Ziel dieser Studie ist der Erkenntnisgewinn zum Einfluss von Episodic Future Thinking auf die Sparbereitschaft zur Altersvorsorge von privaten Haushalten in Deutschland. Durch die vorliegende Studie werden zudem weitere relevante Konzepte auf ihren Einfluss zur Sparbereitschaft getestet. Die Relevanz der eigenverantwortlichen Durchführung zur Sicherung des Lebensstandards nach der Erwerbstätigkeit steigt in Deutschland unter anderem aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung nach dem Berufsleben und der allgemeinen Versorgungssituation durch staatliche Institutionen. Aus diesem Grund hat die vorliegende Arbeit ebenfalls den Anspruch, die Praxisrelevanz dieses Themas zu unterstreichen.
Der Mensch trifft täglich Entscheidungen, die über Handeln oder Nicht-Handeln bestimmen. Wie durch umfangreiche Forschungen der Verhaltenspsychologie bekannt, werden dabei viele Entscheidungen unbewusst und automatisch getroffen. Erst wenn die subjektiv empfundene Relevanz oder der kognitive Aufwand steigt, wird ein bewusster Entscheidungsfindungsprozess eingeleitet. Das menschliche Gehirn arbeitet energiesparend. Impulsive, spontane und automatische Entscheidungen werden von System 1 getroffen, System 2 wird erst bei komplexen Fragestellungen, für die kein Automatismus vorliegt, aktiv. Diese 2-System-Theorie, welche auch als Bestandteil der Prospect-Theorie von Kahnemann und Tversky verstanden wird, kann erklären, warum Menschen objektiv irrationale Entscheidungen treffen, warum sie Handlungen vollziehen, die sie im Nachhinein bereuen oder deren Konsequenzen ihnen nicht vollends bewusst waren.
In diesem Zusammenhang sind Theorien zum zeitlichen Diskontieren sowie der Zeitinkonsistenz relevant. Bei Entscheidungen in Bezug auf Zeitpräferenzen wirken diese Mechanismen auf den Entscheidungsfindungsprozess von Individuen. Grundsätzlich wertet das Individuum die Zukunft ab und zieht positive Ereignisse in der Gegenwart solchen in der Zukunft vor. Anstrengende oder negativ assoziierte Ereignisse oder Handlungen werden lieber in der Zukunft angegangen als in der Gegenwart.
Abstract
Abbildungsverzeichnis
1.1 Individuen und Entscheidungsfindungsprozesse über langfristige Zeiträume
1.2 Definition zentraler Begriffe
1.3 Ziel und Gang der Untersuchung
2.4 Finanzielle Bildung und Inanspruchnahme von professioneller Finanzberatung
3.1 Entstehung und Funktionsweise des Rentensystems in Deutschland
3.2 Darstellung des Rentenniveaus in Deutschland und Ausblick auf die weitere Entwicklung
3.3 Spar- und Altersvorsorgeverhalten privater Haushalte in Deutschland
4 Verknüpfung und Hypothesenentwicklung
5 Methode
5.1 Design
5.2 Messinstrumente
5.3 Durchführung
5.4 Stichprobe
5.5 Datenaufbereitung und geplante statistische Analyse
6 Ergebnisse
6.1 Deskriptive Ergebnisse
6.2 Hypothesentests
6.3 Sonstige Ergebnisse
7 Diskussion
7.1 Zusammenfassung der Hauptergebnisse
7.2 Einordnung der Ergebnisse in die Literatur
7.3 Einschränkungen der Studie
7.4 Beitrag der Studie und Implikation für weitere Forschungen
7.5 Implikation der Studie für die Praxis
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1. Darstellung G*Power Analyse
Anhang 2. Übersicht zur Bestimmung von Verhältniswerten bei neuen Sparbeträgen
Anhang 3. Beispiel vollständiger Testfragebogen Versuchsgruppe
Anhang 4. Beispiel Renteninformation
1 Zunehmende Relevanz entscheidungspsychologischer Konzepte in Bezug auf die Altersvorsorge privater Haushalte in Deutschland
1.1 Individuen und Entscheidungsfindungsprozesse über langfristige Zeiträume
Der Mensch trifft täglich Entscheidungen die über Handeln oder Nicht-Handeln bestimmen. Wie durch umfangreiche Forschungen der Verhaltenspsychologie bekannt, werden dabei viele Entscheidungen unbewusst und automatisch getroffen. Erst wenn die subjektiv empfundene Relevanz oder der kognitive Aufwand steigt, wird ein bewusster Entscheidungs-findungsprozess eingeleitet (Kahnemann, 2012). Das menschliche Gehirn arbeitet energiesparend. Impulsive, spontane und automatische Entscheidungen werden von System 1 getroffen, System 2 wird erst bei komplexen Fragestellungen, für die kein Automatismus vorliegt, aktiv. Diese 2-System-Theorie, welche auch als Bestandteil der Prospect-Theorie von Kahnemann und Tversky verstanden wird, kann erklären, warum Menschen objektiv irrationale Entscheidungen treffen, warum Sie Handlungen vollziehen die sie im Nachhinein bereuen oder deren Konsequenzen ihnen nicht vollends bewusst waren (Kahnemann, 2012; Kahnemann & Tversky, 1979).
In diesem Zusammenhang sind Theorien zum zeitlichen Diskontieren sowie der Zeitinkonsistenz relevant. Bei Entscheidungen in Bezug auf Zeitpräferenzen wirken diese Mechanismen auf den Entscheidungsfindungsprozess von Individuen. Grundsätzlich wertet das Individuum die Zukunft ab und zieht positive Ereignisse in der Gegenwart solchen in der Zukunft vor (Dhami, 2016). Anstrengende oder negativ assoziierte Ereignisse oder Handlungen werden lieber in der Zukunft angegangen, als in der Gegenwart. Durch diese Prozesse strebt das Individuum grundsätzlich eine individuelle Nutzenmaximierung an (Kahnemann, 2012). Neoklassische Ansätze können in der Praxis zu beobachtendes menschliches Verhalten nicht plausibel erklären. Sie unterstellen, dass der Mensch zu jeder Zeit bestrebt ist, den individuellen Gesamtnutzen zu maximieren (Dhami, 2016). In der Realität unterliegt das menschliche Handeln selten dieser Maxime. Selten wird der effizienteste, bestmögliche oder der am gewinnbringendste Weg eingeschlagen. Häufig werden gewohnte, generell zielführende Mechanismen wiederholt. Bei neuen Herausforderungen greifen Heuristiken und bei Fragen zur Zeitpräferenz besteht eine Tendenz zur Maximierung des Nutzens in der Gegenwart (Dhami, 2016; Frederick, Loewenstein, & O'Donoghue, 2002).
Von Richard Thaler geprägte Grundlagenforschungen und Theorien postulieren, dass bei Entscheidungsprozessen bezüglich Zeitpräferenzen zwei Selbst um die Gunst der Entscheidung ringen. Das impulsive, auf kurzfristigen Nutzen bedachte Selbst, welches sämtlichen Nutzen in der Gegenwart vorfinden möchte, und das langfristig orientierte Selbst, welches darauf bedacht ist, auch Nutzen von der Gegenwart in die Zukunft zu transferieren (Thaler & Shefrin, 1981). Welches Selbst die Oberhand hat ist individuell ausgeprägt und kann durch externe Einflussnahme aber auch durch interne Prozesse beeinflusst und verändert werden (Schacter, Benoit, & Szpunar, 2017). Zur Nutzenmaximierung in der Gegenwart werden unangenehme zu erledigende Handlungen in die Zukunft verlagert. Die Theorien zur Zeitinkonsistenz beschreiben, dass das Individuum diesen Prozess häufiger als es sinnvoll oder angebracht wäre durchläuft, da es ihm schwerfällt, den Nutzen von Handlungen in der Zukunft konsequent subjektiv richtig zu bewerten. Auch bei Finanzentscheidungen greifen die geschilderten Mechanismen (Dhami, 2016; Mankiw, 2017).
