vorbild des Wandervogel4 im Fokus.
Ganz simpel wird gefragt: Was hat ein Jugendlicher5 davon, wenn er mit einer Gruppe von Gleichaltrigen nach Art des Wandervogel auf Fahrt geht? So simpel die Frage, so schwierig die Antwort. Der Wandervogel lässt sich nicht aus seinem geschichtlichen und kulturhistorischen Kontext lösen. Und selbst wenn die – wenigen – Nachfahren der Steglitzer Ur-Wandervögel heute noch genauso gekleidet und ausgestattet unterwegs sind, wie diese seinerzeit, ist es eben nicht mehr das Gleiche – weil die Zeiten sich gewandelt haben.
Die Geschichte des Wandervogel ist bekanntlich vielschichtig und voller Brüche. Der Wandervogel hat zwei Weltkriege überlebt, die Umwälzungen der Achtundsechziger, die Motorisierung, das Fernsehen und das Internet. Die Aufarbeitung seiner Geschichte und Wirkungsgeschichte ist nach wie vor Gegenstand lebhafter kulturhistorischer Debatten. Dabei ist es das Verdienst einiger beharrlicher Forscher und Journalisten wie Christian Niemeyer und Christian Füller, dass dabei auch die „dunklen Seiten der Jugendbewegung“6 ans Licht kommen – jenseits von Schwärmerei, Mythenbildung und ‚Mainstream-Historiographie’. Viele Fragen sind noch offen: die Beziehung zwischen Jugendbewegung und Nationalsozialismus, Wandervogel und Hitlerjugend, die Bedeutung antisemitischer, völkischer und rassistischer Elemente und nicht zuletzt der Pädophilie- und Missbrauchsverdacht.7 Angesichts dieser Problemfelder mag es fast unredlich erscheinen, sich in dieser Arbeit auf ‚rein’ sozialpädagogische Aspekte zu konzentrieren – aber auch nicht ganz unzulässig, sofern man, wie hier, relativ ‚unverdächtige’ Ausgangspunkte wählt. Hier sind das: zum einen die naiven noch wenig ideologisch aufgeladenen Anfänge des Wandervogel8 und zum anderen die persönlichen Erfahrungen des Verfassers als aktives Mitglied des Nerother Wandervogel. Mit Hilfe dieser Quellen wird versucht, die ‚überzeitlichen’ sozialpädagogisch bedeutsamen Elemente des Wandervogel zu identifizieren. Diese werden dann in Bezug gesetzt zu einigen verwandten pädagogischen Konzepten, wie der Erlebnispädagogik, um zu prüfen, wie aktuell die Ideen und die Praxis des Wandervogel heute sind.
Viele interessante Aspekte des Themas können hier leider nur gestreift werden, z.B.:
- Die Geschichte der Jugendarbeit von den kirchlichen geprägten Anfängen bis hin zur ‚offenen Jugendarbeit’ in kommunalen Jugendzentren,
- die Probleme der Professionalisierung und Institutionalisierung der Jugendarbeit,
- Aspekte der aktuellen Sozialisationsforschung, insbesondere über die geschlechtsspezifischen Identitätsprobleme von Jungen und Mädchen (Stichwort: „Kleine Helden in Not“9, Pubertät),
- sowie die aufschlussreiche Analyse von Wolfgang Lindner über die Liedertexte der Deutschen Jugendbewegung10
1.2 Gliederung
Um der eigentlichen Fragestellung nachgehen zu können, wird zunächst der geschichtliche Hintergrund der deutschen Jugendbewegung beleuchtet. Dies beinhaltet auch Symbole, wie Nest, Jugendburg und der Hohe Meißner. Anschließend wird dann das Wesen der Jugendbewegung näher betrachtet und bestimmt, was konkret mit Jugendbewegung und Wandervogel gemeint ist. Dabei erfolgt eine Eingrenzung des Begriffes ‚jugendbewegt’, um klarzustellen, welche aktuellen Jugendgruppen diese Arbeit beschreibt. Im Anschluss werden noch existierende Bünde vorgestellt.
Ziel des dritten Kapitels ist es, die pädagogischen Implikationen des Wandervogel anhand praktischer Beispiele zu veranschaulichen, um dann kurz verwandte pädagogische Konzepte aufzuführen.
Nach dieser Auseinandersetzung mit den Inhalten, dem Wesen und der pädagogischen Relevanz von Jugendgruppen mit jugendbewegter Tradition, können nun die Vorteile dieser ‚sich selbst erziehenden Gemeinschaften’, im Vergleich zu organisierter Jugendarbeit und kommerzieller Freizeitgestaltung herausgestellt werden.
Die Arbeit schließt mit einem Ausblick, in dem, mit Blick auf aktuelle Entwicklungen im pädagogischen Bereich und im Freizeitsektor, der Frage nachgegangen wird, warum und in welcher Form Elemente des Wandervogel Bestand haben und wieder Einzug in pädagogische Handlungsfelder finden können.
