Christa Wolf: Der geteilte Himmel
1. Informationen zur Autorin
- Geb. am 18.März 1929 in Landsberg/Warthe (Schlesien, heute polnisch) als Tochter von Kaufleuten (kleinbürgerliche Verhältisse) ---Schulbesuch
- 1945 Flucht nach Mecklenburg
- 1949 Abitur---Germanistikstudium, Beitritt zur SED
- 2 Jahre nach Beginn: Heirat---2 Töchter
- Verschiedene Berufe im schrifstellerischen Bereich---Vorstandsmitglied im Bund dt. Schriftsteller
- 1962 Umzug in die Nähe von Berlin---Freie Schriftstellerin---1. Erzählung erscheint
- Jahr darauf: Der geteilte Himmel---Anerkennung in Ost und West---Verfilmung
- 1968 Roman: Nachdenken über Christa T. (kritischer als Himmel)
- 1976 Protest gegen die Ausbügerung von Wolf Biermann---erste offene Kritik--- Verschärfte Beobachtung durch Stasi---nach der Wende: Erzählung: Was bleibt (Beschreibung 24 Stunden unter Dauerüberwachung)
- 1983 Erzählung: Kassandra
- Insgesamt 17 Veröffentlichungen, große Anerkennung in Ost und West
- noch nicht gestorben
2. Historischer und gesellschaftlicher Hintergrund
- Hintergrund der Handlung der Erzählung
- Um 1960 in der DDR
- DDR im Stadium des Aufbau des Sozialismus
- Entstalinisierung --- ideologische Lockerung, Größere Freiheit
- Bodenreform: Land wird zu LPGs zusammengefasst
- Problem durch viele Flüchtlinge in den Westen (Mangel an Arbeitskräften)
- Zuspitzung der Berlin-Krise im Sommer 61
- Kriegsgefahr
- BRD kündigt Handelsabkommen---Wirtschaftskrise
- 13. Aug. 61 Mauerbau: Beendigung der Konflikte
- danach Optimismus---Erweiterter Ausbau des Sozialismus
- neue „Gegener“ innerhalb der Grenzen: Rückschrittliche Genossen---Grundthema der Literatur
- „Bitterfelder Weg“ Betriebspraktika für Anghörige der Intelligenz, also auch Schriftsteller (auch Christa Wolf)
3.Inhalt der Erzählung
- Beginn: Ende August 61: Rita erwacht nach Selbstmordveruch aus Ohnmacht
- Nervenzusammenbruch (weint ohne Ende)
- Einweisung ins Sanatorium
- Erinnerungen (eigentliche Handlung, Zwischeneinblendungen/ Sanatorium)
- 2 Jahre vorher
- Rita (19) lebt mit Tante und Mutter in kleinem Dorf auf dem Land ---Schulbesuch nach Geldmangel beendet---langweilige Arbeit im Kreisstadtbüro einer kleinen Versicherung
- 2 Veränderungen:
- Beim Tanzen Kennenlernen des hochmütigen Manfred (29) aus der Stadt--- große Liebe auf den ersten Blick
- Erwin Schwarzenbach, Bevollmächtigter für Lehrerwerbung kommt in die Kleinstadt und wirbt Rita an
- R. zieht in die Großstadt (Halle an der Saale) und bei M. und seinen Eltern ein
- R. arbeitet (auf Schw. Rat) in Waggonwerk----Brigade Ermisch--- Rolf Meternagel als „Lehrer“ (anfangs sehr ungeschickt) und Ansprechperson---Hilfe bei der Integration
- Keine Integration in M.s „toter“ Familie---Atmosphäre immer sehr angspannt (schlechtes Verhältnis M./seinen Eltern)---Explosion
- Festlicher Anlass---R. lernt Wendland kennen (neuer Werksleiter)
- Durch Fehlorganisation und Privategoismus Krise im Werk
- Meternagel beginnt Kampf für mehr Einsatz von jedem (erst kein Mut, 2 Degradierungen) --- Gewinnt in Brigade Ermisch ( 10 Fenster pro Schicht)
- Studienanfang am Lehrerinstitut---Schwarzenbach = Dozent--- oft einsam
- 1. Besuch bei Schwarzenbachs (gefällt ihr gut)---Streit mit M.