Entscheidungen für oder gegen die rechtzeitige Durchführung einer privaten Altersvorsorge sind in Deutschland relevant für den Lebensstandard im Rentenalter (DRV Bund, 2021). Das geringere Auszahlungsniveau der Leibrenten der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) im Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit sorgt für eine Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge zur langfristigen Sicherung des Lebensstandards für private Haushalte. Die aktuelle und fortschreitende Kombination aus sinkendem Rentenniveau der GRV, steigender Lebenserwartung, stagnierender Geburtenrate und historisch niedrigen Zinserträgen fordert von privaten Haushalten Aufmerksamkeit und Individualismus in Sachen Altersvorsorge (Wilke, 2016). Diese Aufgabe ist umfangreich. Zum einen sorgt ein, in weiten Teilen, stagnierendes inflationsbereinigtes Einkommen bei steigenden Lebenshaltungskosten für weniger frei verfügbares Einkommen. Zum anderen sorgen die oben dargestellten Aspekte dafür, dass langfristiger Vermögensaufbau auch psychologisch kein einfaches Unterfangen ist (Benölken & Bröhl, 2018). Hinzu kommen Aspekte wie Selbstkontrolle und Selbstdisziplin, also die Fähigkeit, eigene Emotionen und Bedürfnisse zu bewerten und zu ordnen, finanzielle Bildung und die Kompetenz eines Finanzberaters, welche Einfluss auf die Altersvorsorgeentscheidungen vor privaten Haushalten haben (Leinert, 2017; Liu, Yilmazer, Loibl, & Montalto, 2019). Es wird für den jüngeren Teil der Bevölkerung dennoch von großer Bedeutung sein private Altersvorsorge zu betreiben (Benölken & Bröhl, 2018).
1.2 Definition zentraler Begriffe
Hyperbolisches Diskontieren:
Der Begriff der Diskontierung stammt aus der Finanzmathematik und beschreibt die Abzinsung zukünftiger Zahlungen im Verhältnis zu gegenwärtigen Zahlungseingängen. In der Ökonomie sind diese Berechnungen relevant für die langfristige Finanzkalkulation unter Berücksichtigung von Inflation, Zinsen und Opportunitätskosten. Zahlungseingänge in der Zukunft sind in der Regel weniger wert als in der Gegenwart (Bösch, 2019). Unter dem Aspekt der verhaltenspsychologischen Forschung bei Individuen findet das hyperbolische Diskontieren Anwendung. Dieses Konzept sagt aus, dass Individuen zeitinkonsistente Diskontierungsraten bei Entscheidungsprozessen anwenden (Laibson, 1997). Die Diskontierungsrate der kurzfristigen Zukunft im Vergleich zur Gegenwart ist verhältnismäßig höher als die Diskontierungsrate zwischen Zeitpunkten in der entfernteren Zukunft (Dhami, 2016).
Zeitinkonsistenz:
Dieser Begriff beschreibt den Effekt, durch welchen sich von Individuen aufgestellte Pläne für aktuelle und zukünftige Handlungen in der Rückschau als nicht optimal oder zielführend darstellen. Individuen verhalten sich in der Regel inkonsistent bei Betrachtung langfristiger Zeiträume und können den Nutzen von Handlungen oder Zahlungen je Zeitperiode nicht objektiv antizipieren (Frederick et al., 2002). Allgemeine Beispiele sind Prokrastination, Konsum schädlicher Substanzen oder eine ungesunde Ernährungsweise (Hershfield, 2011; Sofis, Lembley, Lee, & Budney, 2020).
Episodic Future Thinking (EFT):
Unter Episodic Future Thinking (zu Deutsch: episodisches Zukunftsdenken oder mentale Zeitreise bzw. Chronästhesie) wird der Prozess verstanden, bei dem Individuen ihre Gedanken bewusst in zukünftige Ereignisse oder Szenarien lenken und über diese Zeitabschnitte nachdenken (Schacter et al., 2017). Dieser kognitive Prozess ist maßgeblich durch folgende Komponenten möglich: Erinnerungsspuren aus dem episodischen Gedächtnis, welche spezifische Erlebnisse repräsentieren können, die Fähigkeit mentale, auch zukünftige, Szenarien zu konstruieren und das Bewusstsein über die eigene Existenz in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Atance & O'Neill, 2001).
Selbstkontrolle:
Selbstkontrolle definiert die bewusste Leitung der eigenen Gedanken und des eigenen Handelns in Richtung eigenständig definierter Zielzustände (Graf, 2019). Zudem umfasst sie die bewusste Kontrolle von, und dem Widerstand gegen, äußere Einflüsse sowie Gefühlen oder Bedürfnissen, die im Widerspruch zu den gewünschten Zielzuständen stehen. In Abgrenzung zur Selbstregulation ist die Selbstkontrolle bewusster und analytischer Natur, wo hingegen Selbstregulation als unbewusste Handlungssteuerung verstanden wird (Graf, 2019).
Generationenvertrag:
Die, auch als Solidar-Vertrag bezeichnete, Vereinbarung bildet die Grundlage des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland. Der Vertrag beschreibt die Vereinbarung zwischen gesellschaftlichen Generationen, dass Individuen, die aktuell im Erwerbsleben stehen durch das sogenannte Umlageverfahren die Altersrenten der Individuen im Ruhestand finanzieren (Horn & Schuchardt, 2015). Sozialversicherungspflichtige erwerbstätige Individuen erhalten dafür Entgeltpunkte, welche ihrerseits einen Anspruch auf den Bezug von Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung darstellen (Horn & Schuchardt, 2015).
Altersvorsorge:
Altersvorsorge umfasst die Maßnahmen, welche Individuen während des Erwerbslebens durchführen um im Ruhestand weiterhin genügend Einnahmen für den Lebensunterhalt zur Verfügung zu haben (Wilke, 2016). Neben den Pflichtbeiträgen zur GRV sind weitere Durchführungswege, wie beispielsweise Sparen, private Rentenversicherungen, der Erwerb von Immobilien, Aktien oder Beteiligungen anderer Art, möglich (Benölken & Bröhl, 2018).
1.3 Ziel und Gang der Untersuchung
Die Arbeit verfolgt das primäre Ziel, den Einfluss von EFT auf die Diskontrate von privaten Haushalten in Bezug auf das Sparverhalten für die private Altersvorsorge darzustellen. Es besteht der Anspruch, einen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die Einflussgrößen einzelner Parameter auf die Zeitpräferenzen von Menschen in Bezug auf langfristige Finanz-entscheidungen zu erzielen und daraus objektive Schlussfolgerungen ableiten zu können. Ein weiteres Ziel der Untersuchung ist es, einen Teil zur Erstellung von wissenschaftsbasierten Konzepten und praxisnahen Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Entscheidungs-findungsprozesse bezüglich der Altersvorsorgesituation von privaten Haushalten in Deutschland beitragen zu können. Der Autor dieser Arbeit ist im Bereich der Finanz- und Vermögensberatung mit Schwerpunkt auf mittel- und langfristigem Vermögensaufbau selbstständig tätig. Daher besteht ebenfalls ein persönliches Interesse an der Auseinander-setzung mit verhaltensökonomischen Konzepten zur nachhaltigen Verbesserung der finanziellen Situation von privaten Haushalten durch individuelle Altersvorsorge.