2 Jugendbewegung und Wandervogel: Geschichte und Definitionsversuch
Absicht dieses Kapitels ist es, einen kurzen Blick auf die Entstehungsgeschichte der deutschen Jugendbewegung zu werfen, um dann das Phänomen deutsche Jugendbewegung näher zu beschreiben. Dazu werden auch eigene Erfahrungen des Verfassers herangezogen. Daran anschließend wird die Auffassung des Verfassers formuliert und heute noch aktive Wandervogelbünde kurz vorgestellt.
2.1 Geschichte
Einen detaillierten und wahrheitsgetreuen Ablauf der Ereignisse in der Geschichte der deutschen Jugendbewegung zu erstellen fällt schwer, da die Bewegung sich schnell auf den gesamten deutschsprachigen Raum ausbreitete, in den verschieden Regionen unterschiedliche Formen annahm und sich, je nach Gruppe, unterschiedlich entwickelte. Zusätzlich erschwert die Vielzahl von Publikationen und Dokumentationen aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichen historischen Hintergründen, einen klaren Überblick zu erlangen.
Abgesehen von Grundsatzfragen sieht sich der Historiker vor Hindernissen technischer Art: vor allem der qualitativen - nicht der quantitativen - Unzulänglichkeit der Dokumentation. Der Wandervogel und die Bünde waren als Bewegung nicht literarisch begabt; ihre Bücher und Zeitschriften geben nur als blassen Abklatsch wieder, was farbig bewegt erlebt worden ist. Die schriftstellerisch begabten waren nicht unbedingt Schlüsselfiguren in der Bewegung oder ihre typischen Repräsentanten.11
Harry Pross kritisiert die Qualität der Dokumentation noch drastischer:
Damit fing das gewaltige Theorisieren an, dem sich in den folgenden drei Jahrzehnten Begabte und noch mehr Unbegabte mit deutscher Gründlichkeit hingaben. Die papierenden Ergebnisse solcher Anstrengung haben die Feuer zweier Weltkriege wohltätig reduziert; was erhalten blieb, darf nicht zu wörtlich genommen werden.12
Auch Walter Sauer greift diese Problematik auf, indem er betont, dass die Vielzahl an Daten eine Darstellung und Zuordnung nicht vereinfacht und die beliebige Interpretierbarkeit eine eindeutige Bestimmung nicht ermöglicht.13 Über die genaue historische Zuordnung der Jugendbewegung wird bisweilen gestritten. Der Beginn wird mit den Wanderungen Hermann Hoffmanns auf die 1890er Jahre datiert, mit der Gründung des Wandervogel 1901 durch Karl Fischer, oder mit dem ersten großen Wandervogeltreffen auf dem Hohen Meißner 1913. Auch das Ende wird unterschiedlich eingeordnet. So werden das erste und das zweite (1923) Meißnertreffen teilweise auch als Ende der Bewegung angegeben, weiter wird der erste Weltkrieg als Endpunkt genannt. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird mehrheitlich als Endpunkt definiert. Aber auch nach dem zweiten Weltkrieg gibt es Daten, die das Ende der Jugendbewegung bestimmen sollen14, einige glauben sogar, dass die Bewegung heute noch am Leben ist.15
Da diese Arbeit sich größtenteils auf Gruppen mit jugendbewegter Tradition bezieht und den historischen Fokus auf das Leben selbst in Wandervogelgruppen legt, wird sich hier nicht auf eine bestimmte zeitliche Eingrenzung der ‚Epoche’ Jugendbewegung festgelegt.
2.1.1 Die Anfänge der deutschen Jugendbewegung
Im Jahre 1890 begann der junge Stenographielehrer Hermann Hoffmann Wanderungen mit seinen Schülern zu unternehmen. 10 Jahre später übernahm Karl Fischer die Leitung von Schülerfahrten und gründete im Jahre 1901 den „Wandervogel-Ausschuß für Schülerwanderfahrten“,16 um die immer abenteuerlicher werdenden Fahrten in eine „juristische Organisationsform zu bringen. Schule und Öffentlichkeit und vor allem die Eltern der jugendlichen Aktiven verlangten nach Zuständigen und Verantwortliches.”17
Die ‚Wandervogel-Bewegung’ breitete sich sehr schnell über den gesamten deutschsprachigen Raum aus und es entstanden zeitgleich und unabhängig voneinander immer neue Vereine und Wandergruppen.18 1904 wurde Fischers „Wandervogel-Ausschuß für Schülerfahrten“ aufgelöst und durch den „Alt-Wandervogel“ ersetzt. Zeitgleich wurde der „Wandervogel e.V.“ gegründet, welcher mehr Wert auf Ästhetik und Kultur legte.19 1910 wurde der „Jung-Wandervogel“ als Abspaltung vom „Alt-Wandervogel“ gegründet. Er lehnte die Führung durch Oberlehrer ab und setzte auf kleinere, auf Freundschaft basierende Gruppen.20 Auch in den anderen Bünden gab es immer wieder Zusammenschlüsse, Trennungen und Neugründungen. Die Pfadfinder-Bewegung kam nun auch nach Deutschland und stand im wechselseitigen Einfluss zu den Wandervögeln.