- R. spricht von Mangold (soll Vobildfunktion haben, riesiges Wissen---Dogmatiker)
- M. arbeitet mit einem Studenten an neuer Maschine---sehr wichtig für ihn
- Wendland besucht M. --- Wendland vertraut M. seine Probleme an---1. Gespräch von Vorteilen des Westens
- Weihnachten: missglückte Abendgesellschaft beim Professor
- M. erfährt das Projekt abgelehnt---Hoffnungen zerstört
- R. mischt sich in politische Diskussion ein
- M. fährt zum schuldigen Werk
- Eltern von Kommolitonin Ritas fliehen in den Westen---R. hilft ihr---Mangold will für Exmatrikulation sorgen--- kann mit niemanden über ihn reden
- ist am Ende---flieht in ihr Dorf---Veränderungen und Unruhe durch Bodenreform--- R. bekommt neue Kraft
- R. und auch M. (erfolgslos) kehren zurück---mit Schwarzenbachs Hilfe Kampf gg Mangold---bekommen Recht---seine verletzlichen Seiten kommen zum Vorschein
- Fahrt mit neuem Leichtbauwagen (Steckenpferd von Wendland)---politische Diskussion M.-Wendland---Nachricht vom ersten russischen Kosmonauten im All- --großer Jubel---Wendland erzählt M. von Degradierung seines Vaters --- Streit
- M.s Verhältnis zur Umwelt verschlechtert sich immer mehr (offener Haß auf Eltern)---immer schlecht gelaunt--- sucht noch Sicherheit in R.--- R. hat Angst um Liebe (Entfremdung)
- R. besteht Prüfung---M. nicht da---geht mit Wendland Essen---M. hat‘s gesehen--- macht Szene---R. sagt ihm offen ihre Meinung---M. verspricht Besserung
- 2-3 Wochen später:
- M. fährt zu Chemikerkongress nach West-Berlin---kommt nicht zurück---R. zerstört, wird zur Hülle ihrer selbst---Brief mit Aufforderung zum Nachkommen
- M. Mutter stirbt--- Wendland bei Beerdigung
- Allg. Kriegsangst
- Leichtmetallwagen wird auch nicht gebaut (kein Metall aus W.)
- Extrem heißer Sonntag: R. fährt zu M. (wohnt in W. bei Tante in kleinem Zimmer, unglücklich, guter Job)---gehen in vertrockneten Park---M. will, daß R. bleibt--- Streit---langsames Loslösen voneinander---R. fährt zurück
- Mauerbau: R. in Werk
- Unbewußter Selbstmordversuch im Werk (weil Liebe vergänglich Zusammenbruch zwischen auf sie zurollenden Waggons)
- Sanatorium: viel Besuch und bedeutungsvolle Träume
- R. bekommt von Freund Brief von M. (Rechtfertigung)
- Meternagel: 12 Fenster pro Schicht
- Schwarzenbach: Fragt R. Immer Wahrheit? (Artikel gg Dogmatiker, Ärger)
- Entlassung:
- R. läuft durch Stadt
- Besuch bei schwerkrankem Meternagel (Kampf nie aufgegeben, 14 Fenster)
4. Einordnung, Aufbau und Sprache
a) Einordnug:
- Entwicklungsroman oder Ankunftsroman (DDR): Hauptfigur verwirklicht sich selbst, findet Weg in die sozialistische Gesellschaft
- Allg. Kunsttheorie: Funktion der Literatur als ideologische Massenerziehung--- Auseinandersetzung mit Sozialistischem Realismus (Grundsätze auf sozialistischer Basis: Vorbildlichkeit, Optimismus, Parteilichkeit)---Zensur
b) Aufbau:
- Erzählung (Untertitel)
- Prolog und Epilog: Ausblick über Geschichte hinaus, Bezug auf Geschichte
- P: Einleitung, abgewendete Kriegsgefahr und Zuwenden zum Alltag
- E: R. sieht Freundlichkeit der Menschen, vermittelt Zuversicht