Im ersten Kapitel dieser Arbeit werden zunächst die theoretischen Grundlagen von, für den Erkenntnisgewinn bezüglich der Fragestellung dieser Arbeit relevanten, wissenschaftlichen Konzepten und der aktuelle Stand der Forschung sowie deren Einfluss auf den Entscheidungsfindungsprozess zur Altersvorsorge von privaten Haushalten dargestellt und erläutert. Anschließend wird die Altersvorsorgesituation von privaten Haushalten in Deutschland dargestellt. Hier wird zunächst die Entstehung und Entwicklung des sozialen Sicherungssystems erörtert und anschließend mögliche zukünftige Entwicklungen und Tendenzen sowie die Rolle des Individuums in diesem Zusammenhang beleuchtet. Aus diesen Themenfeldern wird anschließend die Ableitung der Haupthypothese sowie weiterer Hypothesen dargestellt.
Im darauffolgenden Abschnitt wird das methodische Vorgehen der wissenschaftlichen Umfrage beschrieben. Zunächst wird das Versuchsdesign dargestellt und die Erhebungsinstrumente erläutert. Es folgt die Darstellung der Durchführung der Probandenbefragung sowie der Auswertung. Anschließend folgt die ausführliche Darstellung der deskriptiven Analyse sowie der Hypothesentests und weiterer Ergebnisse der Studie. Im letzten Teil der Arbeit finden eine Zusammenfassung, eine Reflexion der Forschung in Bezug auf die Einschränkungen der Studie sowie eine Implikation in Literatur, in weitere Forschung und in die Praxis statt.
2 Theoretische Grundlagen relevanter wissenschaftlicher Konzepte und deren Einfluss auf die Sparbereitschaft privater Haushalte zur Altersvorsorge
2.1 Zeitliche Diskontierung
Mithilfe von mathematischen Formeln zur Diskontierungsrate können betriebswirtschaftliche Kalkulationen durchgeführt werden, die Aufschluss über Investitionsrendite und Beschaffungskosten geben. Der Zweck besteht darin, für unternehmerische Tätigkeiten die Unsicherheits- und Risikofaktoren der Zukunft in Investitionsentscheidungen einfließen zu lassen, um die Zukunft planbarer und die Ertragssituation kalkulierbarer darstellen zu können (Bösch, 2019). So werden in der Praxis zukünftige Erträge unter anderem durch Faktoren wie Inflationsrate, Opportunitätskosten und Risikozuschlag abgezinst, um deren Wert in der Gegenwart, auch Barwert genannt, bestimmen zu können. Hierdurch können Investitionen mit unterschiedlicher Laufzeit anhand der gegenwärtigen Rentabilität miteinander objektiv verglichen werden (Bösch, 2019). Durch die zunehmende Präsenz von verhaltens-ökonomischer Forschung sowie dem wissenschaftlichen Einfluss von Psychologie und Philosophie auf die Ökonomie konnte dargestellt werden, dass Individuen eine zeitliche Diskontierung nicht nur für Zahlungseingänge in Form von Geldeinheiten auf geschäftlicher Ebene und im unternehmerischen Kontext, sondern auch in alltäglichen Situationen anwenden (Kahnemann, 2012; Soman et al., 2005). Menschen ziehen beispielsweise einen kleineren Zahlungseingang in der Gegenwart einem höheren Eingang in der Zukunft vor. Menschen präferieren günstigere Klimaanlagen mit einem höheren Durchschnittsverbrauch im Vergleich zu teureren mit geringerem Verbrauch. Menschen überschätzen ihre in der Zukunft verfügbaren Ressourcen und unterschätzen den Einfluss der täglichen Gewohnheiten auf eine langfristige Gesundheit (Soman et al., 2005). Grundsätzlich sprechen Menschen einer sofortigen Bedürfnisbefriedigung einen höheren Stellenwert zu als zukünftigen positiven Ereignissen (Rodepeter, 1999). Erklärungsansätze sind die folgenden Aussagen: Die Zukunft ist stets ungewiss, ob ein zukünftiges Ereignis eintritt ist daher unsicher (O'Donoghue & Rabin, 2015). Ob das Individuum auch in Zukunft noch die gleichen Interessen und Vorlieben bezüglich der individuellen Bedürfnisse besitzt ist ebenfalls unsicher, da sich das menschliche Wesen im Zeitverlauf verändert (Frederick et al., 2002). Neurowissenschaftliche Erkenntnisse stellen dar, dass die sofortige Bedürfnisbefriedigung direkt auf das Dopamin-System wirkt, sie macht Menschen kurzfristig glücklich. Auch dies ist ein Erklärungsansatz für die Bevorzugung kurzfristiger Belohnungen (Dhami, 2016; Graf, 2019).
Durch beispielsweise zusätzliche Anreize für den Verzicht in der Gegenwart und die Verlagerung der Bedürfnisbefriedigung in die Zukunft kann die Entscheidung von Individuen zu Gunsten der Zukunft beeinflusst werden (Kahnemann, 2012; Shefrin & Thaler, 1988). Der aktuelle Stand der Forschung beschreibt, dass die Höhe der Belohnung und der dafür angemessene zeitliche Horizont subjektiv und veränderbar sind. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang den Arbeiten von Shefrin & Thaler zufolge der kognitive Abwägungsprozess zwischen dem gegenwartsorientierten System 1 und dem zukunftsorientierten System 2. Diese sind von Individuum zu Individuum unterschiedlich stark ausgeprägt und individuell veränderbar (Sofis et al., 2020; Thaler & Shefrin, 1981).
Nach aktuellem Kenntnisstand beschreibt die Theorie des hyperbolischen Diskontierens den Entscheidungsfindungsprozess in Bezug auf die Abwägung zwischen Gegenwart und Zukunft von Menschen am praktischsten (Frederick et al., 2002; Laibson, 1997). Diese aus der exponentiellen Diskontierungsfunktion abgeleitete und weiterentwickelte Theorie hat zur Kernaussage, dass die Diskontrate im kurzfristigen Zeitverlauf am stärksten ist und anschließend stückweise relativ konstant abnimmt (Frederick et al., 2002; Kirby & Marakovic, 1996; Laibson, 1997). In der folgenden Grafik wird eine typische hyperbolische Diskontierungsrate im Vergleich zu anderen Modellen dargestellt:
Abbildung 1. Diskontierungsraten im Vergleich (Technische Universität Dresden,
2018).
Im Zusammenhang mit Abbildung 1 ist die Theorie der Zeitinkonsistenz entscheidend. Bei Betrachtung des Verlaufs der Nutzenkurve für hyperbolisches Diskontieren zeigt sich diese. Es besteht die starke Tendenz zur Bedürfnisbefriedigung in der Gegenwart, weil der subjektive Wert bei Betrachtung von Zeiträumen in kurzfristiger Zukunft stark fällt (Dhami, 2016). Betrachtet man in der Darstellung den subjektiven Wert von einem Ereignis zwischen Zeitintervall 8-10 ist eine leicht abflachende Bewertung zu erkennen. Menschen würde es leichter fallen, in Zeitintervall 0 die Aussage zu treffen, auf Zeitintervall 10 statt auf 8 zu warten, als in Zeitintervall 0 die Aussage zu treffen, auf Zeitintervall 2 zu warten (Kirby & Marakovic, 1996; Laibson, 1997).
„Hyperbolic discounting functions are characterized by a relatively high discount over short horizons and a relatively low discount rate over long horizons. This discount structure sets up a conflict between today’s preferences, and the preferences that will be held in the future.“ (Laibson, 1997, S. 445). Diese Grundlage kann Verhaltensweisen wie beispielsweise eine ungesunde Ernährung, den unvernünftigen Umgang mit Geld oder Prokrastination erklären (Frederick et al., 2002; Soman et al., 2005).