2.1.2 Exkurs: Nest und Jugendburg
Die Fahrt ist nicht das einzige Ziel von Jugendbünden. Wandervögel brauchen ein Nest, einen Zufluchtsort, an dem sie sich aufhalten können und den sie selbst gestalten können.21 Nach dem ersten Weltkrieg, in der ‚bündischen Phase’, wurde die Idee des Nests ernster genommen und es entstanden „Landheime, Wohnstätten und – bei den Romantikern der neuen Lage – Ritterburgen für die Bundesleitung oder auch für die kollektive Meditation.“22
2.1.2.1 Nest
Das Nest ist in der Regel eine kleine Hütte, wenn möglich aber ein Gemäuer historischen Ursprungs. Im Laufe der Zeit wird das Haus ausgebaut, dekoriert und umgebaut. Die Fertigstellung ist nebensächlich, wenn nicht sogar unerwünscht. Das gemeinsame Bauprojekt hat nämlich auch einen pädagogischen Wert und schweißt die Gruppe zusammen.23 Zwar soll Gemütlichkeit entstehen, wo der Wandervogel sich heimisch fühlt, aber die Hütte soll nicht zu einem Klub- oder Vereinshaus verkommen. Regelmäßig findet der ‚Nestabend’ statt, wo zusammen gebaut und musiziert wird sowie Fahrten geplant werden.24
2.1.2.2 Jugendburg
Der Reformpädagoge Gustav Wyneken, einer der Hauptredner auf dem Meißnertreffen 1913, gilt als Initiator der Idee einer Jugendburg. Burgen faszinierten die Jugendlichen schon in den Anfängen der Jugendbewegung, was auch durch ihre Affinität zum Mittelalter deutlich wird. Eine Burg, „errichtet von Jungen für Jungen“25 und die Idee von einem ‚Jugendreich’ war die Vision von Robert Oelbermann, erster Bundesführer des Nerother Wandervogel, der die Burgruine Waldeck im Rheinland als Jugendburg entdeckte. An ihr bauen noch heute junge Nerother Wandervögel.
Eine Burg, die von Jugendlichen selbst geschaffen wurde, dient als Ort der Zuflucht, Zusammenkunft und des kreativen Gestaltens – und sie erzeugt gesunden Stolz und Zusammenhalt. Sie verspricht Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Konventionen und die Möglichkeit des selbstbestimmten Lernens und Lebens.26
2.1.2.3 Burg Waldeck
Die Entstehung wurde bereits angerissen. Die Nationalsozialisten enteigneten die Burg.27 Nach dem Krieg wurden Gebäude und Grundstücke aufgeteilt. Der Verein ABW betreibt eine Jugendherberge oberhalb der Burgruine. Der Nerother Wandervogel verfügt über die Ruine selbst (mit stark eingeschränkten Baugenehmigungen) und einen selbst errichteten Gebäudekomplex – ein Refugium für junge Wandervögel und ein Ort des Schaffens.
2.1.2.4 Burg Ludwigstein
Nach dem ersten Weltkrieg erstanden mehrere Bünde gemeinsam die Burgruine Ludwigstein. Sie wurde zum überbündischen Treffpunkt28 und beherbergt auch heute noch Jugendgruppen, die weiter an ihr bauen. Auch befindet sich dort das größte Archiv der Jugendbewegung.29 Sie ist das wohl bekannteste noch existierende Zentrum der Jugendbewegung.30
2.1.2.5 Burg Hohenkrähen
In den 1950er Jahren wurden die Ruinen dieser Burg von der Pfadfinderschaft Grauer Reiter erstanden. Ihre Gebäude sind auch heute noch offen für Jugendgruppen und sind Zentrum der kleinen Pfadfinderschaft, die sich sehr in der bündischen Tradition sieht.31
2.1.3 Der Hohe Meißner 1913
Das Wandervogeltreffen 1913, wird oft als Höhepunkt der Jugendbewegung bezeichnet. Erstmals trat eine große Zahl von Bünden zusammen als „Freideutsche Jugend“ auf und gab dem jugendlichen Treiben damit, neben ‚Wandervogel’, einen selbstbewussten Namen. Unter großem Einfluss Gustav Wynekens formulierten sie – nicht ohne Schwierigkeiten – die ‚Meißnerformel’, die die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Bünde zusammenfasst.32 Ein Auszug:
Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.33
Oft wird diese Formel als moralisches Gesetz interpretiert, sie ist jedoch vielmehr ein Ausdruck der „geistigen Haltung“34 der deutschen Jugendbewegung und keine Vorgabe. Weitere Inhalte sind u.a.:
Naturverbundenheit, Offenheit der eigenen Lebensanschauung und Offenheit dem Mitmenschen gegenüber und der starke Wunsch nach Echtheit und Wahrheit35
2.1.4 Von 1914 bis 1945
Der Zeitgeist veranlasste viele Wandervögel freiwillig in den Krieg zu ziehen. Die Romantik des Kampfes für das Vaterland wurde im Gefecht schnell zerstört. Es blieb die Realität: Mord, Schmerz und Verlust. Etwa 7000 Wandervögel fielen im Kampf.36
Die Verluste des Krieges hinderten die Jugend nicht daran, anschließend wieder eigenständige Gruppen zu bilden, im Gegenteil: Eine unüberschaubare Masse an Wandervogel- und Pfadfinderbünden erblühte in der Welt der Jugend. Sie teilten die Sehnsucht nach einem ‚Reich der Jugend’ und die Forderung, als eigener Teil der Gesellschaft Anerkennung zu finden.