- Gegenwarts- und Reflexionseben (Krankenhaus/Sanatorium) --- Vergangenheits-und Ereigniseben
- Analyse der Entfremdung mit M. / Gründe für Entscheidung für DDR
- Erzählung aus auktorikaler Sicht, aber geringer Gebrauch des Allwissens
- Subjektive Erfahrung R.s, innere Monologe
- Optimistische Grundhaltung, subjektive Authenzität
c) Sprache:
- Im wesentlichen gesprochene Sprache
- Viele realistische Dialoge
- Naturmetaphorik zum Ausdruck von Empfindungen
- Oft sehr konventionell verwendet (z. B. Wetter = Gefühlslage)
- Überzeichnet (z. B. Zur Beschreibung des Westens: heißer, trockener Park)
- Zum Umgehen von Zensur
- kein Humor oder Ironie
- Überfrachtete Bedeutung jeder Szene
- Sprache und Metaphorik lediglich Instrument
5. Interpretation:
- Problem: Unterschiedliche Sichten von Ost und West, gewollte vielfältige Möglichkeiten
- Nichts zufällig gewählt
a) Orte:
- Arbeiten, Lernen, Leben
- Werk: Mittelpunkt im sozialistischen Alltag
- Gegensatz Stadt-Land
- Sanatorium: Ort zur Eingewöhnug in die Normalität, in den Alltag
- Westen:
- Keine richtige Auseinandersetzung mit dieser Thematik
- Verschwommene Darstellung und Argumentation (Natur)
- Ort ohne Hoffnung und Zukunft, der Sinnlosikeit und Verschwendung, gegründet auf kapitalistischen Betrug
- Fremde Welt, kein Sinn
b) Personen:
Rita:
- Hauptfigur
- Vertreterin der ersten DDR-Generation (geb. 1940)---keine Vorbelastung durch 2. Weltkrieg
- Kindheit auf Dorf (Vakuum)---keine politische Erfahrung, keine Vorbehalte
- Sehr lernbegierig, Wunsch nach großer Veränderung
- optimale Voraussetzung für Einleben in sozialistischer Gesellschaft
- Handelt sehr selbstständig, sehr intuitiv (Manfred, Lehrervertrag, Meternagel), optimistisch, starke Emotionalität, will aus dem vollen Leben,
- Glaube an große Liebe mit Manfred--- unbewußter Selbstmord, weil Liebe vergänglich
- Fortschrittsglauben---Begeisterung für Reformkommunismus, auf Meternagels Seite---will alles verändern, auch Manfred
- Betonung auf Entwicklung im Laufe des Buches (naives Dorfmädchen—reife Frau)
- Sanatorium: Relativierung ihrer Ansichten, Verkraften der Trennung, geringere Ansprüche---will Freundlichkeit sehen und daraus Kraft schöpfen
- Rückkehr aus Berlin = Bekennung für DDR
- Verkörperung der DDR (Optimismus trotz Rückschläge, am Ende Sieg, mit Hilfe von Sozialismus)---Genialität des Werkes
Manfred:
- Gegenpol zu Rita
- Aus gutbügerlichem Stadtmilieu--- Maßregelung durch Eltern (Aussenseiter)
- Negative Vorbelastung durch 2. WK und Stalinzeit---geringe Chancen für Entwicklung zum Sozialismus--- Individualist, keine Unterordnung
- Politisch abstinent nach Studium (Engagement, bester Freund in Rücken gefallen)
- Pessimist, Arroganz, Gleichgültigkeit gegenüber Mitmenschen(keine Freunde)
- Liebe zu R. löst ein wenig innerliche Erstarrung---liebt an ihr die Eigenschaften, die er nicht hat
- Scheitern des Projekts (Versuch zur Eingliederung, Orakel)+Entfremdung--- Erkennen des eigene Unnutzes---Resignation, Zynismus
- Flucht aus Gleichgültigkeit (ohne politische Überzeugung)
Wendland:
- Gegenspieler von Manfred (kompliziertes Beziehungsgeflächt, Eifersucht)