Die
Problematik lässt sich auf die eigenverantwortliche Durchführung der
Altersvorsorge übertragen. Der Nutzen dieser Tätigkeit wird in der Gegenwart
als sehr gering eingeschätzt, weil eine große Zeitspanne zwischen dem Beginn
des Vermögensaufbaus und dem Nutzen (Konsum im Rentenalter, Sicherung des
Lebensstandards) besteht (Hershfield, Wimmer, & Knutson, 2008; Kirby & Marakovic, 1996; Laibson,
1997). Die Komponente der Zeitinkonsistenz des hyperbolischen Diskontierens
verleitet Menschen zum Aufschieben von Tätigkeiten wie beispielsweise der
Akkumulation von Vermögenswerten (Frederick et al., 2002; Laibson, 1997). Dass
dieser Prozess maßgeblich unbewusst und automatisch stattfindet, erschwert die
Fehlerkorrektur und individuelle Optimierung von Entscheidungsfindungs-prozessen
über langfristige Zeiträume von Individuen (Dhami, 2016). Durch den bewussten Fokus auf zukünftige Ergebnisse oder Belohnung kann
die, in diesem Kapitel dargestellte, überproportionale Bevorzugung der
Gegenwart, der sogenannte Present Bias, gemindert werden (Hershfield et al., 2011; O'Donoghue & Rabin, 2015). Damit private Haushalte
in Bezug auf Finanzentscheidungen im Zeitverlauf subjektiv bessere
Entscheidungen treffen können, sind zum einen externe Unterstützungen und
Anreize hilfreich, aber auch die Erhöhung von Fähigkeiten wie Selbstkontrolle
oder das Aneignen von finanzieller Bildung können zielführend sein (Hershfield
et al., 2008; Schacter et al., 2017; Sofis et al., 2020).
In den folgenden Abschnitten werden diese Einflussfaktoren näher erläutert.
2.2 Episodic Future Thinking
EFT beschreibt die Fähigkeit ein zukünftiges selbstbezogenes Ereignis oder Bedürfnis mental zu durchleben indem die eigene Person in eine zukünftige, noch nicht erlebte, Situation projiziert wird (Schacter et al., 2017). Im Prozess des EFT sind maßgeblich zwei kognitive Fähigkeiten beteiligt. Zum einen das Abrufen episodischer Erinnerungsspuren von bereits Erlebtem und zum anderen die Fähigkeit der Simulation neuer Komponenten auf diesen Erinnerungsspuren zur Erschaffung neuer Eindrücke für den, vom Individuum betrachteten, zukünftigen Lebensabschnitt (Atance & O'Neill, 2001). Hierfür ist das episodische Gedächtnis sowie ein autonoetisches Bewusstsein, definiert als das Bewusstsein über die eigene Existenz des Individuums, die Voraussetzung (Tulving, 1985). Zusammen mit den, unter dem Konzept der Theory of Mind zusammengefassten, Faktoren zur sozialen und emotionalen Entwicklung des Menschen, prägen sich diese Fähigkeiten ab dem vierten Lebensjahr aus (Bischof-Köhler, 2000). Beim Erinnern an vergangene Lebensabschnitte und beim episodischen Zukunftsdenken sind ähnliche Prozesse im menschlichen Hirn aktiviert und beteiligt (Schacter et al., 2017). Die folgende Darstellung trägt zur Veranschaulichung der anschließenden Erläuterungen bei.
EFT ist dem Langzeitgedächtnis zuzuordnen. Dieses umfasst, in Abgrenzung zum Arbeitsgedächtnis, welches für die exekutive situative Funktion des Handelns verantwortlich ist, die Verarbeitung und Speicherung von Informationen (Miyashita, 2004). Es kann in das implizite Gedächtnis, welches unbewusste und nicht verbalisierbare Verhaltensabläufe speichert, und das explizite Gedächtnis, welches verantwortlich für die Speicherung von Ereignissen und Fakten ist, die bewusst und verbalisierbar sind, unterteilt werden (Siegler, Eisenberg, DeLoache, & Saffran, 2016). Faktenwissen ist dem semantischen Gedächtnis zuzuordnen. Im episodischen Gedächtnis werden individuelle Erfahrungen und persönliche Gefühle gespeichert (Siegler et al., 2016). Mentale Zeitreisen sind im episodischen Gedächtnis zu verorten und können entweder eine Retrospektion, also das Wiedererleben bestimmter Erfahrungen und Gefühle, oder eine Prospektion, also die Extrapolation des episodischen Gedächtnisses darstellen (Schacter et al., 2017). Die Neurowissenschaft kann mit funktioneller Magnetresonanztomographie die Aktivierung bestimmter Hirnareale messen (Kellermann, Stöcker, & Shah, 2008). Die folgende Darstellung zeigt die Aktivierung bei mentalen Zeitreisen in Vergangenheit und Zukunft.
Abbildung 3. Aktivierung von Hirnarealen beim Erinnern und Zukunftsdenken (Addis, 2020, S. 236).
Wie auf Seite 9 beschrieben und in der Abbildung 3 ersichtlich, ergibt sich ein ähnliches Aktivierungsmuster. Maßgeblich wird in beiden Prozessen ein Netzwerk aus parahippo-campalem Kortex, seitlichem und mittlerem Parietalkortex, seitlichem Temporalkortex und mittlerem präfrontalen Kortex aktiv (Schacter et al., 2017). Eine besondere Rolle wird dem Hippocampus zugesprochen. Er überträgt Informationen vom Kurzzeit- in das Langzeit-gedächtnis. Ist dieser geschädigt, können Menschen keine neuen Erinnerungen aufbauen (Weiler, 2010). Mentale Zeitreisen in die Vergangenheit ermöglichen es dem Individuum die eigenen Gedanken und Emotionen sowie Handlungen in der Rückschau zu reflektieren und daraus zu lernen. Ableitungen für Handlungen in der gegenwärtigen Situation, wie beispielsweise Fehlervermeidung oder Optimierung der Bedingungen, sind im besten Fall das Resultat dieser Fähigkeit (Suddendorf & Corballis, 1997). Mentale Zeitreisen in die Zukunft können für Individuen ebenfalls Nutzen stiften. EFT kann die Entscheidungsgrundlage von Menschen beeinflussen (Weiler, 2010). Es können durch die bewusste Fokussierung auf zukünftige Ereignisse oder Lebensabschnitte neue Bewertungen von Prioritäten durchgeführt werden, welche ohne ein bewusstes EFT nicht im Vordergrund der Entscheidungs- und Handlungsoptionen des Individuums stünden (Schacter et al., 2017). EFT kann die, in Kapitel 2.1 dargestellte, Diskontrate positiv beeinflussen, sodass die bestehende Verzerrung durch die Zeitinkonsistenz zur Priorisierung der Gegenwart verringert werden kann (Schacter et al., 2017). Dies kann das Individuum zu einer Neubewertung einer Handlung oder Entscheidung bewegen, welche zur Folge haben kann, dass eine weniger stark gegenwartsbezogene Handlungsoption gewählt wird (Schacter et al., 2017). So konnte belegt werden, dass EFT beispielsweise positive Einflüsse auf alltägliche Verhaltensweise wie Essgewohnheiten oder Kaufentscheidungen haben kann (Schacter et al., 2017). Des Weiteren kann EFT Menschen mit Suchtkrankheiten, wie Cannabiskonsum oder Konsum von Tabakprodukten, dabei unterstützen, gesündere Entscheidungen zu treffen. Die Diskontrate konnte durch EFT-Gedanken-experimente gemindert werden (Sofis et al., 2020; Stein, Tegge, Turnern, & Bickel, 2018). Es gibt in der wissenschaftlichen Forschung weitere Beispiele für den positiven Einfluss auf die Diskontrate durch EFT bei abstrakten Themenbereichen wie dem Klimawandel (Bo & Wolff, 2020), aber auch bei persönlichen und emotionalen Problemen wie Angststörungen (Schacter et al., 2017). Forschungen zum Einfluss auf die Sparbereitschaft zur Altersvorsorge konnten darstellen, dass Menschen, die ein Bild des zukünftigen Ichs präsentiert bekommen, im Vergleich zur Kontrollgruppe, eine höhere Bereitschaft zum Sparen für das Rentenalter aufwiesen (Hershfield et al., 2011). So stellt Marques et al. fest: „ … episodic future thinking improves the subjective valuation of delayed rewards by promoting the consideration of its undiscounted value, consequently attenuating temporal discounting.“ (Marques, Mariano, & Lima, 2018, S. 6).