Überall erhoffte man, sich dem zweifelhaften Ruf der Parteien, Kirchen und Berufsverbände entziehen zu können, indem man zu den elementaren Gültigkeiten der Natur, des Gemüts und des Gewissens seine Zuflucht nahm.37
Die Bünde wurden selbstbewusster und ideologischer. Die oben erwähnte Idee von einer Jugendburg verbildlicht dies. Die enorme Anzahl von Abspaltungen, Neugründungen und Zusammenschlüssen zeigt aber auch, dass Quantität den Charakter des Wandervogel gefährdet. Große Bünde (über)lebten nur durch die Autonomie ihrer Kleingruppen.
1933 wurde die weitere Entfaltung der bündischen Jugend durch die Machtübernahme Hitlers gestoppt. Die Vereine der bündischen Jugend und andere Jugendorganisationen wurden verboten, die Jugendlichen sollten von nun an in die HJ eingegliedert werden. Vielen wurde die illegale Fortführung ihrer Aktivitäten zum Verhängnis, andere traten der HJ bei – zum eigenen Schutz und in der Hoffnung, dort weiter auf Fahrt gehen zu können.38 Die HJ war für viele attraktiv – nicht nur, weil sie sich der Stilmittel der Wandervögel bediente39 und den Wandervogelführern die Aussicht auf weitere Nutzung ihrer Führungsqualitäten gab – sondern auch, weil sie ohne große Auslese jeden aufnahm.
Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum viele Bünde mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Die Kleidung, bestimmte Begriffe (z.B. Ordensführer, Pimpf), bestimmte Lieder und das kulturelle Interesse am Heimatland lassen falsche Schlüsse zu, die den Bünden faschistisches Gedankengut unterstellen.
Im Laufe des Krieges ging die Gestapo immer rigoroser gegen bündische Aktivitäten vor. Der Erlass zur „Vernichtung der bündischen Reste“40 erlaubte es, bündische Aktivitäten zu kriminalisieren.
2.1.5 Nachkriegszeit – Wiederaufbau, Neustrukturierung
Nach dem Krieg wurden viele Bünde neugegründet, die Jugend zeigte weiter Interesse am ‚bündischen Leben’, viele junge Menschen schlossen sich aber auch anderen Jugendverbänden an.41 Ab 1960 hatten Jugendbünde mit verschiedenen Krisen zu kämpfen. Durch die neu eingeführte Wehrpflicht vielen bei vielen Gruppen die Führer weg, hinzu kamen die zunehmenden Motorisierung und die steigende Zahl elektronischer Medien.42 Sie standen in direkter Konkurrenz zu den Bünden. Ferne Länder konnten jetzt bequem von der Couch aus besichtigt werden. Ein weiterer Aspekt war die Politisierung der Gesellschaft und damit auch der Bünde.43 Auch die geringe Geburtenrate wirkt sich auf die Mitgliederzahlen aus. Heute gibt es nur noch wenige kleine Bünde, die aus der ursprünglichen deutschen Jugendbewegung kommen.
2.2 Was ist das Wesen der deutschen Jugendbewegung?
Das Phänomen ‚deutsche Jugendbewegung’ ist für Außenstehende schwer greifbar und für Teilhaber schwer in Worte zu fassen. Walter Laqueur erklärt das Problem der unzureichenden Dokumentation dadurch, dass „Das Erlebnis der persönlichen Eingliederung in eine charismatische Gruppe […] die emotionale Grundlage der Bewegung“ war und „das innerste Wesen ihres Daseins“44 widerspiegelt. Emotionen lassen sich leider nicht so einfach beschreiben, wie Ereignisse.
[…] doch das größte Hindernis für jede befriedigende Schilderung der Jugendbewegung war stets die Formlosigkeit und Undefinierbarkeit der Bewegung selbst. Jene, die am meisten über ihr inneres Leben wussten, waren keine talentierten Schreiber, denn die Jugendbewegung hatte keinen literarischen Ehrgeiz. Was sie uns schwarz auf weiß hinterlassen hat, ist nur ein Teil der Geschichte und nicht der wichtigste, fast immer war die Wirklichkeit reicher, von tieferer menschlicher Bedeutung als ihr Abglanz in den Schriften.45
Historische Ereignisse zu rekonstruieren und in ihrer Bedeutung einzuordnen, ist eine große Herausforderung; dem Phänomen selbst, nur mithilfe von Literatur, eine authentische Form zu geben, liegt am Rande der Unmöglichkeit.