- Ruhig, gelassen, sozialistisch Eingestellt
- Vorbildlicher Werksleiter (Einsatz zur Bewältigung der Krise)
- Fester Bezugspunkt, Ruhepol---an entscheidenden Situationen für R. da
Meternagel:
- Der neue Arbeiter
- Vorkämpfer für Sozialismus --- Selbstloser Kampf gegen Privategoismus, gegen mangelndes Pflichtbewußtsein--- jeder Teil des Ganzen
- Starke Wirkung auf R. (Heldenfigur, Vaterfigur), Vorbild---Kritik an bestehender Haltung
- Am Ende Zusammenbruch---Kritik an mangelnder Hilfe, auch durch Partei Brigadier Ermisch: Negatives Gegenbeispiel (Privategoismus, Geltungssucht)
Schwarzenbach:
- Wirbt R. , fester Anhaltspunkt für sie an Institut---Hilfe bei der Einfindung in sozialistische Ideen
- überzeugter Reformkommunist ---Kampf für Sozialismus auf Vertrauensbasis, gegen Kontrollen+Dogmatiker---Meinung: Jeder vernünftige Mensch= Sozialist
- Sieht Zeit für Veränderung da (die Zeit ist reif, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen)
- Am Ende Unsicherheit (mangelnde Unterstützung)---Bestätigung durch R. Politische Gegner = Spießer (Mangold, Manfreds Eltern)
- rückständige Ideen, Hemmung des Fortschritts
- Oppprtunisten (Reden nach Mund des Herrschers zum eigenen Vorteil)
- Mangold = Dogmatiker, strikte stalinistische Ideen, Kontrolle statt Vertauen--- Hemmt Arbeit am Lehrerinstitut
- M. Mutter: alte Faschistin (--unbewältigte Nazivergangenheit, Parteiabzeichen- tausch), Spießbürger
- R. sieht sie als Menschen --- Relativierung der Kritik
c) Gesamtwerk:
- Kritik an bestehenden Verhältnissen, Ansporn zur Veränderung---Relativierung zur Beschwichtigung---Zensur
- Trauer und Bitterkeit über Situation Deutschlands
- Bekennung für DDR und Sozialismus
- Grundfrage: Liegt der Sinn des Lebens im einzelnen oder im Kollktiv?
6. Rezeption
- besonders hoher Stellenwert in Geschichte der DDR-Literatur (rege Debatten)
- Westen: - 1. „lesbares“ Buch aus Osten
- Die „neue“ Stimme von drüben (DDR-Nationalliteratur)---neuer Realismus
- Osten: - breite Zustimmung des Publikums (Wiedererkennung, Offenheit)
- Literaturstreit (Anhänger der Orthodoxie---Modern Eingestellte)
- Verstoß gegen das „Typische“ (Meternagel, Manfred), ungenügende Behandlung der „nationalen Frage“ (nicht gegen Westen), ...
- Entscheidung zugunsten der Autorin (Heinrich-Mann- Preis)
- Kritik an Sprache (Naturmetaphorik)
- Heute:
- „historisches Dokument“ (DDR gehört Vergangenheit an)
- eins der wichtigsten Werkes
- Himmel signalisierte Anfang
- Kritik: vorschnelle Kompromisse, Bedürfnis nach Harmonie, Versöhnugsutopie
- Wichtigste DDR-Autorin
7. Schluß
- Gut gefallen (aktuelle Thematik, Auseinandersetzung mit DDR (interessant))
- Teilweise zu langatmig, Kunstruiert, Naturbeschreibungen
- Quellen: - Buch: dtv-Ausgabe
- Grundlagen und Gedanken zum Verständnis Erzählender Literatur (Ingeborg Gerlach)
- Umschlagbild von Köpfe des 20. Jahrhunderts (Franz Baumer)
- Literaturgeschichte
- Quote paper
- Cornelia Oed (Author), 1998, Wolf, Christa - Der geteilte Himmel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104316
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