Es kann zusammengefasst werden, dass EFT den Fokus auf die gegenwärtige Bedürfnisbefriedigung mindert und den Blick des Individuums für das Gesamtbild zur intertemporalen Entscheidungsfindung schärft (Atance & O'Neill, 2001).
2.3 Selbstkontrolle
Unter dem Begriff der Selbststeuerung wird die individuelle Lenkung von Gefühlen, Gedanken und Verhalten verstanden (Kuhl, 2010). Möglich ist Selbststeuerung durch die Volition des Individuums, alltagssprachlich bekannt unter dem Begriff des Willens. Volition umschreibt Abläufe, die von der handelnden Person selbst herbeigeführt sind und nicht durch externe, beobachtbare Reize ausgelöst werden (Graf, 2019). Der Begriff der Selbststeuerung umfasst die Emotionsregulation, also den Umgang mit eigenen Stimmungen und Emotionen, die Umsetzungsstärke, welche sich in der Fähigkeit ausdrückt, durch zielorientiertes und realitätsnahes Handeln die eigenen Absichten zu verwirklichen und die Fähigkeit, der kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung zu wiederstehen und sie langfristigen Zielen unterzuordnen (Kuhl, 2010).
Selbststeuerung kann unterteilt werden in Selbstregulation und Selbstkontrolle. Selbstregulation umfasst die weitgehend unbewusste Form der Volition. Es werden nicht bewusste Prozesse gesteuert. Einfluss auf die Steuerung haben dabei autobiografische Erfahrungen wie Bedürfnisse, Motive oder Werte (Graf, 2019). Selbstkontrolle hingegen umfasst die bewusste und formulierbare Selbststeuerung mithilfe von kontrolliertem Verhalten die Gedanken und Handlungen in Richtung der gewünschten Zielzustände zu bewegen. Hierbei werden bewusst Umweltreize oder innere Impulse, die im Widerspruch zu den gewünschten, tendenziell langfristig orientierten, Zielzuständen stehen, zurückgestellt, ausgeblendet oder unterdrückt (Graf, 2019). Selbstkontrolle kann als bewusstes Zielverfolgungsinstrument des Individuums verstanden werden. Die Definition des Begriffs der Selbstdisziplin wird aktuell nicht eindeutig von den Eigenschaften der Selbstkontrolle getrennt und der Begriff wird teilweise synonym verwendet (Graf, 2019). Die folgende Darstellung visualisiert die Theorie der Persönlichkeits-System-Interkationen von Prof. Julius Kuhl aus dem Jahr 2001, welche verdeutlicht, wie die Selbstregulation des Individuums durch Lebenserfahrungen Motive und Werte formt und wie durch die Selbstkontrolle der Prozess der aktiven Steuerung von Zielverfolgungsabsichten zu verstehen ist (Kuhl & Strehlau, 2014). Die PSI-Theorie ist die von Prof. Julius Kuhl weiterentwickelte Handlungskontrolltheorie (1992) und gilt als eine der einflussreichsten Theorien auf diesem Fachgebiet (Graf, 2019).
Abbildung 4. Persönlichkeits-System-Interkationen-Theorie nach Kuhl (Graf, 2019, S.337).
Die dargestellten Eigenschaften, auch in Abbildung 4, zur Selbststeuerung legen nahe, dass dieses Konstrukt auch für intertemporale Finanzentscheidungen von Individuen von Bedeutung ist. So postulieren Shefrin und Thaler in der Behavioral Life-Cycle Hypothesis, welche als eine Erweiterung der Lebenszyklushypothese von Modigliani & Brumberg (1954) zu verstehen ist, dass bei intrapersonellen Abwägungsprozess für intertemporale Finanzentscheidungen zugunsten zeitlich entfernterer Bedürfnisbefriedigungen eine erhöhte Willenskraft notwendig ist (Shefrin & Thaler, 1988). „Foresight is important since retirement saving requires long-term planning. Self-control is necessary because immediate consumption is always an attractive alternative to retirement saving.” (Shefrin & Thaler, 1988) Die benötigte Willenskraft steige, je länger der betrachtete Zeitraum ist (Shefrin & Thaler, 1988).
Es ist wahrscheinlich, dass ein hohes Maß an Selbstkontrolle den Aufbau von Vermögenswerten und die Bereitschaft zum Aufbau von Vermögenswerten für die Altersvorsorge positiv beeinflusst (Frederick et al., 2002). Zu diesem Ergebnis kommen auch Lui et al.: „The first useful finding relates to our confirming the significant positive relationship between self-control ability and saving behavior. With regard to practical implications, this finding suggests that interventions to enhance self-control ability could help households deal with their personal finances and increase savings.” (Liu et al., 2019).
2.4 Finanzielle Bildung und Inanspruchnahme von professioneller Finanzberatung
Unter dem Konzept der finanziellen Bildung (auch Finanzkompetenz oder Finanzbildung) wird die Wissensaneignung ökonomischer und finanzwirtschaftlicher Zusammenhänge und deren kognitive Verarbeitung und Interpretation zur eigenständigen Problemlösung individueller Finanzentscheidungen definiert. Finanzielle (Grund-)Bildung befähigt Menschen, selbstbestimmt und kompetent mit Geld umzugehen (Tröster & Bowien-Jansen, 2016). Dies ist in einem kapitalistisch geprägten Umfeld eine Basisvoraussetzung für die individuelle Lebensbewältigung und Entwicklung (Schmähl, 2009). Der Zugang zu finanzieller Bildung hat sich für Menschen in der westlichen Welt durch den technologischen Fortschritt und die Informationsbeschaffungsmöglichkeit über das Internet verbessert (Oehler & Werner, 2008).
Zwischen finanzieller Bildung und der Akkumulation von Vermögenswerten für die Altersvorsorge besteht ein positiver Zusammenhang (Leinert, 2017). Je besser das Wissen eines Individuums über finanzielle und ökonomische Zusammenhänge sowie zu Finanzprodukten ist, desto leichter wird die Auswahl eines geeigneten Finanzproduktes fallen (Leinert, 2017). Eine ausgeprägte finanzielle Bildung unterstützt Individuen auch schon früher im Entscheidungs-findungsprozess. Eine mangelnde Finanzkompetenz begünstigt eine Aversion gegen finanzielle Angelegenheiten, denn diese Themen erfordern dann einen erhöhten kognitiven Aufwand und Entscheidungen werden unter großer Unsicherheit getroffen (Leinert, 2017). Finanzielle Bildung kann den kognitiven und psychischen Aufwand und damit die Hemmschwelle, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, mindern (Leinert, 2017). Leinert stellt dar: „Allerdings reicht eine Stärkung der Financial Literacy alleine nicht aus. Angesichts der komplexen Materie wird auch künftig ein Großteil der Verbraucherinnen und Verbraucher auf Beratung zur Altersvorsorge angewiesen sein.“ (Leinert, 2017, S. 99).