Die Literatur der Jugendbewegung ist erstens widersprechend – das Einigende lag, wie Erich Weniger mit Recht festgestellt hat, nicht in aussprechbaren Sätzen. Und ihre Literatur ist zweitens beherrscht durch einige rede- und schreibgewaltige Wortführer, die ihre revolutionären Dogmen so laut und wirkungsvoll an den Mann brachten, daß die Öffentlichkeit sie vielfach für „die“ Stimme der Jugendbewegung hielt. Mehr als der Sache gut war, bildeten ihre Gedanken den Blickpunkt der Gesamtbewegung und die Zielscheibe ihrer Kritik.46
Im folgenden Teil werden Definitionsversuche vorgestellt und anhand dieser – in Abstimmung mit eigenen Erfahrungen – wird eine pragmatische Begriffsbestimmung entwickelt, die für den weiteren Verlauf der Arbeit beibehalten wird.
2.2.1 Definitions- und Zuordnungsversuch
Jugendbewegung wird in Meyers Handlexikon von 1921 als „auf Selbsterziehung der Jugend gerichtete Bewegung […], in vielfältigen Richtungen lebendig, teils frei aus der Jugend selbst erwachsen“47 definiert. Diese Definition ist sehr exakt und verliert auch heute, nach fast hundert Jahren ihre Gültigkeit nicht. Allerdings definiert sie eine beliebige jugendliche Bewegung, sie dient damit also lediglich als einleitende Orientierungshilfe zum Komplex deutsche Jugendbewegung. Weiterführend definiert Hermann Giesecke den pädagogischen Aspekt:
Jugendbewegung ist der Versuch gleichaltriger jugendlicher Gruppen, den Prozeß ihrer Sozialisation dadurch mitzubestimmen, daß sie in Distanz zu den dafür vorgesehenen Erziehungsinstitutionen die von der Gesellschaft vorgegebenen Modi des Denkens, Verhaltens und Erlebens modifizieren und dies in gleichaltrigen Gruppen organisieren.48
Hier kommen wir dem Wesen der deutschen Jugendbewegung schon etwas näher. Christian Niemeyer nennt es „Streben nach Erwachsenenfreier Selbstverwirklichung.“49 Walter Laqueur betont in seiner Definition (nun direkt die deutsche Jugendbewegung beschreibend) die „Distanz zu den […] Erziehungsinstitutionen“50 und hebt dabei die Proteststellung hervor:
Die deutsche Jugendbewegung war eine unpolitische Form der Opposition gegen eine Zivilisation, die der jungen Generation wenig zu bieten hatte, ein Protest gegen den Mangel an Vitalität, Wärme, Gefühl und Idealen.51
Weiter schreibt er – und beschreibt damit die Bewegung vor dem ersten Weltkrieg: „Die Jugendbewegung war antipolitisch, war dem Hurrapatriotismus der Bierkneipen feind, der nationalistischen Großmäuligkeit und Prahlerei des offiziellen Deutschland.“52
Oft werden Jugendbewegung und Wandervogel mit Politik und kulturellen Strömungen in Verbindung gebracht, doch es gab und gibt keine allgemeine politische oder kulturelle Richtlinie oder Lehre. Jede Gruppe, jeder Bund bestimmte und bestimmt eigene Leitideen.53 Walter Sauer schreibt dazu:
[…] auch wenn die Jugendbewegung zu vielerlei Disziplinen Beziehungen und Verwandtschaften aufweist, und kaum ein Gebiet aus Wissenschaft und Kultur übrig bleibt, das nicht exponierte Vertreter aus den Bünden vorzuweisen hat, so ist sie doch eine ganz eigenständige Bewegung, die sich nirgendwo in herkömmliche Kategorien und Schemata einordnen läßt.54
Hermann Mau erstellte diese Formel: „Deutsche bürgerliche Jugend erlebt auf Fahrt männliche Gemeinschaft als die Überwindung der Fragwürdigkeiten spätbürgerlicher Lebenswirklichkeit.“55
Franzjörg Baumgart nennt als Gründe für die Entstehung und den Erfolg der Jugendbewegung „einerseits die Sehnsucht nach Natur und Freiheit, das Verlangen nach einfachen und ursprünglichen Lebensformen, der Wunsch nach authentischen Gemeinschaftserlebnissen, die Suche nach neuen Idealen“ und „andererseits die selbstbewußte […] Überzeugung, daß die Jugend zum Träger einer neuen, besseren Zeit werden würde.“56 Diese Aufbruchsstimmung in eine neue Daseinsform wird auch von Reinhard Osterod beschrieben:
Es sollte um mehr gehen als um ein glückliches Beisammensein unter freiem Himmel. So wie Jugend in den Augen der Jugendbewegten mehr war als der bloße Übergang zum Erwachsenendasein, nicht nur Lebensabschnitt, sondern Aufbruch, ja bleibende Lebenshaltung.57
Aus diesen Beschreibungsversuchen geht hervor, dass die Jugendbewegung von vielen Emotionen geprägt war, von vielen unterschiedlich erlebt und beobachtet wurde. Eine einheitliche Beschreibung wurde nie gefunden. Walter Laqueur weiß auch warum:
Jugenderlebnisse sind stets stark und nachhaltig, aber keines gleicht dem anderen. Mitglieder der Jugendbewegung sind überzeugt, nur wer ihr angehört habe, wisse, was sie bedeute. […] Es ist zweifellos, daß die Fakten und Zahlen der Historiker, Soziologen und Pädagogen wenig dazu beitragen, ein Verständnis des Zentralen Erlebens in der Bewegung zu vermitteln. Es ist Sache der Dichter und Romanciers, vielleicht auch der Maler und Komponisten, dem großen, uneingeweihten Publikum das Wandervogelleben zu veranschaulichen. Leider haben sie bisher noch keine Kunstwerke geschaffen, die das tun.58
Sabine Weißler resümiert: „Der Wandervogel ist in großen Teilen eben so fantastisch, wie sein Werk.”59
2.2.2 Erfahrungen und Begriffsbestimmung des Autors
Ausgehend von diesen teils widersprüchlichen Aussagen sollen zunächst eigene Erfahrungen erwähnt werden, um die hier verwendete Begriffsbestimmung begründen zu können.
Im Alter von zwölf Jahren machte ich meine ersten Erfahrungen mit dem Wandervogel. Das erste Fahrtenerlebnis begegnete mir mit einer solchen Intensität, dass mich der Wandervogel fortan nicht mehr losließ. Es war nur eine Wochenendfahrt, doch sie beinhaltete die meisten Elemente, die das Wandervogelleben definieren oder begleiten.60 Für mich wurde die ‚Fahrt’ zur perfekten Freizeitgestaltung und während meine Schulfreunde ihre Freizeit im Freibad, Jugendzentrum, auf Partys oder zuhause vor dem Bildschirm verbrachten, ging ich mit meinen Wandervogelfreunden auf Fahrt oder baute an unserem ‚Nest’, einem alten Bauwagen. Ich wurde dadurch nicht zum Außenseiter, weil genug Zeit blieb, die üblichen Freizeitaktivitäten auch auszuleben. Vielmehr hatte ich eine zusätzliche Beschäftigung gefunden, die in ihrem Anspruch und in ihrer Kontinuität alle anderen übertraf. Der Wandervogel wurde für mich im Laufe der Zeit nicht nur die Freizeitbeschäftigung eines Teenagers, sondern zu einem Lebensprinzip61, das mit einzelnen Freunden geteilt wurde und fortwähren sollte. Mit zunehmenden Alter kamen für mich neue Elemente hinzu, die in Beschreibungen des Wandervogellebens immer wieder genannt werden und Soziales, Praktisches und Kulturelles betreffen.62 Was ich an Kompetenzen – sozialen, handwerklichen und organisatorischen – erworben habe, findet auch im normalen Alltag immer wieder Anwendung. Mein Leben im Wandervogel brachte so vieles mit, dass ich nicht alles in Worte fassen vermag. Aber es kristallisieren sich dabei folgende für heranwachsende Jugendliche wichtige Elemente heraus, die nicht fehlen dürfen, wenn es darum geht, den Wandervogel und damit die Jugendbewegung zu beschreiben:
Den Horizont erweiternde Erfahrungen,
- Freundschaft und Gemeinschaft,
- Erziehung durch Gleichaltrige,
- Lösung von der Erwachsenenwelt,
- Lernen für das Leben,
- Abkehr von Stadt und Technologie und Konsum – und damit die Erfahrung, was wirklich notwendig ist.
Beachtenswert ist, dass diese die Entwicklung vorantreibenden Aspekte völlig ohne den Einfluss Erwachsener ihre Form fanden.
Zurück zur Definition. Hinter vielen, eher formalen, Bestimmungen von Jugendbewegung, verblassen oft die emotionalen Inhalte und damit das Besondere der Jugendbewegung – und vielleicht das Simple. Viele interpretierende Definitionen suchen vielleicht zu tief nach Hintergründen. In jugendbewegten Gruppen werden ganz einfache Bedürfnisse befriedigt, als da wären: Freundschaft, Kameradschaft, Abenteuer und das Gefühl, an etwas Besonderem teilhaben zu dürfen. Jugendbewegung war ein Phänomen, das die Jugend des deutschsprachigen Raumes förmlich bewegte und sie aus der Stadt in die Wälder trieb, um sich und die Welt zu erkunden.