Eine professionelle Finanzberatung kann in diesem Prozess förderlich sein (Liu et al., 2019). Als professionelle Finanzberatung wird in diesem Kontext die Unterstützung privater Haushalte in der Finanzplanung verstanden. Eine professionelle Finanzberatung klärt Privatpersonen über ihre möglichen Rollen als wirtschaftlich handelnde Individuen auf und bietet zu konkreten individuellen Lebensereignissen sowie zu definierten finanziellen Bedürfnissen und Zielen Lösungen in Form von Finanzprodukten wie beispielweise Kapitalanlagen, Versicherungen, Immobilien oder Krediten an (Habschick & Evers, 2008). Diese Dienstleistung kann ausgehen von staatlichen Institutionen, privaten Gesellschaften wie Banken oder Versicherungs-gesellschaften oder Vertriebs- und Beratungsgesellschaften (Habschick & Evers, 2008).
Regelmäßige Inanspruchnahme führt zu einer Festigung von Finanzwissen und unterstützt Individuen bei der Sammlung von Erfahrungen mit Finanzprodukten (Oehler & Werner, 2008). Dieser Erfahrungsaufbau ist ebenfalls Bestandteil einer Entwicklung von finanzieller Bildung und kann für die Sparbereitschaft zur Altersvorsorge förderlich sein (Liu et al., 2019). Liu et al. postulieren, dass die Inanspruchnahme einer professionellen Finanzberatung einen umso positiveren Einfluss auf die Bereitschaft zum Aufbau von Vermögenswerten hat, je geringer die Fähigkeit zur Selbstkontrolle der Probanden ausgeprägt ist: „ … the positive effect of PFA on financial assets is larger when self-control is low.“ (Liu et al., 2019, S. 31).
Der Inhalt des zweiten Kapitels dieser Arbeit kann wie folgt zusammengefasst dargestellt werden: Der Prozess der zeitlichen Diskontierung und die Zeitinkonsistenz im menschlichen Denken beeinflussen die Bereitschaft zum Sparen für die Altersvorsorge grundsätzlich negativ, es besteht die dargestellte Priorisierung gegenwärtiger Ereignisse. Dieses Problem kann durch bewusste kognitive Prozesse wie das episodische Zukunftsdenken verringert werden, durch diesen Prozess wird dem Individuum die eigene Existenz in Zukunft und die Relevanz des Themas bewusster. Zusätzlich wirken die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die finanzielle Bildung und die Inanspruchnahme von professioneller Finanzberatung in unterschiedlicher Weise auf die Bereitschaft zum Aufbau von Vermögenswerten. Eine hohe Fähigkeit zur Selbstkontrolle erhöht die Sparbereitschaft. Eine hohe finanzielle Bildung ist ebenfalls förderlich. Die Inanspruchnahme von Finanzberatung kann das Finanzwissen verbessern und wirkt sich positiv auf die Sparbereitschaft aus, wahrscheinlich vor allem bei Menschen mit einer geringeren Fähigkeit zur Selbstkontrolle.
Im folgenden dritten Kapitel dieser Arbeit wird die Altersvorsorgesituation privater Haushalte in Deutschland dargestellt.
3 Rahmenbedingungen und aktuelle Einordnung der Altersvorsorgesituation privater Haushalte in Deutschland
3.1 Entstehung und Funktionsweise des Rentensystems in Deutschland
Das staatlich organisierte Sozialsystem, wie es im 21. Jahrhundert in Deutschland vorzufinden ist, entwickelte sich ab 1881 unter der Führung des damaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck. Im darauffolgenden Jahrhundert entstand für einen Großteil der Bevölkerung Zugang zu medizinischer Behandlung, eine finanzielle Absicherung bei Erkrankungen und eine Einnahmequelle auch für den Zeitraum nach der Phase der aktiven Erwerbstätigkeit (Pätzold & Tolkmitt, 2018). Der Weg dorthin allerdings war langwierig und der heutzutage geltende Standard wurde sukzessive erreicht. Noch im Jahr 1910 gaben beispielsweise Arbeiter von Daimler-Motorenwerke bei einer Befragung von Schumann zur Bestreitung des Lebens-unterhalts nach dem aktiven Erwerbsleben die folgenden Antworten:
Noch vor circa 100 Jahren war die Situation eines Großteils der Menschen in Deutschland im Alter oder der Menschen die aufgrund einer Krankheit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnten, unsicher oder prekär (Wilke, 2016). Die heutigen staatlichen Sicherungssysteme wurden durch die politische Stoßrichtung einer sozialen Marktwirtschaft und durch Umverteilung von privatem Wohlstand zur Erhöhung des Gemeinwohls aufgebaut (Wilke, 2016). Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, zu welcher Zeit durch den kapitalistischen Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika auf die Besatzungsregionen Deutschlands und durch die Industrialisierung schneller Fortschritt, eine hohe Produktivität und ein starker Export entstehen konnte, hat sich das Gemeinwohl in Deutschland im weltweiten, aber auch im europäischen Vergleich positiv entwickelt (Batan & Jong, 2015). Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf betrug im Jahr 2019 in Deutschland 46.472,62 US-Dollar. Damit liegt Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz 18 und im europäischen Vergleich unter den 10 Ländern mit dem größten BIP (IMF, 2020).
Die GRV ist politisch mit einem Generationenvertrag beschlossen (Horn & Schuchardt, 2015). So verteilt diese Institution die Beiträge zur GRV der zum aktuellen Zeitpunkt erwerbstätigen Bevölkerung auf die Bevölkerung im Ruhestand um. Im Gegenzug erhalten die erwerbstätigen Personen Ansprüche auf zukünftige Rentenzahlungen in Form von Entgeltpunkten der GRV. Je höher das Einkommen, desto mehr Entgeltpunkte werden gutgeschrieben, je mehr Entgeltpunkte zum Rentenbeginn vorliegen, desto höher fällt die Auszahlung der GRV im Verhältnis zur durchschnittlichen Auszahlung aus (Horn & Schuchardt, 2015). Neben der Zahlung von Altersrenten ist die GRV außerdem zuständig für die Zahlung von Erwerbsminderungs-, Witwen- und Waisenrenten an Mitglieder (Horn & Schuchardt, 2015). Es sei erwähnt, dass nicht alle Menschen in Deutschland Mitglied in der GRV sind. Verbeamtete Personen erhalten vom Staat eine Pension, selbstständige Personen können sich freiwillig in der GRV versichern und Menschen, die keiner Erwerbstätigkeit nachkommen, erhalten eine Grundsicherung vom Staat (Benölken & Bröhl, 2018). Da aber der Großteil der Bevölkerung Mitglied der GRV ist, im Jahr 2018 waren es circa 58.000.000 Menschen (Deutsche Rentenversicherung, 2020), wird auf diese besonders wichtige Institution primär eingegangen. Das Konzept Generationenvertrag erwies sich zunächst als stabil. Doch durch die Entwicklung der Lebensweisen in wohlhabenderen Gesellschaften und durch technischen und medizinischen Fortschritt änderten sich die Rahmenbedingungen. Die Fertilitätsrate in Deutschland liegt im Jahr 2019 bei 1,54 (Statistisches Bundesamt 2020). Die Lebenserwartung für Menschen in Deutschland steigt (World Bank, 2020). Die folgende Darstellung veranschaulicht diese Entwicklungen, welche unter dem Begriff des demografischen Wandels zusammengefasst werden können.
Abbildung 6. Demografischer Wandel in Deutschland von 2019-2060 (Janson, M., 2021).