Das neue Selbstbewusstsein ermutigte die jungen Menschen, ihre Existenzberechtigung als Jugend in der Gesellschaft zu beanspruchen und Normen der Bürgerlichkeit zu durchbrechen. Sie vereinte ähnliche Gefühle der Aufbruchsstimmung und „der Wunsch nach authentischen Gemeinschaftserlebnissen“.63
Nun stellt sich die Frage: Welche Gruppen, Bünde, Vereine, Personen dürfen sich jugendbewegt nennen? Eine klare Antwort gibt es nicht. Eine reformpädagogische Kindertagesstätte genießt Einflüsse der Jugendbewegung und ebenso viele Pfadfindergruppen, die dies auch durch ihren Fahrtenstil zeigen. Um im folgenden Teil der Arbeit Verwirrungen auszuschließen, möchte ich mich nun auf eine bestimmte Art von Gruppen festlegen, die gemeint ist, wenn ich von jugendbewegt spreche.
Mit jugendbewegt werden in dieser Arbeit Gruppen bezeichnet, die in der historischen deutschen Jugendbewegung entstanden sind und/oder in ihrer Tradition stehen, sich also an der Grundstimmung der Wandervogelbewegung orientieren. Sie sind unabhängig von externen Institutionen und Geldern, von Religion und Politik und von pädagogischen Ideologien. Ihre Gruppen werden von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen geleitet.
2.3 Existierende Bünde und Abgrenzung zu den Pfadfindern
Nach dieser nicht einfachen Begriffsfindung sollen nun kurz Bünde vorgestellt werden, die als jugendbewegt bezeichnet werden können und in der Tradition der Wandervögel stehen. Abschließend wird der Unterschied zu den Pfadfindern erklärt.
2.3.1 Der Nerother Wandervogel
Die Wurzeln des Nerother Wandervogel finden sich in einer Höhle unweit des Dorfes Neroth. Dort traf sich ein enger Freundeskreis aus dem Altwandervogel in der Silvesternacht von 1919 auf 1920. 1921 gründeten dann die Zwillingsbrüder Karl und Robert Oelbermann offiziell den Bund.64 Heute ist dieser Bund der älteste in seiner Tradition noch bestehende Wandervogelbund.65
Die Tradition der Nerother liegt nicht in der äußeren Form historisch gewachsener Rituale, sondern im Festhalten an bestimmten Mitteln und der daraus folgenden Praxis, die Knaben und junge Männer durch zweckfreie Fahrten in die Welt, mit besonders abenteuerlichem Charakter, einen Erfahrungsraum vermittelt der Vergleiche möglich macht und Persönlichkeit stärkt.66
Der Bund gliedert sich in ‚Orden’, die sich in ‚Fähnlein’ unterteilen. Die Orden sind autonom und nicht ortsgebunden, was den Fähnlein ermöglicht, sich nach Sympathie einem Orden anzuschließen. Dies ermöglicht „die verschiedenen geistigen Richtungen auszuhalten“ und bildet „eine Einheit von Gegensätzen“.67 Der ‚Bundesführer’ sieht seine Aufgabe darin, diese Einheit zu wahren. Er ist auch öffentlicher Ansprechpartner, was die Ordens- und Fähnleinführer entlastet, weil sie sich so voll auf ihre Gruppe konzentrieren können, ohne sich mit Fragen von außen konfrontiert zu sehen.
Durch die starke Zurückhaltung in den Medien und in der ‚bündischen Szene’ wird der Bund einerseits mystifiziert und andererseits oft missverstanden.
2.3.2 Der Zugvogel – deutscher Fahrtenbund
Der Zugvogel wurde von Alo Hamm (Trenk) 1953 nach dessen Austritt aus dem Nerother Wandervogel gegründet. Er unterscheidet sich vom Nerother Wandervogel, welcher auf jegliche politische Position verzichtet, indem er sich deutlich als pazifistisch bekennt und Fremdenhass offiziell ablehnt. Darüberhinaus ist er aber „weder parteipolitisch, noch religiös“. Die pädagogische Zielsetzung, „junge Menschen auf ihrem Weg zu Selbstständigkeit, Verantwortung und Unabhängigkeit zu unterstützen“68, könnte angesichts jugendbewegter Ablehnung jeder Art von Pädagogisierung in Kritik geraten. Solche Floskeln werden jedoch auf der Onlinepräsenz der meisten Bünde u.a. auch zur Beruhigung der Eltern verwendet.
Im Zugvogel sind die ‚Orden’ ortsgebunden und bilden sich aus ‚Rotten’.
2.3.3 Mädchenwandervogel Solveigh
Der erst 1996 gegründete Bund führt die ursprüngliche Wandervogel-Tradition fort, ohne dabei altertümlich zu wirken. Reisen gehen über die europäischen Grenzen hinaus. Auf staatliche Zuschüsse wird verzichtet, um Unabhängigkeit zu gewährleisten. Frauen, die dem Jugendalter entwachsen sind, wechseln in den ‚Älterenbund’.69
[...]
1 Die Hervorhebung bestimmter Wörter erfolgt in dieser Arbeit mit halben Anführungszeichen.
2 Nohl (2002) S. 15.
3 Pross (1964) S. 100.
4 ‚Wandervogel’ werden hier alle Gruppen bezeichnet, die in ihrem Handeln in der Tradition des ursprünglichen Wandervogels stehen.
5 In dieser Arbeit wird ausschließlich die männliche Form verwendet, sie wird als geschlechtsunabhängig verstanden. Heteronormative Zweigeschlechtlichkeit impliziert, dass Menschen mit hiervon abweichender sexueller Identität diskriminiert und ausgrenzt werden.
6 Niemeyer (2013) Titel.
7 Z.B. aktuell: Füller (2015) Die Revolution missbraucht ihre Kinder.
8 Vgl. Niemeyer (2013) S. 17.
9 Schnack (2000) Titel.
10 Lindner (2003): Jugendbewegung als Äußerung lebensideologischer Mentalität: Die mentalitätsgeschichtlichen Präferenzen der deutschen Jugendbewegung im Spiegel ihrer Liedertexte.
11 Laqueur (1962) S. 9.
12 Pross (1964) S. 72.
13 Vgl. Sauer (1978) S. 9.
14 Vgl. Ebd. S. 10.
15 Vgl. Laqueur (1962) S. 7.
16 Vgl. Schneider (1965) S. 11ff.
17 Mogge (2001) S. 10.
18 Vgl. Mogge (2009) S. 18.
19 Vgl. Schneider (1965) S. 18f.
20 Vgl. Ebd. S. 26.
21 Vgl. Laqueur (1962) S. 41.
22 Helwig (1998) S. 148.
23 Vgl. Sauer (2013) S. 300ff.
24 Ziemer (2008) S. 11f.
25 Inschrift eines Steins in der Mauer den Jugendburg Waldeck.
26 Vgl. Demmer; Rappe-Weber (2013).
27 Vgl. Nerohm (2002) S. 60ff.
28 Vgl. Helwig (1998) S. 148.
29 Vgl. Ebd. S.150.
30 Vgl. Demmer; Rappe-Weber (2013).
31 Vgl. Meserle: Fördergemeinschaft.
32 Vgl. Nohl (2002) S. 20.
33 Vgl. Schneider (1965) S. 32.
34 Vgl. Grimm (1983) S. 15.
35 Ebd. S. 16.
36 Vgl. Nerohm (2002) S. 23f.
37 Wilhelm (1963) S. 11.
38 Vgl. Schneider (1965) S. 114ff.
39 Vgl. Ziemer (2008) S. 19.
40 Schneider; Holler (2005) S. 204.
41 Vgl. Schneider (1965) S. 139ff.
42 Vgl. abgedruckter Interviewtext siehe Anhang.
43 Vgl. Siegfried (2014) S. 27.
44 Vgl. Laqueur (1962) S. 251.
45 Laqueur (1962) S. 251.
46 Wilhelm (1963) S. 8.
47 Bibliographisches Institut (1921), zit. n. Funck (1986) S. 63.
48 Giesecke (1978).
49 Niemeyer (2003).
50 Giesecke (1978).
51 Laqueur (1962) S. 14.
52 Ebd. S. 17.
53 Vgl. Ebd. S. 252.
54 Sauer (1978) S. 13.
55 Mau (1978) S. 97.
56 Baumgart (2001) S. 127.
57 Osteroth (2013) S. 78.
58 Laqueur (1962) S. 37.
59 Weißler (2001) S. 26.
60 Einige davon waren: die temporäre Flucht aus der Stadt in die Natur, das Leben in einer Gruppe Gleichaltriger, Musik, Wandern, Zelten, Lagerfeuer, selbstständiges Kochen, das Kennenlernen eigener Grenzen (beim Kräftemessen, beim Wandern mit schweren Gepäck, Hunger, Durst, Schmerzen durch Blasen an den Füßen), Verantwortung übernehmen, Abenteuer erleben (z.B. Flussüberquerung) und Abenteuergeschichten hören.
61 Ulrich Günther beschreibt dies wie folgt: „Sie alle hatten ‚die Gruppe’, und damit das Leben in freigewählten Gemeinschaften gleichaltriger Jungen und Mädchen unter jugendlicher Führung, als Lebensprinzip und entwickelten einen eigenen Lebens- und Umgangsstil“ (Günther 1987: 166).
62 Z.B. das leiten einer Gruppe, Konfliktlösungen (auf sozialer Ebene und organisatorisches), Interesse an Kultur, Musik, Geschichte, Politik Architektur, Natur und Geographie, Kartenlesen, Erwerb von interkulturellen Kompetenzen und Fremdsprachen.
63 Baumgart (2001) S. 126
64 Vgl. Helwig (1998) S. 178ff.
65 Vgl. Ziemer (2008) S. 18.
66 Schulz: Nerother Wandervogel – Politischer Standort.
67 Helwig (1998) S. 179.
68 Zugvogel Deutscher Fahrtenbund e.V.: Über den Zugvogel.
69 Vgl.: Mädchenwandervogel Solveigh e.V.: Unser Bund.
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