Der Darstellung ist zu entnehmen, dass sich der Anteil der Bevölkerung in Deutschland zwischen 30 bis circa 65 Jahren verringern wird, wohingegen der Anteil der Bevölkerung zwischen 70-100 Jahren ansteigt. Anfällig ist die Stabilität der GRV kurz- und mittelfristig zusätzlich, wenn sich die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-verhältnisse verringert (Kuckertz, Perschke, Rottenbacher, & Ziska, 2019). Diese dargestellten Faktoren wirken negativ auf das Herzstück der gesetzlichen Rentenversicherung, den Generationenvertrag (Schmähl, 2009). Dies hat zur Folge, dass der Staat die Lebensstandard-sicherung der Gesamtbevölkerung langfristig mit diesem Modell nicht vollständig gewährleisten kann. Rentenreformen im Jahr 2002 und 2005 minderten das Rentenniveau, entwickelten Instrumente zum Anreiz der privaten Altersvorsorge und machten die Bevölkerung aufmerksam auf die zukünftige Aufgabe des Staates und der GRV in diesem Zusammenhang als eine unter drei Säulen zur Altersvorsorge von privaten Haushalten (Benölken & Bröhl, 2018). Die folgende Darstellung unterstreicht den Wandel zur eigenverantwortlichen Altersvorsorge.
Abbildung 7. Schaubild 3-Säulensystem der gesetzlichen Rentenversicherung (Sibinski, 2020, S. 12).
Im 3-Säulensystem der Vorsorge für das Rentenalter stellt die gesetzliche Rentenversicherung eine Grundversorgung dar. Die Bürgerinnen und Bürger stehen in der Verantwortung, durch zusätzliche eigene Aktivitäten der Altersvorsorge, in Form geförderter und privater Möglichkeiten, eine finanziell gesicherte Phase nach der aktiven Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Ziel ist es, dass die Mitgliedschaft der GRV in Kombination mit der geförderten privaten Altersvorsorge flächendeckend umgesetzt wird. Dadurch soll die Sicherung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse im Rentenalter sichergestellt sein (Sibinski, 2020). Durch die individuelle zusätzliche private Altersvorsorge haben private Haushalte die Möglichkeit, eine Sicherung des Lebensstandards während und nach der Erwerbstätigkeit anzustreben und wenn möglich sogar auszubauen und langfristig zu erhalten (Sibinski, 2020). Im folgenden Kapitel wird die Situation des Rentenniveaus in Deutschland dargestellt.
3.2 Darstellung des Rentenniveaus in Deutschland und Ausblick auf die weitere Entwicklung
Um die, im vorherigen Kapital dargestellte, Sicherung des Lebensstandards im Rentenalter erreichen zu können, ist dementsprechend ein erhöhtes Maß an Eigenverantwortung von der Bevölkerung vorausgesetzt. Um dies zu verdeutlichen, wird in diesem Kapitel die aktuelle Versorgungssituation der Bevölkerung in Deutschland dargestellt und durch Prognosen ein Ausblick der zukünftigen Entwicklung beleuchtet. Die folgende Darstellung zeigt die Entwicklung des Rentenniveaus der GRV.
Abbildung 8. Entwicklung des Sicherungsniveaus der GRV von 2021 bis 2033 (BMAS, 2019).
Das Rentenniveau gibt an, welchen prozentualen Anteil des durchschnittlichen Bruttoeinkommens aus Erwerbstätigkeit die GRV den Mitgliedern im Ruhestand auszahlt. Die durchschnittliche monatliche Altersrente der GRV beträgt im Jahr 2019 951,87 EUR (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2020). Das in Abbildung 8 dargestellte Niveau wird aufgrund der im vorherigen Kapitel genannten Faktoren sinken. Zudem steht auf der politischen Agenda regelmäßig eine Diskussion über die Notwendigkeit der Anhebung von Beiträgen zur GRV von aktuell erwerbstätigen Personen (Benölken & Bröhl, 2018). Die Kombination aus sinkenden Ansprüchen und steigenden Beiträgen kann zusammenfassend als weiterer Indikator für zukünftige Entwicklungen der GRV betrachtet werden. Dass die GRV, entgegen der Prognosen, an Stabilität gewinnt und die Auszahlungskraft für die Mitglieder sich verbessert, wird durch diese Aspekte nach Auffassung des Autors zunehmend unwahrscheinlich.
Diese Informationen verdeutlichen, dass das 3-Säulensystem keine zusätzlichen Empfehlungen darstellt, um den Lebensstandard im Rentenalter anzuheben, sondern die Notwendigkeit einer individuellen Altersvorsorge zum Erreichen einer Lebensstandsicherung im Rentenalter unterstreicht (Sibinski, 2020). Hierauf wird die Bevölkerung regelmäßig unter anderem durch die ergänzenden Hinweise auf der Renteninformation der GRV hingewiesen: „Zusätzlicher Vorsorgebedarf – Da die Renten im Vergleich zu den Löhnen künftig geringer steigen werden und sich somit die spätere Lücke zwischen Rente und Erwerbseinkommen vergrößert, wird eine zusätzliche Absicherung für das Alter wichtiger („Versorgungslücke“). Bei der ergänzenden Altersvorsorge sollten Sie – wie bei Ihrer zu erwartenden Rente – den Kaufkraftverlust berücksichtigen.“ - Muster Renteninformation (Nies, 2018) Die folgende Darstellung veranschaulicht die Verteilung der Einkommensquellen von Menschen im Ruhestand.
Abbildung 9. Übersicht Einnahmequellen der aktuellen Rentengeneration (BMAS, 2015).
Es wird deutlich, dass die geförderte Altersvorsorge bislang nicht flächendeckend genutzt wurde, um die Minderungen des Auszahlungsniveaus der GRV zu kompensieren. Auch eine private Altersvorsorge, ohne staatliche Förderung, wird ihrer Aufgabe zum aktuellen Zeitpunkt nicht gerecht. Die Darstellungen der aktuellen Situation und die Prognosen machen deutlich, dass bei unveränderten Rahmenbedingungen die Rentensituation von aktuell erwerbstätigen Personen schlechter sein wird, als die der aktuellen Rentengeneration (Benölken & Bröhl, 2018). Im folgenden Kapitel wird daher auf das Sparverhalten und die Vorbereitung der Bevölkerung in Deutschland auf den Ruhestand eingegangen.
3.3 Spar- und Altersvorsorgeverhalten privater Haushalte in Deutschland
Die Analyse des Spar- und Anlageverhalten privater Haushalte in Deutschland kann zeigen, inwieweit die geforderte Eigenverantwortung in der Bevölkerung wahrgenommen und umgesetzt wird. Sie kann sich durch eine Erhöhung von Sparquoten für die Zukunft darstellen (DRV Bund, 2021). Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung von Sparquoten (prozentuale Angabe vom Nettoeinkommen) in Deutschland.
Abbildung 10. Übersicht Sparquoten von 1991 bis 2019 (Statistisches Bundesamt, 2020).
Es zeigt sich, dass keine Erhöhung der Sparquoten innerhalb der letzten zwanzig Jahre zu verzeichnen ist. Grundsätzlich neigen Menschen dazu, in Krisenzeiten Sparquoten zu erhöhen und in Zeiten mit positiven wirtschaftlichen Aussichten die Sparquoten zu verringern (Prollius, 2016). Dies zeigt sich ebenfalls in der Grafik. Während der Wirtschaftskrisen zu Beginn der 2000er Jahre stiegen Sparquoten leicht. Über das Gesamtbild ergibt sich jedoch die Tendenz eines Abwärtstrends (Prollius, 2016). Auch im Jahr 2020, zum Beginn der weltweiten COVID-19-Pandemie, wurden Sparquoten erhöht. Sparquoten im Jahr 2020 lagen bei circa 16,2% (Statistisches Bundesamt, 2021). Ob diese Entwicklung nachhaltig ist, oder wie in den vergangenen Krisen nur eine kurzfristige Trendwende darstellt, bleibt abzuwarten. Im Jahr 2020 wurden Rekordzahlen in Bezug auf die Depoteröffnungen bei Online-Banken verzeichnet. Hauptsächlich eröffneten junge Menschen diese Konten. Es stieg das Interesse an Geldanalgen und Aktieninvestments (comdirect magazin, 2021). Aus dem Berateralltag kann der Autor diesen Trend zur Bereitschaft für den Erwerb von Unternehmensanteilen wie Aktien bestätigen. Auch hier bleibt abzuwarten, ob es sich um eine nachhaltige Entwicklung handelt. Der Blick über die Bestandsaufnahme der Sparquote hinaus führt zur Analyse der bestehenden Geldanlageprodukte privater Haushalte.
Abbildung 11. Übersicht Sparprodukte privater Haushalte (Verband der privaten Bausparkassen, 2020).
Diese Analyse ist aus zweierlei Gesichtspunkten relevant. Sie stellt dar, welche Altersvorsorgeprodukte in der deutschen Bevölkerung beliebt sind. Hieraus lässt sich eine Risikoaversion deutscher Sparer und Anleger ableiten. Es ist erwähnenswert, dass die zu erwartende Rendite entscheidend für das Gelingen der Sicherung des Lebensstandards im Rentenalter ist (DRV Bund, 2021). Zudem lässt diese Grafik einen Rückschluss auf die Herangehensweise an die Altersvorsorgeproblematik zu. Versicherungsprodukte und Bausparverträge werden zumeist aktiv durch Vertreter oder Banken mit dem Anreiz von Abschlussprovisionen verkauft (Benölken & Bröhl, 2018). Es kann die Hypothese abgeleitet werden, dass private Haushalte seltener die aktive Suche nach geeigneten Anlageprodukten betreiben, sondern dazu tendieren, passive Abschlussentscheidungen zu tätigen (Wilke, 2016).
Der Begriff der Altersvorsorge umfasst auch den Erwerb der selbstgenutzten Immobilie. Auch diese stellt eine Vorsorge für das Rentenalter dar, da die Bewirtschaftungskosten der selbstgenutzten Immobilie in der Regel geringer ausfallen als Mietausgaben. So können private Haushalte die anfallenden Kosten im Rentenalter verringern. Die alleinige Senkung der Kosten im Rentenalter macht zusätzlichen Vermögensaufbau nicht obsolet (Metzger, 2015). Aktuell besteht in Deutschland eine Eigentümerquote von circa 50% mit einer leicht steigenden Tendenz (BBSR, 2017).
3.4 Darstellung von Ursachen und Folgen aktueller Rahmenbedingungen und Verhaltens-weisen privater Haushalte
Die Ursachen für die aktuelle Spar- und Altersvorsorgesituation privater Haushalte in Deutschland sind vielseitig. Relevant erscheint die Annahme von privaten Haushalten zum Versorgungsauftrag des Staats (Grimmer & Maas, 2002). Noch im Jahr 1997 wurde von Herrn Dr. Norbert Blüm (CDU), Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, mit der Aussage „Die Rente ist sicher!“ die Stabilität des Generationenvertrags der sozialen Sicherungssysteme betont (Deutscher Bundestag, 2012). Im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger ist der Anspruch an eine angemessene Versorgung nach dem aktiven Erwerbsleben, auch durch diese politischen Versprechen, ausgeprägt (Grimmer & Maas, 2002). Die politischen Entscheidungen der vergangenen zwei Dekaden waren für die Stabilität des Generationenvertrags notwendig. Sie führten aber, wie in den vorherigen Kapiteln ausführlich dargestellt, nicht zur Erfüllung der Erwartung des Vorsorgeanspruchs der Bevölkerung (Benölken & Bröhl, 2018).
Eine weitere wichtige, auch psychologisch relevante, Ursache ist die steigende Lebenserwartung. Die Versorgungsproblematik für einen langen Zeitraum nach dem aktiven Erwerbsleben ist ein neues Phänomen und trat in das Leben der Menschen erst durch die in dem vergangenen Jahrhundert gestiegene Lebenserwartung (Hershfield, 2011). Eine im Jahre 2018 in Deutschland geborene Person hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81 Jahren, im Vergleich dazu lag die Lebenserwartung im Jahr 1960 bei 69 Jahren (World Bank, 2020). Es war in der Menschheitsgeschichte schlicht nicht notwendig, für eine lange Zeit nach der aktiven Erwerbstätigkeit vorzusorgen (Hershfield, 2011).
In diesem Zusammenhang ist auch ein Blick auf die Entwicklung der Einkommen privater Haushalte relevant. Zwischen 1991 und 2014 sind die real verfügbaren Einkommen der einkommensschwächsten Haushalte in Deutschland gesunken. Die der mittleren Einkommensgruppe stiegen um 8% (Grabka & Goebel, 2017). Diese Haushalte trafen im selben Zeitraum die Reformen der GRV (Benölken & Bröhl, 2018). Die Budgetrestriktion, welche in der makroökonomischen Lehre beschreibt, dass für theoretisch unendlich viele Bedürfnisse nur ein begrenzter Rahmen finanzieller Ressourcen zur Verfügung steht (Conrad, 2017), spitzt sich hier zu. Die Sparfähigkeit, also das frei verfügbare monatliche Einkommen, privater Haushalte leidet unter diesem Sachverhalt (Grabka & Goebel, 2017).
Um bewusste Entscheidungen eigenverantwortlich treffen zu können, sind themenspezifische Grundkenntnisse förderlich. Studien zur finanziellen Bildung von Privathaushalten, zum Beispiel die Analyse von Schmidt und Tzamourani im Jahr 2017, kommen zu dem Ergebnis, dass rund 60% der deutschen Bevölkerung ein solides allgemeines Finanzwissen besitzt (Schmidt & Tzamourani, 2017). Finanzwissen wird auch von Finanzdienstleistungs-gesellschaften wie Banken und Versicherungen an private Haushalte vermittelt. Diese sind in der Regel nicht frei von Interessenskonflikten, sodass auch hier die individuelle finanzielle Bildung der privaten Haushalte als Kontrollinstanz relevant bleibt (Benölken & Bröhl, 2018).
Nicht zuletzt ist auf den Anlagenotstand hinzuweisen, welcher sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 zuspitzt (Österreichische Nationalbank, 2021). Einst gewinnbringende, sichere Geldanlagen wie Bausparverträge, Lebensversicherungen und Bankprodukte werfen aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase zum aktuellen Zeitpunkt kaum noch Rendite ab (Urban, 2021). Diese sind, wie in Abbildung 11 dargestellt, Produkte, welche von privaten Haushalten häufig genutzt werden. Ohne Rendite wird es nicht nur aufwändiger, die notwendigen Vermögenswerte zur Sicherung der Lebensstandards im Alter aufzubauen, es fällt dem Individuum auch schwerer, mit dem Sparen zu beginnen, wenn die Belohnung zum Konsumaufschub wegfällt. Denn wie in Kapitel 2.1 dargestellt, wirkt sich eine Belohnung in Zukunft grundsätzlich positiv auf die Diskontrate aus. In diesem Zusammenhang ist die Kapitalmehrung durch Erträge und Rendite relevant (Dhami, 2016).
- Citar trabajo
- Alexander Mint (Autor), 2021, Zeitpräferenzen und die Sparbereitschaft zur Altersvorsorge, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1043355
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